Medienspiegel 20. Dezember 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++THURGAU
Talent-Campus Bodensee fördert junge Flüchtlinge
Junge, sportlich talentierte Flüchtlinge erhalten am Talent-Campus Bodensee in Kreuzlingen die Chance, sich sportlich zu entwickeln und gleichzeitig die Schule zu besuchen. Das Integrations-Pilotprojekt wird vom Bund unterstützt.
https://www.toponline.ch/news/thurgau/detail/news/talent-campus-bodensee-foerdert-junge-fluechtlinge-00171093/


+++ZÜRICH
Basishilfe für Sans-Papiers: Die reformierte Kirche springt für die Stadt Zürich ein
Der Stadtrat kämpft nach dem Veto des Bezirksrats weiter für die Basishilfe und gelangt an den Regierungsrat. Bis zum Entscheid hilft die Kirche mit 100’000 Franken aus.
https://www.tagesanzeiger.ch/die-reformierte-kirche-springt-fuer-die-stadt-zuerich-ein-239783404196
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-stadtrat-legt-rekurs-gegen-basishilfe-stopp-ein?id=12110642
-> https://www.stadt-zuerich.ch/sd/de/index/ueber_das_departement/medien/medienmitteilungen_aktuell/2021/dezember/211220a.html
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/zuerich-stadtrat-kaempft-weiter-fuer-wirtschaftliche-basishilfe-vorerst-uebernimmt-reformierte-kirche-ld.2229812
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zuercher-stadtrat-zieht-entscheid-zur-wirtschaftlichen-basishilfe-weiter-00171056/



nzz.ch 20.12.2021

Reformierte Kirche springt für die Stadt Zürich ein: Trotz auf Eis gelegten Zahlungen gibt es weiterhin Geld für Sans-Papiers und arme Ausländer

Der Zürcher Bezirksrat hat den Stadtratsbeschluss für die neue Basishilfe für Sans-Papiers aufgehoben. Aufgeben will der Stadtrat aber noch nicht.

Dennis Hoffmeyer

In der Weihnachtszeit ist die Solidarität mit den Ärmsten im Land besonders gross. Viele Menschen spenden Geld, und Hilfswerke engagieren sich nochmals stärker als ohnehin schon das gesamte Jahr über. Auch die Stadt Zürich versucht sich als Wohltäterin. Doch ihre Bargeldverteilaktion für Sans-Papiers und arme Ausländer – genannt wirtschaftliche Basishilfe – war nicht gesetzmässig.

Denn seitens des Bezirksrates gab es am 9. Dezember einen negativen Entscheid, und weil einem allfälligen Rekurs zudem die aufschiebende Wirkung entzogen wurde, mussten die Auszahlungen zur Finanzierung der Basishilfe durch die Stadt Zürich per sofort gestoppt werden. Aufgeben will der Zürcher Stadtrat das Projekt aber noch nicht und zieht den Entscheid des Bezirksrats an den Regierungsrat weiter, wie die Stadt am Montag in einer Medienmitteilung schreibt. Gleichzeitig finanziert die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Zürich das Projekt in der Zwischenzeit weiter.

Das überrascht den Gemeinderat Alexander Brunner (fdp.) nicht. Es handle sich hierbei um reinen Wahlkampf von Stadtrat und Sozialvorsteher Raphael Golta (sp.), sagt Brunner, der die Beschwerde gegen die Basishilfe eingereicht hatte. Der Bezirksrat habe klar entschieden, dass das Projekt gleich gegen mehrere Gesetzesartikel verstosse. Der Entscheid des Regierungsrates dürfte wohl nicht anders ausfallen, so der FDP-Gemeinderat. Brunner weist zudem darauf hin, dass der Regierungsrat sich bereits im September negativ über das Projekt geäussert habe.

100 000 Franken von der Kirchgemeinde

In der Antwort auf eine Anfrage der FDP-Kantonsrätin Linda Camenisch schrieb der Zürcher Regierungsrat am 21. September: «Die Stadt Zürich hat sich bei der Ausrichtung von wirtschaftlicher Hilfe an diese gesetzlichen Vorgaben zu halten. Die Aufsicht über die Sozialbehörde übt dabei der Bezirksrat aus.»

