Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
6 Jahre Suruc – 20 Jahre Genua
Suruç und Genua kein Vergeben, kein Vergessen!
Kleine Gedenkaktion in Bern für die gefallenen Genoss*innen
https://barrikade.info/article/4673
+++KNAST
„Made in Germany“ – Wer von der Arbeit in Gefängnissen profitiert
Deutsche Gefängnisse lassen ihre Insassen für private Firmen arbeiten – zu einem Bruchteil des Mindestlohns. Die Justiz will geheim halten, wer davon profitiert. Kritiker sprechen von „purer Ausbeutung“. Auch in Spanien lassen deutsche Konzerne Gefangene für sich arbeiten. Die spanischen Gewerkschaften vergleichen die Arbeitsbedingungen mit Sklaverei.
https://correctiv.org/aktuelles/justiz-polizei/leben-im-gefaengnis/2021/07/21/made-in-germany-wer-von-der-arbeit-in-gefaengnissen-profitiert/
+++BIG BROTHER
Schriftstellerin Sibylle Berg: «Oft verzögern Geheimdienste die Terrorbekämpfung»
Die Schriftstellerin Sibylle Berg hat für ihren Roman «GRM Brainfuck» mit über 50 Wissenschafterinnen und Wissenschaftern gesprochen. Sie ist überzeugt, die Spionagesoftware Pegasus sei nur die Spitze des Eisbergs.
https://www.aargauerzeitung.ch/kultur/oft-verzogern-geheimdienste-die-terrorbekampfung-ld.2166690
+++RECHTSEXTREMISMUS
„Für den morgigen Sonntag rufen die Jungnazis der «Junge Tat» wieder zu einer Wanderung, diesmal im #Thurgau, auf. Vorherige Veranstaltungen wurden u.a. mit #Nazis aus dem Ausland, wie z.B. der italienischen, rechtsterrorsistischen Zelle «Avanguardia Rivoluzionaria» durchgeführt.„
(https://twitter.com/antifa_bern/status/1418981028899827721)
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
tagblatt.ch 24.07.2021
«Der Text lässt jeden Anstand vermissen»: Nach Genozidvergleich distanzieren sich Autorinnen und Autoren vom Onlineportal «Die Ostschweiz»
In einem Beitrag des Magazins «Die Ostschweiz» fragt sich ein Gastautor, ob der Bundesrat mit seiner Impfkampagne gerade Genozid am eigenen Volk begeht. Mehrere prominente Schreibende sagen sich nun von der Publikation los.
Janina Gehrig und Odilia Hiller
Ein Plattenboden. Blutverschmiert. Daneben in Kreide die Umrisse eines Körpers. Ein Mensch, der zu einem Opfer wurde. Das Bild ziert einen Beitrag, den das Ostschweizer Onlinemagazin «Die Ostschweiz» am Donnerstag aufgeschaltet hat.
Der Text des Gastautors Rolf Bolt mit dem Titel «Verbrechen gegen die Menschheit» wirft die Frage auf, ob der Bundesrat mit seiner Impfkampagne gerade einen Genozid am eigenen Volk begeht. Der Covid-19-Impfstoff sei ein «genmanipulierendes Zellgift», woran Tausende gesunde Menschen weltweit kurz nach der Injektion sterben würden, wird etwa im zweiten Satz behauptet.
Bundesrat Alain Berset wird als «schwerkranker Psychopath» bezeichnet, der es zulasse, dass Menschen krank werden oder sterben. «Wie viele Leben darf er denn noch ruinieren und auslöschen? Und wollen wir wirklich auch noch unsere Kinder und Jugendlichen opfern?», fragt der Autor, der als «Krisen- und Veränderungsbegleiter, Impulsgeber und Fachmann im Bereich Arbeitsintegration» bezeichnet wird. Weiter unten behauptet der 61-Jährige aus dem Bündnerland, auch Babys würden bereits geimpft. Der Wahn nehme immer extremere Formen an. «Mir fällt dazu nur noch das Wort ‹Völkermord› ein.» Und weiter unten: «Genozid ist ein schweres Verbrechen! Hört sofort auf damit!!!»
Ist das Onlineportal, das mit den Beiträgen seiner Gastautoren Debatten anstossen möchte, damit zu weit gegangen?
