Medienspiegel 5. Dezember 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
«Solidaritätsnetz» und «baba news» erhalten Sozialpreis 2021
Der «Berner Sozialpreis 2021 freiwillig.engagiert» geht an zwei Projekte, die sehr unterschiedlich sind und damit die Vielfalt des freiwilligen Engagements symbolisch abbilden. Die Stadt Bern zeichnet das «Solidaritätsnetz Bern» sowie das Online-Magazin «baba news» mit je 10’000 Franken aus.
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/solidaritaetsnetz-und-baba-news-erhalten-sozialpreis-2021
-> https://www.derbund.ch/solidaritaetsnetz-und-baba-news-erhalten-berner-sozialpreis-855823819157
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/isabelle-chassot-ich-lasse-mich-gerne-provozieren?id=12101486
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/baba-news-und-solidaritaetsnetz-bern-sind-gewinner-des-berner-sozialpreises-144596740



derbund.ch 05.12.2021

Berner Asylregime: Eine Familie, die nicht hier sein sollte

Statt im Ausschaffungszentrum wohnen immer mehr abgewiesene Asylsuchende bei Privatpersonen. Weshalb ein Theologenpaar für eine Flüchtlingsfamilie kämpft.

Andres Marti

In einer kleinen Siedlung im Gürbetal, am Hang des Bauerndorfes Lohnstorf, wohnt seit kurzem eine äthiopische Familie. Allen Bemühungen der Asylbehörden, sie loszuwerden, zum Trotz. Ein Schild warnt vor Kindern. Auf dem Feld nebenan trägt ein Bauer Gülle aus. Würde die Sonne scheinen, sähe man von hier aus die Berge.

Mahlet Mola (alle Namen der Familie geändert) kam vor über zehn Jahren in die Schweiz, ihr Partner Dereje Ketema ein Jahr später. Weil der Bund ihre Asylgesuche rechtskräftig abgelehnt hat, müssen sie die Schweiz verlassen. Warum sind sie all die Jahre trotzdem hiergeblieben? Die Antwort geht im Kindergeschrei in der kleinen Wohnung unter, liegt jedoch auf der Hand: Trotz aller Widrigkeiten ist es hier für sie immer noch besser als in Äthiopien. Anders als die Asylbehörden sind sie zudem fest überzeugt, dass sie nicht zurückkehren können.

12 Quadratmeter für eine Familie

Wer nicht bleiben darf und nicht ausgeschafft werden kann, der wird vom Kanton in der Regel in einem Rückkehrzentrum platziert. Der Zweck dieser Zentren ist klar: Isolation und Abschreckung. Dass dort auch Familien wohnen müssen, ist besonders umstritten. Nach massiver Kritik sah sich der verantwortliche Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) gar genötigt, die Zustände in den Zentren von der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter untersuchen zu lassen.

Das Leben in den Kollektivunterkünften sei sehr schwierig gewesen, sagt Mahlet Mola. Kaum Privatsphäre, Unruhe, null Perspektive. Trotzdem ist das Paar geblieben. Im Sommer 2018 kommt ihr erstes Kind auf die Welt. Danach teilt sich die Familie einen Raum von 12 Quadratmetern.

Der Bub habe nach einem Jahr in der Unterkunft psychische Störungen entwickelt, sagt Christine Lienemann-Perrin, ehemalige Theologieprofessorin der Universität Bern. «Da war für uns ein Punkt erreicht, wo wir einfach handeln mussten.»

Zusammen mit ihrem Mann Wolfgang, ebenfalls emeritierter Theologieprofessor, engagiert sie sich in der reformierten Kirche seit Jahren für Flüchtlinge. Auch für solche, die die Schweiz verlassen müssen. Das Paar steht für den vernetzten Widerstand vieler Kirchengemeinden gegen eine in ihren Augen unmenschliche Asylpolitik. Das Paar aus Äthiopien kennen sie seit fast zehn Jahren.

Unmögliche Rückkehr?

Ihnen sei bewusst, dass man nicht alle Asylsuchenden willkommen heissen könne, sagt Wolfgang Lienemann. Es gebe jedoch «sehr respektable Gründe», warum der Vollzug einer Wegweisung im Einzelfall nicht immer möglich sei. «Es muss doch jedem völlig klar sein, dass diese Familie nicht nach Äthiopien zurückkehren kann.» Dass die Familie jahrelang in einem Zimmer in einem Rückkehrzentrum leben müsse, sei inakzeptabel.