Und dieser hatte seinen abschlägigen Entscheid damit begründet, dass die Stadt Zürich mit dem Pilotprojekt unter anderem versucht habe, die Meldepflicht zu umgehen, indem sie die Hilfe durch zivilgesellschaftliche Organisationen habe ausrichten lassen. Nun springt die evangelisch-reformierte Kirchgemeinde Zürich ein und hat zu diesem Zweck einen Beitrag von 100 000 Franken gesprochen, wie die Kirchgemeinde am Montag mitteilte.

Es gehöre zum Kernauftrag der Kirche, für Notleidende da zu sein, so wird Kirchenpflegepräsidentin Annelies Hegnauer zitiert. Gerade in der Pandemiesituation und mitten in der Weihnachtszeit müsse man verhindern, dass «Unterstützung für die Schwächsten» wegfalle.

«Man muss sich nicht wundern, wenn das zu einer grossen Austrittswelle führt»

Laut Alexander Brunner ist es in Ordnung, dass die Kirche die Hilfe nun übernimmt. Allerdings nur so lange, wie sie keine Steuergelder verwende, fügt der FDP-Gemeinderat an. Für den Zürcher SVP-Nationalrat Mauro Tuena ist die Tatsache, dass die Kirche zu Hilfe eilt, hingegen ein «falsches Zeichen». Denn bis der Bezirksrat die aufschiebende Wirkung entziehe und etwas für illegal erkläre, brauche es im Normalfall viel. Der Kirche scheine das aber egal zu sein und sie verwende, so Tuena, dafür sogar noch Kirchensteuergelder, die unter anderem Firmen zwangsweise bezahlt hätten. «Man sendet hier bewusst ein Signal aus und muss sich nicht wundern, wenn das zu einer grossen Austrittswelle führt», sagt der Zürcher Nationalrat am Telefon.

Wie die Reformierte Kirche Zürich in ihrer Mitteilung schreibt, zeigt sich Raphael Golta erfreut über die Hilfe. Der Stadt seien durch den Entscheid des Bezirksrats erst einmal die Hände gebunden, so wird Golta dort zitiert. Er sei jedoch froh, dass nun dank der Kirche auch in der gegenwärtigen Situation jene Familien und Kinder nicht leiden müssten, für die die wirtschaftliche Basishilfe derzeit überlebensnotwendig sei.

Das sieht auch Brunner so. Er stellt aber klar, dass die Leidtragenden in diesem Fall dennoch die Betroffenen seien. Denn erst hätten sie Geld bekommen und dann wieder nicht. «Daran ist alleine Raphael Golta schuld», sagt Brunner.

Seit Beginn des Pilotprojekts waren es laut dem Stadtrat insgesamt 115 Personen – 68 Erwachsene und 47 Kinder –, die finanzielle Unterstützung erhielten. Insgesamt wurden bis anhin 123 912 Franken ausbezahlt. Wie es jetzt weitergeht, entscheidet der Regierungsrat. Sollte der Rekurs des Stadtrats erfolgreich sein, soll die Stadt der reformierten Kirche die 100 000 Franken zurückerstatten.
(https://www.nzz.ch/zuerich/basishilfe-in-zuerich-kirche-springt-ein-und-uebernimmt-ld.1661158)


+++SCHWEIZ
NoFrontex: “Ein solidarischer Ruck muss durch die Gesellschaft gehen“
Es bleiben nur noch wenige Wochen, um die nötigen Unterschriften gegen die Unterstützung der Grenzschutzagentur Frontex zu sammeln. Die Aktivist:innen vom Migrant Solidarity Network kämpfen gegen das Wetter, gegen Corona und eine verbreitete Gleichgültigkeit. Aufgeben werden sie nicht.
https://daslamm.ch/nofrontex/


