Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++ST. GALLEN
«Um nicht zu verdursten, haben wir Benzin getrunken:» Eritreerin erzählt von ihrer Flucht nach Heerbrugg
Die Eritreerin Nigisti Teklemariam fand im Rheintal eine neue Heimat. Doch der Weg in die Schweiz glich einem Höllentrip.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/rheintal/um-nicht-zu-verdursten-haben-wir-benzin-getrunken-eritreerin-erzaehlt-von-ihrer-flucht-nach-heerbrugg-ld.2207559
+++DEUTSCHLAND
»Fast alle haben Blutergüsse am Körper«
Schläge, Kälte, Angst um ihre Kinder – und Freude darüber, es geschafft zu haben. Die Schutzsuchenden, die über Belarus und Polen nach Deutschland kommen, haben viel durchgemacht. Einige sprechen darüber mit Josephine Furian, seit zweieinhalb Jahren Seelsorgerin in der Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt. Im Interview berichtet sie.
https://www.proasyl.de/news/fast-alle-haben-bluterguesse-am-koerper/
-> https://www.radioeins.de/programm/sendungen/der_schoene_morgen/_/brandenburger-verein-leistet-nothilfe-fuer-gefluechtete-an-der-b.html
+++EUROPA
EU-Außengrenze zu Belaurs: Die EU spielt mit
Das Grenzgebiet zwischen Polen und Belarus erlebt eine humanitäre Katastrophe. Daran ist nicht nur der belarussische Präsident schuld.
https://taz.de/EU-Aussengrenze-zu-Belaurs/!5808571/
+++GASSE
Betten in der Notschlafstelle der Stadt Zürich weniger als zur Hälfte ausgelastet
Die Stadtzürcher Notschlafstelle an der Rosengartenstrasse verzeichnet immer weniger Übernachtungen. In den letzten zwanzig Jahren ist die Auslastung um über die Hälfte gesunken.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/betten-in-der-notschlafstelle-der-stadt-zuerich-weniger-als-zur-haelfte-ausgelastet-00168091/
Überwachungskameras im Hafengebiet abgebaut
Sieben Überwachungsvideos an der Uferstrasse im Kleinbasel sind wieder demontiert worden. Die Basler Polizei hatte die Kameras ohne Vorwarnung aufgestellt.
https://telebasel.ch/2021/10/29/ueberwachungskameras-im-basler-hafengebiet-abgebaut/?channel=105100
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Bei unbewilligten Demos: Berner Stadtrat will Kostenüberwälzung nur in Ausnahmefällen
Der Stadtrat verabschiedete am Donnerstagabend in einer turbulenten Sitzung ein neues Kundgebungsreglement.
https://www.derbund.ch/stadt-bern-will-kostenueberwaelzung-513618444214
-> https://www.bernerzeitung.ch/stadt-bern-will-kostenueberwaelzung-513618444214
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/demo-exzesse-berner-stadtparlament-gewalttaetige-demonstranten-sollen-zahlen
-> https://www.20min.ch/story/bern-will-kosten-fuer-gewalttaetige-demos-auf-teilnehmende-ueberwaelzen-887314214142
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/kosten-bei-demos-mehrheit-im-berner-stadtrat-sagte-nur-ungern-ja?id=12081984 (ab 05:52)
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/stadtrat-will-demo-kostenabwaelzung-nur-in-ausnahmefaellen-144175946
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/bern-unbewilligte-demos-koennen-fuer-teilnehmer-jetzt-teuer-werden?urn=urn:srf:video:97555b37-7ffb-413c-805f-2d746afa49f2
1. Mai 2021 Zürich – Update Strafbefehle
Wer Bussen wegen dem 1. Mai-Kessel 2021 in Zürich erhält, kann sich per Mail an wirtragen@protonmail.com melden – wir treffen uns kommende Woche (1.11.-5.11.) zur Besprechung des weiteren Vorgehens.
https://barrikade.info/article/4816
Kleine Anfrage GB/JA! (Nora Joos/Anna Jegher/Eva Krattiger, JA!): Priorisierung bei Kundgebungen
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=90c77dedbae348ce9adde1fbf5e0aaf0
+++SPORTREPRESSION
FC Luzern und Kanton zu Massnahmen gegen Fussball-Chaoten
https://www.tele1.ch/nachrichten/fc-luzern-und-kanton-zu-massnahmen-gegen-fussball-chaoten-144176229
Gästesektoren ade: SFL-Vorschlag spaltet Fussballwelt
https://www.tvo-online.ch/aktuell/gaestesektoren-ade-sfl-vorschlag-spaltet-fussballwelt-144175196
Grosser Widerstand gegen mögliche Schliessung der Gastsektoren
Die Swiss Football League prüft die Schliessung der Gastsektoren in den Schweizer Fussballstadien. Der Widerstand ist allerdings gross.
https://telebasel.ch/2021/10/29/grosser-widerstand-gegen-moegliche-schliessung-der-gastsektoren
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tagblatt.ch 29.10.2021
Oberster kantonaler Polizeidirektor: «Hoffe, dass wir beim Fantransport und personalisierten Tickets Lösungen finden»
Nach den jüngsten Ausschreitungen um Fussballspiele in Zürich und Luzern will Fredy Fässler durchgreifen. Das geht laut dem Präsidenten der kantonalen Justiz- und Sicherheitsdirektoren aber nur, wenn alle Kantone den «Weckruf verstehen».
Alexander von Däniken
Es gibt ausgeklügelte Choreografien und Fangesänge, die Gänsehaut verursachen. Und dann gibt es Gewalt und Vandalismus. Immer wieder. Wie jüngst am letzten Samstag, als beim Zürcher Derby im Letzigrund FCZ-Chaoten mit Hilfe einer Leiter (!) aus ihrem Sektor stürmten und Pyros Richtung GC-Ultras warfen. Oder als nur einen Tag später Chaoten des FC St.Gallen nach dem Spiel beim FC Luzern Busse der Verkehrsbetriebe Luzern zerstörten und im Bahnhof Böller und Petarden zündeten.
Das Hooligan-Konkordat, 2007 von der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) ins Leben gerufen und 2012 verschärft, verkommt zum unterbewaffneten Sicherheitsangestellten, der sich aus Angst vor dem wütenden Mob im Stadion-WC verschanzt. Massnahmen wie die Meldepflicht oder das Rayonverbot können die Chaoten allein nicht aufhalten, andere wie die ID-Pflicht oder Kombitickets werden nicht umgesetzt. Fredy Fässler, Präsident der KKJPD und St.Galler Sicherheitsvorsteher, will das ändern.
Was sagen Sie zu den Vorfällen in Zürich und Luzern?
Fredy Fässler: Ich verurteile die Ausschreitungen aufs Schärfste. Wir müssen sie zum Anlass nehmen, um mit noch grösserer Verbindlichkeit gesamtschweizerische Lösungen zu diskutieren. Es muss generell darum gehen, wie verhindert werden kann, dass jedes Wochenende Hundertschaften Polizisten Einsatz leisten müssen, um sichere Fussballspiele zu gewährleisten. Das erwartet auch die Bevölkerung.
Und wie wollen Sie das erreichen?
Die KKJPD hat bereits im letzten Jahr eine breite Evaluation des Hooligan-Konkordats veranlasst. Im Ergebnis hat sich gezeigt, dass in diesem Bereich keine zusätzlichen polizeilichen Instrumente notwendig sind. Es mangelt aber an einem einheitlichen Vollzug des Konkordats. Es werden auch nicht sämtliche Instrumente eingesetzt. Die KKJPD hat daraufhin eine Taskforce eingesetzt, die sich aus Vertretungen der Kantone, Polizeikorps, Vereine, der Liga, Fanarbeit und Fanorganisationen zusammensetzt. Die Taskforce soll bis im nächsten Frühling mögliche Lösungen präsentieren. Dazu zählen insbesondere die Ausweispflicht und Kombitickets oder allenfalls wirksame Alternativen im Bereich der Fantransporte.
Das sind Massnahmen, die das verschärfte Hooligan-Konkordat bereits vorsieht, aber bis jetzt kein Kanton für Fussballspiele umgesetzt hat.
