Themen:
– 70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention – was gibt’s da zu feiern?
– Österreich rüstet Grenzen auf
– Neuer Millionen-Deal zwischen britischer und französischer Regierung
– Griechenland: Brutaler Übergriff, fehlende medizinische Versorgung und Betonmauern
– Zapatistas solidarisieren sich mit Sans-Papier Bewegung in Frankreich
– Aufruf 3 Rosen gegen Grenzen: Das Bundesasyllager Camp 50 abgeriegelt
Was ist neu?
70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention – was gibt’s da zu feiern?
Die Regierungen Europas feierten vergangene Woche das 70-jährige Bestehen der Genfer Flüchtlingskonvention. Heute werden die europäischen Regierungen das Kernanliegen der Genfer Flüchtlingskonvention – das Recht auf Schutz – bereits wieder vergessen haben und an den Aussengrenzen Europas, auf dem Mittelmeer oder in den Geflüchtetenlagern mit Füssen treten.
Die Genfer Flüchtlingskonvention entstand nach dem 2. Weltkrieg als Antwort auf den nationalsozialistischen Horror: Nie wieder sollten Schutzsuchende an den Grenzen abgewiesen werden, zurück in die Folter und den Tod. Mit der Genfer Flüchtlingskonvention wurde so 1951 ein Schutzinstrument geschaffen, das Schutzsuchenden bestimmte Rechte zusichern sollte. Auf dem Sondergipfel von Tampere im Oktober 1999 verpflichtete sich die Europäische Union, ein «gemeinsames Asylsystem auf der vollständigen und allumfassenden Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention» aufzubauen und den «absoluten Respekt vor dem Recht Asyl» zu gewährleisten.
22 Jahre später gibt es noch immer kein gemeinsames europäisches Schutzsystem und die Genfer Flüchtlingskonvention wird an den europäischen Grenzen systematisch verletzt. Das Kernanliegen der Genfer Flüchtlingskonvention – das Recht auf Schutz – wird von den Europäischen Regierungen mit Füssen getreten: Tausende Tote im Mittelmeer, systematische Menschenrechtsverletzungen und illegale Pushbacks, sowie Deals mit autoritären Regimen mit dem Ziel der Abschottung.
70 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention – dies ist kein Jubiläum zum Feiern, sondern ein weiterer trauriger Jahrestag, der uns zeigt, dass Menschenrechte in Europa immer noch nicht für alle gelten.
https://www.deutschlandfunk.de/70-jahre-genfer-fluechtlingskonvention-wenn-schutz-an.724.de.html?dram:article_id=500893
https://www.proasyl.de/news/zum-jubilaeum-die-genfer-fluechtlingskonvention-unter-dauerbeschuss/
Was ist aufgefallen?
Österreich rüstet Grenzen auf
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz vergangene Woche verkündeten der österreichische Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und die österreichische Verteidigungsministerin Klaudia Tanner, die Grenze Österreichs zu Ungarn aufrüsten zu wollen. Anscheinend habe Österreich «höhere Aufgriffszahlen» verzeichnet. Ihre Reaktion auf die flüchtenden Menschen, welche nach Österreich kommen wollen, ist folgende: «Wir ziehen daher unser Sicherheitsnetz an der österreichischen Grenze massiv hoch und fordern zusätzliche Soldaten des Bundesheeres an.» Mit anderen Worten: Die österreichische Regierung rüstet die Grenze zu Ungarn massiv auf. 1400 Soldat*innen sollen an den Aussengrenzen aufgestellt werden.
Die katastrophalen Verhältnisse und die Perspektivlosigkeit in den griechischen Lagern sind unaushaltbar. Um ihnen zu entgehen, versuchen viele flüchtende Personen über die Balkanroute Richtung Westeuropa zu gelangen. Auf dem Weg dorthin erfahren zahlreiche von ihnen gewalttätige Pushbacks, unter anderem an der Grenze zwischen Kroatien und Bosnien.
In der Woche, in der die Genfer Flüchtlingskonvention ihr 70-jähriges Bestehen «feiert», welche ein Recht auf Schutz für jede flüchtende Person fordert, verkündet Österreich die Aufrüstung ihrer Aussengrenzen und verhindert damit, dass flüchtende Personen ebendieses Recht wahrnehmen können.
