Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++DEUTSCHLAND
Migration: Viele Asylsuchende noch nicht in EU registriert
Geflüchtete, die in Deutschland Asyl beantragen, müssten zuvor in einem anderen EU-Land erfasst worden sein. Bei jedem Zweiten ist das offenbar nicht der Fall.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2022-01/asyl-eu-eurodac-dublin-verfahren-registrierung-migration
+++GASSE
Berner Verein sammelt Spenden: Sie schaffen einen sicheren Schlafplatz für Junge in Not
Im Frühjahr soll in Bern die erste Notschlafstelle für Jugendliche und junge Erwachsene öffnen. Vergleichbare Angebote sind in der Schweiz bisher rar.
https://www.blick.ch/schweiz/bern/berner-verein-sammelt-spenden-sie-schaffen-einen-sicheren-schlafplatz-fuer-junge-in-not-id17112548.html
Sichere Isolation für Obdachlose
Der Winter ist ohnehin schon eine schwierige Zeit für Obdachlose, aber was passiert, wenn man mit Corona angesteckt wird, aber kein Zuhause hat? Beim Pfuusbus des Sozialwerks Pfarrer Sieber hat man eine Lösung gefunden: Im Albisgüetli hat man sogenannte «Isolationscontainer» aufgestellt. Dort können sich Bedürftige bei einer Erkrankung sicher und warm Isolieren und es gibt auch medizinische Unterstützung.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/sichere-isolation-fuer-obdachlose-144949342
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
enquetecritique.org : auto-éducation populaire et émancipatrice
enquetecritique.org est une plateforme de recherches en sciences sociales, 100 % indépendante, autogérée et gratuite, depuis les luttes.
https://renverse.co/analyses/article/enquetecritique-org-auto-education-populaire-et-emancipatrice-3378
+++RASSISMUS
Serie «Reise in Schwarz-Weiss»
Was hat George Floyd mit der Schweiz zu tun? Was heisst Schwarz sein in der Schweiz? Was verbindet People of Color ausser der gemeinsamen Erfahrung des Ausschlusses? Reicht das? Wofür? Und welchen Einfluss hat das koloniale Erbe der Schweiz? Fünf Stationen, fünf Reportagen.
https://www.republik.ch/2021/06/25/serie-reise-in-schwarz-weiss
+++RECHTSPOPULISMUS
Sonntagszeitung 02.01.2022
Menschenhandel im Mittelmeer: Wenn Seenotretter mit Schleppern kooperieren
Das Mittelmeer ist zum Massengrab geworden für Menschen, die nach Europa migrieren wollen. Das hält manche Hilfsorganisationen aber nicht davon ab, mit Menschenhändlern zusammenzuarbeiten.
Kurt Pelda, Ayoub Al Madani
Es sind dramatische Bilder von Schiffbrüchigen vor der Küste Libyens: Schlauchboote, die schon zur Hälfte mit Wasser gefüllt sind, und durchnässte Migranten, die verzweifelt winken und auf Rettung hoffen. Im Mittelmeer spielen sich schreckliche Tragödien ab, fernab der Fernsehkameras. Allein in diesem Jahr sind auf der zentralen Seeroute von Nordafrika nach Italien mehr als 1500 Migranten ums Leben gekommen. Ein grosser Teil davon ist von libyschen Stränden aus gestartet, meistens in hoffnungslos überfüllten Booten, die Schlepper gegen gutes Geld zur Verfügung stellen.
Unter den Geflüchteten hat es nur wenige Libyer, aber Libyen dient Menschen aus vielen Regionen Afrikas und Asiens als Sprungbrett für die Überfahrt nach Italien. Der chaotische Erdölstaat ist ein Paradies für Menschenhändler und Schmuggler aller Art. Und zugleich ist das Durchgangsland die Hölle für Migranten. Sie werden von Milizen gefangen gehalten, erpresst und gefoltert. Manchmal machen besonders skrupellose Libyer sogar gezielt Jagd auf einzelne Migranten, die ermordet und deren Organe anschliessend an nicht weniger skrupellose Europäer verkauft werden.
