Medienspiegel 18. September 2021

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+++GLARUS
woz.ch 16.09.2021

Asylpolitik: Dann sprang er

Er flüchtete aus dem kurdischen Teil des Iran und war überzeugt, dass die Schweiz ihm die Sicherheit geben würde, die er stets vermisst hatte. Massud Ghaderi wurde enttäuscht. Und ging aus dem Leben.

Von Christoph Keller (Text) und Jeanette Besmer (Illustration)

Am Samstag, 22.  August 2020, kurz nach 19 Uhr, springt Massud Ghaderi am Bahnhof Ziegelbrücke vor einen einfahrenden Zug, kurz darauf stirbt er.

Noch am Nachmittag, erzählte Darya Lotfi mit ihrer rauen, warmen Stimme ein Jahr später, war er mit Kollegen aus dem Asylzentrum unterwegs gewesen, ein Bier hatte er getrunken, oder zwei; aber betrunken sei er nicht gewesen, nein.

Eine Kurzschlusshandlung, sagte Lotfi, oder vielleicht auch nicht.

Massud Ghaderi, wohnhaft gewesen in der Asylunterkunft in Ennenda, Kanton Glarus, aus dem kurdischen Teil des Iran stammend, aus Bukan, einer Provinzstadt ganz im Nordwesten, in die Schweiz eingereist im September 2018. Sein Asylantrag war im Eilverfahren abgelehnt worden, der Rekurs vor Bundesverwaltungsgericht noch hängig.

Sein Suizid machte die Diaspora der iranischen KurdInnen in ganz Europa betroffen, die Medien berichteten, und kurdische AktivistInnen in London, in der Schweiz, im Iran sahen in seinem Suizid ein Zeichen dafür, dass die Schweizer Behörden die Fluchtgründe von Menschen aus dem Iran schlicht übergehen, dass es vielen so geht wie Ghaderi – sie haben panische Angst vor einer Ausschaffung in den Iran, wo Haft, Verfolgung und Folter drohten.

Lotfi hat beruflich mit Sprachen zu tun, ist gebürtige Iranerin, sie möchte ihren richtigen Namen aber nicht in der Zeitung sehen. Sie sass mir in ihrer Wohnung gegenüber, der Blick durchs Fenster ging auf grüne Wiesen, hohes Gebirge, voralpine Landschaft. Auf dem Tisch lagen Fotos von Ghaderi, Fotokopien, und Lotfi stand immer wieder auf, um in den vielen Aktenstücken nach weiteren Papieren zu suchen, nach Belegen für das, was geschah und was sie bis heute nicht zu fassen bekommt.

Sie lernte Ghaderi vor seiner Erstbefragung beim Staatssekretariat für Migration kennen, seine Schwester hatte Lotfi gebeten, Ghaderi ein wenig zu erklären, worauf es bei dieser Befragung ankommt. Dass man alles erzählen muss, alles, und dass man keine Fehler machen darf, nicht bei den Daten, nicht bei den Orten, und keine Widersprüche in den Erzählungen. Dass er detailreich erklären muss, was es heisst, im Iran ein Kurde zu sein, dass er erzählen soll von den Haftbefehlen wegen «Beleidigung des iranischen Staates», wegen «Bruch der Ehe».

«Aber dann?», fragte ich Lotfi.

«Dann ist er nach Bern gegangen und hat eben nur einen Teil der Geschichte erzählt, nicht das Ganze.»

«Warum?»

«Massud war sensibel, verletzlich, aber auch sehr stolz. Und er ging davon aus, dass man ihn in der Schweiz mit Respekt behandeln würde, nicht so wie im Iran, als er ins Gefängnis geworfen wurde, ausgepeitscht, weil in seinem Auto drei Dosen Bier gefunden worden waren. Er dachte, hier in der Schweiz würde man seine Würde respektieren, und so glaubte er, es reiche, wenn er einige Geschichten seiner Verfolgung schilderte, dass es nicht alle brauchte.»

«Dann kam der negative Entscheid.»

«Es war eindeutig, dass Massud eine depressive, eine traurige Seite hatte. Aber an dem Tag, als der negative Entscheid kam, ist er zusammengebrochen, so richtig. Er hat mich angerufen, hat gesagt, komm sofort, bitte. Er schickte mir ein Foto der ersten Seite des Entscheids. Und ich nichts wie los, mit dem Auto nach Ziegelbrücke, da traf ich ihn an, und er redete nur noch davon, dass er sich umbringen will.»

Lotfi erkennt, als sie Ghaderi an diesem Tag am Bahnhof Ziegelbrücke antrifft, dass sie hier eine besondere Verantwortung hat, dass sie um sein Leben kämpfen muss.

Um Ghaderi, in dem sich die Sätze aus dem erstinstanzlichen Entscheid festgesetzt haben:

«Es ist davon auszugehen, dass die geltend gemachten Verfolgungsmassnahmen frei erfundene Konstrukte sind», «Ausserdem lassen sich Dokumente aus dem Iran vergleichsweise leicht fälschen bzw. können käuflich erworben werden» und «Es bleibt festzuhalten, dass Sie zwar angeblich einen Haftbefehl und Droh-SMS bekommen haben, aber diese Beweismittel nicht beibringen können»; und was seine psychische Labilität angehe, bestehe immer die Möglichkeit, «dieses Verhalten nachzuahmen und so zu einem Aufenthaltsrecht in der Schweiz zu gelangen».

Folglich sei «der Vollzug der Wegweisung in den Iran als zumutbar zu erachten».

Das Durchgangszentrum für Asylsuchende, in dem Ghaderi zuletzt gelebt hat, ist ein grosses, einladendes Haus auf einem kleinen Hügel am Rand von Ennenda, sozusagen die Agglomeration von Glarus. Rundherum stotzige Felswände, inneralpine Enge, in der Nachbarschaft Gewerbe, Einfamilienhäuser, fein geputzte, menschenleere Trottoirs. Aber vor dem grossen Haus plötzlich Leben, als ich ankam, sassen unter der Linde im Garten Frauen und Männer, die Deutschvokabeln büffelten, in der Küche schepperten die Töpfe, von irgendwoher helles Lachen.

Christine Saredi, kurzes, leicht angegrautes Haar und markante Brille, hat gezögert, nochmals über den Fall Ghaderi zu sprechen; zu sehr hat der Suizid sie, die Asyl- und Flüchtlingskoordinatorin des Kantons Glarus, und ihr Team mitgenommen, hat schmerzliche Spuren hinterlassen.

Nun aber erzählte sie, vielleicht auch, weil sie klarstellen wollte, dass der Umgang mit Menschen auf der Flucht hier im Glarnerland ein anderer sei als anderswo, wie sie einleitend betont: Man habe ein Konzept entwickelt, um Menschen im Asylverfahren möglichst früh in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die Firmen im Tal seien froh darum. Und man verfüge über gute, ansprechende Unterkünfte, keine Bruchbuden. Das sogenannte Glarner Integrationsmodell sei erfolgreich und werde in anderen Kantonen nachgeahmt, sagte mir Saredi, und sie erwähnte auch die verschiedenen Treffpunkte im Kanton, bei denen sich Menschen im Asylverfahren und die Einheimischen begegnen könnten.

In diesem Umfeld lernt Ghaderi schnell Deutsch, wird Hauswart im Durchgangszentrum, übernimmt Verantwortung für die Technik, beginnt als Lieferwagenfahrer beim hausinternen Dienst. Und in seiner Freizeit findet er Anschluss in der Ringerriege beim Turnverein Tuggen, geht regelmässig trainieren, kann seine Technik weiterentwickeln. Und schmiedet Pläne, spricht davon, dass er in der Schweiz eine Ausbildung zum Buschauffeur machen will, das ist sein Traum.

Bis zum Entscheid.

Saredi nimmt die Veränderung wahr, sie spürt, dass da etwas zerbrochen ist, nimmt Ghaderi beiseite zum Gespräch. Versucht, ihm klarzumachen, dass es Lösungen gibt, den Rechtsweg zunächst, dass er eine Ausschaffung nicht zu fürchten habe.

«Aber das hat nichts genützt?»

«Er war nach dem erstinstanzlichen Entscheid sehr angeschlagen, keine Frage. Wir haben ihn dann zum Hausarzt geschickt, wir haben für ihn eine Psychotherapie organisiert. Ich habe ihm gesagt, hör zu, Massud, du musst nicht zurück.»

«Hat er sich verraten gefühlt?»

«Das kann ich nicht beurteilen, ich sehe die Asylentscheide ja nicht. Aber es gab sicher etwas, das hat das Fass zum Überlaufen gebracht.»

«Und dann?»

«Ehrlich gesagt habe ich nicht damit gerechnet, dass er sich etwas antut, er war ja in Behandlung. Wir wussten zwar, und das war sicher ein Alarmzeichen, dass er alle Beziehungen nach und nach abgebrochen hat, auch zu Darya, auch zu mir, er war irgendwann mal nicht mehr erreichbar. Aber wir dachten nicht, dass er so weit gehen würde.»

Auch Marco Lo Presti, Leiter der Beschäftigungsprogramme, nicht.

Lo Presti, der mit Ghaderi mit dem Lieferwagen unterwegs ist, Möbeltransporte von einer Unterkunft zur anderen macht, Umzüge, Räumungen. Ghaderi stemmt ganze Schränke allein, ganze Tische, ein Kraftpaket. Er sitzt auch am Steuer des Lieferwagens, freut sich, dass er fahren kann, oft schweigsam, manchmal erzählt er auch. Berichtet von seiner Zeit im Iran, von seiner Flucht und davon, dass dieser negative Asylentscheid ein riesiger Frust sei, dass er das Gefühl habe, nicht wirklich gebraucht zu werden in diesem Land Schweiz.

