
Themen
- Der EGMR bestätigt: die kroatische Grenzpolizei verletzt Menschenrechte
- EU-Kommission will in Polen, Lettland und Litauen das Asylrecht aushebeln
- Meldeplattform gegen rassistische Hassrede im Internet
- Frontex-Abschiebungen nehmen rasant zu
- Ein Hilferuf aus dem Sonnenberg in Vilters
- Ein autonomer Blog informiert über Kämpfe von Geflüchteten in Libyen
- FeministAsylum: Petition für die konsequente Anerkennung der besondernen Asylgründen für Frauen, Mädchen und LGBTIQA+
- Petition gegen automatische Gesichtserkennung
Was ist neu?
Der EGMR bestätigt: die kroatische Grenzpolizei verletzt Menschenrechte
Im November 2017 überquert die sechsjährige Madina Hussiny mit einem Teil ihrer Familie die serbisch-kroatische Grenze. Nachdem sie von der kroatischen Polizei entdeckt worden sind, rufen sie nach Asyl. Die kroatische Polizei ignoriert den Hilferuf jedoch und befiehlt der Familie, den Zuggleisen zu folgen und zurück nach Serbien zu gehen. In der Dunkelheit wird Madina von einem Zug erfasst und stirbt.
Mit der Unterstützung von Menschenrechtsorganisationen klagte die Familie gegen den Staat Kroatien. Die Strafanzeige war jedoch erfolglos. Der Staatsanwalt liess nur Untersuchungsergebnisse des kroatischen Innenministeriums zu, statt andere Beweismittel oder die Aussagen der Betroffenen zu berücksichtigen. Bereits dieses Vorgehen zeigt auch die politische Brisanz des Handelns der kroatischen Polizei. Der Fall wurde anschliessend von der Anwältin der Familie vor den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht. Am 27. November 2021 fällte er das Urteil: Die kroatischen Behörden haben den illegalen Pushback durchgeführt und Menschenrechtsverletzungen begangen. Die Organisationen, die das Verfahren begleitet haben, hoffen auf eine Signalwirkung des Urteils.
Denn es ist nicht der einzige dokumentierte Pushback an der kroatischen Grenze: Seit 2018 versuchen People on the Move über Bosnien-Herzegowina nach Kroatien zu gelangen. Allein an dieser Grenze haben Menschenrechtsorganisationen zwischen Juni 2021 und September 2021 über 30’000 Pushbacks gezählt. Bei den Pushbacks wendet die kroatische Polizei oft Gewalt und zahlreiche Erniedrigungen an. Den People on the Move wird alles abgenommen, was sie bei sich tragen. Sie müssen trotz Kälte und Nässe oft Kleidung und Schuhe ausziehen und werden von Polizist*innen verprügelt. Es gibt immer häufiger auch Berichte sexualisierter Gewalt. Vereinzelt gibt es nun Medienberichte, die die Pushbacks dokumentieren konnten. Darin sieht man Polizeieinheiten mit Schlagstöcken, die People on the Move zurück nach Bosnien jagen.
Die Organisationen, die den Prozess gegen die kroatische Polizei begleitet haben, fordern personelle Konsequenzen bei der kroatischen Polizei, aber auch bei den politischen Entscheidungsträger*innen. Und auch die EU sollte Konsequenzen ziehen und gewährleisten, dass People on the Move ohne Gewalterfahrungen in die EU gelangen. Dazu muss die EU endlich ihre Grenzen öffnen statt die Grenzen mit Militär und Polizei – seien es nationale- oder Frontex-Beamt*innen – zu sichern.
EU-Kommission will in Polen, Lettland und Litauen das Asylrecht aushebeln

Was geht ab beim Staat?
