Medienspiegel 17. November 2021

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+++BERN
derbund.ch 17.11.2021

Im Rückkehrzentrum Biel-Bözingen: Wenn die Endstation zum Zuhause wird

Wie lebt es sich in einem Rückkehrzentrum? Die Betreiberin ORS gewährt in Biel-Bözingen Einblick. Antworten zu finden, ist trotzdem schwierig.

Lea Stuber

Ob er Italienisch spreche, fragt ihn der Mann mit einem Lachen auf dem Gesicht. Italienisch? Lutz Hahn schüttelt den Kopf. Leider nur Deutsch und Englisch, plus ein wenig Französisch. Auf Hahns Gesicht: die Freude, mit dem Mann ein paar Worte mehr als das übliche «Hallo» gewechselt zu haben. «Bei uns sind sie nicht Nummern, sie sind Bewohnende», sagt Hahn, Kommunikationsleiter der ORS Group AG, als der Mann in der Gemeinschaftsküche verschwunden ist, «wir begegnen ihnen auf Augenhöhe, mit Respekt.»

Sechs Wohncontainer mit den Zimmern, je ein Container für Gemeinschaftsküche, Waschküche und Infobüro – dieses Containerdorf am Rand von Biel ist für 116 Menschen aus 19 Ländern Zuhause und Endstation. Die 63 Männer, 22 Frauen sowie 31 Kinder und Jugendlichen müssen die Schweiz nach einem negativen Asylentscheid verlassen, arbeiten dürfen sie nicht.

Die meisten leben seit über einem Jahr in Biel-Bözingen. Es ist eines der sechs Rückkehrzentren im Kanton Bern. Die Stadt Biel hat die Bewilligung nur bis Ende Juli 2022 verlängert, der Kanton sucht im Moment nach einem Ersatzstandort.

Der Kanton liess ausrichten: Wegen der Corona-Schutzmassnahmen dürfen wir nur den Aussenbereich sehen, in die Container hinein dürfen wir nicht. Das Leben, meinte Lutz Hahn vorab am Telefon, spiele sich sowieso draussen ab.

Wer mit Kanton und ORS auf der einen Seite und mit Bewohnerinnen und Hilfsorganisationen auf der anderen Seite spricht, stellt sich zuweilen zwei unterschiedliche Orte vor. Hier Rückkehrzentren, in denen die Bewohner alles zur Verfügung haben, was sie brauchen, genügend Platz in den Zimmern etwa oder Spielzimmer und Spielsachen für die Kinder. Wo der Schutz von Frauen oberste Priorität geniesst.

Dort hingegen Rückkehrzentren, wo es eng und laut ist, Kinder fast nicht spielen können. Wo Frauen im Zentrum Aarwangen sexuell belästigt werden.

Kein Kind auf der Rutschbahn

Der Nebel drückt auf Biel, der Morgen ist noch nicht ganz weg, der Nachmittag noch nicht ganz da. Lutz Hahn – gross gewachsen, aufmerksamer Blick – ist ein Mann mit Gastgeberqualitäten. Bei sieben Grad Celsius schreitet er von Containerzeile zu Containerzeile, als wären es Häuserreihen. Mit 1400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Schweiz sowie in Deutschland, Österreich und Italien ist ORS eine von Europas grössten privaten Dienstleisterinnen im Asylwesen.

Hinter Hahn und dem Zaun, der das Containerlager umgibt, dröhnen die Lastwagen, die das Autobahndreieck Richtung Jura, Solothurn oder Neuenburg verlassen.

Zwischen den Containerzeilen streckt sich wildes Grün in die Höhe. In einem Beet thront auf vertrockneter Petersilie eine Giesskanne, in einer Ecke wartet ein Migros-Wägeli auf den nächsten Einkauf. Vor manchen Fenstern sind die Storen heruntergelassen.

Hahn erzählt: Die etwa 40 alleinstehenden Männer wohnen zu zweit bis zu viert pro Zimmer in den einen Containern, in den anderen leben die Familien. Im Vergleich zum zweiten grossen Rückkehrzentrum, jenem in Aarwangen, wo Vorwürfe sexueller Belästigung aufgekommen sind, sei es hier einfacher, die Duschen nach Geschlecht zu trennen, sagt Hahn.

Ein Bub im Primarschulalter fährt mit dem Velo über den Asphalt. Zwei Mädchen ziehen los Richtung Ausgang, wohl in die Schule in Biel. Eine Frau, das Telefon am Ohr, steht im Türrahmen eines Containers und ruft nach dem Bub auf dem Velo. Auf der Bank vor einem anderen Container sitzen zwei Männer, der jüngere raucht. Ein anderer verschwindet mit einer Einkaufstüte im Gang des Containers. Ein Mitarbeiter mit blauer ORS-Weste geht über den Platz. An die Containerwand, die mal weiss war, sind zwei Plastikstühle gelehnt, vor der Tür heisst ein roter Fussabtreter Eintretende willkommen.

Auf der Rutschbahn und den zwei Schaukeln spielt keines der 31 Kinder. Als er im Spätsommer hier gewesen sei, stellt Hahn leicht erstaunt fest, sei daneben ein Trampolin gestanden. «Der Winter kommt, darum ist es wohl weg.»

Wo spielen die Kinder, wenn nicht gerade auf der Rutsche oder den Schaukeln? Dafür, sagt Hahn, stehe ein Spielcontainer zur Verfügung. Er geht bis zum anderen Ende des Rückkehrzentrums, vorbei auch am kleinen Stall, wo ein paar Hühner über die Erde flitzen. Hier steht noch ein Container. Angegraut und matt wie die anderen, die Storen heruntergelassen. «Der Spielcontainer», sagt Hahn. Ob wir kurz reinschauen dürfen? «Nein, Sie wissen doch, nur der Aussenbereich.» Sowieso: Seit Corona sei er abgeschlossen. Auch für die Kinder.

Infos zum Zusammenleben finden die Bewohner beim Infopoint. Er funktioniere, sagt Hahn, wie eine «Hotelréception». An der Tür kleben Infos zu Corona und der Impfung, zur wöchentlichen Visite der Pflegefachfrau, zu den Hausregeln. Täglich von 8.30 bis 10.30 Uhr müssen die Bewohnerinnen unterschreiben, nur so erhalten sie die Nothilfe von acht Franken pro Tag und Person. Tagsüber sind drei oder vier der 15 Mitarbeiterinnen von ORS da, in der Nacht – neben der Security – zwei. Die Betreuung, sagt Hahn, finde «rund um die Uhr» statt.

Gerade ist die Tür zum Infopoint abgeschlossen. Hahn klopft, kurz darauf stösst ein ORS-Mitarbeiter die Tür auf. Er grüsst, so höflich und freundlich wie alle hier, und setzt sich hinter dem Schalter mit Plexiglaswand zurück an den Computer.

Herr Hahn, was stellen Sie sich unter einem menschenwürdigen Dasein, wie es in der Bundesverfassung steht, vor? Das sei eine politische Frage, die könne er nicht beantworten, sagt er. «Wenn man die Personen sieht, mit ihren eingeschränkten Möglichkeiten, fragt man sich schon: Wie würde ich mich in dieser Situation verhalten? Ich bin dankbar, dass ich in einem Land…» Er geht ein paar Schritte. «Ich war in meiner früheren Tätigkeit für eine NGO in manchen Herkunftsländern der Menschen unterwegs. Wenn man die Flüchtlingslager dort sieht und sie mit hier vergleicht, relativiert sich die Situation.»

Wie lebt es sich in einem Rückkehrzentrum? Lutz Hahn half uns sehr gerne, Antworten zu finden. Besonders viel Leben haben wir draussen, ausserhalb der Container, allerdings nicht zu Gesicht bekommen.

