Medienspiegel 12. August 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++SCHWEIZ
Das Recht auf Familienleben gilt nicht für alle
Laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verletzt eine pauschale Wartefrist von drei Jahren für den Familiennachzug die EMRK.
https://beobachtungsstelle.ch/news/das-recht-auf-familienleben-gilt-nicht-fuer-alle/


Ausländerstatistik 1. Halbjahr 2021
Die Zuwanderung in die Schweiz nahm im ersten Halbjahr im Vergleich zur Vorjahresperiode um 3,9 Prozent zu. Die Auswanderung stieg um 8,4 Prozent. Diese Entwicklungen sind hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass im Vergleich zur ersten Pandemiewelle vom Frühjahr 2020 wieder mehr Personen aus Drittstaaten in die Schweiz ein- und ausgewandert sind. Der Wanderungssaldo lag bei 26 008 Personen und ist damit im Vergleich zur Vorjahresperiode konstant geblieben. Per Ende Juni 2021 lebten 2 128 812 Ausländerinnen und Ausländer in der Schweiz.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-84680.html


+++DEUTSCHLAND
Seehofers Abschiebestopp nach Afghanistan: Kehrtwende in 20 Minuten
Lange beharrte das Innenministerium trotz des Taliban-Vormarsches darauf, Straftäter nach Afghanistan abzuschieben. Nun hat Innenminister Seehofer die Rückführungen ausgesetzt. Woher der plötzliche Sinneswandel?
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/horst-seehofer-und-abschiebungen-nach-afghanistan-kehrtwende-in-20-minuten-a-bb97704d-472f-42e2-a996-7f54d8034695


+++ÄRMELKANAL
Mehr als 100 Flüchtlinge aus Seenot im Ärmelkanal gerettet
Immer mehr Menschen versuchen, von Frankreich nach Großbritannien zu gelangen
https://www.derstandard.at/story/2000128871651/mehr-als-100-fluechtlinge-aus-seenot-im-aermelkanal-gerettet?ref=rss
-> https://www.derstandard.at/story/2000128890392/dutzende-migranten-in-dramatischer-aktion-aus-aermelkanal-gerettet?ref=rss


+++BALTIKUM
Stacheldraht aus der Ukraine für Grenzausbau nach Litauen geschickt
Mehr als 38 Tonnen Stacheldraht wurden nach Litauen geliefert. Das Land verzeichnet viele Migranten, die illegal einreisen, da Belarus die Durchreise toleriert.
https://www.nau.ch/news/europa/ukraine-schickt-stacheldraht-fur-grenzausbau-nach-litauen-65981206


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Basler Zeitung 12.08.2021

Knüppel und Hunde gegen Demonstranten: Nach «Jagdszenen» und Grossaufgebot erntet Baselbieter Polizei viel Kritik

In Liestal kam es am Mittwoch zu unschönen Szenen: Bei einer Kundgebung wurden zwölf von rund vierzig Teilnehmern festgenommen. Mittendrin eine Grande Dame des Baselbiets.

Benjamin Wirth

Die Baselbieter Alt-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (SP) traute ihren Augen kaum: Am Mittwochabend war die Grande Dame der Sozialdemokraten auf dem Nachhauseweg eines langen Ausfluges im Berner Oberland und wollte in Liestal vom Zug auf den Bus umsteigen. Zu ihrer Überraschung fuhren am Bahnhof aber keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr. Anstelle eines Busses stand plötzlich ein Grossaufgebot an Polizisten vor ihr.

Verantwortlich für den beachtlichen Aufmarsch der Baselbieter Kantonspolizei waren rund vierzig Personen, die beim Emma-Herwegh-Platz an einer unbewilligten Kundgebung teilnahmen, die im Zusammenhang mit der Hausbesetzung bei der alten Sprengstofffabrik Cheddite von letztem Dienstag stand. Die Teilnehmer kritisierten den Abriss mehrerer Liegenschaften und forderten gleichzeitig billigere Wohnräume.

Die Warterei am Bahnhof liess Leutenegger irritiert zurück – ihr Unmut richtete sich jedoch nicht an die Demonstranten: Auf Twitter kritisierte sie das Verhalten der Polizei, das unverhältnismässig und «absurd» gewesen sei. Während es für ein paar wenige junge Demoteilnehmer einen grossen Polizeieinsatz gebe, könnten 8000 Corona-Kritiker unbehelligt durch Liestal ziehen, schreibt sie in Anlehnung an den Grossaufmarsch von vergangenem März.

Zur «Basler Zeitung» sagt die Alt-Nationalrätin einen Tag später: «Das riesige Sicherheitsaufgebot war für ein so kleines Grüppchen völlig übertrieben. Alle Passagiere, die mit mir gewartet haben, konnten nur den Kopf schütteln.»

Polizei sieht keine Fehler

Juso-Präsidentin Anna Holm hat an der Kundgebung teilgenommen. Auch sie findet klare Worte: «Die Polizei hat sich nicht nur peinlich, sondern auch völlig inkompetent verhalten.» Mit Schlagstöcken und Hunden habe man die Demonstranten in Schach gehalten. «Ohne dieses Grossaufgebot hätte die Demonstration wohl gar niemand bemerkt», sagt sie. Ausserdem habe man den Behörden deutlich gemacht, dass man die bestimmte Route friedlich absolvieren möchte. «Für mich wirkt es so, als hätte die Polizei die Auseinandersetzung gesucht.»

Die Organisatoren, der Verein «Gegen Verdrängung Liestal», äussern sich über einen verschlüsselten E-Mail-Dienst zu den Geschehnissen. Ihnen scheint der Konflikt mit der Polizei – die «chaotischen Szenen» oder «Verfolgungsjagden», wie sie es nennen – gefallen zu haben. Sie rühmen sich mit Sätzen wie: «Die Polizei versuchte, unseren Marsch zu verhindern, doch die Demo konnte sich selbstbestimmt die Strasse nehmen, und es wurde eine kämpferische Rede gehalten.» Die Reaktion der Behörden zeige, dass man die Diskussion um günstigen Wohnraum im Keim ersticken wolle.

Dem entgegnet Adrian Gaugler, Sprecher der Kantonspolizei Baselland: «Den Teilnehmern wurde mehrmals gesagt, dass ein Umzug durchs Stedtli nicht bewilligt ist und die unbewilligte Demonstration beim Bahnhof stattfinden muss.» Diesen Anweisungen habe man sich mehrfach widersetzt. «Wir mussten mehrere Personen anhalten, weil sie sich wiederholt nicht an die Anweisungen gehalten haben.» Zudem sei es zu mehreren Sachbeschädigungen gekommen, sagt Gaugler. Insgesamt musste die Polizei zwölf Personen festnehmen, die auf einen Posten gebracht wurden und einen Platzverweis erhielten. Im Laufe der Nacht wurden sie nach diversen Abklärungen wieder entlassen.

Gaugler findet nicht, dass die Polizei unverhältnismässig vorgegangen sei: «Diverse Aufrufe in den sozialen Medien hatten uns und die Stadt Liestal annehmen lassen, dass es sich um eine grössere Demonstration handeln könnte.» Zusammen habe man eine Lagebeurteilung durchgeführt und ein entsprechendes Sicherheitsdispositiv erstellt.

