Medienspiegel 21. September 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++SOLOTHURN
Brand in Schreinerei und Asylunterkunft in Lohn-Ammannsegg: drei Personen im Spital
In Lohn-Ammannsegg mussten am Dienstag mehrere Personen aus einem brennenden Gebäude gerettet werden. Ernsthaft verletzt wurde niemand. Das Feuer konnte gelöscht werden, die Brandursache ist unklar.
https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/feuer-geloescht-brand-in-schreinerei-und-asylunterkunft-in-lohn-ammannsegg-drei-personen-im-spital-ld.2190820
-> https://www.blick.ch/schweiz/mittelland/in-lohn-ammannsegg-so-vier-verletzte-bei-brand-in-asylunterkunft-id16848617.html


+++SCHWEIZ
Kindesschutzmassnahmen in Bundesasylzentren
Teil 3 der Serie: Wer ist in der Schweiz für die Einhaltung der Kinderrechte verantwortlich?
https://beobachtungsstelle.ch/news/kindesschutzmassnahmen-in-bundesasylzentren/


+++ÄRMELKANAL
Mehr als hundert Migranten aus dem Ärmelkanal gerettet
Teils waren die Menschen schon in Seenot geraten. Sie wurden von Seenotrettung und französischem Zoll nach Dünkirchen und Calais gebracht
https://www.derstandard.at/story/2000129814120/mehr-als-hundert-migranten-aus-dem-aermelkanal-gerettet?ref=rss


+++MITTELMEER
Mittelmeer: Private Rettungsorganisationen retten 120 Menschen
Kaum sind die privaten Rettungsschiffe im Mittelmeer, treffen sie auf Fliehende in Seenot. Fast 120 Menschen wurden bei Rettungseinsätzen allein am Montag gerettet.
https://www.migazin.de/2021/09/21/mittelmeer-private-rettungsorganisationen-retten-120-menschen/


+++ÄGYPTEN
Ägyptens illegale Abschiebepraxis: Flüchtlinge aus Eritrea: verhaftet, geschlagen, bedroht
Zwei in Ägypten inhaftierten Flüchtlingen droht die Abschiebung nach Eritrea. Die Ausweisung der seit mehr als acht Jahren in Kairo internierten Eritreer wurde zwar vorerst gestoppt. Doch der Abschiebeversuch ist kein Einzelfall und wirft ein Schlaglicht auf Ägyptens drakonisches Vorgehen gegen Flüchtlinge und Migranten.
https://de.qantara.de/inhalt/aegyptens-illegale-abschiebepraxis-fluechtlinge-aus-eritrea-verhaftet-geschlagen-bedroht


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Bezirksgericht Zürich verurteilt zwei Teilnehmer von Velo-Demo
Das Bezirksgericht Zürich hat zwei weitere Teilnehmer einer Velo-Aktion in Zürich vom Mai 2020 verurteilt. Die Aktion, für die bereits die Stadtzürcher SP-Politikerin Simone Brander verurteilt wurde, fiel laut Gericht unter das Veranstaltungsverbot der damaligen Covid-Verordnung.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/bezirksgericht-zuerich-verurteilt-zwei-teilnehmer-von-velo-demo-00165935/
-> https://www.nau.ch/ort/zurich/bezirksgericht-zurich-verurteilt-zwei-teilnehmer-von-velo-demo-66007375
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/zuerich-bezirksgericht-verurteilt-zwei-teilnehmer-von-velo-demo-ld.2190756
-> https://www.tagesanzeiger.ch/demo-trotz-corona-zwei-velo-aktivisten-verurteilt-924118751231


Nach Stawa-Affäre: Nationalrätin Sibel Arslan spricht im Talk
Die Immunität der Basler Nationalrätin Sibel Arslan wird nicht aufgehoben. Nach der Affäre will sie aber nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.
https://telebasel.ch/2021/09/21/nach-stawa-affaere-nationalraetin-sibel-arslan-spricht-im-talk/?utm_source=lead&utm_medium=carousel&utm_campaign=pos%200&channel=105100


+++WEF
Parlament bewilligt Armeeeinsatz und Bundesgelder für WEF 2022-2024
Nach hörbarer Kritik aus der Politik will sich das World Economic Forum (WEF) stärker an den Sicherheitskosten des Anlasses beteiligen. Das Parlament hat nun dem Bundesbeitrag an die nächsten drei Jahrestreffen in Höhe von jährlich 2,55 Millionen Franken zugestimmt.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2021/20210921111150410194158159038_bsd067.aspx
-> https://www.watson.ch/schweiz/939670112-wef-2022-2024-kosten-den-bund-ca-2-55-millionen-franken-pro-jahr


+++POLICE VD
Mahnwache in Bern: Rund 50 Menschen entzünden Kerzen gegen Rassismus
Auf dem Berner Waisenhausplatz fand eine friedliche Kundgebung gegen Rassismus und Polizeigewalt statt.
https://www.derbund.ch/rund-50-menschen-entzuenden-kerzen-gegen-rassismus-219755646536
-> https://www.bernerzeitung.ch/rund-50-menschen-entzuenden-kerzen-gegen-rassismus-219755646536
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/proteste-in-schweizer-stadten-gegen-polizeigewalt-66007530
-> BS: https://primenews.ch/news/2021/09/erneute-anti-rassismus-demo-basel-angekuendigt
-> LU: https://www.zentralplus.ch/luzern-stiller-protest-gegen-rassismus-und-polizeigewalt-2194233/
-> https://twitter.com/i/status/1440361080656568322
-> https://twitter.com/ajour_mag