Frontex: Schweizer Referendum – Klage beim EuGH
Illegale Pushbacks, Gewalt gegen Asylsuchende, Korruption und geheime Treffen mit der Rüstungslobby: Die Liste der Vorwürfe gegen die europäische Grenzschutzagentur Frontex wird immer länger.
Bis Mitte Januar läuft in der Schweiz ein Referendum gegen die Erhöhung des Schweizer Beitrags an Frontex, von heute 14 auf jährlich 61 Millionen Franken.
https://rabe.ch/2021/12/20/frontex-schweizer-referendum-klage-beim-eugh/


Illegale Migrationsbewegung hält trotz Wintereinbruch an: Afghanen reisen weiterhin massenhaft ein
In der Hoffnung auf ein besseres Leben reisen derzeit viele junge Afghanen illegal durch die Schweiz. Die Situation hat sich zuletzt zugespitzt. Es sind so viele wie noch nie!
https://www.blick.ch/schweiz/ostschweiz/illegale-migrationsbewegung-haelt-trotz-wintereinbruch-an-afghanen-reisen-weiterhin-massenhaft-ein-id17082739.html


Krise in Afghanistan – Die Schweiz will doch keine weiteren Flüchtlinge direkt aufnehmen
Die Flüchtlingshilfe fordert, dass sich die Schweiz an der europäischen Aufnahme afghanischer Flüchtlinge beteiligt.
https://www.srf.ch/news/schweiz/krise-in-afghanistan-die-schweiz-will-doch-keine-weiteren-fluechtlinge-direkt-aufnehmen


Neues Web-Dossier «Sans-Papiers»
Zehntausende Menschen leben und arbeiten ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz. Unser Web-Dossier liefert Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um die Situation von Sans-Papiers.
https://www.unia.ch/de/aktuell/aktuell/artikel/a/18709


+++DÄNEMARK
Kosovo will Gefangene aus Dänemark übernehmen – Rendez-vous
Dänemarks Gefängnisse sind voll. Deshalb will das Land Häftlinge nach Kosovo auslagern. Eine höchst umstrittene Sache. Was genau haben die beiden Staaten vereinbart?
https://www.srf.ch/audio/rendez-vous/kosovo-will-gefangene-aus-daenemark-uebernehmen?partId=12110714
-> https://www.srf.ch/news/international/wegen-vollen-gefaengnissen-daenemark-will-haeftlinge-in-den-kosovo-auslagern


+++FRANKREICH
Französische Armee ermittelt nach Geländefahrt von Soldaten nahe Migrantenlager
Französische Soldaten haben mit einer rücksichtslosen Fahrt in einem Geländewagen in der Nähe eines Migrantenlagers in Calais Empörung ausgelöst.
https://www.nau.ch/politik/international/franzosische-armee-ermittelt-nach-gelandefahrt-von-soldaten-nahe-migrantenlager-66070935


Nach Bootsunglück mit 27 Todesopfern im Ärmelkanal klagt Hilfsorganisation
Die Klage der Organisation Utopia56 richtet sich sowohl gegen den Präfekten als auch die Leiter des französischen und des britischen Rettungsdienstes.
https://www.nau.ch/politik/international/nach-bootsungluck-mit-27-todesopfern-im-armelkanal-klagt-hilfsorganisation-66070886


Vom Elend in die Hölle: Wie Geflüchtete in einem Pariser Tunnel überleben
Fehlende Betten in den Notunterkünften zwangen über 200 Geflüchtete dazu, draußen in der eisigen Kälte zu übernachten. Wir waren vor Ort.
https://www.vice.com/de/article/4awxgg/wie-gefluechtete-in-einem-pariser-tunnel-ueberleben-armut-fotos


+++POLEN/EU/BELARUS
Flüchtlinge an der Grenze zu Belarus: Kinder mit Hunden bedroht
Amnesty hat Belege für schwere Misshandlungen von Flüchtlingen an der Grenze zu Belarus gesammelt. Auch Wissenschaftler:innen warnen.
https://taz.de/Fluechtlinge-an-der-Grenze-zu-Belarus/!5823015/
-> https://www.derstandard.at/story/2000132032229/amnesty-berichtet-ueber-menschenrechtsverletzungen-an-belarus-grenze?ref=rss

-> https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/weissrussland/dok/2021/beweise-fuer-brutale-gewalt-gegen-gefluechtete-menschen


