Medienspiegel 15. August 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++SPANIEN
Spanien schiebt Kinder ab
Empörung nach »Rückführung« Minderjähriger aus Exklave Ceuta nach Marokko. Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen auf, Krach in der Regierung
https://www.jungewelt.de/artikel/408406.unrechtm%C3%A4%C3%9Fige-r%C3%BCckf%C3%BChrungen-spanien-schiebt-kinder-ab.html


+++TUNESIEN
Tunesien: Fluchtpunkt Europa
Nach der Entmachtung von Regierungschef und Parlament verschärft sich die politische Lage in Tunesien. Immer mehr Menschen verlassen das Land in Richtung Europa und hoffen, dort ein besseres Leben zu finden.
https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/europamagazin/sendung/tunesien-fluchtpunkt-europa-100.html


+++BALTIKUM
Belarus: Migranten als Druckmittel
In Minsk sitzen irakische Migranten fest. Ihr Ziel: Europa. Doch nun sind die Grenzen viel schwerer zu überwinden. Dass die Route durch Belarus für Migranten so beliebt wurde, wäre ohne Zutun der belarusischen Regierung nicht denkbar. | mehr
https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/weltspiegel/Belarus-Migranten-als-Druckmittel-100.html


+++GASSE
Von Afghanistan in die Surprise-Nati
Neben dem Homeless World Cup ist das Turnier in Utrecht das grosse Highlight der Strassenfussballer-Saison. In Pratteln feilen sie an Taktik und Technik.
https://telebasel.ch/2021/08/15/von-afghanistan-in-die-surprise-nati/?utm_source=lead&utm_medium=grid&utm_campaign=pos%200&channel=105100


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Liestal BL: «Ich fühlte mich unwohl, erniedrigt, ausgeliefert»
Der Polizei-Einsatz bei einer unbewilligten Demo vom Mittwoch wirkt noch nach. Nach der Polizei melden sich nun auch die Besetzerinnen per Video-Botschaft zu Wort.
https://www.20min.ch/story/ich-fuehlte-mich-unwohl-erniedrigt-ausgeliefert-548900286835


+++KNAST
nzz.ch 15.08.2021

Komplizen von Insassen werfen Handys, Drogen in Tennisbällen oder Waffenteile ins Gefängnis. Trotzdem kann die Justizvollzugsanstalt Pöschwies die Sicherheitszone zum Wald hin vorläufig nicht erweitern

Um den Einwurf von Gegenständen zu erschweren, wollte der Kanton einen neuen Sicherheitszaun im Wald bauen. Das Baurekursgericht hebt die Bewilligung dafür nun auf. Wie es weitergeht, ist offen.

Adi Kälin

Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Pöschwies ist die grösste Einrichtung dieser Art in der ganzen Schweiz. Sie wurde 1995 als Ersatz für die alte Strafanstalt Regensdorf eröffnet und umfasst 374 Plätze. Eigentlich liegt sie sehr idyllisch, ganz in der Nähe der beiden Katzenseen und dem üppigen Wald, der sie umschliesst. Davon allerdings haben die hier einsitzenden Männer nichts; eine hohe Mauer und mit Zäunen gesicherte Bereiche auf beiden Seiten davon schirmen Innen- und Aussenwelt voneinander ab.

Wald mähen dem Zaun entlang

Nicht ganz allerdings, muss man sagen: Der nahe Wald macht es Komplizen einfach, sich an die Sicherheitsbereiche anzuschleichen und Gegenstände über Zäune und Mauer zu werfen. Rund fünfzig Mal im Jahr gelangen auf diesem Weg dick gepolsterte Handys, Drogen in Tennisbällen oder sogar Waffenteile an die Insassen, wie Regierungsrat Martin Neukom bei der Behandlung des Geschäfts im Kantonsrat sagte. Denkbar ist auch, dass sich im Schutz des Waldes Leute anschleichen, die bei einem Ausbruch behilflich sein wollen. Der Kantonsrat stimmte dem Zaun im Rahmen der Richtplandebatte mit 122 zu 50 Stimmen deutlich zu.