Frühere Medienpartner und Autoren distanzieren sich
Die Olma-Messen, die im Rahmen des «Offamagazins» mit der «Ostschweiz» zusammengearbeitet hatten, distanzieren sich vom Inhalt des Beitrags. Olma-Direktorin Christine Bolt, die nicht mit dem Gastautor verwandt ist, sagt, mit dem Beitrag von Rolf Bolt sei eine Linie überschritten worden. Das Magazin könne sich nicht aus der Verantwortung ziehen, wenn solche Aussagen verbreitet würden. «Man muss sich die Frage stellen, inwieweit man extremen Meinungen Raum geben möchte.»
Christine Bolt macht einen Vergleich: «Das wäre, als würden wir die Olma-Halle einer extremistischen Gruppierung vermieten und sagen: Wir haben nichts damit zu tun, das sind nur unsere Mieter.» Bolt hält fest, dass mit der «Ostschweiz» keine fixe Partnerschaft bestehe.
Derzeit sei keine weitere Zusammenarbeit geplant. Die Olma-Messen unterstützten die Strategie des Bundes und hielten sich an dessen Vorgaben. «Wenn dieser für den Besuch von Grossveranstaltungen oder Messen das Covid-Zertifikat für Geimpfte, Getestete oder Genesene voraussetzt, dann setzen wir das so um», sagt sie.
Der St.Galler SP-Kantonsrat und VCS-Präsident Ruedi Blumer, der als Autor des Magazins genannt wird, hält den Beitrag von Rolf Bolt für eine massive Entgleisung. «Jede anständige Zeitschrift veröffentlicht so was nicht.»
Der Inhalt sei nicht nur «entsetzlich und widerlich», sondern gegenüber Bundesrat Alain Berset auch «ehrverletzend und verleumderisch». Das Magazin sei zu einem Blatt verkommen, das zügellosen Wutbürgern eine Plattform biete.
Auch die St.Galler SP-Nationalrätin Barbara Gysi findet es «unglaublich, derartige Pamphlete zu verbreiten». Eine offizielle Onlinezeitung, die solch abstruse Aussagen publiziere, könne nicht mehr ernstgenommen werden. Man könne bezüglich Impfung verschiedene Haltungen vertreten, und sie akzeptiere, wenn sich jemand nicht impfen lassen wolle. Darum gehe es bei solchen Texten aber gar nicht mehr. Diese würden nur noch «abstruse Verschwörungstheorien» verbreiten, sagt Gysi.
Susanne Vincenz-Stauffacher, St.Galler Nationalrätin und Präsidentin der FDP Frauen Schweiz, sagt, ihr habe es beim Lesen des besagten Artikels die Sprache verschlagen. «Das ist jenseits von Gut und Böse, die Vergleiche mit einem Genozid sind unerträglich. Dieser Text lässt jedes Geschichtsverständnis, jede Relation und jeden Anstand vermissen.»
Sie nehme zur Kenntnis, «dass die ‹Ostschweiz› einem solchem Autor und einem solchen Gedankengut Platz lassen möchte, und zwar nicht als Leserbriefschreiber, sondern als Gastautor mit wiederkehrenden Beiträgen», sagt Vincenz-Stauffacher.
Ungewollt auf der Autorenliste geblieben oder gelandet
Sowohl Barbara Gysi als auch Ruedi Blumer und Susanne Vincenz-Stauffacher zeigen sich überrascht darüber, nach einem einmaligen Beitrag noch immer auf der Autorenliste des Magazins zu erscheinen. «Es war mir gar nicht bewusst, dass ich immer noch auf der Autorenlisten der ‹Ostschweiz› stehe», sagt etwa Vincenz-Stauffacher. Daraus werde sie ihre persönlichen Schlüsse ziehen.
Gysi hat ihre Kolumnentätigkeit «per sofort» eingestellt. Und auch Blumer sagt: «Mein Beitrag vom April 2018 wird unter diesen Umständen mein einziger für ‹Die Ostschweiz› bleiben.»
Wie kommt der Bundesrat auf die Autorenliste?
