Medienspiegel 2. August 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++MITTELMEER
Seenotrettung: Rettungsschiff “Ocean Viking” sucht Hafen für 555 Geflüchtete
Malta hat eine Aufnahme nach Angaben der Organisation SOS Méditerranée bereits abgelehnt. Viele Menschen an Bord kämpften wegen der Hitze mit gesundheitlichen Problemen.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-08/seenotrettung-ocean-viking-hafen-555-gefluechtete


Über 700 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet
Hilfsorganisationen waren am Wochenende mit mehreren Rettungsschiffen im Einsatz
Die Crews mehrerer Seenotretter-Organisationen haben am Wochenende Hunderte Bootsmigranten im zentralen Mittelmeer gerettet. Allein das Rettungsschiff »Ocean Viking« sei zu sechs Einsätzen gerufen worden.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155179.seenotrettung-ueber-menschen-aus-dem-mittelmeer-gerettet.html


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
derbund.ch 02.08.2021

Blockaden wie in Zürich? – Stadt Bern bewilligt neue Demo der Bundesplatz-Besetzer

Am Freitag protestiert das Kollektiv Rise up for Change in Bern – mit Genehmigung der Gewerbepolizei. Auf den Bundesplatz lässt man die Aktivisten aber nicht.

Martin Erdmann

Das rührige Klimakollektiv Rise up for Change kehrt für eine Grossdemonstration nach Bern zurück. Also jene Gruppe, die vor rund einem Jahr das berüchtigtste Sommerlager organisiert hatte, das die Schweiz je gesehen hat: Der Bundesplatz wurde über mehrere Tage besetzt, der nationale Politikbetrieb drohte aus den Fugen zu geraten. Die einen forderten Solidarität mit den Jugendlichen, andere verlangten drakonische Strafen. Die Schuldzuweisungen wurden im Kreis herumgereicht.

Nun will das Kollektiv am Freitag auf dem Münsterplatz gegen den Finanzplatz Schweiz demonstrieren, der seiner Meinung nach auf das Klima eine «katastrophale Auswirkung» hat. Dies geschieht mit Erlaubnis der Stadt Bern. Sie erteilte für die Platzkundgebung eine Bewilligung, wie Dominique Steiner vor der Orts- und Gewerbepolizei bestätigt.

Von der Stadt wird die Bundesplatz-Besetzung somit nicht als Vertrauensbruch gewertet, der nun Konsequenzen hat. Steiner begründet dies so: «Das ist ein grosses Kollektiv. Darunter sind vielleicht Leute, die letztes Jahr gar nicht mitgemacht haben.» Man könne nicht Personen für eine Aktion bestrafen, an der sie sich womöglich gar nicht beteiligt hätten. «Das Recht auf Meinungsäusserung ist uns dabei wichtig.»

Bundesplatz schon vergeben

Das Verhältnis zwischen Rise up for Change und der Stadt Bern scheint also nicht besonders vorbelastet zu sein. Dennoch sei das Bewilligungsverfahren kompliziert gewesen, sagt Frida Kohlmann, Mediensprecherin der Antragsteller. «Aber nicht, weil das Verhältnis angespannt war, sondern aus logistischen Gründen.» Man habe eigentlich nicht auf dem Münsterplatz demonstrieren wollen. «Dieser Ort ist für uns nur zweite Wahl. Wir hätten die Demonstration lieber auf dem Bundesplatz durchgeführt.» Aber dieser ist nächsten Freitag bereits mit einer Veranstaltung zu 50 Jahren Frauenstimmrecht belegt.

Ist das für die Stadt ein bequemer Zufall? Hätte man sonst Rise up for Change den Bundesplatz ein weiteres Mal überlassen? Bei der Orts- und Gewerbepolizei will man darüber nicht mutmassen. «Wir lösen nur die Probleme, die wir effektiv haben», sagt Steiner. Sie will der Demonstration auch nicht zu viel Gewicht verleihen. Solche Gesuche gehörten zum Alltag. «Wir haben schon Veranstaltungen bewilligt, die uns mehr Sorgen machten.» Dennoch will Steiner nicht ausschliessen, dass es zu ähnlichen Situationen wie in Zürich kommen könnte. Dort wurden am Montag Eingänge von Bankfilialen blockiert. «Wir erwarten alles und nichts. Aber wir können keine Gedanken lesen.»

Wie der städtische Sicherheitsdirektor auf den kommenden Freitag blickt, ist unbekannt. Reto Nause wollte am Montag keine Fragen dazu beantworten. Auch bei der Kantonspolizei verspürt man keinen grossen Redebedarf. «Zu unserem möglichen Vorgehen machen wir aus taktischen Gründen insbesondere im Vorfeld der Demonstration grundsätzlich keine Angaben», heisst es bei der Medienstelle.

Nichts geplant, aber …

Bei Rise up for Change gibt man sich im Vorfeld der Demonstration handzahm. Ziviler Ungehorsam sei in Bern nicht geplant. «Wir wollen wirklich nur eine niederschwellige Demonstration veranstalten, bei der niemand unangenehme Konsequenzen befürchten muss», sagt Kohlmann. Ganz ausschliessen will sie aber nicht, dass auch auf dem Bundesplatz etwas passieren könnte. Vom Organisationsteam sei nichts geplant: «Aber die Menschen in diesem Land sind schliesslich freie Bürgerinnen und Bürger, wir werden niemanden daran hindern.»

Mit einer Demonstration ohne geplante Nebengeräusche hofft Rise up for Change auf eine möglichst grosse Mobilisierung. «Die Gesellschaft soll erkennen, dass Klimaschutz nicht einfach den Aktivistinnen überlassen werden soll», sagt Kohlmann. Man dürfe sich jederzeit anschliessen. «Auch ohne sich irgendwo anzuketten oder sich vor eine Bank zu setzen.»
(https://www.derbund.ch/stadt-bern-bewilligt-neue-demo-der-bundesplatz-besetzer-982809216344)



tagesanzeiger.ch 02.08.2021

Klimaprotest in ZürichStadt duldet Klimacamp weiter – trotz illegaler Aktion

Nachdem Aktivisten den Zugang zu UBS- und CS-Filialen gesperrt haben, fordert die SVP, das Klimacamp auf dem Hardturm zu räumen. Der Stadtrat denkt nicht dran – Rot-Grün applaudiert.

Corsin Zander

Am Montag ist der Stadtrat auf dem falschen Fuss erwischt worden. 200 Aktivistinnen und Aktivisten sperrten die Zugänge zu Bankfilialen der UBS und der CS. Damit wollten sie auf die Verantwortung des Zürcher Finanzplatzes aufmerksam machen. Die Polizei musste die Zugänge in einem mehrere Stunden andauernden Einsatz räumen. 47 Frauen und 36 Männer wurden verhaftet und angezeigt. Ihnen wird unter anderem Nötigung vorgeworfen.

Geplant hatten sie die Aktion im Klimacamp auf der Hardturmbrache, das vom Stadtrat bewilligt worden war. Das Finanzdepartement von Daniel Leupi (Grüne) hatte das Camp erlaubt und die Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) eine temporäre Festbewilligung erteilt. Sie beide waren am Montag in den Ferien und nicht erreichbar. Die Stellvertretung hat Michael Baumer (FDP) für Rykart und Raphael Golta (SP) für Leupi übernommen. Beide liessen über den Sprecher des Sicherheitsdepartements ausrichten, Stadtrat Baumer stehe hinter dem Polizeieinsatz und: «Die Aktivistinnen und Aktivisten können auf der Hardturmbrache, wo es zu weniger Lärmproblemen und Störungen des Passantenverkehrs kommt, bleiben.»

SVP ärgert sich über «Chaotencamp»

Insbesondere der letzte Punkt erzürnt den SVP-Präsidenten der Stadt Zürich, Nationalrat Mauro Tuena: «Die Bewilligung muss sofort rückgängig gemacht werden. Sonst macht sich der Stadtrat mitverantwortlich für solch künftige illegale Proteste.» Es sei für alle klar gewesen, dass auf diesem «Chaotencamp», wie Tuena das Klimacamp auf dem Hardturmareal nennt, in Workshops derartige «Guerillaaktionen» geplant würden. Dies sei mit dem Segen des Stadtrats geschehen.

Für die Bewilligung der Klimaaktivisten hat auch FDP-Fraktionspräsident Michael Schmid bloss ein Kopfschütteln übrig: «Das Verhalten dieser Leute ist undemokratisch und verantwortungslos», sagt er.