Der Kanton Wallis hat mit dem FC Sion diesen Sommer entschieden, aufpersonalisierte Tickets zu setzen. Wegen eines Fan-Boykotts wurde die Massnahme aber wieder aufgehoben. Das zeigt, dass die Massnahmen gesamtschweizerisch umgesetzt werden müssen. Ich hoffe, die jüngsten Ausschreitungen in Zürich und Luzern werden als Weckruf verstanden.
Und wenn sich im kommenden Frühjahr die Kantone weder einigen noch durchsetzen?
Ich hoffe wirklich, dass wir die Diskussion nun ernsthaft führen und zu gemeinsamen Lösungen im Bereich Fantransport und der Frage personalisierter Tickets kommen können. Die Taskforce wird sich jetzt mit Vor- und Nachteilen dieser Massnahmen befassen und hoffentlich von allen Bewilligungsbehörden akzeptierte Vorschläge vorlegen. Wir riskieren sonst, dass das Gewaltproblem rund um Fussballspiele weiter andauert. Die KKJPD selber kann dieses Problem nicht lösen. Es stehen ihr keine Weisungsbefugnisse zu.
In Zürich brachten die Chaoten sogar eine Leiter ins Stadion. Wie kann das passieren?
Das ist mir ehrlich gesagt auch ein Rätsel. Weil die Vorfälle im Stadion passiert sind, ist aber der Klub verantwortlich. Er muss die Schwachstellen und die Verantwortlichen identifizieren. Auch die Liga hat ein Verfahren eröffnet.
Der Gebrauch von pyrotechnischem Material ist ein Verstoss gegen das Sprengstoffgesetz und trotzdem ist in jedem Stadion erst einmal der Heimklub verantwortlich. Macht das Gärtlidenken überhaupt Sinn?
Auf jeden Fall. Die Verantwortlichkeiten sind damit klar abgesteckt: Klub, Stadt und Kanton wissen so genau, wer wofür zuständig ist.
Das hält die Chaoten nicht davon ab, auch in Bahnhöfen Petarden zu zünden und sich mit Polizisten anzulegen, wie der Vorfall in Luzern gezeigt hat. Müssen Sie jetzt allen empfehlen, nach einem Fussballspiel den Bahnhof zu meiden?
Solche Vorfälle sind zum Glück nicht die Regel. Aber es ist leider schon länger Vorsicht geboten, wenn Gästefans mit Extrazügen an- oder abreisen. Wobei hier die Begleitung durch die Fanarbeit in vielen Fällen gut funktioniert, manchmal weniger.
Wie wichtig ist die Fanarbeit Ihrer Ansicht nach?
Sie ist ein sehr wichtiger Bestandteil des Sicherheitskonzeptes und hat sich bewährt. Aber sie erreicht jenen harten Kern von Chaoten nicht, der sich in der grossen Mehrheit friedlicher Fans verstecken kann.
Das wird sich doch auch mit Ausweispflicht nicht verhindern lassen, wenn sich die Chaoten im Stadion vermummen oder umziehen können.
Immerhin wüssten wir dann, wer sich im Stadion befindet. Und der Abgleich mit der Hooligan-Datenbank wäre schneller und lückenloser möglich. Ein Kombiticket würde schon eine bessere Kontrolle für die An- und Abreise ermöglichen.
Wenn Sie diese Massnahmen befürworten: Warum gelten sie dann nicht schon an Heimspielen des FC St.Gallen?
Bei uns ist die Stadtpolizei zuständig und die Stadt Bewilligungsbehörde. Solche Massnahmen liegen nicht in der Kompetenz des Kantons. Aber wie das Beispiel von Sion zeigt, macht nur ein geschlossenes Vorgehen aller Bewilligungsbehörden Sinn.
Und wenn Sie die Sicherheit rund um Fussballspiele dem Bund delegieren?
Das käme einer Bankrotterklärung der Kantone gleich! Sie sind für die Sicherheit verantwortlich und nehmen diese Verantwortung auch so gut wie möglich wahr.
Aktuell kommt nur ins Stadion, wer ein gültiges Zertifikat hat. Die Gelegenheit wäre doch günstig, jetzt auch die ID-Pflicht einzuführen.
Lange galt die ID-Pflicht als technisch nicht umsetzbar. Was bei Eishockeyspielen mit 5000 Fans funktioniert, sei bei Fussballspielen mit 20’000 Zuschauern zu aufwendig. Das Argument zählt jetzt definitiv nicht mehr, weil die Zertifikatskontrollen funktionieren.
Die Härtefallhilfe während der Pandemie zeigt, dass die Sportklubs stark von Zuschauereinnahmen leben. Scheuen sich die Klubs deshalb, Fans und Chaoten zu trennen?
Das glaube ich nicht, weil dann nur die Billetteinnahmen von einer Handvoll Personen fehlen würden. Ausserdem tragen die Klubs heute in verschiedenen Kantonen jenen Teil der Polizeikosten, die über ein Basis-Angebot hinausgehen. Auf diese Zusatzkosten würden die Klubs gerne verzichten. Es ist wohl eher der Respekt vor einem allfälligen Alleingang und dessen Konsequenzen, was nicht unbegründet ist, wie sich beim FC Sion gezeigt hat. Auch mit solchen Fragen wird sich die Taskforce auseinandersetzen.
Die Schweizer Fussball-Liga würde Hand bieten. Liga-CEO Claudius Schäfer hat kürzlich im Blick betont, er erwarte, dass die Kantone die Massnahmen aus dem Hooligan-Konkordat auch umsetzen. Ist das Konkordat eine Fehlkonstruktion?
Nein: Die Überprüfung hat ergeben, dass keine zusätzlichen Instrumente notwendig sind. Das Konkordat wird aber leider nicht einheitlich umgesetzt und es werden auch nicht sämtliche denkbaren Instrumente zur Anwendung gebracht. Nun gilt es darum, gemeinsam die Bemühungen zu verstärken. Möglicherweise haben die Kantone mit Reaktionen zu lange zugewartet. Gewalt im Sinne von Schlägerei unter Fangruppen hat es schon in meiner Jugend gegeben. Ausschreitungen, wie wir sie heute kennen, gab es damals aber noch nicht. Die Situation hat sich deutlich akzentuiert. Allerdings haben auch andere Länder mit diesem Problem zu kämpfen.
Neben den Fussballspielen dürften auch Coronademos den Polizistinnen und Polizisten zusetzen. Wie lange halten die Korps die zusätzliche Belastung noch aus?
Das trifft zu. Was die Polizistinnen und Polizisten vermehrt beschäftigt, sind gewalttätige Auseinandersetzungen an den Wochenenden, auch unter Einsatz von Messern. Wir führen auch das auf die aufgrund von Covid generell sehr aufgeladene und angespannte Situation zurück. Umso stärker sind wir aufgefordert, nun im Bereich der Fussballspiele zu reagieren.
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Fredy Fässler (62) ist seit 2012 Mitglied der St.Galler Regierung und steht seither dem Sicherheits- und Justizdepartement des Kantons St.Gallen vor. Zuvor gehörte der SP-Politiker von 1992 bis 2012 dem Kantonsparlament an. Seit dem 12. November 2020 präsidiert Fässler die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) und ist damit oberster Polizeidirektor.
(https://www.tagblatt.ch/zentralschweiz/luzern/interview-oberster-kantonaler-polizeidirektor-hoffe-dass-wir-beim-fantransport-und-personalisierten-tickets-loesungen-finden-ld.2206659)
-> https://www.blick.ch/schweiz/oberster-sicherheitsdirektor-fredy-faessler-fordert-ausweis-pflicht-in-stadien-fan-arbeit-erreicht-die-chaoten-nicht-id16945208.html
-> https://www.nau.ch/sport/fussball/super-league-kkjpd-prasi-fassler-will-harter-strafen-gegen-chaoten-66032806
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So lief die Pyro-Attacke im Zürcher Letzigrund ab
Der Zürcher Grasshopper Club hat Details zur Pyro-Attacke am vergangenen Wochenende veröffentlicht. Mittels Videomaterial wurde das Vorgehen der FCZ-Fans, die nach dem Spiel Feuerwerk in den Sektor der gegenerischen Fans warfen, rekonstruiert. GC droht den Tätern mit lebenslangem Stadionverbot.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/so-lief-die-pyro-attacke-im-zuercher-letzigrund-ab?id=12081915
+++KNAST
Psychiater von Brian vor Gericht: Richter wollen im November ein Urteil fällen.
