Medienspiegel 7. Januar 2022

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+++SCHWEIZ
woz.ch 06.01.2022

Frontex-Referendum: Es wird knapp, sehr knapp

Das Referendum gegen die Schweizer Beteiligung am Ausbau der EU-Grenzschutzagentur nimmt immer mehr Fahrt auf. Doch bereits am 20. Januar läuft die Frist zum Einreichen der 50 000 Unterschriften aus. Ist das noch zu schaffen?

Von Lukas Tobler

Die Sammelaktion sorgt über die Landesgrenzen hinaus für Interesse. Der EU-Parlamentarier Erik Marquardt sprach sich dafür aus, das Referendum zu unterzeichnen, ebenso die Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete. Die Asylbewegung denkt schon lange europäisch – weil sie es muss. Denn auch wenn sich die EU-Kommission und die Schengen-Staaten gern gegenseitig die Verantwortung für die Verbrechen an den europäischen Aussengrenzen zuschieben, bleiben sie letztlich eben doch genau das: gemeinsame Aussengrenzen. Zum ersten Mal bietet sich jetzt die Möglichkeit, dass die Stimmbevölkerung eines Staats über die Verkörperung dieser europäischen Abwehrpolitik abstimmen kann: die Grenzschutzagentur Frontex.

Doch es wird knapp. Noch zwei Wochen bleiben dem Komitee, um 25 000 Unterschriften zu sammeln, damit das Referendum zustande kommt. Es fehlt also noch etwa die Hälfte. «Aber wir kommen dem Ziel immer näher», sagt Daniel Graf, der Gründer der Plattform WeCollect, die sich am Referendum beteiligt. Er spricht von einem «Momentum»: In der letzten Woche seien rund 10 000 Unterschriften eingetroffen. Wenn diese Geschwindigkeit in den nächsten beiden Wochen erhöht werden kann, liegt das Referendum noch in Reichweite. Dabei sind die Rahmenbedingungen denkbar schlecht: Corona dominiert den medialen Diskurs und erschwert das Sammeln im öffentlichen Raum. «Und in der Zeit zwischen Weihnacht und Neujahr ist es sowieso immer besonders schwierig, die Leute zu erreichen», sagt Graf. Auch die anderen lancierten Referenden zur Organspende und zur «Lex Netflix» drohen zu scheitern.

«Wir kommen von der Strasse»

Dass das Frontex-Referendum kaum in die Gänge kam und jetzt auf jede zusätzliche Unterschrift angewiesen ist, liegt aber nicht nur an äusseren Umständen. Als das Parlament am 1. Oktober in der Schlussabstimmung die Schweizer Beteiligung am Ausbau von Frontex verabschiedete, war ein Referendum noch gar nicht in Planung. «Normalerweise werden schon vor dem definitiven Entscheid des Parlaments Allianzen geschmiedet, um gleich im Anschluss mit dem Sammeln beginnen zu können», sagt Daniel Graf, der mit WeCollect schon eine Vielzahl an Referenden begleitet hat. «Im Fall von Frontex musste diese Vernetzung erst noch erfolgen – das hat gedauert.»

Denn das Referendum wurde nicht von den grossen nationalen Politakteuren ergriffen. Die SP und die Grünen befürworten es zwar, waren aber nie treibende Kraft. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe und Amnesty unterstützen das Referendum bis heute nicht. Stattdessen sprang die ausserparlamentarische Asylbewegung in die Bresche. «Wir kommen von der Strasse», sagt Malek Ossi, Mediensprecher des Komitees. «Die meisten von uns beschäftigen sich nicht beruflich mit Politik, wir sind Aktivist:innen», so Ossi. Auch er hatte mit parlamentarischer Politik vorher noch keine Erfahrung. So wie viele andere treibende Personen hinter dem Frontex-Referendum darf er nicht einmal abstimmen. «Aber wir müssen in der Asylpolitik endlich wieder auf allen Ebenen in die Offensive gehen», sagt der Aktivist. In den letzten Wochen hat das Referendumskomitee in der ganzen Schweiz mobilisiert, unzählige Veranstaltungen organisiert und eine Telefonaktion durchgeführt.

