Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++BERN
bernerzeitung.ch 27.12.2021
Platzmangel und Corona: Kanton sucht nach Asylplätzen
Wo können minderjährige Asylsuchende untergebracht werden? Diese Frage beschäftigt zurzeit Gemeinden um Huttwil.
Maximilian Jacobi
Der Kanton Bern ist auf der Suche nach Asylunterkünften. Explizit geht es dabei um passende Beherbergungen für Asylsuchende ohne leiblichen Elternteil oder sonstige sorgeberechtigte Personen – sogenannte unbegleitete Minderjährige.
Dazu hat die Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion (GSI) die Gemeinden um Huttwil zur Mithilfe aufgerufen. So hiess es beispielsweise Mitte November in einer Mitteilung der Gemeinde Eriswil: «Die Bevölkerung wird aufgerufen, geeignete Unterkünfte und Wohnungen zu melden.» Zwei Privatpersonen hätten dies bis zur Frist Mitte Dezember getan, sagt Gemeindepräsidentin Sonja Straumann.
Weshalb der Kanton mehr Platz für Asylsuchende benötigt, geht daraus jedoch nicht hervor. Ist es wegen zunehmender Flüchtlingszahlen? Oder wird mehr Platz benötigt, um Corona-Schutzkonzepte umsetzen zu können?
Mädchen aus Afghanistan erwartet
In den Unterkünften in Huttwil herrscht Platzmangel. Das sagt zumindest Regierungsstatthalter Marc Häusler. Deshalb habe man von der GSI die Aufforderung erhalten, in den Gemeinden um Huttwil nach geeigneten Örtlichkeiten zu suchen.
Salome Mathys relativiert Sorgen um den bestehenden Mangel in den Kollektivunterkünften jedoch. Sie ist stellvertretende Leiterin der Abteilung Asyl und Flüchtlinge im Amt für Integration und Soziales, das Teil der GSI ist. Laut Mathys bieten die Unterkünfte in Huttwil momentan noch genügend Platz.
Wieso also wird dann die Bevölkerung aufgerufen, mögliche Unterkünfte zu melden? Dies hat tatsächlich mit der Pandemie zu tun. Die Anforderungen an Kollektivunterkünfte seien durch diese strenger geworden. Aufgrund der Schutzmassnahmen des Bundesamts für Gesundheit dürften nur noch 50 bis 60 Prozent der eigentlichen Kapazität der Heime genutzt werden, erklärt Mathys.
Corona ist aber nicht der einzige Grund für ein gesteigertes Bedürfnis nach Unterkünften. Zusätzlich beobachte man eine Zunahme der Anzahl unbegleiteter minderjähriger Asylsuchender. Viele kommen jetzt laut Mathys aus Afghanistan – auch vermehrt Mädchen. Auch weil sie getrennt von den Buben untergebracht werden, suche die GSI nun nach Optionen ausserhalb der bestehenden Unterkünfte.
Die Anfrage der GSI an die Gemeinden diene der Vorsorge, da auch im kommenden Jahr zunehmend unbegleitete Minderjährige erwartet würden, die aus Krisengebieten flöhen, so Mathys.
Ausgezeichnete Infrastruktur
Im absoluten Notfall könne die GSI zwar auf Zivilschutzanlagen zurückgreifen. Das wolle man aber vermeiden. Denn Räumlichkeiten des Zivilschutzes seien einerseits nicht befriedigend für Corona-Massnahmen ausgelegt, so Mathys. Da diese Anlagen ausserdem meist mehr Platz als nötig böten, sei der Kostenaufwand für den Kanton so höher als bei vorsorglich vorbereiteten Unterkünften.
Der Kanton hätte am liebsten Kollektivunterbringungen für 20 Jugendliche. Das hat mit den Betreuungskosten zu tun. Da die Minderjährigen noch nicht unbeaufsichtigt wohnen können, sollen sie kontinuierlich betreut werden – etwas, was erst bei so grossen Wohnstrukturen finanziell tragbar sei, erklärt Mathys.
Der Grund dafür, dass die GSI in umliegenden Gemeinden anfragt, ist die bestehende Infrastruktur rund um die Unterkunft in Huttwil. Diese sei mit ihrer medizinischen Betreuung, Küche, Schule und Sportanlage ausgezeichnet, lobt Mathys. Die kantonsweit einzigartigen Strukturen wolle man nutzen können.