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/so-lief-die-pyro-attacke-im-zuercher-letzigrund-ab?id=12081915 (ab 10:15)
+++BIG BROTHER
G20 als Datengewinnungsparadies
Vier Jahre nach dem G20-Gipfel in Hamburg: Die Polizeidatenbank »Schwarzer Block« führt 7578 Beschuldigte und Verdächtigte. Es ist die größte Crime-Datenbank der Hamburger Polizei. Löschen will die Polizei sie nicht.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158138.g-in-rom-und-hamburg-g-als-datengewinnungsparadies.html
+++POLICE BE
Reitschule: Wo die Polizei mit Verve ermittelt
Während Zertifikatsgegner:innen mit Rechtsextremen in der Berner Altstadt demonstrierten, umstellte die Berner Kantonspolizei mit einem Grossaufgebot die Reitschule. Die Gründe dafür bleiben im Dunkeln.
https://www.woz.ch/2143/reitschule/wo-die-polizei-mit-verve-ermittelt
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derbund.ch 29.10.2021
Nach Steinwürfen auf Polizei: Staatsanwaltschaft lehnte Razzia in Reitschule ab
Recherchen zeigen: Nach den Angriffen auf die Polizei letzten Samstag wollte diese die Reitschule durchsuchen. Doch daraus wurde nichts.
Michael Bucher
Es war ein Bild mit Seltenheitswert. Und symbolischer Sprengkraft. Es ist Samstagnachmittag vor einer Woche, irgendwann zwischen 16 und 17 Uhr. Die Polizei hat soeben die Reitschule umstellt. Eine Kette von Polizisten in Vollmontur riegelt das Gebäude komplett ab. Etliche Kastenwagen stehen auf der «Schütz». Vor Ort ist auch Manuel Willi, Chef der Regionalpolizei Bern.
Zuvor sind laut Angaben der Kantonspolizei Bern mehrere Dutzend Vermummte aus der Reithalle gestürmt und haben eine Polizeipatrouille mit Steinwürfen attackiert. Auch ein Reisecar wurde demoliert. Darin sassen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der bewilligten Kundgebung gegen die Corona-Massnahmen, welche an diesem Nachmittag in Bern stattfand. Danach zogen sich die Angreifer in die Reithalle zurück.
Weil die Polizei aufgrund der Kundgebung sowieso mit einem Grossaufgebot in der Stadt präsent ist, dauert es nicht lange, und auf der Schützenmatte wimmelt es von Einsatzkräften. Alles deutet darauf hin, dass die Polizei plant, in die Reitschule einzudringen. Eine Razzia im autonomen Kulturzentrum Berns – das gabs letztmals vor rund zehn Jahren. Im Gebäude wurde damals eine Hanf-Indooranlage vermutet, gefunden wurde allerdings nichts. Auch damals umstellte die Polizei die Reitschule komplett.
Allgemeines Schweigen
Letzten Samstag gehen vor Ort denn auch schnell die Gerüchte um, die Polizei plane eine Hausdurchsuchung. Man warte nur noch auf grünes Licht von der Staatsanwaltschaft, welche solche Aktionen zuvor absegnen muss. Die Belagerung macht offenbar auch in reitschulnahen Kreisen schnell die Runde. So tauchen schon bald einmal Gruppen von Linksautonomen auf, um ihre Präsenz auf der «Schütz» zu markieren.
Dann, kurz vor 18 Uhr, zieht sich die Polizei plötzlich wieder zurück. Was war geschehen? Auf die Frage dieser Zeitung, ob eine Hausdurchsuchung geplant war, meint die Medienstelle der Kantonspolizei, man mache grundsätzlich keine Angaben zu einzelnen Ermittlungsschritten. Auch die Staatsanwaltschaft hüllt sich in Schweigen. Ihr Informationsbeauftragter Christof Scheurer meint einzig: «Weil letztlich keine Durchsuchung stattfand, erübrigt sich die Frage nach einem Durchsuchungsbefehl.» Und Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause (Die Mitte) will sich ebenso wenig zu der delikaten Angelegenheit äussern.
Tor war geschlossen
Recherchen dieser Zeitung zeigen jedoch, dass die Polizei tatsächlich plante, in die Reitschule einzudringen. Doch die Staatsanwaltschaft weigerte sich, den nötigen Durchsuchungsbefehl auszustellen. Dies bestätigen zwei sichere Quellen, welche der Polizei nahestehen. Über die Gründe für die Ablehnung der Staatsanwaltschaft wissen allerdings auch sie nichts.
Die Polizei wollte sich offenbar rechtlich absichern. Denn die Reitschule war am Samstagnachmittag geschlossen. Die Polizei hätte also das grosse Eingangstor aufbrechen müssen, so eine der anonymen Quellen. Deshalb wurde ein Durchsuchungsbefehl beantragt. Ein solcher muss laut Schweizerischer Strafprozessordnung schriftlich vorliegen. In dringenden Fällen kann eine Durchsuchung auch mündlich angeordnet werden, sie muss allerdings nachträglich schriftlich bestätigt werden.
Einmalige Chance verpasst
Es scheint, als wäre der Polizei letzten Samstag eine einmalige Gelegenheit durch die Lappen gegangen, um ein paar Täter aus dem linksextremen Milieu zu schnappen. Denn die Voraussetzungen dafür hätten für sie idealer nicht sein können. Es war helllichter Tag, die Reitschule und der Vorplatz praktisch leer und das Gebäude mit einem Grossaufgebot abgeriegelt. Kommt es vor, dass nach Angriffen auf Polizisten die Täter in die Reitschule flüchten, so ist diese in der Regel im nächtlichen Vollbetrieb. Die Polizei unterlässt es in solchen Fällen jeweils aus Gründen der Verhältnismässigkeit, den Tätern ins belebte Gebäude zu folgen.
Der Frust im Polizeikorps über diese vereitelte Möglichkeit muss gross sein. Dies bestätigt auch eine polizeinahe Quelle – wobei zweifelhaft ist, ob sich die Täter zum Zeitpunkt der Einkesselung tatsächlich noch im Gebäude befanden. Andere hingegen freuen sich über die gescheiterte Razzia. «Reitschule bleibt polizeifrei», jubelte etwa die Anarchistische Gruppe Bern im Anschluss auf Twitter.
(https://www.derbund.ch/staatsanwaltschaft-lehnte-razzia-in-reitschule-ab-398642531474)
-> https://www.20min.ch/story/berner-polizei-umstellte-die-reitschule-und-musste-wieder-gehen-369690923938
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Nachfolge von Christian Brenzikofer: Urner Polizeikommandant Pfister wechselt zur Kapo Bern
Reto Pfister wird neuer Chef Ressourcen und Dienstleistungen bei der Kantonspolizei Bern.
https://www.derbund.ch/urner-polizeikommandant-pfister-wechselt-zur-kantonspolizei-bern-730679756789
-> Zu Pfisters Vergangenheit: https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/uri/kritik-an-polizei-kommandant-wehrt-sich-ld.1095738
+++RECHTSPOPULISMUS
Kleine Anfrage Janosch Weyermann, Thomas Fuchs (SVP): Gewaltbereiten Extremismus in Bern ächten – Reitschule, Massnahmen gegen gewaltbereiten Extremismus
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=a7f1c15c4f104258a72c83b52cd3de96
Kleine Anfrage Fraktion SVP (Alexander Feuz/Thomas Glauser, SVP): Verlegung der Drogenanalaufstelle: falsche Angaben des Stadtpräsidenten betreffend Zugang an die Holderstrasse – Antwort des Regierungsrates: verzichtet der Gemeinderat jetzt auf das umstrittene Projekt? Müssen die Schüler der NMS weiterhin zittern?
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=4a30b9fde6b848699ff1db8567b0a0c6
+++RECHTSEXTREMISMUS
Léa Baeriswyl : une néonazie en Une du Nouvelliste
La militante néonazie valaisanne Léa Baeriswyl a récemment fait la Une du Nouvelliste. L’occasion de revenir sur ses activités au sein de l’extrême-droite suisse.
https://renverse.co/infos-locales/article/lea-baeriswyl-une-neonazie-en-une-du-nouvelliste-3267
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
SVP-Lothe greift Freiheitstrychler in Giswil an: «Schämt Euch!»
