Absage an Afghan*innen, Abschiebung aus Ceuta, Abfrage zum Schengenraum

Letzten Montag demonstrierten hunderte Menschen in Bern gegen die Gewaltoffensive der Taliban in Afghanistan.
Letzten Montag demonstrierten hunderte Menschen in Bern gegen die Gewaltoffensive der Taliban in Afghanistan.
Themen
  • Illegale Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen aus Ceuta nach Marokko
  • Mehr Geld und koordiniertere Digitalisierung: Drei Vernehmlassungen zum Schengenraum
  • Anti-Muslimischer Bundesrat
  • Kopf der Woche: Karin Keller-Sutter und ihre geschlossenen Türen
  • Wie weiter in Afghanistan?
  • Demo in Bern: 400 Afghan*innen und solidarische Menschen gegen die Taliban
  • Pressekonferenz: Widersprüchlicher Umgang mit Corona im Bundesasylzentrum Basel
  • Blattkritik für die Wochenschau verfassen

Was ist neu?

Illegale Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen aus Ceuta nach Marokko
Wegen einer neuen Vereinbarung mit dem marrokkanischen Staat können die spanischen Behörden jeden Tag 15 Minderjährige aus Ceuta abschieben. Das tun sie, obwohl sie damit gegen das spanische Gesetz verstossen.
 
Vor drei Monaten kamen tausende Menschen in der spanischen Enklave Ceuta an, als die marokkanischen Grenzbeamt*innen dies für einmal zuliessen. Die Bilder von hunderten Menschen am Strand, auf kleinen Booten und im Meer beim Versuch, spanischen Boden zu erreichen, gingen damals um die Welt. Die meisten dieser Menschen wurden in den Tagen danach umgehend wieder nach Marokko abgeschoben. Die Möglichkeit, ein Asylgesuch zu stellen, erhielten sie nicht.
 
Nicht möglich war dieses Vorgehen bei hunderten minderjährigen Personen. Sie sitzen seit Monaten in Ceuta fest, da es keine Handhabe für ihre Abschiebung gibt. Vergangene Woche haben die spanischen Behörden dennoch damit begonnen, pro Tag 15 unbegleitete Minderjährige nach Marokko abzuschieben. Marokko hatte diese Vereinbarung akzeptiert. Sie würde genügend Zeit bieten, angehörige Menschen ausfindig zu machen, an die sie die Verantwortung für die abgeschobenen Personen übergeben können.
 
Allerdings hält sich das spanische Innenministerium nicht an seine eigenen Gesetze. Offensichtlich hat es versäumt, die notwendigen Bedingungen für die Abschiebung der unbegleiteten Minderjährigen zu überprüfen: Wurde jeder Einzelfall geprüft? Gibt es einen Bericht zur Situation jeder betroffenen Person? Wurde die Person individuell angehört? Wurden die Behörden vor Ort einbezogen? Wurde geprüft, dass die minderjährige Person einem Familienmitglied, Vormund oder staatlichen Aufnahmeeinrichtung übergeben werden kann? Hat die Staatsanwaltschaft jeder einzelnen Abschiebung zugestimmt? All das ist nach spanischem und internationalem Recht nötig – wurde aber offensichtlich nicht gemacht.
 
Menschenrechtsorganisationen bezeichnen das Vorgehen der spanischen Regierung als «illegal» und «moralisch verwerflich». Da den Regierenden wohl schon klar war, nicht sauber zu handeln, haben sie es gerade unterlassen, die Öffentlichkeit oder ihren linken Koalitionspartner Unidas Podemos zu informieren. Die spanische Generalstaatsanwaltschaft hat eine Untersuchung eingeleitet, ob die Abschiebungen legal sind. Per Eilentscheid hat ein Gericht in Ceuta die Abschiebungen nun für mindestens 72 Stunden untersagt. In dieser Zeit soll das spanische Innenministerium belegen, dass für jede abgeschobene Person eine Einzelfallprüfung stattgefunden habe.
 