In den Rückkehrzentren werde «so weit als möglich auf die familiären oder kulturellen Konstellationen Rücksicht genommen», heisst es bei der Sicherheitsdirektion. Dabei könne es «durchaus vorkommen, dass mehrere Familienmitglieder zusammen ein Zimmer bewohnen». Laut Kanton halten sich Personen in einem Rückkehrzentrum auf, damit sie ihre Rückkehr vorbereiten können. «Diese Vorbereitung sollte im Regelfall nicht Jahre in Anspruch nehmen.»

Auf Druck aus der Zivilgesellschaft hat das bernische Migrationsamt die Unterbringung von abgewiesenen Asylsuchenden bei Privatpersonen unter strengen Auflagen möglich gemacht. Gleichzeitig verschärfte der Kanton die Regeln für abgewiesene Asylsuchende. In Biel wurden etwa Familien, die zuvor in Wohnungen gelebt hatten, in ein Containerlager am Stadtrand umplatziert.

Raus aus dem Lager

Die Verschlechterung der Lebensverhältnisse abgewiesener Asylsuchender führten zu einer starken Zunahme der privaten Unterbringungen. Waren im Herbst 2020 noch 120 abgewiesene Asylsuchende bei Privatpersonen untergebracht, sind es inzwischen bereits 161.

Ist es nicht problematisch, wenn nun Private zunehmend Betreuungsaufgaben des Staates übernehmen? Die Wegweisung sei in einer solchen Lage «unzumutbar und undurchführbar», sagt Wolfgang Lienemann. Und wenn der Staat es in zehn Jahren nicht schaffe, eine Wegweisung zu vollziehen, «dann hat er versagt». In diesem Fall sei es die Pflicht der Zivilgesellschaft, zu handeln und die Lage der Betroffenen zu verbessern.

Bei der Sicherheitsdirektion wehrt man sich gegen den Vorwurf des Staatsversagens. Kämen die Personen ihrer Ausreisepflicht selbstständig nach, wäre ihre Ausreise «durchaus möglich». An ihrer Lage seien die «ausreisepflichtigen Personen» mehrheitlich selber schuld.

Für die Sicherheitsdirektion sind die privaten Unterbringungen grundsätzlich problematisch: Weil dadurch «enge persönliche Bindungen» entstünden, würden Ausreisen aus der Schweiz immer unwahrscheinlicher. Die in einem rechtsstaatlichen Verfahren gefällten Wegweisungsentscheide würden so unterlaufen.

Die Kosten für die privaten Unterbringungen trägt die Zivilgesellschaft. Einzig die Krankenkasse wird weiterhin vom Kanton übernommen. Die Wohnung ihn Lohnstorf haben die Lienemanns dank Kontakten aus ihrer Kirchgemeinde organisiert. Miete und Lebenskosten der vierköpfigen Familie, insgesamt rund 2000 Franken pro Monat, werden komplett durch private Spenden gedeckt.

Nach zehn Jahren in Asylzentren plötzlich unter Schweizern leben: Daran müsse sie sich erst noch gewöhnen, sagt Mola. Kurz nach ihrem Umzug nach Lohnstorf kam ihr zweites Kind, Dawit, auf die Welt. Wenn der Kleine schreit, sei sie oft gestresst, weil sie befürchte, dass die Nachbarn sich an dem Lärm störten.



Streit um Nothilfe

Als abgewiesene Asylsuchende dürfen die Äthiopier weder arbeiten, noch erhalten sie Sozialhilfe. Da sie nicht mehr im Rückkehrzentrum wohnen, gelten sie für den Kanton auch nicht mehr als bedürftig. Sie haben deshalb kein Anrecht auf Nothilfe. Diese beträgt für eine vierköpfige Familie knapp 26 Franken pro Tag. Die Regeln könnten allerdings ändern: Im Kantonsparlament sprach sich 2020 eine knappe Mehrheit dafür aus, künftig auch privat untergebrachten Personen ohne Bleiberecht Nothilfe zu gewähren. Über die entsprechende Gesetzesänderung wird der Grosse Rat nächste Woche entscheiden. (ama)
(https://www.derbund.ch/eine-familie-die-nicht-hier-sein-sollte-755648739396)