Negatives verheimlichen
Manche Fotos ihrer Rettungsaktionen veröffentlichen die Hilfswerke im Internet, auch um Spenden zu generieren. Damit soll ein positives Bild vermittelt werden. Die Retter dürfen sich zu Recht als Helden feiern lassen, wenn sie Menschen vor dem Ertrinken bewahren. Bei Schiffbrüchigen können sich die Hilfswerke auf das Seerecht berufen und die Menschen in einen sicheren Hafen bringen, zum Beispiel in das rund 600 Kilometer entfernte Italien. Würden die Migranten dagegen nach Libyen zurückgeschoben, müssten sie mit Gefangenschaft, Misshandlungen und Schlimmerem rechnen.
Es gibt aber auch Bilder, die eine ganz andere Interpretation der Bergungsaktionen nahelegen. Solches Material wird von den Schiffsbesatzungen zwar ebenfalls auf Video festgehalten, doch die Hilfsorganisationen achten peinlich genau darauf, dass die Öffentlichkeit nichts davon mitbekommt. Zum Beispiel, wenn Schlepper zu sehen sind, die Migranten zu den Rettungsbooten bringen. Eine solche Bergung hat die Besatzung des Schiffs Vos Hestia der britischen Organisation Save the Children (Rettet die Kinder) am 13. Oktober 2017 gefilmt. Zwei kleine Boote mit drei Schleppern und 21 Migranten an Bord treffen auf die «Retter» von Save the Children, nur wenige Kilometer nördlich der libyschen Küste.
Die drei Schlepper helfen mit, die Migranten auf die Rettungsboote umzuladen, und fahren dann wieder nach Libyen zurück – nicht ohne sich vorher noch von der Besatzung der Vos Hestia und den Migranten per Handzeichen verabschiedet zu haben. Das Meer ist ruhig, die Boote der Schlepper sind intakt, die Aussenbordmotoren brummen: keine Seenot weit und breit.
Dokumentiert ist das alles durch Bildmaterial, das die Staatsanwaltschaft von Trapani auf Sizilien durch aufwendige Ermittlungen ans Licht gebracht hat – verteilt auf rund 650 Aktenseiten. Viele der Fotos und Videos wurden von den Rettern selbst aufgenommen – mit Helmkameras, wie sie auch Biker oder Bergsteiger verwenden. Die Italiener setzten aber auch verdeckte Ermittler ein. Mit versteckten Mikrofonen nahm die Polizei unzählige Gespräche auf den Kommandobrücken auf, hörte Telefonate ab und las die Whatsapp- und E-Mail-Kommunikation der Retter mit.
Schleuser geben Koordinaten durch
Wie aber hatten sich Schlepper und die Mitarbeiter von Save the Children auf dem Meer gefunden? Einer der Menschenhändler rief mit einem Satellitentelefon der Marke Thuraya das Rettungszentrum der italienischen Küstenwache in Rom an und und gab sich als Migrant auf See aus. Er sagte, es seien 24 Personen in der libyschen Hafenstadt al-Zawiya gestartet. Ausserdem gab er die aktuelle Position bekannt und fügte an, dass die Migranten-Boote stillständen – ein mögliches Anzeichen von Seenot. Die Behörde in Rom kontaktierte daraufhin die Vos Hestia und schickte das Schiff zur besagten Position. Mit derselben Satellitennummer hatten die Schlepper allerdings schon in drei früheren Fällen Rom angerufen und Migranten-Boote in «Seenot» gemeldet.
Das ist aber längst nicht alles. Ende Juni 2017 nahm die Vos Hestia eine grosse Zahl Migranten auf, die auf einem blauen Holzboot unterwegs waren. Aus den mehrheitlich jungen Männern vom Horn von Afrika stach ein weisser Mann heraus, der die Afrikaner mit einem Gürtel, einem Wasserschlauch und manchmal mit den Fäusten traktierte – direkt vor den Augen und Kameras der Retter. Der Mann, für alle klar als Schlepper erkennbar, wollte mit den Schlägen dafür sorgen, dass die Migranten sitzen bleiben und geordnet auf die Rettungsboote übersetzten. Damit sollte das Kentern des überfüllten Holzboots verhindert werden.
Kurz darauf mischte sich der Schleuser selbst unter die Migranten, bestieg die Vos Hestia und wurde von dieser später im Hafen von Reggio Calabria zusammen mit mehr als 1000 Migranten von Bord gelassen. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Kapitän der Vos Hestia nun vor, dass er nicht nur gewusst habe, um wen es sich da handelte, sondern dass er den Behörden die Anwesenheit eines kriminellen Menschenhändlers an Bord verheimlicht habe. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.