Dafür bringt SP-Politikerin Leutenegger sogar Verständnis auf. Doch: «Nachdem der Einsatzleiter gesehen hatte, wie klein die Demo war, hätte er adäquat reagieren müssen. Niemals hätte der ganze Platz gesperrt und der ÖV eingestellt werden dürfen», sagt sie und fügt an: «Mir tut die Polizei auch leid. Solche Entscheide werden in der Regel weiter oben getroffen.» Es sei mehr als störend, dass von den politisch verantwortlichen Personen niemand vor Ort war.

Auch der Baselbieter SVP-Präsident Dominik Straumann kann die Polizei verstehen: «Das Recht muss immer durchgesetzt werden, auch um die Menschen zu schützen», sagt er. Das bedeute, dass die Polizei manchmal auch durchgreifen müsse. Wichtig sei, dass man dabei mit gesundem Augenmass vorgehe.

Kritiker argumentieren oft mit Verhältnismässigkeit

Einer, der weiss, wie man eine Demonstration plant und mit welchen Herausforderungen dies verbunden sein kann, ist der ehemalige Sprecher der Basler Staatsanwaltschaft und Ex-Kommissar Markus Melzl. «Die Polizei hat es nicht einfach», sagt er. Getadelt werde sie fast bei jedem Einsatz, ob auf der Strasse, an einem Fussballspiel oder im Nachtleben.

Oft argumentieren die Kritiker mit der Verhältnismässigkeit. «Teilweise auch zu schnell», sagt Melzl. «Es würde allen guttun, auch einen Polizeieinsatz einmal ein bisschen entspannter zu bewerten.» Für einen Einsatzleiter wäre das Schlimmste, wenn die Polizei auf dem falschen Fuss erwischt würde.



Heftige Vorwürfe gegen Polizisten

Im Communiqué der Organisatoren, des Vereins «Gegen Verdrängung Liestal», wird neben der Demonstration auch zur Verhaftung der fünf Hausbesetzer von letztem Dienstag Stellung bezogen. In diesem Zusammenhang beschuldigt die Gruppe einzelne Mitglieder der Baselbieter Polizei aufs Schärfste: «Die fünf jungen Besetzerinnen wurden auf den Polizeiposten in Liestal gebracht, wo sie mehrere Stunden festgehalten wurden. Auf dem Polizeirevier kam es zu sexueller Belästigung, Amtsmissbrauch und erniedrigenden Situationen seitens der Polizei, welche untragbar sind.» In den kommenden Tagen wolle man dazu noch genauer informieren.

Die Polizei hatte bis zur Anfrage der «Basler Zeitung» keine Kenntnis von den Vorwürfen. Sprecher Adrian Gaugler sagt: «Auch von Anzeigen oder anderen juristischen Schritten haben wir noch nichts gehört.» (bwi)
(https://www.bazonline.ch/nach-jagdszenen-und-grossaufgebot-erntet-baselbieter-polizei-viel-kritik-398172144032)



bzbasel.ch 12.08.2021

Öffentliche Kritik: Mit Helm und Schild gegen 40 Demonstrierende: War der Polizeieinsatz in Liestal verhältnismässig?

In den sozialen Medien sorgt der Grosseinsatz der Baselbieter Polizei an einer unbewilligten Demonstration in Liestal für Unverständnis. Man könne die Kundgebung nicht mit der Anti-Corona-Demo mit 8000 Teilnehmenden vom März vergleichen, wehrt sich der Kanton. Diese war bewilligt.

Kelly Spielmann

Rund 40 junge Frauen und Männer gehen am Mittwochabend vom Bahnhof Liestal in Richtung Wasserturmplatz. «Immobilienhaie enteignen – Wohnen für alle» steht auf dem grossen Transparent, das die Demonstrierenden tragen. Sie rufen Parolen, fordern bezahlbaren Wohnraum. Die Gruppe befindet sich am Ende der Poststrasse, als plötzlich mehrere Dutzend Polizistinnen und Polizisten in Vollmontur aus Fahrzeugen springen und in Richtung der Demonstrierenden rennen.

Vor dem Wasserturmplatz bilden sie eine Sperre – man habe den Teilnehmenden mehrmals gesagt, ein Umzug durchs Stedtli sei nicht erlaubt, sagt Adrian Gaugler, Mediensprecher der Baselbieter Polizei, am Tag nach der Demonstration. Diese hätte nur am Bahnhof stattfinden dürfen. Denn: Sie war unbewilligt, eine Reaktion auf die Hausbesetzung von fünf Frauen an der Heidenlochstrasse am Tag zuvor. Viele Teilnehmende schaffen es an der Polizeisperre vorbei, am Wasserturmplatz halten sie eine kurze Rede und gehen weiter via Fischmarkt, Regierungsgebäude und BLKB-Kreuzung zurück an den Bahnhof.

Die Polizei hält an der Kundgebung zwölf Personen an und nimmt sie für weitere Abklärungen mit auf den Polizeiposten, wie Gaugler später sagt. Sie erhalten einen Platzverweis und werden in der Nacht wieder entlassen. In einer Medienmitteilung schreibt die Polizei ausserdem, es sei zu Sachbeschädigungen gekommen – Gaugler sagt auf Nachfrage, es sei ein Patrouillenfahrzeug beschädigt worden. Weitere Abklärungen liefen noch.

Unverständnis für den Polizeieinsatz

Der Einsatz sorgt bei vielen für Unverständnis. So schreibt beispielsweise alt Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer (SP) auf Twitter: «Riesiges Polizeiaufgebot für eine kleine Demo. Was soll das?», ⁦und markiert Sicherheitsdirektorin und Parteikollegin Kathrin Schweizer. Wenig später folgt ein zweiter Tweet:

    8000 Corona Demonstranten können von der Polizei unbehelligt durch Liestal marschieren. Gegen 30 junge DemonstrantInnen gegen Wohnungsnot gibt es einen großen Polizeieinsatz und der Bahnhofplatz in Liestal ist gesperrt. Der Busverkehr wird lahmgelegt. Absurd.
    — Leutenegger Oberholz (@SusanneSlo) August 11, 2021

Am Tag nach der Demonstration sagt Leutenegger Oberholzer auf Anfrage, sie habe am Bahnhof den Bus nehmen wollen, als plötzlich ein grosses Polizeiaufgebot auftauchte. «Ich dachte an eine Übung», berichtet sie. Von der Demonstration habe sie nach Rückfrage bei der Polizei erfahren. Zugleich habe ein Buschauffeur den Wartenden verkündet, auf unbestimmte Zeit würden keine Busse fahren. Der Bahnhofplatz sei von der Polizei weiträumig abgesperrt. «Dann habe ich die kleine Gruppe junger Menschen gesehen, die gegen die Wohnungsnot demonstrierten und mich gefragt: Sind das die Demonstrierenden?»

Für Leutenegger Oberholzer ist klar: «Dieses Polizeiaufgebot war völlig überrissen. Es waren viel mehr Polizisten in Vollmontur und Polizeiautos vor Ort als Demonstrierende!» Sie vergleicht dabei die Polizeipräsenz mit derjenigen der Liestaler Anti-Corona-Demonstration mit rund 8000 Teilnehmenden vom März. Letztere war, anders als die Kundgebung vom Mittwochabend, bewilligt. Auch bei einer unbewilligten Demonstration muss das Polizeiaufgebot verhältnismässig sein, findet Leutenegger Oberholzer – «das kostet ja».