+++SCHWEIZ
In Paris aufgegriffen: Hat die Schweiz afghanischen Migranten TGV-Tickets bezahlt?
In Paris wurden 41 Migranten aus Afghanistan am Bahnhof aufgegriffen. Sie behaupten, dass die Schweiz ihre Zugbillette bezahlt habe. Die Eidgenössische Zollverwaltung dementiert.
https://www.20min.ch/story/hat-die-schweiz-afghanischen-migranten-tgv-tickets-bezahlt-786890064488
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/grenzaffaere-hat-die-schweiz-migranten-nach-frankreich-verfrachtet-ld.2224256


+++FRANKREICH
Für Flüchtlinge in Calais: Waldbesitzerin spendet 20 Tonnen Feuerholz
Während die Regierungen in Paris und London über den Umgang mit Migranten streiten, hat eine Französin große Mengen Holz zum Heizen an improvisierte Flüchtlings-Behausungen am Ärmelkanal geschickt.
https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/frankreich-waldbesitzerin-spendet-20-tonnen-heizholz-fuer-fluechtlinge-in-calais-a-df9fb388-e0d4-43f7-87c3-e0df19362a8b


+++BALKANROUTE
Gewalt gegen Geflüchtete
Misshandelt und abgeschoben: Antifolterkomitee CPT erhebt schwere Vorwürfe gegen Kroatien im Umgang mit Schutzsuchenden
https://www.jungewelt.de/artikel/415941.eu-abschottung-gewalt-gegen-gefl%C3%BCchtete.html


+++GRIECHENLAND
Lesbos-Besuch – Flüchtlinge: Papst kritisiert „Schiffbruch der Zivilisation“
Papst Franziskus geißelte auf Lesbos erneut die Gleichgültigkeit Europas gegenüber dem Schicksal der Schutzsuchenden
https://www.derstandard.at/story/2000131678910/fluechtlinge-papst-kritisiert-schiffbruch-der-zivilisation?ref=rss
-> https://www.srf.ch/news/international/besuch-in-migrantenlager-papst-franziskus-kehrt-auf-griechische-insel-lesbos-zurueck
-> https://www.tagesschau.de/ausland/europa/papst-lesbos-athen-101.html
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/der-papst-besucht-auf-lesbos-erneut-fluechtlinge?partId=12101504
-> https://www.aargauerzeitung.ch/international/umdenken-gefordert-papst-franziskus-in-migrantenlager-auf-lesbos-ld.2224279


+++TÜRKEI
Ungenierter Hass auf Flüchtlinge: Ein Rassist sitzt im Rathaus
Der Bürgermeister der türkischen Stadt Bolu schikaniert ausländische Bewohner, etwa indem er die Gebühren nur für sie massiv erhöht. Er ist mit der Ablehnung nicht alleine.
https://www.derbund.ch/ein-rassist-sitzt-im-rathaus-542297412627


+++GASSE
Schulprojekt für Bedürftige – Grosser Ansturm auf Gratis-Essen
In Emmenbrücke verteilen Schülerinnen und Schüler Lebensmittel, die sonst weggeworfen würden. Der Start ist geglückt.
https://www.srf.ch/news/schweiz/schulprojekt-fuer-beduerftige-grosser-ansturm-auf-gratis-essen


Gassenweihnachtsfeier in Zürich
Gemeinsam mit dem Sozialwerk Pfarrer Sieber organisiert das Hotel Marriott heute die Gassenweihnachtsfeier. Anders als bisher, findet der Anlass auf dem Zürcher Platzspitz statt.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/gassenweihnachtsfeier-in-zuerich-00170245/



derbund.ch 05.12.2021

Ungelöstes Drogenproblem: Er holt die Drogensüchtigen zu sechst aus der Toilette

Gaël Lehmann kümmert sich in Lausanne um Randständige. Seit einem Vierteljahrhundert versucht die Stadt, ihre Drogenszene in den Griff zu bekommen. So richtig will es nicht funktionieren.

Philippe Reichen

Es ist sechs Uhr morgens. Eine Winterbrise sorgt für Temperaturen nahe am Gefrierpunkt. Noch liegt die Stadt Lausanne im Tiefschlaf, die Place de la Riponne mitten in der Stadt ist noch leer. Bis Gassenarbeiter Gaël Lehmann die Türen der öffentlichen Toiletten öffnet.