Marches d’hommage à Nzoy en Suisse alémanique
Nzoy, Roger de son vrai nom, a été abattu par la police de Morges le 30 août dernier sur le quai de gare. Des messages circulent sur les réseaux sociaux pour annoncer des marches dans plusieurs villes de Suisse le mardi 21 septembre.
https://renverse.co/infos-locales/article/marches-d-hommage-a-nzoy-en-suisse-alemanique-3225


Nouvel homicide policier. A Morges, après Bex, etc.
Police suisse : tueuse en série de Noirs ?
La ministre vaudoise de la Police devrait démissionner !
https://renverse.co/infos-locales/article/nouvel-homicide-policier-a-morges-apres-bex-etc-3227


+++RASSISMUS
antira-Wochenschau: Gesichter der Abschottungspolitik, Pushbacks mit Jet-Skis, Freispruch für die Sieben von Briançon
https://antira.org/2021/09/21/gesichter-der-abschottungspolitik-pushbacks-mit-jet-skis-freispruch-fuer-die-sieben-von-briancon/


+++RECHTSPOPULISMUS
Ein Gespräch mit Damir Skenderovic über Rechtspopulismus in der Schweiz
»Die SVP profitiert von den politischen Mythen«
Die Schweiz als Avantgarde des Rechtspopulismus. Der Historiker Damir Skenderovic im Gespräch über die SVP und ihre Vorgänger.
https://jungle.world/artikel/2021/37/die-svp-profitiert-von-den-politischen-mythen


+++RECHTSEXTREMISMUS
„An der Corona-Demo in Winterthur marschierte die «Jugend gegen Impfzwang». Eine harmlose Gruppe von jungen Massnahmen-Kritikern? Mitnichten. #Thread„
https://twitter.com/FabianEberhard/status/1440373752525557764


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Nach Streit um Maskenpflicht: Rechte jubeln über Mord von Idar-Oberstein
In Idar-Oberstein soll ein Mann an einer Tankstelle zum Mörder geworden sein, weil er keine Maske tragen wollte. Auf Telegram gibt es dafür Applaus.
https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/nach-streit-um-maskenpflicht-rechte-jubeln-ueber-mord-von-idar-oberstein/27631262.html
-> https://www.tagesspiegel.de/politik/getoetet-weil-er-auf-maskenpflicht-hinwies-die-politische-dimension-eines-verbrechens/27631024.html
-> https://www.republik.ch/2021/09/21/sprache-der-gewalt
-> https://taz.de/Radikalisierter-Coronaprotest/!5797948/
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1156821.idar-oberstein-maskenpflicht-als-mordmotiv.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1156828.querdenken-systematisch-verharmlost.html


Rhetorische Radikalisierung: Corona-Leugner wähnen sich im Weltkrieg
Ein ehemaliger Bundespolizist spricht von einem Staatsstreich, fanatische Impfgegner wähnen sich im “3. Weltkrieg”: Angesichts solcher Äußerungen warnen Fachleute vor einer Radikalisierung von Corona-Leugnern.
https://www.tagesschau.de/investigativ/impfgegner-corona-101.html



Radikale Mütter
Schaffhauser Mütter schliessen sich gegen die Corona-Massnahmen zusammen und planen Aktionen. Einige wollen ihre Kinder aus der Schule nehmen. Wer steht dahinter?
https://www.shaz.ch/2021/09/21/radikale-muetter/


Der Sektenführer Ivo Sasek und sein Propagandaapparat
Organischer Wahn
Der schweizerische Sektenführer Ivo Sasek betreibt ein Medienimperium für »Querdenker«, Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker.
https://jungle.world/artikel/2021/37/organischer-wahn



derbund.ch 21.09.2021

Umstrittenes Corona-Inserat war rechtensIm Zweifelsfall für die Meinungsfreiheit

Ein Inserat von Corona-Skeptikern im «Berner Anzeiger» sei «teilweise irreführend» gewesen. Aber, sagt der Statthalter, es wäre falsch gewesen, es abzulehnen.

Dölf Barben

Das halbseitige Inserat der Bewegung Aletheia sei ein Grenzfall: Dies schreibt das Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland. Das Inserat war im August im «Anzeiger Region Bern» erschienen und warnte vor den mRNA-Impfstoffen. In einem Grenzfall gelte es, «zugunsten der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit zu entscheiden», schreibt das Statthalteramt. Das heisst: Ein Informatiker aus der Region Bern und der Luzerner Jurist Loris Fabrizio Mainardi, die eine Aufsichtsanzeige eingereicht hatten, sind abgeblitzt.

In der Stellungnahme des Statthalters, die dem «Bund» vorliegt, steht, die Verantwortlichen des «Anzeigers» hätten «eine sorgfältige Güterabwägung gemacht und verantwortungsvoll gehandelt». Zwar schätzt auch das Statthalteramt die Aussagen der impfkritischen Organisation als «teilweise irreführend» ein. Es gebe aber keine Hinweise darauf, «dass dieses Inserat die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört hätte».

Damit folgt das Amt der Argumentation des Geschäftsführers des «Anzeigers». Dieser hielt fest, das Inserat enthalte Aussagen zur Covid-Impfung, «die umstritten und fragwürdig sind». Mit Blick auf die grosse Bedeutung der Meinungsfreiheit dürften Inserate aber «nicht leichthin abgelehnt werden», auch wenn sie heikle und umstrittene gesellschaftspolitische Fragen aufgriffen. In einer offenen Gesellschaft sei es unerlässlich, «dass auch Minderheiten ihre Meinung frei äussern können, selbst wenn diese aus Sicht der Behörden und der Mehrheit der Bevölkerung falsch ist».