Dabei habe sich auch gezeigt, dass in der Bevölkerung wenig Vorwissen zu Frontex vorhanden sei: «Viele Leute, die wir angesprochen haben, wussten gar nicht, was das ist», erzählt Ossi. Dass die Vorlage komplex ist, dürfte die Sammelaktion weiter erschwert haben. Frontex steht zwar sehr konkret in Verbindung mit Menschenrechtsverletzungen – aber ist eben auch ein abstraktes politisches Gebilde. Die Schweizer Beteiligung an der Agentur erfolgt im Rahmen des Schengen-Abkommens und wird wohl auch weiter bestehen, falls das Referendum in der Schweiz angenommen würde. Der referendumsfähige Beschluss des Parlaments betrifft nur die Beteiligung am Ausbau der Grenzschutzagentur: Die Schweiz soll ihren jährlichen Beitrag demnach auf rund 61 Millionen Franken verdreifachen.

Die Bewegung bäumt sich auf

Es ist nicht das erste Mal, dass die Asylbewegung ein Referendum zu stemmen versucht. Zuletzt versuchte sie 2013, die Abschaffung des Botschaftsasyls zu verhindern – doch diese wurde letztlich mit fast achtzig Prozent deutlich befürwortet. In dieser Deutlichkeit auch, weil die SP, die bei den letzten Verschärfungen des Asylgesetzes zuverlässig eine schlechte Figur machte, die Vorlage befürwortete. Aber immerhin kam das Referendum zustande. Inzwischen ist die SP dank frischem Wind in der Parteiführung in der Flüchtlingspolitik etwas offensiver.

Die Asylbewegung wiederum ist heute nicht mehr so stark, wie sie sein könnte, findet Malek Ossi. Das hat auch mit den tiefen Asylzahlen zu tun, eine direkte Folge der europäischen Abschottung. Umso wichtiger sei dieses Referendum, an dem sich inzwischen linke Gruppierungen aus der ganzen Schweiz beteiligen – die Asylbewegung bäumt sich auf. «Wir haben wichtige Erfahrungen gesammelt, uns auch international vernetzt, neue Kräfte freigesetzt», sagt der Aktivist, «und wir werden auch nach diesem Referendum weiterkämpfen.»
(https://www.woz.ch/2201/frontex-referendum/es-wird-knapp-sehr-knapp)


+++GASSE
Im Stadtzentrum am Rande der Gesellschaft
Wie lebt es sich ohne Dach über dem Kopf in Zürich – und welchen Einfluss hat die nicht enden wollende Pandemie auf die Betroffenen? Simon Muster hat mit Walter von Arburg vom Sozialwerk Pfarrer Sieber gesprochen.
https://www.pszeitung.ch/im-stadtzentrum-am-rande-der-gesellschaft/#top


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Fight Bässlergut
Am 30. Dezember 2021 haben wir die Gefangenen im Bässlergut mit einem Feuerwerk gegrüsst und eine Nachricht auf den Wänden hinterlassen.
Unsere solidarischen Neujahrsgrüsse gehen an die Gefangenen im Bässlergut I + II und an die Menschen im Bundesasyllager. Nieder mit dieser rassistischen und unterdrückenden Festung! Nieder mit allen Grenzen und Knästen! Für die Freiheit!
https://barrikade.info/article/4934


+++KNAST
Insasse im Flughafengefängnis tot aufgefunden
Medienmitteilung 07.01.2022
Im Flughafengefängnis ist am Dienstagabend (4. Januar 2022) ein Insasse reglos in seiner Zelle aufgefunden worden. Der Arzt konnte nur noch den Tod des 51-Jährigen feststellen.
https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2022/01/insasse-im-flughafengefaengnis-tot-aufgefunden.html
-> https://www.blick.ch/schweiz/mittelland/keine-dritteinwirkung-insasse-51-in-flughafengefaengnis-tot-aufgefunden-id17127635.html
-> https://www.landbote.ch/51-jaehriger-im-flughafengefaengnis-tot-aufgefunden-411530047413