Aus einem der WCs kommen gleich sechs Süchtige. Auf engstem Raum haben sie mutmasslich eine ganze Nacht lang Crack oder Kokain konsumiert. Wie passen so viele Leute in ein kleines WC? Darüber wundert sich auch Gaël Lehmann.

Der 41-Jährige lancierte sein Sozialprojekt «Système D» vor zwei Jahren. An sechs von sieben Wochentagen reinigt er mit einem Compagnon die öffentlichen Toiletten im Stadtzentrum und animiert Drogensüchtige, mitzuhelfen. Pro Arbeitsstunde bekommen die Süchtigen 10 Franken bar auf die Hand. Die Stadt Lausanne finanziert das Projekt.

An diesem Morgen geht ihm ein Mann zur Hand. Gaël Lehmann rüstet seinen Helfer mit Arbeitsschuhen und Handschuhen aus. Die Männer kennen sich. Mit Schaufel und Spatel machen sie sich an den Toiletten zu schaffen und befördern Zeitungen, Kartons, leere Spritzen, zersplitterte Flaschen vom Crackrauchen und Essensreste ins Freie. Am Ende desinfiziert ein Mitarbeiter des städtischen Bauamts die Toiletten, während Gaël Lehmann und sein Helfer die Place de la Riponne verlassen und zum nächsten WC ziehen.

Auf dem Weg diskutieren sie über Gott und die Welt. Der Helfer spricht über seine Lebenspläne und Erlebnisse aus der Deutschschweiz. «Es geht bei meinem Projekt darum, Süchtige für ein paar Minuten aus ihrem Milieu heraus in eine andere Welt zu bekommen», sagt Lehmann. «Ich begegne ihnen auf Augenhöhe und gebe Anweisungen, als wären wir in der normalen Arbeitswelt. Den Süchtigen fällt die Veränderung sofort auf. Manchmal sagt mir jemand, wenn er nach getaner Arbeit die Schuhe zurückgibt: So, jetzt gehe ich wieder zurück.» Zurück in die Drogenszene.

Gaël Lehmanns Ziel ist es, dass die Leute ihr Milieu dauerhaft verlassen, sich in eine Therapie begeben und wieder in einem geregelten Leben Fuss fassen. Die Süchtigen sollen selbst realisieren, wie entwürdigend und schädlich es ist, die Nächte in mit Exkrementen verdreckten Toiletten zu verbringen. Das sei ein langer, ein schwieriger Weg.

Vom Buchhalter zum Gassenarbeiter

Gaël Lehmann war Buchhalter von Beruf, bis er als 21-Jähriger in eine Lebenskrise stürzte und begann, sein Leben mit Gelegenheitsjobs und als Wohnnomade zu bestreiten. Einer Sucht verfiel er nie. Durch seine Lebensgeschichte hat er einen besonderen Zugang zu den rund 120 Heroin-, Kokain-, Crack- und Alkoholsüchtigen, die auf der Place de la Riponne im Lausanner Stadtzentrum ihre Tage verbringen.

Auf diesem Platz befindet sich eine der letzten sichtbaren Drogenszenen der Schweiz, samt einer Heerschar mehr oder weniger sichtbarer Drogendealer, die sich um den Platz tummeln. Ähnliche Szenerien erleben in der Deutschschweiz am ehesten die Churerinnen und Churer mit ihrer Drogenszene im Stadtpark.

Lausannes Stadtbevölkerung ist tolerant, auch mit Drogensüchtigen. Väter und Mütter nutzen sie gerne als pädagogisches Anschauungsbeispiel. Wenn ein Süchtiger benommen daherwankt, raunen Eltern ihren tief beeindruckten Kindern gerne zu: «So endet man, wenn man Drogen nimmt!» Doch die Place de la Riponne verliert ihren pädagogischen Reiz spätestens dann, wenn die Kinder von der Schule nach Hause kommen und den Eltern erzählen, jemand habe auf dem Schulgelände eine Spritze gefunden.