Er ist einer, vor dem alle Respekt haben im Tal, den alle mögen, immer zuverlässig, er kann es mit allen. Nie kommt ein lautes Wort von ihm, er hat eine eigene, irgendwie sanfte Autorität. Ghaderi, der auch bei einem Streit im Asylzentrum nie körperlich eingreift, trotz seiner Muskelpakete, der sagt, er sei nicht in die Schweiz gekommen, um hier Methoden wie im Iran anzuwenden.

Und ja: Ein talentierter Ringer sei er gewesen, sagte mir Hansruedi Ulrich, Vorstandsmitglied bei der Ringerriege STV Tuggen, er habe grosses Potenzial gehabt. Nur noch ein paar Monate, und er hätte Mitglied werden können bei Swiss Wrestling, hätte Wettkämpfe bestreiten können, im Kader.

Doch dann der Entscheid.

Damals, am Bahnhof Ziegelbrücke, erzählte Lotfi, als Ghaderi davonläuft, quer über die Strasse, einfach davon, als er sagt, er bringe sich um, telefoniert Lotfi hierhin, dorthin, kontaktiert die Asylbehörde in Glarus, telefoniert sich durch, kriegt schliesslich einen Mitarbeiter ans Telefon. Der setzt sich ins Auto und findet Ghaderi, kann ihn überreden, mit in die Psychiatrie zu fahren. Dort hält die Assistenzärztin, die ihn untersucht, fest, Ghaderi habe «heute einen negativen Asylentscheid erhalten und ist akut suizidal». Seit einem Jahr hätten «die Suizidgedanken zugenommen, und er habe schon über verschiedene konkrete Methoden nachgedacht, aber nie einen Versuch gemacht. Sich jedoch nie dazu entschieden, weil er etwas Hoffnung habe, nun habe er keine Hoffnung mehr und kann nicht garantieren, dass er sich nicht das Leben nimmt.»

Man verbringt ihn in die Klinik Waldhaus in Chur.

Und dort wird tags darauf die Diagnose erstellt, der Patient könne sich «im Gespräch glaubhaft von Suizidalität distanzieren», er habe «einfach Angst, dass er zurück in sein Heimatland geschickt wird».

Lo Presti holt ihn in Chur ab.

Ghaderi sagt, er gebe sich vier Wochen. Wenn sich bis in vier Wochen nichts an seiner Situation ändere, werde er es tun.

Lotfi weiss, dass sich Ghaderi gut verstellen kann, er kann schauspielern, wenn es darauf ankommt. Sie kümmert sich um ihn, schaut, dass sie ihn am Wochenende regelmässig sieht, nimmt ihn bei sich auf.

Achtet darauf, dass er sich wieder bei seiner Schwester meldet.

Bei seiner Schwester, die mir via Zoom ruhig und klar schilderte, dass die KurdInnen im Iran diskriminiert und verfolgt werden, sie erzählt von Folter, willkürlichen Verhaftungen und Erschiessungen, von der Hinrichtung von Intellektuellen und AktivistInnen, und dass das endlich anerkannt werden müsse. Und diese Diskriminierungen habe Ghaderi, der schon als Junge feinfühlig gewesen sei, ein nachdenklicher, stiller Mensch, aufmerksam wahrgenommen. Erschwerend sei gewesen, erzählte sie, dass der Vater sich an die Regierung verkauft habe, für den Geheimdienst gearbeitet habe, ein überaus strenger, autoritärer Mensch, während die Mutter, von Beruf Lehrerin, den Kindern alle Liebe gegeben habe. Ghaderi sei im dauernden Streit mit seinem Vater gewesen, und vieles, was sich später ereignet habe, führe sie auf diesen Konflikt zurück, sagte seine Schwester. Dass er sein Studium abgebrochen habe, trotz bester Noten, dass seine Ehe in die Brüche gegangen sei, all diese Dinge.

«Dinge, über die er bei seiner ersten Befragung nichts erzählt hat?»

«Ja, aus Stolz, weil Massud auch ein stolzer Mensch war.»

«Die Asylbehörden haben das nicht verstanden.»

«Nein, haben sie nicht. Sie haben nicht verstanden, dass er bestimmte Ereignisse nicht erzählen wollte, aus persönlichen Gründen. Sie haben ihm aus Detailfragen einen Strick gedreht, nur weil er ehrlich genug war, zu sagen, er könne sich nicht genau erinnern, an Daten, an Orte. Sie müssen wissen, dass Massud ein grundehrlicher Mensch war.»

«Und er hat erwartet, dass das auch anerkannt wird.»

«Ja, aber was soll man tun, wenn ein System nicht halten kann, was es verspricht?»

Vier Wochen, er hält daran fest.

Immerhin erreicht Lotfi, dass er gegen den erstinstanzlichen Entscheid Beschwerde erhebt, beim Bundesverwaltungsgericht. Dass er im neuen Verfahren die ganze Geschichte erzählt, nicht nur Fragmente, nicht nur das, was sein Stolz zulässt, sein Eigensinn.

Alles, was ihm widerfahren war, steht dann in der Beschwerdeschrift, sorgfältig zusammengestellt von der Zürcher Beratungsstelle für Asylsuchende, seine Geschichte:

Die überstürzte, sehr frühe Heirat mit knapp über zwanzig. Er konnte das Brautgeld nicht bezahlen, und nachdem die Ehe in die Brüche gegangen war, hat der Bruder seiner Frau begonnen, das Brautgeld einzufordern. Nicht für die Familie, sondern für eine Miliz, für die er tätig war. Der Bruder seiner Frau erreichte, dass gegen Ghaderi ein Haftbefehl wegen «Bruchs der Ehe» ausgesprochen wurde. Sein Vater, ein führendes Kadermitglied des iranischen Geheimdienstes, liess ihn mit seinen Problemen allein, und Ghaderi, auf sich allein gestellt, überfordert, konnte jederzeit festgenommen werden. Es begann mit der Verurteilung wegen Alkoholbesitz, drei Monate im Gefängnis, er wurde drangsaliert, gefoltert, und als er herauskam, gingen die Schikanen weiter. Er lebte monatelang in seinem Auto, immer unterwegs, Ghaderi musste seinen Job in einem Geschäft für Haushaltsgeräte aufgeben, er wurde verfolgt. Ein Auto stellte sich ihm in den Weg, mitten in der Nacht, er konnte gerade noch entkommen, immer wieder ein anderes tauchte auf, das ihn stundenlang verfolgte. Dann ein weiterer Haftbefehl wegen «Nichtbezahlung des Brautpreises», ein anderer wegen «Beendigung der Ehe», noch einer wegen «Verleumdung, Beleidigung und Verbreitung von Lügen sowie Beleidigung der Heiligkeit der Islamischen Republik Iran und der schiitischen Religion». Er entschied sich zur Flucht.

Im Beschwerdeverfahren bringt Ghaderis Anwalt alle Dokumente bei, beglaubigte Kopien und Übersetzungen der Haftbefehle, der Gerichtsurteile. Dazu weitere Unterlagen über die Unterdrückung der KurdInnen im Iran, und warum Ghaderi wegen seiner ethnischen Zugehörigkeit als Kurde einer ständigen, schweren und systematischen Erschwerung der Lebensumstände ausgesetzt war, alles minutiös aufgeführt. Auch die detaillierten Umstände der Flucht, mit dem Auto zur Grenze, im Lastwagen versteckt quer durch die Türkei, dann hinter Paletten verborgen auf einem Sattelschlepper bis in die Schweiz.

Und der Anwalt weist im Beschwerdeverfahren auf einen Umstand hin, den Ghaderi in der ersten Befragung nicht vorgebracht hatte, weil er annahm, das sei seine Privatsache: seine Konversion zum Christentum. Der Beschwerdeschrift beigelegt ein Taufschein der Freien Evangelischen Kirche Ennenda, dazu die Begründung, warum Ghaderi als Christ bei einer allfälligen Ausschaffung in den Iran nun besonders gefährdet wäre.

Ghaderi, der zwischenzeitlich eine Therapie angefangen hat, tut alles, um den Anforderungen der Asylbehörden nachzukommen. Aus seiner Sicht, so formuliert es Lotfi, ist nun alles offen und ehrlich dargelegt.

Aber es kommt anders.

Das Staatssekretariat für Migration argwöhnt in seiner Vernehmlassung zur Beschwerde zunächst, es sei nicht nachvollziehbar, «warum der Beschwerdeführer diese Dokumente erst nach dem Erlass des Entscheides einreichte», und mutmasst, es komme der Verdacht auf, «dass die Dokumente im Zeitpunkt des Entscheides noch gar nicht existierten und erst auf Beschwerdeebene hergestellt wurden», also gefälscht seien. Zudem sei es, was die Konversion zum Christentum angehe, «schleierhaft, warum der Beschwerdeführer dieses Vorbringen erst jetzt geltend macht, zumal die Anhörung erst nach dessen Konversion stattfand», woraus das Staatssekretariat schlussfolgert, dieses Vorbringen diene allein dazu, «den Wegweisungsvollzug zu verhindern», und überhaupt sei unklar, inwiefern «die Zuwendung zum Christentum aus innerer Überzeugung und nachhaltig erfolgt» sei.

Lotfi in ihrer Wohnung, draussen der Blick auf den Alpenkamm, sie musste tief Luft holen.

«Weisst du, er hat sein Land so sehr geliebt, es fiel ihm so schwer, aus dem Iran zu flüchten, und dann kommt er hier an und es heisst, er sei unglaubwürdig.»

«Trotz der beigebrachten Dokumente.»