Sie selbst ist kein Fan des Covid-Gesetzes. Doch was die Freiheitstrychler am Mittwochabend vor dem Altersheim in Giswil OW veranstalteten, geht SVP-Politikerin Camille Lothe zu weit.
https://www.blick.ch/politik/svp-lothe-greift-freiheitstrychler-in-giswil-an-schaemt-euch-id16946015.html
Trump habe Wahl gewonnen: SVP-Unterwallis-Präsident vertritt Verschwörungstheorien
Der frisch gewählte Präsident der SVP Unterwallis, Donald Moos, sorgt für Irritationen. In sozialen Netzwerken vertritt Moos Ansichten, die Verschwörungstheorien ähneln. In einem Interview mit dem Walliser «Nouvelliste» verteidigte Moos seine Ansichten.
https://www.blick.ch/news/trump-habe-wahl-gewonnen-svp-unterwallis-praesident-vertritt-verschwoerungstheorien-id16944498.html
-> https://kanal9.ch/tagesinfo-vom-29-10-2021/ (ab 04:47)
-> Paywall: https://www.lenouvelliste.ch/articles/valais/canton/le-virus-comme-arme-biologique-lelection-americaine-letat-profond-les-theses-complotistes-de-donald-moos-president-de-ludcvr-1123454
Ruhiger Donnerstagabend: War die bewilligte Corona-Grossdemo das Ventil?
Trotz Befürchtungen von Sicherheitsdirektor Reto Nause blieb es gestern Abend ruhig in Bern. Massnahmenkritiker waren nur vereinzelt unterwegs. Ist dafür die bewilligte Corona-Demo am letzten Samstag verantwortlich?
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/ruhiger-donnerstagabend-war-die-bewilligte-corona-grossdemo-das-ventil-144175909
Coronavirus: Winterthurer Beck versteckt Anti-Covid-Parolen
Der Winterthurer «Holzofe Beck» sorgt mit Werbung gegen das Coronavirus für Aufsehen. Als Nau.ch auftaucht, schaltet er seine Werbung weg.
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-winterthurer-beck-versteckt-anti-covid-parolen-66030949
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landbote.ch 26.10.2021
Antisemitismus in Winterthur: Der Bäckermeister und die jüdische Weltverschwörung
Der Grabe- und Holzofebeck-Inhaber und Fotograf Urs Gerber macht nicht nur Stimmung gegen die Pandemiemassnahmen, sondern auch gegen eine angebliche jüdische Elite, die die Welt unterjoche. Das könnte strafrechtliche Folgen haben.
Jonas Keller
Die Behauptungen und Vorwürfe zur Pandemiebekämpfung, die Bäckereibesitzer Urs Gerber in seinen zwei Winterthurer Filialen verbreitet, sind nur die Spitze des Eisbergs. Das zeigt ein Blick auf die Website seines Fotostudios, die sich diese Zeitung nach Leserhinweisen angeschaut hat.
Bekannte antisemitische Verleumdungen
Darauf finden sich 29 Videos mit weiteren Verschwörungstheorien. 18 davon wurden von einer niederländischen Anhängerin des extremistischen amerikanischen Onlinekults QAnon produziert. Sie handeln von einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung. Schon seit Jahrtausenden, heisst es darin, seien Juden zentralasiatischer Herkunft bekannt als Diebe, Kindermörder, Kannibalen, Teufelsanbeter und «Meister der Täuschung». Bis heute würden sie morden, betrügen und Naturkatastrophen auslösen.
«Es handelt sich dabei um Paradebeispiele von Vorurteilen gegen Juden», so die Einschätzung von Dina Wyler von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. «Die Verbindung zum Teufel und zum Kindsmord sind typische Beispiele dieser uralten antisemitischen Legenden.»
Die Videos gehen allerdings noch weiter: Heimlich würden diese Juden in aller Welt darauf hinarbeiten, einen Grossteil der Menschheit zu ermorden und die Welt unter ihre Kontrolle zu bringen. Unter anderem seien die Spanische Grippe von 1918 und der Völkermord der Nazis an den europäischen Juden von dieser «Kabale» organisiert worden – und nun auch die Corona-Pandemie. Covid-19 sei dabei nur eine Lüge – die Impfung werde für 5G-Strahlung («die ultimative Waffe der Kabale») empfänglicher machen, sodass diese «Millionen von Menschen auf einen Schlag töten» könne. Danach würde die «Kabale» über die ganze Welt herrschen.
Auch das, so die Rassismusexpertin Wyler, sei im Grundsatz eine jahrhundertealte antisemitische Verschwörungstheorie, die hier neu verpackt werde.
«Nur Aufklärung»
Gerber kontert, er mache in «keiner Weise» Stimmung gegen Juden. Er sehe nur die «khasarische Kabale», wie diese Gruppe in den Videos genannt wird, als bösen Einfluss, der aus dem Hintergrund das weltweite Geschehen beeinflusse oder gar steuere. «Da ziehe ich eine klare Linie zu Juden, wie ich sie kenne», sagt Gerber. Er wolle sich auch nicht für jedes Detail in den Videos verbürgen. Der Grundthese, dass diese Gruppe die Welt manipuliere und vollständig kontrollieren wolle, stimme er aber zu. Er habe auch viele Freunde, die diese Ansicht teilen würden.
Hass verbreite er damit nicht, ist Gerber überzeugt. «Es handelt sich nur um Aufklärung ohne böse Absicht.» In seinen Bäckereien würde er diese Inhalte, im Gegensatz zu «Informationen zur Pandemie», trotzdem nicht teilen. «Für Leute, die sich nie damit befasst haben, ist das zu heftig. Da bin ich vorsichtig.» Er sehe aber auf jeden Fall eine Verbindung der «Kabale» zur Covid-Pandemie.
9/11 als Auslöser
Begonnen, sagt Gerber, habe seine Beschäftigung damit bereits vor Jahren mit Zweifeln an der offiziellen Version zu 9/11. Durch verschiedene Onlinequellen sei er schliesslich zur Überzeugung gelangt, dass die offizielle Version unmöglich und Teil eines langfristigen Plans sei.
Doch erst im August 2020 verbreitete er erstmals selbst Verschwörungstheorien auf seiner Website, wie alte Versionen der Seite zeigen. Damals teilte er die Predigt des Pfarrers einer süddeutschen Freikirchengemeinde. Dieser sprach von den Massnahmen zur Eindämmung der Pandemie als «satanisch bösartige Eingriffe» mit klarem Ziel: «Totale Unterjochung unter einer Elite, die wir nicht einmal kennen.» Die aktuelle Sammlung an Videos, die auf Youtube zuvor entfernt wurden, hat Gerber erst im letzten halben Jahr aufgeschaltet. Löschen werde er sie nicht, sagt er.
Weiss Gerber, dass antisemitische Äusserungen und Verleugnungen der Holocaust-Schuld in der Schweiz strafbar sind? «Ich habe mich noch nie über den Holocaust geäussert und bin genauso entsetzt darüber wie wir alle», sagt er. «Aber zu sagen, dass die khasarische Kabale dahinter steckt, kann ja nicht strafbar sein.»
Da widerspricht ihm die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR). «Die Verbreitung des antisemitischen Narrativs einer jüdischen Verschwörung oder einer jüdischen Weltherrschaft kann strafrechtlich relevant sein, wenn damit Hass gegen Juden geschürt wird», teilt EKR-Geschäftsführerin Alma Wiecken mit. «Dass von ‹kasachischen Juden› gesprochen wird, ist für die rechtliche Beurteilung nicht relevant.»
Strafrechtlich ebenfalls kritisch könne es sein, den Opfern eine Mitschuld am Völkermord zu geben, indem dieser als jüdischer Komplott dargestellt wird. Ein Verstoss gegen die Rassismus-Strafnorm ist ein Offizialdelikt – die Behörden müssen dies von sich aus verfolgen, wenn sie davon wissen, und nicht auf eine Anzeige von Geschädigten warten.
Und solche Geschädigte könne es geben, warnt Dina Wyler. «Radikalisierung beginnt im Kopf. Extremistische Sprache senkt die Hemmschwelle zur Gewalt.» Darauf deuten auch Studien des ZHAW-Professors Dirk Baier zum Zusammenhang zwischen Verschwörungsdenken und Gewalt hin. «Dieses Denken ist oftmals nicht harmlos, sondern ein Treiber extremistischer Gewalt», sagt Baier. «Wenn man in Feindbildern denkt, ist es der nächste Schritt, diese vermeintlichen Feinde zu bekämpfen.»