Hohe Anforderungen
Von welchen Gemeinden potenzielle Unterkünfte gemeldet worden sind, will Mathys noch nicht sagen. Auch Regierungsstatthalter Marc Häusler hüllt sich diesbezüglich in Schweigen. Auf Anfrage bestätigen die Gemeinden Eriswil und Wyssachen aber, dem Statthalteramt Unterbringungsmöglichkeiten gemeldet zu haben.
Die Verschwiegenheit von amtlicher Seite liegt darin begründet, dass die gemeldeten Unterkünfte zunächst noch geprüft werden müssen. Dies geschieht in erster Linie durch die künftige Betreiberin Stiftung B. Auch ein Unterbringungskoordinator des Kantons und meist eine Vertretung der Gebäudeversicherung Bern sind darin involviert.
Erst wenn eine Unterkunft wirklich infrage komme, informiert die GSI. Zuerst den Gemeinderat, dann die direkte Anwohnerschaft. Kurz vor der Öffnung gebe man dann die Unterkunft in einer Medienmitteilung der breiten Öffentlichkeit bekannt, erklärt Salome Mathys.
Sie hoffe, dass sich eine der möglichen Unterkünfte um Huttwil eigne, so Mathys. Denn momentan sehe die GSI im Kanton Bern noch keine sonstigen Möglichkeiten, um zusätzliche Wohnmöglichkeiten für unbegleitete minderjährige Asylsuchende zu schaffen.
(https://www.bernerzeitung.ch/kanton-sucht-nach-asylplaetzen-147145551510)
+++ITALIEN
nzz.ch 27.12.2021
Italienische Gerichte entscheiden: Libyen ist kein sicherer Ort – die Kapitänin Rackete handelte pflichtgemäss
Italiens Justiz verbietet die Rückschaffung von Migranten nach Libyen. Damit wird das Abwehrdispositiv der Regierung infrage gestellt.
Andres Wysling
Zwei Gerichtsentscheide in Italien versetzen der bisherigen Regierungspolitik zur Abwehr von Migranten einen Stoss. Zum einen hat eine Ermittlungsrichterin in Agrigento das Verfahren gegen die deutsche Kapitänin Carola Rackete eingestellt. Diese hatte gerettete Migranten trotz Verbot nach Italien gebracht. Zum andern hat das Kassationsgericht in letzter Instanz festgehalten, dass Migranten nicht gegen deren Willen nach Libyen zurückgeschafft werden dürfen.
Rackete hatte ihr Schiff «Sea-Watch 3» mit etwa fünfzig Migranten an Bord gegen die Anordnung der Behörden am 29. Juni 2019 in den Hafen von Lampedusa gesteuert, dabei kam es zu einer leichten Kollision mit einem Boot der italienischen Finanzpolizei. Nun hielt die Richterin fest: «Carola Rackete hat in Erfüllung ihrer Pflicht zur Seerettung gehandelt, gemäss dem nationalen und internationalen Seerecht.» Das lässt sich sinngemäss auf sämtliche Seerettungen privater Organisationen anwenden.
Pflichterfüllung und legitime Selbstverteidigung
Die Kapitänin war wegen Widerstands gegen Beamte und wegen Gewalt gegen ein Kriegsschiff angeklagt. Die Richterin befand aber, eine Rückschaffung der Migranten sei überhaupt nicht infrage gekommen. Tripolis habe man nicht als sicheren Hafen betrachten können, da in Libyen Tausende von Flüchtlingen und Migranten willkürlich gefangen gehalten und womöglich gefoltert würden. Das Urteil führt zwingend zum Schluss, dass unter solchen Umständen – und sie sind bis heute im Wesentlichen gleich wie damals – die Landung in einem sicheren Hafen in Italien zwingend ist und nicht verboten werden kann.