«Sie haben diese als Fälschungen abgetan, ja. Obwohl die Originale das Wasserzeichen haben, den Stempel des Gerichts, die Unterschriften. Schau es dir selbst an, das kann nicht gefälscht werden, und wir haben es ja beglaubigen lassen, mehr konnten wir nicht tun. Und die schreiben einfach, das seien Fälschungen. Das hat ihn fertiggemacht.»

«Weil er nochmals Hoffnung geschöpft hat.»

«Ja, irgendwie schon. Weil ich ihn zur Beratungsstelle nach Zürich gebracht habe, weil ich gesagt habe, schau, wenn die bereit sind, deinen Fall weiterzuziehen, dann hast du eine Chance. Die Dokumente liegen vor, die belegen alles, wirklich.»

Ghaderi wartet auf ein positives Zeichen, stattdessen ein Aktenstück nach dem anderen, auf dem «unglaubwürdig» steht.

Lotfi muss ihn jetzt drängen, damit sie ihn sehen kann, an den Wochenenden, tagelang meldet er sich nicht, kapselt sich ein. Er verpasst seine Termine bei der Therapie, und wenn Lotfi ihn erreicht, spricht er davon, dass er nichts mehr geniessen könne, nicht das Essen, nicht die Luft, nicht die Menschen, gar nichts. Und geht doch seiner Arbeit nach, mit Lo Presti im Lieferwagen, lässt sich dort kaum etwas anmerken, kann seine tiefe Traurigkeit immer wieder überspielen, am Steuer des Lieferwagens.

Am Freitag geht er ein letztes Mal zur Therapie und sagt, er brauche keine Behandlung mehr, er möchte aufhören.

Der Freitag ist Lotfis Geburtstag, er meldet sich nicht.

Dann der Samstag, wenige Tage nach den gesetzten vier Wochen.

Was hat den Ausschlag gegeben?

War es der Hinweis, der in iranischen Exilkreisen die Runde macht und bis zu ihm durchdringt: dass das Staatssekretariat für Migration die Angaben und Beweismittel von Geflüchteten aus dem Iran durch einen «Vertrauensanwalt» in Teheran überprüfen lässt? Und zwar durch Said Hassan Amirshahi, Inhaber einer Anwaltskanzlei, spezialisiert unter anderem auf die «Verifizierung, Überprüfung der Rechtmässigkeit, Zertifizierung und Authentifizierung von Dokumenten, Fotos und Unterschriften», Amirshahi, der regelmässig für die Regierung des Iran arbeiten soll, unter anderem für ihre Vertretung in Genf, der offiziell als «Vertrauensanwalt» Österreichs in Teheran aufgeführt wird.

Er springt.

Lotfi erfährt erst am Montagnachmittag von seinem Suizid, der damalige Leiter des Zentrums in Ennenda hält es nicht für nötig, sie und Ghaderis Schwester gleich zu kontaktieren.

Lotfi bricht zusammen, sie glaubt, ihr Herz stehe gleich still, in der Nacht ruft sie den Notfall, ihr Kreislauf spielt verrückt. Sie braucht mehr als ein Jahr, um sich ein wenig zu erholen, um wieder zu Kräften zu kommen.

Bei der Beerdigung auf dem Kirchhof in Ennenda kommen Bekannte und Freunde aus dem Tal, kurdische Freunde, die MitbewohnerInnen aus dem Asylzentrum, die Ringerriege Tuggen hat eine Delegation geschickt.

Eine schlichte, bewegende Feier, die einzig gestört wird durch eine unbekannte Frau, die vorgibt, sie handle im Interesse von Ghaderis Vater in Bukan, sie fordere seinen Leichnam, um ihn im Iran zu begraben; Saredi wird auf sie aufmerksam und geleitet sie weg, macht ihr klar, dass Ghaderis Wunsch, in der Schweiz begraben zu sein, befolgt werde.

Am 11. September findet vor dem Sitz des Staatssekretariats für Migration in Bern eine Gedenkdemonstration statt. Die Anwesenden, Kurdinnen und Kurden aus dem Iran und befreundete Menschen aus der Schweiz, wollen vom Staatssekretariat unter anderem wissen, was unternommen werde, «um Selbstmorde von Menschen mit einem negativen Asylentscheid zu verhindern», und was getan werde, «um die Würde, den Respekt und die Gleichberechtigung von Menschen mit einem Negativentscheid sicherzustellen».

Das Staatssekretariat hat sich nicht gemeldet, um den Fall aufzuarbeiten, um vielleicht ein paar Lehren daraus zu ziehen, weder bei Saredi noch bei Lotfi oder bei Ghaderis Schwester.

Suizide von Menschen im Asylverfahren, schreibt das Staatssekretariat für Migration auf Anfrage, würden statistisch nicht erfasst, man nehme aber alle Arten von Signalen ernst, und ja, suizidale Absichten könnten «durchaus Einfluss haben auf den Asylentscheid».

Nicht bei Massud Ghaderi.

Nach wie vor werden drei Viertel der Asylgesuche aus dem Iran abgelehnt.
(https://www.woz.ch/2137/asylpolitik/dann-sprang-er)


+++ST. GALLEN
Porträt über den Mittelstreckenläufer und Flüchtling Dominic Lobalu. (ab 01.12)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-ostschweiz/friedhoefe-wuerdig-nutzen?id=12058689


+++ZÜRICH
nzz.ch 18.09.2021

Flüchtlinge an der Universität Zürich: «In meiner ersten Vorlesung habe ich fast geweint vor Glück»

Am Montag beginnt für Tausende von Studenten ein neues Semester. An der Universität Zürich auch für vierzig Flüchtlinge.

Nils Pfändler

Vierzig Augenpaare sind auf Gabriele Siegert gerichtet. Die Vizerektorin und Prorektorin Lehre und Studium steht in der altehrwürdigen kleinen Aula der Universität Zürich. Von der Decke hängt ein Kronleuchter, ein Projektor wirft einen Willkommensgruss an die Wand: «Welcome Day», steht auf der ersten Folie der Präsentation geschrieben. «Start! Studium – Integrationsvorkurs an der UZH.»

Siegert ergreift das Wort: «A warm welcome», sagt die Professorin, ehe sie auf Deutsch wechselt. «Ich freue mich, Sie heute begrüssen zu können und das neue Angebot der Universität Zürich eröffnen zu dürfen.»

Für viele der 11 Frauen und 29 Männer in den Sitzreihen ist der Willkommenstag Mitte August der erste richtige Kontakt mit der Universität – und dem Schweizer Bildungssystem überhaupt. Sie kommen aus zehn verschiedenen Nationen, aus der Türkei, Syrien, Iran, Venezuela, Eritrea oder Afghanistan. Einige haben jahrelang auf diesen Tag hingearbeitet, sie haben Deutschkurse besucht, Prüfungen abgelegt, Papierkram bewältigt und unzählige andere Hürden überwunden, um endlich einen Schritt Richtung Studium machen zu können.

Nun winkt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwar vorerst kein Diplom oder Studienabschluss. Das einjährige Programm soll sie aber mit Kursen in Deutsch, Englisch, Mathematik und Informatik sowie Veranstaltungen in einem Studiengang ihrer Wahl für ein reguläres Studium vorbereiten.

Aus Afghanistan in den Vorlesungssaal

Einer, der weiss, wie wertvoll eine solche Unterstützung sein kann, ist Zaher Ahmadi. Beim Welcome-Day sitzt er nicht in den Stuhlreihen, sondern steht beim Eingang und verteilt Infobroschüren. Was die vierzig Programmteilnehmer heute erleben, hat der Afghane bereits vor vier Jahren durchgemacht. Damals noch als kleines Schnupperangebot konzipiert, half es ihm auf dem Weg durch den Dschungel von Auflagen, Regeln und Gesetzen bis zum Studium.

Heute studiert Ahmadi im fünften Semester Biomedizin und arbeitet nebenbei als studentische Hilfskraft in der Abteilung Internationale Beziehungen der Universität. Blickt der 30-Jährige zurück, wird deutlich, mit welchen Hindernissen Flüchtlinge auf dem Weg zum Studium in der Schweiz mitunter zu kämpfen haben.

Meine Familie stammt aus dem Südosten von Afghanistan und gehört der Hazara-Ethnie an. Aufgrund meiner Herkunft wurde ich an der staatlichen Universität in Kabul diskriminiert. Vom ersten Tag an war klar, dass ich keine Chance auf einen Abschluss habe, egal, wie viel Mühe ich mir gebe. Ich habe damals Philosophie studiert, und ein Logikprofessor sagte zu mir: «Warum bist du überhaupt hier? Du wirst die Prüfung nicht bestehen. Du solltest geköpft werden.»

Im Dezember 2015 habe ich meine Heimat verlassen. Wenn man aus Afghanistan flieht, gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man stirbt oder man beginnt ein neues Leben.

Auf der Flucht sind Menschen neben mir vom fahrenden Auto gefallen oder leblos zusammengebrochen, manche wurden von Schleppern verprügelt, junge Frauen sexuell missbraucht. Beim Gummiboot, das mich und 44 andere Flüchtlinge von der Türkei nach Griechenland brachte, stieg zwei Kilometer vor Lesbos der Motor aus. Es war stockfinster, wir schaukelten hilflos auf dem offenen Meer. Da hatte ich die Idee, dass wir alle gleichzeitig das Licht unserer Handys einschalten. Die griechische Küstenwache hat uns schliesslich entdeckt und gerettet.

Seit dem 16. Januar 2016 bin ich in der Schweiz. Dieses Datum werde ich nie wieder vergessen. Danach pendelte ich monatelang von Asylheim zu Asylheim. Immer habe ich davon geträumt, mein Studium fortzusetzen. In den sozialen Netzwerken bin ich dann auf das Schnupperangebot der Universität gestossen.