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Anmerkung der Redaktion: Nach dem Erscheinen dieses Artikels hat der Bäckereiinhaber Urs Gerber die im Text erwähnten 18 Videos einer niederländischen Anhängerin des extremistischen amerikanischen Onlinekults QAnon von seiner Webseite entfernt.
(https://www.landbote.ch/der-baeckermeister-und-die-juedische-weltverschwoerung-136953537988)
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Walliser Bote 29.10.2021
Zweiter Einsatz: Polizei-Grossaufgebot räumt «Walliserkanne» am Freitagabend erneut
Am späten Freitagabend hat ein Grossaufgebot an Polizisten die «Walliserkanne in Zermatt erneut geräumt.
Norbert Zengaffinen
Welch ein Theater im mondänen, im Normallfall auf absolute Diskretion bedachten Zermatt: Am Freitagmorgen nach zehn Uhr räumte die Polizei das Restaurant «Walliserkanne» an bester Adresse an der Bahnhofstrasse in Zermatt. Die beiden Walliser Staatsräte Frédéric Favre, Polizeidepartement (FDP), und Mathias Reynard, Gesundheitsdepartement (SP), haben dies zuvor per staatsrätlich Verfügung angeordnet.
Grund: Die Betreiber des Restaurants weigern sich seit Inkraftsetzung die Covid-Verordnung Zertifikate des Bundesrats umzusetzen, wonach nur Gäste mit Covid-Zertifikat den Innenraum des Restaurants nutzen können. Die Betreiber weigern sich stur, Gäste auf das Covid-Zertifikat zu kontrollieren.
Am Freitagmorgen eskalierte die Situation vollends. Nach der Räumung des Lokals durch Polizeibeamte versiegelten diese die Eingangstüre der «Walliserkanne». Der Betreiber rastet aus, beruft sich auf seine Wirtschaftsfreiheit und reisst die Versiegelung herunter. Eine erneute Straftat. Und öffnet das Restaurant wieder.
Der Staat muss Härte zeigen
Bereits am Freitagnachmittag war die Gartenterrasse wieder gut besetzt mit Gästen. Am Abend dann strömen viele Personen ins Restaurant, um zu essen.
Was die ahnungslosen Gäste nicht wissen, eingangs Zermatt bereitet sich ein Grossaufgebot von rund 20 Polizisten vor, das Lokal erneut zu räumen und zu versiegeln.
Nach 22 Uhr ist es dann so weit. Rund zwölf Polizisten mit Schutzmasken betreten die «Walliserkanne». Die restlichen Beamten postieren sich vor dem Lokal. Und fordern die essenden Gäste auf, das Lokal zu verlassen. Gegen 23 Uhr ist das Lokal leergefegt.
Ob die «Walliserkanne» nach dem zweiten Polizeieinsatz am Freitagabend erneut versiegelt wurde und der Betreiber des Restaurants sogar auf richterliche Anordnung in Haft genommen wurde, war bei Redaktionsschluss nicht mehr in Erfahrung zu bringen.
(https://new.rro.ch/story/polizeigrossaufgebot-r%C3%A4umt-walliserkanne-am-freitagabend-erneut/41674)
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Walliser Bote 29.10.2021
Staatsrat greift ein
Trotz Polizeieinsatz – «Walliserkanne» bleibt vorerst offen
Der Wirt der «Walliserkanne» in Zermatt foutiert sich um eine Schliessungsanordnung des Kantons.
Rebecca Schüpfer|Adrien Woeffray|Martin Meul|Norbert Zengaffinen
Ivan Aufdenblatten, er führt die «Walliserkanne» zusammen mit seinem Bruder, ist ein paar Stunden zuvor gar nicht begeistert davon, dass die Polizisten zunächst die Gäste des Restaurants auffordern zu gehen, dann die Eingangstür mit einem amtlichen Siegel versehen.
Aufdenblatten hält die Szene mit seinem Handy in voller Länge fest, das Video kursiert in den sozialen Medien.
Das Erste, was vom Wirt zu hören ist, sind die Worte: «Das gibt eine saftige Klage.» Aufdenblatten wiederholt diese Worte, bevor er dazu übergeht, die Beamten direkt zu beleidigen. Die Worte «Drecksbullen» fallen.
Die Beamten bleiben gelassen, ignorieren den zunehmend tobenden Wirt. Er fordert die Beamten auf, sein Lokal zu verlassen, immerhin hätten sie ja die Tür versiegelt.
Einer der Beamten versucht Aufdenblatten zu erklären, was passieren wird, sollte dieser das Siegel brechen. Die Worte des Polizisten gehen in einer Schimpftirade des Wirts unter.
«Ihr seid Lachnummern», brüllt er den Beamten hinterher.
Dann öffnet Aufdenblatten die Türe des Restaurants, bricht damit das amtliche Siegel. «Sie machen sich strafbar», sagt einer der Polizisten. Aufdenblatten solle sich für eine Einvernahme zur Verfügung halten.
Der Wirt dreht zunehmend auf, er breche kein Gesetz. «Vielleicht muss ich mir auch eine Pistole besorgen», sagt er. Immerhin seien die Polizeibeamten ja auch bewaffnet.
Trotz dieser Drohung, die Handschellen klicken nicht. Aufdenblatten verzieht sich wieder ins Restaurant. «Wir haben geöffnet», sagt er zu einer seiner Angestellten.
Wieder draussen bei den Beamten, sagt Aufdenblatten: «Ich habe das Recht auf Menschsein.» Die Polizisten erklären ihm derweil, dass die Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl prüfen werde.
Zwischendurch wiederholt Aufdenblatten auch seine Theorien, die ihn und seinen Bruder schon mehrfach in die Schlagzeilen gebracht haben. «Corona ist nicht existent. Bis heute hat niemand das Coronavirus nachgewiesen.»
Dann endet das Video. Die Beamten scheinen das Restaurant verlassen zu haben. Aufdenblatten haben sie nicht mitgenommen.
Wieder geöffnet
Aufdenblattens Ausbruch, seine Drohungen gegen die Beamten, die Missachtung des amtlichen Siegels: Das alles bleibt für ihn zumindest vorerst ohne Konsequenzen.
Zwar hat die Walliser Kantonspolizei Anzeige gegen den Wirt erstattet, die Schliessungsverfügung allerdings wurde nicht direkt durchgesetzt.
Am späteren Nachmittag erklärt eine Mitarbeiterin auf die Frage des «Walliser Boten», ob das Restaurant geschlossen sei: «Nein, wir haben geöffnet.»
Ähnlich tönt es auch in einem Interview, das Ivan Aufdenblatten dem TV-Sender Kanal 9 gibt. Er sagt: «Kein Problem, jeder ist willkommen, auch heute.»
Kuschen die Walliser Behörden vor dem renitenten Zermatter Wirt? Sicherheitsdirektor Frédéric Favre äussert sich auf eine entsprechende Frage nur vage. «Der Staatsrat wird alles unternehmen, damit die Schliessungsverfügung durchgesetzt wird.»
Für Fragen, ob Aufdenblatten mit einem Haftbefehl rechnen müsse und welche Konsequenzen sein Verhalten haben könnte, verweist Favre an die Staatsanwaltschaft.
Diese gibt sich am Freitag aber ebenfalls bedeckt: «Laufendes Verfahren».
Gegenüber dem «Walliser Boten» will sich Ivan Aufdenblatten nicht direkt zu der Angelegenheit äussern. Man habe beschlossen, nicht mehr mit dem «Walliser Boten» zu sprechen, lässt sein Vater Andreas Aufdenblatten ausrichten. Der Grund: zu viel schlechte Presse.
Die Episode vom Freitag ist nur eine von vielen in der «Walliserkanne». Seit Einführung der Zertifikatspflicht kritisieren die Brüder Ivan und Patrik Aufdenblatten die Massnahmen immer wieder, brüsten sich mit deren Missachtung.
Es ist deshalb auch nicht das erste Mal, dass die Behörden im Restaurant auftauchen. «Zum 15. oder 16. Mal war die Polizei jetzt hier», sagt Ivan Aufdenblatten im Interview mit Kanal 9. Dass es am Freitag das letzte Mal gewesen ist, darf bezweifelt werden.