«Erklärungsbedürftig ist auch, weshalb die Demonstration dieser kleinen Gruppe nicht bewilligt worden ist», fügt sie an. «Wenn die Behörden von einer grossen Demonstration ausgingen, warum haben sie die Sperrung des Bahnhofplatzes und den ÖV nicht besser organisiert und kommuniziert? Und wo waren eigentlich die politisch verantwortlichen Personen?»

Mit ihrer Meinung ist Susanne Leutenegger Oberholzer nicht alleine. Auch die Juso Baselland äussert sich auf Twitter: «Massive Repression. Mehr Polizei in Vollmontur als Menschen an der Demo. Polizei greift Demonstrantinnen und Demonstranten tätlich an.» Antwort erhält die Juso von Nils Jocher, Vizepräsident der Baselbieter SP: «Aber bei den Covid-Leugnerinnen und -Leugnern geht man auf Kuschelkurs. Unverständlich.»

Und am Tag nach der Demonstration:

    An der gestrigen Soli-Demo mit der Cheddite-Besetzung war ein völlig überrissenes Polizeiaufgebot vor Ort. Die Polizei wendete z.T. massive Gewalt an, und nahm friedliche Demonstrant*innen und Aussenstehende mit. Mehrere Beamte wiesen sich nicht aus und trugen ihre Maske nicht.
    — JUSO Baselland (@jusobl) August 12, 2021

Keine Kenntnisse von tätlichen Angriffen

Sicherheitsdirektorin Kathrin Schweizer gibt auf Anfrage der bz keine Stellungnahme ab. «Die Demonstrationen sind nicht vergleichbar – diejenige im März war von der Stadt Liestal bewilligt, die am Mittwoch nicht», erklärt Adrian Baumgartner, Mediensprecher der Sicherheitsdirektion, den Entscheid. Auch Stadtpräsident Daniel Spinnler möchte sich auf Anfrage nicht zur Situation äussern – das Sicherheitsdispositiv sei Sache der Polizei.

Adrian Gaugler, Mediensprecher der Baselbieter Polizei, erklärt auf Anfrage ebenfalls: «Ein Faktor war unter anderem, dass es sich dabei, im Gegensatz zur Demonstration Mitte März, um eine unbewilligte Demonstration handelte.» Man habe aufgrund der Aufrufe zur Kundgebung in den sozialen Medien gemeinsam mit der Stadt Liestal eine Lagebeurteilung durchgeführt und ein entsprechendes Sicherheitsdispositiv erstellt. Zu diesem gebe man aus polizeitaktischen Gründen keine Auskunft – wie viele Einsatzkräfte vor Ort waren, sagt Gaugler nicht.

Was er dementiert, sind die Vorwürfe der Juso: «Von tätlichen Angriffen gegenüber den Demonstrierenden haben wir zum jetzigen Zeitpunkt keine Kenntnisse. Auch gab es, gemäss unseren Kenntnissen, keine verletzten Personen.»
(https://www.bzbasel.ch/basel/baselland/oeffentliche-kritik-mit-helm-und-schild-gegen-40-demonstrierende-war-der-polizeieinsatz-in-liestal-verhaeltnismaessig-ld.2173139)
-> https://telebasel.ch/2021/08/12/polizei-haelt-12-personen-nach-unbewilligter-demo-am-bahnhof-liestal-an/?channel=105100
-> https://primenews.ch/news/2021/08/sachbeschaedigungen-bei-unbewilligter-demo-liestal


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Bundesplatz in Bern: Gegner der Corona-Massnahmen rufen zu Kundgebung auf
Am Donnerstagabend wollen Gegner der Corona-Massnahmen gegen die Beschlüsse des Bundesrats auf dem Bundesplatz demonstrieren. Die Spontandemo ist bewilligt.
https://www.bernerzeitung.ch/gegner-der-corona-massnahmen-rufen-zu-kundgebung-auf-443182306545
-> Liveticker: https://www.bernerzeitung.ch/gegner-der-corona-massnahmen-demonstrieren-in-bern-395458813784
-> https://www.20min.ch/story/mass-voll-ruft-zur-corona-demo-auf-dem-bundesplatz-888669989301
-> https://www.derbund.ch/massnahmengegner-marschieren-durch-bern-255325915888
-> Demoroute: https://twitter.com/swissfenian/status/1425797759777615877
-> https://twitter.com/PoliceBern/status/1425816509624979472
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-kapo-bern-bereitet-sich-auf-bundesplatz-demo-vor-65980867
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-skeptiker-versammeln-sich-beim-berner-bahnhofsplatz-65981246
-> https://www.aargauerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/demonstration-coronamassnahmengegner-marschieren-durch-bern-ld.2173488
-> https://www.blick.ch/schweiz/bern/trychler-fuehrten-spontankundgebung-an-rund-700-massnahmen-gegner-marschieren-durch-bern-id16748176.html?utm_source=twitter&utm_medium=social&utm_campaign=blick-page-post&utm_content=bot
-> https://twitter.com/berngegenrechts
-> https://twitter.com/__investigate__
-> https://twitter.com/Megafon_RS_Bern
-> https://twitter.com/AntiAll3s
-> https://twitter.com/bwg_bern


POLIZEI TRENNT MASSNAHMENGEGNER VON GEGENDEMO
Beim Bahnhof findet eine Demo von Menschen, die sich gegen die Massnahmengegner wendet. «Siamo tutti antifascisti», skandieren sie. Die Polizei trennt beide Gruppen.
(https://www.20min.ch/story/mass-voll-ruft-zur-corona-demo-auf-dem-bundesplatz-888669989301)

GEGENDEMO AM BAHNHOF
«Siamo tutti antifascisti»: Die Gruppe, die sich am Bahnhofplatz gegen die Massnahmengegner stellt, hat auch noch ein wenig Zuwachs bekommen. Beide Gruppierungen skandieren munter ihre Parolen. Weiterhin alles friedlich.
(https://www.bernerzeitung.ch/gegner-der-corona-massnahmen-demonstrieren-in-bern-395458813784)


Marco Rima legt seine Bühnenkarriere wegen Corona auf Eis!
Komiker Marco Rima kritisierte immer wieder die Corona-Massnahmen. Nun legt er seine Bühnenkarriere auf Eis.
https://www.nau.ch/people/aus-der-schweiz/marco-rima-legt-seine-buhnenkarriere-wegen-corona-auf-eis-65981275
-> https://www.blick.ch/people-tv/schweiz/weil-ihm-die-corona-regeln-bei-auftritten-nicht-passen-marco-rima-legt-karriere-auf-eis-id16747239.html
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/komiker-zuger-komiker-marco-rima-beendet-voruebergehend-aus-protest-seine-buehnenkarriere-ld.2173266?mktcid=smsh&mktcval=Twitter


SP stellt Fragen wegen Corona-Demo
Die SP-Fraktion des Stadtparlaments stellt in einer Interpellation Fragen in Zusammenhang mit der Coronademonstration in Luzern vom 31. Juli. Dort kam es unter anderem zu einem tätlichen Angriff auf einen Polizisten, der verletzt ins Spital gebracht werden musste
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/stadt-luzern-sp–ld.2173450


+++HISTORY
derbund.ch 12.08.2021

Fürsorgerische Zwangsmassnahmen: Migros will auf dem Gurten keine Gedenkstätte für Verdingkinder

Tausende Kinder und Erwachsene waren im Kanton Bern von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen betroffen. Mit der Erinnerung an das vergangene Unrecht tut sich der Kanton schwer.