Grüne kritisieren Polizei

Ganz anderes klingt es bei den Grünen. Deren Stadtratskandidat Dominik Waser ist selbst schweizweit als Teil der Klimajugend bekannt geworden, als er bei der Besetzung des Bundesplatzes in Bern 2020 als deren Sprecher aufgetreten war und mit den Behörden verhandelt hatte. Im Interview mit dieser Zeitung auf dem Paradeplatz sagt Waser am Montag: «Ich bin nicht aktiver Teil dieser Besetzung, aber ich bin hier, weil ich die Aktion unterstütze und gut finde.» Auch der grüne Parteipräsident Felix Moser zeigt Verständnis für die Aktivistinnen und Aktivisten: «Manchmal geht es nicht ohne zivilen Ungehorsam.» Die Anliegen der jungen Menschen seien sehr berechtigt, denn der Finanzplatz gehöre zu den grossen Treibern des Klimawandels.

Ähnlich sieht das SP-Co-Präsidentin Liv Mahrer. Sie verweist insbesondere auch darauf, dass die Proteste friedlich verlaufen seien. Dies bestätigt auch die Stadtpolizei.

Walter Angst, der für die AL als Stadtrat kandidiert, mahnt dazu, die Vorgänge gelassen zu beurteilen. Der Schaden, dass einzelne Bankfilialen während ein paar Stunden nicht betreten werden könnten, sei überschaubar. Es sei angezeigt, dass die Behörden ihre repressiven Mittel nicht vollständig ausschöpfen sollten – insbesondere dann, wenn der zivile Ungehorsam friedlich ausgeübt werde.

Etwas schwerer in der Beurteilung der Protestaktion tun sich die Grünliberalen. Deren Co-Präsident Nicolas Cavalli sagt: «Wir machen uns auch gegen den Klimanotstand stark, und ein bewilligtes und friedliches Camp auf dem Hardturmareal unterstützen wir.» Der zivile Ungehorsam der Klimaaktivisten sei aber nicht der Weg, den die GLP einschlagen würde.

Weitere Aktionen geplant

Für die kommenden Tage sind weitere Aktionen zu erwarten, die im Klimacamp geplant werden. Der Stadtrat sieht aber momentan keinen Grund, den Aktivistinnen und Aktivisten weitere Auflagen zu machen. Weiter gilt allerdings: «Sie haben eine normale Festbewilligung und müssen sich an die üblichen Auflagen und Bedingungen halten, etwa bezüglich Covid-Schutzmassnahmen», schreibt der Sprecher des Sicherheitsdepartements.
(https://www.tagesanzeiger.ch/stadt-duldet-klimacamp-weiter-trotz-illeagler-aktion-699060144604)



KLIMASTREIK BESETZUNG PARADEPLATZ:
-> https://twitter.com/klimastreik
-> Livestream Klimastreik: https://www.facebook.com/watch/live/?v=554105242292154&ref=notif&notif_id=1627877252365903&notif_t=live_video
-> https://www.tagesanzeiger.ch/klimabewegung-besetzt-den-paradeplatz-271061576317
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/protest-der-klimabewegung-polizei-raeumt-blockaden-der-klimaaktivisten-am-paradeplatz
-> https://www.20min.ch/story/klimaaktivistinnen-und-aktivisten-blockieren-die-ubs-928450544530
-> https://www.watson.ch/!406326100
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/klimaaktivisten-besetzen-paradeplatz-in-zurich-65974929
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/eingaenge-von-credit-suisse-und-ubs-blockiert-200-klima-aktivisten-besetzen-paradeplatz-in-zuerich-id16720165.html
-> https://www.nzz.ch/zuerich/klimaaktivisten-blockieren-eingaenge-der-banken-am-paradeplatz-polizei-im-einsatz-ld.1638449?mktcid=smch&mktcval=twpost_2021-08-02
-> https://www.cash.ch/news/politik/banken-polizei-raeumt-blockade-von-klimaaktivisten-am-zuercher-paradeplatz-1803416
-> https://twitter.com/climategames_ch
-> https://www.tagblatt.ch/schweiz/rise-up-for-change-cs-und-ubs-im-visier-wie-schlimm-sind-ihre-klimasuenden-wirklich-acht-antworten-zum-schweizer-finanzplatz-ld.2169653#subtitle-1-was-fordert-das-klimab-ndnis-genau-vom-finanzplatz-second
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/barrikade-am-paradeplatz-polizei-verhaftet-83-demonstranten-143238696
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/politische-meinungen-zum-klimacamp-gehen-weit-auseinander-143238716
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/erinnert-an-berner-protest-camp-rund-200-klimaaktivisten-blockieren-zuercher-paradenplatz-143238900
-> https://www.telem1.ch/aktuell/banken-eingang-versperrt-polizei-verhaftet-in-zuerich-83-klima-aktivisten-143238590
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/rund-200-aktivisten-besetzen-in-zuerich-ubs-und-cs-sitze-1-00163031/
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/klima-aktivisten-blockieren-eingaenge-von-zuercher-banken-143238767
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/klima-protest-am-zuercher-paradeplatz?id=12030366
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zuercher-polizei-raeumt-klima-protest-am-paradeplatz?id=12030516
-> https://tsri.ch/zh/paradeplatz-besetzt-ubs-credit-suisse-klimastreik-rise-change/
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/schweiz/rise-up-for-change-cs-und-ubs-im-visier-wie-schlimm-sind-ihre-klimasuenden-wirklich-acht-antworten-zum-schweizer-finanzplatz-ld.2169653
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/finanzplatz-protest-gegen-fossile-investitionen-klimastreik-besetzt-banken-am-zuercher-paradeplatz-ld.2169621
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/protest-der-klimabewegung-mehr-als-80-klimaaktivisten-vorlaeufig-festgenommen



tagesanzeiger.ch 02.08.2021

Protest gegen die GrossbankenKlimaaktivisten besetzen Paradeplatz

Rund 200 Personen haben am Montag die Eingänge von UBS und CS versperrt. Ein Teil von ihnen wurde vorübergehend verhaftet und dann aus der Stadt verwiesen.

David Sarasin

Die Aktionswoche starteten die Klimastreikenden mit einem Knall. Kurz vor 6 Uhr am Montagmorgen installierten sich rund 80 Personen vor den Eingängen der Grossbanken am Paradeplatz und an der Bahnhofstrasse. Teilweise angekettet an Leihvelos und mit ihren Armen an Fässern festgemacht, besetzten sie in einem Sitzstreik vier Eingänge von Credit Suisse und UBS.

Die Mitarbeitenden der Grossbanken mussten die Hintereingänge benutzen. Der Tramverkehr wurde aufgrund des Polizeieinsatzes und der Sympathisanten und Schaulustigen rund um die besetzten Eingänge teilweise eingestellt. Rund 200 Klimaaktivsten hatten sich in der Innenstadt eingenistet.

Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort. Nach und nach trugen sie während mehrerer Stunden die streikenden Personen weg und luden sie in Kastenwagen. 83 Aktivisten sind verhaftet und der «Krawallgruppe» der Staatsanwaltschaft zugeführt worden, wie die Stadtpolizei in einer Meldung schreibt. 64 Personen werden bei der Staatsanwaltschaft, 19 Personen bei der Jugendanwaltschaft angezeigt, schreibt die Stapo. Alle Festgenommenen wurden mit einer Wegweisung belegt. (Zu unserem Kommentar)

Das bedeutet, dass sie in den kommenden 24 Stunden die Stadt Zürich nicht betreten dürfen. Falls sie in der Stadt wohnhaft sind, gilt das Rayonverbot für die Kreise 1 und 4. Das teilte ein Sprecher der Stadtpolizei mit. Laut Aussagen der Klimaaktivistinnen wurden 25 Personen im Verlauf des Montags wieder auf freien Fuss gesetzt.

Die Aktion war der Startschuss der Aktionswoche «Rise Up for Change» eines Zusammenschlusses unterschiedlicher Schweizer Klimabewegungen. Darunter die Gruppen Klimastreik, Extinction Rebellion, Collective Climate Justice und Break Free.

Auf dem Klimacamp, das sich vom 30. Juli bis zum 5. August auf der Hardturmbrache befindet, haben sich die Aktivistinnen und Aktivisten mit «Aktionstrainings» auf den Sitzstreik vorbereitet. (Lesen Sie hier mehr dazu)

Angeprangert wurden mit der Aktion die Investitionen von Grossbanken in fossile Energien. Die Sprecherin von Rise Up for Change, Stephanie Wyss, sagt: «Während die Klimakrise Realität ist, investieren UBS, CS und SNB mehrere Milliarden in Erdölkonzerne.»

Die illegale Aktion rechtfertigt Wyss so: «Ziviler Ungehorsam ist für uns ein Mittel, um auf Missstände hinzuweisen.» Man habe das Gespräch mit den Banken gesucht, doch seien die Bemühungen erfolglos geblieben. Eine Eskalation haben die Aktivisten von Beginn weg abgelehnt. «Der Sitzstreik war bunt und ging friedlich vonstatten.»