Rund um die Drogenszene auf der Riponne lodert im Lausanner Stadtparlament seit einem Vierteljahrhundert ein politischer Streit. Politiker um Politiker versprach, die Szene aufzulösen. «Sie suchten nach Zauberstäben und Kristallkugeln und jagten Dealer, aber die Probleme blieben meistens da», sagt Frank Zobel, Vizedirektor von Sucht Schweiz.

Dass die Probleme ungelöst blieben, erstaunt Zobel nicht. «Die Waadt war lange ein bürgerlicher Landkanton, und auch die Städte waren ländlich geprägt. Die Politiker wussten, was gut und was schlecht war, und foutierten sich ein Stück weit um die sozialen Realitäten. Dazu kam, dass die Romandie kein Trauma hatte, wie es der Platzspitz für Zürich war», analysiert Zobel.

Spätestens in den Nullerjahren erfasste die Waadt eine soziale Transformation. Die Linken dominieren heute die Städte und ändern die Drogenpolitik komplett. Offene, bürgerliche Politiker wie der Lausanner Polizeivorsteher Pierre-Antoine Hildbrand (FDP) bieten Hand. Er sagt: «Allein mit der Polizeirepression lösen wir keine Probleme. Um das Drogenproblem wirksam zu bekämpfen, braucht es verschiedene Ansätze und die Zusammenarbeit aller Akteure.»

«Die Stadt Lausanne befindet sich heute auf einer Aufholjagd», sagt Drogenexperte Zobel. Noch seien aber Deutschschweizer Städte wie Zürich und Basel Lausanne beim Willen, den öffentlichen Raum zu schützen, damit sich alle wohlfühlen, weit voraus.

Das Fixerstübli oder: Das «Shootoir»

Ein Defizit beseitigte Lausanne, indem die Stadt 2018 ein Fixerstübli, ein «local d’injection», einrichtete. Das Fixerstübli, von Bürgerlichen gerne «Shootoir» genannt, ist an sieben Tagen von morgens 8 Uhr bis 19.30 Uhr geöffnet und in drei Teile unterteilt.

Der Raum, in dem Süchtige ihren Stoff spritzen oder unter einer Saugglocke inhalieren, erinnert an ein Behandlungszimmer in einem Spital. Hier nehmen Pflegefachfrauen und Sozialarbeiter gebrauchte Spritzen entgegen und tauschen sie gegen neue. Sie stellen Desinfektionsmittel zur Verfügung, verteilen Kondome und verarzten kleinere Blessuren. Ein zweiter Raum, La Terrasse, erinnert an ein heimeliges Stadtcafé. Hier halten sich Alkoholiker auf. Ein dritter Raum, Le Passage, dient als Gemeinschaftsraum. Hier bekommen die Süchtigen zu essen und zu trinken, hier können sie duschen, ihre Kleider waschen und sich mit Sozialarbeitern austauschen.

Drei Jahre nach der Eröffnung wird das Fixerstübli aktuell evaluiert. Die verantwortliche Stadträtin Emilie Moeschler (SP) wird die Ergebnisse im Frühling im Stadtparlament präsentieren (siehe Kasten). Sie muss mit kritischen Fragen rechnen. Lausanner Bürgerliche monieren, dass das 1,2 Millionen Franken teure Angebot in seiner heutigen Form die Wirkung verfehle. Es liege zu weit von der Place de la Riponne weg, weshalb die Süchtigen die Place de la Riponne gar nicht erst verlassen würden. Und weiter: Die Drogenszene bestehe weiterhin, weil sie die Toiletten als Fixerstübli nutzten und weil der vom Kanton finanzierte Bus, «Distribus» genannt, jeden Abend zur Riponne fahre und die Süchtigen mit neuen Spritzen und sonstigem Verbrauchsmaterial versorge, was doch eigentlich Aufgabe des Fixerstübli wäre.

Oscar Tosato, Vater des Fixerstübli und bis im Sommer Lausannes Sozialvorsteher, reagiert irritiert. «Unsere primäre Absicht war nie, mit dem Injektionslokal die Drogenszene auf der Riponne aufzulösen.» Auch Matthieu Rouèche, der Leiter des Fixerstübli, verteidigt die Institution. Man habe täglich 40 bis 80 Drogeneinnahmen. 95 Prozent der jährlich 140’000 abgegebenen Spritzen kämen wieder zurück, was ein guter Wert sei, so Rouèche. Dass der Kanton «seinen» Bus mit Hilfsgütern jeden Abend auf die Riponne schickt, stört Aline Bernhardt Keller, die Drogenverantwortliche der Stadt Lausanne, nicht. Das sei mit der Stadt abgesprochen, und der Bus ergänze die niederschwelligen Angebote in Lausanne auf sinnvolle Weise, sagt sie.