Das Programm habe ich als riesige Chance gesehen. So viele Leute haben mir gesagt, dass ich niemals hier werde studieren können. Es war schwierig, es gab keine Informationen und auch keine anderen afghanischen Studenten, die ich hätte um Rat fragen können. Oft hatte ich nicht genügend Geld, um mir das Ticket für die Fahrt vom Asylheim nach Zürich und tagsüber auch noch ein Mittagessen zu kaufen. An manchen Tagen habe ich gar nichts gegessen und nur gelernt.

Meine erste Veranstaltung war eine Logikvorlesung. Die Professorin hat sich persönlich bei mir vorgestellt, mich willkommen geheissen und gesagt, ich könne mich jederzeit an sie wenden, wenn ich Fragen oder Probleme hätte. Es war kein Vergleich zu meiner Heimat. Ich war so berührt, ich habe fast geweint vor Glück.

Mit seiner Erfahrung kann Zaher den angehenden Studentinnen und Studenten nun zu einem leichteren Start verhelfen und gleichzeitig den Kurs mitgestalten. Ziel ist es, dass sie «nachhaltig und ihrem Potenzial entsprechend in den Arbeitsmarkt integriert werden», wie es in der Broschüre des Programms heisst.

So hat Zaher angeregt, dass die Teilnehmer die Prüfungen in den Fachkursen zur Übung ebenfalls schreiben dürfen, selbst wenn ihre Note nicht zählt. Er plädierte für eine strengere Präsenzpflicht, damit sich die ausländischen Kursteilnehmer an den Schweizer Studienalltag gewöhnen. Und er gab den Anstoss dafür, dass die Flüchtlinge mit psychischen Problemen mehr Unterstützung bekommen.

Davon profitierten alle Beteiligten, sagt Joy Kramer überzeugt. Sie arbeitet als Spezialistin für Integrationsförderbedarf und Bildung bei der Fachstelle für Integration des Kantons Zürich, die das Programm neben dem Bundesamt für Migration und einigen privaten Stiftungen unterstützt. Am Welcome-Day greift Kramer nach der Ansprache der Vizerektorin Siegert nach dem Mikrofon und richtet sich an die Zuhörerinnen und Zuhörer im Saal: «Sie sind für uns ein Gewinn. Die Schweiz braucht gut ausgebildete Personen.»

Eine solche Person ist Maryam Nafei. Beim Willkommenstag sitzt die 25-Jährige in einer der vordersten Sitzreihen und konzentriert sich, um alles zu verstehen. Die junge Frau hat in Iran Ingenieurwissenschaften studiert. Vor knapp zwei Jahren ist sie in die Schweiz gekommen, nachdem sie einen Landsmann geheiratet hatte, der schon länger hier lebt. Ihr grösster Traum ist es, ihre Ausbildung abzuschliessen und eine gute Arbeit zu finden.

Zu meinem ersten Studientag in Urmia im Nordwesten von Iran hat mich mein Vater mit dem Auto gefahren. Weder er noch meine Mutter haben studiert, beide sind auf dem Land aufgewachsen. Aber beide haben mich immer unterstützt. Auf der Fahrt hat er mir gesagt, dass ich das Studium bis zum Ende durchziehen solle. Ich habe ihm versprochen, einen Abschluss zu machen.

Das Bachelorstudium war sehr, sehr schwierig für mich. Ich lebte erstmals allein weit weg von der Familie und wohnte mit fünf anderen Studentinnen in einem Raum von etwa zwölf Quadratmetern, wo wir gegessen, geschlafen und gelernt haben. Die Scheiben im Wohnheim der Studentinnen waren mit einer Folie verklebt, damit niemand hineinschauen konnte. Es war wie in einem Gefängnis.

Die Universität in Zürich ist wahnsinnig schön. Alles glänzt, weil es so sauber ist. Für mich ist es ein neues Bild, dass Frauen und Männer ungezwungen miteinander sprechen können – die Frauen sogar ohne Kopftuch! Wenn ich an der Universität in Iran mit einem Mann geredet habe, dann sind sofort Sicherheitskräfte gekommen und haben gefragt, was wir machten. Es herrschten sehr strenge Vorschriften. Einmal wurde ich wegen meiner farbigen Schuhe gerügt, ein anderes Mal wegen meines Nagellacks.

Um Geld für mein Studium zu sparen, habe ich bis vor kurzem als Paketzustellerin für ein Logistikunternehmen gearbeitet. Seither bin ich noch motivierter, einen Studienabschluss zu machen. Ich musste jeden Morgen um 2 Uhr aufstehen und um 3 Uhr mit der Arbeit beginnen, die häufig bis in die Morgenstunden dauerte. Manchmal bin ich nach der Schicht direkt vor den Computer gesessen, weil mein Online-Deutschkurs angefangen hat. Ich konnte nicht einmal meine Arbeitskleider ausziehen. Mein Mann hat mir von Anfang an gesagt, dass Deutsch der Schlüssel zum Erfolg sei.

Als ich die Zusage zum Vorkurs erhalten habe, hätte ich schreien können vor Glück. All meine Träume haben wieder zu leben begonnen. In der Schweiz darf man nicht zu Hause herumsitzen, sondern muss selber aktiv werden. Und man darf keine Löcher haben im Lebenslauf. In Iran ist das nicht wichtig, hier schon.

Ich bin dankbar für jede Sekunde, die ich hier bin. Aber ich vermisse meine Familie. Doch ich will nicht traurig sein, sonst kann ich meine Ziele nicht erreichen. Schliesslich habe ich meinem Vater ein Versprechen gegeben.

Der Vorstudienkurs der Universität Zürich stösst auf Anklang. Um die vierzig Studienplätze haben sich dieses Jahr sechzig Personen beworben. Laut Sara Elmer, die in der Abteilung Internationale Beziehungen als Projektleiterin für das Programm zuständig ist, bringen alle Teilnehmer das Potenzial für ein Studium mit. Weil sie aber aus sehr unterschiedlichen Bildungssystemen kämen, sei es wichtig, dass sie die nötige Orientierungshilfe erhielten. «Das sind alles intelligente Leute, die ihr Vorwissen und ihr Talent einbringen wollen. Es wäre nicht im Sinne unserer Volkswirtschaft, dies nicht zu nutzen», sagt Elmer.

Das Programm in seiner heutigen Form basiert auf den Erfahrungen des vorangehenden Schnupperprogramms für Geflüchtete. In den nächsten drei Jahren werde sich zeigen, wie sich die Nachfrage entwickle. Wenn sich künftig deutlich mehr Personen anmelden würden, könnte auch das Angebot aufgestockt werden, sagt Elmer. Entscheidend sei auch, ob die Gemeinden und Sozialbehörden bereit seien, in Zukunft die Kosten des Programms mitzutragen. «Ein Studium ist eine hohe Bildungsinvestition», sagt Elmer. «Da müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten.»

Dass sich die Investition lohnen kann, zeigt das Beispiel von Zaher Ahmadi. Der Afghane ist dankbar, dass ihm die Universität auf dem Weg zum Studium geholfen hat. Sein Wissen will er deshalb auch in Zukunft in der Schweiz anwenden.

Mein Ziel ist es, hierzubleiben. Solange mich die Schweiz nicht zwingt, das Land zu verlassen, gehe ich nicht zurück nach Afghanistan. Am liebsten möchte ich irgendwann selber unterrichten, an der Universität, einer Fachhochschule oder einer Schule. Die Schweiz hat mir die Möglichkeit gegeben, hier etwas zu lernen. Das möchte ich hier anwenden und dem Land und der Bevölkerung etwas zurückgeben.
(https://www.nzz.ch/zuerich/universitaet-zuerich-vorkurs-verhilft-fluechtlingen-zum-studium-ld.1645183)


+++ITALIEN
Über die Alpen: Flüchtlinge zwischen Italien und Frankreich
Flüchtlinge, die nach Europa wollen, riskieren Ihr Leben nicht nur bei der waghalsigen Überquerung des Mittelmeeres. Sondern auch auf anderen, nicht minder gefährlichen Fluchtrouten, die kaum erwähnt werden. Zum Beispiel nachts in den Alpen.
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/ueber-die-alpen-fluechtlinge-zwischen-italien-und-frankreich,SjL7F47


+++GROSSBRITANNIEN
Pläne in Großbritannien: Wie London Flüchtlinge abschrecken will
Flüchtlinge zurückschicken, mit Wellenmaschinen an der Überfahrt hindern – die britische Innenministerin Patel hat viele Vorschläge, um Migranten zu stoppen. Ihr Problem: Die meisten Ideen verstoßen gegen internationales Recht.
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/grossbritannien-migration-103.html



nzz.ch 18.09.2021

Die Briten wollen Flüchtlingsboote im Ärmelkanal mit Jet-Ski zurückdrängen

Die Schlacht um die Schlauchboote im Ärmelkanal dient einem ganz bestimmten Zweck. Den alten Ressentiments gegen Frankreich wird dabei freien Lauf gelassen.

Bettina Schulz, London

Im Ärmelkanal spielte sich dieser Tage eine denkwürdige Szene ab: Ein mit Menschen in Rettungswesten vollgepferchtes Schlauchboot schiebt sich durch die Wellen Richtung englische Küste, als sich plötzlich über die Wellen rasende Jetski-Fahrer dem Boot nähern. Die Männer der Grenzwache haben nur ein Ziel: das Flüchtlingsboot wieder in französische Gewässer abzudrängen. In riskantem Manöver schneidet ein Jetski-Fahrer dem Schlauchboot den Weg ab. Die Wellen bringen das Boot fast zum Kentern.