Das sahen nicht alle so. Ein Banker auf dem Weg zur Arbeit schimpfte über die besetzten Eingänge. «Die Eingänge blockieren ist keine positive Herangehensweise», sagte er. Die Angestellten fühlten sich dadurch angegriffen. Mit seinem Namen hinstehen wollte er nicht, als Mitarbeiter einer Bank sei ihm eine Stellungnahme untersagt worden.

Die Aktionen zogen auch Sympathisantinnen an. Die 72-jährige Hilda Keller hatte am Morgen im Radio von den Klimaaktivisten in der Zürcher Innenstadt gehört und stieg umgehend ins Tram, um sie zu unterstützen. «Wir haben in den Siebzigern fürs Klima gekämpft. Es ist gut, gibt es jetzt wieder eine Bewegung», sagte sie.

Keller stand unter den vielen Schaulustigen, die den sogenannten Höhenrettern von Schutz & Rettung dabei zuschauten, wie sie die Aktivisten in einer Abseilaktion aus den Hängematten holten, die sie in Holz- und Bambuskonstruktionen festgemacht hatten. Am Paradeplatz hatte die Polizei gleichzeitig einen Sichtschutz installiert, um die an Fässern festgemachten Aktivisten vor dem Haupteingang der CS abzutransportieren. Um 13.30 Uhr seien alle Eingänge der Banken wieder freigeräumt gewesen, teilte die Polizei mit.

Ein Teil der Aktivisten versammelte sich am Abend vor der Urania-Wache, um die Freigelassenen in Empfang zu nehmen. «Die Polizeiaktion war unverhältnismässig», sagt Wyss gegenüber dieser Zeitung. Eine Verhaftung wäre aus juristischer Sicht nicht nötig gewesen. Gegen 18.30 Uhr versammelten sich auf dem Helvetiaplatz rund 100 Demonstrierende. Sie wollten damit Solidarität mit den verhafteten Aktivisten zeigen.
(https://www.tagesanzeiger.ch/klimaaktivisten-besetzen-paradeplatz-174252995155)



tagesanzeiger.ch 02.08.2021

Dominik Waser zur Paradeplatz-Besetzung«Dieser Polizeieinsatz ist unverhältnismässig»

Der Stadtratskandidat der Grünen und Klimaaktivist Dominik Waser verteidigt die unbewilligte Aktion auf dem Paradeplatz und sieht keinen Widerspruch zu seiner Kandidatur.

Corsin Zander

Herr Waser, Sie weibeln hier rund um die Absperrung der Polizei herum und sprechen mit Aktivistinnen und Aktivisten. Haben Sie die Besetzung des Paradeplatzes (zum Ticker) mitorganisiert?

Ich bin nicht aktiver Teil dieser Besetzung, aber ich bin hier, weil ich die Aktion unterstütze und gut finde.

Soeben wurden die Aktivistinnen und Aktivisten von der Polizei darauf aufmerksam gemacht, dass sie Straftaten begehen und verhaftet werden, wenn sie den Platz nicht freiwillig räumen.

Sie verhalten sich friedlich und bleiben absolut gewaltfrei. Die UBS und die CS verursachen durch ihre Investitionen täglich Schaden und werden dafür nie belangt.

Der Einsatz wird von der Stadtpolizei durchgeführt, die von Karin Rykart geführt wird, die mit Ihnen im Wahlkampf um den Stadtrat steht.

Weil Frau Rykart momentan abwesend ist, trägt heute ihr Stellvertreter Michael Baumer von der FDP die Verantwortung. Die Polizei tritt in Kampfmontur auf und trägt die Aktivistinnen und Aktivisten weg. Das finde ich unverhältnismässig. Die Protestierenden haben berechtigte Anliegen, und niemand kommt zu Schaden. Der Klimawandel ist eine reale, akute und existenzielle Bedrohung, und die Banken, die hier besetzt werden, spielen darin eine tragende Rolle. Sie investieren Geld in Firmen und Projekte, die die Klimakrise befeuern und zu Menschenrechtsverletzungen beitragen.

Sie haben vergangenes Jahr die Besetzung des Bundesplatzes in Bern mitorganisiert. Nun hat sich Ihre Rolle geändert. Sie kandidieren für den Stadtrat, der diesen Polizeieinsatz verantwortet. Wie gehen Sie mit diesem Spannungsfeld um?

Es wird immer den Druck der Strasse brauchen, sonst bewegt sich nichts. Deshalb sind solche Aktionen gut und wichtig. Gleichzeitig hat man auch in der institutionellen Politik viel Macht, und ich möchte da versuchen, eine der Klimakrise entsprechende Politik zu machen.

Dafür werden Sie aus der Klimastreik-Bewegung auch kritisiert.

Natürlich gibt es kritische Stimmen, damit kann ich gut leben, und das ist auch berechtigt.

Wir können uns vorstellen, dass die grüne Partei nicht erfreut sein dürfte, wenn Sie sich hier als Stadtratskandidat präsentieren.

Es gibt viele in der Partei und in unserer Wählerschaft, die solche Aktionen und Protestformen unterstützen. Ausserdem wusste die Partei, wofür ich stehe, als ich aufgestellt wurde. Sie hat eine bewusste Entscheidung getroffen und steht dazu, konsequente Klimapolitik zu machen.



Besetzung der Eingänge der Grossbanken UBS und CS: Aktion der Klimabewegung heute morgen am Zürcher Paradeplatz.
Video: Tamedia
https://unityvideo.appuser.ch/video/uv439473h.mp4



Zur Person

Dominik Waser ist 23 Jahre alt und Mitglied der Jungen Grünen. Schweizweit bekannt geworden ist der Zürcher Oberländer vergangenes Jahr als einer der Sprecher der Klimabewegung, die den Bundesplatz besetzt hat. Er hat damals die Klimajugend auch in den Verhandlungen mit den Behörden vertreten. Die Stadtzürcher Grünen haben Waser neben Polizeivorsteherin Karin Rykart und Finanzvorsteher Daniel Leupi Anfang Juli als dritten Kandidaten für die Stadtratswahlen im nächsten Februar aufgestellt. (zac)
(https://www.tagesanzeiger.ch/dieser-polizeieinsatz-ist-unverhaeltnismaessig-729579401611)



nzz.ch 02.08.2021

Polizei räumt Kundgebung von Klimaaktivisten vor den Banken am Paradeplatz – mehr als 80 Personen verhaftet

Klimaaktivisten haben mit Blockaden vor der UBS und der CS am Paradeplatz in Zürich die Grossbanken für ihre Rolle bei der Klimaerwärmung kritisiert. Bürgerliche Politiker kritisieren das Vorgehen scharf.

Nils Pfändler, Selina Schmid

Die Organisation «Rise up for Change» hat am frühen Montagmorgen eine Protestaktion am Zürcher Paradeplatz gestartet. Rund 200 Klimaaktivistinnen und -aktivisten blockierten die Eingänge des Credit-Suisse-Hauptsitzes sowie der UBS-Geschäftsstelle, legten Transparente aus und schrieben mit Kreide Parolen auf den Boden. Bei einem Eingang hatten sie Velos zusammengebunden und sich selbst an die Zweiräder gekettet.

Die Aktivistinnen und Aktivisten protestierten gegen «die massiven Investitionen der Schweizer Finanzinstitute in Erdöl, Gas und Kohle». Den Schweizer Finanzinstituten komme eine enorme Verantwortung für die Folgen der Klimakrise zu, schreiben sie in einer Medienmitteilung. Nur wenn diese Finanzinstitute sofort aufhörten, in Erdöl, Kohle und Gas zu investieren, seien die Klimaziele erreichbar. Die Aktivisten fordern deshalb den sofortigen Ausstieg aus allen Investitionen in fossile Energien.

Seit 6 Uhr seien sie hier, sagt eine junge Frau am Morgen auf dem Paradeplatz. Die meisten seien vom Klimacamp auf der Hardturmbrache zu Fuss oder mit dem Velo hergekommen. Lange liess die Polizei sie allerdings nicht gewähren. Das Areal wurde gesperrt, und kurz nach 8 Uhr begannen die Einsatzkräfte die Aktivisten, die nicht freiwillig abzogen, einzeln vom Platz zu tragen. «Wir sind friedlich, was seid ihr?», rief eine junge Frau. Immer wieder stimmten die Jugendlichen Gesänge an: «We are fighting for your children», «Brecht die Macht der Banken und Konzerne» und «Klimaschützen ist kein Verbrechen».

Eine Mediensprecherin von «Rise up for Change» begründete den Protest gegen die Schweizer Banken wie folgt: «Die Politik schreckt davor zurück, den Finanzplatz anzurühren. Es braucht diese Aktion.» Es gehe darum, einen Diskurs zu eröffnen und die Themen in die Gesellschaft zu tragen, sagte sie. «Ich bin fest davon überzeugt, dass es ein Umdenken braucht.»