Auf diese konkreten Vorwürfe ging Save the Children gegenüber der SonntagsZeitung nicht ein, denn es soll voraussichtlich in diesem Jahr zum Gerichtsprozess in Trapani kommen. Die Organisation ist aber stolz darauf, dass die Vos Hestia insgesamt fast 10’000 Menschen gerettet habe, «die der sehr realen Gefahr des Ertrinkens ausgesetzt» gewesen seien. «Wir weisen jede Andeutung zurück, dass wir wissentlich mit Schleusern kommuniziert oder sie unterstützt haben, und wir verurteilen ihr Verhalten öffentlich. Wir haben Vertrauen in die Arbeit der italienischen Justiz und sind überzeugt, dass die Rechtmässigkeit unserer Arbeit bestätigt wird, wenn alle Fakten geprüft worden sind.»
Schwerverbrecher vor Strafverfolgung geschützt
Allerdings gab sich Save the Children alle Mühe, Schleuser vor Strafverfolgung zu schützen, also Kriminelle, die unzählige Leben von Migranten auf dem Gewissen haben. So heisst es in den schriftlichen Einsatzregeln des Hilfswerks, die der SonntagsZeitung vorliegen: «Save the Children kommt der Aufforderung nicht nach, Foto-/Medienmaterial zum Zweck der Identifizierung von Menschenhändlern usw. zu übergeben.» Ende Oktober 2017 durchsuchte die italienische Polizei die Vos Hestia und beschlagnahmte zahlreiche elektronische Geräte. Kurz darauf kündigte Save the Children die Beendigung seiner Rettungsoperationen im Mittelmeer an.
Ähnliches ist offenbar bei den Bergungsaktionen von Médecins sans Frontières (MSF) passiert. In Telefongesprächen, die von der Polizei abgehört wurden, sprachen Kadermitglieder von MSF Italien im Juli 2017 darüber, dass mehrere Migranten an Bord eines MSF-Schiffs einen Schlepper identifiziert und der Besatzung gemeldet hätten. Auf der verwanzten Kommandobrücke des MSF-Schiffs Vos Prudence sagte der erste Offizier ausserdem zu einem Kollegen, dass es einen «Migranten» an Bord gebe, der den Ehemann einer hochschwangeren Afrikanerin entführt und verschwinden lassen habe. Die Schwangere stand in der kleinen Schiffsklinik kurz vor der Entbindung und hatte dort den mutmasslichen Mörder und Entführer erkannt. Die Staatsanwaltschaft wirft den Verantwortlichen von MSF vor, sie hätten davon gewusst und den mutmasslichen Schleuser nicht bei den Behörden angezeigt.
Drogen an Bord von Rettungsschiffen
Von der SonntagsZeitung auf den konkreten Fall angesprochen, antwortet MSF ausweichend und schreibt, dass sich Migranten nach der Ankunft in Italien selber bei der Polizei melden könnten. In abgehörten Telefonaten sprachen MSF-Kader auch darüber, dass einzelne Migranten an Bord der Vos Prudence Drogen mit sich führten. Auch das wurde den italienischen Behörden verheimlicht. Mit Verweis auf den bevorstehenden Gerichtsprozess will sich MSF dazu nicht äussern.
Die Organisation betont aber, dass sie nie mit Schleppern kooperiert und eine solche Zusammenarbeit auch nie erwogen habe. MSF habe zudem nie im Voraus gewusst, wann und wo Rettungsoperationen stattfinden würden. Zudem sei es für Besatzungen der Rettungsschiffe auf See nicht zu erkennen gewesen, bei wem es sich um Schlepper, Fischer, Angehörige der libyschen Küstenwache oder einfach um Leute handelte, die sich nach den Rettungsaktionen die Aussenbordmotoren der Migranten-Boote schnappen wollten.