Das Projekt, über das seit bald zwanzig Jahren diskutiert worden war, sah nun vor, einen zweiten, äusseren Zaun zu errichten, der in einem Abstand von vierzig bis siebzig Metern zur heutigen Begrenzung mitten durch den Wald Pöschholz führen sollte. Dauerhaft beansprucht wird dadurch eine Waldfläche von 133 Quadratmetern, rund 17 700 Quadratmeter Wald sind nicht mehr öffentlich zugänglich – was die Verlegung beliebter Wanderwege und des Vita-Parcours nötig macht. Entlang des neuen Zauns soll der Wald gerodet und drei Mal im Jahr gemäht werden. Innerhalb des Zauns wird der Wald so ausgelichtet, dass auch hier, wenn nötig, gemäht werden kann.

Mitte Dezember des letzten Jahres hat die Baudirektion für das Projekt die raumplanungs- und forstrechtliche Bewilligung erteilt; am 2. Februar folgte die Baubewilligung der Gemeinde Regensdorf. Widerstand gab es allerdings von Anfang an: Die Grünen und Grünliberalen lehnten das Projekt im Kantonsrat ab. Kantonsrat Martin Neukom stellte den Ablehnungsantrag, den er kurioserweise später als Regierungsrat dem kantonalen Parlament zur Ablehnung empfehlen musste.

Auch die Anwohnerinnen und Anwohner des geplanten Sicherheitsbereichs kritisierten das Bauvorhaben von Beginn an heftig – zunächst mit einer Petition, die von 1300 Personen unterzeichnet wurde, später mit einem Rekurs beim Baurekursgericht gegen die Verfügung der Baudirektion sowie die Baubewilligung der Gemeinde.

Aussage des Kantons «tatsachenwidrig»

Mitte Juli hat das Gericht nun entschieden und den Rekurs, etwas überraschend, ganz deutlich gutgeheissen. Der geplante Sicherheitsbereich liegt im Perimeter eines Schutzobjekts, das sich im Inventar der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN) befindet. Wenn diesem Schutzobjekt eine erhebliche Beeinträchtigung droht, muss zuvor ein Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) eingeholt werden.

Die Baudirektion unterliess dies, weil sie fand, es handle sich hier gar nicht um eine Beeinträchtigung des Schutzobjekts. Der Wald werde zwar ausgelichtet, aber nur sehr kleinräumig und nahe der JVA. Dem stünden zudem gewichtige öffentliche Interessen gegenüber. Angesichts der Länge des Zauns und der grossen Fläche, die tangiert ist, sei die Aussage, dass das Schutzobjekt nicht beeinträchtigt werde, «tatsachenwidrig», findet jetzt das Baurekursgericht.

Um eine sorgfältige Interessenabwägung vornehmen zu können, hätte zwingend ein Gutachten eingeholt werden müssen. Der Rekurs wird also schon aus diesem Grund gutgeheissen. Das Gericht gibt den Rekurrenten aber noch in einem anderen Punkt recht: Angesichts der grossen Fläche, die betroffen ist, sei die Bewilligung als eine nichtforstliche Kleinbaute «offensichtlich verfehlt». Es hätte eine ordentliche Rodungsbewilligung eingeholt werden müssen.

Die Verfügung der Baudirektion wird aufgehoben, ebenso die Baubewilligung der Gemeinde. Zunächst muss nun bei der ENHK ein Gutachten eingeholt werden. Wenn dieses zugunsten des Bauprojekts ausfällt, brauchte es eine Rodungsbewilligung, und anschliessend muss das Bewilligungsverfahren erneut durchlaufen werden. Möglich ist allerdings auch noch eine Beschwerde gegen das Urteil ans Verwaltungsgericht. Der Entscheid, wie es weitergehen soll, sei noch nicht gefallen, sagt Markus Pfanner von der Medienstelle der Baudirektion auf Anfrage. Wegen der Gerichtsferien hat man dafür Zeit bis Mitte September.

Urteil BRGE IV 117/2021 vom 15. 7. 21, nicht rechtskräftig.
(https://www.nzz.ch/zuerich/poeschwies-kanton-zuerich-vorlaeufig-keine-groessere-sicherheitszone-ld.1640354)


+++BIG BROTHER
nzz.ch 14.08.2021

Die Schweiz hat die umstrittene Spyware Pegasus eingesetzt – und tut es vermutlich heute noch

Die Überwachungssoftware der israelischen Firma NSO wurde im Ausland zum Ausspionieren von Journalisten und Oppositionellen verwendet. Nun zeigt sich: Schweizer Behörden setzten ebenfalls auf dieses Produkt.

