Medienspiegel 26. September 2021

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+++SCHWEIZ
NZZ am Sonntag 26.09.2021

Die Schweiz hat abgewiesene Asylsuchende nach Minsk ausgeflogen. Trotz Boykott gegen Weissrussland

Wie viele Personen ausgeschafft wurden, gibt das Staatssekretariat für Migration nicht bekannt.

Paul Flückiger, Warschau; Andrea Kučera, Bern

Für einige Aufregung in den wenigen verbliebenen unabhängigen Medien Weissrusslands hat am Mittwoch, 22. September, ein Flugzeug der Schweizer Luftwaffe gesorgt. Der Jet startete vom Militärflugplatz Dübendorf, flog nach Genf, von dort über die litauische Hauptstadt Vilnius nach Minsk und zurück in die Schweiz.

Der Flug fand statt, obwohl sich die Schweiz dem EU-Boykott des weissrussischen Luftraums angeschlossen hat. Der Boykott war verhängt worden, nachdem im Mai ein Linienflug mit einem weissrussischen Journalisten an Bord nach Minsk entführt und der Journalist vor Ort verhaftet worden war.

In weissrussischen Oppositionskreisen wurde anfänglich über einen Evakuierungsflug von Natalia Hersche spekuliert. Die schweizerisch-weissrussische Doppelbürgerin sitzt wegen ihrer Teilnahme an Protesten gegen den weissrussischen Machthaber Lukaschenko im Arbeitslager.

Eine Anfrage des oppositionellen Senders Euroradio bei der Schweizer Botschaft in Minsk widerlegte diese Spekulationen: «Mit diesem Flugzeug führten die Schweizer Behörden eine Rückübernahmeaktion für ausreisepflichtige Personen durch», zitierte Euroradio das Schweizer Aussendepartement. Auf Anfrage präzisiert Reto Kormann vom Staatssekretariat für Migration (SEM): «Bei der Rückführung handelte es sich um einen Sonderflug.» Für solche Staatsflüge gelte der Flugboykott nicht.

Sonderflüge kommen zum Einsatz, wenn abgewiesene Asylsuchende die Schweiz nicht freiwillig verlassen. «Alle Asylgesuche der betroffenen Personen wurden einzelfallspezifisch geprüft», schreibt Kormann. «Die entsprechenden Verfahren waren rechtskräftig abgeschlossen, und das Bundesverwaltungsgericht hat die Entscheide bestätigt.» Wie viele Personen ausgeschafft wurden, gibt das SEM nicht bekannt. Sowohl in Vilnius wie in Minsk seien Leute ausgestiegen.

Die Zwangsrückschaffung erfolgt zu einem heiklen Zeitpunkt: Die EU bezichtigt Lukaschenko, er schleuse gezielt Flüchtlinge nach Weissrussland, um sie in Richtung EU weiterreisen zu lassen. Allein in Litauen sind seit Anfang Juni 4 100 illegal Eingereiste gestrandet. Über die Hälfte von ihnen stammt aus dem Irak.

Neu strömen die Flüchtlinge auch nach Polen. Im August sind rund 3 500 Asylsuchende aus dem Irak, Afghanistan und afrikanischen Ländern an der polnisch-weissrussischen Grenze eingetroffen. Am 19. September sind in Grenznähe vier Flüchtlinge erfroren. Die Uno-Flüchtlingsagentur bezeichnet die Situation als katastrophal.

Sind Zwangsrückschaffungen nach Weissrussland angesichts dieser Zustände vertretbar? Man beobachte die aktuelle Lage aufmerksam, so das SEM. «In Weissrussland herrscht derzeit keine Situation allgemeiner Gewalt.»
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/weissrussland-fuer-ausschaffungen-gilt-flugboykott-nicht-ld.1647335)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Comic-Story: Umgang mit DNA
Zum diesjährigen Entsichern-Kongress in Berlin wurde von der Antirepressionsplattform Berlin ein Comic veröffentlicht, das sich mit DNA-Spuren beschäftigt. Durch die teilweise komplizierten Inhalte führt eine alltägliche Geschichte von Menschen, die ein Burschenschaftshaus angreifen und durch DNA-Spuren in Bedrängnis durch die Repressionsbehörden geraten. Auf 32 A5-Seiten geht es um DNA Vermeidung, Zerstörung, Entnahme, Speicherung, Verwertung im Strafverfahren, vor Gericht und danach. Es finden sich grundlagentexte, aber auch tiefer gehende juristische Ausführungen.
https://barrikade.info/article/4765