+++GASSE
In Bern gibt’s bald eine Notschlafstelle für Jugendliche
In Bern sollen Jugendliche ohne Zuhause leicht zugängliche Notschlafplätze erhalten – ein Projekt in den Startlöchern.
https://www.nau.ch/news/schweiz/in-bern-gibts-bald-eine-notschlafstelle-fur-jugendliche-66069456



nzz.ch 20.12.2021

«Ich komme mit mir selber nicht klar», sagt ein Bewohner – im ehemaligen Zürcher «Gammelhaus» sind Menschen einquartiert, die sonst auf der Strasse wären

Die neuartige soziale Einrichtung in der Stadt Zürich ist europaweit einmalig. Eine ständige Aufsicht bei der Eingangstüre sorgt dafür, dass keine Freier und keine Waffen ins Haus geschleust werden.

Rebekka Haefeli (Text), Christoph Ruckstuhl (Bilder)

Die Regeln sind einfach. Keine Waffen, keine Prostitution, kein Drogenhandel und keine Gewalt. Doch nicht alle schaffen es, sich daran zu halten. Dann fliegen sie hinaus; für einen halben Tag oder einen ganzen, für eine halbe Woche oder auch länger. Vermisst werden sie von den anderen kaum, denn die meisten hier sind Einzelgänger. Wie Roland Krasnodebski, der uns sein Zimmer sehen lässt.

Es war «verjunkt und abgesifft»

«Ich suche keine Freundschaften hier», sagt der tätowierte Zwei-Meter-Mann, während er rasch noch einige Kleider wegräumt. Im Zimmer riecht es nach abgestandenem Zigarettenrauch, auf dem Fensterbrett steht eine Bierdose, auf dem Tisch ein gelb-roter Spritzenkübel. Sonst ist es recht aufgeräumt. An die Wand hat Krasnodebski mit Filzstift ein schwarz-neongrünes Kreuz gemalt, daneben steht «J’aime», mitten in einem grossen Herz.

Krasnodebski ist einer von 42 Bewohnern in einem der ehemaligen «Gammelhäuser» an der Neufrankengasse im Zürcher Langstrassenquartier. Etwas weniger als die Hälfte sind Frauen. Bis die Stadt Zürich das Haus erwarb, waren die heruntergekommenen Appartements zu überrissenen Preisen an Randständige vermietet worden. «Total verjunkt und abgesifft war es hier, ein dreckiges Loch», sagt Krasnodebski.

Die Stadt hat das Haus renoviert und quartiert seit gut zwei Jahren Menschen ein, die sonst ganz unten wären: X-mal sind sie alle aus Wohneinrichtungen und Heimen geflogen, weil sie sich nicht an die Regeln halten konnten. Viele haben diverse Entzüge und Rückfälle hinter sich. Sie leiden unter verschiedenen Sucht- und anderen psychischen Erkrankungen. Der grösste Unterschied zu anderen Einrichtungen ist die ständige Beaufsichtigung. 24 Stunden am Tag sind immer mindestens zwei Teammitglieder vor Ort. An der Eingangspforte müssen die Bewohnerinnen und Bewohner ihren Schlüssel abgeben, wenn sie das Haus verlassen.

Kiffen und Killerspiele

Wären sie nicht hier untergekommen, wären sie obdachlos. Sie würden in der Notschlafstelle ein- und ausgehen, sich auf der Gasse durchschlagen oder lebten im Wald. So wie ein Bewohner, der noch nicht 30 war, als er vor zwei Jahren hier einzog. Auch sein Zimmer dürfen wir sehen. Darin brennt das Licht, und es läuft der Fernseher, obwohl er nicht da ist. «Princess Charming» wird auf Vox gezeigt, eine Dating-Show. Hauptsache, es klingt nach Stimmen, wenn er abends die Zimmertür aufschliesst.