Lukas Mäder

Es ist ein gut gehütetes Geheimnis in der Bundesverwaltung: Welche Software setzt die Schweiz ein, um verschlüsselte Nachrichten auf Smartphones mitzulesen oder Anrufe über Whatsapp abzuhören? Seit Ende 2018 hat das Bundesamt für Polizei (Fedpol) eine solche Überwachungssoftware im Einsatz und stellt diese auch den Kantonen zur Verfügung. Auch der Nachrichtendienst (NDB) führt Überwachungen mittels sogenannter Govware durch.

Von welchem Unternehmen es diese Govware mietet, will das Fedpol nicht sagen. Offiziell führt das Bundesamt dafür ermittlungstaktische Gründe an. Wenn Kriminelle wüssten, welche Software der Bund einsetze, könnten sie sich besser davor schützen. So lautet das Argument, das in Fachkreisen allerdings umstritten ist.

Ein mindestens so wichtiger Grund für die Geheimhaltung dürfte deshalb die Reputation sein. Weil viele private Hersteller von Überwachungssoftware auch mit autoritären Staaten zusammenarbeiten, hat die Branche keinen guten Ruf. Jüngst geriet im Juli die israelische Firma NSO Group in die Schlagzeilen, weil ihre Software Pegasus auch zum Ausspionieren von Journalisten oder Menschenrechtsaktivisten verwendet worden war.

Nun zeigt sich: Die Schweizer Behörden haben ausgerechnet diese Spionage-Software Pegasus eingesetzt, zumindest in den Jahren 2017 und 2018. Die kanadische Forschungsgruppe Citizen Lab hatte bereits im Herbst 2018 Spuren eines Einsatzes von Pegasus in der Schweiz gefunden. Auf DNS-Servern, die zum Aufrufen von Internet-Adressen nötig sind, fanden sich Einträge, welche die Software hinterliess.

Pegasus-Spuren stammen von den Schweizer Behörden

Wie neue Recherchen der NZZ zeigen, zog dieser Bericht damals auch die Aufmerksamkeit der IT-Spezialisten beim Bund auf sich. Es kam zu internen Abklärungen über den Einsatz von Pegasus in der Schweiz. Es hätte sich um die Operation eines fremden Nachrichtendienstes handeln können, der unerlaubterweise eine Person in der Schweiz überwachte. Das Resultat: Die Spuren stammen von einem legitimen Einsatz der Schweizer Behörden. Das bestätigen zwei Quellen, ohne Details zu nennen.

Konkret kommen für den Einsatz des Bundes drei Behörden infrage: die Armee, der Nachrichtendienst und das Bundesamt für Polizei, das diese technischen Überwachungen auch für die Kantone ausführt. Alle drei Behörden erhalten in den Jahren 2017 und 2018 die expliziten gesetzlichen Grundlagen für den Einsatz von Govware: der NDB ab dem 1. September 2017, die Armee ab dem 1. Januar 2018 und das Fedpol ab dem 1. März 2018.

Die ersten Spuren von Pegasus in der Schweiz finden sich im Juli 2017. Kurz zuvor, im Mai, wurde der Projektauftrag zur Beschaffung der Überwachungssoftware unter dem sperrigen Titel IKT-ProgFMÜ-P4-Govware freigegeben. Die Federführung hatte dabei das Fedpol. Doch die Beschaffung zog sich hin, die äusserst hohen Lizenzkosten für das gewählte Produkt gaben zu reden, und die Abnahme der Govware fand schliesslich erst im November 2018 statt.

Das würde bedeuten, dass das Fedpol von Juli 2017 an über ein Jahr lang die Spionage-Software Pegasus in einem Evaluations- oder Testbetrieb hätte laufen lassen. Das ist nicht plausibel. Ein Kenner der Materie sagt, er habe noch nie von Testlizenzen bei solcher Spionage-Software gehört, die den längeren Betrieb zu Evaluationszwecken ermöglichen würden. Es gebe unter den Spezialisten vielmehr über die Landesgrenzen hinweg einen Austausch darüber, welche Software wie gut sei.

Die Armee wiederum dürfte Pegasus ebenfalls kaum eingesetzt haben: Auf Grundlage des Militärgesetzes ist die Armee in den Jahren 2018 bis 2020 nie in fremde IT-Systeme eingedrungen, wie der Armeechef Thomas Süssli Anfang Jahr im Interview sagte.