Dass die Regierenden ihre eigenen Gesetze nicht beachten, verdient jederzeit kritische Beobachtung. Dabei sind die Gesetze selbst rassistisch genug und erlauben es weissen Europäer*innen zu entscheiden, wer schutzbedürftig ist und damit Asyl verdient und wer abgeschoben werden kann. Bei Massenabschiebungen wie in Ceuta kommt nicht einmal dieses Mass zur Anwendung. Bleiben wir wachsam.
 
 
Eine Szene des Ankommens einer minderjährigen Person im Mai in Ceuta, die mithilfe von Plastikflaschen in die Exklave geschwommen ist.
Eine Szene des Ankommens einer minderjährigen Person im Mai in Ceuta, die mithilfe von Plastikflaschen in die Exklave geschwommen ist.

Was geht ab beim Staat?

Mehr Geld und koordiniertere Digitalisierung: Bundesrat eröffnet drei Vernehmlassungen zum Schengenraum

Gleich mit drei neuen Gesetzen will der Bundesrat die Grenzen noch dichter und kontrollierter werden lassen. Mit „Sicherheit“ erhöht dies die Gefahren und Probleme für Migrant*innen auf der Flucht.

Das ist (1) die Übernahme der europäischen Verordnung zur Schaffung des Fonds für finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visumpolitik (BMVI-Fonds, Border Management and Visa Instrument). Dabei handelt es sich um einen Fonds zur Unterstützung jener Schengen-Staaten, die aufgrund ihrer ausgedehnten Land- und/oder Seeaussengrenzen sowie bedeutenden internationalen Flughäfen hohe Kosten für den Schutz der Schengen-Aussengrenzen tragen. Der BMVI-Fonds soll «irreguläre Migration» – also Menschen auf der Flucht – bekämpfen und sogenannte legale Reisen von Menschen mit Bewegungsfreiheiten erleichtern. Wie die anderen Schengen-Staaten wird auch die Schweiz Mittel für nationale Massnahmen aus dem Fonds erhalten; (2) soll das Visa-Informationssystem (VIS) reformiert werden, sodass dort Personen, die ein Visum beantragen, noch systematischer erfasst werden, als dies bisher der Fall ist. Schliesslich soll (3) das europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem ETIAS mit den anderen EU-Informationssystemen verbunden werden. Dadurch werden die Informationen über Menschen, die Grenzen überqueren, zentral erfasst und für sämtliche Grenz -und Polizeibehörden abrufbar sein. Weitere Informationen zur Weiterentwicklung der Informationssysteme gibt es hier: https://antira.org/2019/10/13 und hier https://antira.org/2020/09/21.

Alle drei Vorlagen befinden sich momentan in der Vernehmlassung. Der Bundesrat verkauft die Vorlagen unter dem Stichwort «Sicherheit», weil sie dazu beitragen sollen, die «irreguläre» Migration zu stoppen. Einmal mehr wird hier Migration als Sicherheitsrisiko dargestellt, was eine komplette Verdrehung von Tatsachen ist. Ein Sicherheitsrisiko stellen in der momentanen politischen Situation viel eher Nazi-Strukturen und deren Verbandelung mit Justiz und Polizei dar. Oder autoritäre und faschistische Regierungen. Oder Kriege um Ressourcen und Macht, die hunderttausende von Menschen existenziell bedrohen. Oder der Klimawandel und dessen Auswirkungen auf die Lebensgrundlage von Menschen. Alles Dinge, vor welchen Menschen flüchten oder wegziehen und dann von den europäischen Herrschenden als «Sicherheitsbedrohung» dargestellt werden. Es wäre wünschenswert, diese tatsächlichen Sicherheitsrisiken zu benennen, statt die Schuld dafür bei migrierenden Menschen zu suchen.