«Als er einzog, vertrieb er sich die Zeit mit Killerspielen», erzählt Andreas Tübben, der Teamleiter der Beaufsichtigten Wohnintegration, wie das Angebot des städtischen Sozialdepartements heisst. Die Killerspiele hätten den Bewohner aufgeputscht, was zusammen mit dem massiven Kiffen und seiner Erkrankung zu psychotischen Zuständen geführt habe. «Er hatte damals ständig Waldwerkzeuge wie eine kleine Axt oder eine zusammenklappbare Baumsäge bei sich. Er willigte dann ein, diese abzugeben. Mittlerweile ist er viel ruhiger geworden.» Der junge Mann nehme nun zweimal täglich seine Medikamente und sei in einem Arbeitsintegrationsprogramm.

Hang zum Messie-Syndrom

«Ein Erfolg ist zum Beispiel, wenn jemand beginnt, sich regelmässig zu duschen oder mit uns zu sprechen», erzählt Tübben. Aufgedrängt werde die Hilfe hier niemandem, auch das Reden sei freiwillig. Die Bewohner, führt der Teamleiter aus, hätten schon so viele Institutionen, Therapien und Gesprächsangebote erlebt, dass die meisten resistent seien. Er sieht das Angebot hier als eine Art Zuhause, in dem sich die Leute gerade deshalb stabilisieren können, weil man sie weitgehend in Ruhe lässt, wenn sie es wollen.

Vollständig kann sich jedoch niemand der Interaktion mit den Mitmenschen entziehen. Die Ein-Zimmer-Studios, zu denen eine Kochnische und ein WC mit Dusche gehört, werden zweimal täglich kontrolliert. Auf der «grossen Runde», die jeweils mittags stattfindet, führen die Mitarbeitenden auch Kehrichtsäcke mit und räumen auf. «Viele Bewohnerinnen und Bewohner haben einen Hang zum Messie-Syndrom», erzählt Tübben.

Verschobene Grenzen

«Vorher hatten sie nichts, und nun glauben sie, dies und das noch brauchen zu können, was sie auf der Strasse finden.» Neben Möbeln sammeln sich so auch Dinge wie kaputte Velos an. «Bis man eine Verwahrlosung loswird, dauert es seine Zeit», sagt er. «Wenn ein Zimmer zu ‹leben› beginnt, greifen wir ein. Blutverschmierte oder nach Urin riechende Textilien werden gewaschen oder entsorgt.»

Eine Aufräumaktion in einem Zimmer dauert gut und gerne mehrere Stunden. Die Bewohnerinnen und Bewohner werden, so gut es geht, einbezogen. «Es kommt aber auch vor, dass sie auf dem Bett liegen und Anweisungen erteilen», sagt Andreas Tübben. Er sieht solche Verhaltensweisen nicht als Arroganz oder bewusste Verweigerung, sondern als Ausdruck von psychischen Krankheiten. Es wird klar, dass der Grat, auf dem sich sein Team bewegt, schmal ist; die Mitarbeitenden müssen im Einzelfall abwägen, was sie von den Klientinnen und Klienten erwarten können.

Die Umgangsformen sind nicht immer ganz sanft. «Wird ein Mitarbeiter einmal angeschrien, tolerieren wir das. Die Grenzen verschieben sich etwas, doch Tätlichkeiten werden nicht akzeptiert», führt Tübben aus. Zu ihrer Sicherheit tragen die Teammitglieder jeweils einen Personenschutzsender auf sich, wenn sie sich auf den acht Stockwerken bewegen. Das Gerät, so klein wie ein Handy, löst auf Knopfdruck einen Alarm aus, der direkt an eine Alarmzentrale geht.

Eine Handvoll Medikamente

Die Korridore auf den Etagen sind mit Kameras ausgerüstet, die Standbilder liefern. Sie werden auf einen Monitor im ständig besetzten Eingangsbereich übertragen. So sehen die Mitarbeiter, wenn es zu Auseinandersetzungen kommt oder wenn viele Bewohner auf einmal in einem Zimmer verschwinden. Das Rauchen und der Drogenkonsum sind zwar erlaubt; jedoch nicht in Gruppen. Andreas Tübben räumt ein, es komme vor, dass Meinungsverschiedenheiten von der Gasse ins Haus getragen würden. Im Notfall rufe man die Polizei oder bei psychischen Ausfällen den Notfallpsychiater.