Die Frage, ob und wieweit die Hilfswerke mit Schleppern zusammenarbeiten sollen, hat die Retter aber auch intern beschäftigt. Das geht unter anderem aus dem E-Mail-Verkehr der deutschen Nichtregierungsorganisation «Jugend Rettet» vom März 2017 hervor: MSF «hatten ja beim Treffen im Januar in Berlin angedeutet, dass sie darüber nachdenken würden, in besonderen Fällen mit Schmugglern zu kooperieren», heisst es da etwa. Ein Teilnehmer dieses Treffens am 13. Januar 2017 erinnert sich gegenüber der SonntagsZeitung, dass dabei 15 bis 20 Mitglieder verschiedener Hilfswerke, darunter auch MSF, anwesend waren. Es sei den Organisationen um Koordination, gemeinsame Kampagnen und gemeinsame Sprachregelungen gegangen, nicht aber «um direkte Kooperation mit Schleppern».
Die britische Nichtregierungsorganisation Human Rights at Sea, die in Berlin ebenfalls anwesend war, bestätigte damals in einer weiteren E-Mail, dass MSF bei der Zusammenkunft darüber nachgedacht habe, mit Menschenhändlern zu kooperieren, um möglichst viele Menschen zu retten. Human Rights at Sea gab dann aber zu bedenken, dass die Seenotretter alles unternehmen müssten, um den Vorwurf zu entkräften, sie würden mit kriminellen Netzwerken gemeinsame Sache machen. In Diskussionen sei MSF klargemacht worden, dass eine Kooperation mit Menschenschmugglern nicht verhandelbar sei.
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«Sie beten, dass sie ankommen»
Erste Vorwürfe, es gebe eine Zusammenarbeit zwischen Schleusern in Libyen und Rettungsschiffen von Hilfswerken, wurden Ende 2016 von der britischen «Financial Times» kolportiert. Seither hat die SonntagsZeitung immer wieder libysche Menschenhändler kontaktiert und drei von ihnen dazu befragt, die letzten beiden im Dezember 2021. Die Schlepper wollen anonym bleiben.
Bei einem der Gesprächspartner handelt es sich um einen international bekannten Menschenhändler, der heute eine wichtige Position in den libyschen Streitkräften bekleidet. Er sagte der SonntagsZeitung schon 2018: «Alle kontaktieren die Schiffe im Voraus. Also, um präziser zu sein, wenn alle Migranten auf dem Boot dieselbe Nationalität haben, dann gibt es zu 100% im Voraus Kontakte mit den Schiffen draussen, damit die Leute abgeholt werden. Bei gemischten Nationalitäten auf einem Boot ist das nicht immer der Fall.» Einer der Gründe sei, dass Migranten aus Eritrea, Marokko oder Algerien häufig starke Lobbys hätten, die Druck auf die Schlepper ausübten. Häufig gibt es aber auch indirekte Kontakte mit den Rettungsschiffen, etwa über Vermittlung einer bekannten marokkanischen Migrantin oder eines eritreischen Priesters in Italien. Damit wird sichergestellt, dass die Schiffe der Hilfswerke rechtzeitig bei den Migranten-Booten eintreffen.
Die anderen beiden Menschenhändler betonen aktuell, wie unterschiedlich verschiedene Kategorien von Migranten behandelt würden. Für grössere Gruppen von gut zahlenden Algeriern, Marokkanern oder Syrern werde ein eigenes Holzboot angefertigt, was viel sicherer sei als die billigen Gummiboote. Ausserdem erhielten sie ein Thuraya-Satellitentelefon, mit dem sie ihre Position an die Römer Seenotrettungszentrale oder direkt an die Schiffe der Hilfswerke durchgeben könnten. «Die Afrikaner erhalten kein Thuraya und nichts», sagt der dritte Schlepper. «Sie beten, dass sie ankommen. Aber wir geben schon Bescheid, wenn sie in See stechen.»
(https://www.derbund.ch/wenn-seenotretter-mit-schleppern-kooperieren-881853315052)
-> https://www.blick.ch/ausland/schleuser-packen-aus-und-stuetzen-vorwuerfe-der-italienischen-staatsanwaltschaft-so-kooperieren-seenotretter-mit-den-kriminellen-schleppern-id17112872.html
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
NZZ am Sonntag 02.01.2022
Wie viel Verschwörung erträgt eine Bibliothek?
Während Facebook oder Twitter Fake-News löschen, behalten Bibliotheken auch Zweifelhaftes im Angebot. Aber es gibt Grenzen.