Andres Marti

Mit einer Gedenkstätte auf dem Gurten wollte der Kanton an die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen erinnern. Der Berner Hausberg schien den Verantwortlichen ein idealer Standort. Endlich gäbe es im Kanton Bern einen offiziellen Ort, an dem an das Unrecht gegenüber den ehemaligen Verdingkindern und Opfern von behördlichen Zwangsmassnahmen gemahnt würde. Doch die Migros erteilte dem Vorhaben eine Absage.

Genauer gesagt die von der Migros verwaltete Stiftung Gurten-Park im Grünen, der auch Vertreter des Berner Gemeinderats und der Burgergemeinde angehören. Warum hat das Erinnern an vergangenes Unrecht auf dem Gurten keinen Platz? Haben die Gurten-Pächter Angst vor schlechten Vibes? Man erhalte jährlich mehrere «solcher» Anfragen, heisst es bei der Medienstelle der Migros. «Da diese unmöglich alle angenommen werden können, hat man sich entschieden, keine davon umzusetzen.»
Ohne Urteil weggesperrt

Der Negativbescheid war ein weiterer Rückschlag für das Ansinnen, im Kanton Bern einen Ort zu schaffen, um an ein düsteres Kapitel Berner Sozialgeschichte zu erinnern. Denn bei der Disziplinierung der verarmten Unterschicht gingen die Behörden rigoros vor: Für eine Anstaltsversorgung reichte aus, dass die Betroffenen von den Gemeindebehörden als «ökonomisch oder sittlich gefährdet» eingestuft wurden.

Wer gegen die herrschenden Moralvorstellungen verstiess, konnte also ohne Gerichtsurteil eingesperrt werden. Das traf vor allem auch alleinstehende Frauen. Viele wurden wegen «liederlichen Verhaltens» zur Abtreibung gezwungen und zwangssterilisiert. Zudem wurden zigtausende Kinder und Jugendliche ihren Eltern entrissen, an Bauern verdingt oder in Heime gesteckt.

Kanton Bern stark betroffen

In vielen Kantonen erinnern inzwischen Gedenktafeln, Ausstellungen und Lehrmittel an die Opfer dieser fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Doch im Kanton Bern – wo schweizweit am meisten Menschen zwangsversorgt und fremdplatziert wurden – tut man sich mit dem Erinnern an das vergangene Unrecht schwer. Linke Grossräte forderten bereits vor zwei Jahren eine Gedenkstätte für die Opfer. Doch weil der Kanton knausert, kommt das Berner Erinnerungsprojekt nicht voran. «Die Finanzierung ist leider immer noch nicht gesichert», so sagt Staatsschreiber Christoph Auer auf Anfrage.

Im Regierungsrat fühlt sich offenbar niemand zuständig. Jedenfalls äusserten sich weder Justizdirektorin Evi Allemann (SP) noch Fürsorgedirektor Pierre Alain Schnegg (SVP) oder Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) zum Berner Erinnerungsprojekt.

Strassen sollen an Opfer erinnern

Nach der Gurten-Absage änderte die Staatskanzlei das Vorhaben. Dezentral, lautet jetzt die Devise. Konkret sollen nun in den Berner Gemeinden «primär neue Strassen und Plätze» nach den Opfern benannt werden. Mit einem QR-Code sollen deren Geschichten online nachgelesen werden können. Für dieses Projekt hat sich die Staatskanzlei von einer externen Firma beraten lassen. Bei den Betroffenen sei die Idee gut angekommen, so Auer.

Doch weil für die Umsetzung dieser Idee das Geld fehlt, ist der Kanton nun auf der Suche nach privaten Sponsoren. Drückt sich der Kanton da nicht vor seiner Verantwortung? «Jein», sagt Staatsschreiber Christoph Auer, «auch die Zivilgesellschaft trägt hier eine Mitverantwortung. Schliesslich wurden die Verdingkinder ja nicht vom Staat vernachlässigt oder schlecht behandelt.»

«Politischer Wille fehlt»

Historikerin Tanja Rietmann begrüsst die Idee einer dezentralen Erinnerung in den Gemeinden. Dass nun Private die Erinnerung an das von den Behörden mit verursachte Unrecht finanzieren sollen, sieht sie hingegen kritisch. In Bern fehle es offenbar an politischem Willen, sich an diese dunkle Vergangenheit zu erinnern. «Dass die Finanzierung immer noch nicht gesichert ist, finde ich bedenklich.»

«Der Kanton war für die Aufsicht der Fremdplatzierungen und Zwangsversorgungen verantwortlich», so Rietmann. Er sollte und könnte deshalb mehr machen. «Für das jahrzehntelange Versagen sollte er mit einem Zeichen der Erinnerung Verantwortung übernehmen.»

Dass es auch schneller geht, hat laut Rietmann der Kanton Graubünden «vorbildhaft» gezeigt. Rietmann war dort an der Konzeption einer Ausstellung, die die Einrichtung eines Erinnerungsorts begleitete, beteiligt. «Das Interesse gerade auch der Jungen war enorm. Sie können sich in die Lebenswelt der fremdplatzierten Kinder einfühlen.» Auch ein eigenes Lehrmittel hat Graubünden in Auftrag gegeben.

Zwischen Erinnern und Verdrängen

Wer Traumatisches erlebt hat, der hat zum Erinnern oft ein ambivalentes Verhältnis. «Ich kenne viele ehemalige Heimkinder, die mit ihrer Geschichte nur schwer leben können», sagt Heinz Kräuchi. Der 58-Jährige verbrachte sieben Jahre im Knabenerziehungsheim Gruebe in Niederwangen.

Noch in den 1970er-Jahren seien «Grüebeler» an die umliegenden Bauernbetriebe zur Feldarbeit ausgeliehen worden, so Kräuchi. Manche hätten von der Zwangsarbeit bleibende körperliche Schäden erlitten. «Ein Grossteil der Betroffenen möchten ihre Geschichte am liebsten vergessen», sagt er. Gleichzeitig würden sich viele über ein Zeichen des Erinnerns freuen.

Das Erinnern sollte sich aber nicht nur an die Betroffenen richten, findet der ehemalige Heimbub. «Ich würde mir ein Mahnmal an der Pädagogischen Hochschule wünschen, das die künftigen Sozialarbeitenden an die Willkür ihrer Vorgänger erinnert.» Grund für die zaghafte Erinnerungspolitik des Kantons, aber auch der Gemeinden sei wohl die Angst, mit einer Aufarbeitung das Bild der guten alten Zeit zu beschmutzen, vermutet Kräuchi.

Heute ist das ehemalige Knabenheim ein buddhistisches «Retreat-Zentrum» und Seminarhaus. Nichts erinnert dort an die ausgenützten und misshandelten Heimkinder.