Doch auf der Autorenliste der «Ostschweiz» stehen auch Namen, die noch gar nie einen Beitrag für das Portal geschrieben hatten. So wurde bis am Freitagnachmittag auch FDP-Bundesrat Ignazio Cassis aufgeführt. Ohne vorgängig darüber informiert worden zu sein, wie es aus dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) heisst. Ignazio Cassis hatte ein Vorwort für den Reiseführer «Die schönsten Schweizer Dörfer» geschrieben, das über die Website der «Ostschweiz» zu vergünstigten Preisen bezogen werden konnte. Wenige Stunden nach der Anfrage beim EDA verschwand Cassis denn auch von der Autorenliste.
Was sagt Geschäftsführer und Chefredaktor Stefan Millius zu den Vorwürfen?
Millius schlägt in dieselbe Kerbe wie sein Gastautor
Auf die Frage, welche Vorgaben für Gastautoren gelten, schreibt Millius: «Wir publizieren alles, was nicht im Widerspruch zum Strafgesetzbuch steht, weil wir an das freie Wort glauben.» Die Fassungslosigkeit über den publizierten Artikel könne er nicht nachvollziehen. Fassungslos mache ihn eher, dass die Diskriminierung von Nichtgeimpften von der breiten Masse völlig emotionslos zur Kenntnis genommen werde. Er sehe es als Aufgabe an, «kritischen Stimmen» eine Plattform zu geben.
Auch den Vorwurf, mit solchen Texten würden Verschwörungstheorien verbreitet, lässt Millius nicht gelten. «Wir verbreiten nichts, was nicht bereits Realität ist», schreibt er. Die Aussagen Rolf Bolts, Tausende seien an der Impfung bereits verstorben oder würden durch die Covid-19-Impfstoffe schwer krank werden, scheint demnach auch Millius für Aussagen zu halten, die keiner Korrektur bedürfen.
«Die Kritik am Bundesrat sollte im Rahmen des Anstands erfolgen»
Der Bundesrat nimmt den Gastartikel derweil zur Kenntnis. «Die kritische Auseinandersetzung mit der Amtsführung des Bundesrats gehört zu unserer Demokratie. Die Kritik darf hart sein, sie sollte aber im Rahmen von Anstand und innerhalb der Fakten bleiben», schreibt Ursula Eggenberger, Leiterin Sektion Kommunikation der Bundeskanzlei, auf Anfrage.
Bei den Entscheiden von Bundesrat und Kantonen in Zusammenhang mit der Coronapandemie stehe stets im Zentrum, die Gesundheit der Menschen zu schützen und die betroffenen Wirtschaftsbranchen zu stützen. Die Impfung sei – zusammen mit den Hygiene- und Verhaltensregeln – die beste Strategie zur Eindämmung des Coronavirus, und um die Anzahl der schweren Krankheitsverläufe und Todesfälle in der Schweiz zu reduzieren.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/springen-der-ostschweiz-nach-dem-genozidvergleich-die-geldgeber-und-autoren-ab-ld.2166294)
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nzz.ch 24.07.2021
Ein Genozid-Vergleich sorgt in der Ostschweiz für Entrüstung
Ein Ostschweizer Online-Portal publiziert einen Gastbeitrag, der die Impfkampagne des Bundes als Genozid bezeichnet. Politikerinnen zeigen sich empört.
Angelika Hardegger
In sozialen Netzwerken kommt es vor, auf dem Nachrichtenkanal Telegram oder in Foren. In den ungefilterten Echokammern des Internets ist der Vorwurf des Genozids schnell in die Welt gesetzt. Aber auf einem Online-Portal, das Beiträge kuratieren sollte? Auf einem Portal, das sich als Konkurrenz sieht zur grossen Tageszeitung seiner Region?
So geschehen diese Woche in St. Gallen. Das Portal «Die Ostschweiz» publizierte am Mittwoch einen Gastbeitrag, der die Impfkampagne des Bundes mit einem Genozid vergleicht. Der Gesundheitsminister Alain Berset wird als «schwerkranker Psychopath» bezeichnet, der es zulasse, dass «viele bis zum Gen-Schuss noch gesunde Menschen» stürben oder krank würden. Der Verfasser des Textes wirft Bundesrat, Parlament und kantonalen Regierungen vor, dass sie einen «vernichtenden Krieg gegen die eigene Bevölkerung» unterstützen würden.