(https://new.rro.ch/story/trotz-polizeieinsatz–walliserkanne-bleibt-vorerst-offen/41630)
-> Eklat in Zermatt (ab 02:14): https://kanal9.ch/tagesinfo-vom-29-10-2021/
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Walliser Bote 19.10.2021
Klage gegen Staatsräte – Walliserkanne: Zermatter Wirte halten Polizei und Staat zum Narren
Apartheids-Vergleiche, Wut auf Behörden, Untergangsfantasien: Die Besitzer der Walliserkanne rufen zum Widerstand auf, verklagen die Regierung. Und mieten eine Beiz im Kanton Schwyz.
Samuel Burgener|Fabio Pacozzi
Kla.tv ist ein deutsches Internetportal aus der Szene der Verschwörungstheoretiker, Impfgegner, Corona-Leugner, Antidemokraten. Vor wenigen Tagen hat das Portal ein Video hochgeschaltet, das mittlerweile im Oberwallis viral geht. Es ist ein Video aus der Schweiz. Darin zu sehen sind die Brüder Patrik und Ivan Aufdenblatten aus Zermatt.
Die Aufdenblattens sind die Besitzer des traditionsreichen Restaurants Walliserkanne an der Bahnhofstrasse in Zermatt. Patrik Aufdenblatten ist mittlerweile zum wohl berühmtesten Vertreter der Corona-Leugner und Massnahmen-Skeptiker im Oberwallis geworden und hat durch Berichte in den Medien gar nationale Bekanntheit erlangt. Er wettert seit Monaten gegen Behörden, Beamte und Wissenschaftler, gegen Gesetze und Vorgaben. Seit Monaten verstösst er gegen das Gesetz.
Die Aufdenblattens ignorieren in ihrer Beiz die Masken- und Zertifikatspflicht. Sie rufen auf Facebook zu Widerstand gegen die Massnahmen auf und erhalten viel Zuspruch. Das Video von Kla.tv gibt einen Einblick in die Gedankenwelt der Aufdenblattens, die immer schriller zu werden scheint.
Wie Waldorf und Statler
Die Aufdenblattens sitzen in der Walliserkanne an einem Tisch, vor ihnen zwei Gläser Wasser. Ein bisschen wirken sie wie eine junge Version von Waldorf und Statler, den zwei alten Herren von der Muppet Show, die gegen alles und jeden zetern. Die Ausführungen der Aufdenblattens sind ein wirres Sammelsurium von anti-staatlichen, aufhetzenden Aussagen. Die Aufdenblattens leugnen die Pandemie, ziehen Apartheidsvergleiche und künden weiteren Widerstand gegen die Behörden an. Sie sagen beispielsweise:
«Es ist nicht nachgewiesen, dass es eine Pandemie gibt. Es gibt keine Pandemie. Es gibt keine Epidemie.»
«Es gibt das Virus nicht in dem Ausmass, in dem es den Leuten schmackhaft gemacht wird.»
«Das Ganze ist mittlerweile eine komische Geschichte.»
«Wir handeln nach dem Gesetz. Die Politiker machen das Gegenteil. Sie machen alles, was gesetzeswidrig ist.»
«Wir wünschen uns, dass sich mehr Menschen gegen das gesetzeswidrige Handeln des Bundesrates wehren.»
«Wir entscheiden. Nicht die Politiker.»
«Jetzt ist hoffentlich mal Schluss mit dieser korrupten Regierung. Schluss mit der absoluten Überwachung und der totalen Kontrolle.»
«Wir wollen das Apartheidsregime nicht unterstützen.»
«Es ist eine Diktatur und Zweiklassengesellschaft. Lügengebilde.»
«Die Medien sind voller Zensur. Die Politiker lügen wie gedruckt. Und die Medien drucken, was die Politiker lügen.»
Und so weiter.
Man könnte die Ideen und Aussagen der Aufdenblattens als übliches Gefasel aus der Ecke der Verschwörungstheoretiker bezeichnen. Doch die Sache ist komplizierter. Die Walliserkanne ist ein Traditionshaus an allerbester Lage, sie hat viele Stammgäste und ist weitherum bekannt. Für den Weltkurort Zermatt geht es auch um Reputation. Beim Gemeinderat und bei Zermatt Tourismus gab es wiederholt Diskussionen, wie man mit dem Fall umgehen wolle. Dies belegen gut informierte Quellen.
Klage gegen Staatsrat
Auch gibt es immer mehr Restaurant- und Hotelbesitzer, die wegen des Verhaltens der Aufdenblattens verärgert sind. Ein Zermatter Hotelier sagt: «Wenn die Aufdenblattens alle Gäste bedienen dürfen, entsteht für sie ein Wettbewerbsvorteil. Und sowieso ist es untragbar, dass die Behörden und vernünftigen Bürger monatelang veräppelt werden. Wir haben langsam genug.»
Die Reputation von Zermatt und die Reaktionen anderer Wirte sind das eine Problem. Das zweite Problem: Die Aufdenblattens wollen es nicht bei ihren Worten belassen. Sie haben Klage eingereicht. Sie klagen gegen die Regierung, gegen alle involvierten Beamten und vor allem gegen die Walliser Staatsräte. So behaupten sie es.
Ivan Aufdenblatten sagt im Video: «… Darum haben wir sämtliche Bediensteten, Inspektoren, Staatsräte, Staatsanwälte und alles, was dazugehört, angeklagt. Die Klage ist bereits hinterlegt. Es ist von grosser Wichtigkeit, dass das alle tun.»
Was die Aufdenblattens der Regierung genau vorwerfen, bleibt unklar. Es geht um angeblichen Gesetzesbruch. Die Regierung würde die Verfassung ignorieren. Fakt ist: Die Kantonspolizei Wallis sowie die Staatsanwaltschaft Oberwallis wissen nichts von einer Klage gegen Walliser Staatsräte. Der Walliser Generalstaatsanwalt Nicolas Dubuis sagt ebenfalls, dass der Staatsanwaltschaft keine Anzeigen von den Besitzern der Walliserkanne gegen Walliser Staatsräte vorlägen.
Im Video auf Kla.tv verhöhnen die Aufdenblattens die Polizei und kündigen an, sich weiterhin nicht an die Massnahmen des Bundesrates zu halten. Sie sprechen auch über die Einsätze der Gemeinde- und der Kantonspolizei in ihrem Restaurant. Als es anfänglich um das Durchsetzen der Maskenpflicht gegangen sei, seien einmal sechs Polizisten in ihrem Restaurant gewesen, sogar die ranghöchsten des Kantons. «Und siehe da: Wir haben immer noch geöffnet.»
Am 12. September wurde nun die Zertifikatspflicht eingeführt. Die Aufdenblattens kündigten auf Facebook und via verschiedene Medien an, die Anordnungen zu ignorieren. Dann seien auf einmal acht Polizisten ins Restaurant gekommen, um die Zertifikate der Gäste zu kontrollieren. Die Polizisten hätten sich nicht ausgewiesen. Passiert sei seither aber nichts. Es habe keine weiteren Kontrollen gegeben. Die Kantonspolizei Wallis widerspricht dieser Aussage. Es habe in den letzten Wochen mehrere Kontrollen gegeben.
Im Restaurant und auf ihrer Webseite verkünden die Aufdenblattens, dass sie weiterhin alle Gäste willkommen heissen, auch ohne Zertifikat. Und sie gehen noch einen Schritt weiter. Man könnte sagen: Sie expandieren ihr Geschäftsmodell.
«Hölloch» zur Miete
Die Aufdenblattens werden bald einen Betrieb im Kanton Schwyz führen. Es handelt sich um das Restaurant Hölloch in Moutathal. Am 7. Oktober wurde die Beiz auf Geheiss der Schwyzer Kantonsbehörden geschlossen. Dies, weil sich dessen Wirt geflissentlich geweigert hat, die Zertifikate zu kontrollieren. Nun scheint es, als ob der Wirt doch noch einen Weg gefunden hätte, die Schliessung zu umgehen.