+++POLIZEI DE
Mordfall Oury Jalloh:„Ich schwöre, ich wars nicht“
Vor 17 Jahren verbrannte Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle. Längst ist klar, dass er sich nicht selbst angezündet hat. Doch wer war es dann?
https://taz.de/Mordfall-Oury-Jalloh/!5823891/


Oury Jalloh: Unbekannte verbrennen an Jallohs Todestag Matratze vor Justizzentrum
Vor 17 Jahren verbrannte Oury Jalloh gefesselt in einem Dessauer Polizeirevier. Vor den Räumen der Staatsanwaltschaft steht an seinem Todestag eine Matratze in Flammen.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2022-01/oury-jalloh-todestag-justizzentrum-halle
-> https://www.fr.de/politik/oury-jalloh-17-jahre-ungewissheit-91218744.html


Zwischen 1991 und 2004 sind in Bremen in über 1.000 Fällen Brechmittel an Menschen in Polizeigewahrsam verabreicht worden. Am 27. Dezember 2004 wurden dem aus Sierra Leone geflüchteten Laye Condé im Polizeirevier Bremen-Vahr gegen seinen Willen vom  Beweissicherungsdienst durch eine Nasensonde zwei Stunden lang mehrere Liter Wasser und Brechmittelsirup eingeflößt. Am 7. Januar 2005 starb Laye Condé an den Folgen dieser Zwangsmaßnahme. 2006 stufte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die zwangsweise Vergabe von Brechmitteln als Verletzung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ein: Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden
https://brechmittelfolter-bremen.de/


+++RECHTSPOPULISMUS
Medienförderung: Angriff von Rechts
Was will das Massnahmenpaket zugunsten der Medien, über das wir im Februar abstimmen? Wieso wird überhaupt über staatliche Medienförderung abgestimmt? Wem nützt sie und wem nicht? Wer ist dafür und wer dagegen, und warum immer die Ostschweizer? Eine Auslegeordnung. Samt Listicle zum Schluss aus Gründen der Aufmerksamkeitsökonomie.
https://www.saiten.ch/medienfoerderung-angriff-von-rechts/


Deluxe WC-Papier: Die Weltwoche
Für 9.- die Rolle kann man schon viel von seinem WC-Papier erwarten. Doch sogar als glorifiziertes WC-Papier weiss «Die Weltwoche» zu enttäuschen
https://sputim.ch/deluxe-wc-papier-die-weltwoche/


Sperre von Linkedin, Twitter und Youtube: Mitentwickler der mRNA-Technik wird zum verstörenden Impfskeptiker
Der US-Mikrobiologe Robert Malone hat an Covid-Impfstoffen mitgeforscht. Nun verbreitet er Verschwörungstheorien und wird von Onlineplattformen verbannt.
https://www.derbund.ch/mitentwickler-der-mrna-technik-wird-zum-verstoerenden-impfskeptiker-878272934258


+++RECHTSEXTREMISMUS
Nazisymbole in der Schweiz: Die Schweiz hat mehr als ein Symbolproblem
Über zehn Jahre nach dem letzten Anlauf wird das Verbot nationalsozialistischer Symbole wieder Thema – eine Einordnung der Vorstösse und Expertenmeinungen.
https://www.tachles.ch/artikel/schweiz/die-schweiz-hat-mehr-als-ein-symbolproblem


Ökofaschismus: Faschismus und Esoterik Hand in Hand
Spätestens seit bei Corona-Demonstrationen Esoteriker*innen neben Hitlergruss-zeigenden Nazis auf der Strasse standen, stellt sich die Frage nach der Verbindung dieser auf den ersten Blick unterschiedlichen Milieus. Eine Spurensuche im Bereich der ökofaschistischen Theorien.
https://www.megafon.ch/vielleicht-sind-wir-doch-wie-ihr/?artikel=Faschismus+und+Esoterik+Hand+in+Hand


