Medienspiegel 1. August 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++DEUTSCHLAND
Trotz Kämpfen: Seehofer will nach Afghanistan abschieben
Ungeachtet des Vormarschs der Taliban und Kämpfen in Afghanistan hält Bundesinnenminister Seehofer an Abschiebungen in das Land fest. Auch der FDP-Vorsitzende Lindner sprach sich gegen einen pauschalen Abschiebestopp aus und kritisierte die Grünen.
https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/trotz-kaempfen-seehofer-will-nach-afghanistan-abschieben,SeoPykz
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155176.afghanistan-abschiebungen-ins-kriegsgebiet.html


+++BELGIEN
Belgien: Kampf der Papierlosen
In Belgien leben viele Migranten schon seit Jahrzehnten ohne offizielle Anerkennung. Kürzlich sind Hunderte von ihnen in einen Hungerstreik getreten. Nach mehreren Wochen haben die Behörden jetzt ein gewisses Einlenken signalisiert.
https://www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/europamagazin/sendung/belgien-aufstand-der-papierlosen-100.html


+++GRIECHENLAND
Flüchtlingshelferin Bernet: «Wo geht das ganze Geld hin?»
Liska Bernet ist seit 2015 in Griechenland als Flüchtlingshelferin tätig. Nebst den Gefahren für Frauen beschäftigt sie vor allem etwas: Wohin gehen die Gelder?
https://www.nau.ch/news/videos/fluchtlingshelferin-bernet-wo-geht-das-ganze-geld-hin-65956659


+++MITTELMEER
Hunderte Migranten aus dem Mittelmeer gerettet
Küstenwache holt Menschen wegen Gesundheitszustand von »Sea-Watch 3«
Die Crews mehrerer Seenotretter-Organisationen haben am Wochenende Hunderte Bootsmigranten im zentralen Mittelmeer gerettet. Allein an Bord der »Ocean Viking« befinden sich mittlerweile fast 450 Menschen.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155144.seenotrettung-hunderte-migranten-aus-dem-mittelmeer-gerettet.html
-> https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/ocean-viking-rettungsaktion-103.html
-> https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-08/migration-fluechtlinge-mittelmeer-hilfsorganisation-rettung


+++EUROPA
Migrationsexperte Erik Marquardt sagt, woran die europäische Asylpolitik krankt: «Europa nimmt es einfach hin, dass Menschen sterben»
Der EU-Migrationsexperte Erik Marquardt übt scharfe Kritik an der europäischen Asylpolitik. Den Flüchtenden würden kaum Rechte zugestanden.
https://www.blick.ch/politik/migrationsexperte-erik-marquardt-sagt-woran-die-europaeische-asylpolitik-krankt-europa-nimmt-es-einfach-hin-dass-menschen-sterben-id16717965.html


»Das ist das Ende der Genfer Konvention«
Sandro Mezzadra arbeitet als Professor für Politische Philosophie an der Universität Bologna. Ein Gespräch über die Aushöhlung des europäischen Asylrechts, die Unterscheidung zwischen Flucht und Migration und darüber, was letztere mit der sozialen Frage verbindet.
https://tagebuch.at/politik/das-ist-das-ende-der-genfer-konvention/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Klimaaktivisten auf der Hardturmbrache: «Ziviler Ungehorsam ist notwendig»
Auf der Hardturmbrache in Zürich campieren noch bis am 6. August Klimaaktivisten. Im Fokus der Aktivistinnen und Aktivisten steht der Finanzplatz Schweiz. Die Forderung: Ein sofortiger Investitionsstopp in fossile Energie.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/klimaaktivisten-auf-der-hardturmbrache-ziviler-ungehoersam-ist-notwendig-00163018/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Zutritt gibt’s nur mit Zertifikat: Trychler demonstrieren gegen 1. Augustfeier in Zug
Die «Freiheitstrychler», die seit Wochen an verschiedenen Orten an vorderster Front gegen die Corona-Massnahmen demonstrieren, drückten ihren Unmut gegenüber der Organisation diesjährigen Bundesfeier in der Stadt Zug mit einer lautstarken Mahnwache aus.
https://www.zentralplus.ch/trychler-demonstrieren-gegen-1-augustfeier-in-zug-2152959/


Ein Polizist verletzt: Luzerner Polizei will Einsatz bei Corona-Demos untersuchen
In der Stadt Luzern ist am Samstag ein Polizist bei einem Einsatz im Rahmen der Corona-Demos verletzt worden. Die Polizei will den Vorfall nun analysieren.
https://www.20min.ch/story/luzerner-polizei-will-einsatz-bei-corona-demos-untersuchen-687280087734


++++FRAUEN/QUEER
Sonntagszeitung 01.08.2021

Umstrittene Hormontherapie: Zwei Ärzte erlaubten Transgender-Behandlungen – Untersuchung läuft

Eltern blockieren die Hormonbehandlung von zwei Jugendlichen in Genf. Das könnte weitreichende Konsequenzen für die Schweizer Transgender-Community haben.

