Bern: Das neue Asylgesetz führt in die Katastrophe

Das neue Asylgesetz im Kanton Bern soll geflüchtete Menschen effizienter verwalten. Fehlende Übersetzer*innen, keine Sprachkurse und unbezahlte Rechnungen sind die Folgen. Und die profitorientierte ORS verdient weiterhin am Schicksal der Geflüchteten.

Im Juli 2020 traten für anerkannte Geflüchtete im Kanton Bern neue Regeln in Kraft. Die «Neustrukturierung des Asyl- und Flüchtlingsbereichs» ist eine Katastrophe. Neu hat die gewinnorientierte ORS Service AG einen Grossteil der Aufträge erhalten, die früher Organisationen wie die Heilsarmee oder Caritas ausführten. Die ORS steht seit Jahren in der Kritik für die miserablen Zustände, welche in den von ihr betreuten Asylunterkünften herrschen. Mit der Kampagne #ShutDownORS wurde in der Vergangenheit bereits versucht, die Behörden dazu zu bringen, Verträge mit der ORS aufzulösen. Doch im Neoliberalismus ist selbst die Unterbringung und Betreuung von geflüchteten Menschen zu einem Markt geworden, mit dem sich Rendite erzielen lässt.

Durch die Neustrukturierung haben auch diverse, von Geflüchteten und Asylorganisationen sehr geschätzte, Beschäftigungsprogramme und Brückenangebote ihre Aufträge verloren. Diese verbanden oft die Integration in den Arbeitsmarkt mit dem Erlernen der Sprache in einem praktischen Umfeld und boten zudem die Möglichkeit, soziale Kontakte zu knüpfen. Dass solche Programme nicht mehr berücksichtigt werden, ist ein weiteres Indiz dafür, dass der Staat, in diesem Falle der Kanton Bern, geflüchtete Menschen gar nicht umfänglich integrieren möchte, solange noch die Möglichkeit besteht, dass diese keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung erhalten.

Die Berner Zeitung hat mit zwei Gruppen geflüchteter Menschen im Emmental und Oberaargau Interviews geführt. Drei Probleme treten besonders hervor. Zum ersten fehlen qualifizierte Dolmetscher*innen, welche bei Behördenterminen, Bewerbungen und Gesprächen mit der ORS übersetzen. Zweitens bleiben viele Menschen auf Rechnungen für Arbeitsmaterialien, private Sprachkurse oder ÖV-Tickets sitzen, welche die ORS nicht übernimmt. Und drittens fehlen kostenlose Sprachkurse. Die Neustrukturierung sieht in der Theorie vor, dass Geflüchtete in ihrem früheren Berufsfeld arbeiten sollen. In der Praxis ist dies aber utopisch, wenn Diplome aus den Heimatländern nicht anerkannt werden und die Menschen gar keine Chance erhalten, die Sprache richtig zu lernen.

Das Ganze ist ein Teufelskreis, der am Ende nur Verlierer*innen hervorbringen wird. Der Spardruck und die Quotenvorgaben von oben führt zu schlechteren und zu wenig an die individuellen Bedürfnisse angepassten Angeboten für die Geflüchteten. Der Kanton Bern gibt vor, dass 50% der erwachsenen Geflüchteten innert sieben Jahren nach der Einreise «nachhaltig in den ersten Arbeitsmarkt integriert» sein müssen. Die regionalen Partner sind so gezwungen, möglichst viele Personen schnell in den Arbeitsmarkt zu pressen. Doch ohne die nötigen Sprachkurse und gezielte Betreuung finden die meisten, wenn überhaupt, nur Billiglohnjobs im Reinigungsbereich. Und wer langfristig Sozialhilfe bezieht, schwebt in dauernder Gefahr, ausgewiesen zu werden.

Die Neustrukturierung im Kanton Bern zeigt auch das Zusammenspiel von Rassismus und Kapitalismus in seiner besten Form: Wer zu viel kostet und der Wirtschaft zu wenig Ertrag bringt, ist der oder die schlechte Ausländer*in. Im Emmental wie im Oberaargau versuchen sich die Betroffenen zu wehren. Sie machen ihre Lage publik, schreiben Briefe an das kantonale Amt für Integration und Soziales. Dass zivilgesellschaftliche Angebote für das Versagen des Staates und der Kantone in die Bresche springen, ist kurzfristig für die Betroffenen oft die einzige Hilfe. Doch dabei darf es nicht bleiben. Umso wichtiger ist es darum, die Strukturen in den Blick zu nehmen und das ausbeuterische, kapitalistische, neoliberale und rassistische System in seiner Gesamtheit zu bekämpfen.

Sackgasse statt Deutschkurs
Lea Stuber, Berner Zeitung, 17.1.2022