Prenons la rue ! Bilan et perspectives tactiques
Samedi 25 septembre, nous avons été pas moins de 300 à manifester sur le bitume lausannois, à l’ombre de nos parapluies et des brigades antiémeutes, pour prendre la rue et répondre aux répressions des manifestations ! Malgré les fortes tensions provoquées par la police, cet évènement a prouvé que nous pouvons jouer les rapports de force et que la colère sociale n’a pas être reléguée sur le trottoir.
https://renverse.co/infos-locales/article/prenons-la-rue-bilan-et-perspectives-tactiques-3235


Mort à Frontex ! – Discours lu à la manifestation du 10 septembre à Zürich
Nos histoires sont liées à l’immigration de près et de loin.
Nous sommes solidaires avec les exilé·e·x·s de tous les pays. Iels pourraient être nos parents, nos grand-parents, nos cousin·e·x·s, nos ami·e·x·s…
Parce que nous sommes anti-impérialistes, nous condamnons les politiques d’asile de la forteresse Europe.
https://renverse.co/analyses/article/mort-a-frontex-discours-lu-a-la-manifestation-du-10-septembre-a-zurich-3233


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
«Corona-Massnahmen-Gegner sind monothematische Extremisten»
Ein Teil der Menschen, die gegen die Schutzmassnahmen gegen das Coronavirus mobil machen, beginnt, sich zu radikalisieren. Diese Warnung kommt von André Duvillard, dem Delegierten des Sicherheitsverbundes Schweiz. Diese Personen seien bereit, Gewalttaten zu begehen.
https://www.watson.ch/schweiz/coronavirus/897641690-corona-massnahmen-gegner-sind-monothematische-extremisten
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-ein-teil-der-massnahmen-gegner-ist-gewaltbereit-66010415
-> https://www.24heures.ch/des-anti-covid-sont-prets-a-commettre-des-actes-de-violence-365566192138
-> https://www.blick.ch/schweiz/sicherheitsexperte-warnt-ein-teil-der-massnahmen-gegner-ist-gewaltbereit-id16861922.html


Aufgeheizte Stimmung: Showdown ums Covid-Zertifikat
Die Gegner des Covid-Gesetzes verfügen über eine gute gefüllte Kriegskasse, die Befürworter hingegen haben den Start verschlafen.
https://www.blick.ch/sonntagsblick/aufgeheizte-stimmung-showdown-ums-covid-zertifikat-id16861480.html


Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty: Die Bewegung der Impfgegner zeigt totalitäre Züge
Sie ist zwar nur eine kleine Minderheit. Doch der radikalen Anti-Impfbewegung ist es gelungen, ein Klima zu schaffen, wie man es hierzulande lange für undenkbar gehalten hat. Und die Aggressivität dürfte in den nächsten Wochen eher zu- denn abnehmen.
https://www.blick.ch/meinung/kolumnen/editorial-von-sonntagsblick-chefredaktor-gieri-cavelty-die-bewegung-der-impfgegner-zeigt-totalitaere-zuege-id16861622.html


Bei der Bundeskanzlei deponiert: Volksinitiative verlangt Spezialgericht für Corona-Politiker
Die «Aufarbeitungsinitiative» verlangt eine Untersuchungskommission und Schauprozesse für die Verantwortlichen der Covid-Politik. Das Ansinnen offenbart das totalitäre Denken in der Szene.
https://www.blick.ch/politik/bei-der-bundeskanzlei-deponiert-volksinitiative-verlangt-spezialgericht-fuer-corona-politiker-id16862170.html


Coronavirus: Skeptiker wollen mit Attest Zertifikatspflicht umgehen
Mit einem Arzt-Attest die Zertifikatspflicht zum Coronavirus zu umgehen, ist wohl der Wunschtraum der Impfskeptiker. So einfach ist das aber dann doch nicht.
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-skeptiker-wollen-mit-attest-zertifikatspflicht-umgehen-66007156