Kirchen halten sich zurück

1981 wurde in der Schweiz die Praxis der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen offiziell beendet. Die historische Aufarbeitung fokussierte sich (auch wegen der Forderungen nach Wiedergutmachung) in den letzten Jahren vor allem auf die Opfer. Nun sei es an der Zeit, auch die Rolle der anderen Verantwortlichen zu untersuchen, sagt Rietmann. «Es ist noch kaum untersucht, welche Rolle die Berner Justiz spielte. Warum schützte sie die Grundrechte der Schwächsten nicht besser?»

Auch die Kirchen hielten sich bei der Aufarbeitung noch zu sehr zurück. «Sie waren in viele Missbräuche verstrickt und genossen enorme Autorität», sagt Rietmann. Mehr Engagement bei der Aufarbeitung wünscht sich Rietmann auch vom Bauernverband. Schliesslich hätten seine Mitglieder von der Zwangsarbeit der Verdingkinder massiv profitiert.
(https://www.derbund.ch/kanton-geizt-beim-erinnern-an-zwangsversorgte-und-fremdplatzierte-787483082038)



derbund.ch 12.08.2021

Exklusive Recherche – Auf den Spuren des Kommunistenjägers Cincera

Er spionierte in den Siebzigern Tausenden Menschen nach. Nun zeigt sich das System dahinter: Wem Ernst Cincera zudiente und wer seine Sache finanzierte.

Kevin Brühlmann

    «Das Endziel der Marxisten ist es, die Schweiz unter marxistische Herrschaft zu bringen. Es bleibt dann nur noch die Wahl zwischen verschiedenen Todesarten: ob man lieber durch den Strang, durch Gift oder die Pistole die Freiheit verliert.»
    Ernst Cincera, 1976

Prolog

Diese Geschichte folgt dem Subversiven-Jäger Ernst Cincera aus Zürich, der von der Idee besessen war, die Schweiz werde von Linken, Feministinnen und Atomkraftgegnern unterwandert und zerstört. Im Glauben, die Schweizer Demokratie zu verteidigen, liess er in den Siebzigerjahren Leute bespitzeln. Er erstellte Tausende von Karteikarten, viele davon fehlerhaft, und gab die Informationen an Behörden und Firmen weiter, im Wissen, dass er dadurch Existenzen zerstörte.

Diese Geschichte ist aber auch die – bislang weitgehend unbekannte – Geschichte vom System Cincera: von Behörden, die seine Informationen übernahmen, ohne sie zu überprüfen. Und von Konzernen, die für seine Sache Geld spendeten.

Ernst Cincera ist 2004 im Alter von 76 Jahren gestorben. Wenige Monate vor seinem Tod übergab er dem Archiv für Zeitgeschichte in Zürich einige Mappen mit persönlichen Akten, Zeitungsartikeln, Notizen, Zeichnungen und Briefen. Nun, siebzehn Jahre später, ist Cinceras Nachlass durchs Archiv zugänglich gemacht worden. Doch als ich die Dokumente studiere, kommt es mir vor, als bestehe ihr einziger Zweck darin, uns im Glauben zu lassen, Cincera habe bloss ein paar Zeitungsartikel gesammelt wie andere Briefmarken.

Ich beschliesse, dem Schnüffler selber nachzusteigen, durch die Hinterzimmer der Geschichte, deren Türen von aussen so still wirken, dass man glauben könnte, ein Toter liege dahinter.

Der Wanderprediger

Ernst Cincera sass an einem Tisch in der Aula der Kantonsschule St. Gallen, vor ihm neugierige junge Leute und Lehrer, hinter ihm, mit einem Hellraumprojektor an die Wand gemalt, unübersichtliche Grafiken und Tabellen.

Es war ein Dienstagabend im Mai 1970. Ernst Cincera war zweiundvierzig Jahre alt, 1,63 Meter gross, mit rundem Gesicht und etwas abgejagtem Seitenscheitel. Er war aus Zürich-Höngg angereist, wo er mit Frau und drei Kindern in einer Vierzimmerwohnung lebte.

Wie ein Wanderprediger reiste er zu dieser Zeit durch die Deutschschweiz. Bis zu 200 Referate hielt er pro Jahr, vor Offiziersgesellschaften und Serviceclubs, aber auch an Schulen.

Mit von Hand gezeichneten Folien stellte er seine Mission vor – den Kampf «gegen die Subversion», gegen die Unterwanderung durch Linke. Weil Ost- und Westblock atomar derart aufgerüstet waren, so seine Überzeugung, sei eine direkte Konfrontation zu gefährlich geworden. Deshalb führten moskaugesteuerte Kommunisten – zu denen aus Cinceras Sicht Angehörige irgendwelcher Studentengruppen bis zu Sozialdemokratinnen und NZZ-Redaktoren gehörten – einen verdeckten globalen Krieg. Das Ziel sei die schleichende Besetzung zentraler Institutionen eines Staates, um schliesslich die Macht zu übernehmen.

Cincera gestikulierte wild mit seinen Händen, und manche St. Galler Schülerinnen und Schüler waren wohl derart begeistert, dass sie die Sache selber in die Hand nahmen.

Die Spitzel, die Hütte und die Rapporte

Einige Monate nach Cinceras Vortrag, an einem Samstag im November 1970, stiegen vier junge Männer einen Hügel hoch, der einige Kilometer ausserhalb St. Gallens lag. Es schneite stark, und die Dämmerung setzte ein.

Drei der jungen Männer besuchten die Kantonsschule. Der vierte studierte seit zwei Jahren Jus an der Universität Zürich. Er hiess Valentin Landmann, war zwanzig Jahre alt, stammte aus gutem Haus und sollte später seine eigene Anwaltskanzlei in Zürich eröffnen. Sie nannten sich die «Gruppe 4», ein Zusammenschluss gutbürgerlicher Söhne, die dem Kommunismus entgegentreten wollten. Manche von ihnen hatten Cinceras Vortrag besucht.

Die Gruppe ging auf eine Hütte zu. Hier fand, wie sie erfahren hatte, eine Tagung mit Linken statt. Die jungen Männer wollten sie ausspionieren. Zwei betraten die Hütte, mischten sich unter die Linken, lasen Broschüren, assen mit ihnen zu Abend und merkten sich so viele Namen wie möglich. Die anderen beiden liefen draussen umher, um sich die Autonummern zu notieren. Nach einigen Stunden schlich sich die Gruppe wieder davon.

Zwei der Männer dokumentierten den Abend in einem Rapport, inklusive einige Namen von Linken. Adrian Rüesch fasste die Erlebnisse in der Hütte zusammen; er war der Sohn des späteren St. Galler Regierungsrats Ernst Rüesch, Mitglied der FDP und Brigadier in der Schweizer Armee.

Den anderen Teil protokollierte Hans Fässler, der sich bald von dieser Gruppe löste, der SP beitrat und als Historiker und Kabarettist arbeitete. Er hat die Rapporte aufbewahrt und mir übergeben.

Wozu diese Dokumente mit den Namen dienten, wissen weder Rüesch noch Fässler. Merkwürdig wäre es, wenn die Rapporte in St. Gallen geblieben wären. Gingen Kopien davon an Cincera?