Les rencontres antifascistes : du fémonationalisme aux coronasceptiques
Le 13 novembre 2021, Rafale recevait la Coordination féministe antifasciste à une table ronde sur le fémonationalisme, le féminisme identitaire et les coronasceptiques. La Coordination féministe antifasciste nous a présenté les lignes fondatrices de leur groupe et leur engagement dans les luttes antifascistes et révolutionnaires. Nous les remercions d’avoir répondu à notre invitation, de la pertinence de leur propos et de leur engagement politique.
https://renverse.co/analyses/article/les-rencontres-antifascistes-du-femonationalisme-aux-coronasceptiques-3381


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Weil Matthias Grüninger (63) Arlesheim BL vor der zweiten Welle warnte: Corona-Skeptiker mobben Pfarrer aus dem Amt
Eine Predigt vom Sommer 2020 wird dem Pfarrer Matthias Grüninger (63) aus Arlesheim BL zum Verhängnis. Weil er darin vor einer zweiten Corona-Welle warnte, setzten ihn Skeptiker der Kirchenpflege vor die Tür. Am Mittwoch hat ihn der Kirchenrat aus dem Amt enthoben.
https://www.blick.ch/schweiz/basel/weil-matthias-grueninger-63-arlesheim-bl-vor-der-zweiten-welle-warnte-corona-skeptiker-mobben-pfarrer-aus-dem-amt-id17125215.html


Antisemitenversteher
„Doch es gibt Menschen, die das Urteil nicht nachvollziehen können. Wie Roger Köppel, in seinem «Weltwoche Daily»-Beitrag vom 24. Dezember. «Ich glaub das einfach nicht», beteuert Köppel zweifach. Naidoos einzige Verfehlung seien negative – und gemäss dem «Weltwoche»-Chef gar nicht so unvernünftige – Äusserungen zum «Migrationsgeschehen in Deutschland».“
https://www.tachles.ch/artikel/schweiz/antisemitenversteher


Eskalation um Novak DjokovicUnd im selben Hotel warten Asylsuchende schon jahrelang
Die Szenen vor dem Hotel, in dem Novak Djokovic festsitzt, nehmen bizarre Züge an. Drei Gruppen demonstrieren lautstark, die Polizeipräsenz wurde erhöht.
„Das Asylum Seeker Resource Center von Melbourne schätzt, dass sich etwa 33 Personen im Hotel aufhalten. Sophie McNeill von Human Rights Watch schrieb auf Twitter: «Novak Djokovic hat nur eine Nacht in australischem Einwanderungsgewahrsam verbracht, aber einige sind seit Jahren in diesem Hotel eingesperrt.» Und Chris Been, ein Aktivist, sagte: «Wenn man nur ein paar Tage dort ist, ist ein Zimmer in einem Hotel kein Weltuntergang. Aber wenn man dort festsitzt, ist das eine ganz andere Geschichte.»„
https://www.tagesanzeiger.ch/im-selben-hotel-warten-asylsuchende-schon-jahrelang-715556120739


Satanismus: Zwei Baselbieter Lehrkräfte ausser Gefecht
Ihr bizarrer Auftritt in einer „Dok“-Sendung des Schweizer Fernsehens zum Satanismus hat für zwei Baselbieter Lehrkräfte Konsequenzen: Sie unterrichten laut Informationen der „BZ Basel“ nicht mehr. In der am 14. Dezember ausgestrahlten Sendung zum Thema Satanismus hatte der Oberwiler Sekundarlehrer D.V. erklärt, es gabe in der Schweiz „kein Amt, das nicht unterwandert ist“. Diese Leute hätten sich dem Bösen und dem Satan verschrieben.
https://www.onlinereports.ch/News.117+M5f528fcf29f.0.html



tagesanzeiger.ch 07.01.2022

Wahlen in Zürich: Massnahmengegner drängen ins Zürcher Stadtparlament

Drei Politgruppierungen treten bei den Stadtzürcher Wahlen am 13. Februar erstmals an. Sie heissen Freie Liste, I love Zürich und Volt. Mit der Freien Liste drängen Corona-Massnahmengegner ins Parlament.