Roland Krasnodebski drückt es so aus: «Es gibt im Haus ein Gemisch von speziellen Leuten mit verschiedenen Styles und Problemen.» Er selber leide unter einer bipolaren Störung und unter Schizophrenie. «Ich höre und sehe Dinge, die es nicht gibt; ich komme mit mir selber nicht klar», sagt er und blickt kurz zu Tübben, «darum bin ich froh, dass diese Leute da sind.» Dann greift der 44-Jährige in den Hosensack und bringt ein durchsichtiges Plastiksäckchen mit einer Handvoll Pillen zum Vorschein. «Die Medikamente können das Problem nicht lösen, aber für eine gewisse Zeit betäuben.»

Der Traum von «Normalität»

Den Bewohner scheint nur schon das Wissen, dass er nicht allein ist, zu beruhigen. «Ich fühle mich hier sicher, es ist mein Daheim.» Aus seiner vielschichtigen Sucht macht er kein Geheimnis. «Neben den Medikamenten», sagt er und zieht ein weiteres Plastiksäckchen mit nochmals so vielen Pillen aus der Tasche, «konsumiere ich auch Kokain, Alkohol und THC.» Auf dem T-Shirt des IV-Bezügers steht «Untamed Wilderness», auf Deutsch «ungezähmte Wildnis», sowie «NZ» für Neuseeland.

Krasnodebski hat viele Träume, wie sich im Gespräch herausstellt. Er lese sehr viel, sagt er und erzählt dann von seiner Matura und verschiedenen Studien an der Uni. Sein Ziel sei, irgendwann keine IV-Rente mehr zu beziehen, sondern in die Gesellschaft integriert zu sein, mit Arbeit und Familie. Von seiner Ursprungsfamilie jedoch sei er verstossen worden, erklärt er, den Kontakt habe er verloren.

Seine Geschichte ist wohl nicht untypisch für einen, der in der Beaufsichtigten Wohnintegration lebt. Viele sind schon seit dem Anfang hier, also seit dem Sommer 2019, als das Angebot als Teil des Geschäftsbereichs Wohnen und Obdach eröffnet wurde, wie Valérie Vodoz erklärt. Manchen seien dazwischen sogenannte Time-outs auferlegt worden, führt die Abteilungsleiterin Wohnintegration aus. Das heisst, sie durften wegen Regelverstössen eine Zeitlang nicht in ihr Zimmer zurück. «Es kommt auch vor, dass jemand wegen Beschaffungsdelikten in Haft muss», sagt Vodoz. Länger als drei Monate könne ein Zimmer aber nicht freigehalten werden.

Interesse aus Deutschland

Die Nachfrage nach den Studios sei gross, die Auslastung betrage gegen hundert Prozent, sagt Kaspar Niederberger, der Leiter von Wohnen und Obdach. In seinen Augen ist die Beaufsichtigte Wohnintegration ein Erfolgsmodell; die Kritik daran sei in den vergangenen zwei Jahren praktisch verstummt. «Man kann diese Menschen nicht wegsperren, die Alternative wäre, dass sie sich Tag und Nacht auf der Strasse aufhalten würden. Insofern ist die Einrichtung eine Entlastung für die Gesellschaft», erklärt er. «Diese Personen sprengen jedes andere System, doch hier funktioniert es mit ihnen.»

Der Bedarf an mehr solchen Plätzen sei bereits in den politischen Prozess eingespeist worden, ergänzt Niederberger. In Europa sei das Angebot seines Wissens einmalig; es sei auch bei Verantwortlichen anderer Städte auf Interesse gestossen, etwa in Bern, Basel, Winterthur und Frankfurt.

Strenge Eingangskontrolle

In der Stadt Zürich scheint sich die Einrichtung im ehemaligen «Gammelhaus» etabliert zu haben. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Betrieb jeden Tag eine Herausforderung ist. Der Teamleiter Andreas Tübben erzählt zum Beispiel, dass Besucher am Eingang ihren Ausweis zeigen müssten und es vorkomme, dass Gäste abgewiesen würden.