Wie der «Bote der Urschweiz» schreibt, wird der Wirt das Lokal für den symbolischen Betrag von einem Franken pro Monat an die Aufdenblattens vermieten. Diese wollen das «Hölloch» ab Mittwoch als «private Stube» führen. In einer solchen dürften sich bis zu 30 Personen aufhalten, auch ohne Zertifikat. Dabei können oder müssen die Gäste Getränke und Essen selbst mitbringen. Wer ein Getränk vom Ausschank konsumiere, könne einen freiwilligen Beitrag in ein Kässeli entrichten.
Der ehemalige Wirt des «Hölloch» lässt verlauten: «Niemand muss dabei Angst haben, gebüsst zu werden, da es sich um eine private Stube handelt.»
Und so bewegen sich die Brüder Aufdenblatten weiter auf einem schmalen Grat. Im Video rufen sie zum gemeinsamen Widerstand auf. Sie fordern die Zuschauer und Zuschauerinnen auf, gegen jede Busse und Verordnung Einsprache einzulegen. Sie geben Tipps, wie man sich gegen behördliche Willkür wehren könne. Und sie fordern, dass so viele Leute wie möglich ebenfalls gegen die Behörden klagen sollten.
Der Walliser Generalstaatsanwalt Nicolas Dubuis lässt derweil verlauten, dass gegen die Walliserkanne aufgrund diverser Vorkommnisse eine Strafuntersuchung eingeleitet worden sei.
Am Schluss dieses eigenartigen Videos stellt sich Ivan Aufdenblatten selbst die Sinnfrage: «Warum machen wir das alles?»
Die Antwort ist eine Untergangsfantasie: «Wir sind die Zukunft. Die Kinder sind die Zukunft. Die Kinder tun uns leid. So, wie unsere Regierung tickt, sehen wir schwarz für die Zukunft unserer Kinder. Und für die Zukunft aller.»
(https://new.rro.ch/story/walliserkanne-zermatter-wirte-halten-polizei-und-staat-zum-narren/40493)
+++HISTORY
Studie geht Zwangsmassnahmen in Gmünden auf den Grund
In der ehemaligen Zwangsarbeitsanstalt Gmünden in Niederteufen AR sind bis Anfang der 1980er-Jahre 1252 Personen, darunter auch Frauen und Jugendliche, gegen ihren Willen interniert worden. Heute präsentierte der Kanton die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Studie.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/studie-geht-zwangsmassnahmen-in-gmuenden-auf-den-grund?id=12081525
-> https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/wir-duerfen-dieses-dunkle-kapitel-nicht-einfach-unter-den-teppich-kehren-00168113/
Aktivistin über koloniales Erbe: „Der Schmerz ist noch präsent“
Wahrscheinlich geraubt und jetzt im Berliner Humboldt Forum: Sylvie Vernyuy Njobati kämpft um die Rückgabe einer Figur mit spiritueller Bedeutung.
https://taz.de/Aktivistin-ueber-koloniales-Erbe/!5808577/
Gedenktafel zum Arbeitslager in Bonstetten ZH – Schweiz Aktuell
In Bonstetten ZH wurde von 1943 bis 1945 ein Arbeitslager für mehrheitlich jüdische Flüchtlinge betrieben. Am Freitag wurde eine Gedenkstätte eingeweiht, die an das Arbeitslager im Zweiten Weltkrieg erinnert.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/gedenktafel-zum-arbeitslager-in-bonstetten-zh?urn=urn:srf:video:7ea9967d-2fff-4841-9726-d47b0fe07f2d
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Ja zu einem Schweizer Ort der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus
Die Kommission beantragt ihrem Rat einstimmig, die Motion Jositsch 21.3172 («Schweizer Ort der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus») anzunehmen. Die Motion verlangt vom Bundesrat, einen offiziellen schweizerischen Gedenkort für die Opfer des Nationalsozialismus – und falls nötig eine entsprechende gesetzliche Grundlage – zu schaffen.
Rehabilitierung von Schweizer Résistance-Kämpfern
Die parlamentarische Initiative Prezioso 21.472 («Rehabilitierung der Schweizerinnen und Schweizer, die in der französischen Résistance gekämpft haben») verlangt die Rehabilitierung der Schweizerinnen und Schweizer, die während dem zweiten Weltkrieg in der französischen Résistance gekämpft hatten. Im Rahmen der Vorprüfung hat die Kommission auch die jüngsten historischen Forschungsarbeiten zum Thema berücksichtigt. Auf dieser Grundlage ist die Kommission zum Schluss gekommen, dass die Situation der Schweizerinnen und Schweizer, die in der Résistance gekämpft hatten, mit derjenigen der Schweizer Spanienfreiweilligen, die vom Parlament im Jahr 2009 rehabilitiert wurden, (06.461 «Rehabilitierung der Schweizer Spanienfreiwilligen»), vergleichbar sei und hat deshalb mit 16 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung beschossen, der parlamentarischen Initiative Folge zu geben. In einem nächsten Schritt wird sich die RK-S im Rahmen der Vorprüfung mit dem Geschäft befassen.
(https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-rk-n-2021-10-29.aspx)
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derbund.ch 29.10.2021
Ein Fremder blickt auf Bern: Der schwarze Mann in der weissen Stadt an der Aare
Angestarrt, bestaunt, ausgegrenzt: Der afroamerikanische Künstler Vincent O. Carter (1924–1983) lebte 30 Jahre in Bern. Jetzt erscheint sein «Bernbuch» endlich in deutscher Sprache.
Alexander Sury
In der Altstadt Berns, Mitte der 1950er-Jahre: Auf der Strasse wird der «Schwarze» angesprochen und auf einen Drink in eine Bar eingeladen. Der Mann entpuppt sich als Werbemanager einer Schweizer Supermarktkette. Er hat ein Jobangebot, das er mit den Worten einleitet: «Sie sind wie geschaffen dafür.» Die Leitung des Bananenverkaufs in einem Supermarkt bietet er ihm an, man würde ihm selbstverständlich auch eine bunte Uniform zur Verfügung stellen. Der Schwarze hört sich das äusserlich ungerührt an, unterdrückt seine aufkeimende Wut, bedankt sich höflich für das Angebot, er sei aber momentan als Autor mit einem «epischen Gedicht» beschäftigt und daher voll ausgelastet.
Der Mann, der hier in freundlich-jovialem Ton ein rassistisch motiviertes Stellenangebot erhielt, hiess Vincent O. Carter, war Afroamerikaner und lebte von 1953 bis zu seinem frühen Tod 1983 in Bern. In seinem Nonkonformisten-Archiv hat der Berner Publizist Fredi Lerch zu Vincent O. Carter notiert: «Der erste Schwarze Berns, Schriftsteller aus den Südstaaten, den es nach Bern verschlagen hatte, hochsensibler Künstler, Maler und später Meditationslehrer von vielen.» Die Bananen-Szene ist im «Bernbook» nachzulesen, das dieser Tage, ein halbes Jahrhundert nach seiner englischen Veröffentlichung, in deutscher Übersetzung erschienen ist.
Geboren 1924 in Kansas City, wuchs Vincent O. Carter als Angehöriger der schwarzen Unterschicht auf, seine Eltern waren bei seiner Geburt noch Teenager. 1944 landete er als Angehöriger der Versorgungstruppen nach der Invasion in der Normandie. Er gehörte zu den gefeierten «Befreiern» von Paris. 1953 kehrte er als Zivilist nach Paris zurück. Nun war der Mann allerdings nicht mehr der umjubelte «Befreier», sondern der misstrauisch beäugte Fremde. Über Stationen in Amsterdam und München traf Vincent O. Carter am 18. Juni 1953 in Bern ein, wo er Freunde besuchen wollte, die auf der amerikanischen Botschaft arbeiteten. Aus einem geplanten Aufenthalt von einigen Wochen wurden 30 Jahre.
«Du schämst dich, ein Schwarzer zu sein»
Carter sei nicht der erste Schwarze in Bern gewesen, schreibt Martin Bieri im Nachwort, «aber er war der erste, der blieb». In seiner ersten Zeit in Bern litt Carter unter dem Misstrauen, das ihm vielerorts entgegenschlug. Er kam in der Woche in der Bundesstadt an, als 600 Jahre Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft mit einem historischen Umzug durch die Altstadt gefeiert wurde und viele Menschen anlockte – die Zimmersuche gestaltete sich aber nicht nur deshalb schwierig. Überall wurde er angestarrt, bereits bei seiner Ankunft schaute er im Berner Bahnhof verstohlen, ob sein Hosenschlitz offen sei. Carter fühlte sich ausgegrenzt und notierte seine Beobachtungen und Empfindungen – manchmal empört und irritiert, zuweilen melancholisch angehaucht, aber oft auch witzig.