Die Szene stammt aus einem der Videos, die im britischen Fernsehen zu sehen sind. Sie zeigen anscheinend nur eine Übung der Grenzwache. Bald soll jedoch ernst gemacht werden. Die britische Innenministerin Priti Patel ist Anfang August nach Griechenland gereist, um sich vor der Insel Samos zeigen zu lassen, wie die griechische Küstenwache verhindert, dass Flüchtlingsboote aus der Türkei illegal in griechische Gewässer gelangen. Die «Pushbacks» wollen gelernt sein.

Das Übungsvideo beglückt die Rechtspopulisten im Land. In seiner Sendung im rechtsextremen Fernsehkanal GB News kündigte der für seine Ausländerfeindlichkeit bekannte Politiker Nigel Farage triumphierend an: «Nach einem Krach mit den Franzosen hat unsere Innenministerin versprochen, dass wir die Boote zurückdrängen. Hier der Beweis.»

Briten sind stolz auf Unze

Dabei sind Pushbacks rechtlich höchst umstritten. Die Taktik wird von Menschenrechtsgruppen und Frankreich als illegal und gefährlich verurteilt. Nach dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen von 1982 müssen Personen, die auf See in Not geraten, so schnell wie möglich gerettet werden.

Dass ausgerechnet Farage Pushbacks preist, überrascht zwar nicht, entbehrt aber nicht der Ironie. Der Name Farage ist hugenottischen Ursprungs. Die Hugenotten waren protestantische Flüchtlinge, die 1685 nach England übersetzten, um dort der Verfolgung durch die Katholiken in Frankreich zu entgehen. Sie siedelten sich in Canterbury an, in der Nähe von Dover, wo auch heute noch die Flüchtlinge anlanden.

Dieses Jahr haben bisher fast 15 000 Männer, Frauen und Kinder die waghalsige Flucht geschafft, von Schleppern in die überfüllten Boote gepfercht, oft nicht einmal mit Schwimmwesten ausgestattet. Dabei zahlt London der französischen Regierung Geld, damit sie die Boote bereits an der französischen Küste abfängt. Die Briten unterstellen den Franzosen schon lange, Flüchtlinge – trotz gegenteiliger Vereinbarung – ungehindert in See stechen zu lassen.

Die Schlacht um die Schlauchboote im Ärmelkanal dient jedoch einem höheren Zweck: Die britische Regierung demonstriert an ihr, wie sich Grossbritannien vom europäischen Kontinent abwendet und regelrecht abgrenzt. Höfliche Diplomatie gilt dabei nicht mehr. Nationalismus gibt den Ton an.

Dafür wird den alten Ressentiments gegen Frankreich freien Lauf gelassen. Schliesslich definierte sich der englische Nationalismus immer schon als «anti-französisch». Jahrhundertelang kämpften England und Frankreich um die Position der Grossmacht in Europa und Übersee – Frankreich eher ein katholisches Land, England protestantisch. Die gegenseitige Abneigung wurde selbst in zwei Weltkriegen nicht überwunden, als die beiden Länder Alliierte waren.

Der Nationalismus zeigt sich auch im Kleinen. Die Briten sind mächtig stolz, dass in England nun Lebensmittel wieder in Pfund und Unzen verkauft werden dürfen und nicht mehr nur in den «von der EU erzwungenen, napoleonischen Masseinheiten». Die Neuregelung hat Brexit-Minister David Frost dieser Tage als Erfolg des EU-Austritts verkündet.

Frost drohte diese Woche zudem, Brüssel werde einen grossen Fehler begehen, sollte die EU seinen Forderungen zum Nordirland-Protokoll nicht nachkommen. In seinem «command paper» fordert Frost, die EU solle auf Warenkontrollen zwischen Grossbritannien und Nordirland verzichten. Anderenfalls stehe London bereit, das Nordirland-Protokoll auszusetzen. Es ist eine verkappte Drohung mit einem Handelskrieg.

Dieses Protokoll ist Teil des Brexit-Handelsvertrages, den Frost mit Michel Barnier, dem französischen Unterhändler der EU, ausgehandelt hatte. Wegen Barnier wurden die Brexit-Verhandlungen in Grossbritannien oft als Verhandlungskampf gegen Frankreich dargestellt. Frankreich wolle vom Brexit profitieren und es den Briten heimzahlen.

Ganz abwegig ist dies nicht. Die Stimmung kochte oft auf beiden Seiten hoch. So zum Beispiel, als Frankreich im Dezember 2020 die Grenze zu England schloss und die französischen Grenzbeamten Tausende von britischen Lastwagen nicht mehr abfertigten, weil die Fernfahrer angeblich mit Corona infiziert sein konnten. Auch nehmen die Franzosen die EU-Vorschriften oft zu wörtlich. Daher der Ärger, als Frankreich nach dem Brexit den Import von britischen Krabben und Muscheln ablehnte.

Hardliner bringen Zulauf

Immer wieder kommt es zu offen ausgetragenen Disputen, so im Mai, als eine Armada französischer Fischerboote die Kanalinsel Jersey blockierte, weil die Briten mit neuen Fischereilizenzen an die Franzosen knauserten. London liess daraufhin Kriegsschiffe auffahren.

Der englischen Boulevard-Presse bringt dieser Kleinkrieg herrliche Schlagzeilen und der Konservativen Partei Zulauf. Noch immer sind für die Parteimitglieder Brexit-Hardliner in der Regierung die beliebtesten Politiker. Kein Wunder, dass diese – auch nach der Kabinettsumbildung in dieser Woche – in der Regierung von Boris Johnson weiterhin den Ton angeben. Für die Beziehungen zwischen Frankreich und dem Vereinigten Königreich verspricht dies jedoch nichts Gutes.

Die Gefahr ist, dass es nicht beim Kleinkrieg um Flüchtlinge und Krabben bleiben wird. Die britische Abgrenzung gegenüber der EU könnte eine Eigendynamik gewinnen, die grössere Ausmasse annehmen wird. Nichts zeigt dies deutlicher als der neue Sicherheitspakt zwischen Grossbritannien, den USA und Australien, den Frankreich als «Dolchstoss» verurteilt.

Der Grund für das Bündnis dürfte sicher die letztlich feindliche Haltung gegenüber China sein, die Frankreich in dieser Form nicht teilt. Das Abkommen der Angelsachsen signalisiert, dass das Interesse – vor allem auch Grossbritanniens – nicht mehr auf Europa gerichtet ist und der Graben zur EU und insbesondere zu Frankreich tiefer wird. Der Pushback hat schon lange begonnen.
(https://nzzas.nzz.ch/international/kleinkrieg-im-aermelkanal-briten-draengen-fluechtlingsboot-zurueck-ld.1646188)


+++GRIECHENLAND
Griechenland: Umstrittenes Flüchtlingslager auf Samos eröffnet
Stacheldrahtzäune, Zugangskontrollen, Ausgangssperre: Auf der griechischen Insel Samos hat die Regierung ein neues Flüchtlingslager eröffnet. Menschenrechtler kritisieren die Anlage und nennen sie “entmenschlichend”.
https://www.tagesschau.de/ausland/europa/samos-fluechtlingslager-107.html


+++MITTELMEER
Neue unbemannte FähigkeitenWann setzt die EU Drohnen zur praktischen Seenotrettung ein?
Zwei führende Drohnenhersteller melden die Bereitschaft, ihre Luftfahrzeuge mit Rettungsinseln auszustatten. Diese können punktgenau über einem Seenotfall abgeworfen werden. Vielleicht würden damit aber auch Verletzungen der Genfer Flüchtlingskonvention begünstigt.
https://netzpolitik.org/2021/neue-unbemannte-faehigkeiten-wann-setzt-die-eu-drohnen-zur-praktischen-seenotrettung-ein/


+++TÜRKEI
„Endstation für Geflüchtete“
Der Politikwissenschaftler Yunus Ulusoy spricht über die Rolle der Türkei als Transitland bei der Flucht und den Dialog mit den Taliban
https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/endstation-fuer-gefluechtete


+++GASSE
Bern/Zeugenaufruf: Drei Verletzte bei Raufhandel
In der Nacht auf Samstag sind bei einem Raufhandel auf der Schützenmatte in Bern drei Personen verletzt worden, eine davon erlitt eine Stichverletzung. Die Kantonspolizei Bern hat Ermittlungen aufgenommen und sucht Zeugen.
https://www.police.be.ch/de/start/themen/news/medienmitteilungen.html?newsID=59b5b2ec-f28b-4067-8c87-19a1040c9d4c
-> https://www.derbund.ch/drei-verletzte-nach-streit-in-bern-938007667533
-> https://www.bernerzeitung.ch/drei-verletzte-nach-streit-auf-der-berner-schuetzenmatte-682235699453