Freier etwa haben keinen Zugang zum Haus. «Natürlich wird manchmal versucht, etwas zu mauscheln», sagt er. «Uns Mitarbeitern würde aber auffallen, wenn einer zu Besuch käme, nach zwanzig Minuten wieder ginge und gleich danach der nächste ‹Bekannte› einträfe.»

Illusionen darüber, wohin die zwanzig Franken Essensgeld fliessen, die täglich in der Einrichtung mit einer kantonalen Heimbewilligung abgegeben werden, macht sich Tübben keine. «Hier in der Umgebung kann man sich bei anderen sozialen Einrichtungen rund um die Uhr kostenlos verpflegen.» Tübben ist jedoch überzeugt davon, dass die Klienten ein Stück Autonomie brauchen, um dieses System nicht auch noch zu sprengen.



Die Geschichte der Obdachlosenhilfe
ekk. Vor bald 200 Jahren wurde in der Stadt Zürich die erste Einrichtung für Obdachlose eröffnet: Es war die «Verhaftsanstalt im Berg» im heutigen Universitätsquartier, die ab 1831 sogenannte Vaganten aufnahm. Bei der Anstalt handelte es sich um eine polizeiliche Institution für «liederliche, arbeitsscheue Personen». Um 1945 gab es einen Ruck: Durch kriegswirtschaftliche Engpässe im Wohnungsbau und ein starkes Bevölkerungswachstum war die Wohnungsnot extrem. Es wurden Notschlafstellen für mehrere hundert Menschen gebaut. Das Angebot wurde bis heute ständig den jeweiligen Bedürfnissen angepasst. Die Beaufsichtigte Wohnintegration im ehemaligen «Gammelhaus» an der Neufrankengasse ist eine der neuesten Einrichtungen. Das Sozialdepartement hat vor kurzem eine Broschüre zur Geschichte der Obdachlosenhilfe und Wohnintegration publiziert, die hier heruntergeladen werden kann: www.stadt-zuerich.ch/wohnen-obdach.
(https://www.nzz.ch/zuerich/randstaendige-in-zuerich-reportage-aus-dem-ex-gammelhaus-ld.1654634)


+++WEF
WEF sagt das Jahrestreffen in Davos erneut ab
Das Jahrestreffen des World Economic Forum (WEF) im Januar 2022 ist abgesagt. Diesen Entscheid gab die WEF-Organisation am Montag bekannt.
https://www.suedostschweiz.ch/wirtschaft/wef-sagt-das-jahrestreffen-in-davos-erneut-ab
-> https://www.blick.ch/wirtschaft/wegen-omikron-variante-wef-in-davos-abgesagt-id17084455.html
-> https://www.derbund.ch/schlag-fuer-davos-wef-im-januar-abgesagt-472438042872
-> https://www.20min.ch/story/wef-in-davos-wird-kurzfristig-abgesagt-284092987151
-> https://www.cash.ch/news/politik/konferenzen-wef-2022-davos-wird-verschoben-1875052
-> https://www.tagblatt.ch/news-service/inland-schweiz/coronavirus-wohl-im-fruehsommer-wef-in-davos-wird-verschoben-ld.2229866?mktcid=smch&mktcval=twpost_2021-12-20
-> https://www.srf.ch/news/wirtschaft/world-economic-forum-davos-wegen-omikron-wef-soll-statt-im-januar-im-fruehsommer-stattfinden
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/wef-in-davos-erneut-wegen-corona-verschoben?urn=urn:srf:video:35ace425-014d-4cf7-bc04-c96334d542fa
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/wef-wegen-omikron-auf-fruehsommer-2022-verschoben?urn=urn:srf:video:799a82da-ee5e-41b0-b8d3-15213e8b9bc0
-> https://www.20min.ch/story/wegen-wef-verschiebung-kannst-du-wieder-zu-normalen-preisen-nach-davos-274109513232
-> https://www.watson.ch/schweiz/wirtschaft/688432856-wef-2022-in-davos-wird-wegen-omikron-corona-variante-verschoben