Ähnlich sieht es der 23-jährige grüne Stadtratskandidat Dominik Waser, der sich neben einigen anderen lokalen Politikern ebenfalls in der Menschenmenge tummelte. Er war nicht Teil der Blockade, unterstützte aber die Anliegen des gewaltfreien Protestes. «Solche Aktionen sind legitim, wir stecken in einer weltweiten Krise», sagte er – auch wenn nicht damit zu rechnen sei, dass die Banken die Forderungen der Klimaaktivisten sofort umsetzen würden.

Stundenlanger Polizeieinsatz

Die Polizei nahm 83 Personen fest und brachte sie für weitere Abklärungen auf eine Polizeiwache. 64 Personen werden bei der Staatsanwaltschaft, 19 Personen bei der Jugendanwaltschaft angezeigt. Alle Festgenommenen erhielten eine Wegweisung, teilte die Polizei mit.

Der Polizeieinsatz dauerte mehrere Stunden. Bis am frühen Nachmittag waren Eingänge durch Demonstrierende blockiert. Phasenweise war auch der Tramverkehr in der Bahnhofstrasse beeinträchtigt.

Bei der UBS und der CS hiess es auf Anfrage, sie kommentierten die Aktionen nicht. Die UBS-Medienstelle betonte aber, Klimaschutz habe bei der UBS höchste Priorität. Die Bank habe sich dazu verpflichtet, die Treibhausgasemissionen über das gesamte Geschäft hinweg bis 2050 auf netto null zu senken. Dieses Ziel werde «mittels wissenschaftlich fundierter Zwischenziele für 2025, 2030 und 2035 anvisiert».

Auch die Credit Suisse beteuerte, sich für den Klimaschutz und das Erreichen der Ziele des Pariser Klimaabkommens einzusetzen. Unter anderem arbeite sie mit ihren Kunden zusammen, um sie beim Übergang zu kohlenstoffarmen Geschäftsmodellen zu unterstützen. Dazu sollten in den nächsten zehn Jahren mindestens 300 Milliarden Franken an nachhaltiger Finanzierung bereitgestellt werden.

Geldstrafen für frühere Aktionen

Die Kundgebung erinnert stark an eine Protestaktion im Sommer 2019, als Aktivisten ebenfalls die Eingänge der Grossbanken am Paradeplatz blockierten. Im Mai waren dafür acht Personen wegen Nötigung und teilweise wegen Hausfriedensbruchs zu bedingten Geldstrafen verurteilt worden. Sie hätten zwar ein berechtigtes Anliegen, könnten darauf aber auch mit anderen als illegalen Aktionen aufmerksam machen, argumentierte der Richter.

In Lausanne urteilte ein Richter nach einer ähnlichen Aktion von November 2018 im vergangenen Jahr zugunsten der Aktivisten. Sein Urteil wurde später aufgehoben. Verteidiger gaben jeweils bekannt, sie wollten die Verurteilungen weiter vor das Bundesgericht bringen.

Auch in der Politik ist das Vorgehen der Aktivisten umstritten. Nicola Siegrist ist SP-Kantonsrat und war am Montagmorgen selbst am Paradeplatz. Er sagt, es sei wichtig, den Rahmen des Rechtsstaats wenn nötig zu dehnen, denn es gehe um die Zukunft des Planeten. «Wenn Bitten oder Grossdemonstrationen nicht reichen, dann ist ziviler Ungehorsam der nächste logische Schritt.»

Er sei sich bewusst, dass am Montag auch Straftaten begangen wurden. Siegrist hofft darauf, dass die Polizei und die Staatsanwaltschaft ihren Spielraum nutzen und möglichst keine oder zurückhaltende Strafen verhängen. «Aktivisten, die ihre Zukunft einfordern, sollten nicht kriminalisiert werden», sagt er.

Auch Simon Meyer, Co-Präsident der Grünen Zürich, findet eine Sitzblockade, bei der niemand verletzt und nichts beschädigt wurde, eine verhältnismässige Form der Meinungsfreiheit. «Die Polizei kann die Aktivisten für den Moment zum Schweigen bringen, nicht aber die Stimme der Natur.» Die Überschwemmungen der vergangenen Wochen hätten dies gezeigt.

Vorwurf der «Ökosozialismus»

Ganz anderer Meinung ist Michael Schmid von der Zürcher FDP. Das Vorgehen der Klimaaktivisten am Paradeplatz sei inakzeptabel. Er verurteilt die Aktivisten, denn seiner Meinung nach haben sie Unternehmen genötigt und bedroht. Für eine nachhaltige Wirtschaft müsse man auf Innovation und funktionierende Märkte setzen. «Überhaupt frage ich mich, worum es bei der Aktion ging: um den Klimaschutz oder die Forderung nach Ökosozialismus?»

SVP-Nationalrat Mauro Tuena wiederum lobt das Vorgehen der Polizei, ist aber über die Politik der Stadt Zürich verärgert. «Mit illegalen Aktionen war zu rechnen, doch die Stadt hat davor die Augen geschlossen.» Für Tuena müsste die Stadt die Bewilligung für das Klimacamp auf dem Hardturmareal zurückziehen, denn es sei mit weiteren Störungen zu rechnen. Ausserdem sollten den Klimaaktivisten die Kosten des Polizeieinsatzes am Montag in Rechnung gestellt werden.

Tuena sagt, die Klimabewegung tue so, als sei die Schweiz allein für die Klimakrise verantwortlich. «Dabei sollten die Aktivisten vor der eigenen Haustür kehren und die Aktion vom Morgen aufräumen.»

Die Aktivisten lassen sich offensichtlich weder von solchen Aussagen noch von möglichen Gerichtsprozessen beirren. Weitere Aktionen werden folgen. Der Protest am Paradeplatz ist Teil der Aktionstage von «Rise up for Change», die vom 30. Juli bis am 6. August im Raum Zürich durchgeführt werden. Am Montagabend fand um 18 Uhr 30 bereits eine bewilligte Demonstration auf dem Helvetiaplatz statt. Dabei versammelten sich zwischen 200 und 300 Personen.
(https://www.nzz.ch/zuerich/klimaaktivisten-blockieren-eingaenge-der-banken-am-paradeplatz-polizei-im-einsatz-ld.1638449)


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Gericht heisst Beschwerde gut: Einbürgerung eines irakischen Physikers: Kanton Bern muss Anwaltskosten zahlen
Den Widerstand gegen die Einbürgerung eines irakischen Forschers hat der Kanton Bern bereits aufgegeben, nun verliert er auch vor Gericht. Der Fall geht zurück an die Sicherheitsdirektion.
https://www.derbund.ch/einbuergerung-eines-irakischen-physikers-kanton-bern-muss-anwaltskosten-zahlen-330429403327


+++KNAST
Gefängnis Sitten – Inhaftierte Person tot aufgefunden
Am Montagmorgen, 2. August 2021, wurde im Untersuchungsgefängnis Sitten eine leblose Person in ihrer Zelle aufgefunden. Die Staatsanwaltschaft hat eine Untersuchung eröffnet, um die Todesursache aufzuklären.
https://www.vs.ch/de/web/communication/detail?groupId=529400&articleId=12528411&redirect=https%3A%2F%2Fwww.vs.ch%2Fde%2Fhome%3Fp_p_id%3Dcom_liferay_asset_publisher_web_portlet_AssetPublisherPortlet_INSTANCE_qlJswKLIuQat%26p_p_lifecycle%3D0%26p_p_state%3Dnormal%26p_p_mode%3Dview


+++BIG BROTHER
Nach Beschwerde eines Journalisten: Bundesgericht schickt Fedpol über die Bücher
Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) muss ein Gesuch eines Journalisten über einen Eintrag im Schengener Informationssystem (SIS) nochmals überprüfen. Das hat das Bundesgericht entschieden und damit eine Beschwerde des Journalisten teilweise gutgeheissen.
http://www.kleinreport.ch/news/nach-beschwerde-eines-journalisten-bundesgericht-schickt-fedpol-uber-die-bucher-97562/#



nzz.ch 02.08.2021

Eintrag im Schengener Informationssystem: Fedpol muss Gesuch eines Journalisten vertieft prüfen

Das Bundesgericht fällt einen bedeutenden Entscheid für die Pressefreiheit. Wollen Medienschaffende Auskunft darüber, weshalb sie im Schengener Informationssystem ausgeschrieben sind, müssen die Behörden den Fall genau abklären.

Kathrin Alder

Es muss irgendwann im Jahr 2017 gewesen sein, als der Journalist, ein schweizerisch-bulgarischer Doppelbürger, bei der Einreise in den Schengen-Raum zum ersten Mal angehalten und polizeilich befragt wurde. Es sollte nicht bei dem einen Mal bleiben. Das Prozedere wiederholte sich in den folgenden zwei Jahren bei jeder Einreise in den Schengen-Raum: Stets wurde der Journalist angehalten und befragt. Den Grund dafür nannte man ihm nicht.