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
In der Berner Innenstadt: 15’000 demonstrieren in Bern gegen laufende AHV-Reform
Am Samstagnachmittag demonstrierten tausende Menschen unter dem Motte «Hände weg von unseren Renten» gegen die laufende AHV-Reform. Der Grossteil der Teilnehmenden waren Frauen.
https://www.bernerzeitung.ch/gewerkschaften-demonstrieren-gegen-ahv-reform-473436987440
-> https://www.derbund.ch/gewerkschaften-demonstrieren-gegen-ahv-reform-558855562101
-> https://www.20min.ch/story/tausende-menschen-demonstrieren-in-bern-gegen-den-rentenabbau-556875988709
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/demo-gegen-ahv-reform-in-bern-gewerkschaften-protestieren-in-bern-gegen-ahv-reform
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/gewerkschaften-demonstrieren-in-bern-gegen-ahv-21-66002043
-> https://twitter.com/UniaSchweiz
-> https://www.blick.ch/schweiz/warum-diese-frauen-gegen-hoeheres-rentenalter-demonstrierten-kann-meinen-job-nicht-bis-65-machen-id16842590.html
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/frauenrenten-gewerkschaften-frauenstreik-und-klimabewegung-gehen-gegen-die-ahv-reform-auf-die-strasse-ld.2189513
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/-/video/-?urn=urn:srf:video:3a2ca427-b18b-40ff-a73b-a8a4b80a7306
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/lautstark-gegen-ahv-21-frauenbewegung-wehrt-sich-gegen-rentenalter-65-143797134
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/demo-gegen-ahv21-in-bern-143796816
-> https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/frauenrenten-gewerkschaften-frauenstreik-und-klimabewegung-gehen-gegen-die-ahv-reform-auf-die-strasse-ld.2189513


Solidarität mit der zapatistischen Delegation – Zerschlagen wir das Patriarchat und die Macht der Konzerne!
Wir haben in der Nacht auf den 16. September 2021 die Fahne der EZLN auf die Scheiben der Credit Suisse, UBS und Tesla in Basel gemalt. Diese Konzerne tragen direkt zur kolonialen Weltordnung bei und Häufen unglaubliche privatisierte Reichtümer an.
https://barrikade.info/article/4753


+++WEF
Das WEF 2022 wird kleiner und bescheidener: «Es geht um Inhalte, nicht um Partys»
Nach einen Jahr Corona-Pause kehrt das WEF nach Davos zurück. Doch das Jahrestreffen soll nicht mehr ganz so üppig wie bis anhin daherkommen, eine neue Bescheidenheit ist angesagt.
https://www.blick.ch/wirtschaft/das-wef-2022-wird-kleiner-und-bescheidener-es-geht-um-inhalte-nicht-um-partys-id16840757.html?utm_source=twitter&utm_medium=social&utm_campaign=blick-page-post&utm_content=bot


+++FRAUEN/QUEER
Hass gegen Queers explodiert: «Als Schwuler gehöre ich vergast, schrie sie mich an»
Wenige Tage vor der Abstimmung zur «Ehe für Alle» sind die Angriffe gegen die LGBTIQ-Community auf das Fünffache gestiegen. Zwei Opfer sprechen über ihre Erlebnisse.
https://www.20min.ch/story/als-schwuler-gehoere-ich-vergast-schrie-sie-mich-an-448923980748


+++RASSISMUS
Wil-Präsident tritt nach Rassismus-Skandal aus SFL-Komitee zurück
Maurice Weber ist aus dem Komitee der Swiss Football League zurückgetreten. Der Präsident des FC Wil sorgte im Mai für einen Rassismus-Skandal.
https://www.nau.ch/sport/fussball/wil-prasident-tritt-nach-rassismus-skandal-aus-sfl-komitee-zuruck-66005490


+++RECHTSEXTREMISMUS
Bewaffneter Angriff auf Journalisten: Die rechtsextremen Netzwerke hinter dem Fretterode-Prozess
Zwei Rechtsextreme sollen im Frühjahr 2018 zwei Journalisten in Fretterode im Eichsfeld angegriffen und schwer verletzt haben. Derzeit wird am Landgericht Mühlhausen gegen die mutmaßlichen Täter Gianluca B. und Nordulf H. verhandelt. Wer sind die Männer und welche rechtsextremen Strukturen stecken dahinter?
„Kurz nach seiner mutmaßlichen Beteiligung an dem Angriff auf die Journalisten zog Nordulf H. laut ARD-Recherchen ins schweizerische Wallis, wo er bei einem Schweizer “Blood & Honour”-Aktivisten, einem Bekannten Thorsten Heises, lebte und arbeitete.“
https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/nord-thueringen/eichsfeld/fretterode-angriff-journalisten-neonazis-100.html


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Fünf Corona-Skeptiker, die immer schriller werden: So hetzen Rimoldi, Spiri, Rüegg & Co. auf Telegram
Vor der Radikalisierung auf der Strasse gab es eine Radikalisierung im digitalen Raum. Blick zeigt die immer schriller werdende Tonalität von fünf Corona-Skeptikern, die auf der Skeptiker-Plattform Telegram aktiv sind.
https://www.blick.ch/schweiz/fuenf-corona-skeptiker-die-immer-schriller-werden-so-hetzen-rimoldi-spiri-rueegg-co-auf-telegram-id16840923.html


Corona als Strafe und die Impfung als Tool des Teufels: Wie ICF und Co. die Seuche sehen
Das Coronavirus ist primär ein medizinisches Phänomen, doch die gesellschaftlichen und politischen Implikationen treiben uns ähnlich stark um. Je länger die Pandemie dauert, desto aufgeheizter wird die Stimmung in der Bevölkerung.
https://www.watson.ch/blogs/sektenblog/256151624-freikirchler-sehen-in-corona-ein-werkzeug-des-satans-in-der-endzeit


Protokoll eines verhinderten Sturms: Was an der Demonstration um das Bundeshaus wirklich geschah
Das politische Klima ist aufgeheizt wie kaum zuvor. Nach einer Demo von Covid-Massnahmengegnern kam es zu einer Eskalation am Bundesplatz. Das hatte auch mit massiven antifaschistischen Störmanövern zu tun.
https://www.tagblatt.ch/schweiz/politische-kundgebung-protokoll-eines-verhinderten-sturms-was-an-der-demonstration-um-das-bundeshaus-wirklich-geschah-ld.2189466



«Freiheitstrychler» kritisieren nach Krawallen Polizei – und huldigen Ueli Maurer
Nach der Krawall vor dem Bundeshaus in Bern während einer Kundgebung von Gegnern der Corona-Schutzmassnahmen haben die Organisatoren eine Verantwortung für die Ausschreitung zurückgewiesen. Sie würden sich von «jeder Art von Gewalt distanzieren», teilten sie mit.
https://www.watson.ch/schweiz/coronavirus/864027590-freiheitstrychler-weisen-schuld-fuer-ausschreitungen-in-bern-zurueck



Coronavirus: Firmen landen ungewollt auf Liste der Zertifikatsgegner
Zur Eindämmung des Coronavirus wurde die Zertifikatspflicht ausgedehnt. Eine Karte soll zeigen, welche Firmen diese ignorieren – doch nicht alle wissen davon.
https://www.nau.ch/news/wirtschaft/coronavirus-firmen-landen-ungewollt-auf-liste-der-zertifikatsgegner-66001650


Das Picknick der Corona-Skeptiker fand auf der Webcam nicht statt
Vor dem Kloster in Einsiedeln trafen sich am Freitagabend Hunderte Corona-Skeptiker zu einem Picknick. Der Bezirk wollte das nicht an die grosse Glocke hängen.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/schwyz/einsiedeln-das-picknick-der-corona-skeptiker-fand-auf-der-webcam-nicht-statt-ld.2189510



derbund.ch 13:09

Corona-Demonstration in WinterthurMehrere Tausend Massnahmengegner zogen durch die Altstadt

Zertifikatsgegner und Impfskeptiker haben sich zu einer Grosskundgebung in Winterthur versammelt. Nach Angaben der Stadtpolizei verlief der Anlass friedlich.

Martin Huber

«Stopp Zensur und Impfdiktatur» lautete das Motto der bewilligten Demonstration in Winterthur. Nach der Ausweitung der Zertifikatspflicht am Montag und den Ausschreitungen an einer unbewilligten Demonstration gegen die «Zerti-Diktatur» und den «Impfzwang» am Donnerstagabend in Bern war die Stimmung im Vorfeld angespannt.

«Diktator Berset muss weg»

Wird es friedlich bleiben, oder drohen Aggressionen wie in Bern? Wie gross ist die Gewaltbereitschaft eines Teils der Massnahmengegner oder Gegendemonstranten?

Zur Kundgebung aufgerufen hatte der Verein Public Eye on Science. Hinter diesem steht Kantonsrat Urs Hans aus Turbenthal. Der Biobauer ist bekannt für seine impfkritische Haltung.

Gegen 14 Uhr versammelten sich mehrere Tausend Personen auf dem Neumarkt, es herrschte eine Art Volksfestatmosphäre. Die Teilnehmenden standen dicht gedrängt, schwenkten Transparente mit Aufschriften wie «Kein Impfzwang», «Hände weg von den Kindern», «Ungeimpft, ungetestet, ungebeugt» oder «Diktator Berset muss weg». Häufig zu sehen waren auch Plakate, die für ein Nein zum Covid-Gesetz warben, über das am 28. November abgestimmt wird. Die Stimmung war friedlich, eine Maske trug niemand.

«Tut gut, unter Gleichgesinnten zu sein»

Eine 60-jährige Pflegefachfrau war eigens aus dem Kanton Appenzell Ausserrhoden an die Demo nach Winterthur gereist. «Ich habe kein Vertrauen in die Impfung», erklärte sie im Gespräch. Sie kenne viele, bei denen es zu Nebenwirkungen gekommen sei. Besorgt zeigte sich die Frau über die zunehmende Spaltung in der Gesellschaft wegen der Impffrage. «Ich merke das mittlerweile in meinem Dorf, in meinem Bekanntenkreis, in meiner Familie.» Wer sich nicht impfen lasse wie sie, werde diskriminiert. «Das ist erschreckend», sagte die Frau. Deshalb tue es jetzt «doppelt gut, unter Gleichgesinnten zu sein».

«Schreibt endlich die Wahrheit!»