Meldeplattform gegen rassistische Hassrede im Internet
Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) bietet neu die Möglichkeit rassistische Äusserungen im Internet (Schrift, Ton oder Bild) zu melden. Äusserungen „die eine Person oder Personengruppe wegen ihrer «Rasse», Hautfarbe, Ethnie, nationaler Herkunft oder Religion herabwürdigen, gegen sie zu Hass aufrufen oder dies befürworten, fördern oder rechtfertigen“ können direkt auf www.reportonlineracism.ch erfasst werden.
Die Meldungen werden in einer Datenbank gespeichert und ausgewertet sowie annonymisiert an NGOs und Organisationen des Spektrums des staatlichen Antirassismus weitergeleitet. Wer eine Meldung einreicht, erhält kostenlose rechtliche Einschätzung oder weiterführende Informationen angeboten. Nicht als rassistische Online-Hassrede betrachtet, werden übrigens „indirekte, strukturelle Diskriminierung im digitalen Raum (z.B. diskriminierende Algorithmen) oder direkte Online-Angriffe wie Cyber-Mobbing oder Cyber-Stalking“.
Was ist aufgefallen?
Frontex-Abschiebungen nehmen rasant zu
Europaweit führte Frontex im ersten Halbjahr 2021 doppelt so viele Abschiebungen durch als im Vorjahr. Zwar hat diese Verdoppeung auch mit der COVID-Situation zu tun, doch nicht nur! Auch im Vergleich zu 2019 nahmen die Abschiebungen zu (+9%).

Die NGO Statewatch hat einen verwaltungsinternen Bericht der EU über Frontex-Abschiebungen veröffentlicht. Innert sechs Monaten war Frontex in die Abschiebung von 8239 Personen verwickelt. 60% dieser Menschen wurden per Sonderflug und 40% mit einem Linienflug ausgeschafft. Die Frontex ist auf unterschiedliche Art und Weise an den entrechtenden Abschiebungen beteiligt.
Eine Möglichkeit sind Sonderflüge. Frontex bietet z.B. Sonderflüge an, die in verschiedenen Staaten zwischenlanden. Frontex bietet den Staatsregierungen also quasi einen Abholservice für Ausschaffungen an. In der Berichtsperiode kam dies bei 1420 Personen vor. Auf Wunsch stellt Frontex auch Sonderflüge für einen einzigen Staat zur Verfügung. Auf diese Weise wurden 2756 Personen abgeschoben. Schliesslich ist Frontex auch in Sonderflüge involviert, die von Herkunftsstaaten geschickt werden, um Menschen mit Gewalt und Zwang in ihren Heimatstaat zu fliegen. Dies geschah bei 762 Personen. Diese Zahl nahm stark zu und wird von den Behörden als erfolgreiche Form der Zusammenarbeit mit Drittstaaten gefeiert. Frontex bietet nicht nur Sonderflüge an, sondern ist auch in Abschiebungen via Linienflüge verwickelt. Mehr als die Hälfte aller Personen, die von Frontex abgeschoben wurden, lebten in Deutschland.
Die Schweiz buchte die Frontex-Abschiebe-Dienstleistung in den ersten sechs Monaten dieses Jahres für die Abschiebung von 21 Personen. Es ist davon auszugehen, dass auch der Sonderflug der Anfang Jahre sechs Personen aus der Schweiz nach Äthiopien abschob, von Frontex organisiert war. Dem Bericht ist zudem zu entnehmen, dass Frontex zwar immer mehr finanzielle und personelle Mittel hat, doch bei Abschiebungen jeweils nicht prüft, ob diese rechtens sind oder nicht. Frontex bietet einfach Dienste an: Bestellte Abschiebungen werden ausgeführt, ohne weiter hinzuschauen.
https://www.theguardian.com/world/2021/nov/29/eu-border-agency-frontex-deportation-record-number
https://www.statewatch.org/media/2951/eu-frontex-return-report-first-half-2021-13405-21.pdf
Ein Hilferuf aus dem Sonnenberg in Vilters
Die Menschen im Camp erhalten kein Geld, sondern ausschliesslich Sachabgaben. Das bedeutet, das Essen wird zu spezifischen Zeiten geliefert: um 7.30 Frühstück, um 12.00 Mittagessen, um 17.00 Uhr Abendessen. Möglichkeiten um selbst zu kochen gibt es nicht. Wer die Mahlzeit verpasst, erhält sie erst am nächsten Tag wieder. Gerade für Personen mit Kindern ist diese fixe Essenszeit schwierig. Dazwischen gibt es keinen Zugang zu Lebensmitteln.