Matthias Scharrer

Zuletzt bot die Abstimmung gegen das Covid-19-Gesetz im November den Corona-Massnahmengegnern eine Bühne für politische Auftritte, sei es bei Kundgebungen auf der Strasse, sei es in den Medien. Nun sind es die Stadtzürcher Wahlen am 13. Februar. Von den Politgruppierungen, die dabei erstmals ins Parlament drängen, ist die Freie Liste die grösste – mit 44 Kandidaturen, wie sie auf ihrer Website verkündet.

Ihr Programm bringt sie in einem Satz auf den Punkt: «Die Freie Liste fordert die sofortige Beendung der Coronamassnahmen.» Weiter spricht sie sich gegen Maskenpflicht, «indirekten wie direkten Impfzwang», Zertifikats- und Ausweispflicht aus. Und: Sie will einen «Stopp der Schreckung der Bevölkerung mittels behördlich verordneter Fehldiagnostik».

Der Sozialwissenschafter Marko Kovic bezeichnete das Personal der Freien Liste in der «NZZ» als ein «wahres Who’s who der massnahmenkritischen Szene». Sie seien nicht zu verharmlosen, da in der Szene auch mit gezielter Falschinformation gearbeitet werde. «Das grenzt an Demagogie», so Kovic.

Mit «Heldenhotels» gegen Corona

Der Spitzenkandidat der Freien Liste heisst Josua Dietrich. Der ETH-Absolvent tritt auch fürs Stadtpräsidium an. Anfang Mai 2020 propagierte er in einem auf Youtube veröffentlichten Video eine «mutige und elegante Covid-19-Lösung» mittels «Heldenhotels», in denen sich gesunde Unter-65-Jährige anstecken lassen sollten, um möglichst bald eine Herdenimmunität zu erreichen. «Selten im Leben so ein Schwachsinn gesehen», schrieb jemand in einem Kommentar auf Youtube dazu.

Als Sekretariat und Vertretung der Freien Liste figuriert auf deren Website ein gewisser Stefan Theiler. Er ist kein Unbekannter. So kandidierte er im November 2020 erfolglos fürs Berner Stadtparlament. Und erregte Aufsehen, indem er nachts die damalige Berner Kantonsärztin Linda Nartey verfolgte und als «Satansdienerin» beschimpfte, wie diverse Medien berichteten.

Bei den Wahlen in Zürich tritt die Freie Liste in sechs von neun Wahlkreisen an. Um ins Parlament gewählt zu werden, müsste sie in mindestens einem der Wahlkreise die Fünf-Prozent-Hürde überwinden. Bei den letzten Wahlen scheiterte daran die CVP (heute: Die Mitte).

Wie weit die Freie Liste mit ihrer Konzentration auf ein Thema die Stimmen von Corona-Massnahmengegnern auf sich vereinen kann, bleibt abzuwarten. Im vergangenen November lehnten 26 Prozent des Stadtzürcher Stimmvolks das Covid-19-Gesetz ab – deutlich weniger als bundesweit.

Roadpricing für Auswärtige

Weitaus weniger breit aufgestellt sind die anderen Neulinge an den Wahlen in Zürich: Die Liste I love Zürich besteht aus einer einzigen Person, dem Filmregisseur Matthes Schaller. Er tritt im Wahlkreis 7+8 an, «fokussiert auf das Quartier», wie er auf seiner Website schreibt. Der im Seefeld-Quartier aufgewachsene Schaller gehört seit drei Jahren dem Vorstand des Quartiervereins Riesbach an.

Zu seinen Forderungen zählt ein Autospurabbau beim Bellevue zu Gunsten einer Veloroute; ebenso die Idee, Abfallcontainer am See von Jugendlichen gestalten zu lassen, um ein Bewusstsein gegen Littering zu schaffen. Ausserdem wünscht Schaller Roadpricing für Pendler, die von ausserhalb der Stadt kommen.

Teil einer paneuropäischen Bewegung

Auf drei Kandidierende für den Zürcher Gemeinderat bringt es die Liste Volt. Sie treten in zwei Wahlkreisen an. Volt ist laut eigenen Angaben der Schweizer Ableger einer paneuropäischen Bewegung, die sich ökologisch, feministisch und LGBTQI*-freundlich nennt.