Der Schreiber, Rolf Bolt, ist laut Personenbeschrieb im Artikel ein «Fachmann für Arbeitsintegration», dem Text nach ein Verschwörungstheoretiker. Dass das Online-Portal «Die Ostschweiz» seine Entgleisungen ungefiltert publiziert, hat in der Ostschweiz eine Kontroverse ausgelöst.
Autorentätigkeit per sofort eingestellt
Das Portal «Die Ostschweiz» positioniert sich als Gegenstimme in der regionalen Medienlandschaft. Chefredaktor Stefan Millius hat seit der Lancierung im Jahr 2017 immer wieder umstrittenen Figuren eine Plattform geboten. Nach dem Genozid-Vergleich distanzieren sich nun Autoren von der Publikation, wie das «St. Galler Tagblatt» berichtet.
Die SP-Nationalrätin Barbara Gysi stellt ihre Autorentätigkeit demnach per sofort ein. FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher sagt im «Tagblatt», der Beitrag lasse «jedes Geschichtsverständnis, jede Relation und jeden Anstand» vermissen. Sie habe gar nicht realisiert, dass sie als Autorin gelistet werde.
Das Onlineportal wird von der Ostschweizer Medien AG herausgegeben, Verwaltungsratspräsident ist Peter Weigelt, der frühere FDP-Nationalrat und PR-Unternehmer. Weigelt ist jüngst auf die nationale Politbühne zurückgekehrt. Er führt das Referendum gegen das neue Mediengesetz an.
Das Komitee will verhindern, dass die vom Parlament beschlossene neue Medienförderung in Kraft tritt. Es ortet in den Subventionen eine Gefahr für die freie Meinungsbildung und damit für die Demokratie. Weigelt kritisiert die Publikation des Gastbeitrags, er schreibt: «Der zur Diskussion stehende Artikel hätte zur Überarbeitung zurückgewiesen werden müssen, da gewisse Vergleiche inakzeptabel sind und die beleidigende Qualifikation von Bundesrat Berset absolut nicht geht.»
Man werde den Text und dessen ungefilterte Publikation am nächsten Treffen von Verwaltungsrat und Redaktion thematisieren. Man wolle Lösungen suchen, «dass solche Texte nicht mehr ohne Rückweisung zur Überarbeitung passieren».
Chefredaktor verteidigt den Autor
Der Chefredaktor der Publikation, Stefan Millius, erklärt sich am Samstag in einer öffentlichen Stellungnahme. Millius, der im Journalistenkomitee gegen das neue Mediengesetz kämpft, verteidigt den Verfasser Rolf Bolt, der «hemdsärmlig und provozierend» schreibe. Den Genozidvergleich beschreibt er als eine von mehreren Passagen im Text, «die sehr weit gehen, für viele Leute zu weit».
Der Artikel müsse im Kontext der Forderung gelesen werden, dass ungeimpfte Angestellte von Heimen oder Spitälern mit Stickern gekennzeichnet werden. Weiter sei der Text geschrieben worden «in Zeiten, in denen die Idee aufkommt, ein eingeführtes Zertifikat, das zum Zutritt zu Veranstaltungen berechtigt, auszuweiten auf weitere Bereiche wie die Gastronomie und andere Teile des gesellschaftlichen Lebens».
Laut Millius würde man den Text aus heutiger Sicht «vermutlich in Absprache mit dem Autor nicht mehr in diesem Wortlaut publizieren, sondern Änderungen vorschlagen». Die persönliche Beschimpfung eines Bundesrats sei «in der Tat grenzwertig» und für den Inhalt des Textes «nicht zwingend nötig». Im Übrigen habe man bisher nur von zwei Gastautoren Reaktionen erhalten auf den Beitrag. Die Liste der Autoren sei dreistellig.