Worum es bei diesen drei Vorlagen tatsächlich geht, ist die Festung Europa noch dichter und noch undurchdringbarer zu machen und die Kontrolle über Menschen auf der Flucht zu intensivieren. Um die Vorlagen zu legitimieren, wird stets darauf verwiesen, dass sie nicht nur die «irreguläre» Migration bekämpfen wollen, sondern auch die legale Migration erleichtern sollen. Es ist aber wenig nachvollziehbar, wie genau eine restriktivere Visapolitik, verstärkte Grenzkontrollen und zentralisierte Erfassung und Überwachung von Migrationsbewegungen legale Reisen in die EU erleichtern sollen.

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-84647.html

Was ist aufgefallen?

Anti-Muslimischer Bundesrat

Als die Bundesratsmedienmitteilung „Gute Arbeitsbedingungen religiöser Betreuungspersonen als Beitrag gegen Radikalisierung“ in unsere Mailbox flatterte, dachten wir vorerst nicht, dass es was für antira.org sei. Erst als wir die Mail öffneten, wurde deutlich, dass sich die Massnahmen „gegen Radikalisierung“ nicht an alle Religionsgemeinschaften gleichermassen, sondern ausschliesslich gegen Muslim*innen richten.

Der Bundesrat äusserte sich, weil die christliche Politikerin Maya Ingold im Parlament fragte, ob „gemässigte Imame (…) Schlüsselpersonen gegen die Radikalisierung von jugendlichen Muslimen“ seien. Nein, sagt der Bundesrat, nachdem er zwei Studien zur Frage hat anfertigen lassen. Auf sogenannt „Radikalisierte“ hätten „gemässigte Imame“ kaum Einfluss, weil diese in deren Augen als „verwestlicht“ gelten würden. Deshalb sei es auch nicht „zweckmässig“ Ausbildungsmöglichkeiten für Imame oder andere religiöse Betreuungspersonen finanziell zu unterstützen. Wer nun denkt, der Titel der Medienmitteilung sei also doppelt irreführend, da ja gar kein Geld in Ausbildungen fliesse, irrt sich. Es gibt da einen neoliberalen Trick, denn auch ohne finanzielle Unterstützung könne die „Professionalisierung“ der religiösen Betreuungspersonen vorangetrieben werden. Und zwar, indem öffentliche Institutionen wie die Armee, Spitäler, Gefängnisse oder Asylcamps künfitg vermehrt mit muslimischen religiösen Betreuungspersonen zusammenarbeiten sollen, von ihnen aber Aus- und Weiterbildungen abverlangen sollen, die an privat organisierten und finanzierten Ausbildungsinstitutionen zu absolvieren seien. Bestimmt würde sich der Bundesrat keine solchen Tricks erlauben, wenn es um Ausbildungsfragen christlicher statt muslimischer Betreuungspersonen ginge.
In den Ausführungen des Bundesrates fällt schlussendlich auf, wie schnell er rhetorisch vom Thema Prävention einzelner Muslim*innen vor der Radikalisierung abkommt und es über(g)leitet in eine Diskussion über eine scheinbare Gefährdung des „Religionsfriedens“ im ganzen Land. Vermutlich folgt schon bald noch mehr anti-muslimischer Rassismus vom Bundesrat. Als nächstes will er prüfen, wie „Personen, die anlässlich von religiösen Reden extremistisches Gedankengut verbreiten, besser kontrolliert werden können“. Den Religionsfrieden so zu fordern, fördert eher einen Religionskrieg.

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-84734.html
https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/67836.pdf

Kopf der Woche

Karin Keller-Sutter und ihre geschlossenen Türen

Es sei zur Zeit «nicht möglich», mehr Menschen aus Afghanistan aufzunehmen, teilte die Justizministerin Karin Keller-Sutter an der Medienkonferenz des Bundesrates mit. Doch es gibt sehr wohl Handlungsspielraum. Keller-Sutter verhindert bewusst sichere Fluchtwege in die Schweiz.