Fast-Dienstverweigerer und Oberstleutnant, Arbeitersohn und FDP-Politiker: Der Weg zu Cinceras Geheimarchiv

Antworten auf diese Frage suche ich, als ich im Juli 2021 das Archiv für Zeitgeschichte betrete, einen Altbau, der sich unterhalb von Universität und ETH in Zürich befindet. Hier wird Cinceras Nachlass aufbewahrt. Im Lesesaal, der an ein altes Spitalzimmer erinnert, das leer geräumt und mit Tischen und Computern vollgestellt wurde, grabe ich mich durch sein Leben.

Cincera, Jahrgang 1928, wuchs in einer Arbeiterfamilie auf. Sein Vater hatte als Schlosser gearbeitet. Cincera selbst fand in seiner Jugend Gefallen am Kommunismus, er bewegte sich im Umkreis der Partei der Arbeit und besuchte die Kunstgewerbeschule; es schien, als wolle er sich als klassenkämpferischer Bohemien beweisen.

Dann stosse ich auf einen Brief von ihm. Adressat war sein Ausbildner in der Rekrutenschule, ein damals junger Major, den alle «Zolli» nannten. Cincera berichtete Zolli, wie er durch die Armee zur Erkenntnis gelangt sei, dass es eine «gemeinsame Aufgabe» gebe. Er schrieb: «Als ich – schon 22 Jahre alt (1950; die Red.) – aus Aufenthalten in vielen Ländern, welche ich zu Fuss und per Autostopp bereiste (zeichnend den Lebensunterhalt bestreitend), zurückkam, um in die RS einzurücken, war die Lust auf den Dienst nicht sehr gross. (…) Im Innersten neigte ich zu Dienstverweigerung.» Aber dann sei er auf ihn, Zolli, gestossen, und da habe es «klick» gemacht. Cincera schloss: «Unter Ihrer anregenden Führung begann ich, mit Begeisterung einfache Leistungen zu erbringen und die gemeinsame Aufgabe zu sehen.»

Cincera stieg bis zum Oberstleutnant auf. Unterhalb des Zürichbergs eröffnete er ein kleines Grafikbüro, wurde für die freisinnig-demokratische Partei in den Zürcher Kantonsrat gewählt, und vor allem begann er ab den Sechzigerjahren mit den Vorträgen gegen die «Subversion».

Ich entdecke noch ein paar Hellraumprojektorfolien mit Grafiken, die er für seine Referate brauchte; auf einer Folie schrieb er in seiner klaren Handschrift, 13,3 Prozent der Armeeabschaffer seien Lehrer.

1970, als die St. Galler Jungspione durch den Schnee stapften, arbeitete Cincera kaum noch in seinem Grafikbüro. Stattdessen sammelte er Namen von Leuten, die er für links hielt. Er las alle möglichen Zeitungen und schnitt Artikel aus, abonnierte unter falschem Namen Hefte von linken Gruppierungen, liess sich von Militärkameraden Listen von Dienstverweigerern geben, und er beauftragte Studenten und minderjährige Gymnasiasten, linke Organisationen zu infiltrieren.

Darüber gibt es allerdings nichts zu finden in seinem Nachlass; auch nichts über die St. Galler Jungspione. Doch weil er die gewissenhafteste Personenkartei wohl über sich selbst geführt hatte, finde ich eine Menge Zeitungsberichte über ihn.

Darin ist zu lesen, dass «Cäsar», wie ihn seine Spitzel nannten, ein Geheimarchiv mit Tausenden von Personendossiers erstellte. Die Namen stellte Cincera beunruhigten Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung. Man konnte ihn anrufen und fragen, ob der Arbeiter oder die Lehrerin soundso linksextrem sei, und wenn Cincera dies bejahte, waren die Verdächtigen ihre Stelle los oder hatten keine Chance, einen Job zu erhalten. Nicht selten waren Cinceras Informationen fehlerhaft. Manchmal gab er auch Auskunft über Personen, die gar nicht existierten.

Wir haben keine Absicht, Sie einzustellen (Berufsverbote feat. Moritz Leuenberger)

Im Herbst 1970 stand Moritz Leuenberger vor einem wuchtigen Gebäude in der Zürcher Innenstadt. Er trug seine Haare fast schulterlang, den Scheitel leicht seitlich, und über seine Oberlippe schwang sich ein breiter Schnauz.

Leuenberger war vierundzwanzig Jahre alt. Er hatte eben sein Jus-Studium an der Universität Zürich beendet, wo er mit anderen Langhaarigen davon träumte, die alte Welt sterben zu lassen und eine neue Gesellschaft aufzubauen; und nun brauchte er dringend ein Einkommen, weil er Vater geworden war. Er hatte sich bei der Zürcher Gesundheitsdirektion beworben und einen Termin für ein Vorstellungsgespräch erhalten.

Leuenberger betrat das Gebäude. Der Gesundheitsdirektor, ein gläubiger Chirurg, Christdemokrat und Oberst in der Armee namens Urs Bürgi, empfing ihn persönlich. Leuenberger fühlte sich geschmeichelt. Dann setzten sie sich in Bürgis Büro.

«Bürgi wollte herausfinden, was für ein subversiver Extremist ich sei», sagt Leuenberger einundfünfzig Jahre später, nachdem er für die Sozialdemokraten bis in den Bundesrat hinauf geklettert ist. «Er stellte mir alle möglichen Fragen, nach der SP, dem Studium und meinen politischen Einstellungen, und ich antwortete brav und naiv.»

Als Bürgi mit seinem Fragenkatalog durch war, sagte er, dass er keinesfalls im Sinn habe, Leuenberger einzustellen. Enttäuscht und etwas verwirrt ging Leuenberger nach Hause.

Der Einbruch

Im November 1976 flog Cinceras privater «Staatsschutz» auf. Eine Gruppe um den Journalisten Jürg Frischknecht stieg eines Nachts ins Geheimarchiv ein. Sie klaute 3500 Karteikarten und berichtete über den «unheimlichen Patrioten». Zahlreiche Medien thematisierten die Angelegenheit. In der NZZ schrieb der spätere Chefredaktor Hugo Bütler von den «seltsamen Methoden des ‹Subversionsbekämpfers› Cincera».

Im Volkshaus in Zürich kam es zu einer spontanen Versammlung. Moritz Leuenberger, der mittlerweile als Rechtsanwalt arbeitete, erhob sich und rief: «Wer seine Finger auf Missstände in der Schweiz legt, um unser Land zu verbessern, ist kein Landesverräter. Ein Landesverräter ist, wer diese Kritiker, die unser Land verbessern wollen, bespitzelt und wer dazu das Archiv von Cincera besucht, auch wenn es nur ein einziges Mal war!»

Leuenberger kapierte ausserdem: Er hatte die Stelle bei der Gesundheitsdirektion vermutlich nicht erhalten, weil sich Regierungsrat Bürgi bei Cincera informiert hatte. Bürgi trat stets als Befürworter Cinceras auf.