Drogenexperte Zobel warnt davor, das Fixerstübli zu schliessen. Die Corona-Krise habe sicher nicht geholfen, das Fixerstübli bei den Süchtigen zu etablieren. «Auch wenn es heute von manchen Personen Vorwürfe gibt, es sei zu weit von der Drogenszene weg, ist es eine wichtige Institution. Es geht nicht nur um die Distanz bis zur Place de la Riponne, es geht auch um Gewohnheiten der Konsumierenden», so Zobel.

«Was Lausanne fehlt, sind Sozialarbeiter, die auf den Gassen und direkt im Drogenmilieu unterwegs sind und versuchen, Gewohnheiten zu ändern, und die auch mit der Polizei zusammenarbeiten», sagt Zobel. Lausanne braucht Gassenarbeiter wie Gaël Lehmann.

Nach seiner morgendlichen WC-Putztour taucht Lehmann erneut auf der Place de la Riponne auf. Auf dem mehrmals pro Woche stattfindenden Antiquitätenmarkt betreibt er einen Stand, direkt neben den Drogensüchtigen. Dort verkauft er alte Bücher, Küchengeräte und anderes, das er mit Süchtigen bei Privaten zusammengesammelt hat.

In der Drogenszene kennt man Gaël Lehmann. Man weiss, dass man mit ihm arbeiten kann. Ein 25-Jähriger mit Bierflasche kommt spontan auf Lehmann zu. Er wolle mitarbeiten, sagt er. In einer Viertelstunde komme er wieder. Dann fährt er mit dem Kickboard davon. «Vielleicht kommt er wieder, vielleicht auch nicht», sagt Lehmann. «Drogensüchtige sind wie die Wellen im Meer: Sie kommen und gehen – und es kann immer ein Sturm aufkommen.»



Fixerstübli auf dem Prüfstand

Der lokale Drogenmarkt, die angebotene Ware und der Konsum sind in der Waadt gut erforscht. 14’000 Personen konsumieren in der Waadt pro Jahr 500 Kilogramm Kokain. 2000 Personen greifen zu Heroin. Die jährliche Gesamtmenge beträgt hier 200 Kilogramm. Die Hauptlast der Drogensucht trägt Lausanne. «Wie in allen anderen Schweizer Städten verfolgen wir ein einziges Ziel: die sozialen und gesundheitlichen Risiken für Drogenkonsumenten und die Auswirkungen des Konsums auf die gesamte Bevölkerung zu verringern», schreibt Lausannes Sozialvorsteherin Émilie Moeschler (SP) auf Anfrage. Das 2018 eröffnete Fixerstübli, auf Französisch «Raum für den sicheren Drogenkonsum» genannt, trage dazubei, die angestrebten Ziele zu erreichen. Drei Jahre nach der Eröffnung wird das Fixerstübli aktuell evaluiert. Im Frühjahr 2022 soll der Schlussbericht vorliegen und es für Émilie Moeschler darum gehen, Schlussfolgerungen und Empfehlungen zu berücksichtigen. (phr)
(https://www.derbund.ch/er-holt-die-drogensuechtigen-zu-sechst-aus-der-toilette-497434257779)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Stadtspaziergang gegen Aufwertung und Verdrängung
Wir versammelten uns heute Samstagnachmittag, 04.12.2021, für einen Stadtspaziergang gegen Aufwertung und Verdrängung. Beim Streifzug durch den Zürcher Kreis 5 zeigten wir anhand vielfältiger Beiträge zu Gentrifizierung und Widerstand die Prozesse der kapitalistischen Stadtentwicklung auf. Bei kaltem Wetter beteiligten sich 200 kämpferische Menschen. Wehren wir uns gemeinsam gegen die kapitalistische Stadtentwicklung!
https://barrikade.info/article/4896


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Stefanie Sargnagels Rede bei der Demo am Stephansplatz zum Nazi-Hippie-Problem
https://www.reddit.com/r/Austria/comments/r8tu67/stefanie_sargnagels_rede_bei_der_demo_am/



Sonntagszeitung 05.12.2021

Parallelgesellschaft nach Covid-Gesetz: Bekannter Massnahmengegner zahlt Krankenkasse und Steuern nicht mehr

Prominente Anführer der Bewegung rufen zum Rückzug aus der Gesellschaft auf – Impfgegner Daniel Trappitsch hat diesen Schritt bereits vollzogen.