Der Informatiker und der Jurist hatten argumentiert, das Inserat enthalte «haarsträubende Behauptungen». Dadurch werde in einer kritischen Phase der Pandemie «eine fatale Propaganda gegen die Impfbereitschaft» erzeugt – und das ausgerechnet in einem behördlichen Verlautbarungsorgan. Ihr Punkt: Wenn jemand in einer Pandemienotlage das Gegenteil dessen behaupte, was die Behörden wollten, führe das womöglich zu einer zusätzlichen Verknappung von Intensivpflegeplätzen, was letztlich die öffentliche Ordnung gefährden könnte.
(https://www.derbund.ch/im-zweifelsfall-fuer-die-meinungsfreiheit-985300280381)



SVP-Nationalrätin zweifelt an Impfquote
«Man soll keinen Zahlen glauben, welche man nicht selbst frisiert hat.» SVP Nationalrätin Martina Bircher behauptet, dass die Impfzahlen des Bundes nicht korrekt sind. Der Frage, ob die Zahlen im Vergleich zu anderen Ländern tiefer ausgewiesen werden, geht Tele M1 nach.
https://www.telem1.ch/aktuell/svp-nationalraetin-zweifelt-an-impfquote-143826629



derbund.ch 21.09.2021

Extremismusforscher im Interview: «Bei einer Impfpflicht würde die Gewaltbereitschaft weiter steigen»

Dirk Baier unterscheidet drei Gruppen von Massnahmengegnern. Die kleinste sei zugleich auch die gefährlichste, sagt der Extremismusforscher.

Mathias Streit

Tausende Massnahmengegner demonstrierten vergangene Woche in Bern. Dabei wurde eine zunehmende Gewaltbereitschaft sichtbar: Die Polizei konnte die Demonstrierenden nur mittels Schutzzaun, Tränengas und Wasserwerfer vom Bundeshaus fernhalten.

Herr Baier, haben Sie die Bilder aus Bern überrascht?

Klar. Ein Angriff aufs Bundeshaus ist ein Angriff auf die Demokratie. Dass es so weit kommen würde, hätte ich nicht erwartet – nicht hier in der Schweiz. Rangeleien mit der Polizei waren zu erwarten gewesen. Nicht aber, dass einzelne Demonstrierende so weit gehen. Die Ereignisse erinnerten an den Capitol-Sturm der Trump-Anhänger.

Gibt es einen Grund für die zunehmende Gewaltbereitschaft unter den Demonstrierenden?

Mit jeder neuen Massnahme des Bundes fühlen sich diese Leute ein Stück weiter in die Ecke gedrängt. Der Druck auf sie nimmt zu. Entsprechend heftig ist ihre Reaktion. Es reagieren aber nicht alle gleich: Einige beginnen, die eigene Überzeugung zu hinterfragen. Andere hingegen reagieren trotzig und stacheln sich zu immer provokativeren Taten an.

Was ist das Ziel dieser Provokationen?

Mit provokativen, symbolträchtigen Aktionen soll die heterogene Bewegung geeint werden. Es ist jedoch nur eine kleine Gruppe innerhalb der Szene, die bewusst provoziert. Je erfolgreicher der Kampf gegen die Pandemie verläuft, desto mehr verlieren diese Radikalen an Rückhalt.

Wie gross schätzen Sie das Gewaltpotenzial innerhalb der Gruppierung ein?

Das hängt vom Fortgang der Pandemie ab. Käme es im Worst Case zu einer Impfpflicht, würde die Gewaltbereitschaft sicher weiter steigen. Dieses Szenario ist aber, Stand heute, unrealistisch. Eher verliert die Pandemie bald an Fahrt. Persönlich rechne ich nicht mit einer weiteren Zunahme der Gewalt.

Welche Folgen hat die jetzige Radikalisierung auf die Bewegung?

Hier gilt es zu unterscheiden: Einerseits sind Teile der Massnahmenskeptiker mit den Attacken auf Spitäler, Politikerinnen oder das Bundeshaus nicht einverstanden. Entsprechend distanzieren sie sich zunehmend von der Bewegung. Andererseits könnte die Radikalisierung vermehrt gewaltbereite Leute anziehen. Momentan ist das aber glücklicherweise noch nicht der Fall.

Was sind das überhaupt für Leute an den Demos?

Es fällt auf, dass kaum Junge mitmarschieren. Ich würde die Bewegung deshalb als eine Bewegung der Mittvierziger bezeichnen. Wichtig ist jedoch zu betonen, dass die Massnahmengegner keine homogene Gruppe sind.

Woran machen Sie das fest?

Man kann grob zwischen drei Gruppen unterscheiden: Jene Gruppe, die aufgrund von gesundheitlichen Bedenken demonstriert – beispielsweise, weil sie sich vor den rasch entwickelten Impfstoffen fürchtet. Eine andere Gruppe geht auf die Strasse, weil sie die Demokratie gefährdet sieht – sie protestiert gegen die Begrenzung der persönlichen Freiheitsrechte.

Und die dritte Gruppe?

Die dritte und gefährlichste Gruppe ist jene der Verschwörungstheoretiker. Mit ihnen ist ein Gespräch auf wissenschaftlicher Basis nicht möglich. Die Verschwörungstheoretiker machen denn auch den kleinen, aber harten Kern der Massnahmengegner aus – von ihnen ist am ehesten Gewalt zu erwarten.

Wie stark beeinflussen sich die drei Gruppen gegenseitig?