René Donzé
Der Stadtbibliothekar von Uster, Roman Weibel, hat übers Wochenende zwei Bücher zu Corona aus seiner Bibliothek etwas genauer angeschaut. Danach entschied er: «Wir nehmen sie aus dem Sortiment.»
Wenn die Covid-19-Pandemie als «Fake», als «gigantisches Betrugsmanöver» oder als «Faschismus» bezeichnet werde, «dann will ich das nicht bei uns», sagt er. «Denn das entspricht nicht dem Qualitätslevel unserer Bibliothek.» Und darum verschwinden «Corona Unmasked» von Sucharit Bhakdi und «Das Corona-Dossier» von Flo Osrainik aus dem Katalog. Ersteres gehört zu den beliebtesten Büchern der Massnahmen-Gegner, letzteres sieht die Pandemie als «Klassenkrieg».
Der Ustermer Bibliothekar steht nicht allein da. Ein Blick in die Kataloge vieler Bibliotheken zeigt: Fast alle haben nebst seriösen Büchern auch mehr oder weniger umstrittene bis faktenwidrige Titel zu Corona im Sortiment.
Zum Beispiel die Universität Basel. Sie listet das Buch «Gesundheitsdiktatur» auf, das unter dem Pseudonym Dr. C. E. Nyder erschienen ist. Es ist ein Werk der grusligen Sorte, das Corona in einen vermeintlichen Zusammenhang mit der Tötung von Kindern stellt und alles als eine grosse Verschwörung sieht. Dagegen wirkt Bhakdi wie ein vorlauter Sonntagsschüler.
Laut der Uni-Medienstelle ist das Buch aufgrund eines Benutzerwunsches aufgenommen worden. Man habe das Anliegen detailliert geprüft und sich dafür entschieden, «weil man sich nicht als Instanz sieht, welche unterschiedliche Meinungen als richtig oder falsch beurteilt».
Uster und Basel stehen für den ganz unterschiedlichen Umgang von Bibliotheken mit den Fragen: Wo hören Aufklärung und Unterhaltung auf, und wo beginnen Desinformation und Manipulation? Was kann, darf und soll sich eine mit Steuergeldern finanzierte Bibliothek überhaupt leisten?
Schon von jeher müssen sich Bibliothekare solchen Fragen stellen. Zum Beispiel in Deutschland bei den rechtspopulistischen Büchern von Akif Pirinçci. Noch nie aber geschah dies vor dem Hintergrund einer derart breit und kontrovers geführten Debatte, wie sie Corona ausgelöst hat. Dabei können sie fast nur verlieren: Entweder sie müssen sich den Vorwurf der Zensur gefallen lassen – wie es bei Social Media geschieht, wo unliebsame Inhalte gelöscht werden – oder man bezichtigt sie der Verbreitung von Fake-News.
Die Antwort darauf fällt je nach Aufgabe der Bibliothek anders aus. Aber auch je nach Einstellung deren Leitung. Dazu muss man wissen, dass die meisten öffentlichen Bibliotheken in der Schweiz Gemeinde- oder Stadtbibliotheken sind, wie etwa auch jene in Uster. Sie lassen sich von einer zentralen Stelle beliefern – gemäss einem vordefinierten Auswahlkatalog.
Weitere Bücher werden auf Kundenwunsch hin aufgenommen. Das war auch bei den beiden Corona-Büchern in Uster so. Gross geprüft werden die gewünschten Titel jeweils nicht. «Maximal zehn Minuten pro Buch» habe man zur Verfügung, sagt Weibel. Da kann es schon sein, dass einmal ein extremer Titel durchrutscht. Es kann aber auch sein, dass er bewusst aufgenommen wird, weil die Nachfrage da ist.
Anders ist die Ausgangslage bei Universitätsbibliotheken, wie jener in Basel oder der Zürcher Zentralbibliothek. Dort entscheiden Fachreferenten, was in die Regale gelangt. Die Bücher sind also gewissermassen geprüft – doch bedeutet das noch lange kein Gütesiegel. Vielmehr verfolgen diese Bibliotheken neben wissenschaftlichen auch dokumentarische Zwecke. Von jeher sammeln sie auch Abstruses, Widerwärtiges oder Obszönes – früher war solcherlei meist nur vor Ort im sogenannten «Giftschrank» einsehbar. Heute ist vieles davon frei verfügbar.