Einer ihrer drei Gemeinderatskandidaten ist Danilo Lo Pumo. Er wirbt auf seiner Facebook-Seite für die geplante Zürich City Card, die Sans-Papiers das Leben erleichtern soll, sowie für sichere Velorouten – also für Ziele, die der Zürcher Stadtrat ohnehin schon verfolgt.

Zwölf Parteien und Gruppierungen wollen ins Parlament

Insgesamt treten zu den Stadtzürcher Wahlen am 13. Februar zwölf Parteien und Gruppierungen an. Aktuell im 125-köpfigen Gemeinderat vertreten sind davon die SP, FDP, SVP, Grünen, GLP, AL und EVP. Um den Wiedereinzug ins Parlament kämpfen zum einen Die Mitte (ehemals CVP), zum anderen die Partei der Arbeit (PdA).

Bei der Mitte respektive ihrer Vorläuferpartei CVP liegt das Ausscheiden aus Stadt- und Gemeinderat vier Jahre zurück. Bei der kommunistischen PdA ist dies schon länger her: 1946 errang sie zum bislang einzigen Mal einen Stadtratssitz, 1978 letztmals einen Gemeinderatssitz. Danach machten ihr Parteien der neuen Linken wie die POCH und die AL das Linksaussen-Spektrum in der Zürcher Politik streitig.
(https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/wahlen-in-zuerich-massnahmengegner-draengen-ins-zuercher-stadtparlament-ld.2235164)


+++HISTORY
Im Fall Bührle drängt Corine Mauch auf Massnahmen
Die Zürcher Stadtpräsidentin geht in der Affäre um mögliche Raubkunst im Kunsthaus in die Offensive. In der NZZ drängt sie auf eine Veröffentlichung des Leihvertrags, den Kunsthaus und Bührle-Stiftung neu verhandeln. Und auch der vorzeitige Abgang des Kunsthaus-Direktors müsse diskutiert werden.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/im-fall-buehrle-draengt-corine-mauch-auf-massnahmen?id=12120665
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-stadtrat-kassiert-einen-rueffel-vor-gericht?id=12121049 (ab 04:50)


+++FRAUEN/QUEER
bernerzeitung.ch 07.01.2021

Trans Mann aus Biel: Endlich anerkennt ihn auch der Staat als Mann

Ari Lee wusste stets, dass er keine Frau ist. Jetzt freut sich der Bieler, dass er dies ohne grossen Aufwand auch amtlich registrieren kann.

Markus Dütschler

Dass er kein typisches Mädchen war, spürte Ari Lee schon früh, etwa beim Puppenspielen. «Mädchenzeugs interessierte mich nicht.» In den frühen 1980er-Jahren, als er bei seinen Grosseltern aufwuchs, bezeichnete man Homosexuelle verschämt als Leute «vom anderen Ufer». Travestieshows am Fernsehen galten als lustig, aber auch irritierend.

Lee hat den starken Verdacht, dass er als intersexuelles Kind mit uneindeutigen Genitalien unter dem Vorwand eines Leistenbruchs operiert wurde. Mit der körperlichen Veränderung in der Pubertät wurde es erst recht kompliziert: «Ich passte weder zu den Mädchen noch zu den Burschen.» Die Wahl der Kleider sei «ein Graus» gewesen, woraus Lee den Schluss zog, lesbisch zu sein. Der Seelsorger in der Freikirche seiner Mutter war entsetzt, versuchte, Lee von den «satanischen Belastungen» zu kurieren, und riet zur Heirat mit einem Heteromann.

Aus Vater wurde Mutter – und umgekehrt

«Das habe ich getan», sagt Lee trocken. 23 Jahre später liess sich das Paar scheiden. «Es gab gute und schwierige Phasen, wir bedauern nichts.» Es habe einfach nicht mehr gepasst. «Wir haben beide die Maske abgelegt, um das zu werden, was wir wirklich sind.» So wurde aus der Ehefrau der trans Mann Ari Lee. Aus dem Ehemann, der mit dem zugewiesenen Geschlecht ebenfalls unglücklich war, wurde eine trans Frau.