An Demonstrationen werden einerseits Personen für das eigene Anliegen rekrutiert. Andererseits dienen Demonstrationen auch der Bestätigung des eigenen Weltbilds: Kommen Tausende Personen an eine Demo, fühlt sich der Verschwörungstheoretiker genauso wie der Gesundheitsskeptiker in seiner Meinung bestärkt – auch wenn beide eigentlich aus unterschiedlichen Gründen da sind.

Wie gross ist der Schritt von der Impfverweigerung an die Demo?

Sehr gross. Es gibt in der Schweiz immer noch viele Hunderttausend Ungeimpfte. Trotzdem gehen nur wenige Tausend protestieren. Das ist ein gutes Zeichen. Es ist keine Massenbewegung.

Lassen sich die Demo-Teilnehmer einem bestimmten politischen Milieu zuordnen?

Kaum. Zwar stammt die Mehrheit der Protestierenden aus dem rechten, konservativen Lager, Rechtsextreme gibt es aber nur vereinzelt. Auch sind diese in der Bewegung nicht federführend.

Eigentlich sind ja die Linksextremen für ihre anti-staatliche Haltung bekannt. Wieso spielen diese bei den Protesten keine Rolle?

Diese Frage stelle ich mir seit Beginn der Pandemie. Die Antwort dürfte aber eine einfache sein: Im linken Milieu nimmt man die Pandemie als gesundheitliches und nicht als politisches Thema wahr. Im rechten Milieu ist das umgekehrt: Hier wird die Gesundheitskrise angezweifelt und die Pandemie zu einem politischen Skandal hochstilisiert. Dementsprechend mobilisiert das Thema im konservativen Lager.

Den Medien wurde zuletzt öfter «false balance» vorgeworfen. Erhalten die Massnahmengegner zu viel mediale Aufmerksamkeit?

Es ist erwiesen, dass mediale Berichterstattung Nachahmer hervorbringt. Diese Kritik ist nicht von der Hand zu weisen. Aber was ist die Alternative? Man kann Ereignisse wie zuletzt in Bern nicht einfach verschweigen. Die Medien müssen aber wissen, wann genug ist.

Welche Rolle spielen die sozialen Medien bei der Radikalisierung?

Die Erfahrung vom islamischen oder rechten Extremismus zeigt, dass den sozialen Medien in solchen Fällen eine zentrale Rolle zukommt: Menschen werden mit Videos und Musik angelockt und später in geschlossenen Mediengruppen radikalisiert. Genau das passiert jetzt in Chats auf Telegram. Wer in diesen Gruppen ist, wird mit den immergleichen Informationen versorgt. Alternative Informationen haben dort keinen Platz mehr. Das ist gefährlich.


Dirk Baier

Prof. Dr. Dirk Baier ist Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Gewaltkriminalität und Extremismus.
(https://www.derbund.ch/bei-einer-impfpflicht-wuerde-die-gewaltbereitschaft-weiter-steigen-289889465305)



Über 200 Personen demonstrieren in Wil gegen Coronamassnahmen
Am Wohnsitz von Bundesrätin Karin Keller-Sutter war am Dienstagabend einen Demonstration gegen die Coronamassnahmen angesagt. Zwischen 200 und 300 Personen versammelten sich bei der Allee am Bahnhof, liefen über den Schwanenkreisel und durch die Obere Bahnhofstrasse in die Altstadt und wieder zurück. Dabei skandierten sie Worte wie «keine Diktatur» und «Liberté».
Viele Teilnehmer schwenkten Schweizerfahnen, einige machten Lärm mit Kuhglocken und Pfeifen. Der Demonstrationszug war nicht zu überhören. Viele Passanten, die unterwegs waren oder in einer Terrassenbeiz sassen, wurden auf den Zug aufmerksam. Die Stimmung blieb friedlich, die Polizei war mit mehreren Personen vor Ort und begleitete die Demonstranten.
Etwas die Hälfte der Versammelten startete nach einer kurzen Pause am Bahnhof zu einer weiteren Runde. Um die 150 Personen liefen erneut durch die Obere Bahnhofstrasse in Richtung Altstadt und wieder zurück. (lsf)
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/wil/wil-ticker-ueber-200-massnahmengegner-demonstrieren-in-wil-kantonsraete-befuerchten-ueberlastung-des-notfalls-in-wil-fuer-palliativ-stationen-in-flawil-und-walenstadt-ld.1266924)


Studenten organisieren Demo in Lausanne: 2000 Menschen protestieren gegen Zertifikatspflicht
In der Deutschschweiz war der Studentenprotest gegen das Zertifikat an der Uni ein Flop. Anders in Lausanne. Hier gingen am Dienstagabend knapp 2000 Menschen auf die Strasse.
https://www.blick.ch/schweiz/studenten-organisieren-demo-in-lausanne-2000-menschen-protestieren-gegen-zertifikatspflicht-id16850388.html
-> https://www.watson.ch/schweiz/romandie/755189892-2000-menschen-demonstrieren-in-lausanne-gegen-zertifikatspflicht
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/2000-menschen-demonstrieren-in-lausanne-gegen-zertifikatspflicht-66007540


Coronavirus: Der Vergleich mit Nazi-Deutschland ist unzulässig
Das Coronavirus spaltet die Bevölkerung. Einige sehen in der Pandemie-Politik Parallelen zur Nazi-Zeit. «Unzulässig» findet dies ein Historiker und ordnet ein.
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-der-vergleich-mit-nazi-deutschland-ist-unzulassig-66006108