Frei zugänglich bietet die Zentralbibliothek zum Beispiel nun auch das Buch Bhakdis an. Es sei bewusst ausgewählt worden, weil es sich um «einen repräsentativen Titel aus dem Kreis der coronaskeptischen Stimmen» handle, sagt ein Zuständiger. Auch die Universität Basel verweist auf diesen Aspekt, obwohl der Titel aufgrund eines Nutzerwunsches aufgenommen wurde: Man habe den Auftrag, «ein breites Meinungsspektrum abzubilden», um auch im Rückblick kritische Forschungsfragen bearbeiten und beurteilen zu können. Zudem biete man auch vier Bücher an, die sich kritisch mit Verschwörungstheorien befassten. Uni-Bibliotheken setzen voraus, dass ihre Kundschaft die Lektüre richtig einordnen kann.
Bibliotheksethiker verweisen auch darauf, dass die Linie nicht immer trennscharf sei zwischen abweichenden Meinungen, Falschinformationen und bewusst konstruierten Verschwörungstheorien. Schon nur deswegen warnen sie vor Zensur.
Doch auch viele Gemeinde- und Stadtbibliotheken haben solche Publikationen im Angebot – nicht nur Uster. Bei ihnen geht es nicht um Wissenschaftlichkeit, sondern um das Informations- und Unterhaltungsbedürfnis des breiten Publikums. Für die Leiterin der Winterthurer Bibliotheken Franziska Baetcke etwa ist es «schon richtig, dass man auch solche Bücher in unserer Bibliothek antrifft». Man müsse sie ja nicht gerade ins Schaufenster stellen. «Die Bibliotheken sollen nicht Meinungsbildung betreiben, sondern ihre Benutzerinnen und Benutzer dazu befähigen», sagt Baetcke. Hingegen würden die Bibliotheken solche Bücher in den richtigen Kontext stellen. So werden in der Winterthurer Stadtbibliothek demnächst alle Titel zu Corona in einem Regal zusammen präsentiert. Dort findet sich dann Sucharit Bhakdi neben Alain Berset wieder.
Darin liege der grosse Unterschied der Bibliotheken zum Buchhandel. Dort lässt sich alles online bestellen, was nicht explizit gesetzlich verboten ist. Der Inhalt der Kataloge wird zentral bestimmt. Und die meisten Anbieter haben einen Algorithmus im Shop eingebaut, der weitere, ähnliche Titel anbietet. Meist sind diese noch extremer als das ursprünglich Gesuchte.
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/wie-viel-verschwoerung-ertraegt-eine-bibliothek-ld.1662785)
+++HISTORY
NZZ am Sonntag 02.01.2022
«Skalpell und Wahn» Folge 4: Schlucken und reden
Die «NZZ am Sonntag» rollt die dunkle Geschichte der Psychochirurgie in einer Podcast-Serie neu auf.
This Wachter, Theres Lüthi, Patrick Imhasly, Simon Meyer
Wie die ersten Neuroleptika etwas Ruhe in die psychiatrischen Kliniken bringen und wie dort Psychotherapie sowie Kunsttherapie Einzug halten. Hören Sie jetzt Folge 4
«Skalpell und Wahn» Episode 4 – Schlucken und reden
https://cdn.podigee.com/media/podcast_13783_nzzas_serien_episode_624053_skalpell_und_wahn_4_6_schlucken_und_reden.mp3
(https://nzzas.nzz.ch/notizen/folge-4-der-podcast-serie-skalpell-und-wahn-schlucken-und-reden-ld.1661760)
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NZZ am Sonntag 02.01.2022
Wie Elvis Presley und Präsident Nixon einen Krieg anzettelten
Vor 50 Jahren erklärte Amerika den Drogen den Krieg. Er geriet zum teuren Debakel mit Folgen weit über die USA hinaus.
Andreas Mink, New York
Der King of Rock’n’Roll trug einen dunkelvioletten Samtumhang und einen goldenen Gürtel, so breit wie ein Auto-Reifen. Richard Nixon schaut entsprechend skeptisch aus auf den Fotos seines Treffens mit Elvis Presley im Weissen Haus am 21. Dezember 1970. Elvis war wenige Stunden zuvor mit einem handgeschriebenen Brief beim Weissen Haus aufgetaucht.