Vieles konnten wir nicht herausfinden. Wie es ist, Tag für Tag in der Gemeinschaftsküche zu kochen, mit portioniertem Waschmittel die Waschküche zu benutzen, mit anderen Menschen die Dusche und die Toilette zu teilen und sie gemeinsam sauber zu halten. Und auch wie es wäre – wäre der Spielcontainer offen –, dort zu spielen.

Nach einer Stunde Spaziergang und mit klammen Fingern die Frage an Lutz Hahn: Gerne würden wir allein eine Runde durch das Rückkehrzentrum drehen. Allein? Nein, das gehe nicht, Vorschrift des Kantons. Er begleite uns aber gerne.

Lotto spielen im Calvinhaus

Mit den Menschen, die hier leben, konnten wir im Rückkehrzentrum nicht sprechen. Im Bus Nummer 2, der vor dem Zentrum fährt, von Bözingen nach Mett, zum Orpundplatz. Zweiter Versuch. Ein Paar bleibt unschlüssig vor der Schiebetür, die sich nicht öffnen will, stehen.

«Kommen Sie herein», bittet sie der Mann, der von drinnen nach draussen tritt. Hinter ihm ein langer Holztisch mit Mandarinen, Biskuits und Lottokarten. «Kaffee? Tee?», fragt er sie, während sie ihre Jacken ausziehen. Im Calvinhaus haben der Verein Alle Menschen, die Kirchliche Kontaktstelle für Flüchtlingsfragen und die Reformierte Kirchgemeinde Biel zum Lotto geladen.

Ein kleines Kind tapst durch den Raum. Die Stühle am Tisch füllen sich nach und nach, Menschen aus dem Iran, Äthiopien, dem Irak oder Afghanistan setzen sich. Viele sind Eltern, erzählen sie, ihre Kinder an diesem Nachmittag in der Schule.

Ihr Sohn gehe ins Fussballtraining beim FC Biel, sie komme alle zwei Wochen zum Calvintreff, erzählt eine Frau aus Äthiopien. Eine Frau aus dem Irak sagt: Es tue gut, hier zu sein. Man könne trinken und essen, miteinander reden, und für das Busticket bekomme man zehn Franken. Ihr Mann nickt.

Aufstehen, die Tochter mit dem Bus in die Schule bringen, zurück ins Zentrum fahren, einmal pro Woche das Nothilfegeld abholen, das Zimmer aufräumen, kochen, die Tochter von der Schule abholen, essen, sie wieder bringen, einkaufen. «Und jetzt bin ich hier», beendet eine Frau aus Marokko, seit zwei Jahren im Rückkehrzentrum, die Beschreibung ihres Alltags. Sie habe auch in anderen Zentren – in Lyss, in Tramelan – gelebt, der Vorteil von Biel-Bözingen: «Es ist nicht weit weg von der Stadt.»

Kaum im Gespräch, erzählen die Menschen von ihren Schwierigkeiten und Problemen, zeigen auf ihren Telefonen Schreiben vom Anwalt.

Das Kochen sei ein Problem, sagt der Mann aus dem Irak. Wenn es regne oder kalt sei, sei der Weg vom Container bis zur Gemeinschaftsküche lang. So kocht das Paar auf einem Kocher in seinem Zimmer Reis und Kartoffeln.

Im Sommer seien sie viel draussen, doch jetzt sei selbst der Weg auf die Toilette oder zur Gemeinschaftsküche kalt. Im Sommer, meint die Frau aus Marokko, besuche sie Pärke in der Stadt oder gehe an den See.

«42», hallt es durch den Raum. Kurzes Mischeln, dann: «57.» Die Frau aus Äthiopien hat heute zum ersten Mal Lotto gespielt – und gewonnen. Sie gräbt in ihrer Handtasche und zieht eine Packung Bio-Datteln heraus. Sie strahlt
(https://www.derbund.ch/wenn-die-endstation-zum-zuhause-wird-953442719622)


+++SOLOTHURN
Die Regierung des Kantons Solothurn lehnt die Volksinitiative der SVP «Weniger Sozialhilfe für Scheinflüchtlinge» ab. Diese sei nicht zielführend, sagt die Regierung. Die Kosten in diesem Bereich würden nicht aus dem Ruder laufen. Der Bund bezahle das meiste Geld. (ab 03:53)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/grenchen-schafft-die-stadtpolizei-noch-nicht-ab?id=12090665


+++ZÜRICH
Direktzahlungen an Sans Papiers in der Stadt Zürich ist vorübergehend gestoppt. (ab
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuerich-macht-tests-fuer-sexuell-uebertragbare-krankheiten-gratis?id=12090965 (ab 05:49)
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/bezirksrat-stadt-zuerich-muss-sans-papiers-pilotprojekt-stoppen-00169182/
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/bezirksrat-zuerich-das-sans-papiers-pilotprojekt-wirtschaftliche-basishilfe-der-stadt-wird-nun-gestoppt-ld.2215785



tagesanzeiger.ch 17.11.2021

Zürcher Stadtrat ausgebremstBezirksrat stoppt Basishilfe für Sans-Papiers

Die Stadt Zürich darf vorerst keine Extra-Hilfsgelder mehr für bedürftige Ausländer auszahlen. Die FDP zeigt sich erfreut.

Liliane Minor

Es war ein Herzensprojekt für Sozialvorsteher Raphael Golta (SP): Die Basishilfe für Sans-Papiers und ausländische Stadtbewohner, die sich aus Angst vor einer Abschiebung nicht aufs Sozialamt trauen. Am 30. Juni 2021 sprach der Stadtrat 2 Millionen Franken für das Pilotprojekt. Vergangene Woche teilte er mit, es seien bereits fast 90’000 Franken ausbezahlt worden. 49 Erwachsene und 24 Kinder haben einen Zustupf erhalten.

Doch damit ist einstweilen Schluss: Der Bezirksrat untersagt der Stadt weitere Auszahlungen. Das teilten die drei FDP-Gemeinderäte Alexander Brunner, Patrick Brunner und Mélissa Dufournet in einer Medienmitteilung mit. Die drei hatten gegen das Projekt eine aufsichtsrechtliche Beschwerde eingereicht. Sie sind der Meinung, die Basishilfe verstosse gegen geltendes Recht.

Zwar hat der Bezirksrat die Beschwerde selbst noch nicht behandelt. Aber er kommt in seinem Entscheid, der dieser Zeitung vorliegt, zum Schluss: «Eine allfällige Auszahlung der Finanzhilfen soll sinnvollerweise erst nach Überprüfung auf deren Rechtmässigkeit erfolgen.»

FDP erfreut

Die FDP-Gemeinderäte zeigten sich in der Medienmitteilung erfreut über den Zwischenentscheid. Der Stadrat dürfe nicht «willkürlich Steuergelder nach subjektivem Gutdünken verteilen», sagt Mélissa Dufournet. Die drei Parlamentarier stören sich auch daran, dass der Stadtrat den Kredit in eigener Kompetenz beschlossen hat. Damit sei das Parlament übergangen worden. Nun sei der Stadtrat zu Recht in die Schranken gewiesen worden.

Heike Isselhorst, Sprecherin des Stadtzürcher Sozialdepartements, sagt, die Stadt nehme den Entscheid zur Kenntnis und habe weitere Auszahlungen gestoppt. Noch nicht entschieden sei, ob die Stadt das bezirksrätliche Verbot weiterzieht, sagt Isselhorst: «Wir prüfen den Entscheid zuerst im Detail.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/bezirksrat-stoppt-basishilfe-fuer-sans-papiers-906846131576)



nzz.ch 17.03.2021

Der Bezirksrat hat entschieden: Vorläufig gibt es kein separates Sozialhilfegeld für Sans-Papiers und arme Ausländer in Zürich m

Mitte Juli hat die Zürcher FDP eine Aufsichtsbeschwerde gegen die neue Basishilfe für Ausländer eingereicht. In einem Zwischenentscheid verbietet der Bezirksrat nun weitere Auszahlungen.