Nicht gut auf die Medien zu sprechen war ein 49-jähriger Familienvater aus dem Zürcher Oberland. «Schreibt endlich die Wahrheit», gab er dem Journalisten lautstark zu verstehen. Schliesslich sollte man eine andere Meinung zur Impfung haben dürfen, ohne gleich als Nazi abgestempelt zu werden. «Oder sehen Sie hier auf dem Platz etwa alles Nazis?», fragte er und deutete auf die bunte Gruppe von Personen jeglichen Alters, die sich auf dem Neumarkt versammelt hatte.

Aber auch den resoluten Massnahmenskeptiker beschäftigt der grösser werdende Graben zwischen Impfgegnern und -befürwortern, wie er einräumte. Mittlerweile gebe es auf beiden Seiten solche, die den anderen den Tod wünschten. «Nur noch schlimm», meinte er. Er selbst habe schlicht mehr Angst vor der Impfung als vor Corona. Zudem wisse man einfach noch zu wenig über die Nebenwirkungen.

Ein 58-jähriger Informatiker aus Rotkreuz ZG trug ein Schild mit der Aufschrift: «Fragen stellen, selber denken, Konsequenzen ziehen». Er zweifle an den Impfstoffen und sei vorsichtig, erklärte er. «Was ist, wenn die Bedenkenträger doch recht haben? Dann habe ich die Arschkarte gezogen, wenn ich mich impfen lasse.»

Eine 66-jährige Massagetherapeutin aus dem Thurgau sagte: «Ich stehe da für unsere Freiheit und für unsere Kinder, damit sie in Ruhe gelassen werden beim Impfen.» Für sie sei Corona «eine normale Grippe», sie selbst sei «noch nie richtig krank gewesen, Gott sei Dank». Und dann schob sie noch nach: «Wir werden angelogen, wir dürfen uns einfach nicht weiter an der Nase herumführen lassen.» Ihre Begleiterin, eine 78-jährige Ex-Krankenpflegerin aus dem Kanton St. Gallen, meinte nur: «Soll ich mir Gift spritzen?»

Polizei schirmt linke Gegendemonstranten ab

Immer wieder ertönten aus der Menge «Liberté!»-Rufe. Als die Freiheitstrychler eintrafen, wurden sie jubelnd begrüsst. Dann setzte sich der Demonstrationszug in Richtung Technikumstrasse in Bewegung, untermalt von den schweren Glockenklängen. Die Polizei sicherte die Route ab.

In der General-Guisan-Strasse kam es zu einem heiklen Moment. Eine kleine Gruppe von linken Gegendemonstranten protestierte dort mit Transparenten «Winti bleibt nazifrei», es kam zu Wortgefechten. Polizei und Security-Mitarbeiter der Veranstalter schirmten die Gegendemonstrantinnen und -demonstranten von den Massnahmengegnern ab.

Auch anderswo waren am Rand der Demonstration vereinzelt Gehässigkeiten zu beobachten, da und dort schienen die Nerven blank zu liegen. So deckten Corona-Kritiker Polizeikräfte mit Schimpfwörtern ein, oder Impfbefürworterinnen am Strassenrand stritten sich lautstark mit Demonstranten.

An einem Haus an der Steinberggasse hatten Anwohnende ein Transparent befestigt mit der Aufschrift «Geimpft auch gegen rechte Scheisse».

Viel Kritik – aber auch mässigende Töne

Nach der Demonstration versammelten sich die Teilnehmenden wieder auf dem Neumarkt, wo nicht weniger als 15 Rednerinnen und Redner auftraten, darunter prominente Massnahmenkritiker wie der Komiker Andreas Thiel und der ehemalige stellvertretende «Weltwoche»-Chefredaktor Philipp Gut, daneben auch Gzim Zymberi von der Gruppierung Mass-Voll, Markus Häni von den Freunden der Verfassung oder der Journalist und Verleger Christoph Pfluger, der als eine treibende Kraft hinter den Corona-Demos gilt.

Kritische Voten der diversen Rednerinnen und Redner («Corona? Nonsens», «Fertig mit dem Masken-Irrsinn an Zürcher Schulen») ernteten jeweils viel Applaus und erneute «Liberté!»-Rufe. Aber es gab auch mässigende Töne vom Rednerpult. «Es brodelt in der Gesellschaft», warnte etwa Christoph Pfluger. «Wir müssen schauen, dass es nicht weiter eskaliert und sich die Gräben nicht weiter vertiefen», sagte er. Ziel sei schliesslich «mehr Mitmenschlichkeit». Auch dies wurde mit Applaus quittiert.

Polizei: Keine Ausschreitungen, keine Verhaftungen

Nach Angaben der Stadtpolizei Winterthur nahmen mehrere Tausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern an der Demonstration teil. Genauere Angaben könne man nicht machen, erklärte Sprecher Michael Wirz am Abend. Die ganze Veranstaltung sei weitestgehend friedlich verlaufen. An einigen Orten entlang der Route sei es zu kleineren Störaktionen von andersdenkenden Gruppierungen gekommen, bei denen die Polizei habe schlichten müssen. Ausschreitungen oder Sach­beschädigungen habe es keine gegeben, ebenso wenig sei es zu Verhaftungen gekommen.

«Wir haben die Altstadt gefüllt»

Organisator Urs Hans zeigte sich sehr zufrieden – und von der Teilnehmerzahl überrascht. Er hatte im Vorfeld mit etwa 1000 Teilnehmenden gerechnet, gekommen waren sehr viel mehr. «Wir haben die Altstadt gefüllt», rief er am Schluss der Kundgebung triumphierend ins Mikrofon und bedankte sich bei allen «für die friedliche Atmosphäre».
(https://www.derbund.ch/massnahmengegner-versammeln-sich-in-winterthur-324231776383)



nzz.ch 18.09.2021

«Wir brauchen keine Impfungen, wir haben alle ein Immunsystem»: Corona-Demo in Winterthur verläuft friedlich

Mehrere tausend Personen haben am Samstag in Winterthur gegen die Corona-Massnahmen demonstriert. Zu einer Eskalation wie jüngst in Bern kam es nicht.

Stefan Häberli und Janique Weder, Winterthur

Pflegerinnen schauten aus dem Fenster des Alterszentrums am Neumarkt. Unter ihnen zog ein Menschenstrom mit Fahnen, roten Ballons in Herzform und Treicheln durch die Strassen Winterthurs. Am Samstagnachmittag hatten sich in Winterthur Gegner der Covid-Massnahmen sowie Impfskeptiker versammelt. Ein Polizist schätzte die Teilnehmerzahl der Demonstration auf 4000 bis 5000 Personen. Die Organisatoren der Kundgebung hatten nur rund tausend Teilnehmer erwartet. Die Masse skandierte immer wieder «Liberté, Liberté». Auf Transparenten standen Botschaften wie «Wir brauchen keine Impfungen, wir haben alle ein Immunsystem» oder «Gott, befreie unser Vaterland aus den Fängen der Kapital-Elite».

Die Marschroute der Demonstranten führte rund um die Altstadt. Dem Aufruf linker Kreise zu einer Gegendemonstration waren nur wenige Menschen gefolgt. Zwar beobachteten Schaulustige den Demonstrationszug mit Atemschutzmasken – was als nonverbale Kommunikation verstanden werden kann. Die eigentliche Gegendemonstration beschränkte sich aber auf ein relativ kleines Grüpplein. Nach dem Umzug fanden sich die Demonstranten wieder auf dem Neumarkt ein. Dort traten bekannte Gegner der Corona-Massnahmen auf. Zu den Rednern gehörte etwa der Kabarettist Andreas Thiel oder der ehemalige «Weltwoche»-Journalist Philipp Gut.

Die Kundgebung war von der Stadt bewilligt worden. Organisiert hatte sie der Verein «Public Eye on Science». Dessen Präsident ist der Zürcher Kantonsrat Urs Hans. Wegen seiner kruden Thesen zur Corona-Pandemie ist der Landwirt vor gut einem Jahr aus der Grünen Partei geworfen worden. Abgesehen von Provokationen sei der Nachmittag friedlich verlaufen, sagte ein Sprecher der Stadtpolizei Winterthur. Zu Beginn der Kundgebung hatte Organisator Urs Hans alle Teilnehmer dazu aufgerufen, sich friedlich zu verhalten.

Zu wüsten Szenen wie jüngst in Bern kam es am Samstag nicht. Am Donnerstagabend hatten Demonstranten auf dem Bundesplatz Knallpetarden und Gegenstände in Richtung der Polizei geworfen und am Metallzaun vor dem Bundeshaus gerüttelt. Die Polizei hatte als Reaktion darauf Wasserwerfer, Tränengas und Gummischrot eingesetzt und die unbewilligte Demo aufgelöst. Auch die sogenannten «Freiheitstrychler» hatte an der Kundgebung in Bern teilgenommen.