Er wollte den Präsidenten sehen, sich ihm als Geheimagent anbieten beim Kampf gegen Kommunisten, Drogen und radikale Schwarze. Denn all das sei drauf und dran, Amerika zu zerstören. Dafür müsste er ein Dienstabzeichen als Drogenfahnder bekommen. Der Präsident fand den Besucher nützlich. In der Sache war Nixon auf einer Linie mit Elvis, der tatsächlich sein ersehntes Dienstabzeichen bekam.
Nach diesem skurrilen Auftakt rief Nixon offiziell den Krieg gegen Drogen aus. Er begann 1972 mit drastischen Strafverschärfungen für den Handel und den Konsum von Marihuana. Mit der Drug Enforcement Administration (DEA) schuf der Präsident dafür eine mächtige Schaltzentrale. Doch der «War on Drugs» weist 50 Jahre später eine katastrophale Bilanz auf. Die Kosten für die USA, Lateinamerika und die Karibik sind unermesslich hoch. Allein 2021 starben über 100 000 Amerikaner infolge der Opiat-Epidemie. Und in Mexiko fordern Kämpfe von Drogenkartellen jährlich Zehntausende Leben.
Linke und Schwarze im Visier
Der Anfang hat das Scheitern vorgezeichnet. Als Elvis zu Nixon ging, steuerte der King bereits auf eine Überdosis Opiate zu, an der er im August 1977 starb. Elvis und der Trinker Nixon sahen Marihuana und Heroin als Drogen, nicht aber ihre Rauschmittel. Im Gegensatz zu Presley hatte Nixon eine politische Agenda.
Der Präsident sah linke Gegner des Vietnamkriegs und Schwarze als Widersacher und unterstellte ihnen, illegale Drogen zu nehmen. So konnte Nixon Oppositionelle und Schwarze als kriminell darstellen und bei seinen weissen Wählern Ängste schüren.
Seit 50 Jahren führen die USA diesen Krieg mit grossem Aufwand, allerdings nicht gegen die Ursachen der Sucht. Denn statt kranken Menschen zu helfen, geht der Staat gezielt gegen gewisse Konsumenten vor. In der Verantwortung stehen Präsidenten beider Parteien.
Der Republikaner Ronald Reagan und der Demokrat Bill Clinton haben die Haftstrafen für Drogendelikte im Zusammenhang mit Hasch und Crack drastisch erhöht, was die Gefängnisse vor allem mit schwarzen Männern füllte. Unter Präsident George W. Bush reichte das Pentagon Kriegsmaterial aus dem Irakkrieg von 2003 an lokale Polizeistationen weiter. Seither rücken schon bei kleinen Dealern Sonderkommandos in Kampfmontur an. Aus dem symbolischen war ein echter Krieg geworden.
Was wiederum den Generälen gefiel. Das Pentagon hatte den «War on Drugs» am Ende des Kalten Krieges als neue Daseinsberechtigung entdeckt. Es unterstützte Armeen und Söldner in Lateinamerika, die gegen Marihuana- und Koka-Bauern vorgingen. Von US-Militärs trainierte Soldaten und Polizisten flogen in US-Helikoptern über Mexiko, Ecuador, Panama und Kolumbien, um dort Ernten und Labore zu zerstören. Die US-Navy spürte mit Satelliten und Kriegsschiffen in der Karibik U-Booten der Kartelle nach.
Wie der Historiker Benjamin Smith in seiner neuen Studie «The Dope» zeigt, reagierten die von Amerika bedrängten Drogengangs in Mexiko darauf, indem sie grössere und effizientere Syndikate bildeten. Dank Milliardengewinnen und kriegstauglichen Feuerwaffen aus den USA führen die Kartelle untereinander blutige Verteilungskämpfe. Das Drogengeschäft unterwandert die mexikanische Politik und die dortigen Sicherheitskräfte.
In den USA fassten mit den Kartellen vernetzte Gangs Fuss, etwa die 1972 gegründeten afroamerikanischen Bloods. Seither tragen Bandenkriege erheblich zu den weit über dem Durchschnitt liegenden Mordraten unter Schwarzen bei. Dazu kommen transnationale Drogenbanden wie die in Los Angeles in der Reagan-Ära von Salvadorianern etablierte MS-13. Die Bande terrorisiert zentralamerikanische Staaten. Die Menschen dort ergreifen die Flucht und gehen in die USA.