Alt-Bundesrat Leuenberger bricht sein Schweigen

Als Moritz Leuenberger meinen Anruf entgegennimmt und den Namen Cincera hört, sagt er zögernd, er habe wohl vieles aus jener Zeit vergessen. Zunächst erzählt er die Geschichte seiner erfolglosen Bewerbung. Dann kommt er auf die PUK zu sprechen, die parlamentarische Untersuchungskommission, die Ende 1989 den sogenannten Fichenskandal aufdeckte. Leuenberger, damals SP-Nationalrat, die Haare etwas kürzer als auch schon, der Schnauz weniger auffällig, war Präsident der PUK.

Er und seine Kolleginnen und Kollegen fanden heraus, dass nicht nur selbst ernannte Hilfssheriffs wie Ernst Cincera massenhaft Leuten nachspionierten, sondern auch der Staat selbst. Die Bundespolizei, unter Mithilfe kantonaler Behörden, hatte ungefähr 900’000 Fichen angelegt, Registerkarten, in denen vor allem Linke erfasst wurden.

«In den Fichen der Bundespolizei verwandelten sich Vermutungen sofort in Tatsachen», sagt Moritz Leuenberger. Und dann bestätigt er, was zwar seit langem vermutet wurde, aber nie belegt werden konnte und bisher von allen Behörden und auch von Cincera selbst bestritten wurde.

«Die Bundespolizei», sagt Leuenberger, «übernahm en masse Verdächtigungen und Hinweise von Cincera. Wirklich massenhaft. Das weiss ich, weil wir in der PUK die ungeschwärzten Dokumente einsehen konnten. Vieles, was darin stand, war falsch und vor allem dumm. Aber immerhin gab es Vermerke, woher die Informationen stammten. Von Professoren, Eltern … und eben von Cincera. Der Ursprung der Hinweise wurde später, bei der Herausgabe der Fichen an Betroffene, zum Schutz der Informanten geschwärzt.»

Leuenberger kommt nun richtig in Fahrt, und er erinnert sich an einen Prozess Ende der Siebzigerjahre, als Cincera einen Zürcher Psychiater wegen Ehrverletzung angezeigt hatte. Der Psychiater hatte Cincera als «Apostel der Volksverdummung» bezeichnet. Leuenberger verteidigte ihn vor Gericht, und Cinceras Klage wurde abgewiesen. «Man durfte ihn ganz offiziell als Apostel der Volksverdummung bezeichnen», sagt Leuenberger.

Wer war dieser Cincera?, frage ich.

«Cincera war ein Überzeugungstäter, das muss ich zu seiner Entschuldigung sagen», meint Leuenberger. «Er wollte die Schweiz beschützen. Andere handelten rein opportunistisch. Multimillionäre bangten um ihr Geld, und Eltern wollten ihre Enterbungsfantasien wahr machen. In den Akten las ich von einer Frau, einer heute sehr angesehenen Frau. Ihre Eltern zeigten sie damals bei der Bundespolizei an. Sie dachten, sie sei nun eine Terroristin, weil sie der SP beigetreten war.»

Er habe ja Glück gehabt, erzählt Leuenberger weiter. «Aber viele, viele andere verloren die Stelle, erhielten gar keine oder konnten ihr Studium nicht abschliessen.» Dann erwähnt er einen Fall aus dem PUK-Bericht.

Ein junger Jurist hatte sich bei der Bundesverwaltung beworben. Die Verwaltung holte bei der Bundespolizei Informationen über den Mann ein. Dort nannte man seine Adresse, mit dem Zusatz: «Bewohner dieser WG sind bei unserem Dienst als Sympathisanten der linken Szene und als aktive Demonstranten in Erscheinung getreten. Über X. liegen jedoch keine Erkenntnisse vor.» Diese Information reichte aus, damit der junge Jurist die Stelle nicht erhielt. In der Folge bezog er Arbeitslosengeld und arbeitete als Taxifahrer. Abgesehen davon, dass Demonstrieren nichts Illegales ist, war die Information auch falsch: Der junge Jurist lebte zwar im selben Haus wie die Wohngemeinschaft, allerdings hatte diese sich in einer anderen Wohnung befunden und war zum Zeitpunkt der Bewerbung längst aufgelöst.

Die Historikerin und die «antikommunistische Paranoia»

«Ich glaube, Cincera war kein Spinner», sagt Aviva Guttmann. Die Basler Historikerin ist Spezialistin auf dem Gebiet Staatsschutz während des Kalten Kriegs. Vor einigen Jahren hat sie einen Aufsatz über Cincera geschrieben und untersucht, wie seine Ideologie mit dem damaligen gesellschaftlichen Geist zusammenspielte. «Seine antikommunistischen Ängste und sein Eifer, die Subversion der Schweiz zu verhindern, entsprachen weitestgehend der Mentalität der damaligen Eliten.»

In historischen Aufsätzen wird Antikommunismus als die damalige Schweizer «Staatsreligion» bezeichnet.

«Diese antikommunistische Paranoia ist für uns heute etwas schwer nachzuvollziehen», sagt Guttmann weiter, «aber Cinceras Diskurs schien auf sehr viel Zustimmung zu stossen. Er war ein talentierter Redner und konnte alltägliche Ereignisse als Teil eines kommunistischen Komplotts darstellen. So konnte er auch weniger gebildete Schichten für sich gewinnen und Meinungen formen.»

Cinceras Unterstützer

In der NZZ hiess es 2014, in einem Artikel zu Cinceras zehntem Todestag, das bürgerliche Establishment, das so gern auf seine Dienste zurückgegriffen habe, habe ihn nach dem Auffliegen des Geheimarchivs 1976 «gnadenlos» fallen gelassen.

Gegen diese These spricht: 1983 schaffte Cincera die Wahl in den Nationalrat. Später wurde er Präsident des Stadtzürcher und 1993 des kantonalen Gewerbeverbands. In seinem Nachlass finden sich Briefe von Bundesräten, die ihm schmeicheln, vom beherzten Adolf Ogi und vom zurückhaltenden Leon Schlumpf, weil Cincera eine Wahl geschafft oder ein Buch veröffentlicht hat.

Ich rufe Valentin Landmann an, der 1970 an der Spitzelaktion in St. Gallen beteiligt war. Heute ist er 71, arbeitet noch immer in seiner Anwaltskanzlei, tritt gern neben leicht bekleideten Frauen in Illustrierten auf und sitzt für die SVP im Zürcher Kantonsrat.

Die Jungspione der Gruppe 4 hätten sich in einem Raum in Landmanns Elternhaus getroffen, erzählt Landmann. «Wir haben Würstli gegessen und etwas getrunken.»

Es ist bekannt, dass Cincera junge Männer in Bern und Zürich als Spione engagierte. Hatte er auch etwas mit der Gruppe 4 zu tun?

«Herrn Cincera habe ich gut gekannt, er war ein sehr herzlicher Mensch», erwidert Landmann. «Er mochte italienisches Essen. Wir sassen ab und zu gemeinsam in einem kleinen Ristorante in Zürich. Aber ein Mitarbeiter von ihm war ich nicht, und er erwartete auch nie, dass ich für ihn herumschnüffeln sollte.»

Dann sagt Landmann über Herrn Cincera, was auch Herr Cincera ständig über sich sagte: «Er sammelte Informationen. Dass man aufklärt, wer was denkt, ist nur richtig. Schliesslich gab es damals viele, die totalitäre Ideologien vertraten. Ich erlebte ihn nicht als Schnüffler … Gut, man kennt nie alle Seiten eines Menschen, aber so habe ich ihn nicht gekannt.»