In seiner wöchentlichen Medienkonferenz teilte der Bundesrat mit, 40 in Kabul blockierte afghanische Mitarbeitende der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und deren Familien (insgesamt 230 Personen) aus Afghanistan aufzunehmen. Auf die von verschiedenen Städten, NGOs und Zivilgesellschaft geäusserte Forderung, mehr Personen aus dem inzwischen von den Taliban kontrollierten Land aufzunehmen, reagiert die Justizministerin Karin Keller-Sutter nicht. Sie teilt mit: «Dies ist zur Zeit nicht möglich». Antira.org macht Keller-Sutter gerne darauf aufmerksam: Doch, es ist möglich! Mit der Erteilung von humanitären Visa und der Möglichkeit zur Familienzusammenführung bestehen im Schweizer Asylrecht Instrumente, die Schutzsuchenden eine rasche und sichere Einreise ermöglichen könnten (weitere Ideen unter „Was nun?“).

Durch eine restriktive Praxis werden diese Möglichkeiten zurzeit grösstmöglich verhindert. Die Personen, welche ein Gesuch stellen wollen, müssen einen engen Bezug zur Schweiz aufweisen, beispielsweise durch Familienangehörige («nahe und regelmässig gelebte verwandtschaftliche Beziehungen zu in der Schweiz wohnhaften Angehörigen»), einen «langen Voraufenthalt in der Schweiz» oder eine «exponierende Erwerbstätigkeit für eine staatliche Organisation der Schweiz». Diese Bedingungen könnten sofort geändert werden – würde der Wille bestehen. Im Rahmen des Krieges in Syrien machte 2013 die damalige Justizministerin Simonetta Sommaruga von dieser Möglichkeit Gebrauch. Durch erleichterte Visa-Bestimmungen für Familienangehörige von in der Schweiz lebenden Syrier*innen konnten fast 4000 Personen einreisen.

«Ich habe Verständnis dafür.» So reagierte Keller-Sutter auf die Forderung aus der Zivilgesellschaft, mehr Menschen aus Afghanistan aufzunehmen. Angesichts der Tatsache, dass Keller-Suter einmal mehr die Aufnahme von schutzbedürftigen Menschen bewusst verhindert, scheint dies kaum glaubwürdig. Keller-Sutter hat als Justizministerin Handlungsspielraum, den sie nicht nur in Bezug auf Afghanistan, sondern schon lange dazu nutzt, die Türen der Schweiz möglichst geschlossen zu halten.

Sie nennt die «unklare Informationslage» als Grund dafür, dass die Schweiz momentan nicht mehr tun könne. Sicherlich, die Lage in dem Land, dass vor kurzem von den Taliban übernommen wurde und in dem die Zivilbevölkerung vor einer Katastrophe steht, ist chaotisch und unsicher. Doch, was alles andere als «unklar» ist: Die Menschen, die aus Afghanistan fliehen wollen, brauchen Schutz! Dem Bundesrat, allen voran Karin Keller-Suter, ist dies aber herzlich egal. Was sie tut: «Wir werden die weitere Entwicklung der allgemeinen Lage abwarten».

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-84772.html
https://www.derbund.ch/bundesrat-zoegert-doch-es-gaebe-einen-weg-fluechtlinge-aufzunehmen-659420183297
https://www.fluechtlingshilfe.ch/medienmitteilungen/afghanistan-die-schweiz-muss-mehr-leisten-fuer-den-schutz-der-fluechtlinge
https://www.srf.ch/news/schweiz/flucht-aus-afghanistan-schweiz-nimmt-230-afghanen-auf-aber-keine-groesseren-gruppen

Noch wird die Schweiz keine grösseren Flüchtlingsgruppen aus Afghanistan aufnehmen: Bundesrätin Karin Keller-Sutter an der Pressekonferenz am Mittwoch.
Noch wird die Schweiz keine grösseren Flüchtlingsgruppen aus Afghanistan aufnehmen: Bundesrätin Karin Keller-Sutter an der Pressekonferenz am Mittwoch.