Adi Kälin

Am Anfang standen die langen Schlangen bei der Essensausgabe für arme Zürcherinnen und Zürcher. Der Stadtrat liess dazu eine Studie ausarbeiten und fand heraus, dass vor allem Sans-Papiers und Ausländerinnen und Ausländer, die keinen Antrag auf Sozialhilfe stellen können oder wollen, von Armut betroffen sind.

Der Zürcher Sozialvorsteher Raphael Golta (sp.) zog darauf eine Artparallele Sozialhilfe für diese Bevölkerungsschicht auf – die aus Sicht der Bürgerlichen allerdings gegen das Ausländerrecht verstösst.

Unterstützung für 73 Personen

Um die Sachlage zu klären, hat die FDP der Stadt Zürich Mitte Juli eine aufsichtsrechtliche Beschwerde beim Bezirksrat eingereicht. Die Beschwerde ist noch hängig, in einem Zwischenentscheid hat der Bezirksrat nun aber festgehalten, dass vorläufig keine Gelder mehr ausbezahlt werden dürfen. Der Stadtrat hatte im Juni zwei Millionen Franken für ein 18-monatiges Pilotprojekt bewilligt.

Sinnvollerweise sollten die Finanzhilfen erst dann ausbezahlt werden, wenn die Rechtmässigkeit des Projekts feststehe, heisst es im Entscheid des Bezirksrats. Tatsächlich allerdings hat das Sozialdepartement kürzlich mitgeteilt, dass der Versuch mit der wirtschaftlichen Basishilfe «gut angelaufen» sei. Bis Ende Oktober seien 88 Gesuche eingereicht worden, wovon 45 bewilligt worden und 24 noch hängig seien.

Gesamthaft seien bisher 49 Erwachsene und 24 Kinder unterstützt worden. Davon hätten rund die Hälfte eine gültige Niederlassungs- oder Aufenthaltsbewilligung, die anderen seien Sans-Papiers. Es sind schon 88 776 Franken verteilt worden. Die Auszahlung erfolgt über die vier Hilfswerke Caritas, Schweizerisches Rotes Kreuz, die Sans-Papiers-Anlaufstelle Zürich und Solidara Zürich (vormals Stadtmission).

Im Zwischenentscheid des Bezirksrats wird dem Stadtrat nicht nur verboten, weitere Gelder auszubezahlen, er soll auch dafür sorgen, dass die Hilfswerke darauf verzichten.

Die Caritas nimmt den Entscheid zur Kenntnis. Wenn das Gericht so entschieden habe, müsse man die Sache wohl einstweilen auf Eis legen, sagt Sprecher Andreas Reinhart. In jedem Fall werde die Caritas die Zahlungen jetzt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten, das sei ja gerade nicht die Idee der Basishilfe gewesen. Reinhart sagt aber auch, dass der Andrang für das Angebot bisher noch überschaubar gewesen sei. Viele Betroffene wüssten wohl noch gar nichts von der Basishilfe.

Die Sans-Papiers-Anlaufstelle Zürich will den Entscheid noch nicht kommentieren, man werde das weitere Vorgehen nun zunächst besprechen müssen.

Stadt hat Entscheid noch nicht

Bei der Stadt traf der Entscheid des Bezirksrats leicht verspätet am Mittwochnachmittag ein. Heike Isselhorst, die Medienbeauftragte des Sozialdepartements, erklärte auf Anfrage, dass man den Entscheid so zur Kenntnis nehme und ihn nun im Detail prüfen werde. Selbstverständlich würden die Zahlungen vorderhand gestoppt. Man werde auch die beteiligten Hilfswerke entsprechend informieren.

Die drei FDP-Gemeinderatsmitglieder, von denen die Aufsichtsbeschwerde stammt, zeigen sich in einer Medienmitteilung erfreut über den Zwischenentscheid des Bezirksrats. Ein neues Sozialhilfesystem, das Bundesrecht missachte, dürfe nicht durch den Stadtrat eigenmächtig durch die Hintertür eingeführt werden, wird etwa Alexander Brunner in der Mitteilung zitiert. Zusammen mit Alexander Brunner stehen Patrick Brunner und Mélissa Dufournet hinter der Beschwerde.

Alexander Brunner verweist auf die Medienmitteilung des Sozialdepartements vom 8. November. Darin stehe, dass 44 Prozent der Empfänger der zusätzlichen Hilfsgelder Sans-Papiers seien, die keinen Anspruch auf Sozialhilfe hätten. Damit werde klar gegen Bundesrecht verstossen. Der Bezirksrat weise den Zürcher Stadtrat einmal mehr in die Schranken, wie er es beispielsweise schon bei der Finanzierung des Triemlispitals oder beim Kauf der sogenannten Gammelhäuser getan habe.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-doch-kein-geld-fuer-arme-auslaender-ld.1655718)


+++SCHWEIZ
Folgen des Taliban-Umsturzes – Immer mehr Afghanen passieren die Grenze Schweiz-Österreich
Letzte Woche reisten 226 junge Afghanen ein, Tendenz steigend. Die Triage durch den Kanton St. Gallen ist aufwändig.
https://www.srf.ch/news/schweiz/folgen-des-taliban-umsturzes-immer-mehr-afghanen-passieren-die-grenze-schweiz-oesterreich
-> https://www.watson.ch/schweiz/international/468462035-medienkonferenz-zu-der-situation-der-afghanischen-migranten-in-buchs-sg
-> https://www.blick.ch/schweiz/ostschweiz/wegen-afghanistan-fluechtlingen-in-buchs-sg-behoerden-informieren-zu-migrationslage-ost-id16992498.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/jugendschutz-im-neuen-gastrogesetz-spaltet-glarner-parlament?id=12090842
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/kantonsspital-st-gallen-wehrt-sich-gegen-kritik-am-testregime?id=12091019
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/audio/echo-der-zeit/markante-zunahme-afghanischer-fluechtlinge-in-der-schweiz?partId=12091022
-> https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/mehr-illegale-migranten-am-grenzbahnhof-buchs-sg?urn=urn:srf:video:d05294db-c910-4986-a573-ae0045eb1cfd
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/fluechtlinge-aus-afghanistan-fordern-die-st-galler-behoerden-144390538
-> https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/fluechtlingssituation-in-buchs-sg-behoerden-sehen-handlungsbedarf-00169161/
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/illegale-einwanderer-behoerden-kommen-an-ihre-grenzen-144389448
-> https://www.tvo-online.ch/aktuell/illegale-migranten-regierungsrat-fredy-faessler-im-gespraech-144389846



nzz.ch 17.11.2021

«Fast alle sind am nächsten Morgen verschwunden»: St.Galler Behörden wollen Afghanen in Buchs rascher befragen

Die Zoll- und Polizeibehörden versuchen an der St.Galler Grenze zu Österreich den anhaltenden Andrang junger Afghanen zu bewältigen. Seit Juni wurden 2500 illegale Einreisende aufgegriffen. Im November dürfte die Zahl illegaler Einreisen noch zunehmen.

Marcel Elsener und Christoph Zweili

Die St.Galler Grenzbahnhöfe Buchs und St.Margrethen spüren seit diesem Sommer den zunehmenden Druck der Migration aus Afghanistan: Allein seit Juni hat die Grenzwache 2500 Migranten aufgegriffen, die in Zügen aus Wien oder Bukarest illegal einreisten; fast ausschliesslich in Gruppen reisende Männer, 1600 davon unter 18 Jahren alt, die meisten auf der Durchreise mit Ziel Frankreich oder Grossbritannien. Die prekäre Situation und komplexe logistische Herausforderung an der Ostgrenze gab am Mittwoch Anlass für eine Medienkonferenz des St.Galler Sicherheits- und Justizdirektors Fredy Fässler und der Kantonspolizei sowie der Zoll- und Migrationsbehörden.