Das System Cincera

Um Herrn Landmanns Gedächtnis etwas aufzufrischen: In Cinceras Geheimarchiv befanden sich vertrauliche Dokumente aus Ämtern, Kliniken, Unternehmen, Schulen und der Armee. Aber nur ein paar wenige Männer wurden wegen Amtsgeheimnisverletzung verurteilt.

Woher also kam das ganze Material? Wer hatte ein Interesse daran, Cinceras Jagd zu unterstützen?

In Cinceras Nachlass sind keine Antworten zu finden. Also beschliesse ich, weitere Bestände aus Cinceras Milieu anzusehen.

Mehr Ordner und Mappen kommen aus der Tiefe der Geschichte in den Saal des Archivs, und immer neue Namen, Vereine und Institute tauchen auf, die sich zum Kreuzzug gegen die Subversion aufgemacht hatten.

Ich erinnere mich an ein Telefongespräch mit Bettina Blatter, das ich im Rahmen der Recherche geführt habe. Die junge Historikerin steckt mitten im Kalten Krieg, in Forschungen zu ihrer Doktorarbeit an der Universität Basel. Blatter interessiert sich für antikommunistische Organisationen und Netzwerke in der Schweiz, die mehr oder weniger unauffällig versuchten, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, mit Lobbying, Expertisen und Denunziation. Blatter las sich durch unzählige Sitzungsprotokolle und Korrespondenzen solcher Gemeinschaften. Zu Beginn war sie von den vielen Vereinen, Gesellschaften und Instituten ein wenig überfordert. Aber mit der Zeit erkannte sie ein Muster.

Die Organisationen trugen zwar die unterschiedlichsten, irreführendsten Namen, die scheinbar nichts miteinander zu tun hatten, aber dahinter steckten stets dieselben Personen. Blatter geht davon aus, dass es sich um einen relativ kleinen Kreis von Männern gehandelt hat, vielleicht 200 an der Zahl, die sich ständig trafen. Fast immer waren sie FDP-Mitglied, mit gutem Rang in Militär und Wirtschaft. Sie hätten Angst gehabt, erzählte Blatter, linke Ideen wie mehr Mitsprache oder bessere Löhne würden sich in ihren Unternehmen ausbreiten.

Wie ich im Archiv durch dieses Milieu und die Hinterzimmer der Geschichte reise, lande ich bei einer Organisation namens Institut für politologische Zeitfragen. Es bestand von 1970 bis 1992 und nahm eine zentrale Rolle ein bei der Mobilmachung gegen alles, was im Entferntesten an Kommunismus erinnern könnte. Regelmässig gab es Artikel heraus, als «grundlegendes Manual für den wissbegierigen Subversivenjäger», um der Sache einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben. Die Texte trugen Titel wie «Der anwaltschaftliche Journalismus als Desinformation», «Agitation gegen die Schweizer Armee» oder «Gewerkschaften als ‹politische Gegenmacht›».

Cincera war Beisitzer im Institut für politologische Zeitfragen. Was seine Aufgabe war, geht aus den Dokumenten nicht hervor.

Ich entdecke ziemlich viele Dossiers über linke Organisationen. Zum Beispiel eine Liste von 1984, in der alle Mitgliederbeiträge der Stadtzürcher SP dokumentiert sind, vom Richter bis zur einfachen Genossin. Karteien über Personen fehlen. Sollte es welche gegeben haben, waren sie vermutlich geschreddert worden, bevor man sie ans Archiv übergab.

Es bleiben noch vier Ordner mit ausgefransten Deckeln übrig. Ich öffne den ersten. Es ist, als werde es in einem dieser unzähligen Hinterzimmer plötzlich taghell.

Auf ein Dokument hat jemand vor vielen Jahren mit roter Tinte einen Stempel gedrückt. «Vertraulich» steht oben links. Darunter viele Zahlen. Es sind Jahresrechnungen. «1970. Spenden: 126’585 Franken.» Ich blättere weiter durch den Ordner. «1977. Spenden: 141’350 Franken.» Irgendwann gelange ich beim letzten Eintrag an. «1989. Spenden: 267’995 Franken.»

Schliesslich finde ich eine Liste mit Firmen, die dem Institut für politologische Zeitfragen Geld zahlten. Die Unternehmen spendeten jedes Jahr einen gewissen Betrag, und jedes Jahr, von 1970 bis 1990, ist genau dokumentiert.

Als ich diese Listen durchgehe, komme ich mir wie ein Broker vor, der die Aktienkurse der grössten Schweizer Konzerne kontrolliert. Im Jahr 1981 sind 59 Unternehmen aufgeführt, darunter folgende:

    Brown, Boveri & Cie., heute ABB: 5000 Franken

    Georg Fischer: 500 Franken

    Helvetia-Feuer: 2500 Franken

    Hoffmann-La Roche: 10000 Franken

    Hürlimann Brauerei: 5000 Franken

    Kuoni: 2000 Franken


    Lindt & Sprüngli: 5000 Franken

    Migros: 5000 Franken

    Nestlé: 4000 Franken

    Portland-Cementwerk Thayngen: 250 Franken

    St. Gallische Kantonalbank: 200 Franken

    Sandoz: 5000 Franken

    SIG: 1000 Franken

    Schweizerischer Bankverein, heute UBS: 20’000 Franken

    Schweizerischer Baumeisterverband: 6000 Franken

    Schweizerische Kreditanstalt, heute Credit Suisse: 20’000 Franken

    Steiner Karl Generalunternehmen: 10’000 Franken

    Vontobel & Co.: 1000 Franken

    Wirtschaftsförderung, Vorläuferin der Economiesuisse: 32’000 Franken

    Zürich Versicherungs-Gesellschaft: 13’500 Franken

Ob Ernst Cincera auch direkt Geld von diesen Firmen erhalten hat, belegt diese Liste nicht. Aber seine Unterstützer kamen auf jeden Fall aus diesem Milieu. Bekannt ist, dass die Migros und Nestlé seine Dienste in Anspruch nahmen. Die Spendenliste steht für ein System, das Cincera verkörperte: Von den Hinterzimmern der Geschichte aus wollte man die Öffentlichkeit davon überzeugen, die Schweiz werde zerstört.

Die Historikerin Aviva Guttmann sagt es so: «Die breite Unterstützung in der Wirtschaft deutet auf jeden Fall darauf, dass Cincera auf viel Zustimmung stiess. Cinceras Dienste wurden rege verwendet – aber eben manchmal aus rein opportunistischen und nicht ideologischen Gründen.»

Dieser Opportunismus bedeutet wohl: In einer Demokratie, die sich rühmt, auf dem Wettbewerb um die besten Ideen zu fussen, musste man Anliegen junger Menschen, zum Beispiel gute Löhne oder mehr Mitbestimmung im Betrieb, nicht diskutieren, denn man konnte sie als Staatsfeinde an den Rand der Gesellschaft schieben. Und darüber hinaus.
(https://www.derbund.ch/auf-den-spuren-des-kommunistenjaegers-cincera-135124947053)