SMASH WEF 15.1.2022 – Gemeinsam gegen Krise, Staat und Kapital
Wir rufen auf zur interregionalen, grossen und unbewilligten Demonstration am 15.1.22 um 18 Uhr am Stadelhofen in Zürich. Gemeinsam gegen Krise, Staat und Kapital!
https://barrikade.info/article/4917


+++KNAST
Provisorisches Gefängnis wegen Sanierung in Witzwil – Schweiz Aktuell
Die Justizvollzugsanstalt Witzwil im Kanton Bern wird während laufendem Betrieb umgebaut. Die Gefangenen zügeln in ein Wohnprovisorium – eine Herausforderung im Alltag für Personal und Insassen.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/provisorisches-gefaengnis-wegen-sanierung-in-witzwil?urn=urn:srf:video:2501c2b0-28d7-4684-9d40-b19f67f1dc3d


Besuche seltener geworden: Eingeschränkte Kontakte in der JVA Hindelbank wegen Corona
Die Corona-Pandemie schränkt die Freiheiten aller ein, auch derer, die eine Freiheitsstrafe absitzen. Seit Beginn der Pandemie sind die Besuche in der Justizvollzugsanstalt Hindelbank seltener und schwieriger geworden. Besuchszeiten wurden stark eingeschränkt und sind stellenweise gänzlich abgesagt worden.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/besuche-seltener-geworden-eingeschraenkte-kontakte-in-der-jva-hindelbank-wegen-corona-144794896


+++POLICE VS
Wieder stirbt ein Schwarzer Mann in den Händen der Schweizer Polizei
Evelyn Wilhelm über Tod und Leben ihres Bruders Roger Nzoy. TW: Polizeigewalt, Tod
https://diasboah.podigee.io/2-leben-und-tod-des-roger-nzoy
-> Hintergrund: https://www.republik.ch/2021/12/16/die-rekonstruktion-eines-fatalen-polizeieinsatzes


+++RASSISMUS
ANTIRA-WOCHENSCHAU: Libysche Küstenwache baut aus, Dänemark lagert aus, Bern zahlt aus
https://antira.org/2021/12/19/libysche-kuestenwache-baut-aus-daenemark-lagert-aus-bern-zahlt-aus/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Peter Eberhart tritt zurück: Rückschlag für Impfskeptiker bei Angriff auf Grossratssitze
Der Oberländer koordinierte die Rekrutierung von Kandidierenden für das bernische Kantonsparlament. Nun ist er zurückgetreten.
https://www.derbund.ch/rueckschlag-fuer-impfskeptiker-bei-angriff-auf-grossratssitze-299990191070


«Bleibt Hass unwidersprochen, gewinnt er»
Hassreden im Netz haben seit der Pandemie deutlich zugenommen. Experte Marko Kovic äussert sich über den kurzfristigen Twitter-Rückzug von Sandro Brotz, taugliche Rezepte gegen Onlinehass – und er sagt, inwiefern das Geschäftsmodell der Plattformbetreiber perfide ist.
https://www.persoenlich.com/digital/bleibt-hass-unwidersprochen-gewinnt-er


„Ein Nachtrag zu unser gestrigen Recherche: Heute machte die «WG» einen weiteren Schritt an die Öffentlichkeit. Neben einem auf Telegram verbreiteten Text, in welchem die Gruppe behauptet, «unpolitisch» und «antifaschistisch» zu sein, schaltete sie eine eigene Website auf.“
Mehr: https://twitter.com/Megafon_RS_Bern/status/1472951377571766285)
-> Hintergrund: https://www.megafon.ch/aktuelles/bomben-holocaust-und-physiognomie-wer-ist-der-swiss-mens-club-of-freedom/


Keine Masken, dafür Verschwörungstheorien: Kanton Solothurn entzieht Naturheilpraktiker die Berufsbewilligung
Der Naturheilpraktiker darf bis auf weiteres nicht mehr im Kanton Solothurn praktizieren. Er kann den Entscheid aber noch beim Verwaltungsgericht anfechten.
https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/coronaskeptiker-keine-masken-dafuer-verschwoerungstheorien-kanton-solothurn-entzieht-naturheilpraktiker-die-berufsbewilligung-ld.2229902