Was nun?

Wie weiter in Afghanistan?

Letzte Woche hat antira.org gefragt, was bezüglcih der Lage in Afghanistan unternommen werden kann. Hier die Vorschläge der Seebrücke Schweiz und des Migrant Solidarity Network.

Die Gruppe Seebrücke Schweiz sagt: „Die Schweiz ist aktuell nur bereit, 230 Menschen aus Afghanistan zu evakuieren. Dabei wären mehrere Städte bereit, mehr Personen aufzunehmen (vgl. SRF-Bericht). Du kannst deinen Wohnort anfragen, ob er ebenfalls bereit ist, Menschen aus Afghanistan aufzunehmen und dies dem Bund mitzuteilen. Du kannst auch direkt an Karin Keller-Sutter schreiben und sie zum Handeln auffordern oder ihr mitteilen, dass du zuhause Platz für die Aufnahme von Personen hast. Adresse: Karin Keller-Sutter, Bundesrätin, Bundeshaus West,CH-3003 Bern. Des Weiteren gibt es eine Petition, die unterschrieben und weiter verbreitet werden kann. Darin fordert die SP vom Bundesrat: “Verleiht allen Afghan:innen in der Schweiz unverzüglich den Schutzstatus, rettet ihre Familien aus dem Kriegsgebiet, nehmt zusätzlich 10’000 gefährdete Menschen auf – insbesondere Frauen und Mädchen – und verstärkt die humanitäre Hilfe in den Nachbarsländern!” Bereits über 40’000 Menschen haben ihn unterzeichnet: https://afghanistan-appell.ch/. Es gibt einen Aufruf zu einem lautstarken Aktionswochenende: Luftbrücke Jetzt! Veranstalte in deiner Stadt eine Aktion und mache mehr Menschen auf die Notsituation in Afghanistan aufmerksam. Der Aufruf und Aktionsmaterialien sind hier zu finden:https://seebruecke.org/aktuelles/kampagnen/fluchtwege-aus-afghanistan.

Auch das Migrant Solidarity Network hat Vorschläge. Diese sind für den Bundesrat und das SEM gedacht:

(1) Alle afghanischen Geflüchteten erfüllen die Flüchtlingseigenschaften und brauchen Asyl: „Flüchtlinge sind Personen, die in ihrem Heimatstaat oder im Land, in dem sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden“ (Artikel 3, AsylG). Die offizielle Schweiz könnte gemäss Asylgesetz alle Afghan*innen, denen sowohl die Flucht wie auch die lange, gefährliche Reise – über Iran, Türkei, Griechenland, Balkanroute und einzelne EU-Staaten – bis in die Schweiz gelang, Asyl gewähren. Trotzdem lehnt das SEM dieses Jahr noch 86 % der Asylsuchenden aus Afghanistan ab. Dem SEM reicht es nicht, wenn eine Person floh, weil alle ihrer Gruppe verfolgt werden. Es verlangt, dass die Person den Talibans persönlich bekannt war und persönlich durch die Talibans verfolgt wurde. Das widerspricht der Auslegung des UNHCR in Bezug geflüchtete Personen aus Afghanistan: „Um die Flüchtlingseigenschaft zu erfüllen, ist es nicht erforderlich, dass die Schutzsuchende Person dem/den Verfolgungsakteur/en persönlich bekannt ist oder persönlich von diesem/n Akteur/en ausfindig gemacht wird. Auf ähnliche Weise können ganze Gemeinschaften begründete Furcht vor Verfolgung (…) haben“ (UNHCR, https://www.unhcr.org/dach/wp-content/uploads/sites/27/2019/07/afg_guidelines_2018.pdf)
(2) „Vorübergehender Schutz“ (Ausweis S) für alle, die jetzt in die Schweiz fliehen
Die offizielle Schweiz kann auch über diesen Weg Menschen, die aktuell fliehen, direkt aufnehmen, sie schützen und ihnen die lange, gefährliche und teure Migrationsroute nach Europa ersparen. Der Bundesrat soll sofort die nötige Vernehmlassung eröffnen, um zu entscheiden. Im Asylgesetz steht: „Die Schweiz kann Schutzbedürftigen für die Dauer einer schweren allgemeinen Gefährdung, insbesondere während eines Krieges oder Bürgerkrieges sowie in Situationen allgemeiner Gewalt, vorübergehenden Schutz gewähren“. (Artikel 4, AsylG). „Der Bundesrat entscheidet (…) Er konsultiert zuvor Vertreterinnen und Vertreter der Kantone, der Hilfswerke und allenfalls weiterer nichtstaatlicher Organisationen sowie das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für die Flüchtlinge.“ (Artikel 66, AsylG).
(3) „Vorläufige Aufnahme“ (Ausweis F) für abgewiesene Afghan*innen in der Nothilfe