Die Personen erhalten die Nothilfe nicht in Geldform. Trotzdem müssen sie für Hygieneprodukte, wie zum Beispiel Binden und Tampons, aber auch Seife und Shampoo (einen Franken) bezahlen. Ein unmöglicher Umstand ohne finanzielle Mittel. Die Türen des Camps schliessen um 22 Uhr. Kommen die Bewohnenden später nach Hause, wird ihnen der Einlass verweigert und sie müssen die Nacht ausserhalb des Camps verbringen. Viele Menschen werden unter diesen Bedingungen psychisch krank. Sie leiden unter Depressionen, Schlafstörungen, Hoffnungslosigkeit.
Wo gabs Widerstand?
Ein autonomer Blog informiert über Kämpfe von Geflüchteten in Libyen
Wir sind Geflüchtete und leben in Libyen.
„Wir kommen aus dem Südsudan, Sierra Leone, Tschad, Uganda, Kongo, Ruanda, Burundi, Somalia, Eritrea, Äthiopien und dem Sudan. Wir sind auf der Flucht vor Bürgerkriegen, Verfolgungen, Klimaveränderungen und Armut in unseren Herkunftsländern. Wir alle wurden von Umständen getrieben, die über das menschlich Erträgliche hinausgehen.
Auf der Suche nach einer zweiten Chance für unser Leben wollten wir Europa erreichen und gelangten so nach Libyen. Hier wurden wir zu den versteckten Arbeitskräften der libyschen Wirtschaft: Wir mauern und bauen libysche Häuser, wir reparieren und waschen libysche Autos, wir kultivieren und pflanzen Obst und Gemüse für libysche Bauern und libysche Esstische, wir montieren Satelliten auf hohen Dächern für die libyschen Bildschirme usw.
Den libyschen Behörden reicht das offenbar nicht aus. Unsere Arbeitskraft ist nicht genug. Sie wollen die volle Kontrolle über unseren Körper und unsere Würde. Was wir bei unserer Ankunft vorfanden, war ein Albtraum aus Folterungen, Vergewaltigungen, Erpressungen, willkürlichen Verhaftungen. Wir erlitten alle möglichen und unvorstellbaren Menschenrechtsverletzungen. Und das nicht nur einmal.“
https://www.refugeesinlibya.org
Was nun?
FeministAsylum: Petition für die konsequente Anerkennung der besondernen Asylgründen für Frauen, Mädchen und LGBTIQA+
Spezifisch für Frauen, Mädchen und LGBTIQA+ fordert die Petition (1) das Recht auf Schutz durch Asylanerkennung von allen Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt; (2) eine Überwachungsstelle für die konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention und des Übereinkommens zur Bekämpfung des Menschenhandels; (3) eine erleichterte rechtliche Möglichkeite für Frauen, Mädchen und LGBTIQA+ Asyl zu beantragen.
„Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt (einschließlich häuslicher Gewalt, sexueller Ausbeutung, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung, Menschenhandel, diskriminierender Gesetze, Abweisung, Entzug der Kinder) treibt viele Frauen, Mädchen und LGBTIQA+-Personen dazu, aus ihren Ländern zu fliehen und in der Europäischen Union Asyl zu suchen.