An diesem Morgen seien mit Ankunft des Nachtzugs aus Wien kurz vor 7 Uhr beim Durchkämmen der Zugabteile 38 illegal eingereiste Migranten aufgegriffen worden, veranschaulichte Markus Kobler, Chef Zoll Ost, die tägliche Kontrollarbeit der Grenzwache. Seit Juli waren es wöchentlich über 50 Personen, in der vergangenen Novemberwoche sogar 260 Personen. Die meisten reisten «mit keinem oder wenig Gepäck, Bargeld von 50 bis 250 Euro und einem iPhone», sagte Kobler.

Dass nebst Buchs auch St.Margrethen betroffen ist, liegt an baustellenbedingten Umleitungen über Bregenz. Nach der Sicherheits- und Identitätsabklärung übergibt die Grenzwache den grössten Teil der Migranten der Kantonspolizei; nur wenige, höchstens 10 Prozent, stellen ein Asylgesuch und werden ins Bundesasylzentrum in Altstätten gebracht.

Fast alle Migranten tauchen schon am ersten Tag unter

Aufgrund der internationalen Abkommen kann die Schweiz die Migranten weder einfach ziehen lassen noch direkt nach Österreich zurückschicken. Für die notwendigen Abklärungen zwecks Rückübernahmen fehle auf dem Bahnhof Buchs der Platz und man benötige mehrere Tage, sagte Kantonspolizeikommandant Bruno Zanga. Die dafür eingerichtete Unterkunft in Wil mit 50 Schlafplätzen hat allerdings einen Haken: «Dort bleibt selten eine Person über Nacht, fast alle sind am nächsten Morgen verschwunden. Inhaftieren können wir sie nicht, das wäre ohne Rechtsgrundlage und unverhältnismässig.»

Um die administrativen Verfahren innert 24 Stunden abzuwickeln und ein Untertauchen möglichst zu verhindern, richten die Migrationsbehörden im Dezember in einem früheren chemischen Industriebetrieb auf dem Areal Ochsensand in Buchs ein sogenanntes Bearbeitungszentrum ein. Dort sollen die polizeilichen Befragungen innerhalb von 24 Stunden erledigt werden können. Auch wird dort für medizinische Betreuung gesorgt, allenfalls müssten künftig Coronatests möglich sein.

Das Migrationsamt müsse die widerrechtlich eingereisten Personen auffordern, die Schweiz zu verlassen und ihre Ausreise nach dem Dublin-Abkommen organisieren, erklärte Jürg Eberle, Leiter des St.Galler Migrationsamts. Zur Aufnahme des Protokolls brauche es Dolmetscher und bei Minderjährigen zwingend eine Vertrauensperson. Hat eine Person in einem «Dublin-Staat» einen Asylantrag gestellt, geht das Gesuch ans «Dublin-Office»; im Fall der aktuell meist zuständigen österreichischen Behörden dauert die Prüfung laut Eberle bis zu acht Wochen. Nach positivem Bescheid organisiert das Amt die Rückreise per Flugzeug mitsamt polizeilicher Begleitung an den Flughafen.

«Der Druck hält noch einige Wochen an»

«Wir setzen alles daran, dass es bei uns keine Bilder gestrandeter Flüchtlinge wie in Polen und Weissrussland gibt», sagte Regierungsrat Fredy Fässler. Laut dem Staatssekretariat für Migration (SEM) wird der Transitdruck der Afghanen aus Österreich aber noch einige Wochen anhalten und erst nach dem Wintereinbruch zurückgehen. «Im Spätherbst machen sich oft nochmals sehr viele auf den Weg», weiss SEM-Informationschef Daniel Bach. Auch könnten «einige Hundert» der bis zu 15’000 Migranten aus Weissrussland die Schweiz erreichen. Wahrscheinlich werde die Weiterwanderung im April wieder zunehmen, zumal sich allein in Griechenland Zehntausende Afghaninnen und Afghanen befänden. «Auch in der Schweiz steigen die Asylzahlen, aber kein Vergleich zu Österreich.»

Weil Österreich viermal höhere Zahlen hat, monatlich bis zu 5000 Asylgesuche, dürfte Wien wenig Interesse an einem erleichterten Rücknahmeabkommen haben, wie es die Schweiz im Tessin mit Italien abschloss. «Man hätte die gerechten Verteilmechanismen im Zeitraum zwischen 2015 und heute lösen sollen», bedauert Fässler. «Das zwei Jahre lang vorbereitete Abkommen mit Österreich war kurz vor den Sommerferien unterschriftsreif, aber dann änderte sich die Situation.» Die Schweiz müsse darauf zielen, die Verfahren zu beschleunigen, es brauche eine erleichterte Rücknahme mit geringeren bürokratischen Hindernissen, so Fässler.

In der akuten Lage muss die St.Galler Polizei zu Gunsten der Grenzkontrollen den Patrouillendienst reduzieren und bleiben beim Migrationsamt andere Arbeiten liegen. Weil St.Gallen ein Problem löse, dass die ganze Schweiz betreffe, haben laut Fässler die Zollverwaltung und die anderen Kantone signalisiert, notfalls mit Personal auszuhelfen. Der Einsatz des bewaffneten Militärs, wie es in Polen der Fall ist, komme aber «nicht in Frage», sagt Fässler. Allenfalls wäre Armeesupport für Transport- und Betreuungsdienste vorstellbar.

SVP-Nationalräte Egger und Strupler fordern Armeeeinsatz

Umgehend mit Kritik reagierten der St.Galler SVP-Nationalrat Mike Egger und sein Thurgauer Fraktionskollege Manuel Strupler. Sie unterstellen SP-Regierungsrat Fässler eine mangelnde Vorbereitung «auf dieses sich abzeichnende Problem». St.Gallen müsse «die illegalen Einreisen verhindern» und dürfe sich «nicht in den Dienst der internationalen Schlepperbanden» stellen. Egger und Strupler fordern einen besseren Grenzschutz mit Unterstützung der Armee, weil die Überlastung der Polizei zu Lasten der öffentlichen Sicherheit gehe. Das Untertauchen und Weiterreisen müsse verhindert werden und jene Personen, die ohne Visum einreisten und kein Asylgesuch stellten, seien als «illegale Migranten zu sanktionieren».