Anfang August hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) einen Sonderflug von Österreich nach Afghanistan gestoppt. Den Abgeschobenen drohen in Afghanistan „nicht wiedergutzumachende Menschenrechtsverletzungen“, so der EGMR. Letzte Woche hat dann auch das SEM entschieden, in der Schweiz die geplanten Afghanistan-Abschiebungen zu stoppen. Schweizweit sind rund 200 Afghan*innen mit Negativentscheid in Nothilfe-Camps blockiert. Die offizielle Schweiz kann ihnen eine „vorläufige Aufnahme“ (Ausweis F) gewähren. Die SEM-Kriterien treffen zu: „Vorläufig Aufgenommene sind Personen, die aus der Schweiz weggewiesen wurden, wobei sich aber der Vollzug der Wegweisung als unzulässig (Verstoss gegen Völkerrecht), unzumutbar (konkrete Gefährdung des Ausländers) oder unmöglich (vollzugstechnische Gründe) erwiesen hat. Die vorläufige Aufnahme kann für 12 Monate verfügt werden und vom Aufenthaltskanton um jeweils 12 Monate verlängert werden.“ (vgl. Webseite SEM)
(4) Ausweis C oder B für Afghan*innen, die schon seit Jahren mit Ausweis F leben müssen

Viele Afghan*innen leben bereits seit Jahren mit einer vorläufigen Aufnahme. Eine Rückkehr nach Afghanistan ist und bleibt für sie unzumutbar. Der Ausweis F geht leider mit einschneidenden Diskriminierungen einher z.B: auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt. Zudem sind die Bewegungsfreiheit und andere Freiheiten eingeschränkt. Die offizielle Schweiz soll all diesen Menschen eine stabilere Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B oder C) erteilen. Sie kann es.“

Wo gabs Widerstand?

Demo in Bern: 400 Afghan*innen und solidarische Menschen gegen die Taliban

Am 16.8.21 gingen sie in Bern gegen die Gewaltoffensive der Taliban in Afghanistan auf die Strasse. Sie protestieren gegen die brutalen Angriffe der Taliban in Afghanistan und fordern von der offiziellen Schweiz, Afghan*innen, die flüchten müssen, aufzunehmen und den bereits in der Schweiz lebenden Afghan*innen einen sicheren Status zu geben.

Die Demonstration begann um 18.00 Uhr auf dem Bundesplatz mit Redebeiträgen und endete später auf dem Waisenhausplatz, auch mit Redebeiträgen. Die Demonstration wurde von der Stadt Bern als Spontankundgebung bewilligt und von den Gruppen «My life in Switzerland» und Migrant Solidarity Network organisiert. Auf verschiedenen Transparenten standen unter anderem folgende Wörter: «Nieder mit den Taliban», «Wir wollen keine Sharia», «Gewalt in Afghanistan beenden», «We will not forget how you forget about Afghanistan», «we want Peace».