+++HISTORY
Neues Festival fragt nach kolonialem Erbe der Schweiz
Neue Veranstaltung in der Hauptstadt: Fragments and Absences bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft. Inhaltlich debattieren die Festspiele Fragen über blinde Flecken der Eidgenossenschaft im Verhältnis zum Kolonialismus, bezogen auf gestern und heute.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/193740/


ORS Service AG: Die Asylprofiteure
Am Asylelend kann verdient werden. Die WOZ untersucht als Erste die Betreuungsfirma ORS Service AG, die zum Grossunternehmen aufgestiegen ist und einem Hedgefonds in Zug gehört. Doch die Kommerzialisierung führt zu schlechter Betreuung und ist teurer als eine öffentlich-rechtliche Asylorganisation – die mittlerweile ebenfalls kritisch durchleuchtet werden muss.
https://www.woz.ch/40-texte-aus-40-jahren-2011/ors-service-ag-die-asylprofiteure



tagesanzeiger.ch 26.09.2021

Jubiläum einer Zürcher Institution: Leben und Weiterleben in der Roten Fabrik

Wilde Bilder, graue Texte: Ein neues Buch feiert vierzig Jahre Rote Fabrik als Epizentrum der Zürcher Alternativkultur. Am Samstag war Vernissage am Austragungsort.

Jean-Martin Büttner

Es ist ein Abend der Ironie, ein rhetorisches Instrument, das der Moderator Daniel Hitzig immer wieder verwendet. Er muss das schon deshalb, weil alle im Saal 40 Jahre älter geworden sind, als sie damals gedacht haben, dass sie alt werden. Und jetzt eine Institution feiern, die vor 40 Jahren vor allem eines waren: jung.

Am Samstagabend feierten die Bewegten von damals die Vernissage des Buchs zum 40-Jahr-Jubiläum der Rote Fabrik, des so hart erkämpften Kulturzentrums von Zürich. Ironie schon auf der Titelseite: Unter der Schlagzeile «Bewegung tut gut» ist das Zürcher Wappen abgebildet. Blutrot zwar, aber trotzdem offiziell. Und das ist richtig so. Denn genau dafür hatte sich die Jugendbewegung damals unter vielem anderen engagiert. Die Bewegten wollten in der ehemaligen Färberei von Wollishofen am See einen kulturell autonomen, von den Behörden aber bewilligten Freiraum installieren. Das ist ihnen über die kühnsten Hoffnungen hinaus gelungen.

Opern am Stadtrand

Damals nämlich lagerten Requisiten des Opernhauses in der Roten Fabrik. Auch das war eine Ironie, die aber nicht gut ankam. Denn der Umbau des Opernhauses wurde vom Kanton mit über 60 Millionen Franken subventioniert, während die Jungen in Zürich keinen einzigen Ort für sich hatten, in dem sie ihre Vorstellung von Kultur ausleben und aufführen konnten, der etwas anderes bot als teure Konzerte oder konventionelle Ausstellungen. Diese ungleichen Vorstellungen von Geld und Kultur lösten am 30. Mai 1980 und dem Tag darauf den Opernhauskrawall aus, und jeder, der diese Nächte erlebte, vor allem wenn er nach dem Konzert von Bob Marley zum Limmatquai hinunterfuhr, hat Zürich nachher nie mehr so empfunden wie damals. Und erlebt Zürich seither viel lebendiger als vorher.

Die Mediterranisierung dieser Stadt – «freie Sicht aufs Mittelmeer» – hat einiges mit den Protesten der Bewegung gegen eine betonisierte Stadt zu tun. Die Repression von Behörden und Politiker trugen mit dazu bei, dass die Drogenhölle von Platzspitz und Letten entstehen konnte. Dafür erkannte sogar der damalige FDP-Stadtpräsident Thomas Wagner, dass in der Roten Fabrik etwas gehen musste.