Zeitliche Hinweise sprechen für den Nachrichtendienst

Damit steht der Nachrichtendienst im Fokus. Er könnte Pegasus ab September 2017 verwendet haben, um die Mobiltelefone von Verdächtigen bei einer konkreten schweren Bedrohung durch Terrorismus oder feindliche Spionage zu überwachen. Die Spuren in den zwei Monaten davor lassen sich damit erklären, dass die Software implementiert und getestet wurde – was auch ohne explizite gesetzliche Grundlage möglich ist.

Damit erscheint es wahrscheinlich, dass der NDB seit Herbst 2017 Pegasus in der Schweiz einsetzt. Wobei die technische Anwendung der Software vermutlich bei der Führungs- und Unterstützungsbasis (FUB) der Armee liegt, die im Auftrag des NDB solche Operationen durchführt. Der Nachrichtendienst selbst will zum möglichen Einsatz von Pegasus keine Stellung nehmen.

Daneben gibt es Hinweise, dass auch die Strafverfolgungsbehörden von Bund und Kantonen auf die Spionage-Software des israelischen Herstellers NSO Group setzen. Mehrere Personen aus der Bundesverwaltung deuten an, dass NDB und Fedpol bei der Beschaffung dieser teuren und spezialisierten Govware möglicherweise Synergien genutzt haben. Das ist plausibel, gilt Pegasus doch als eines der besten Produkte in seinem Bereich auf dem Markt.

Weitere Informationen, die über die Govware des Bundes kursieren, treffen ebenfalls auf die israelische Software Pegasus zu. So soll das Fedpol dem Vernehmen nach auf ein Produkt aus Israel setzen, was auch Recherchen von RTS ergeben haben. Aus Kreisen der Strafverfolgungsbehörden ist zudem zu hören, dass die Schweizer Govware gewisse technische Besonderheiten und Beschränkungen aufweist, die sich auch bei Pegasus finden.

Auf den ausführlichen Fragenkatalog der NZZ antwortet das Fedpol nur summarisch. Neben ermittlungstaktischen Gründen führt es auch vertragliche Bestimmungen als Grund an, warum es keine Angaben zu den Herstellern oder den verwendeten Technologien mache könne.

Neue Pegasus-Version verwischt ihre Spuren besser

Generell kommt in der Schweiz die umstrittene und teure Überwachungssoftware nur in Einzelfällen zum Einsatz und nachdem ein Gericht dies bewilligt hat. Die Strafverfolgungsbehörden setzten 2019 insgesamt 12 beziehungsweise im letzten Jahr 13 Mal auf Govware. Der Nachrichtendienst weist die Einsätze seiner Spionage-Software nicht im Detail aus.

Dass sich die Spuren von Pegasus in der Schweiz im Herbst 2018 verlieren, ist übrigens nicht erstaunlich. Nachdem die Forschungsstelle Citizen Lab mit ihrem Bericht Hinweise auf die Überwachungssoftware publik gemacht hatte, musste die NSO Group ihr Produkt weiterentwickeln. Die neuste Version 4 von Pegasus verwischt ihre Spuren nun noch besser.
(https://www.nzz.ch/technologie/pegasus-die-schweiz-hat-umstrittene-spionagesoftware-eingesetzt-ld.1640310)


+++RASSISMUS
TV-Moderatorin Angélique Beldner hat ein Buch über Rassismus geschrieben: «Ich konnte mich der Thematik nicht mehr länger entziehen»
Sie hat rassistische Äusserungen lange weggesteckt und sich dem Schmerz entzogen. Jetzt hat SRF-Moderatorin Angélique Beldner (45) ihre Erlebnisse in einem Buch verarbeitet.
https://www.blick.ch/people-tv/tv-moderatorin-angelique-beldner-hat-ein-buch-ueber-rassismus-geschrieben-ich-konnte-mich-der-thematik-nicht-mehr-laenger-entziehen-id16752642.html