Als er die Chance erhält, für Radio Bern Sendungen über schwarze Musik zu machen, wehrt er sich dagegen, einfach Klischees und Stereotypen von unterdrückten Schwarzen mit «urigen» Negro Spirituals zu präsentieren. Er ist erstaunt, dass diese weissen Radioredaktoren offenbar so genau Bescheid wissen über die «tiefsten Empfindungen» von Schwarzen. Seine (weissen) Berner Freunde reagieren mit Unverständnis und Vorwürfen: «Du schämst dich für diese Musik, weil du dich für deine eigenen Leute schämst. Du schämst dich, ein Schwarzer zu sein.»
Das «Bernbuch» kann als literarischer Bericht über die Tücken einer Integration gelesen werden und ist eine weniger anklagende als präzise registrierende Innensicht auf den alltäglichen Rassismus in der Schweiz. Als Ethnograf beobachtet der Fremde den exotischen Volksstamm der Bernerinnen und Berner. Gattungsmässig ist das Buch schwer zu fassen, es ist in seinem verspielt-abschweifenden Stil eine Mischung aus Tagebuch, Essay, Roman und Brief.
Ihr Partner habe auf sein «Bernbuch» nie wirklich ein Echo bekommen, erinnert sich Liselotte Haas. Die heute 87-Jährige ist die ehemalige Lebensgefährtin von Vincent O. Carter. Die ausgebildete Tänzerin arbeitete am Berner Stadttheater und lernte Carter 1963 kennen, nachdem er ihr als Englischlehrer empfohlen worden war. Auch viele seiner Berner Künstlerfreunde, darunter etwa Bernhard Luginbühl oder Lily Keller, hätten sich dazu nie geäussert. Dabei hatte Carter viel zu sagen: über die Zerstörung der Landschaft und eine museale Stadtplanung, über den Umgang der Schweizer mit ihren Künstlern, über den Fetisch Lohnarbeit oder Überlegungen zur Tea-Room-Kultur, wo er anhand des weiblichen Personals und gut situierter männlicher Kundschaft die horizontale Klassengesellschaft studierte. Oder er beleuchtete das schwierige Verhältnis der (Deutsch-)Schweizer zum deutschen Nachbarn auf ungewohnte Weise: «Für die Schweizer sind die Deutschen in der Mehrzahl. Also das, was in Amerika die Mehrheit für die Minderheit ist. Oder noch anders ausgedrückt: Die Deutschen sind für die Schweizer, was weisse Amerikaner für schwarze Amerikaner sind!» – Ein Bekannter, dem er von diesem Vergleich erzählte, reagierte konsterniert und fragte empört, ob denn die Schweiz etwa der «Nigger Europas» sei.
Eine Sprachbarriere mag bei der mangelnden Resonanz eine Rolle gespielt haben, vermutet Liselotte Haas, «wahrscheinlich hat aber auch die schonungslose Art, wie Vincent im Buch teils über Bern und die Menschen schrieb, viele seiner Bekannten und Freunde beleidigt». Beobachtungen wie diese: Frauen würden wie Hausmädchen behandelt, die nicht abstimmen dürfen und keine Rolle in der Gesellschaft spielten: «Sie sind bloss das Spielzeug der Männer.» Oder: «Wenn keine entsprechende Gegenleistung zu erwarten ist, sind die Berner knauserig und selten spendabel.»
Liselotte Haas freut sich enorm, dass das Buch von Carter jetzt endlich auf Deutsch herauskommt: «Ich habe immer gesagt, dass ich nicht sterben will, ehe dieses Buch von Vincent auch auf Deutsch zugänglich ist.» Wenn sie an die aktuelle Black-LivesMatter-Bewegung denke, so sei sie guter Hoffnung, «dass die Zeit nun reif ist für dieses Buch». Liselotte Haas hätte nie gedacht, dass sie es noch erleben würde, «wie so viele Menschen auch in der Schweiz gegen Rassismus auf die Strasse gehen».
Wohin mit dem Nachlass?
1957 stellte «the first Negro in Town», wie sich Carter selber nannte, das Manuskript zu «The Bern Book: A Record of the Voyage of the Mind» fertig. Nach seiner Veröffentlichung 1970 in den USA wurde es allerdings kaum wahrgenommen. Carter wandte sich resigniert der Malerei zu. In der Zeit der Bürgerrechtsbewegung wurden von schwarzen Autorinnen und Autoren explizit politische Bücher erwartet. Diese Erwartungshaltung bediente Carter als Autor im selbst gewählten Exil indes nicht. Sein Text ist ein Porträt der Stadt, der damaligen Kulturszene und von Carters Lebensumgebung zwischen Bars, Restaurants und wechselnden Bleiben. Der Nachlass von Carter befindet sich immer noch bei Liselotte Haas und umfasst unter anderem zwei unveröffentlichte Manuskripte und viele Bilder. Die russische Anglistin Anna Iatsenko aus Genf hat sich für Carter eingesetzt und bislang vergeblich versucht, dessen Archiv in professionelle Hände zu legen. Ihre Idee, das Archiv immerhin ins Internet zu stellen und so öffentlich zugänglich zu machen, ist bislang noch nicht realisiert worden.
Für Liselotte Haas gehört sowieso alles zusammen: die Texte und die Bilder von Carter. Sie wünscht sich einen Ort dafür, von dem sie sogar schon geträumt hat, wie sie lachend sagt: «Man könnte für das Archiv ein Zimmer oder eine kleine Wohnung mieten in der Berner Altstadt, es gibt auch noch vereinzelt Möbel von Vincent.» Liselotte Haas schwebt ein Atelier vor für Stipendiaten, vorzugsweise schwarze Künstlerinnen und Künstler, die dort eine bestimmte Zeit verbringen würden. Vorerst jedoch will sie zusammen mit der Berner Literaturagentin Katharina Altas, die den Limmat-Verlag auf das «Bernbuch» aufmerksam gemacht hat, einen Verein gründen. Dessen Hauptzweck: das Vermächtnis Carters besser zu pflegen und für den Nachlass einen geeigneten Ort finden. Zum Vermächtnis Carters gehört auch sein Sensorium für subtile Formen des Rassismus – die leider auch heute noch nicht überwunden sind. So gesehen ist das «Bernbuch» nicht nur ein historisches Dokument, sondern es hat durchaus auch eine aktuelle Dimension. Und wieso blieb Carter trotz allen negativen Erfahrungen bis zu seinem Tod in Bern? Lieselotte Haas lächelt: «Er war unstillbar neugierig und liebte die Menschen, besonders auch die Frauen. Oft hat er gesagt, dass die Menschen bei allen Unterschieden doch alle aus dem gleichen ‹Teig› sind.»
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Vincent O. Carter: «Meine weisse Stadt und ich. Das Bernbuch». Limmat-Verlag, Zürich; 440 S., 34 Fr. Die Vernissage heute bei Orell Füssli in Bern ist ausverkauft.
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Noch ein Buch und ein Film über Carter
Im Zürcher Limmat-Verlag ist bereits die Veröffentlichung des zweiten Buchs von Vincent O. Carter in Vorbereitung. Das Manuskript seiner auf Englisch 2003 postum erschienenen Erzählung «Such Sweet Thunder» hatte Carter bereits 1963 fertiggestellt. Er schildert darin seine Kindheit in Kansas City während der 1920er- und 1930er-Jahre, einer Ära, die von Rassentrennung und alltäglicher Ungerechtigkeit geprägt war. Zudem arbeitet der Berner Filmemacher Dieter Fahrer (»Die vierte Gewalt») derzeit an einem Dokumentarfilm über Vincent O. Carter und das «Bern Book». Auf den Spuren von Carter erkundet der Filmemacher in «The Bern Film», so der Arbeitstitel, die Stadt Bern. Fahrer plant einen filmischen Dialog entlang von Textpassagen aus Carters Werk mit Archivbildern von damals und Bildern von heute. Der Film kommt voraussichtlich 2023 in die Kinos.
(https://www.derbund.ch/der-schwarze-mann-in-der-weissen-stadt-an-der-aare-744851353172)