Cyrill Pinto

Er gehörte schon vor Corona zu den bekanntesten Impfgegnern in der Schweiz. Daniel Trappitsch engagiert sich seit Jahren im impfkritischen Netzwerk Impfentscheid. Zu Beginn der Pandemie sorgte er für Schlagzeilen, weil er den Bundesrat wegen der Schutzmassnahmen vor Gericht zerrte.

Die Pandemie sei bloss «ein Hype», und das Virus existiere gar nicht, schrieb Trappitsch in einer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Die Richter schmetterten seine Eingabe innert Wochenfrist ab. Trotzdem gaben Trappitsch und sein Netzwerk von Impfkritikern nicht auf – in den vergangenen Monaten hatten sie sogar gehörig Zulauf.

Jetzt will Trappitsch die Institutionen der Gesellschaft gar nicht mehr akzeptieren. Ausgerechnet im Amtsblatt des Kantons St. Gallen, dem Publikationsorgan des Staates, wird vermeldet, dass sich Trappitsch weigert, Krankenkassenprämien und Steuern zu zahlen. Die beiden Zahlungsbefehle von insgesamt über 690 Franken plus Zinsen und Gebühren wurden dort Ende November veröffentlicht. Offenbar hatte sich der Impfkritiker geweigert, die Zahlungsaufforderungen von Betreibungsbeamten und Polizei entgegenzunehmen. In einer Stellungnahme sagt Trappitsch, dass er «aus politischen Gründen» keine Krankenkassenprämien und Steuern mehr bezahlen wolle. Mehr will er nicht dazu sagen.

Kritiker wollen bis Ende Jahr aus Kirche, Parteien und Vereinen austreten

Wie Trappitsch vollziehen derzeit Hunderte Massnahmengegner den Bruch mit der Gesellschaft. Ihre Botschaften verbreiten sie schon länger auf eigenen Websites oder alternativen Kanälen wie Telegram – mit «Systemmedien» sprechen sie nicht mehr. Noch am Abstimmungssonntag kündigte Michael Bubendorf von den «Freunden der Verfassung» einen neuen Online-TV-Sender an, der ab 2022 täglich Nachrichten verbreiten soll. Auch eine politische Bewegung namens «Aufrecht Schweiz» ist angekündigt. Sie soll jenen eine Heimat geben, die von der etablierten Politik enttäuscht sind und die Massnahmen gegen die Pandemie ablehnen – insbesondere die Impfung.

Weitere Aussteiger kündigten die Gründung einer eigenen Krankenkasse und eigener Spitäler an. Sie organisieren sich auf dem Telegram-Kanal «Allesindwillkommen», der über 25’000 Teilnehmer hat. Die Massnahmengegner rufen dazu auf, bis Ende Jahr aus Kirchen, Parteien und Vereinen auszutreten. Abos sollen gekündigt, Versicherungen aufs Minimum reduziert werden.

Diese Abspaltungstendenzen hat auch der Basler Professor Oliver Nachtwey in einer breit angelegten Studie beobachtet. Mit einem Team ging er an Kundgebungen und befragte Querdenker auf Telegram-Kanälen. Insgesamt über 1100 Personen aus der Schweiz und Deutschland konnte er so zu ihren Motiven und Zielen befragen.

Das Resultat deckt sich mit den Beobachtungen der vergangenen Wochen. «Die Bewegung ist vor allem durch eine tiefe Entfremdung von Kerninstitutionen der liberalen Demokratie zu charakterisieren», hält Nachtwey in seiner Studie fest. Die Querdenker wenden sich vor allem von den Mitte-links-Parteien ab; nur die SVP profitiert. 34 Prozent würden aber am liebsten eine alternative Partei wählen.

Massnahmenkritiker sind eher esoterisch als fremdenfeindlich

Der parlamentarischen Politik, den Parteien, Wissenschaft und Medien – allen Institutionen schlage ein grosses Misstrauen entgegen, heisst es in der Studie. «Einzig die Gerichte und das Justizsystem geniessen noch eine schmale Vertrauensbasis.»