Im September 2019 platzte ihm der Kragen. Er fragte beim Bundesamt für Polizei (Fedpol) an, ob er im Schengener Informationssystem (SIS) verzeichnet sei. Das Fedpol verweigerte ihm indes die Auskunft – nach Rücksprache mit den zuständigen Behörden. Sonst werde der Zweck einer Strafuntersuchung oder eines anderen Untersuchungsverfahrens infrage gestellt, lautete die Begründung. Der Journalist wollte die Sache nicht auf sich beruhen lassen und gelangte an das Bundesverwaltungsgericht, das seine Beschwerde 2020 jedoch abwies. Er zog die Angelegenheit also weiter nach Lausanne.

Zwar nennt das Bundesgericht in seinem am Montag veröffentlichten Urteil den Staat nicht, der den Journalisten im SIS ausgeschrieben hat. Entsprechende Passagen sind geschwärzt. Der Journalist hegt indes einen Verdacht: Es seien die bulgarischen Behörden gewesen, die das Europol-System mit falschen Vorwürfen missbraucht hätten, um ihn wegen seiner journalistischen Tätigkeiten als Herausgeber eines regierungskritischen Online-Mediums einzuschüchtern.

Die Richterinnen und Richter in Lausanne heissen die Beschwerde des Journalisten teilweise gut. Das Fedpol muss noch einmal über die Bücher, vertieftere Abklärungen vornehmen und danach neu entscheiden.

Erheblicher Eingriff in die Grundrechte

Die Auskunftserteilung über eine Ausschreibung im SIS richtet sich nach dem Recht jenes Staates, in dem darum ersucht wird. Für die Schweizer Behörden massgebend ist das Datenschutzgesetz. Demnach kann eine Auskunftserteilung verweigert werden, wenn der Ablauf einer Untersuchung sonst erheblich gestört werden könnte. Diesen Verweigerungsgrund hatte das Fedpol geltend gemacht, nachdem es vom ausschreibenden Staat eine Stellungnahme zum Fall verlangt hatte. Das Bundesverwaltungsgericht hielt anschliessend fest, das Fedpol habe keinen Grund gehabt, sich nicht auf diese Stellungnahme zu stützen bzw. diese zu beanstanden.

Das Bundesgericht ist indes anderer Meinung. Es hält zunächst fest, dass es sich bei der beanstandeten Ausschreibung im SIS um einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte handelt. Tangiert sei zum einen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, zum anderen – weil der Betroffene Journalist ist – auch die Pressefreiheit. Ohne die Auskunftserteilung könne er sich nicht wirksam gegen derlei Eingriffe zur Wehr setzen. Ein effektiver Rechtsschutz werde ihm so verwehrt.

Eingriffe in die Grundrechte sind zulässig, sofern sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, notwendig bzw. zum Schutz überwiegender Interessen erforderlich und verhältnismässig sind. Daran muss sich auch eine Behörde wie das Fedpol halten. Sie hat auf jeden Fall zu prüfen, ob es ein zulässiger Eingriff in die Grundrechte ist, eine Auskunft zu verweigern. Und das Bundesgericht macht klar: An die Stellungnahme des ausschreibenden Staates ist das Fedpol nicht gebunden. Vielmehr sei eine vertiefte Prüfung der Umstände nötig. Ob es eine solche im konkreten Fall gemacht habe, scheine fraglich. Klar sei indes, dass die vorhandenen Informationen nicht gereicht hätten, um über das Auskunftsgesuch des Journalisten zu entscheiden.

Um die Pressefreiheit ist es schlecht bestellt

Es sei unbekannt, welches Untersuchungsverfahren gegen den Journalisten geführt werde. Nähere Angaben zum Gegenstand der Untersuchung, zu deren Dauer und der Erforderlichkeit ihrer Fortsetzung fehlten gänzlich. Seien Medienschaffende Gegenstand einer Ausschreibung im SIS, könne nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass das Schengen-System für eine Überwachung missbraucht werde. Deshalb seien weitere Abklärungen geboten.

In konkreten Fall bezeugten zahlreiche Berichte, dass es im ausschreibenden Staat um die Pressefreiheit nicht gut bestellt sei. Im Weltpressefreiheitsindex von Reporters sans frontières werde er als «schwarzes Schaf» Europas in Sachen Pressefreiheit bezeichnet. Hervorgehoben würden vor allem «eine endemische Korruption und Kollusion zwischen Medien, Politikern und Oligarchen einerseits und die Einschüchterung durch die Justiz andererseits». Gerade Medienschaffende, die über organisierte Kriminalität und Korruption berichteten, seien intensivem Druck vonseiten der Politik und der Staatsanwaltschaft ausgesetzt.

Unter diesen Umständen, so das Bundesgericht, hätte sich das Fedpol nicht mit der negativen Stellungnahme des ausschreibenden Staates begnügen dürfen. Es hätte vielmehr weitere Informationen einholen müssen, etwa über Art und Dauer der laufenden Untersuchungen. Vor allem aber hätte es überprüfen müssen, ob es sich rechtfertigen lässt, die Auskunft zu verweigern. Eine solche Vorgehensweise entspreche dem Schengen-Übereinkommen und gefährde auch nicht die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit der Schweiz mit den übrigen Schengen-Staaten, urteilten die Richterinnen und Richter in Lausanne abschliessend.

Urteil 1C_597/2020 vom 14. 6. 21 – BGE-Publikation.
(https://www.nzz.ch/schweiz/eintrag-im-schengener-informationssystem-fedpol-muss-gesuch-eines-journalisten-vertieft-pruefen-ld.1638458)
-> Medienmitteilung Bundesgericht: https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/de/1c_0597_2020_2021_08_02_T_d_11_41_12.pdf
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://14-06-2021-1C_597-2020&lang=de&zoom=&type=show_document


+++FRAUEN/QUEER
Transkinder: Die Entscheidungsfindung braucht Zeit – Echo der Zeit
Über geschlechtliche Identität zu sprechen ist kein Tabu mehr. Immer öfter outen sich junge Menschen als trans. Erforscht ist das junge Phänomen noch kaum. Ärztinnen und Ärzte, die mit diesen Kindern und Jugendlichen arbeiten, befinden sich auf medizinischem Neuland und in einem enormen Spannungsfeld.
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/transkinder-die-entscheidungsfindung-braucht-zeit?id=9e779052-d067-4a0c-a857-45aaa38d8b09


+++RECHTSPOPULISMUS
Nach Angriff auf die Städte: Giacobbo schlägt gegen SVP zurück
Die SVP hat ein neues Feindbild: die Städter. Mit einer aggressiven Rhetorik gegen die links-grüne Stadtbevölkerung will die Partei die eigene Basis mobilisieren. Satiriker Viktor Giacobbo schlägt zurück.
https://www.blick.ch/politik/nach-angriff-auf-die-staedte-giacobbo-schlaegt-gegen-svp-zurueck-id16721385.html
-> https://www.watson.ch/!735778282
-> https://www.blick.ch/politik/sie-sind-die-neuen-auslaender-svp-schiesst-auf-die-links-gruenen-staedte-id16719966.html


+++RASSISMUS
antira-Wochenschau: Brutaler Übergriff in Griechenland, aufgerüstete Grenzen in Österreich, zapatistischer Widerstand in Frankreich
https://antira.org/2021/08/01/brutaler-uebergriff-in-griechenland-aufgeruestete-grenzen-in-oesterreich-zapatistischer-widerstand-in-frankreich/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Coronavirus: Polizei erstattet Anzeige gegen Demonstrant
Am Rande der Corona-Demo in Luzern vom vergangenen Samstag wird ein Polizist verletzt. Die Polizei wird gegen mindestens eine Person Anzeige erstatten.
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-polizei-erstattet-anzeige-gegen-demonstrant-65975077
-> https://www.zentralplus.ch/luzerner-polizei-zeigt-demo-pruegler-wegen-gewalt-drohung-an-2153277/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/corona-demo-in-luzern-polizei-erstattet-anzeige-ld.2169668


Protest verschiedener Gruppierungen gegen Covidmassnahmen – 10vor10
Einmal mehr versammelten sich am Wochenende Tausende, um an einer Kundgebung gegen die Corona-Einschränkungen zu demonstrieren. Entsteht hier eine politische Kraft, mit der zu rechnen ist?
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/fokus-protest-verschiedener-gruppierungen-gegen-covidmassnahmen?urn=urn:srf:video:156d968b-a95a-4dfe-b21b-0f85bd716c1f
-> https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/fokus-michael-hermann-zu-neuen-buergerbewegungen?urn=urn:srf:video:63d4b47e-4696-4110-8cd7-0281d7408c3c


+++FREIRÄUME
tagesanzeiger.ch 02.08.2021

Machtwechsel im Kulturzentrum: Die Jungen übernehmen in der Roten Fabrik

Sechs von neun Vorstandsmitgliedern wurden ausgewechselt. Im alternativen Kulturzentrum herrscht wieder revolutionärer Geist. Das freut aber nicht alle.