Sylvain Besson

Er hat zwar noch die biologischen Merkmale einer Frau, aber er hat sich entschieden, das zu ändern: «Ich habe schon vor drei bis vier Jahren realisiert, dass ich ein Junge bin», sagt Jo, ein 18-jähriger Transgender-Mann aus Genf, der seinen echten Namen geheim halten möchte. Jo ist bereit, sich die Brüste amputieren zu lassen und einen starken Hormoncocktail zu nehmen, durch den er den Stimmbruch, einen Adamsapfel und breite Schultern bekommen wird.

Er gehört zur wachsenden Zahl von Schweizer Jugendlichen, denen von ihrem Psychiater eine «Geschlechtsdysphorie» attestiert wird. Er ist also gefangen im falschen biologischen Geschlecht. Doch inzwischen ist Jo wohl der erste Transgender-Mann im Land, der seine Therapie wegen der Untersuchung einer staatlichen Aufsichtskommission abbrechen musste.

Dahinter steckt eine Vereinigung von Eltern unter dem Namen amqg.ch, die sich Anfang Jahr in Genf formierte. In ihren Augen werden manche irreversiblen Hormontherapien bei Teenagern zu schnell verschrieben. Der Fall der Britin Keira Bell wurde weltweit bekannt, nachdem die Transgender-Frau vor Gericht geklagt hatte, ihr sei die Therapie vorschnell verabreicht worden. Sie sei zum Mann gemacht worden und bereue das nun.

Eltern zeigten inzwischen zwei Ärzte bei der Genfer Aufsichtskommission über die Gesundheitsberufe an. Einer der beiden Beschuldigten ist der Arzt von Jo.

Nun wird bekannt, dass die Kommission eine Untersuchung gegen die beiden Ärzte einleitete. Je nach Resultat könnte das weitreichende Konsequenzen für Schweizer Transgender-Jugendliche haben.

Es drohen Bussen bis 20’000 Franken

Die Kommission führt solche Verfahren laut Gesetz nur, wenn ein Fall von «übergeordnetem öffentlichem Interesse» vorliegt. Sollte sie am Ende Verstösse finden, kann sie Sanktionen aussprechen. Das können einfache Verwarnungen oder Geldstrafen bis zu 20’000 Franken sein. Die Kommission kann aber auch dem Gesundheitsdepartement empfehlen, ein Berufsverbot auszusprechen. Werden die Ärzte am Ende gerügt, hätte das wohl breite Auswirkungen auf die Hormontherapie in der Schweiz.

«Wir sind keine Anti-Trans-Bewegung», versichert Helen Calle-Lin, die der Elternvereinigung amqg.ch nahesteht. Die Bar- und Restaurantbesitzerin ist Mutter eines betroffenen Jugendlichen. Sie sagt, der Psychiater habe bei ihrem Kind schon nach drei bis vier Sitzungen grünes Licht gegeben, um die Brüste zu amputieren und Hormone zu verabreichen. Das sei viel zu schnell für eine irreversible Behandlung, die das Leben für immer verändere.

Die beiden beschuldigten Ärzte streiten über ihre Anwälte jegliches Fehlverhalten ab. Sie hätten in «strikter Übereinstimmung mit den Regeln ihres Berufs» gehandelt. Die Diagnosen seien weder zu schnell noch unsachlich gestellt worden und immer im Einklang mit den Wünschen der Jugendlichen.

Jo bestätigt das. Er unterstützt seinen Arzt. «Die Behandlung ist das, was ich wollte», sagt er. Von Gesetzes wegen dürfen ihm beide Elternteile nicht reinreden. Tatsächlich kann in der Schweiz auch ein minderjähriger Jugendlicher ohne Zustimmung seiner Eltern eine Behandlung beantragen, solange er urteilsfähig ist. Doch wegen der Untersuchung gegen ihn hat Jos Arzt die Behandlung nun gestoppt.