Auch das Kassationsgericht hat nun in einem anderen Fall festgehalten, dass Libyen ein unsicherer Ort ist und deshalb niemand dorthin zurückgeschafft werden darf, der damit nicht einverstanden ist. Am 10. Juli 2018 hatte das italienische Handelsschiff «Vos Thalassa» vor der libyschen Küste 67 Migranten von einem Holzboot aufgenommen. Die italienischen Behörden gaben Anweisung, diese seien nach Libyen zurückzubringen. Auf dem Handelsschiff kam es zu einer Art Meuterei, die Geretteten erzwangen die Überfahrt nach Italien.
Zwei der Migranten wurden letztes Jahr als Rädelsführer wegen Förderung der heimlichen Immigration und wegen Widerstands und Gewalt gegen Beamte zu dreieinhalb Jahren Haft und zu einer Geldstrafe von 52 000 Euro verurteilt. Zu Unrecht, befand nun das Kassationsgericht. Den beiden Beschuldigten habe in Libyen womöglich physischer und psychischer Schaden gedroht. Ihr Widerstand gegen die Rückführung sei daher gemäss internationalem Recht zum Non-Refoulement nicht als Gewalt gegen Beamte zu werten, sondern als legitime Selbstverteidigung.
Libyen ist kein sicherer Ort
Beide Fälle ereigneten sich in der Zeit, da der Rechtspolitiker Matteo Salvini Innenminister Italiens war. Er erkor damals die deutsche Kapitänin zu seiner Lieblingsfeindin, bezeichnete sie als «Kommunistin», «Piratin», «Kriminelle», «Angeberin», «Migrantenschifferin» und «verhinderte Mörderin». Er verhalf ihr damit zu einiger Berühmtheit und wurde von ihr wegen Beleidigung angeklagt, was er sich wiederum als «Auszeichnung» ans Revers steckte. Ähnlich hatte er die Meuterer auf der «Vos Thalassa» als «Entführer» und «Saboteure» bezeichnet, die in Handschellen abgeführt werden müssten.
Mit dem Urteil des Kassationsgerichts wird das schon vor Salvini errichtete Abwehrdispositiv der italienischen Regierung gegen Bootsmigranten an entscheidender Stelle geschwächt. Es ist jetzt die oberste Instanz der italienischen Justiz, die Libyen als «unsicheren Ort» bezeichnet, an welchen gerettete Migranten nicht gegen deren Willen zurückgeschafft werden können. Schon lange hatten das zwar die zuständigen Stellen der Vereinten Nationen immer wieder unterstrichen, aber das hatte wenig Wirkung. Allerdings wird das Urteil kaum verhindern, dass Italien und die Europäische Union weiterhin die libysche Küstenwache finanzieren, die das Gros der Rückschaffungen nach Libyen vornimmt.
Laut Angaben der Internationalen Organisation für Migration IOM sowie Agenturmeldungen sind dieses Jahr auf der zentralen Mittelmeerroute mehr als 1500 Menschen ertrunken, gegen 200 von ihnen allein in den letzten zehn Tagen. An libyschen Küsten wurden gegen 100 Leichen angeschwemmt. Im selben Zeitraum fing die libysche Küstenwache etwa 1000 Migranten auf See ab und brachte sie nach Libyen zurück.
(https://www.nzz.ch/international/libyen-ist-kein-sicherer-ort-die-kapitaenin-rackete-handelte-pflichtgemaess-ld.1662158)
-> Landung der «Sea-Watch 3» auf Lampedusa, 29. Juni 2019: https://youtu.be/yOsHnKXJ_SY
+++MITTELMEER
„Sea-Watch 3“ und „Geo Barents“: Häfen für Gerettete benötigt
Auf den beiden Seenotrettungsschiffen befinden sich rund tausend gerettete Flüchtlinge und Migranten. Sie suchen dringend sichere Mittelmeerhäfen zur Aufnahme.
https://taz.de/Sea-Watch-3-und-Geo-Barents/!5824430/
-> https://www.derstandard.at/story/2000132181480/knapp-1-000-menschen-warten-vor-italien-auf-sicheren-hafen?ref=rss
Flucht nach Europa: Dutzende Tote bei Bootsunglücken auf dem Mittelmeer
Über die Feiertage wagten erneut viele Migranten die lebensgefährliche Überfahrt von Libyen aus nach Europa. Rettungsschiffe berichten von zahlreichen Seenotfällen.