Naveen Hofstetter: SVP-Politiker schiesst mit Flüchtlings-Post gegen «Ehe für alle»
Der Aargauer SVP-Politiker Naveen Hofstetter hat mit einem Post zur «Ehe für alle» einen Shitstorm ausgelöst. Von einem Fehler will er nicht sprechen.
https://www.20min.ch/story/svp-politiker-schiesst-mit-fluechtlings-post-gegen-ehe-fuer-alle-778637729694
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/rassismus-nach-ueblem-facebook-post-sp-praesidentin-gabriela-suter-zeigt-svp-hardliner-naveen-hofstetter-wegen-rassendiskriminierung-an-ld.2174251


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Nena feiert privat mit QAnon-Anhängern und Querdenkern – Video enthüllt Details
In Baden-Württemberg feiern der Querdenken-Szene nahe Menschen eine Corona-Party. Mittendrin ist neben Bodo Schiffmann die Sängerin Nena.
https://www.fr.de/panorama/nena-reichsbuerger-qanon-querdenker-party-feier-baden-wuerttemberg-bodo-schiffmann-corona-90922634.html



tagesanzeiger.ch 15.08.2021

Unter falscher FlaggeDie kleine Ego-Parade der Corona-Skeptiker

Die Partys der diesjährigen Street Parade wurden in die Clubs verlegt. Eine Technoparade durfte dennoch draussen stattfinden – die Free Parade.

Martin Sturzenegger

Eine schmerzhafte Erkenntnis für viele Raverinnen und Raver: Das Wetter wäre perfekt gewesen. Heiss, flirrend, ekstatisch. Hätte sich das Zürcher Seebecken diesen Samstag mit partywilligen Technofans füllen dürfen, die Street Parade hätte ein überragendes Comeback gefeiert.

Stattdessen nahm sie niemand wahr. Oder fast niemand. Der Umzug wurde abgesagt, aber die Street Parade sollte dennoch stattfinden. Dezimiert und in 14 Technoclubs dieser Stadt verlegt – «Street Parade ohne Strasse» nennen es die Veranstalter.

Schon am Nachmittag öffnen die ersten Clubs ihre Türen. Einlass gibt es nur mit Impfzertifikat oder negativem Antigen- respektive PCR-Test. Der 24-jährige Flurin aus Bülach, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will, wäre partybereit, muss sich aber einen Nachweis besorgen.

Die Warteschlange vor dem Testcenter beim Club Hive ist überschaubar. «Es ist verdammt schade», sagt Flurin. «Normalerweise würden wir jetzt unter freiem Himmel raven. Ich meine, schau dir diesen Tag an.» Flurin und seine Freunde geben sich dieses Jahr auch mit der No-Street-Variante zufrieden. «Ich finde es gut, haben sich die Verantwortlichen etwas einfallen lassen.»

Was Flurin nicht weiss: Etwa eine Stunde zuvor fand nur wenige Hundert Meter vom Hive entfernt eine Technoparade unter freiem Himmel statt. Eine Party, die von der Stadt bewilligt wurde und von den Teilnehmenden nicht einmal einen Impfnachweis erforderte: die Free Parade.

Es ist halb zwei Uhr am Nachmittag, als sich auf dem gnadenlos heissen, weil schattenlosen Turbinenplatz im Kreis 5 die Menschen versammeln. Angekündigt waren 5000 Personen, es sind nun ein bisschen weniger geworden: 350.

Auf den ersten Blick wirkt die Szenerie wie eine abgespeckte Version der Street Parade. Die Technomusik schallt ordentlich, blau bemalte Schlumpfgestalten unternehmen erste scheue Tanzversuche. Eine Gruppe knapp bekleideter Cheerleader übt gerade eine Choreografie. «Let’s go», ruft die Anführerin.

Blumenkinder schwirren durch die Menge, über ihnen tanzen die Seifenblasen. Ein Mann mit Bierdose in der Hand ruft laut «Liberté», ein anderer «Stoppt den Wahnsinn!». Der neutrale Beobachter ist irritiert: Was ist das jetzt? Friedliche Technoparade oder Anti-Corona-Demo? Und dort hinten auf dem Platz, sind das nicht die Freiheitstrychler?

Ihre Glocken haben sie fein säuberlich auf dem Boden ausgelegt, bereit für den Umzug. Die krummen Villiger-Zigarren fest zwischen die Zähne geklemmt, weisse T-Shirts mit der Aufschrift «Helvetia Trychler». Die ganze Schweiz kennt sie inzwischen aufgrund ihrer Auftritte an Corona-Skeptiker-Demos im ganzen Land. In Zürich geben sie jedoch ein eher ungewohntes Bild ab.