Ausserdem müssten den «langwierigen Gesprächen mit Österreich endlich Taten folgen». «Die Schweiz muss vehement darauf bestehen, dass die internationalen Abkommen zur Rückführung von illegal eingereisten Personen aus sicheren Drittstaaten umgesetzt werden. Und somit die Flüchtlinge ihr Zielland nicht einfach selber wählen können.» Die SVP-Nationalräte prüften nun, welche parlamentarischen Instrumente notwendig seien, um die Bundesbehörden «zu einem entschiedeneren Vorgehen zu bewegen» – und zählten dabei auf entsprechende Vorstösse bei den Ostschweizer Kantonsregierungen.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/migration-ld.2215620)



Geflüchtete als «Gefahr»: Wenn Medien eine anonyme Masse statt Menschen zeigen
Die aktuelle «Flüchtlingskrise» an der polnisch-belarussischen Grenze zeigt, wie die mediale Berichterstattung zu Flucht und Migration die Geflüchteten entmenschlicht. Das geschieht auch deshalb, weil kaum jemand von vor Ort berichtet und Redaktionen auf Propaganda der Behörden zurückgreifen.
https://medienwoche.ch/2021/11/16/gefluechtete-als-gefahr-wenn-medien-eine-anonyme-masse-statt-menschen-zeigen/


+++DEUTSCHLAND
Private Initiative evakuiert Menschen aus Afghanistan
Seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan letzten Sommer evakuiert die zivilgesellschaftliche Organisation Kabul Luftbrücke Menschen aus dem Land. Eigenen Angaben zu Folge hat sie bisher 800 Menschen aus Afghanistan gerettet, 300 davon in selbst organisierten Charterflügen.
Am Wochenende holte die Organisation 148 Menschen per Flug nach Deutschland. Nun müsse die deutsche Regierung ebenfalls handeln, verlangen Vertreter*innen der Luftbrücke an einer Pressekonferenz. Sie äussern scharfe Kritik an der deutschen Regierung.
Sie forderten, dass die deutsche Regierung ebenfalls Flüge organisiereund so viele Menschen wie möglich aus Afghanistan evakuiere. An der Pressekonferenz konnte Christofer Burger, Sprecher des deutschen Auswärtigen Amtes, auf die Kritik reagieren.
https://rabe.ch/2021/11/17/private-initiative-evakuiert-menschen-aus-afghanistan/


+++POLEN/EU/BELARUS
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-11/belarus-polen-gewalt-eskalation-verletzte-traenengas-steine-zaun
-> https://www.derstandard.at/story/2000131207183/verletzte-bei-auseinandersetzungen-an-polnisch-belarussischer-grenze?ref=rss
-> https://www.tagesschau.de/ausland/polen-belarus-135.html
-> https://www.zeit.de/politik/2021-11/grenzstreit-polen-belarus-kuznica-brusgi-grenzuebergang-migranten-bustransport x
-> https://www.tagblatt.ch/international/klatschnass-in-der-kalten-nacht-ld.2215871
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158717.gefluechtete-an-der-eu-ostgrenze-mit-waffengewalt-gegen-asylantraege.html
-> https://www.woz.ch/2146/festung-europa/in-der-geiselhaft-von-autokraten
-> https://www.derstandard.at/story/2000131237678/eu-kuendigt-hilfslieferungen-fuer-migranten-polnisch-belarussischer-grenze?ref=rss
-> https://www.tagblatt.ch/international/klatschnass-in-der-kalten-nacht-ld.2215871
-> https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/auslaenderpolitik-die-aktuelle-lage-ist-kein-problem-des-kantons-sondern-der-gesamten-schweiz-hoher-ressourcenaufwand-fuer-stgaller-behoerden-wegen-illegaler-einreise-von-afghanen-an-der-ostgrenze-ld.2215341


+++UNGARN
Europäischer Gerichtshof: EuGH verurteilt Ungarn wegen Gesetzes gegen Hilfe für Asylsuchende
Mehrere ungarische Asyl-Gesetze verstoßen gegen EU-Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Die EU-Richter monieren insbesondere Gesetze, wonach Hilfe für Asylsuchende mit Haftstrafen sanktioniert werden.
https://www.migazin.de/2021/11/17/eugh-ungarn-gesetzes-hilfe-asylsuchende


+++MITTELMEER
nzz.ch 17.11.2021

Zehn Personen ersticken im Gedränge auf einem überfüllten Holzboot – humanitäre Proteste und politische Zwänge in der Migrationskrise

Trotz schlechtem Wetter treten Migranten aus Afrika die Seereise nach Europa an. Fast 60 000 haben im laufenden Jahr Italien erreicht. Fast 30 000 hat die libysche Küstenwache abgefangen.

Andres Wysling, Rom

Das Rettungsschiff «Geo Barents» von Médecins sans Frontières hat am Dienstag 99 Personen von einem Holzboot gerettet. Das Boot war 30 Meilen vor der libyschen Küste in Schieflage geraten und drohte zu kentern. Für zehn Insassen kam die Hilfe zu spät. Sie waren im Gedränge erdrückt oder erstickt worden.

    🔴#BreakingNews: after a distress call from @alarm_phone, confirmed by #Seabird , this afternoon 99 survivors were rescued by the #GeoBarents at approx 30 miles from the Libyan shores. At the bottom of the overcrowded wooden boat, 10 people were found dead.
    Photo ©Candida Lobes pic.twitter.com/z0rvdzsXn1
    — MSF Sea (@MSF_Sea) November 16, 2021

Die Migranten hatten nach Angaben von Médecins sans Frontières 13 Stunden lang auf dem völlig überfüllten Boot ausgeharrt. Über «Alarm-Phone» forderten sie Hilfe an und setzten damit die privaten Rettungsorganisationen in Bewegung. Das Beobachtungsflugzeug «Seabird» sichtete das Boot und konnte dessen Position bestimmen und an das Rettungsschiff durchgeben. Dieses hatte in den letzten Tagen mehrere Einsätze. Es hat derzeit nach Angaben von Médecins sans Frontières 186 Gerettete an Bord, unter ihnen viele Frauen und kleine Kinder.

Im laufenden Jahr sind laut Médecins sans frontières im Mittelmeer schon 1225 Migranten umgekommen, das Uno-Flüchtlingswerk UNHCR schätzt die Zahl der Toten inklusive Dunkelziffer auf über 1300. Die jüngsten Todesfälle hätten vermieden werden können, unterstreichen Hilfsorganisationen.

Steigende Zahlen

Die Zahl der irregulären Migranten, die 2021 übers Mittelmeer nach Italien gelangten, hat dieses Jahr wieder stark zugenommen. Fast 60 000 Personen wurden vom UNHCR bisher erfasst, 27 000 kamen aus Libyen, 19 000 aus Tunesien, 10 000 aus der Türkei. Im Jahr 2020 waren es 34 000, im Jahr 2019 noch 11 000. Auf dem Höhepunkt der Migrantionskrise im Jahr 2016 hatten 180 000 Italien erreicht.

Die Politik beschäftigt sich wieder vermehrt mit dem Problem, allerdings macht es bisher nicht besonders grosse Schlagzeilen. Diese werden weiterhin von der Diskussion ums Impfen und die Zertifikatspflicht beherrscht.

Vorwurf des «Verrats»

Die Zeitung «La Repubblica» hat kürzlich die Diskussion angeheizt mit dem Titel: «Der Verrat Europas». Nur gerade 97 von 50 000 in Italien gestrandeten Bootsmigranten seien von andern europäischen Ländern übernommen worden, lautete der Vorwurf. Der Statistik-Experte Matteo Villa vom Ispi (Istituto per gli studi di politica internazionale) rückte die Zahlen zurecht und entwarf ein anderes Bild.

Im Zeitraum 2011–2020 haben nach den Berechnungen 655 000 Personen Italien übers Mittelmeer erreicht. Von diesen befinden sich derzeit 220 000 noch in Italien, also ein Drittel, zu einem guten Teil haben sie inzwischen eine Aufenthaltsbewilligung. 435 000, also zwei Drittel, haben das Land verlassen, vorwiegend in Richtung Deutschland, Frankreich, Schweiz, Österreich und Schweden. Sie seien nicht nach Italien zurückgewiesen worden, so bemerkt Villa, obwohl das im Vertrag von Dublin so vorgesehen wäre. Von Verrat könne man da kaum reden, man solle Italien nicht ständig in der Opferrolle darstellen.

Rückschaffungen nach Afrika

Viele Migranten werden nach dem Auslaufen von der libyschen oder der tunesischen Küstenwache aufgegriffen und zurückgebracht. Die beiden Küstenwachen werden von Italien und der Europäischen Union unterstützt, mit Schiffen und Ausbildung. Italien bezahlt für die Dienstleistung jährlich 10 Millionen Euro an Libyen.