https://www.derbund.ch/dutzende-tote-bei-bootsungluecken-auf-dem-mittelmeer-320143903689
+++ÄTHIOPIEN
Krieg in Äthiopien: Die Angst der Schweiz vor einem neuen «Pulverfass» in Afrika
Der Bund verfolgt mit Sorge, wie das lange stabile Äthiopien im Konflikt zwischen Regierung und Rebellen versinkt. Es geht dabei auch um mögliche Flüchtlingsströme.
https://www.derbund.ch/die-angst-der-schweiz-vor-einem-neuen-pulverfass-in-afrika-114579154474
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Prozess zum „KillErdogan“-Transparent in der Schweiz
Im Januar findet in Bern ein Prozess im Zusammenhang mit einem „KillErdogan“-Transparent statt. Das Unterstützungskomitee der vier Beschuldigten informiert über den Hintergrund und wirft der Staatsanwaltschaft vor, sich dem Druck aus der Türkei zu beugen.
https://anfdeutsch.com/aktuelles/prozess-zum-killerdogan-transparent-in-der-schweiz-29932
Manif déterminée contre l’expulsion quartier libre de Clendy Dessous
A l’appel des habitant.e.x.s du quartier libre de Clendy Dessous à Yverdon-les-Bains, plus de 150 personnes ont défilé en fin d’après-midi dans les rues d’Yverdon-les-bains malgré que la manifestation n’ait pas été autorisée.
https://renverse.co/infos-locales/article/manif-determinee-contre-l-expulsion-quartier-libre-de-clendy-dessous-3372
+++POLIZEI CH
«Der Föderalismus ist eine sehr gute Staatsform» – Echo der Zeit
17 Jahre lang war Roger Schneeberger Generalsekratär der KKJPD, der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen. Er kümmerte sich darum, dass die Kantone in Sachen Polizei und Justiz koordiniert zusammenarbeiten. Ein Gespräch über die wachsenden Herausforderugen von Polizei und Justiz.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/der-foederalismus-ist-eine-sehr-gute-staatsform?partId=12113939
+++POLIZEI DE
Studie zur Demokratie in der Polizei: Lieber nicht genau hinsehen
Die Hamburger Polizeiakademie soll herausfinden, wie es Polizist:innen mit der Demokratie halten. Das passt den Gewerkschaften nicht.
https://taz.de/Studie-zur-Demokratie-in-der-Polizei/!5820333/
+++FRAUEN/QUEER
«Macht eine Anzeige»: Hassverbrechen in der Schweiz – Echo der Zeit
Sogenannte Hate Crimes sind Hassverbrechen gegen Ausländerinnen und Ausländer, gegen Homosexuelle oder Menschen mit Non-Binären Geschlechts-Identitäten. Wie viele solcher Taten es in der Schweiz gibt, weiss man nicht, sie werden nicht flächendeckend erfasst. Nun gibt es jedoch erste Erfahrungen mit Statistiken aus der Stadt Zürich und dem Kanton Freiburg.
https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/macht-eine-anzeige-hassverbrechen-in-der-schweiz?partId=12113948
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/hassverbrechen-in-der-schweiz-auch-zuerich-erfasst-hate-crimes-nicht-bloss-fuer-die-statistik
«Diskriminierend, traumatisierend, schädlich»: Motion für Verbot von Konversionstherapien stösst bei St.Galler Regierung auf Anklang
Die Regierung des Kantons St.Gallen will eine überparteiliche Motion unterstützen, die verlangt, dass Therapien, die zum Ziel haben, die sexuelle Orientierung durch Interventionen zu beeinflussen, im Kanton St.Gallen verboten werden sollen.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/homosexualitaet-diskriminierend-traumatisierend-schaedlich-motion-fuer-verbot-von-konversionstherapien-stoesst-bei-stgaller-regierung-auf-anklang-ld.2231962
+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Wichtiges Urteil in Italien, direkte Aktion von Miriam Cahn, neue Berichte über Pushbacks und Ertrunkene
https://antira.org/2021/12/27/wichtiges-urteil-in-italien-direkte-aktion-von-miriam-cahn-neue-berichte-ueber-pushbacks-und-ertrunkene/
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Umstrittenes Auftreten von Massnahmenkritikern: Corona-Fackelzug durch Luzern angekündigt
Die Proteste gegen Corona-Massnahmen reissen nicht ab. Für Montagabend haben Massnahmenkritiker einen Fackelzug durch Luzern angekündigt. Die Stadt lässt sie gewähren.