Die Gruppierung hat sich am Tag nach der Demo in einer Medienmitteilung von der Gewalt distanziert. Zugleich kritisierte sie aber auch das «aggressive und unverhältnismässige Vorgehen der Polizei». Für die Eskalation am Absperrgitter machten die «Freiheitstrychler» Provokateure verantwortlich. Es bestehe der Verdacht, dass «Agents Provocateurs» aus dem Antifa-Umfeld im Einsatz gewesen seien.
(https://www.nzz.ch/zuerich/corona-demo-in-winterthur-aufruf-zu-friedlichem-verhalten-ld.1646150)
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/protest-gegen-corona-politik-massnahmen-gegner-demonstrieren-in-winterthur
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/demo-fuer-samstag-bewilligt-zieht-auch-winterthur-tausende-corona-skeptiker-an-id16839899.html
-> https://twitter.com/timog70/status/1439234543760850944
-> https://twitter.com/DerGerichtshof
-> https://twitter.com/CovidiotenCH
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/mehrere-tausend-massnahmen-gegner-demonstrieren-in-winterthur?id=12058728 (ab 1.37)
-> https://www.toponline.ch/news/winterthur/detail/news/winterthurer-altstadt-fuellt-sich-mit-corona-demonstranten-00165763/
-> https://www.landbote.ch/ueber-tausend-teilnehmende-erwartet-besammlung-ab-13-uhr-auf-dem-neumarkt-113479687651
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/wie-gefaehrlich-ist-die-bewegung-der-corona-skeptiker-143797120
.-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/tausende-massnahmen-gegner-demonstrieren-friedlich-in-winterthur-143797355
-> https://www.telem1.ch/aktuell/corona-demo-nach-den-ausschreitungen-in-bern-demonstrieren-heute-tausende-in-winterthur-143796798
-> https://twitter.com/farbundbeton
-> https://twitter.com/BergerWthur
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/protest-gegen-corona-politik-mehrere-tausend-massnahmen-gegner-demonstrieren-in-winterthur
-> https://twitter.com/L4yzRw



«Für senkrechte Schweizer»: Freiheitstrychler machen Werbung mit Maurer
Die Freiheitstrychler werben auf ihrer Webseite mit einem Bild von SVP-Bundesrat Ueli Maurer, um ihre Hemden zu verkaufen. Das Finanzdepartement prüft nun Massnahmen.
https://www.blick.ch/politik/fuer-senkrechte-schweizer-freiheitstrychler-machen-werbung-mit-maurer-id16841841.html


Polizei nimmt vier Personen fest nach illegaler Veranstaltung in Luzern (ab 1:35)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/nidwalden-stimmt-sich-ein-auf-sacco-di-roma?id=12058707


+++FUNDIS
Abtreibungsgegner in OerlikonMarsch fürs Läbe: Polizei umstellt Gegendemonstranten
Nach einer Pause im vergangenen Jahr findet der Marsch fürs Läbe wieder statt. Mit Gittern und viel Personal hält die Polizei Gegendemonstranten vom Umzug fern.
https://www.derbund.ch/abtreibungsgegner-demonstrieren-polizei-und-linksextreme-sind-alarmiert-434597509576
-> https://www.20min.ch/story/heute-findet-der-marsch-fuers-laebe-in-zuerich-statt-123584861137
-> https://twitter.com/__investigate__
-> -> https://www.20min.ch/story/hetze-oder-gegensaetzliche-meinung-jungpolitikerinnen-zum-marsch-fuers-laebe-510254263344
-> https://www.blick.ch/schweiz/marsch-fuers-laebe-abtreibungsgegner-demonstrieren-in-oerlikon-zh-id16841990.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/mehrere-tausend-massnahmen-gegner-demonstrieren-in-winterthur?id=12058728
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/kundgebung-entwurf-marsch-fuers-laebe-demonstriert-in-zuerich-gegen-schwangerschaftsabbrueche-ld.2189514
-> https://www.zsz.ch/abtreibungsgegner-demonstrieren-polizei-und-linksextreme-sind-alarmiert-434597509576
-> https://www.landbote.ch/abtreibungsgegner-demonstrieren-polizei-und-linksextreme-sind-alarmiert-434597509576
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/in-zuerich-oerlikon-protestieren-hunderte-gegen-abtreibung-00165781/
-> https://www.watson.ch/schweiz/z%C3%BCrich/253699544-marsch-fuers-laebe-demonstrierte-in-zuerich
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/marsch-furs-labe-abtreibungsgegner-protestieren-in-zurich-66001947
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/marsch-fuers-laebe-eingezaeunt-und-gegen-demo-eingekesselt-143797320
-> https://www.stadt-zuerich.ch/pd/de/index/stadtpolizei_zuerich/medien/medienmitteilungen/2021/september/_marsch_fuers_laebeohnegroesserezwischenfaelledurchgefuehrt.html
-> https://twitter.com/__investigate__
-> https://twitter.com/ajour_mag
-> https://twitter.com/ZSelbstbestimmt
-> https://twitter.com/MegahexF
-> https://twitter.com/StadtpolizeiZH
-> GegenDemo-Aufruf: https://barrikade.info/article/4752



nzz.ch 18.09.2021

Verbale Provokationen, aber dank grossem Polizeiaufgebot keine Gewalt rund um den «Marsch fürs Läbe»

Linksextreme versuchten den Umzug der Abtreibungsgegner durch Oerlikon zu stören. Die Polizei konnte dies aber verhindern.

Zeno Geisseler, Stefan Häberli

«Jung, schwanger, hilflos?» – So lautet das Motto des diesjährigen «Marsch fürs Läbe», einer Kundgebung christlich-konservativer Kreise, die sich gegen das Recht auf Abtreibung richtet. Eigentlich hätte der Marsch um 15 Uhr 30 beginnen sollen. Doch der von einem grossen Polizeiaufgebot begleitete Umzug setzte sich erst um 16 Uhr 10 in Bewegung. Linksextreme hatten versucht, die Kundgebung der Abtreibungsgegner zu stören.

Sie skandierten Parolen wie «Für die Freiheit, für das Leben, Multis von der Strasse fegen!» und «My body, my choice, my rights, my voice!». Polizisten in Vollmontur drängten die rund 200 Gegendemonstranten beim Salersteig zurück und führten Personenkontrollen durch. Dabei setzten sie auch Gummischrot und Tränengas ein. Laut einer Medienmitteilung der Stadtpolizei Zürich wurden bisher zwei Personen für weitere Abklärungen auf die Polizeiwache gebracht werden.

Wie in früheren Jahren hatten linksextremistische Kreise angekündigt, die Veranstaltung zu stören. Auf einschlägigen Internetplattformen hatten sie dazu aufgerufen, den Marsch zu verhindern. Er sei ein «massiver Angriff», den man «gemeinsam zurückschlagen» werde. Die Pro-Choice-Aktivsten empfingen die Demonstranten am Samstag mit einem an eine Hausfassade gesprayten «Willkommensgruss»: «Hätte Maria abgetrieben, wärt ihr uns erspart geblieben.»

In Form von Sprechchören begleitete der Slogan den Umzug auch auf seiner Route durch Oerlikon. Dank dem Grosseinsatz der Polizei scheint es aber bei verbalen Provokationen geblieben zu sein. Zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Abtreibungsgegnern und linksextremen Gegendemonstranten kam es offenbar nicht. Die Marschroute musste allerdings verkürzt werden.

Beim letzten «Marsch fürs Läbe» vor zwei Jahren in Zürich war es zu Ausschreitungen gekommen. Während die Demonstration selbst friedlich geblieben war, hatten Linksextreme die Polizei mit Steinen und Waffen attackiert, Abfallcontainer angezündet, ein Feuerwehrauto umstellt und ein Polizeifahrzeug demoliert.

Die Polizei hatte mit Tränengas und Gummischrot geantwortet. Auch damals hatte der Umzug erst mit Verspätung beginnen können und hatte aus Sicherheitsgründen vorzeitig zum Ausgangspunkt zurückgeführt werden müssen.

Rekurs gegen die Stadt gutgeheissen

Die Zürcher Behörden haben wiederholt vergeblich versucht, die Märsche aufgrund von Sicherheitsbedenken zu verbieten. Die Stadtregierung wollte jeweils nur eine stehende Veranstaltung zulassen, kam damit aber vor gerichtlichen Instanzen nicht durch.

Auch die Ausgabe 2021 hätte nach dem Willen der Stadtregierung nur auf einem fixen Platz und nicht als Umzug bewilligt werden sollen, die Organisatoren legten dagegen aber erfolgreich Rekurs ein.

2020 war der Marsch von Zürich nach Winterthur ausgewichen, wo man sich in einer Kongresshalle treffen wollte. Nachdem die Polizei vor einem grossen Aufmarsch gewaltbereiter Linksextremer gewarnt hatte, entzog die Eigentümerin der Halle den Organisatoren das Gastrecht, worauf der Anlass ganz abgesagt wurde.

Der «Marsch fürs Läbe» war letztmals 2015 durch Oerlikon gezogen. Damals nahmen nach Angaben der Veranstalter etwa 3500 Personen teil. Rund 200 Linksaktivisten hatten sich zu einer unbewilligten Gegenveranstaltung versammelt. Ein grosses Polizeiaufgebot verhinderte, dass es zu Sachbeschädigungen oder Verletzten kam.
(https://www.nzz.ch/zuerich/zuerich-wegen-marsch-fuers-laebe-mobilisieren-linksextreme-ld.1645678)


+++HISTORY
Übergriffe in Hoyerswerda: Erst kamen die Rassisten, dann die Gaffer
Hoyerswerda wurde 1991 zum Synonym für Rassismus im wiedervereinigten Deutschland. Bilder von damals zeigen, wie Hunderte Anwohner auf die tagelangen Ausschreitungen reagierten: gar nicht. Oder mit Applaus.
https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/hoyerswerda-1991-erst-kamen-die-rassisten-dann-die-gaffer-bilder-a-e3b757ac-5a2a-4394-95aa-a0f3e328ff24


Er macht sich verdächtig durch Nichtstun, rapportierten die Beschatter
Paul Grüninger ist fristlos entlassen. Das Untersuchungsverfahren läuft noch. Während er arbeitslos in der Stadt herumgeht und am Stammtisch sitzt, gerät er in den Verdacht, ein Nazi geworden zu sein.
https://www.woz.ch/40-texte-aus-40-jahren-1993/er-macht-sich-verdaechtig-durch-nichtstun-rapportierten-die-beschatter