(https://www.nzz.ch/schweiz/ein-genozid-vergleich-sorgt-in-der-ostschweiz-fuer-entruestung-ld.1637268)
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Was man alles darf – und was auf keinen Fall
Der Text eines Gastautors von „Die Ostschweiz“ gibt zu reden. Das soll er auch. Im aktuellen Fall hat die Debatte aber seltsame Begleiterscheinungen ausgelöst. Ein Rückblick – und die Antwort auf die Frage, was wir daraus gelernt haben.
https://www.dieostschweiz.ch/artikel/was-man-alles-darf-und-was-auf-keinen-fall-zzq1bvR
-> https://www.dieostschweiz.ch/artikel/nach-beschimpfung-caroni-reicht-strafantrag-ein-KvyJbko
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Verbrechen gegen die Menschheit
Völkermord, auch Genozid genannt, ist wohl das übelste Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Leben. Sind wir gerade Zeugen von so einem Verbrechen? Und wieso unternimmt niemand etwas dagegen? – Ein Gastbeitrag von Rolf Bolt.
https://www.dieostschweiz.ch/artikel/verbrechen-gegen-die-menschheit-mmxRkrP
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Von Lügnern und Satanistenhuren – das bedrohliche Amalgam der Verschwörungserzähler
https://www.watson.ch/!677835639
Hildmann, Wendler, Schiffmann und Co. | Nach Corona kommt die Flut SinansWoche DIE SHOW
https://www.youtube.com/watch?v=crwIBgHfGfI
+++FREIRÄUME
derbund.ch 24.07.2021
Überbauung Berner Warmbächli: Wie gut gemeinte Wohnbaupolitik das Wohnen verteuert
Genossenschaftlich organisiert überbauen meist linksliberale Akademiker städtische Brachen – und treiben so die Gentrifizierung voran. Eine Beteiligte berichtet über ihr Dilemma.
Rebecka Domig
Nachdem die alte Kehrichtverbrennungsanlage abgestellt und die Mehrheit der Gebäude entfernt worden ist, bleibt eine riesige Leerfläche zurück, die bald ein Verein zur Zwischennutzung übernimmt. In der Folge entsteht auf der Berner Warmbächli-Brache ein Biotop für Pflanzen, Insekten und Menschen, die hier ungeahnte Freiräume besetzen. Das finale Abschlussfest findet so viel Zulauf, dass ich für den Zutritt lange Zeit anstehe. Ich komme mit dem Mann hinter mir ins Gespräch, einem Quartiernachbarn, der die Brache grossartig fand, sich nun aber freut, dass auf dem Areal neuer Wohnraum entsteht. So würden endlich die «richtigen» Leute ins Quartier ziehen, meint er. Sofort ist er wieder da, der Knoten in meinem Bauch. Wer die «richtigen» Menschen für ihn denn seien? Na, Leute, die Deutsch sprechen, die wissen, wie man sich richtig verhält.
Gentrifizierung ist eine Klassenfrage. Weil finanzielle Mechanismen dabei eine grosse Rolle spielen, ist der neoliberalen Stadt eine Logik der sozioökonomischen Klasse und damit auch des strukturellen Rassismus eingeschrieben. Hautfarbe und Muttersprache werden zu Markern, anhand derer die Veränderung der Quartierbevölkerung nachgezeichnet werden kann. Momentan sind die Mieten in Holligen zahlbar und die Mieterschaft ist breit. Nur in Bümpliz und Bethlehem leben noch mehr Berner und Bernerinnen, die keinen Schweizer Pass haben.
Am Abend des Abschlussfests unterhalte ich mich mit einem Bekannten, der sich im Brache-Verein in den letzten Jahren engagiert hat. Ich erzähle ihm von meinem Bauchweh, das sich mit Vorfreude mischt, wenn ich das alte Lagergebäude sehe, in dem jetzt Wohnraum entstehen wird. Auch ich werde hier einziehen. «Wir möchten es doch für alle Menschen schön machen in diesem Quartier», sage ich und komme mir dabei gleichermassen aufrichtig wie dämlich naiv vor. Ich will nicht, dass sich das Quartier unseretwegen verändert. Aber wir sind Teil der Veränderung. «Vielleicht sollte das Ziel sein, dass es sich alle Menschen selber schön machen können in diesem Quartier», sagt mein Gegenüber und führt mir damit pointiert meinen Denkfehler vor.