https://www.zentralplus.ch/corona-fackelzug-durch-luzern-angekuendigt-2266267/
+++DROGENANBAU/-HANDEL
In der Schweiz liefert der Mafia-Boss noch selbst: Die Kokain-Achse durch die Alpen
Chur, St. Gallen, Zürich, Bern: Akten zeigen, wie der Drogenhandel einiger Clans der ‚Ndrangheta in der Deutschschweiz läuft. Die Mafiosi fühlten sich bisher sicher und wie im Schlaraffenland bei uns. Ob das jetzt langsam ändert?
https://www.watson.ch/!822102474
—
bernerzeitung.ch 27.12.2021
Cannabisanbau im Kanton Bern: Auch die Polizei hört das Gras wachsen
Innert drei Jahren wurden im Kanton Bern zehn grössere Hanfplantagen entdeckt und geräumt. Wer steckt hinter diesen Anlagen, und wie funktioniert das Geschäft?
Adrian Hopf-Sulc
Bei der Wahl der Mietobjekte sind die Betreiber nicht wählerisch: Ein grosser Kellerraum in Eriswil, ein früheres Käselager in Lützelflüh, eine alte Maschinenfabrik in Wiler bei Utzenstorf. Hauptsache, es handelt sich um einen fensterlosen Raum, wo Strom und Wasser vorhanden sind. Und wo man in Ruhe gelassen wird.
Letzteres klappt jedoch nicht immer. Sei es wegen des charakteristischen Geruchs der Cannabispflanzen oder weil in den vermeintlichen Lagerräumen verdächtig viele Männer ein und aus gehen: Oft sind es Hinweise aus der Bevölkerung, welche die Polizei zu den versteckten Hanfplantagen führen, manchmal auch Zufallstreffer aus Verkehrskontrollen oder andere Anhaltspunkte.
Insgesamt zehnmal hat die Berner Kantonspolizei in den vergangenen drei Jahren mitgeteilt, dass sie eine grössere Indoor-Hanfplantage geräumt habe. Wenn die Beamten einen erhärteten Verdacht haben, muss es schnell gehen: Bei der zuständigen Staatsanwaltschaft wird die Genehmigung für eine Hausdurchsuchung eingeholt. Dann rücken die Polizisten aus, brechen Türen auf, halten allenfalls Anwesende fest, testen Pflanzen auf den THC-Gehalt.
Bestätigt ein solcher Schnelltest, dass es sich um verbotenen Drogenhanf handelt, beginnt die grosse Arbeit: Die Polizisten zählen Pflanze für Pflanze, unterscheiden nach sogenannten Mutterpflanzen, Stecklingen und ausgewachsenen Stauden. Sie wägen allenfalls bereits geerntete Hanfblüten, suchen nach Rechnungen und Notizzetteln und transportieren dann die gesamte Anlage ab. Das dauert manchmal bis in die frühen Morgenstunden. Mitunter wird auch die lokale Feuerwehr aufgeboten, damit diese die stickigen Räume belüftet.
Milde Strafen, hohe Kosten
So spektakulär die einzelnen Polizeimeldungen klingen, so rasch verschwinden sie wieder vom Radar der Öffentlichkeit. Weshalb? Eine Auswertung der besagten zehn Fälle liefert einige Antworten. In fünf Fällen ist es bereits zu Urteilen oder Strafbefehlen gekommen. Die Täter – ausschliesslich Männer – wurden allesamt verurteilt, wobei einige Urteile noch nicht rechtsgültig sind.
Es sind keine spektakulären Gerichtsprozesse: Die Sachlage ist meist ziemlich klar, und die Strafen sind, verglichen mit solchen für den Handel mit harten Drogen, eher mild. In den meisten Fällen haben die Täter bedingte Geld- oder Freiheitsstrafen erhalten.