+++HISTORY
Der Grenzpolizist Paul Grüninger verhalf verfolgten Juden zur Flucht
Polizist und Fälscher
Der Polizeikommandant Paul Grüninger verhalf in den dreißiger Jahren jüdischen Flüchtlingen zur Einreise in die Schweiz und verstieß damit gegen Regierungsanweisungen. Erst in den neunziger Jahren wurde er rehabilitiert.
https://jungle.world/artikel/2021/37/polizist-und-faelscher


Stadtplan zur Zürcher Kolonialgeschichte – Schweiz Aktuell
Der Kolonialismus hat auch in Zürich Spuren hinterlassen. Zürcher:innen waren auf vielfältige Weise beteiligt. In Zusammenarbeit mit dem Verein «Zürich Kolonial» gibt es einen Stadtrundgang in Zürich, der diese Verbindungen nun sichtbar macht.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/stadtplan-zur-zuercher-kolonialgeschichte?urn=urn:srf:video:61fd8e7e-3066-4cca-bca1-3c917f5a5177


+++KNAST
Update Freiheitsentzug
Quartalsweise Übersicht über die internationale und nationale Rechtsprechung und Entwicklungen im Bereich des Freiheitsentzugs
Der Themenbereich Polizei und Justiz erstellt quartalsweise eine Sammlung der relevanten nationalen und internationalen Rechtsprechung sowie politischer Vorstösse im Bereich des Freiheitsentzuges im Auftrag der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF). Der Fokus liegt dabei auf der Ausgestaltung eines Freiheitsentzuges (Haftbedingungen) und nicht auf der Rechtmässigkeit eines Freiheitsentzuges.
https://www.skmr.ch/de/themenbereiche/justiz/publikationen/update-freiheitsentzug.html?zur=2


Vom Täter zum Opfer: Carlos wird heute 26 Jahre alt
Brian, welcher im Fall «Carlos» berühmt wurde, ist heute 26 Jahre alt geworden. Eine Künstlergruppe lancierte nun eine Kampagne, bei der es darum geht, die Geschichte aus seiner Perspektive zu erzählen. Dass nun der Täter als Opfer dargestellt wird, kommt nicht bei allen gut an.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/vom-taeter-zum-opfer-carlos-wird-heute-26-jahre-alt-143826880
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/straftaeter-brian-wird-zum-kunstprojekt-kanton-zuerich-finanziert-mit-00165914/



tagesanzeiger.ch 21.09.2021

Wirren um Brian-Kunstprojekt: «Schweizer Qualitätsfolter»: Kunst oder Sicherheitsrisiko?

Ein Künstlerkollektiv beleuchtet Brians jahrelange Isolationshaft kritisch. Die Justizdirektion spricht Geld dafür. Und die Kapo hat Bedenken.

Liliane Minor

Die Szene ist so absurd wie symptomatisch. Zum 26. Geburtstag von Brian, dem wohl bekanntesten Häftling der Schweiz, haben Kunstschaffende einen pinkfarbenen Kuchen mit der Aufschrift «Swiss Quality Torture» (Schweizer Qualitätsfolter) organisiert und lassen sich damit auf dem Trottoir vor der Strafanstalt Pöschwies in Regensdorf von der Presse fotografieren. Mindestens sechs Beamte der Kantonspolizei beobachten die Szene argwöhnisch, sie sind eigens deswegen vorgefahren. Begründung: «Sicherheitsbedenken».

Näher ans Gefängnis dürfen die Beteiligten nicht. Der Parkplatz direkt vor dem Tor sei Privatgelände. Etwas später wird Sabina Aeschlimann vom Kollektiv #Bigdreams erzählen, der Pressetermin samt Kuchenverteilung wäre von der Polizei beinahe ganz verboten worden. Wegen «Sicherheitsbedenken».

Noch gefährlicher sind aus Sicht der Kantonspolizei und der Regensdorfer Behörden offenbar eine Kunstinstallation und ein öffentliches Podiumsgespräch mit UNO-Folterexperte Nils Melzer. Melzer hat die Schweiz unlängst harsch für Brians jahrelange Einzelhaft kritisiert. Podiumsgespräch und Installation waren für Ende Oktober im Gemeinschaftszentrum Roos in Sichtweite zur Pöschwies geplant. Doch die Behörden kündigten den Mietvertrag. Grund: «Sicherheitsbedenken». Eine unbewilligte Demo, ja sogar Ausschreitungen seien nicht auszuschliessen.

Carlos als Bausatz

Sowohl der Kuchen als auch das Podiumsgespräch gehören zu einem mehrteiligen Kunstprojekt des Kollektivs #Bigdreams, das Sabina Aeschlimann zusammen mit Daniel Riniker ins Leben gerufen hat. Ziel: Dem jungen Mann namens Brian eine Stimme zu geben und «den Mythos Carlos» zu überwinden. Carlos war das Pseudonym, unter dem der damals 17-Jährige als angeblich beispielloser jugendlicher Gewalttäter bekannt geworden war.

Erstmals an die Öffentlichkeit getreten ist das Kollektiv Ende Mai während des Berufungsprozesses gegen Brian vor dem Zürcher Obergericht, und zwar mit riesigen Papp-Augen, die einen kritischen Blick auf die mediale Berichterstattung symbolisieren sollten. Einem breiteren Publikum wurde #Bigdreams Ende Juni bekannt, als Brians eigene Instagram-Seite online ging. Darin äussert sich der junge Mann mittels handgeschriebener Nachrichten, die das Kollektiv online stellt.