Über 27 000 Rückschaffungen durch die libysche Küstenwache gab es dieses Jahr. Das Verfahren wird vom UNHCR regelmässig angeprangert, Libyen sei für diese kein sicherer Hafen, die Migranten seien in den libyschen Gefangenenlagern an Leib und Leben gefährdet. Nach Einschätzung inoffizieller Menschenrechtsorganisationen ist die libysche Küstenwache oder jedenfalls einige ihrer Angehörigen nichts anderes als eine Piratenbande und verdient am Menschenhandel mit.

Politisches und moralisches Dilemma

Doch die italienische Regierung hält an der Praxis fest. Das ist moralisch und rechtlich zwar schwer zu rechtfertigen, aber das Verfahren ist offenkundig effizient. Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi schob die Verantwortung schon früher an die Libyer ab: Die Einhaltung der Menschenrechte sei deren moralische Pflicht und liege auch in deren eigenem Interesse, meinte er.

Für Draghi geht es kurzfristig darum, die Ankünfte von Migranten zu drosseln, damit keine neue grosse Flüchtlingskrise entsteht und den Rechtspopulisten bei den nächsten Wahlen Zulauf beschert. Auf längere Sicht bemüht sich die Regierung in Rom um eine Stabilisierung der Verhältnisse in Libyen, um den Aufbau staatlicher Strukturen. Solange diese nicht funktionieren, haben kriminelle Elemente leichtes Spiel.

Erpressung als Geschäftsmodell

In den libyschen Lagern hat das UNHCR laut italienischen Presseberichten 7000 Personen identifiziert. Tausende von weiteren befinden sich vermutlich in andern Lagern, zu denen die Organisation keinen Zugang hat. Der schlechte Ruf der Lager gehört im Übrigen zum zynischen Kalkül der Menschenhändler. Sie veröffentlichen zuweilen auf Facebook und andern sozialen Netzwerken Fotos ihrer Gefangenen, offensichtlich mit dem Zweck, von den Angehörigen Lösegeld zu erpressen. Je schlimmer die Zustände, desto höher können sie ihre Forderungen schrauben.
(https://www.nzz.ch/international/migrationskrise-in-italien-zehn-tote-auf-ueberfuelltem-boot-nzz-ld.1655706)


+++EUROPA
polyphon: Das Problem an Frontex
In der Schweiz werden Unterschriften gesammelt für ein Referendum gegen die Europäische Grenzagentur Frontex. Im Oktober 2021 hat das Schweizer Parlament entschieden, die Europäische Grenzschutzagentur Frontex mit 61 Millionen Franken jährlich zu stärken. Hinter dem Begriff “Grenzschutz” stehen gewaltvolle Operationen mit bewaffneten Grenzpolizist*innen, Drohneneinsätzen, Datenerfassung und -systemen zur Überwachung an den Aussengrenzen von Europa.
https://rabe.ch/2021/11/17/polyphon-das-problem-an-frontex/


+++GASSE
Regierungsrat muss zusätzliche Massnahmen gegen Diskriminierung von Bettelnden prüfen
Am Mittwoch diskutierte der Grosse Rat einen Vorstoss von Barbara Heer zum Thema Anti-Diskriminierung zum Thema Betteln. Mit nur zwei Stimmen Unterschied hat das Parlament den Anzug an den Regierungsrat überwiesen.
https://www.bzbasel.ch/basel/grosser-rat-regierungsrat-muss-zusaetzliche-massnahmen-gegen-diskriminierung-von-bettelnden-pruefen-ld.2215585


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Nehmen sie uns eine, Antworten wir alle! Si tocan a una, respondemos todas!
Solidaritätserklärung: Feministische und queere Organisationen / Gruppen gemeinsam gegen Repression.
https://barrikade.info/article/4856


Farbe gegen Thales Defence
In der Nacht vom 16. November auf den 17. November haben wir die Defence-Abteilung der Thales Gruppe, einem grossen französischen Rüstungskonzern, in Zürich-Binz mit Farbe angegriffen. Solidarität mit Andi, Solidarität mit Kurdistan!
https://barrikade.info/article/4854


Farbangriff auf MB Microtec
In der Nacht auf den 17. November haben wir in Niederwangen bei Bern die Firma MB Microtec AG grossflächig mit Farbe angegriffen und die Parole #Fight4Rojava hinterlassen. Die Aktion ist Teil Internationaler Solidarität gegen die erneuten Kriegsdrohungen gegen Rojava von Seiten der Türkei. Zudem ist die Aktion ein solidarischer Gruss an die angeklagte Revolutionärin Andi, welche morgen in Bellizona vor Gericht geladen ist.
https://barrikade.info/article/4855


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Ausschaffungen: Kommission gegen mehr Kompetenzen für Staatsanwälte
Die vorberatende Kommission des Ständerates will das Strafverfahren bei Ausschaffungen ebenfalls vereinfachen. In zwei entscheidenden Punkten weicht sie aber vom Nationalrat ab.
https://www.tagblatt.ch/news-service/inland-schweiz/landesverweis-ausschaffungen-kommission-will-keine-zusaetzlichen-kompetenzen-fuer-staatsanwaltschaft-ld.2215631


+++JUSTIZ
Vergewaltigung in Basel – «Keine Mitverantwortung»: Gericht begründet umstrittenes Urteil
Im Juli sorgte das Gericht für Schlagzeilen. Nun präzisieren die Richter: Das Opfer trage keine Mitverantwortung.
https://www.srf.ch/news/schweiz/vergewaltigung-in-basel-keine-mitverantwortung-gericht-begruendet-umstrittenes-urteil
-> https://www.watson.ch/schweiz/basel/146555174-vergewaltigung-basler-elsaesserstrasse-gericht-erklaert-strafminderung
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/jans-uebernimmt-lead-bei-klimafragen?id=12090827 (ab 04:10)
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/trotz-3g-chorprobe-fuehrt-zu-corona-massenansteckung?id=12090977 (ab 15:20)
-> https://telebasel.ch/2021/11/17/appellationsgericht-rechtfertigt-urteil-um-vergewaltigung/?channel=105100
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/prozess-vergewaltigung-an-der-elsaesserstrasse-gericht-erklaert-die-strafminderung-ld.2215442


+++KNAST
Gampelen: Todesfall in Justizvollzugsanstalt
In der Nacht auf Sonntag ist in der Justizvollzugsanstalt Witzwil in Gampelen ein Mann, welcher sich im offenen Vollzug befunden hatte, tot in seiner Zelle aufgefunden worden. Es liegen keine Hinweise auf Dritteinwirkung vor.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=a20c2c1a-fc7c-486f-876b-91c0b684e7dd
-> https://www.blick.ch/schweiz/bern/im-gefaengnis-witzwil-be-waerter-finden-schweizer-28-tot-in-zelle-id16994458.html
-> https://www.derbund.ch/mitarbeitende-finden-haeftling-tot-in-seiner-zelle-769668939732
-> https://www.20min.ch/story/schweizer-28-tot-in-justizvollzugsanstalt-witzwil-gefunden-651724804346


+++BIG BROTHER
Swiss Pass: E-ID durch die Hintertür
Ab Mitte Dezember sollen neue SwissPass-Karten die alten ersetzen. Nebst dem offensichtlichen Designwechsel gibt es wichtige Änderungen, die auf den ersten Blick nicht sichtbar sind. Mit neuen Funktionen soll der SwissPass zum Türöffner werden: Als Schlüssel für physische Türen, als Login für Geräte und Online-Dienstleistungen sowie über eine kontaktlose Bezahlfunktion. Es handelt sich dabei um eine schleichende und unkontrollierte Einführung einer elektronischen Identität (E-ID), wie dies der Konsumentenschutz im Vorfeld der Abstimmung zum verworfenen E-ID-Gesetz befürchtet hatte. Weder gibt es rechtliche Grundlagen, noch steht der Schutz der Privatsphäre der Nutzerinnen bei den Betreibern im Vordergrund. Der Eidgenössische Datenschützer (EDÖB) wurde nicht konsultiert und erfährt erst durch die heutige Medienmitteilung vom Vorhaben. Der Konsumentenschutz fordert Korrekturen, bevor die Karten an die Nutzer abgegeben werden.
https://www.konsumentenschutz.ch/medienmitteilungen/swiss-pass-e-id-durch-die-hintertuer/