So etwa der Mann, der 2019 in der früheren Metzgerei Meinen im Berner Mattenhofquartier eine Hanfplantage betrieb. 3381 Cannabispflanzen fand die Polizei bei der Durchsuchung der von ihm gemieteten Räume. Der Immobilienverwaltung hatte er gesagt, er wolle dort ein Töpferatelier, ein Fotolabor und ein Air-Brush-Studio einrichten.
Der gebürtige Schweizer wurde diesen Sommer zu einer bedingten Geldstrafe von 7500 Franken verurteilt, zudem muss er eine Busse von 3500 Franken und Verfahrenskosten von 57’000 Franken bezahlen. Die Kosten sind so hoch ausgefallen, weil die Infrastruktur der Hanfplantage nicht wie üblich vernichtet wurde. Stattdessen wurde sie teuer eingelagert, um sie nach dem Urteil an einen Hersteller von Hanf mit dem legalen Wirkstoff CBD weiterzuverkaufen.
Das Klonen im Internet gelernt
Die Cannabispflanze ist zwar vergleichsweise pflegeleicht. Doch um maximale Erträge herauszuholen, investieren die Betreiber oft fünfstellige Beträge in Töpfe, Erde, Beleuchtung, Bewässerungs- und Belüftungssystem samt Filter. Saatgut ist kaum nötig, obwohl die Hanfpflanze nach der Ernte der Blüten entsorgt wird. Stattdessen wird in den Indoor-Plantagen geklont: Wer über einige gut gepflegte Mutterpflanzen verfügt, kann von diesen laufend Seitentriebe abschneiden – Stecklinge – und diese zu neuen Pflanzen heranwachsen lassen.
Woher die Plantagenbetreiber wissen, wie das alles funktioniert? «Aus dem Internet», sagte einer der Angeklagten im Fall der Plantage Wiler vor Gericht. Tatsächlich finden sich etwa auf Youtube diverse Videos, in denen über alle Aspekte der Cannabiszucht gefachsimpelt wird. Dass die Betreiber etwas von ihrem Metier verstehen, fällt auch der Kantonspolizei auf: «Wir stellen fest, dass die grossen Anlagen zunehmend professioneller und mit qualitativ besseren Gerätschaften betrieben werden.»
Unter idealen Bedingungen könne eine Pflanze nach zwei Monaten geerntet werden und werfe 12 Gramm Marihuana ab, sagte Staatsanwalt Sandro Righetti bei einem der Fälle vor Gericht. Eine Anlage mit beispielsweise 2000 Stauden käme so auf einen Jahresertrag von 144 Kilogramm. Bei einem Zwischenhandels-Marktpreis von 5000 Franken pro Kilogramm ergäbe das Einnahmen von über 700’000 Franken – und eine berauschende Gewinnmarge.
Doch wer sind die Männer, die erwischt wurden? Beim grossen Fall in der früheren Maschinenfabrik Buser in Wiler bei Utzenstorf betrieben mehrere kleine Gruppen ihre Indoor-Anlagen. Einige der 20- bis 40-jährigen Beteiligten haben Vorstrafen wegen Verkehrs- oder Drogendelikten, ein unstetes Berufsleben und Schulden. Andere sind gut integriert und halfen einem Freund oder einem Cousin bei der Pflege der Plantage. Die Kantonspolizei erhebe die Fälle entdeckter Hanfplantagen nicht separat, weshalb keine Statistiken zu den Tätern bestünden, sagt Polizeisprecher Christoph Gnägi. «Es fällt jedoch auf, dass oft Leute aus dem Balkan beteiligt sind.»
Polizei und Staatsanwaltschaft fanden in den fünf Fällen, in denen ein Urteil vorliegt, zumindest keine nachweisbare Zugehörigkeit zur organisierten Kriminalität. In Eriswil wurde eine Pistole beschlagnahmt, ansonsten tauchten keine Waffen auf.
Bern raucht 4,5 bis 6,5 Tonnen Gras
Bleibt die grosse Frage, wer die Abnehmer der Cannabispflanzen sind. Hier hören die Erkenntnisse der Ermittler auf. Dies auch, weil sie ihre Ressourcen für die Aufdeckung des Handels mit harten Drogen einsetzen. Entdecke man eine Hanfplantage, lasse man sie rasch räumen, sagt Staatsanwalt Righetti. So wird sichergestellt, dass das Cannabis nicht in den Handel gelangt. Aber die Razzien verhindern auch, dass man die Netzwerke beobachten und aufdecken kann.