Am 25. August, genau acht Jahre, nachdem eine Fernsehsendung «Carlos» an die Öffentlichkeit katapultiert hatte, lancierte das Kollektiv einen Webshop mit dem Titel «Sellout Carlos», wo T-Shirts und ein «Carlos-Bausatz» verkauft werden. Mit dem Erlös soll der «Blick» gekauft werden. «Während Jahren hat der ‹Blick› mit dem Label ‹Carlos› Millionen verdient», so das Kollektiv. Das dürfe nie mehr passieren.

Bislang blieben die Mitglieder des Kollektivs anonym, die Bühne solle ganz Brian gehören. Am Dienstag traten die Beteiligten an einer Medienkonferenz erstmals namentlich auf. Es finden sich einige bekannte Personen darunter. Neben Aeschlimann und Riniker, Co-Leiter des Theaters Rämibühl, etwa die Performancekünstler Tobi Bienz und Benjamin Burger sowie Rassismusexpertin Rahel El-Maawi.

Mit von der Partie sind auch das Museum Helmhaus sowie das Theater am Neumarkt, wo das Kollektiv in den nächsten Wochen weitere künstlerische Aktionen plant. So dreht sich vom 16. bis 19. November im Neumarkt alles um Brian, seine Haftbedingungen und seinen grossen Traum, Profiboxer zu werden. Wie die Justiz ihn behandle, werfe ein Licht auf wichtige gesellschaftliche Fragestellungen, sagte Neumarkt-Direktorin Julia Reichert: «Unter welchen Bedingungen sind wir bereit, jemanden zu dämonisieren und Menschenrechte einzuschränken?»

Alles mit Brian abgesprochen

Stellt sich die Gegenfrage, ob da nicht ein Kollektiv genau dasselbe mit Brian tut, was es dem «Blick» vorwirft: Einen tragischen Fall kommerzialisieren. Daniel Riniker räumt zwar ein, dass das Projekt vor einem «unausweichlichen Dilemma» stehe. Derjenige, um den es gehe, werde sich nie live selbst äussern können. «Daraus ergibt sich für uns eine besondere Sorgfaltspflicht», so Riniker.

Alle Aktionen seien mit Brian abgesprochen. Der 26-Jährige ist seit dem ersten Tag «in alle massgeblichen Entscheidungen involviert». Auch der Kuchen war offenbar Brians Idee. Die Farbe Pink und die Form des Kuchens sind Anspielungen auf die Arrestzelle, in welcher Brian eine Zeit lang untergebracht war.

Und das Geld aus «Sellout Carlos»? Falls sich der «Blick» nicht kaufen lasse, werde das Geld für einen guten Zweck gespendet, sagt Benjamin Burger: «Aber noch glauben wir daran.»

Pikant: Geld vom Kanton

Finanziert wird das gesamte Projekt unter anderem – und das ist eine weitere besondere Pointe – von derselben Justizdirektion, die auch den harten Umgang mit dem jungen Straftäter zu verantworten hat. Die Fachstelle Kultur hat 20’000 Franken dafür gesprochen.

Die Direktion respektiere die Freiheit der Kultur, schreibt Hannes Nussbaumer von der Kommunikation auf Anfrage: «Auch der Justizvollzug muss Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung sein können.» Selbstredend hätten die Kunstschaffenden dafür zu sorgen, dass ihre Projekte ethischen Grundsätzen genügen, insbesondere im Umgang «mit verletzlichen Menschen wie beispielsweise Strafgefangenen».
(https://www.tagesanzeiger.ch/schweizer-qualitaetsfolter-kunst-oder-sicherheitsrisiko-691588473534)



nzz.ch 21.09.2021

Ist diese Kunst gefährlich? Ein Kollektiv will Straftäter Brian eine Stimme geben. Doch die Behörden haben Sicherheitsbedenken

Das Künstlerkollektiv «#BigDreams» will die Geschichte des jungen Straftäters Brian erzählen – aus seiner Perspektive. Ist das noch Kunst?

Fabian Baumgartner, Jan Hudec

Zuerst richten sich übergross auf Pappe gemalte Augen auf den Prozess am Zürcher Obergericht, dann meldet sich der Straftäter selbst zu Wort. «Hey, hier ist Brian», ist auf dem handgeschriebenen Zettel zu lesen, den ein Zürcher Künstlerkollektiv auf Instagram gestellt hat. Es ist der erste Auftritt des unter dem Pseudonym «Carlos» berühmt-berüchtigt gewordenen jungen Mannes als Teil eines Kunstprojekts mit dem Titel «#BigDreams».

Am Dienstagmittag ist das Kollektiv zusammen mit Brians Verteidigern in einem Gemeinschaftszentrum in Sichtweite der Pöschwies vor die Medien getreten. Die Veranstaltung ist der Auftakt zum dritten von insgesamt fünf Akten des Medientheaters.

Eigentlich wären im Oktober auch eine Installation und Podiumsgespräche im Gemeinschaftszentrum geplant gewesen. Doch die Gemeinde Regensdorf kündigte den Mietvertrag kurzfristig. Begründung: Sicherheitsbedenken.

Wie wird aus einem Kunstprojekt ein Sicherheitsproblem? Zumal bei einem, das von der kantonalen Fachstelle für Kultur mit 20 000 Franken unterstützt wird. Und: Ist das nun noch Kunst oder nicht vielmehr Aktivismus?

Kritik an den Justizbehörden

Die NZZ trifft die Beteiligten eine Woche vor dem Auftritt in der Malwerkstatt auf der Werdinsel zum Gespräch. Es versammeln sich Daniel Riniker, Sabina Aeschlimann, Tobi Bienz, Ben Burger als Vertreter des Künstlerkollektivs sowie Julia Reichert und Nikolai Prawdzic vom Theater Neumarkt, das mit der Gruppe freischaffender Künstler für das Projekt kooperiert.