+++POLIZEI SO
Grenchen schafft die Stadtpolizei (noch) nicht ab
Der Gemeinderat von Grenchen will mehr Zeit. Am Dienstag hätte er darüber entscheiden sollen, ob die Stadtpolizei abgeschafft wird. Aber der Entscheid ist vertagt. Der Rat setzte eine Arbeitsgruppe ein. Spätestens in zwei Jahren soll dann entschieden sein. Es gehe zu schnell, sagten viele Votanten.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/grenchen-schafft-die-stadtpolizei-noch-nicht-ab?id=12090665
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/werden-regeln-fuer-corona-hilfsgelder-wirklich-eingehalten?id=12090860 (ab 02:30)


+++POLIZEI CH
Herbstversammlung der KKJPD in Mendrisio
Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) unter dem Vorsitz des St.Galler Regierungsrats Fredy Fässler führt ihre Herbstversammlung dieses Jahr auf Einladung des Tessiner Staatsrats Norman Gobbi am 18. und 19. November in Mendrisio durch.
https://www.kkjpd.ch/newsreader/herbstversammlung-der-kkjpd-in-mendrisio.html


+++RASSISMUS
Schweiz präsentiert Staatenbericht vor UNO-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung
Der UNO-Ausschuss gegen Rassendiskriminierung hat am 16. und 17. November 2021 den aktuellen Bericht der Schweiz über die Umsetzung des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) begutachtet. Eine Delegation von Bund und Kantonen hat den Bericht in Genf präsentiert und Fragen der Ausschussmitglieder beantwortet.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-85952.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
Eric Weber dringt in Schule ein und pöbelt auf Pausenhof
Am Dienstagmorgen musste beim Sekundarschulhaus Allschwil die Baselbieter Polizei gerufen werden. Grund für den Einsatz war der rechtsextreme Basler Grossrat Eric Weber, der sich auf dem Schulgelände aufhielt und Flyer verteilte.
https://www.20min.ch/story/eric-weber-dringt-in-schule-ein-und-poebelt-auf-pausenhof-644973638340


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Wie «GlobalResearch» Unsinniges über Corona verbreitet
Eine kanadische Website mit wissenschaftlichem Kleid streut Verschwörungsphantasien. Und wird auch hierzulande gelesen.
https://www.infosperber.ch/medien/medienkritik/wie-globalresearch-unsinniges-ueber-corona-verbreitet/


Schnaps statt Impfung: Das Ausland lacht über unsere Corona-Skeptiker
Die Impfgegner in Alpthal, Walliser Skeptiker-Wirte und Freiheitstrychler tauchen immer mehr in den ausländischen Medien auf. Dort fragt man sich, warum die Demonstranten überhaupt auf die Strasse gehen, wo die Massnahmen doch so mild seien.
https://www.blick.ch/ausland/schnaps-statt-impfung-so-lacht-das-ausland-ueber-corona-schweiz-id16992503.html


Kuhglocken-Protest in Rorschach: Freiheitstrychler führen Fackelumzug an – 700 Sympathisanten laufen mit
Lautes Glockengeläut war am Mittwochabend in der Rorschacher Innenstadt zu hören. Gegen 700 Frauen, Männer und Kinder bekundeten mit einem friedlichen Protestmarsch ihren Unmut gegen die Anpassung des Covid-19-Gesetzes. Bewilligt worden war eine Demo mit 150 Personen – ohne Fackeln.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/protestzug-kuhglocken-protest-in-rorschach-freiheitstrychler-fuehren-fackelumzug-an-700-sympathisanten-laufen-mit-ld.2215936


Freunde der Demokratie
Eins ist klar: Die Abstimmungen am 28. November sind bereits von Berset und seinen Schergen manipuliert. Es bleibt nur noch eins: BÜRGERKRIEG! Sogar Lichtenstein ist vor dem Zerfall des Systems nicht sicher.
https://www.youtube.com/watch?v=BeEYR0bZDmw



derbund.ch 17.11.2021

Neue Radikalisierung: Schon vor der Covid-Abstimmung kursieren Fälschungsvorwürfe

Es sind zwar nur Einzelstimmen unter der Gesetzes-Gegnerschaft, doch laut einem Experten sind solch heftige Anschuldigungen gegen den Staat neu in der Schweizer Geschichte.

Christian Brönnimann, Kurt Pelda, Oliver Zihlmann

Das gab es in der Schweiz so noch nie: Gegner der Corona-Massnahmen schüren öffentlich Zweifel, ob die Abstimmungen wie jene zum Covid-Gesetz vom 28. November ehrlich ablaufen. Auf Telegram kursieren Nachrichten wie diese: «Das Gesetz wird angenommen, weil seit Jahrzehnten alle Abstimmungen und Wahlen manipuliert sind! Das ganze System ist korrupt und besteht aus Parasiten.» Eine andere Telegram-Nutzerin berichtet, «dass ihr Vater eine Bekannte kennt, wo bei der Post arbeite und von der Chefin den Auftrag bekam, alle Stimmbriefe zu durchleuchten und alle mit NEIN zu entfernen».

Solche Wortmeldungen beschränken sich nicht nur auf die sozialen Medien. Schon im September sagte Wendelin Rickenbach, ein Mitglied der Trychler aus Wangen SZ, in der Sendung «Einfach Politik» von SRF: «Ich habe eine schwere Vermutung, dass man die Abstimmungen auch noch ein bisschen manipuliert, weil es ist vielfach immer 49 zu 51 und meistens dann zugunsten vom Staat.»

Website als Alternative zur staatlichen Stimmenzählung

Inzwischen gibt es sogar eine Online-Plattform, die als Alternative zur staatlichen Auszählung der Stimm- und Wahlzettel präsentiert wird. Vor einer Woche hat ein Webdesigner aus der Region Biel die Domain registriert. «Unsere Demokratie ist in Gefahr! Die bevorstehenden Wahlen, sowie zahlreiche Wahlen davor, wurden manipuliert», schrieb er oben auf die Seite, die er mit einer goldenen Justitia-Statue mit Augenbinde illustrierte.

Auf der professionell gestalteten Website werden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger aufgerufen, ein Foto ihres ausgefüllten Stimmzettels und ihrer Identitätskarte sowie ein Selfie hochzuladen. Mit diesen Informationen will der Betreiber der Website dann selber eine Auszählung der Abstimmungsergebnisse vornehmen. «Was garantiert uns, dass Wahlen und Wahlergebnisse nicht manipuliert sind, wenn doch alle Wahlzettel anonym sind?», fragt er in einem Erklärungsvideo.

Das Schweizer Politsystem gilt als vorbildlich, wenn es darum geht, die Spannungen und Polarisierung in der Gesellschaft abzubauen. Man streitet vor einer Abstimmung leidenschaftlich, doch hinterher akzeptieren beide Seiten das Resultat und trinken zusammen ein Bier. Szenen wie in den USA, wo sich die Lager unversöhnlich gegenüberstehen, wähnt man hier weit weg.

Was bedeutet es nun also, wenn im aufgeheizten Abstimmungskampf rund um das Covid-Gesetz einzelne Stimmen laut werden, die behaupten, Volksabstimmungen seien manipuliert? Ist das gefährlich?