David Sarasin

Sonderlich gut ist die Stimmung nicht in der Roten Fabrik.

Das zeigen die turbulenten Geschehnisse an der Mitgliederversammlung der IG Rote Fabrik vom 28. Juni, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. 109 Personen nahmen an dem Zoom-Meeting teil, das sechseinhalb Stunden dauerte und am gleichen Abend über die Bühne ging wie der EM-Match Schweiz gegen Frankreich. Dass etwas in der Luft lag, zeigte sich daran, dass es sich bei der Hälfte der Teilnehmenden um Neumitglieder handelte. Diese hatten sich extra angemeldet, um an der Versammlung abzustimmen.

Nach Aussagen von mehreren Teilnehmern wurde heftig gestritten, Beschimpfungen wurden durch den Raum geschleudert. Susan Peter, ein alteingesessenes Vorstandsmitglied, gab noch während der Versammlung ihren Rücktritt bekannt. Caterina Blass, ebenfalls seit vielen Jahren dabei, wurde abgewählt. Sechs von neun Stellen im Vorstand, vier davon seit Frühling wegen Rücktritten ausgeschrieben, wurden neu besetzt, teils mit jungen Mitgliedern, die sich spontan aufstellen liessen.

Einen solchen Umsturz hat es in der basisdemokratischen Roten Fabrik schon sehr lange nicht mehr gegeben.

Auf der einen Seite stehen Alteingesessene wie Katharina Prelicz-Huber, Sitzungsleiterin und langjähriges Vorstandsmitglied. Sie spricht von einem «Unfriendly Takeover» und kommentiert den Ausgang so: «Dieses Machtspiel ist bedauerlich.» Es sei jetzt viel Energie nötig, um sich als Team wiederzufinden, sagt die Gewerkschafterin und Nationalrätin der Grünen.

Auf der anderen Seite sind die Jungen rund um Isabelle von Walterskirchen, Leiterin des sogenannten Clubbüros und als solche zuständig für die Sparte elektronische Musik. Sie sagt: «Die Umwälzungen widerspiegeln das erstarkte Interesse einer jungen Generation an der Roten Fabrik.» Die Dynamik an der Versammlung sei nicht orchestriert gewesen, sie sei aus dem Moment heraus entstanden.

Eine harmlose Sache – würde man meinen

Nun gibt es eine Vorgeschichte zu dieser «spontanen Dynamik», und die beginnt vor zwei Jahren mit der Gründung des Clubbüros. Von Walterskirchen ist dort seit Beginn in einer 50-Prozent-Anstellung verantwortlich für Partys mit politischer, aktivistischer und idealistischer Färbung. Der Posten wurde extra für sie geschaffen. Und sie war erfolgreich. Hunderte junge Erwachsene engagierten sich, veranstalteten Dutzende Partys, Workshops und politische Aktionen mit Tausenden Teilnehmern und Teilnehmerinnen.

Ein 24-jähriger neuer Veranstalter und DJ im Clubbüro, Ari Kurki, beschreibt die Atmosphäre so: «Ich habe in der Roten Fabrik genau jenen Freiraum vorgefunden, der mir im kommerzialisierten Zürcher Nachtleben fehlte.» Er veranstaltet seit vergangenem Sommer Partys, bei denen nicht allein das Feiern im Vordergrund steht: Marginalisierte Gruppen werden explizit mit einbezogen. «Es herrscht eine offene Stimmung vor.»

Das sollte zu einem Ort wie der Roten Fabrik passen, der in den Achtzigern wegen der Forderung der aufrührerischen Jugend nach Freiräumen gegründet wurde – würde man meinen. Doch dann kam es zu Spannungen wegen einer Forderung, die für Aussenstehende nach einer Formalie klingt: Von Walterskirchen wollte, dass das Clubbüro zu einem eigenständigen Bereich innerhalb der Roten Fabrik wird, gleichgesetzt mit dem Musik- oder dem Theaterbüro. Damit verknüpft, verlangte sie Einsitz in der Betriebsgruppe und zusätzliche 10 Stellenprozent. Mit ihrem knappen Pensum war sie nach eigenen Aussagen an Grenzen gestossen.

Die komplizierten, basisdemokratischen Vereinsstrukturen der Roten Fabrik lassen allerdings keine schnellen Veränderungen zu. Es folgte ein Hin-und-her-Geschiebe innerhalb der Organe des Vereins. Von Walterskirchen reichte einen Antrag ein: An besagter Mitgliederversammlung sollte über ihr Ansinnen abgestimmt werden.

Die Jungen wollten nicht jahrelang warten

Nun wurde die Geschichte dramatisch: Für den Vorstand war dieser Schritt rechtswidrig. Mit Hinweis auf die Statuten befand er, dass es nicht Sache der Versammlung sei, die Struktur der Roten Fabrik durch eine Abstimmung zu verändern. Der Verein arbeite zwar seit vielen Jahren daran, die getrennten Bereiche aufzuweichen und durchlässiger zu machen. Die aktuelle Forderung aber würde diesen Prozess behindern.

Die Jungen vom Clubbüro aber wollten nicht warten. Ari Kurki sagt: «Der Prozess dauert schon sehr viele Jahre an – wer sagt, dass sich bald irgendwas ändert?» Beeinflusst vom bisherigen Streit, sahen sie sich veranlasst, ihr Anliegen an der Mitgliederversammlung durchzusetzen. Mehr als 50 Personen aus dem Umfeld des Büros schrieben sich vor der Versammlung als Neumitglieder ein.

Zusätzlich angeheizt waren sie durch eine Abstimmung, die der Vorstand anstelle jener von Walterskirchens vorschlug: «Clubbüro ja oder nein?», lautete das Geschäft, über das laut Vorstand und im Einklang mit den Statuten befunden werden sollte. Laut Prelicz-Huber ging es darum, die demokratische Legitimation für etwas zu sichern, was unbestritten war – für die Jungen aus dem Clubbüro dagegen war es ein Misstrauensvotum.

Auch von Walterskirchens Antrag blieb auf der Traktandenliste. Sie stützte sich ihrerseits auf das Vereinsrecht und hatte sich juristisch beraten lassen. In der Abklärung einer Anwältin steht, dass es sehr wohl statutenkonform sei, über die Struktur der Roten Fabrik abzustimmen.

Wie weiter?

Schliesslich stand das sechseinhalbstündige Zoom-Meeting an, an dem auch die Anwältin teilnahm. Es folgten die harte Auseinandersetzung, der spontane Rücktritt, die neuen Vorstandsmitglieder, «der Putsch», wie Prelicz-Huber es nennt.

Die Abstimmung verlief zugunsten des Clubbüros. Nicht zuletzt aufgrund der vielen neuen Mitglieder, die dafür stimmten, dass dieses mehr Autonomie erhalten solle. Ob das rechtens war, zweifelt Prelicz-Huber an. Der Entscheid müsse erst juristisch geprüft werden, sagt sie.

Wie weiter jetzt?

Man habe durch die Abwahl und den Rücktritt langjähriger Vorstandsmitglieder viel Know-how verloren, sagt Prelicz-Huber. Ihrer Ansicht nach wäre dieser Aufstand nicht nötig gewesen. «Das Clubbüro hatte ein gutes Standing innerhalb der Roten Fabrik und war integriert.»

Zudem zeuge die Art und Weise, wie der Machtwechsel zustande gekommen sei, von einem fragwürdigen Demokratieverständnis. «Ich hätte mir mehr Respekt gegenüber den bewährten und erprobten Strukturen der Roten Fabrik gewünscht», sagt die Gewerkschafterin.

Der Entscheid wird juristisch geprüft

Iris Rennert, 54 Jahre alt, die an besagtem Abend neu in den Vorstand gewählt wurde, schätzt die aktuelle Situation so ein: «Es war kein blinder Aufstand.» Die neuen «Jungen» wüssten sehr genau, was sie machten, und hätten ein echtes Interesse an der Roten Fabrik – sie seien motiviert, sich der vielschichtigen Aufgaben anzunehmen.

Markus «Punky» Kenner, der in den Achtzigern mithalf, die Rote Fabrik aufzubauen und seither mit ihr verbunden ist, kommentiert die turbulenten Vorgänge so: «Veränderungen und Neuerungen sind für diesen Kulturbetrieb nötig und wichtig.» Aber auch: «Wenn die Situation so verfahren ist wie jetzt, empfiehlt es sich, eine externe Mediation beizuziehen. Ein Gremium wie ein Beirat oder ein Ombudsrat könnte mittelfristig helfen, Differenzen besser auszutragen.»