Im Interview mit der Zeitung Bund sagt der afghanische Filmemacher Mortaza Shahed, Mitorganisator der Kundgebung : «Es geht mehr darum, unsere Ohnmacht, unseren Schmerz und unsere Verzweiflung zum Ausdruck zu bringen. So gesehen, ist es auch ein Zusammenkommen der Menschen, die hier in der Diaspora leben. Wir wollen uns versammeln, um zu zeigen, wie sehr wir diese Taliban hassen. Wir sind gegen diese Terroristen, gegen dieses Spiel, das gespielt wurde. Es ist das Schlimmste, was passieren konnte. Wir alle sind schockiert.»

Es wurden Texte vom Migrant Solidarity Network während der Kundgebung verteilt. Darauf geht es um die Möglichkeiten, die die offiziellen Schweiz im Bezug auf Menschen in Afghanistan und Afghan*innen in der Schweiz haben, um ihnen zu helfen.
– Alle afghanischen Geflüchteten erfüllen die Flüchtlingseigenschaften und brauchen Asyl.
– Vorübergehender Schutz“ (Ausweis S) für alle, die jetzt in die Schweiz fliehen.
– Vorläufige Aufnahme“ (Ausweis F) für abgewiesene Afghan*innen in der Nothilfe.
– Ausweis C oder B für Afghan*innen, die schon seit Jahren mit Ausweis F leben müssen.

https://migrant-solidarity-network.ch/2021/08/17/gegen-die-taliban-sein-heisst-auch-solidaritaet-mit-gefluechteten-afghaninnen/
https://www.derbund.ch/400-menschen-demonstrieren-in-bern-gegen-taliban-und-scharia-423102230933
https://www.bernerzeitung.ch/demo-gegen-gewalt-in-afghanistan-auf-dem-bundesplatz-762303928802
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/ausnahmezustand-in-afghanistan-machtuebernahme-der-taliban-bewegt-auch-in-bern-143403887

Zwei Demonstranten mit einer eindeutigen Bortschaft vor dem Bundeshaus in Bern.
Zwei Demonstranten mit einer eindeutigen Bortschaft vor dem Bundeshaus in Bern.
Pressekonferenz: Widersprüchlicher Umgang mit Corona im Bundesasylzentrum Basel

Am Dienstag, 16. August fand eine gemeinsame Pressekonferenz von BastA!, der Partei der Arbeit Schweiz Sektion Basel und ROTA – Migrantische Selbstorganisation betreffend des Umgangs mit Covid-19 im Bundesasyllager statt.

Auslöser war die In den letzten Wochen verhängte Quarantäne, die ohne ein vernünftiges Schutzkonzept verlängert wurde. Während das SEM kommuniziert, dass alles auf gutem Weg sei, äussern Bewohnende deutliche Kritik. Es braucht Kommunikation, Zugang zu Hygiene-Artikeln, Übersetzungen und ein transparentes Schutzkonzept. Die Quarantäne wurde am Donnerstag beendet. Doch aus der Kritik müssen Konsequenzen gezogen werden, fordern die drei Organisationen.

Das Statement von ROTA findet ihr hier: https://www.facebook.com/Rota.migrant/posts/357092715915075

https://basta-bs.ch/artikel/pressekonferenz-widerspruechlicher-umgang-mit-corona-im-bundesasylzentrum-basel
https://pdasbasel.ch/index.php/2021/08/16/pressekonferenz-systemchange-nicht-nur-im-bundesasylzentrum/
https://telebasel.ch/2021/08/16/linke-kritisieren-bund-nach-corona-ausbruch-in-asylzentrum/?channel=105100
https://www.bazonline.ch/eingesperrt-und-sich-selber-ueberlassen-554517623037
https://www.bzbasel.ch/basel/bundesasylzentrum-basel-basta-fordert-aufarbeitung-bund-soll-gesundheit-der-asylsuchenden-gefaehrden-ld.2174469
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/vorwuerfe-nach-corona-im-baesslergut?id=12038253