Drei Love-Mobiles haben sich inzwischen auf der Pfingstweidstrasse in Richtung Altstetten in Gang gesetzt. Auf dem vordersten Wagen steht DJ Tatana am DJane-Pult und feuert die überschaubare Menschenmenge an. Früher war Tatana ein wichtiges Aushängeschild der Street Parade, heute ist sie Stimmungsmacherin an der Free Parade. Nichtsdestotrotz reckt die 44-Jährige die Faust und lässt die Beats knallen. «Free hugs» steht auf ihrem Mobile.

Zwei Stunden zuvor sitzt Tatana am Steuer und fährt in Richtung Zürich. «Wir wollen in Zürich etwas Liebe verbreiten», sagt sie dem Journalisten am Telefon. Es gebe genug Hass in unserer Gesellschaft. Die Free Parade wolle dem entgegenwirken. An diesem Fest gebe es keine Zwänge. Ob sie nicht gern einen Auftritt an der offiziellen «Street Parade ohne Strasse» gehabt hätte? «Hat sich leider nicht ergeben.»

Die Free Parade wurde im Vorfeld mit dem Motto #LovePeaceLiberty beworben. Auf das Wort Corona wurde bewusst verzichtet. Politik sollte gemäss den Veranstaltern keine Rolle spielen. «Wir wollen wieder mehr Lebensfreude auf die Strasse bringen», sagte Mitorganisatorin Clara Fragale zu «20 Minuten». Der Fokus liege auf Liebe, friedvollem Zusammenhalt und grenzenloser Freiheit.

Grenzenlose Freiheit gönnen sich auch ein paar Free-Parade-Teilnehmer während des Umzugs. Sie beschliessen, ihr Bier auf den Stühlen eines Cafés zu konsumieren. Die Cafébetreiberin weist die jungen Männer freundlich darauf hin, dass dies nicht gehe. Als Antwort erhält sie hämisches Gelächter. «Die Freiheit hört da auf, wo sie die Freiheit der anderen beschneidet», sagt die Betreiberin.

Mit fortschreitender Dauer der Free Parade wird zusehends klar, dass dies nicht das Fest wehmütiger Technofans ist. Die Fassade des liebesbringenden Technoumzugs wird jedoch tapfer aufrechterhalten. Mit DJ Tatana an vorderster Front.

Die Helvetia-Trychler wurden inzwischen vom Rest des Zuges abgetrennt. Die Veranstalter dürften inzwischen erkannt haben, dass der Mix aus schallendem Kuhglockenklang und stampfender Technomusik eine seltsame Kakofonie ergibt.

Ein Mann mittleren Alters beobachtet den Umzug mit einem Lächeln vom Strassenrand aus. Seine Tanzversuche wirken etwas hüftsteif. Ob er wegen der Musik gekommen sei, fragt der Journalist. «Wegen der Musik?», fragt der Mann zurück und lacht laut heraus. Es sei doch klar, weshalb er hier sei. Hier sei man unter Gleichgesinnten. «Wir demonstrieren gegen den ganzen Irrsinn, den wir in den letzten Monaten und Jahren durchlebt haben», sagt der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. «Ich bin hier, um für die Schweizer Grundrechte zu kämpfen. Die Musik interessiert mich nicht.»

Um fünf Uhr nachmittags löst sich die Free Parade allmählich wieder auf. Fazit des Nachmittags: Die Stadt bewilligt eine Demonstration. Die Veranstalter prophezeiten ein esoterisches Blumenfest ohne politische Motivation. In echt entpuppt sich die Free Parade als Corona-Skeptiker-Versammlung, die sich als Technoparade tarnt. Die echte Street Parade wiederum musste drinnen stattfinden.

Oder anders gesagt: Free Parade ist dann, wenn das Absurdum um sich greift.

Korrektur: In der ursprünglichen Fassung hiess es, die Freiheitstrychler hätten am Anlass teilgenommen. Tatsächlich handelte es sich um eine andere Gruppierung, die Helvetia-Trychler.
(https://www.tagesanzeiger.ch/die-kleine-ego-parade-der-corona-skeptiker-504911645330)


+++HISTORY
Hexenverbrennungen Sursee
https://www.tele1.ch/nachrichten/hexenverbrennungen-sursee-143391209