Prelicz-Huber schaut aber auch pragmatisch in die Zukunft: «Wir müssen jetzt erst mal alle neuen Vorstandsmitglieder kennen lernen.» Und von Walterskirchen sagt: «Ich bin zuversichtlich, dass wir eine Lösung finden, die für alle stimmt.»



Wie die Rote Fabrik funktioniert

Die Rote Fabrik wurde als Kulturzentrum im Jahr 1980 gegründet und 1987 an der Urne demokratisch legitimiert. Der Verein IG Rote Fabrik ist basisdemokratisch organisiert und besteht aktuell aus 300 Mitgliedern. Die Mitgliedervesammlung stellt dabei das höchste Gremium dar. Sie findet mindestens einmal jährlich statt. Der Vorstand besteht aus neun Personen. Die einzelnen Bereiche der Roten Fabrik sind in Betriebsgruppen aufgeteilt, 17 vom Verein angestellte Betriebsgruppenmitglieder führen das Kulturzentrum als Exekutive im Kollektiv. Die Rote Fabrik wird von der Stadt mit rund 3,4 Millionen Franken jährlich subventioniert. (dsa)
(https://www.tagesanzeiger.ch/die-jungen-uebernehmen-in-der-roten-fabrik-569790904216)
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/historisch-ruhiger-1-august-fuer-zuercher-einsatzkraefte?id=12030192 (ab 01:32)


+++GASSE
nzz.ch 02.08.2021

Immer mehr Bettler zieht es nach Zürich: Sind es Bedürftige oder eine vernetzte Bande?

In der Pandemie wurde Zürich zu einem lukrativen Standort für Bettler. Viele von ihnen kommen aus Rumänien. Wer sind diese Menschen, die in der Stadt trotz Verbot um Geld betteln?

Linda Koponen

Eine ältere Frau sitzt neben dem Kanzleischulhaus auf einer Bank und beobachtet die Passanten. Ihr langer brauner Zopf reicht ihr fast bis zum Gesäss. Sie trägt einen violetten Rock mit weissen Punkten, ihre nackten Füsse stecken in rosaroten Badelatschen.

Als es zu regnen beginnt, steht sie auf und schlurft über den Kiesplatz zu der Hecke, die das Kanzleiareal von der Langstrasse trennt. Sie wühlt einen Moment suchend im Gestrüpp und zieht dann einen blauen Regenschirm hervor.

Kurze Zeit später gesellen sich ein jüngerer Mann und eine Frau zu ihr. Die junge Frau unterhält sich eine Weile mit den beiden und steuert dann langsam auf die Menschenmenge vor dem Kino Xenix zu. Sie bewegt sich langsam von einer Gruppe zur nächsten, nähert sich ihnen von der Seite an und macht die hohle Hand. Die meisten geben ihr etwas, nur wenige winken ab.

Auf Italienisch erzählt die Bettlerin, dass sie aus Rumänien komme und seit zwei Monaten in Zürich sei. Das Geld brauche sie für ihre drei Kinder, die in der Heimat auf sie warteten. Wo sie denn übernachte, wollen wir wissen. In einem Park beim Bahnhof, sagt sie und streckt uns nun fordernder die Hand entgegen. Als wir ihr zwei Franken geben, entfernt sie sich schnell aus dem Tor.

Auch die ältere der beiden Frauen, die wir Tage später nochmals treffen werden, stammt aus Rumänien. Sie sei mit ihrem Mann und ihrem Sohn vor einem Monat in die Schweiz gekommen, sagt sie. Seit einigen Wochen bettelt sie täglich am unteren Ende der Langstrasse. Mal versucht sie es bei den Gästen vor einem der asiatischen Restaurants, mal bei den Pendlerinnen an der Bushaltestelle.

Betteln ist in der Stadt Zürich zwar verboten. Trotzdem wird man auf der Strasse, im Tram oder in der S-Bahn immer öfter nach Münz gefragt. Die Zahl der Verzeigungen wegen Bettelei ist in Zürich in diesem Jahr sprunghaft angestiegen, wie die Tamedia-Zeitungen kürzlich berichteten. Allein im ersten Halbjahr 2021 wurden 830 Bettlerinnen und Bettler verzeigt. Von ihnen stammen 600 aus Rumänien.

Wer sind diese Menschen, und was führt sie ausgerechnet nach Zürich? Wie organisieren sie sich? Und macht sich in Zürich gar eine osteuropäische Bettler-Mafia breit, wie teilweise gemunkelt wird?

Betteln als Beruf

Die Spurensuche führt ins Café Yucca im Niederdorf. Hier betreibt die Hilfsorganisation Solidara Zürich (ehemals Zürcher Stadtmission) eine sogenannte «Passantenberatung», die auch von ausländischen Bettlern regelmässig aufgesucht wird. Neben einer warmen Mahlzeit erhalten die Besucher Hilfe bei der Suche nach Übernachtungsmöglichkeiten oder bei der Organisation ihrer Rückreise.

Der Leiter des Cafés Yucca, Kurt Rentsch, und die Sozialarbeiterin Angela Lagler haben es oft auch mit rumänischen Roma zu tun, die zum Betteln in die Stadt gekommen sind. Laut Rentsch bewegen sie sich häufig im Dreieck Wien, München und Zürich. Alle paar Monate zögen sie weiter.

Weil die Corona-Massnahmen in den umliegenden Ländern strikter gewesen seien als in der Schweiz, sei Zürich in der Pandemie zu einem lukrativen Standort geworden. Und auch die Aufhebung des Bettelverbotes in Basel im letzten September habe sich in Zürich bemerkbar gemacht, sagt Rentsch. Die Konkurrenz in Basel sei zu gross geworden. «Seither sind wieder mehr Rumänen hier in Zürich.»

Viele von ihnen kennen Rentsch und Lagler seit Jahren. Lagler erzählt von einem Mann, der zum Betteln immer kaputte Schuhe trage, obwohl er auch neue bekomme. «Das ist sein Businessplan.» Anderen sehe man die Obdachlosigkeit nicht an. Ihre Strategie sei es, nicht aufzufallen. Zerlumpte Bettler, wie man sie früher in Italien gesehen habe, würden in Zürich schnell von der Polizei aufgegriffen.

Die Stadtpolizei führt zwar keine flächendeckenden Kontrollen durch. Fehlbare Personen würden aber «konsequent verzeigt», heisst es auf Anfrage. Das Bettelgeld werde dem Bettler noch vor Ort abgenommen. Die Bettelei allein genüge jedoch nicht, um eine Wegweisung auszusprechen. Mögliche Gründe für eine solche könnten die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, eine erhebliche Belästigung oder die Gefährdung Dritter sein.

Im Café Yucca werden die Klienten darauf aufmerksam gemacht, dass die Bettelei in Zürich verboten ist. Viel nützt das nicht. Zurzeit seien zwar weniger bulgarische Bettler unterwegs als noch vor ein paar Jahren, sagt Lagler. «Heute verdienen vornehmlich rumänische Roma ihr Geld mit Betteln bei uns.»

Ähnliches sagt auch der jenische Autor und Historiker Venanz Nobel. «Für viele rumänische Roma hat diese Art von Leben Tradition.» Der Basler, der die fahrende Lebensweise aus eigener Erfahrung kennt, stellt jedoch gleichzeitig klar: «Die Leute betteln nicht, weil sie Roma sind, sondern weil sie arm sind.»

Viele von ihnen stammten aus Roma-Dörfern ohne Schulen und seien Analphabeten ohne Ausbildung. «Sie sehen das Betteln als ihren Beruf an, und zum Beispiel das Knien gehört für Gewisse von ihnen zur Berufsausübung.» Andere hätten ein Hausiererpatent, in der Behördensprache Reisendengewerbebewilligung genannt, und könnten so zum Beispiel Rosen verkaufen – etwas, was man auch im Zürcher Nachtleben häufig sieht.

Von der Personenfreizügigkeit profitiert

Tatsächlich ist Armut in Rumänien ein Problem – ein so grosses wie in keinem anderen EU-Land. Die Armutsgefährdungsquote bemisst sich am Einkommen der Gesamtbevölkerung. Laut dem Bundesamt für Statistik lag sie in Rumänien 2019 bei 23,8 Prozent, in der Schweiz im selben Jahr bei 16 Prozent. Die Armutsgefährdungsgrenze liegt in der wohlhabenden Schweiz allerdings höher als in Rumänien.

Der Ruf, reich zu sein, hat die Schweiz attraktiv gemacht. Seit Juni 2019 gilt die Personenfreizügigkeit auch für Rumänien, was die Einreise nicht nur für Arbeitskräfte, sondern auch für Bettler erleichtert hat. Als EU-Angehörige dürfen sie sich 90 Tage ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz bewegen.