Auch die NZZ hat einmal mehr nichts begriffen: In ihrer Berichterstattung sprechen sie von der «Angst vor einer neuen Flüchtlingswelle». antira.org empfiehl der NZZ, sich einmal mit problematischen Sprachbildern auseinanderzusetzten.
Glossar: Asylantenschwemme, Asylantenflut oder Asylantenstrom
sind Metaphern, die vor allem in den 1980er und 1990er Jahren verbreitet waren. Sie suggerieren, dass es notwendig sei, die Aufnahme von Geflüchteten zu verhindern – diese werden deshalb Naturkatastrophen gleichgesetzt. Wie die Parole »Das Boot ist voll« werden die oben genannten Begriffe als populistische Floskeln und emotional aufgeladene Angstmacherei kritisiert. Inzwischen werden oft die Varianten Flüchtlingsstrom oder »Flüchtlingswelle« gebraucht, die dieselben Assoziationen wecken. Ein neutrales Schlagwort wäre z. B. Fluchtmigration.
https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/kategorie/07-asyl/
Neuer Millionen-Deal zwischen britischer und französischer Regierung
63 Millionen Franken fliessen an die französische Küstenwache und auch Frontex soll auf dem Ärmelkanal zum Einsatz kommen, um Menschen auf der Flucht abzufangen und zurück nach Frankreich zu schleppen.
Der französische Innenminister Darmanin soll persönlich bei seinem Kumpel, Frontex-Chef Maurice Leggeri, angerufen und ihn um einen Frontex-Einsatz an der EU-Nordgrenze zwischen Frankreich und Grossbritannien gebeten haben. Mit der drohenden Verschärfung des britischen Asylrechts geht auch die Bekämpfung und Kriminalisierung von Menschen einher, die versuchen, per Schlauchboot oder Lastwagen den Ärmelkanal zu überqueren. Die Überfahrt ist äusserst gefährlich. Im letzten Jahr starben hierbei mindestens sechs Menschen und drei wurden als vermisst gemeldet. Erst letzte Woche wurden 80 Menschen aus Seenot gerettet. Mit der geplanten Verschärfung des britischen Asylgesetzes geht auch ein Deal von letzter Woche einher, in welchem die britische Regierung knapp 63 Millionen Euro nach Frankreich schickt. Diese fliessen hauptsächlich an die französische Küstenwache, um Menschen auf der Flucht auf dem Ärmelkanal abzufangen und wieder nach Frankreich zu bringen. Dort kommen sie unter elenden Bedingungen und während ständiger Polizeigewalt und Schikane in selbst errichteten Camps in Calais und Dunkirk unter. Es ist ein ähnlicher Deal, wie ihn die italienische Regierung mit der sogenannten libyschen Küstenwache abgeschlossen hat. Auf dem Mittelmeer fängt diese – finanziert durch EU-Gelder – Menschen auf der Flucht ab und schleppt sie zurück nach Libyen, wo sie in Internierungslagern u.a. Folter und moderner Versklavung ausgesetzt sind.
https://www1.wdr.de/nachrichten/wdrforyou/deutsch/wdrforyou-ueber-das-meer-nach-grossbritannien-de-100.html
https://www.tagesschau.de/ausland/frontex-migranten-einsatz-101.html
https://www.spiegel.de/ausland/fluechtlinge-80-migranten-im-aermelkanal-gerettet-a-18796955-d3f6-4965-b95e-75d3338b769d
Griechenland: Brutaler Übergriff, fehlende medizinische Versorgung und Betonmauern
In Griechenland kam es in den letzten zwei Wochen zu mehreren Vorfällen, welche das grausame Vorgehen der griechischen Behörden mit Menschen auf der Flucht deutlich aufzeigen:
– Letzte Woche starb ein Baby in dem ‚vorübergehenden’ Lager Kara Tepe auf Lesbos. Seit Monaten wird darauf hingewiesen, dass die medizinische Versorgung in dem Camp ungenügend ist. Anscheinend war das Kind bereits bewusstlos, als es ins Krankenhaus nach Mytilini gebracht wurde, wo die Ärzt*innen nichts mehr tun konnten. Es drängt sich die Frage auf, ob das Kind noch leben würde, wenn es im Camp angemessen versorgt und rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht worden wäre.