Diese Menschen sind während der gesamten Migrationsroute fast systematisch Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt: Sexuelle Gewalt durch Schleuser oder in Flüchtlingslagern, sexuelle Ausbeutung oder Zwangsarbeit und Gefangenschaft in Schlepperbanden in Transitländern, auch in europäischen Ländern, Bedrohung, Trauma und Gefahr für ihre Kinder.“
Im Moment ist das Asylregime nicht nur rassistisch, sondern auch heterosexistisch, weil es stark auf heterosexuelle Männer ausgerichtet ist. Anders wäre es, wenn spezifisch sensibilisierte Sozialarbeiterinnen, Dolmetscherinnen, weibliches Gesundheitspersonal, Psychologinnen und Anwältinnen im Einsatz wären. Artikel 60 der Istanbul-Konvention verpflichtet die Unterzeichnerstaaten an sich dazu, Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen anzuerkennen und fordert geschlechtsspezifische Aufnahme- und Asylverfahren und Unterstützungshilfen. Die Realitiät ist davon weit entfernt. Viele Frauen wurden vergewaltigt und haben kein Asyl erhalten! Viele Frauen werden auf der Flucht Opfer von sexualisierter Gewalt. Die Unmöglichkeit, Asylanträge in den Botschaften zu stellen, hat nicht nur das Mittelmeer in einen riesigen Friedhof verwandelt, sondern auch die Chance erhöht vergewaltigt zu werden.
Petition gegen automatische Gesichtserkennung
Was steht an?
Privilegien-Reflexions-Adventskalender
Türchen gehen auf auf Insta: https://www.instagram.com/adventskalender_privilegien/
Alles auf einmal: https://www.canva.com/design/DAExCnuim90/BsuQsJjM8VEQHnZIXqR7og/view?utm_content=DAExCnuim90&utm_campaign=designshare&utm_medium=link&utm_source=publishsharelink
Infoveranstaltung zum NoFrontex-Referendum
8. Dezember 2021 | 19.00 Uhr | Le Cap | Predigergasse 3, Bern
Was ist Frontex und was hat das mit der Schweiz zu tun? Wozu das Referendum? Wie kann ich das Referendum unterstützen? Mehr Infos zum Referendum
https://frontex-referendum.ch/
Demo gegen Ausschaffung
18. Dezember 2021 | 12:45 Uhr | Bahnhofplatz Luzern | um 13:30 Uhr gemeinsame Anreise nach Wauwil zur Demo
Anstatt geflüchteten oder migrierten Personen ein sicheres und würdiges Leben zu ermöglichen, werden in der Schweiz jedes Jahr Tausende Menschen unter Zwang ausgeschafft. Dahinter steht ein zutiefst rassistisches System: Geflüchteten Menschen wird grundsätzlich mit Misstrauen begegnet, sie werden in «richtige» und «Schein-Geflüchtete» eingeteilt. Folgen davon sind die Illegalisierung, der Verlust praktisch aller Rechte in der Nothilfe, oder zuletzt die Ausschaffung.
Wir sagen: Kein Mensch ist illegal! Keine Person sollte jemals an den Ort zurückkehren müssen, den sie verlassen wollte oder musste. Wir fordern: Bleiberecht für alle!
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Podcast: Die Bootsflüchtlinge und der Streit am Ärmelkanal
Mit dem Brexit wollte Grossbritannien die volle Kontrolle über die Einwanderung zurückerlangen. Aber ausgerechnet seit dem EU-Austritt kommen immer mehr Flüchtlinge in überfüllten Booten übers Meer. Jetzt liegt London im Streit mit Paris.
https://www.srf.ch/audio/international/die-bootsfluechtlinge-und-der-streit-am-aermelkanal?id=12099827
Artikel: The Secretive Prisons That Keep Migrants Out of Europe
Tired of migrants arriving from Africa, the E.U. has created a shadow immigration system that captures them before they reach its shores, and sends them to brutal Libyan detention centers run by militias.
https://www.newyorker.com/magazine/2021/12/06/the-secretive-libyan-prisons-that-keep-migrants-out-of-europe
Artikel: Deaths and push-backs through calculated non-assistance in the Channel
https://calaismigrantsolidarity.wordpress.com/2021/11/30/deaths-and-push-backs-through-calculated-non-assistance-in-the-channel/