Klar scheint, dass der im Inland angebaute Drogenhanf an Kundinnen und Kunden im Inland verkauft wird. Eine Studie der Universität Lausanne von Sucht Schweiz und dem Zentrum Unisanté zum Hanfmarkt kam letztes Jahr zum Schluss, dass der inländische Anbau aber nur etwa die halbe Schweizer Nachfrage nach Marihuana (getrocknete Blüten) und Haschisch (Cannabisharz) deckt.
Die Studie berechnete mittels Abwasseranalysen sowie Expertenbefragung auch die jährlich im Kanton Waadt konsumierte Menge an Cannabis. Rechnet man diese auf die Bevölkerung des Kantons Bern hoch, ergibt das für Bern eine konsumierte Menge von 4,5 bis 6,5 Tonnen und einen Jahresumsatz von 40 bis 60 Millionen Franken.
Das heisst: Das obige Beispiel einer Indoor-Anlage mit 2000 Pflanzen liefert etwa 2,5 Prozent des bernischen Jahresbedarfs an Cannabis. Wenn die Kantonspolizei jedes Jahr mehrere solcher Anlagen räumt, ist das also mehr als ein Tropfen auf den heissen Stein. Zudem teilt Polizei auf Anfrage mit, dass sie aus ermittlungstaktischen Gründen nicht sämtliche Razzien öffentlich mitteilt.
Aber: Wie viele Plantagen jedes Jahr irgendwo in einem unterirdischen Lagerraum neu aufgebaut werden, weiss niemand. Und dann gibt es noch die privaten Kleinanlagen mit einem oder einem halben Dutzend Pflanzen, in denen Cannabis zu Eigenbedarf oder für den Freundeskreis angebaut wird. Professionelle Verkäufer von Hanfzucht-Anlagen verkaufen sogenannte Growboxen: Zelte im Format eines Kleiderschranks, Aktivkohlefilter inklusive. Sie lassen sich auch in Privaträumen unauffällig unterbringen.
Gemäss der Lausanner Studie bauen die Schweizerinnen und Schweizer rund 10 Prozent des total konsumierten Cannabis in den eigenen vier Wänden an. Auch die Polizei bestätigt, dass sie vermehrt auch auf solche Anlagen stösst.
Die Legalisierung kommt – irgendwann
Heute ist grundsätzlich schon der Besitz einer einzigen THC-haltigen Hanfstaude illegal. Das könnte sich dereinst ändern: Der Berner Nationalrat Heinz Siegenthaler fordert mittels parlamentarischer Initiative die «Regulierung des Cannabismarktes für einen besseren Jugend- und Konsumentenschutz». Siegenthaler vermeidet zwar das Wort Legalisierung, doch de facto geht es um eine – streng regulierte – Cannabislegalisierung.
Mitte-Politiker Siegenthaler stützt sich in seinem Vorstoss auf die Haltung der früheren Eidgenössischen Kommission für Suchtfragen, gemäss der «Cannabis wenig körperliche oder psychische Schäden verursacht». Risikoreich sei jedoch «der Konsum in der Kindheit und frühen Jugend sowie der lang dauernde Konsum». Die Gesundheitskommissionen von National- und Ständerat haben der Initiative bereits zugestimmt.
Doch die Parlamentarier wollen nichts überstürzen – und die Ergebnisse der unter anderem an der Universität Bern anlaufenden Pilotversuche zum Cannabiskonsum abwarten. Bis zu einer effektiven Legalisierung dürfte das Jahrzehnt also schon fast vorbei sein. Und so werden auch die Berner Kantonspolizei und Justiz noch einige Jahre damit beschäftigt sein, Hanfplantagen zu räumen und ihre Betreiber zu verurteilen.
(https://www.bernerzeitung.ch/auch-die-polizei-hoert-das-gras-wachsen-269053730406)
-> Geräumte Hanfplantagen im Kanton Bern seit 2019: https://datawrapper.dwcdn.net/OLpDc/4/