Die beiden Kinder des Paares erlebten also, wie aus dem Vater die Mutter – und aus der Mutter der Vater wurde. Ist das nicht irritierend? «Sie haben es verstanden und gut aufgenommen», sagt Lee. Allerdings hätten sie ihn gebeten, sich äusserlich nicht zu schnell zu verändern, also keinen Bart wachsen zu lassen.

Emmental – Deutschland – «Indianer» – Sklaven – Juden

Komplex ist auch Lees Familiengeschichte. Von der Grossmutter her existiert eine bodenständige Verbindung ins Schangnau, doch emigrierte die Oma aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland. Der Vater ist, was man früher Indianer nannte und heute «Native American/Indigenous» oder Bipoc (black, indigenous and people of color).

Die Vorfahren, sephardische Juden aus Spanien, gelangten im Zeitalter von Kolumbus in die Karibik, wo sie sich mit schwarzen und amerikanischen Ureinwohnern vermischten, die als Sklaven dorthin verbracht worden waren. Die jüdische Kultur ist in Lees Leben präsent, was in seiner Bieler Wohnung am Inhalt einer Vitrine abzulesen ist, die liturgische Gegenstände dieser Religion enthält – etwa Thorarollen.

Heisst es in der Thora nicht auf den ersten Seiten in der Schöpfungsgeschichte: «Und Gott schuf den Menschen als Mann und Frau»? Lee kontert, dort stehe auch, dass Gott das Licht von der Finsternis oder das Land vom Meer geschieden habe. «Und doch gibt es die Dämmerung oder Sumpfgebiete», Zwischenformen zwischen zwei Polen, sagt der angehende Theologe. An der Uni Genf hat er einen Bachelor erworben und arbeitet jetzt an der Theologischen Fakultät in Bern am Master.

Die Rabbiner hätten dies früh erkannt und im Talmud sechs Geschlechter definiert, etwa Frauen, die mit fortschreitendem Alter immer männlichere Züge annehmen. «Ich bin stolz darauf, dass unsere Fakultät als erste Unisex-Toiletten eingerichtet hat», sagt Lee. Sonst werde er oft «blöd angeschaut», ganz gleich, ob er Männer- oder Frauentoiletten aufsuche. Die Aufregung um dieses Thema versteht er nicht: «Zu Hause haben alle eine Unisex-Toilette.»

Beschimpfungen und «racial profiling»

Auch dieses Thema macht deutlich, wie stark der Alltag kulturell mit Weiblichkeit oder Männlichkeit konnotiert ist, oft so subtil, dass es die meisten nicht merken. Als Lee noch als weiblich identifiziert wurde, beantworteten Verkäufer im Elektronikfachhandel auch scheinbar dumme Fragen geduldig. Beim männlichen Lee setzen sie ein Grundwissen voraus.

Auch auf der Strasse sei der Unterschied spürbar, sagt Lee. «Eine Frau weicht entgegenkommenden Männern meist aus.» Das werde auch so erwartet. Als er dies – noch weiblicher aussehend – versuchsweise unterlassen habe, sei es beinahe zum Zusammenstoss mit sehr irritierten Männern gekommen.

Erlebte Lee ernsthafte Zusammenstösse oder Anfeindungen? Als er im Zug sass und eine Schutzmaske mit aufgedrucktem Regenbogensymbol trug, sagte ein Passagier: «Hier stinkts nach Schwuchtel.» Sonst habe er bisher keinen Grund gehabt, sich zu fürchten. Er weiss von dunkelhäutigen trans Männern, dass sie – umgeben von hellhäutigen Kollegen – von der Polizei bei Kontrollen oft herausgegriffen würden – klassisches «racial profiling».