Politologe warnt vor Dramatisierung

Wolf Linder, emeritierter Politologe der Uni Bern und Experte für Wahlrechtsfragen, gibt fürs Erste Entwarnung. «Ich sehe hier keine Bewegung, sondern Einzelstimmen», erklärt er. «Es gibt keine Parteien oder signifikante politische Kräfte, die ernsthaft die Verlässlichkeit unserer Abstimmungsergebnisse hinterfragen.» Das Bundesgericht überprüfe Beschwerden gegen einen Urnengang, wenn er mit einem knappen Stimmenmehr von 51 Prozent oder weniger entschieden wurde. Dazu gebe es noch zahlreiche weitere Sicherungsmechanismen. «Es gibt also schlicht keinerlei Anlass für Misstrauen.»

Linder warnt deshalb davor, solchen Einzelmeinungen ein zu starkes Gewicht zu geben. Aber eine Sache sei in diesem Abstimmungskampf zweifellos speziell. «Ein solches grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem ganzen Staat gab es so in der Schweiz bisher noch nicht.»

Bestätigte Fälle von Wahl- oder Abstimmungsfälschungen der letzten Jahrzehnte sind sehr selten und waren stets lokal beschränkt. Die fundamentale Staatskritik, die nun von gewissen Gegnern des Covid-Gesetzes kommt, lässt sich nicht damit begründen. Vielmehr sei es wohl die Spaltung der Gesellschaft wegen der Corona-Pandemie, die bei Einzelnen zu immer extremeren Ansichten führe, sagt Linder. Auch gebe es womöglich einen Nachahmer-Effekt, nach den Fälschungsvorwürfen und Verschwörungstheorien in den USA. «Es war früher schlicht nicht denkbar, den Bundesrat so ungehemmt eine Verräter-Bande zu nennen und ihm Verfassungsbruch vorzuwerfen, geschweige denn ihn zu verdächtigen, er würde Abstimmungen manipulieren.»

Eine Rolle spielt laut Linder aber auch die Entmystifizierung der Abstimmungen selber. «Heute setzen wir einfach ein Kreuzchen und schicken einen Brief der Post ab wie bei einer Umfrage. Noch in den Fünfzigerjahren war das ein Ritual», erklärt der Politikwissenschaftler. «Der Vater ging nach dem Kirchgang zur Urne und schwieg sich strengstens aus, wie er abgestimmt hat. Entsprechend galt das Resultat dieses Rituals als unantastbar.»
(https://www.derbund.ch/schon-vor-der-covid-abstimmung-kursieren-faelschungsvorwuerfe-963617292477)



tagesanzeiger.ch 17.11.2021

Antisemitismus in Winterthur: Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Bäckereibesitzer

Der Unternehmer Urs Gerber verbreitet im Internet Videos über eine angebliche jüdische Weltverschwörung. Nun läuft gegen ihn deswegen eine Ermittlung.

Jonas Keller

Es ist eine wilde Geschichte, die Urs Gerber auf seiner Website teilt – und im Kern eine altbekannte: In 18 Videos wird über rund acht Stunden erzählt, wie eine Gruppe von Juden die Welt seit Jahrhunderten heimlich kontrolliere und wie sie plane, mithilfe von Covid-Impfungen und 5G-Technologie einen Grossteil der Menschheit zu ermorden. Nun hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen den Bäckereibesitzer wegen möglichen Verstosses gegen die Rassismus-Strafnorm aufgenommen, wie sie auf Anfrage bestätigt.

Videos vorübergehend entfernt

Als diese Zeitung den Betreiber des Grabebeck, des Holzofebeck sowie eines Fotostudios am 26. Oktober damit konfrontierte, dass die Verbreitung antisemitischer Inhalte strafbar ist, zeigte er sich erst unbeeindruckt: Er werde die Videos nicht löschen, teilte Gerber mit. Kurz nach Erscheinen des Artikels nahm er die Videos dann doch von seiner Website. Allerdings nicht für lange: Nach gut einer Woche waren alle 18 Videos wieder aufgeschaltet.

Er sei nach der Berichterstattung verunsichert gewesen und habe den Inhalt prüfen wollen, erklärt Gerber sein Handeln. Deshalb habe er die Videos zwischenzeitlich entfernt. Er habe darin allerdings nichts Antisemitisches entdecken können. «Der Inhalt hat nichts mit dem jüdischen Glauben zu tun», sagt Gerber.

Die Rassismus-Strafnorm verbietet unter anderem die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Angehörigen einer Rasse, Ethnie oder Religion. Als Beispiel nennt die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus den Vorwurf, Juden hätten den Zweiten Weltkrieg angestiftet. In den Videos auf Gerbers Website wird der angeblichen Gruppe von Juden unter anderem die Schuld am Holocaust zugeschrieben.

Israelitische Gemeinde erleichtert

Gemäss Staatsanwaltschaft wurde die Anzeige von einer Privatperson eingereicht. Bei Verletzungen der Rassismus-Strafnorm handelt es sich allerdings um Offizialdelikte, die Polizei muss also auch ohne Anzeige aktiv werden, wenn sie Wissen von einem möglichen Verstoss hat. Die Stadtpolizei bestätigt denn auch, dass sie unabhängig von der Anzeige bereits Vorermittlungen eingeleitet hatte.

Bei der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus begrüsst man, dass die Staatsanwaltschaft nun aktiv ist: «Wir hoffen, dass ein klares Zeichen gesetzt wird, da die in den Videos verbreiteten Aussagen Hass gegen jüdische Menschen schüren», sagt Geschäftsführerin Dina Wyler. Auch die Israelitische Gemeinde Winterthur zeigt sich erleichtert: «Wir halten es für gefährlich, solche Unwahrheiten und Stereotype zu verbreiten, durch die sich Leute radikalisieren können», sagt Vorstandsmitglied und Sicherheitsbeauftragter Olaf Ossmann.

Zum weiteren Verlauf kann die Staatsanwaltschaft aufgrund des laufenden Verfahrens nichts sagen. Es gilt bis zu einer allfälligen rechtskräftigen Verurteilung die Unschuldsvermutung.
(https://www.tagesanzeiger.ch/staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-winterthurer-baecker-891720821434)
-> https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/staatsanwaltschaft-ermittelt-gegen-grabebeck-00169154/


„Profitgier und Falschinfos“: Wutrede von Insider: Es knallt bei „Querdenken“
Es knallt gewaltig in der „Querdenken“-Szene: Ein Insider stellt die Führung als Abzocker und Betrüger dar, es geh den Köpfen vor allem um Profit. Eine brisante Wutrede.
https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_91161868/knall-bei-querdenken-anwalt-pankalla-greift-michael-ballweg-ralf-ludwig-und-bodo-schiffmann-an.html


Zertifikatsfrage spaltet Gründer-Trio: Knatsch um Covid-Gesetz bei Zuger Firma Partners Group
Alfred Gantner und Urs Wietlisbach sind Gründer eines der erfolgreichsten Finanzunternehmen der Schweiz: Partners Group mit Sitz in Baar. Nun streiten sich öffentlich über das Covid-Gesetz.
https://www.zentralplus.ch/knatsch-um-covid-gesetz-bei-zuger-firma-partners-group-2236571/


++++HISTORY
Bührle-Komplex II: Der Zollbetrüger
Die Bührle-Stiftung droht mit dem Abzug ihrer Bilder aus dem eben eröffneten Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses. Das passt zum Staatsverständnis von Emil Georg Bührle, wie ein neuer Aktenfund im Bührle-Archiv zeigt.
https://www.woz.ch/2146/buehrle-komplex-ii/der-zollbetrueger