– Am Grenzfluss Evros an der griechisch-türkischen Grenze kam es letzte Woche zu einer weiteren Gräueltat der griechischen Grenzwache. Sie fingen die Transfrau T., welche mit einer Behinderung lebt, an der Grenze ab, verfrachteten sie in einen Lastwagen und nahmen ihr den Ausweis und alle Wertgegenstände ab. Während ihrer illegalen Inhaftierung erfuhr sie sexualisierte Gewalt, sie wurde verspottet und ihr die Nahrung verweigert. Am nächsten Tag wurde sie mit Dutzenden anderen Menschen auf der Flucht auf ein Boot Richtung Türkei verfrachtet. Die griechischen Grenzbeamt*innen versuchten noch, es zum Kentern zu bringen. Es gelang ihnen jedoch nicht und das Boot erreichte die Türkei. T. ist indes auch dort Gefahren ausgesetzt. Es gründete sich die Initiative #Justice_for_T., welche „entschlossen ist, ihr solidarisch zur Seite zu stehen, T. Recht zu verschaffen und einen Kampf zu entwickeln, um die illegalen und oft mörderischen Abschiebungen an den griechischen Grenzen zu stoppen.“
– In just dem Grenzgebiet, in dem T. Gewalt erlitt, ziehen die griechischen Behörden weiterhin eine Grenzmauer hoch. Zudem ist seit dieser Woche auch ein Frontex-Luftschiff mit Thermalkameras und anderen Beobachtungsgeräten im Einsatz. Dass die Überwachung nicht dem brutalen und illegalen Vorgehen der Grenzbeamt*innen gilt, ist eindeutig. Die Überwachung soll vielmehr der Kontrolle von Menschen auf der Flucht und nicht ihrem Schutz dienen.
– Ähnlich wie am Grenzfluss Evros, wurde im Camp in Ritsona der Bau der drei Meter hohen Betonmauer abgeschlossen. Auch hier werden die Verhältnisse verdreht und in bekannter Manier diejenigen kriminalisiert, welche Zuflucht suchen.
https://medium.com/are-you-syrious/ays-daily-digest-21-07-2021-baby-dies-in-kara-tepe-where-was-the-medical-help-1322158b2f7c
https://www.facebook.com/JusticeForOurSisterT/
https://medium.com/are-you-syrious/ays-daily-digest-27-7-21-a-shocking-complaint-of-an-asylum-seeker-mistreated-upon-arrival-to-46e6d5c7bda8
Was nun?
Aufruf 3 Rosen gegen Grenzen
WIR RUFEN ALLE MIGRANTINNEN UND ALLE FREUNDINNEN ZUR SOLIDARITÄT AUF‼ DAS BUNDESASYLLAGER CAMP 50 BASEL ABGERIEGELT!
Als Grund wird Corona angegeben. Das Staatssekretariat bringt Geflüchtete seit Jahren in beengten Lagern unter, anstatt dass sie menschenwürdig in Wohnungen leben könnten. Im Camp 50 schlafen bis zu 8 Personen pro Zimmer. Es gibt für über 100 Menschen nur einen Essraum. Es gibt keine ausreichende Gesundheitsversorgung im Lager, das Essen ist ungesund und die Psyche der Menschen wird durch die Campmauern, die herablassende und gewaltvolle Behandlung und die ständige Unsicherheit über die Zukunft schwer belastet. Und wenn dann Menschen krank werden, schliesst das SEM die Menschen gänzlich ein. Das können wir nicht hinnehmen.
Lager SCHLIESSEN – nicht ABschliessen!
#NoLager #GegenLager #noborders
Aus dem Lager schreiben uns die betroffenen Menschen:
Wir akzeptieren die unmenschliche Bedingungen für Flüchtlinge nicht!
Die Lagerleitung, die im Basler Lager Nr. 50 mehr als 100 Flüchtlinge gewaltsam aus ihren Zimmern entfernte, hat heute mitgeteilt, dass das Lager unter Quarantäne gestellt wird. Da alle Immigranten aus ihren Zimmern entfernt werden, werden die Immigranten aufgrund der Ausgangssperre welche 10 Tage dauern wird, im Lager eingesperrt, wo die Hygienebedingungen ohnehin schon schlecht sind, und das noch in Zimmern mit 8 Personen! Als Grund wurde die Corona Ansteckung einiger Menschen erklärt.