In eigener Sache

Blattkritik für die Wochenschau verfassen
Die Aktionstage Enough (aktionstage-enough.ch) stehen vor der Türe. antira.org wird vom 6. September – 12. September in Zürich mit einem Stand mit dabei sein. Hierfür fänden wir es toll, wenn uns Menschen im Vorfeld eine Art Blattkritik (max. 1 A4 Seite, 14 Schriftgrösse) zusenden (antira@immerda.ch).
Wir möchten eine Stellwand mit Kritik und Anregungen tapezieren, um zu weiteren Rückmeldungen anzuregen. Magst du bei dieser Idee mitmachen? Du darfst direkt ehrlich solidarisch reinfetzen 🙂 Ob du eine einzelne Ausgabe ins Visier nimmst oder dich allgemein hältst, ist dir überlassen. Zur Anregung ein paar allgemeine Fragen: Was wollte ich schon immer mal über die Wochenschau sagen? Was gelingt ihr? Was soll endlich enden? Was wäre anders, wenn es sie nicht gäbe? Was sollte sie besser (nicht) auf den Punkt bringen? Wo liegt noch Potential für die Wochenschau? Wir freuen uns auf eure Beiträge.

Was steht an?

Zapatista-Camp in Basel / DEMO Gegen Kolonialismus und Ausbeutung
Eine Delegation der Zapatistas kommt nach Basel! Seit über 25 Jahren kämpft die Bewegung gegen koloniale Ausbeutung und hat ein System jenseits kapitalistischer Ausbeutung und partirchaler Gewalt aufgebaut. Die Zapatistas kommen nach Basel, um Kämpfe zu verbinden, um sich auszutauschen mit jenen, die auch hier gegen den globalen Kapitalismus, die Ausbeutung von Mensch und Natur, Rassismus und patriarchale Unterdrückung kämpfen.
26.-29.08.2021, Camp
28.08.2021, 15:00, De Wette Park, Demo Gegen Kolonialismus und Ausbeutung
Buchvorstellung: Die modernen Wanderarbeiter*innen – Arbeitsmigrant*innen im Kampf um ihre Rechte
25.08.2021 – 19:00 Uhr – Brasserie Lorraine, Quartiergasse 17, Bern
26.08.2021 – 19:00 Uhr – RäZel, Horwerstrasse 14, Luzern
Mehr zum Inhalt des Buches und Flyer gibts unter https://squ.at/r/8bq8
 
Solicamp 4 Moria
Nehmt euer Zelt, Schlafsack und Ess-Geschirr mit und lasst uns gemeinsam auf die humanitäre Krise an Europas Grenzen aufmerksam machen. Wir wollen nicht mehr zu Hause sitzen und die schreckliche Situation der Geflüchteten in Europa mittragen. Wir wollen, dass die Menschen bei uns menschenwürdig aufgenommen werden. Denn wir haben genug Platz in der Schweiz und der gesamten EU.
28.-29.08.2021 Stadtweier Wil
 
Sponsoringlauf für Solidarität mit geflüchteten Menschen in Luzern
Jetzt Sponsor*innen suchen und anmelden!
04.09.2021 – Lidowiese, Lidostrasse, Luzern
Das Anmeldeformular und alles Weitere findest du auf https://solinetzluzern.ch/solilauf
 
enough. – Aktionstage zu Migrationskämpfen und antirassistischem Widerstand
enough. ist eine Plattform, ein Treffpunkt, eine Bühne, eine Informationsstelle, ein Austauschort. Wir schaffen Raum, um antirassistische Intitativen und den Widerstand gegen das Migrationssystem sichtbar zu machen.
6.-12.09.2021 – Parkplatz, Zürich, Parkplatz und weitere Orte