Die liberale Praxis in der Schweiz steht auf dem Spiel

Damit eskaliert auch in der Schweiz ein Konflikt zwischen Ärzten und Eltern, der im Ausland schon zu harten politischen Auseinandersetzungen führte. Auf der einen Seite stehen die skeptischen Eltern. Andererseits versichern zahlreiche Schweizer Expertinnen, dass solche Behandlungen in vielen Fällen absolut notwendig seien. Sie müssten zum Wohle der Jugendlichen gerade in der Pubertät durchgeführt werden und verliefen in praktisch allen Fällen erfolgreich. Die überwiegende Zahl der Transgender-Männer sei mit ihrer neuen Identität zufrieden.

Doch die Eltern haben noch einen zweiten Einwand. Die Medikamente für die Hormontherapie, Nebido und Testoviron, sind von den Herstellern explizit nur für Männer und nicht für biologische Frauen und Mädchen bestimmt. Auch die Schweizer Heilmittelbehörde Swissmedic hat diese Medikamente nicht für die Behandlung von Geschlechtsdysphorie zugelassen.

Auf Nachfrage sagt die Behörde jedoch, eine solche Verwendung als Off-Label-Medikament sei dennoch zulässig, wenn der Arzt das Medikament verschreibe und ein medizinischer Konsens bestehe, dass die Anwendung angezeigt sei. «Die Hormontherapie ist gemäss unseren Informationen professionell gut abgestützt», sagt Swissmedic.

Konflikte können zu verschärften Gesetzen führen

Auch das Unispital Genf versichert auf Anfrage, der Off-Label-Gebrauch auch bei Kindern und Jugendlichen sei «sehr häufig». In den beiden Fällen, die von den Eltern beanstandet wurden, hatte neben dem Psychiater auch ein Arzt des Unispitals die Anwendung der Hormontherapie erlaubt.

Welche Auswirkungen das Verfahren in Genf auf die bislang liberale Praxis mit Hormontherapien in der Schweiz hat, ist noch unklar. Im Ausland haben solche Konflikte aber in verschiedenen Fällen zu verschärften Gesetzen geführt. In Grossbritannien hat die Justiz nach dem Fall Keira Bell die Therapien gar ausgesetzt.

Jo lässt sich davon nicht abhalten. «Ich möchte diese Hormonbehandlung machen», sagt er, «ich will mich endlich in meinem Körper wohlfühlen.»
(https://www.derbund.ch/zwei-aerzte-erlaubten-transgender-behandlungen-untersuchung-laeuft-937876115327)


+++RECHTSPOPULISMUS
Die freie Schweiz gegen die links-grünen Städte verteidigen! – SVP-Parteipräsident Marco Chiesa
Rede von SVP-Präsident Marco Chiesa zum 1. August 2021
https://www.youtube.com/watch?v=YgLzNEZNX0w


+++FREIRÄUME
bernerzeitung.ch 01.08.2021

50 Jahre Gaskessel Bern: «Der ‹Chessu› ist, was wir aus ihm machen»

Seit 1971 bebt und lebt es unter den Kuppeln an der Aare und darum herum. Generationen kommen und gehen, eins bleibt gleich: Junge bestimmen über das Jugendzentrum.

Nina-Lou Frey

Bunte Fahnen und alte Turnschuhe, welche an einem Seil befestigt sind, baumeln in der Luft. Man hört, wie Skateboards über den Boden schleifen und wie irgendwo in der Ferne ein Velo bremst. Eine junge Familie mit Kinderwagen spaziert vorbei, während eine Gruppe von Jugendlichen auf dem Pingpongtisch vor dem Berner Gaskessel chillt.

Ob sich vor 50 Jahren hier ums Kulturzentrum oberhalb des Marzilibads ähnliche Szenen abgespielt haben?

Jugendliche bestimmen

Schwer zu beurteilen als Aussenstehende, welche die Berner Jugendunruhen der 1970er-Jahre nicht miterlebt hat. Auf Archivbildern zeigen sich die beiden Eisenkuppeln zwar in einem ähnlichen Gewand, aber der Aussenraum ist deutlich grüner geworden. Vor allem gehen hier andere Menschen ein und aus als bei der Gründung 1971. Eine davon ist Marlou Thalheim, Vorstandsmitglied des Vereins.