Das Künstlerkollektiv positioniert sich klar: Es will in dem Projekt nicht nur Brian selber zu Wort kommen lassen und problematische Narrative der medialen Berichterstattung beleuchten. Ebenso wollen die Künstler auf die aus ihrer Sicht menschenunwürdige Behandlung des jungen Mannes im Gefängnis aufmerksam machen.

Überschreitet Kunst nicht eine Grenze, wenn sie derart klar Position für eine Seite einnimmt? Und was macht ausgerechnet Brian interessant? Die Macher des Projekts antworten gemeinsam.

Natürlich machen wir Kunst. Unsere Aufgabe verstehen wir darin, hegemoniale Deutungsmuster in dem Fall zu hinterfragen. Sobald sich Kunst damit befasst, Wirklichkeit zu spiegeln, wird sie schnell auch politisch oder aktivistisch. Das finden wir nicht problematisch. Sowieso: Wenn Kunst sich nicht zu gesellschaftlichen Themen äussert, welche Berechtigung hat sie dann? Sie kann sich doch nicht nur auf das «Schöne und Gute» zurückziehen. Es ist ja nicht das Gleiche, ob jemand Unterschriften sammelt oder ob man ein kritisches Kunstprojekt macht, das zu Reflexion einlädt.

Brian ist aus unserer Sicht interessant, weil er ein Extremfall ist, der uns alle etwas angeht. Die Menschenrechte beispielsweise, die in seinem Fall verletzt werden, sind da, um uns alle zu schützen. Wir wollen deshalb auf die problematischen Zustände im Schweizer Justizsystem aufmerksam machen. An seinem Fall zeigen sich die benachteiligenden Bedingungen in unserem Rechtssystem, die bis hin zu Folter reichen.

Es gibt aber auch eine Gegenposition, die der Zürcher Justizbehörden. Für diese sind die gegen sie erhobenen Vorwürfe der Folter sowie der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung schlicht nicht nachvollziehbar. Die Unterbringung sei rechtskonform und nicht zu beanstanden, hielt das zuständige Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung wiederholt fest.

Auf den Inhalt des Kunstprojekts geht die Justizdirektion auf Anfrage nicht näher ein. Sie schreibt, dass man die Freiheit der Kultur respektiere und sich deshalb auch nicht gegen einen Förderbeitrag für «#BigDreams» gestellt habe. «Auch der Justizvollzug und damit der repressive Staat müssen Gegenstand künstlerischer Auseinandersetzung sein können.»

Zwischen den Zeilen ist aber leise Kritik zu lesen. So schreibt die Justizdirektion weiter, dass mit der Freiheit der Kultur selbstredend auch Verantwortung verbunden sei. Die Kulturschaffenden und Kulturinstitutionen seien darum verantwortlich dafür, dass ihre Kulturprojekte auch ethischen Grundsätzen genügten. «Das trifft insbesondere auf den Umgang mit vulnerablen, psychisch geschwächten Menschen wie Strafgefangenen zu.»

Angst vor Ausschreitungen

Doch weshalb wird das Projekt zum Sicherheitsproblem? Die Gemeinde Regensdorf schreibt auf Anfrage, dass bei der Unterzeichnung des Mietvertrags für das Gemeindezentrum Roos, das in unmittelbarer Nähe zur Justizvollzugsanstalt Pöschwies liegt, zunächst nicht klar gewesen sei, dass Veranstaltungen zum Fall Brian geplant seien. Dies habe sich erst nach mehreren Gesprächen mit den Künstlern herauskristallisiert, was Misstrauen geweckt habe. Dieser Darstellung widerspricht das Künstlerkollektiv jedoch. Man habe offengelegt, worum es gehe.

Für eine Lagebeurteilung hat Regensdorf laut eigenen Angaben auch die Kantonspolizei Zürich konsultiert. Es sei nicht auszuschliessen, dass «unbewilligte Demonstrationsaktivitäten durchgeführt werden, welche unmittelbar vor der JVA unerwünscht sind und allenfalls zu Sicherheitsproblemen beim Betrieb der JVA führen könnten», schreibt die Gemeinde. Allenfalls drohten gar Ausschreitungen. Dies sei nicht im Sinne von Regensdorf.

Die Gemeinde respektiere und ermögliche selbstverständlich die freie Meinungsäusserung. Nach einer Güterabwägung sei man aber vorläufig zu dem Schluss gekommen, den Mietvertrag aufzulösen. Die Gemeinde werde in den nächsten Tagen das Gespräch mit den Verantwortlichen suchen, um alle offenen Fragen gemeinsam zu besprechen. «Im Nachgang zu diesen Gesprächen wird die Situation erneut geprüft.»

Fixplatz in der Skandalberichterstattung

Das Pseudonym «Carlos» wurde dem damals noch minderjährigen Brian in einem Dokumentarfilm des Schweizer Fernsehens über den Jugendanwalt Hansueli Gürber im Herbst 2013 verliehen. Es ist dieses Pseudonym, das den jungen Mann in den folgenden Jahren begleiten und ihm einen Fixplatz in der Berichterstattung bescheren sollte – als einem der bekanntesten Straftäter der Schweiz und notorischem Kriminellem.

Der 26-Jährige hat inzwischen beinahe zehn Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht. Seit mehr als drei Jahren befindet er sich in der Pöschwies in Sicherheitshaft – wegen Delikten, die allesamt hinter Gefängnismauern passiert sein sollen.