Das alles lässt sich in dieser ersten umfassenden Publikation über das Kulturzentrum nachsehen und nachlesen. «Fünf Jahre Arbeit über vierzig Jahre Kultur», kommentiert Markus Kenner, der ehemalige Musikredaktor bei DRS3, das von ihm als Archivar der Bewegung betreute und initiierte Fabrikbuch. Die Entstehungszeit belegt, wie schwierig es für die Beteiligten war, ihre Erinnerungen und Konflikte publikationsgerecht zu bündeln.

Herausgekommen ist ein in jeder Beziehung vielseitiges Buch, das mit zwei verschiedenen, aber gleichermassen wichtig genommenen Medien operiert: Bild und Text. Die beiden unterscheiden sich nicht nur formell, sondern von ihrer Wirkung her radikal: Explodierende Bilder stehen mehrheitlich grauen Texten gegenüber; abbilden geht offenbar einfacher als nacherzählen.

Fleissig, aber freudlos

Natürlich geben sich die Autorinnen und Autoren Mühe, der wechselvollen Geschichte, Politik und Kultur der Roten Fabrik gerecht zu werden, aber man merkt den meisten Texten diese Mühe an. Detailliert dokumentiert das neue Buch Geschichte, Kämpfe, Entwicklungen und interne Spannungen der Roten Fabrik, spartenweise werden die Erfolge und die kulturelle Vielfalt vorgezeigt. Aber Inhalt und Form klaffen in den Texten schmerzhaft auseinander; die meisten Texte lesen sich fleissig, aber freudlos, die Beamtensprache dominiert, die Interviews mit Leuten, die ausserhalb der Fabrik kaum einer kennt, sind ausführlich bis zur Belanglosigkeit.

Am interessantesten sind die historischen Texte geworden, etwa die Erinnerungen an die Vorstellung der damals bürgerlich dominierten Politik. Die damalige Mehrheit wollte die Fabrik abreissen lassen, um Platz zu machen für eine Schnellstrasse, die den Autoverkehr quer durch die Stadt über den Bahnhof Richtung Nordwest- und Ostschweiz hätte führen sollen. Dank Rot-Grün hat die Stadt eine dermassen hohe Lebensqualität entwickelt, dass all die bürgerlichen Familien hierher zurückströmen, die vor ebendieser alternativen Politik geflohen waren.

Dem Buch über die Alternativen ist diese Versteinerung anzulesen. Wie eintönig und sprachlich tötelig die Texte und Interviews der Roten Fabrikarbeiter anmuten, zeigen die wenigen Versuche des Buches zu seiner Vitalisierung. Dazu gehört das Doppelporträt von Daniel Hitzig, der ein bewegtes Paar der Bewegung aufleben lässt. Und die Lebensfreude in der Hymne von Esther Banz auf den Ziegel oh Lac, die von allen so geliebte Fabrikbeiz am See.

Ein gelungener Geburtstag

Dass die Bewegung eine grafisch selbstbewusste, politisch originelle und humorvolle Gruppierung war, wird einem dafür beim Anschauen der Illustrationen bewusst. Diese visuelle Vitalität bestätigt den Verdacht, wonach das Kulturverständnis der Bewegung sich mehr über die Sinnlichkeit definierte als über die Vernunft. Anders als die 68er operierten die 80er weniger über den intellektuellen Zugang. Das konnte sich rächen, wenn man sich an die stundenlangen, ausufernden, intellektuell kümmerlichen und komplett humorlosen Vollversammlungen erinnert. Deren Umständlichkeit und Langeweile einen, man gibt es zu, abrupt vom Mythos der Basisdemokratie befreiten. Das kleinste gemeinsame Vielfache war eine tolle Idee. Aber keine valable Strategie.

Die Vernissage in der Roten Fabrik über das Buch der Roten Fabrik, gut besucht und fröhlich gefeiert, hat sich als gelungener Geburtstag erwiesen. Früher gab sich die Rote Fabrik offen, aber ihre Vertreter wirkten verkrampft. Heute geben sie sich hermetisch, aber entspannt. Also wir sehen das als Fortschritt.

Bewegung tut gut – Rote Fabrik, 448 Seiten, etwa 380 Fotos, Dokumente und Abbildungen farbig und schwarzweiss, ca. 46 Franken.
(https://www.tagesanzeiger.ch/leben-und-weiterleben-in-der-roten-fabrik-780293435824)