An diesem Samstagnachmittag laden sie und die Vereinsmitglieder ein, einen Blick hinter die äussere Szenerie, hinein ins verwobene Vereinsleben und in die Betriebsstrukturen zu werfen. Dabei werden keine historischen Bögen geschlagen oder Fakten aufgetischt, sondern Jugendliche bereiten die Jubiläumswoche im September vor (siehe Zweittext). Und sie erzählen, was sie hier eigentlich machen.

Momentaufnahme einer Generation

«Der Gaskessel ist, was wir aus ihm machen», sagt die 21-jährige Thalheim, die sich seit zwei Jahren im Verein engagiert. Der Teamleiter Francisco Droguett, der neben ihr steht, kennt die Kuppeln schon länger. Er meint: «Es war schon früher so, dass die Jugendlichen bestimmten, gestalteten, ausprobierten.» Das Team, welches aus einer Jugendarbeiterin, einem Buchhalter, zwei Bookern, einem Praktikanten und dem Teamleiter besteht, verstehe sich als helfende Hand, um die Ideen der 15- bis 25-Jährigen zu unterstützen.

Es haben sich zwar klare Strukturen gebildet, doch der Gaskessel bleibt eine Momentaufnahme jeder Generation. «Es wird nicht über uns entschieden», sagt Raphael Hofmann, der draussen vor dem «Chessu» sitzt. Man könne sich einbringen und beispielsweise veranlassen, dass eine Band oder ein DJ auftrete, die man gerne höre. «Oder seine ersten eigenen Gigs spielen», so der 25-Jährige, der hier schon Musik auflegte.

Ein Kommen und Gehen

Drinnen im sogenannten Schlauch, dem Verbindungsgang der beiden Kuppeln, bauen Timo Friedli und Sebastian Ramming ein Möbel. Darauf wollen sie ein Siebdruckkarussell befestigen. «Das vorherige Möbel ist nicht so clever gebaut», meint Friedli und schmunzelt. Der, der es gebaut habe, sei unterdessen nicht mehr wirklich aktiv im Team.

«Es ist ein Kommen und Gehen.» Jeder neue Mensch bringe neue Ideen, neue Bedürfnisse und ein anderes Know-how. Das kann auch gefährlich sein. Es gab Zeiten, da zählte der Verein deutlich weniger Mitglieder. 2010 waren es nur noch knapp 80. Das Zentrum schrieb immer wieder rote Zahlen und wurde in seinen Anfängen sogar zeitweise geschlossen.

Unter anderem wegen des ständigen Kommen und Gehen wurde der Verein Pro Gaskessel gegründet. Dazu später mehr.

Lohnanteil an internes Projekt spenden

Bevor Friedli die Bohrmaschine laufen lässt, sagt er: «Sebi hat mir erklärt, wie Siebdruck funktioniert – mehr oder weniger.» Die beiden rätseln aber öfters darüber, warum eine Linie weniger deutlich gedruckt wurde als eine andere. Das Material für den Siebdruck wurde durch Projektstunden finanziert. Wenn jemand eine Nacht lang hinter der Bar steht, kann er oder sie sich eine beliebige Anzahl Stunden nicht auszahlen lassen und diesen Lohnanteil einem Projekt «spenden».

Auf der Terrasse sitzen etwa zehn Jugendliche und reden über die Veränderungen auf dem Gaswerkareal. Wo einst junge Menschen für Freiraum kämpften und in Wagen und Zelten lebten, soll eine Überbauung mit 300 bis 500 Wohnung entstehen. Das scheint die jungen Menschen stark zu beschäftigen. «Als wir einen Plan ohne ‹Chessu› erhielten, machte das Angst», sagt das Vorstandsmitglied Lena Käsermann.

Unterdessen sind diese Pläne verworfen worden. Der «Chessu» bleibt, wo er ist, und darf in verschiedenen Gremien mitreden. «Was sind eure Wünsche, wie es hier weitergeht?», fragt Käsermann in die Runde. Es sei aufwendig, als Verein politisch mitzuwirken, weil nicht eine Person entscheide, sondern eine Person für 200 Menschen spreche. Diskutiert und entschieden wird im Gaskessel an den monatlichen Mitgliederversammlungen und an Sitzungen der Betriebsgruppen. Dabei gelten Mehrheitsentscheide.

Verein für den Verein

Thalheim führt uns weiter auf dem Gang durch das Gebäude. In der Küche wird geschnippelt und gebraten. Giorgio Nadig und Michelle Fryand unterhalten sich davor. Er, Anfang vierzig und ehemaliges Aktivmitglied, gründete den Verein Pro Gaskessel. «Damit das geistige Eigentum nicht verloren geht», erklärt Nadig.