Lee hat auch Positives erlebt. Als sich der ausgebildete Make-up-Artist bei einem Warenhaus bewarb, um Kindern Halloween-Masken aufzumalen, reagierten die Personalverantwortlichen verständnisvoll darauf, dass in seinen Ausbildungsunterlagen ein anderer Name und ein anderes Geschlecht vermerkt sind. Das Schminken ist seine Leidenschaft. Oft zeigt er unerfahrenen trans Frauen den Umgang mit Schminkutensilien und berät sie beim Finden des eigenen Stils.

Rauswurf nach Coming-out

Ablehnung hat Lee eher im persönlichen Umfeld erfahren. So wurde er als Pastor einer täuferisch ausgerichteten Freikirche nach seinem Coming-out abgesetzt. Von anderen trans Menschen weiss er, dass sie von der eigenen Familie verstossen werden. Für sie will er seine seelsorgerischen Fähigkeiten aktivieren und ihnen helfen, Schritt für Schritt ihre eigene Identität zu finden.

Am Montag hat Lee seinen Termin auf dem Zivilstandsamt. Die Geschlechtsänderung ist jetzt keine grosse Sache mehr. Kein Vergleich zu dem, was sein Ex-Partner an Befragungen vor Gericht über sich habe ergehen lassen müssen. Betroffene seien bisher völlig von Instanzen abhängig gewesen, sagt Lee. «Dabei weiss die Person selber am besten, wer sie ist.»

Manche kritisieren die freie Geschlechtswahl als Lifestyle-Marotte und Masche, um sich wichtig zu machen. Dies weist Lee entschieden zurück: «Ich kenne niemanden, der dies als coolen Modegag versteht.» Es gehe um Anerkennung. «Wir wollen sein dürfen, wer wir sind.» Und überhaupt: Wenn ihn jemand frage, was er eigentlich sei, antworte er: «Einfach ein Mensch.»



 Keine Wehrpflicht – frühere Rente

Seit dem 1. Januar 2022 ist es ohne Gerichtsverfahren möglich, sich unter einem anderen Geschlecht im Personenstandsregister eintragen zu lassen. Im Kanton Bern haben gut zwei Dutzend Personen um einen Termin ersucht, gut die Hälfte davon im Zivilstandskreis Bern-Mittelland.

Die Lobbyorganisation Transgender Network Switzerland (TGNS) begrüsste den Beschluss der eidgenössischen Räte, bedauerte aber, dass Jugendlichen dieser Schritt verwehrt bleibe. Als unbefriedigend empfindet es die LGBTIQ+-Community auch, dass nur die Geschlechtsbezeichnung männlich oder weiblich möglich ist, während in Deutschland auch «divers» gewählt werden kann.

Noch heute figurieren Transgender-Manifestationen bei der Weltgesundheitsorganisation WHO auf der Krankheitsliste ICD-10. Bis 1990 war darauf auch Homosexualität verzeichnet.

Ein geänderter Geschlechtseintrag hat rechtliche Folgen. Wird eine bisher männlich registrierte Person als Frau eingetragen, bekommt sie die AHV-Rente laut Auskunft des Bundesamts für Sozialversicherungen ein Jahr eher. Eine trans Frau ist nicht wehrpflichtig. Anders als heute wurde bei «Transsexualität», wie der veraltete Begriff lautet, automatisch Untauglichkeit angenommen.

Fragen stellen sich auch beim Justizvollzug. Aufsehen erregte der Fall eines Vergewaltigers, der sich als Frau registrieren liess und im Frauenknast erneut delinquierte. Das bernische Amt für Justizvollzug sagt auf Anfrage, eine solche Person würde die Strafe keinesfalls automatisch in Hindelbank vollziehen. Jeder Fall werde individuell geprüft. Viel häufiger ereigneten sich in der Vergangenheit Diskriminierungen von Transmenschen im Gefängnisalltag. Die Stiftung Schweizerisches Kompetenzzentrum für den Justizvollzug (SKJV) hat darum zuhanden der Vollzugsbehörden ein Grundlagenpapier erarbeitet, das die besonderen Gefährdungen und Bedürfnisse von LGBTIQ+-Insassen bewusst macht. (mdü)
(https://www.bernerzeitung.ch/eine-identitaet-ist-selten-nur-binaer-965529232632)