23 Stunden am Tag sitzt er allein in einer Spezialzelle. Für ihn gibt es keine Arbeit, keine Freizeitgestaltung und keinen Kontakt zu anderen Häftlingen. Familienbesuche finden nur hinter einer Trennscheibe statt. Nicht mehr nur Brians Straftaten beschäftigen deshalb die Gerichte und Behörden, sondern längst auch der Umgang der Behörden mit dem jungen Mann. Inzwischen hat Nils Melzer, der Uno-Sonderberichterstatter für Folter, bei der Schweiz interveniert und eine Änderung der Haftbedingungen verlangt.

«Ich bin Brian, nicht ‹Carlos›»

«Ich bin Brian, nicht ‹Carlos›», erklärte der junge Straftäter gegenüber der Sendung «Rundschau» des Schweizer Fernsehens. Das war im Oktober 2019 und kurz vor dem Prozess am Bezirksgericht Zürich, bei dem die Staatsanwaltschaft eine ordentliche Verwahrung für ihn forderte. Die Aussage war der Ausgangspunkt für das Kollektiv «#BigDreams». Sie nahmen Kontakt zu Brian auf, man kam ins Gespräch, Brian führte handschriftlich Tagebuch und schickte die Protokolle per Briefpost an die Kunstschaffenden.

Daraus entstanden sind die Instagram-Posts. Zuletzt schrieb er: «Ihr wolltet ein Monster, und die Medien haben euch ein Monster gegeben: ‹Carlos›, eine Erfindung.» Zudem folgten weitere Aktionen des Kollektivs, unter anderem der Verkauf von Merchandise-Artikeln wie einer Actionfigur. Das erklärte Ziel: mit dem Gewinn die Boulevardzeitung «Blick» kaufen. Begründung: Brian lasse es nicht länger zu, dass die Medien mit der Verwendung des Pseudonyms «Carlos» Gewinne machten.

Hat das Projekt ein Ziel? Die Künstlerinnen und Künstler sagen:

Die Frage, die wir uns stellten, hiess: Wie kann aus «Carlos» wieder Brian werden? In den Medien wurde eine Kunstfigur entworfen, um sie für Klicks auszuschlachten. Brian wurde unter dem Pseudonym «Carlos» zu einer Medienfigur stilisiert, die wir nun zu dekonstruieren versuchen. Wir fragen zum Beispiel, weshalb es zum Namen «Carlos» kam. Denn die Darstellung folgt zu häufig fremdenfeindlichen und rassistischen Stereotypen. Geschildert wird der schwarze, gefährliche Mann, der unbelehrbare Kriminelle, der undankbare Ausländer. Auch wenn das nicht mit der Realität übereinstimmt.

Inzwischen ist «Carlos» in vielen Medienberichten zwar wieder zu Brian geworden, aber viele mit dem Pseudonym verknüpfte, stereotype Zuschreibungen sind geblieben. Es wird zwar Brian geschrieben, aber gemeint ist immer noch «Carlos».

Den Titel des Projekts hat Brian selbst gesetzt. Denn alles, was er an Normalität wünscht, ist aus seiner Perspektive ein grosser Traum. Nur schon der Wunsch, aus dem Gefängnis herauszukommen, Sport zu treiben und eine Boxkarriere zu machen, ist für ihn ein «big dream».

Auch die tiefgreifenden, gesellschaftlichen Veränderungen, die wir anstreben, sind «big dreams». Brian wird so lange zu «Carlos» gemacht, wie wir ein Mediensystem haben, das auf Klicks ausgerichtet ist. Das Justizsystem wird nicht besser, solange es auf Probleme nur mit Repression und Gegengewalt antwortet.

Projekt mit und doch ohne Brian

In der nächsten Woche wollen die Künstlerinnen und Künstler deshalb eine Debatte über die Haftbedingungen in der Schweiz anstossen. Dazu gibt es eine Ausstellung im Helmhaus, gleichzeitig tourt das Kollektiv unter dem Titel «Swiss Quality Torture» mit einem pink bemalten Kubus durch die Stadt Zürich und Winterthur, um auf öffentlichen Plätzen auf die Situation Brians aufmerksam zu machen.

Und schliesslich wird das Theater Neumarkt in ein Boxgym verwandelt. Es gibt unter anderem Trainings für grosse Träume, Performances, eine Graphic Novel zu Brians Briefen und Podiumsveranstaltungen zu Menschenrechten und Medienökonomie. Eingeladen dazu hatten die Mitglieder des Kollektivs auch Brian. Doch vom Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung wurde das Gesuch abgelehnt.

Im Projekt fehlt die Seite von Brians Opfern. Warum kommen sie nicht vor?

Wir setzen keinen Fokus auf die Opfer, weil Opferschutz ein vollkommen anderes, ebenfalls wichtiges Projekt wäre. «#BigDreams» handelt von Menschenrechten, Medienkritik und strukturellem Rassismus. Zudem hat Brian die Strafen für diese Straftaten verbüsst. Inzwischen ist er es, der zum Opfer des Justizsystems geworden ist.

Wie das Projekt ausgeht, lässt das Kollektiv offen. Es sei nicht abzusehen, wie der Fall weitergehe, halten die Künstlerinnen und Künstler fest. Das dürfte nicht nur vom jungen Straftäter und von den Justizbehörden abhängen, sondern auch von den Gerichten. Eines ist klar: Der Fall wird noch jahrelang beschäftigen.
(https://www.nzz.ch/zuerich/fall-brian-behoerden-haben-sicherheitsbedenken-wegen-kunstprojekt-ld.1645750)