Venanz Nobel ist überzeugt, dass sich die wenigsten rumänischen Roma in der Schweiz fest niederlassen würden, auch wenn sie es könnten. Viele von ihnen lebten seit Generationen in Italien, andere hätten ihre Familien im Heimatland. In den traditionellen Familienstrukturen gehörten auch die Onkel und Nichten zur Kernfamilie. «Während einige Familienmitglieder regelmässig zum Betteln nach Westeuropa fahren, bleiben die Grosseltern mit den Kleinkindern zu Hause.»

Laut Nobel stammen die Bettler in einer Stadt oftmals alle aus derselben Region. So liege etwa das Herkunftsdorf vieler rumänischer Bettler, die sich in Basel aufhalten, 20 Kilometer von der Stadt Bacău im Nordosten Rumäniens entfernt. Dort herrsche extreme Armut. Die Familien lebten oftmals in kleinen, heruntergekommenen Hütten, hätten vielleicht einen Kartoffelacker, manchmal auch Schweine. «In diesen Dörfern gibt es kein Western Union, die Bettler schicken das erworbene Geld also entweder mit einem Chauffeur nach Hause oder reisen selbst regelmässig zurück.»

Die Beobachtungen der Sozialarbeiterin Angela Lagler gehen hingegen in eine etwas andere Richtung. Sie sagt, dass die rumänischen Bettler in Zürich nicht aus «extremen Ghettos» stammten. «Es sind Leute aus der Unterschicht, aber nicht aus der untersten Schicht.» Für die rumänische Identitätskarte brauche man eine feste Adresse. Personen, die in Slums lebten, hätten in der Regel keinen offiziellen Wohnsitz und könnten so auch keine ID beantragen.

Lagler hat die Besucher im Café Yucca auch hie und da beim Videotelefonieren mit ihren Verwandten beobachtet. «Im Hintergrund sah man normale Wohnungen in einfachen Blocksiedlungen.» Dennoch sagt auch sie, dass Arbeitslosigkeit und fehlende Bildung die Hauptgründe für die Bettelei seien.

Mit dem Kleinbus durch Europa

Die NZZ hat in Zürich mit sechs rumänischen Bettlerinnen und Bettlern und einer Rosenverkäuferin gesprochen. Das Geld erbetteln sie nach eigenen Aussagen für ihre Kinder, für Essen und für die Rückreise. Drei von ihnen gaben an, in der Schweiz zu leben – ob mit oder ohne Aufenthaltsbewilligung, ist unklar.

Zwei Männer erzählten, dass sie seit Jahren auf der Strasse lebten. Sie seien nach Zürich gekommen, um Arbeit zu finden, die Suche sei jedoch erfolglos geblieben. Hilfe bekämen sie von Kirchen und Organisationen, die Lebensmittelgutscheine verteilten. Viele ihrer Landsleute würden beim Betteln herumlaufen und würden dann von der Polizei aufgegriffen. Ihre Strategie sei es, an einem Ort stehen zu bleiben, so falle man weniger auf.

Die Rosenverkäuferin sagte, dass ihre einzige Alternative wäre, sich zu prostituieren. Immerhin sei sie komplett unabhängig und könne neben ihrer Miete die Behandlung ihrer kranken Mutter finanzieren. Auf dem Smartphone zeigte sie das Bild einer Frau an einem Beatmungsgerät. Die meisten der befragten Rumänen gaben an, über Italien in die Schweiz gekommen zu sein.

Venanz Nobel erzählt von Kleinbussen mit 15 bis 20 Plätzen, die zwischen Rumänien und Westeuropa hin- und herfahren. Auch laut Kurt Rentsch reisen die Bettler in Gruppen an. Darüber, wie sie in Zürich leben, ist wenig bekannt. Rentsch und Lagler wissen von Roma, die in Pärken, im Wald oder unter dem Vordach einer Kirche schlafen. Vor Jahren habe auch eine Gruppe am Flughafen Zürich ihr Lager aufgeschlagen, andere nutzten die Duschen in öffentlichen Schwimmbädern.

Laut Nobel übernachten die Bettler in Basel auch unter der Brücke oder im Kleintransporter an einer Autobahnraststätte. «In die städtische Notschlafstelle können sie nicht, da diese per Verordnung den Zugang mit exorbitanten Preisen für Auswärtige allen Nichtbaslern de facto verunmöglicht.» Auch in Zürich ist die städtische Notschlafstelle an der Rosengartenstrasse Personen, die in der Stadt gemeldet sind, vorbehalten.

«Stark vernetzt, aber nicht mafiös»

Die «Bettel-Mafia» halten die drei Experten zumindest in der Schweiz für einen Mythos. Laut Rentsch organisieren sich die Bettler innerhalb der Familie. «Sie sind untereinander stark vernetzt, aber nicht mafiös», sagt Rentsch. Und Lagler verdeutlicht: «Es sind Kleinkriminelle darunter, aber nicht die grossen Fische.» Nur einmal vor zehn Jahren habe Rentsch im Café Yucca beobachtet, wie andere Bettler einem Mann Geld ablieferten. «Dem haben wir schnell den Riegel geschoben und ihn weggeschickt.»

Sind der Stadtpolizei Zürich organisierte Bettelbanden bekannt? Zu diesem Thema würden keine vertieften Ermittlungen getätigt, schreibt die Medienstelle. Dass die Bettler gut vernetzt und organisiert sind, ist aber auch der Stadtpolizei aufgefallen. So seien etwa Spendenlisten, welche in Zürich gefunden worden seien, auch in anderen Ländern aufgetaucht. Teilweise habe es sich um dieselben Bettler gehandelt.

Wie aufwendig es ist, bandenmässiges Betteln nachzuweisen, hat sich im letzten Jahr in Basel gezeigt. Im Juli 2020 hob Basel das generelle Bettelverbot auf. Bestraft wurde nur noch organisiertes Betteln. Innert weniger Monate sprach sich die Gesetzesänderung herum, und in der Stadt tauchten Dutzende von Bettlern auf – viele von ihnen aus Rumänien. Die Medien berichteten von mutmasslichen Clans, die die Passanten teilweise aggressiv bedrängten. Ein Jahr später führte das Parlament das Verbot wieder ein.

In Zürich bereitet der Sozialarbeiterin Lagler etwas anderes Sorgen. Immer wieder komme es vor, dass Bettler ihre schulpflichtigen Kinder mitnähmen. «Viele von ihnen waren noch keinen Tag in ihrem Leben in der Schule.» In solchen Fällen suche sie das Gespräch mit den Eltern und schalte notfalls die aufsuchende Sozialarbeit der Stadt Zürich SIP ein.

Unter der Brücke schlafen

Die Bettler scheinen sich das Zürcher Stadtgebiet aufgeteilt zu haben. Während rund um die Sihlpost meist Schweizer Drogenabhängige um Geld für ihren Konsum schnorren, sind etwa im Kreis 4 viele Rumänen unterwegs. In dem bunten Treiben scheint sich niemand gross an ihnen zu stören.

Zwei Wochen nach dem ersten Gespräch treffen wir die Frau mit dem Regenschirm erneut auf dem Kanzleiareal. Diesmal haben wir einen Übersetzer dabei. Als wir sie auf Rumänisch ansprechen, reagiert sie sichtlich erfreut.

Sie stamme aus Konstanza, einer Hafenstadt am Schwarzen Meer, und habe vier Kinder und noch viel mehr Enkelkinder. Sie und ihr Mann hätten etwas ausserhalb der Stadtgrenze ein Haus, doch das Dach sei kaputt, und es regne hinein. Früher habe sie in den Plattenbauten die Treppenhäuser gereinigt. Der Verdienst habe jedoch nicht für das Holz für die Reparatur gereicht. Deshalb sei sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn zum Betteln nach Zürich gekommen.

Mit einem Auto seien sie zunächst nach Arad im Westen Rumäniens gefahren und von dort aus mit einem Bus nach Mailand und weiter nach Zürich. Sie kenne viele Rumänen, die hier bettelten. Als wir sie fragen, ob sie organisiert seien, verneint sie. Nur ihr Mann, ihre Kinder und sie wechselten sich ab, so dass immer jemand zu Hause bei den Enkeln bleibe.

In Zürich schlafe sie bei einer Haltestelle unter der Brücke, sagt sie und deutet Richtung Limmatplatz. Pro Tag verdiene sie zehn bis fünfzig Franken. Alles könne sie nicht sparen, da sie auch Geld für das Essen und die Rückfahrt brauche.

Plötzlich füllen sich ihre Augen mit Tränen. «Wer will so ein Leben?», fragt sie und blickt betreten auf den Boden. Als wir wissen wollen, weshalb sie ausgerechnet nach Zürich gekommen sei, hellen sich ihre Gesichtszüge ebenso schnell wieder auf. Sie lacht, und in ihrem Mund blitzt ein Goldzahn auf. «Vacanza, vacanza!»
(https://www.nzz.ch/zuerich/bettler-in-zuerich-beduerftige-oder-eine-vernetzte-bande-ld.1636912)