Michelle Fryand setzt mit anderen aktiven «Chessu»-Menschen eine Wanderausstellung um, welche im kommenden Winter starten wird. Dafür ist sie auf Nadig zugegangen, der Erfahrung in diesem Bereich hat. Wie gut dieser Austausch funktioniert, wird die Ausstellung «Geschichte und Geschichten» zeigen.

Anfangs kein Alkoholausschank

Der letzte Workshop findet bei schummrigem Licht im grossen Konzertraum statt. Einige Leute sitzen am Tresen, während der Barverantwortliche Olivier Mathys einen Gin Basil Smash mixt. «Jede und jeder kann hier arbeiten», sagt Mathys. Mindestalter 18, Gastroerfahrung brauche es nicht.

Unter den Leuten sitzt auch jemand, an dessen Haarfarbe zu erkennen ist, dass er deutlich älter ist als die anderen. Er kann sich noch an die Zeiten erinnern, als im «Chessu» nur Cola und Orangensaft ausgeschenkt wurden. Auch sonst habe sich viel verändert. «Wenn es noch so wäre wie vor 50 Jahren, wäre etwas schiefgelaufen.»

Wer ein paar Stunden im «Chessu» verbringt, merkt, wie stark dieser Ort in Bewegung ist. Es wäre sonderbar, nur jemanden dazu zu befragen, was der Gaskessel nach den fünf Jahrzehnten ist – auch wenn Journalistinnen es mögen, Sachverhalte und Entwicklungen auf einen Nenner zu bringen.

Der Gaskessel scheint vielfältig und mehrstimmig zu sein. Oder wie es Lena Käsermann, nun wieder draussen, formuliert: «Hier bin ich Teil von etwas, das grösser ist als ich.»



Von der Dekoration bis zu Erster Hilfe

Vom Frühstück bis zum Abendessen: In der ersten Augustwoche findet unter den Kuppeln eine Art Lager statt. «Durch Corona hat das Vereinsleben stark gelitten», sagt Raphael Hofmann, Vereinsmitglied des Gaskessels. 2020 fanden im Vergleich mit den Vorjahren weniger als die Hälfte der Veranstaltungen statt. Die Zahl von über 35’000 Besucherinnen und Besuchern, der Peak vor vier Jahren, sank auf gegen 15’000 Gäste.

Doch die Veranstaltungen seien nur eine Seite des Betriebs, die andere sei das Vereinsleben. «Wir wollen den Verein wieder spüren», sagt Hofmann. Es gehe vor allem darum, in der «‹Chessu›-Woche» zusammen Zeit zu verbringen. Zudem wird am Jubiläumsprogramm geschliffen, das vom 6. bis am 12. September stattfindet. Die Acts und das grobe Programm stehen, doch die 15- bis 25-Jährigen wollen dekorieren, die Ausstellung weiterentwickeln, Shirts bedrucken und sich in Erster Hilfe weiterbilden.

Da sich alle Gäste werden registrieren lassen, entfällt die Maskenpflicht. Hofmann unterhält sich mit Merlin Lory, welcher als Booker fest angestellt ist. «Das Jubiläumsprogramm soll die jetzige und auch frühere ‹Chessu›-Generationen ansprechen.» Regionale Bands wie Stiller Has und Troubas Kater wurden ebenso gebucht wie die DJ Nur Jaber aus Beirut. Aber auch ehemalige Vereinsmitglieder wie Patrick Podage legen auf. (lou)



Gaskessel auf Bernmobil-Schienen

Seit 50 Jahren pilgern Bernerinnen und Berner zu Tausenden von der Innenstadt in Richtung Marzili zu den markanten Kuppeln des Gaskessels. Der Standort etwas abseits vom Stadtkern habe für ein Jugend- und Kulturzentrum durchaus seine Vorteile, halten die Betreiberinnen und Betreiber in einer Medienmitteilung fest, die sie am Sonntag verschickt haben: «Man ist weniger unter Beobachtung, kann sich ausprobieren und entfalten, darf laut und ausgelassen sein.» Anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums ziehe der Gaskessel nun dennoch in die Innenstadt: «Mit der Unterstützung von Bernmobil fährt vom 1.8.2021 bis zum 31.10.2021 ein ‹Chessu›-Tram durch Bern: Steig ein!» (pd/hae)
(https://www.bernerzeitung.ch/der-chessu-ist-was-wir-aus-ihm-machen-169415723334)