Bisher hat der «War on Drugs» die USA über 1000 Milliarden Dollar gekostet. 2020 wurden 1,1 Millionen Menschen im Zusammenhang mit Drogen festgenommen. Obwohl der Konsum quer durch die Bevölkerung geht, verfolgen die Strafbehörden noch immer überproportional Schwarze und Latinos, mit Folgen selbst bei geringen Vergehen: Viele verlieren das Wahlrecht, ihre Ansprüche auf Sozialhilfe, sind chancenlos bei der Jobsuche.
Schon an Grundschulen rücken heute Polizisten in Uniform an, um Kindern Angst vor Rauschgift einzujagen. Die Folge: Für Schulkinder wirkt der Konsum cool. Hollywood glorifizierte zuerst den Drogenkrieg, etwa mit der Krimiserie «Miami Vice» in den 1980er Jahren. Erst später brachten Serien oder Filme wie «The Wire», «Breaking Bad», «Winter’s Bone» oder zuletzt «Queen of the South» Realismus und Kritik in das Genre.
Keine andere Gesellschaft ist so sehr benebelt wie die amerikanische, das zeigen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation. Als Ursachen gelten Spass und Stressabbau, Weltflucht und Selbstzerstörung. Doch letztlich schwappen die Wellen von Drogenkonsum synchron mit gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisen über das Land.
So brachten der Vietnamkrieg und die Abwanderung der Industrie nach 1970 ein dramatisches Ansteigen des Heroinkonsums. Crack befiel in den 1980er Jahre viele verarmte schwarze Quartiere in den grossen Metropolen. Seit der Jahrtausendwende tragen Opiate den Tod und das Elend in von Arbeitslosigkeit und Armut betroffene ländliche und weisse Regionen.
Die Sucht nach legalen Drogen
Zunächst von der DEA ignoriert, begann mit der Einführung des opiathaltigen Schmerzmittels Oxycontin durch den Konzern Purdue Pharma das jüngste Kapitel des Drogenkrieges. Weisse fernab der Metropolen entdeckten «Oxy» als billige Flucht aus einer unerträglichen Realität – und verfielen rasch der Sucht. Zwar gehen Gerichte und Behörden seit 2006 gegen den Missbrauch von Oxycontin vor.
In den Laboren der Dealer und auf den Strassen ist die willkürliche und politische Trennung zwischen «legalen» und «illegalen» Drogen gefallen: Mexikanische Kartelle sattelten um auf das hochpotente, bereits in winzigen Dosen tödliche Opiat Fentanyl, da es einfacher zu schmuggeln ist als Marihuana. Es wird Kokain, Meth und Heroin beigemischt – Junkies rauchen, schniefen und spritzen erlaubtes wie verbotenes Rauschgift im gleichen Trip.
Immerhin scheint die Opiat-Epidemie ein Umdenken auszulösen. Laut Umfragen wollen zwei Drittel der Amerikaner den «War on Drugs» beenden. Gliedstaaten schaffen seit der Ära Obama drakonische Drogengesetze ab. Jared Kushner, der Schwiegersohn von Präsident Donald Trump, hatte Reformen auf Bundesebene vorangetrieben, die allerdings bis heute im Kongress bei Konservativen und auch bei Progressiven auf Widerstand stossen.
Dabei ist Hasch akzeptiert. Barack Obama konnte 2008 Präsident werden, obwohl er in Memoiren über den Konsum von Haschisch und Kokain als Student geschrieben hatte. Seit gut zehn Jahren geben immer mehr Gliedstaaten Marihuana kontrolliert frei. Oregon hat im letzten Februar den Besitz kleiner Mengen jedweder Drogen ausser Strafe gestellt und investiert in die Suchthilfe. Nach 50 Jahren scheint das Ende des «War on Drugs» greifbar.
Allerdings wollen Behörden, Polizeigewerkschaften und Betreiber privater Gefängnisse die staatlichen Milliarden aus dem Krieg nicht verlieren. Zudem hat die nationale Marihuana-Legalisierung einen mächtigen Widersacher: Präsident Joe Biden lehnt sie eisern ab.
(https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/war-on-drugs-wie-elvis-und-nixon-einen-krieg-anzettelten-ld.1662715)