Natürlich wissen wir, dass ernsthafte Massnahmen gegen Corona notwendig sind, aber diese Verbote dienen nicht dem Schutz der Gesundheit der im Lager verbleibenden MigrantInnen, sondern um die MigrantInnen von der Gesellschaft zu isolieren, die Überführungsprozesse zu verzögern und um sie einzusperren und so psychisch zu zermürben! Ein De-facto-Gefängnis wird geschaffen.
Wir fordern, dass die Lagerleitung so schnell wie möglich gesunde und menschliche Entscheidungen trifft.
Wir werden die Methode der Bestrafung unter dem Namen Quarantäne nicht akzeptieren.
ANFRAGEN
1-Beschaffung von Hygienematerialien und Öffnung des Weges zur individuellen Reinigung, Zugänglichkeit von Hygienematerialien in Gemeinschaftsräumen (Desinfektionsmittel, Masken, Feuchttücher, Servietten, Handschuhe)
2-Erreichbare Sozialarbeiter, um falsche und unvollständige Informationen durch Securitas und ORS zu verhindern und den Grundsatz der Transparenz zu gewährleisten.
3- Den Covid-Managementprozess auf vernünftigere Weise durchführen, anstatt die Autorität über das Lager zu erhöhen und zu unterdrücken (rechtzeitige Tests und Impfungen)
4-Ordnen der Zugangszeiten zum Camp und zu den Zimmern (den Raum zwischen 8 – 11 Uhr nicht betreten zu können)
5- Durchführung des Camps, das für Kinder und Familien sehr schwierig ist, in einer geeigneten Umgebung, in der die Psychologie der Kinder nicht beeinträchtigt wird.
Die Migrant*innen von Bundesasylzentrum_Basel (50. Kamp)
https://www.facebook.com/101224781613505/photos/a.133181428417840/357437802658867/
Wo gabs Widerstand?
Zapatistas solidarisieren sich mit Sans-Papiers-Bewegung in Frankreich
In Montreuil (Frankreich) fand Ende Juli eine Demonstration für die Rechte von Sans-Papiers statt. Die zapatistische Delegation, welche momentan in Europa unterwegs ist, hat gemeinsam mit Mitgliedern der französischen Sans-Papiers-Bewegung demonstriert.
Die geflüchteten Personen forderten mit ihrem Protest «Papiere für alle, würdige Wohnräume, die Schliessung von Auffanglagern in ganz Frankreich». Über 400’000 Sans-Papiers leben momentan in Frankreich – unter prekären Bedingungen und in stetiger Unsicherheit. Dem Protest der französischen Sans-Papiers-Bewegung und ihrer Forderung nach Regularisierung haben sich die Zapatistas angeschlossen, welche sich momentan auf ihrer «Reise für das Leben» in Europa aufhalten. Die zapatistische Delegation ist nach Europa gekommen, um sich mit Mitgliedern von sozialen und Widerstandsbewegungen in ganz Europa zu treffen. Die Zapatistas sind widerständige, selbstorganisierte indigene Personen und Gemeinden in Mexiko, welche sich gegen Unterdrückung, Landnahme, kapitalistische Verhältnisse, Neoliberalismus und konkret gegen das Freihandelsabkommen NAFTA und dessen Folgen wehren. Auf ihrer Europareise werden die Zapatistas auch in Basel vorbeikommen.
https://amerika21.de/2021/07/252889/escuadron-421-reise-europa-sans-papiers
https://www.instagram.com/girazapatistabasel/?hl=de
https://desinformemonos.org/escuadron-zapatista-se-une-a-protestas-de-los-sin-papeles-en-paris/
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Todesursache institutioneller Rassismus
Antirassistische Initiative dokumentiert Suizide und Selbstverletzungen von Geflüchteten
https://www.jungewe lt.de/artikel/407014.asylpolitik-todesursache-institutioneller-rassismus.html
Zum 70. Geburtstag steht die Genfer Flüchtlingskonvention unter Beschuss
1951 galt die Genfer Flüchtlingskonvention im Schatten des Zweiten Weltkriegs als große Errungenschaft. Heute wenden sich immer mehr Staaten von ihren Verpflichtungen ab.
https://www.migazin.de/2021/07/28/jahre-genfer-fluechtlingskonvention-lehren-geschichte
Das geheime Netzwerk der Hammerskins-Chapter in Deutschland: Teil 2
https://exif-recherche.org/?p=9146