Grundsächlich seien die Massnahmenkritiker nicht ausgesprochen «fremden- oder islamfeindlich, sondern eher antiautoritär und der Anthroposophie zugeneigt», hält Nachtwey fest. Ein Grossteil wolle die Alternativmedizin der Schulmedizin gleichstellen, zurück zur Natur und stärker auf ganzheitliches spirituelles Denken setzen. «Die Moderne mit ihren zentralen Versprechen: Aufstieg durch Leistung, Freiheit durch Demokratie, Gleichheit durch Rechtssicherheit, Wahrheit durch Wissenschaft hat für die Querdenker ihre Glaubwürdigkeit verloren», stellt Nachtwey fest.



Hohe Corona-Zahlen bei den Anthroposophen

Im Goetheanum in Dornach SO wird die anthroposophische Lehre von Rudolf Steiner (1861–1925) vermittelt und weitergedacht. Hier forscht man zu Demeter, Eurythmie oder alternativer Pädagogik – und setzt auf Alternativmedizin. Der Impfung steht man entsprechend skeptisch gegenüber. In den vergangenen Wochen häufen sich in der Gemeinde, in der viele Steiner-Jünger leben, die Ansteckungen mit Covid-19. Dornach und seine Nachbargemeinden weisen die höchsten Inzidenzen in der Region auf. Obwohl das Dorf nur 6900 Einwohner zählt, sind seit Ausbruch der Pandemie 957 Personen an Covid erkrankt, zuletzt registrierte der Kanton an einem Tag 11 Ansteckungen. Auch Angestellte des Goetheanums sind betroffen, wie Sprecher Wolfgang Held bestätigt: «Von den etwa 200 hier Tätigen meldet das Personalbüro aktuell 3 Mitarbeitende als an Covid infiziert, die entsprechend in Quarantäne sind», sagt Held. Die Betroffenen seien nicht schwer erkrankt und hätten nicht ins Spital müssen. (pin)
(https://www.derbund.ch/bekannter-massnahmengegner-zahlt-krankenkasse-und-steuern-nicht-mehr-383166708868)
-> https://www.blick.ch/schweiz/nach-ja-zum-covid-gesetz-impfskeptiker-trappitsch-will-keine-steuern-mehr-bezahlen-id17042614.html



«Die Hölle ist zugefroren»: Deutsche Homöopathen rufen zum Impfen auf
In ganzseitigen Inseraten ruft die Deutsche Homöopathie-Union in deutschen Zeitungen zum Piks auf. Das Land solle nicht gespalten, sondern geimpft werden.
https://www.blick.ch/ausland/die-hoelle-ist-zugefroren-deutsche-homoeopathen-rufen-zum-impfen-auf-id17041627.html



Rekordzahlen wegen Corona-Protesten: Demo-Welle überrollt die Schweizer Städte
So viele Kundgebungen wie nie: Die immergleichen Aufmärsche gegen Corona-Massnahmen verärgern Gewerbe und Anwohner.
https://www.blick.ch/schweiz/rekordzahlen-wegen-corona-protesten-demo-welle-ueberrollt-die-schweizer-staedte-id17041832.html


SHAEF-Gläubige: Mit vollem Tempo in die Ausweglosigkeit
Mit vollem Tempo in die Ausweglosigkeit: Sie verlieren ihr bisheriges Leben und schreiben den Anstiftern, wie dankbar sie ihnen sind: Anhänger des Hochstaplers „Major Jansen“ geben erschreckende Einblicke in Folgen, wenn man nicht mehr an die Gültigkeit der Gesetze glaubt.
https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_91252740/shaef-glaeubige-mit-vollem-tempo-in-die-ausweglosigkeit-.html


Reichsbürger und Qanon: Falscher Major nach Hunderten Todesurteilen verhaftet
1906 lachte die Welt über einen Schuster, der als „Hauptmann von Köpenick“ ein Rathaus besetzte. 2021 will ein Arbeitsloser als Major Deutschland „befreien“. Das ist allerdings nicht zum Lachen, sondern macht Angst.
https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_91224628/falscher-major-jansen-von-shaef-nach-flut-von-todesurteilen-verhaftet.html