Die Pionierinnen der Gentrifizierung
Ich würde gern behaupten, dass hier ein riesiges Missverständnis vorliegt, dass ich, eine weisse deutschsprachige Akademikerin, nicht eine prototypische Gentrifizierungstreiberin darstelle. Aber dann sehe ich meine Reflexion im Schaufenster zum Veloladen an der Ecke, dort, wo sich früher ein Sexshop befand, und muss mir eingestehen, dass ich das Klischee doch vortrefflich erfülle. Kulturschaffende mit alternativem Lebensentwurf, eher jünger, kinderlos, gut gebildet, geringes ökonomisches, aber hohes kulturelles Kapital, grosses soziales Netzwerk und weitreichend flexibel?
Das ist keine Selbstbeschreibung, sondern eine Auflistung der Charakteristika, die der Forscher Jörg Blasius der ersten Gruppe im Gentrifizierungsprozess attestiert. Er nennt sie Pioniere und Pionierinnen, die sich günstigen Wohnraum ebenso wünschen wie kreative Möglichkeiten der Raumgestaltung. Pioniere wollen alteingesessene Bewohnerinnen und Bewohner nicht vertreiben; sie sind ihnen mit ihrem Einkommen auch oft nicht überlegen. Durch ihre biografischen Muster und ihren Lebensstil unterscheiden sie sich aber oft von den Menschen, die bereits im Quartier leben.
Lebenswert gleich teuer
Auf einem Quartierrundgang mit einem Stadtforscher bleiben wir auf dem Loryplatz stehen. Er fragt uns, wie wir diesen Platz umbauen würden, wenn wir Immobilienspekulanten wären. Was würde die Miete hier möglichst in die Höhe treiben? Verkehrsberuhigung, aber gute ÖV-Anbindung, eine attraktive Begegnungszone mit Nahversorgung. Erschrocken merke ich, dass sich meine Vorstellung vom guten Leben mit den Voraussetzungen für die Verteuerung decken.
Ich fühle mich ertappt. Später höre ich ein Interview mit Andrej Holm, der in Berlin zu Gentrifizierung forscht und präzisiert: Nicht der feine Kaffeeduft der Rösterei löst einen Gentrifizierungsprozess aus. Schuld daran sind immer steigende Grundstückspreise aufgrund vermuteter Ertragsgewinne. Gentrifizierung sei genau nicht als «natürlicher Ablaufprozess von Phasen konzipiert», es ist grundsätzlich möglich, dass die subkulturelle Pionierphase übersprungen wird und gleich Investoren einfahren. Zwischen deren Aufkreuzen und den kreativen Köpfen, die vorher aktiv waren, gibt es wohl eine Korrelation, aber keine Kausalität.
Wohnbaupolitik ohne Geld
Die Mieten für Genossenschaftswohnungen liegen in der Schweiz im Durchschnitt 24 Prozent unter dem Marktpreis, zum Teil macht der Unterschied sogar 50 Prozent aus. Weil es gemeinnützige Wohnbaugenossenschaften nicht auf Gewinn oder Wertsteigerung abgesehen haben, geben sie den Wohnraum zur Kostenmiete ab. Zu Beginn ist der Mietunterschied zu Wohnungen auf dem freien Markt nicht so gross, aber mit der Zeit werden die Mieten im Vergleich immer günstiger. Wohnbaugenossenschaften halten einen Marktanteil zwischen 3 und 5 Prozent der bewohnten Wohnungen in der Schweiz.
So gesehen, sind sie eine fast schon zu vernachlässigende Kraft im Schweizer Wohnungsmarkt. Mit genossenschaftlichem Wohnungsbau lassen sich die Mechanismen der Immobilienspekulation nur sehr begrenzt beeinflussen – aber man kann damit zumindest punktuell eingreifen. Für mich, die ich weder Immobilien noch Kapital besitze, weder politische Entscheidungsträgerin, Raumplanerin noch Hausbesetzerin bin, ist es eine reelle Möglichkeit, um mich wohnbaupolitisch zu engagieren.
2012 findet sich eine Gruppe von Menschen zusammen, die sich für die Schaffung von genossenschaftlichem Wohnraum in Bern interessieren. Viele davon bewegt das Konzept «Recht auf Stadt», das der französische Soziologe und Philosoph Henri Lefebvre 1968 als Antwort auf die neoliberale Stadt formulierte. Lefebvre stellt sich gegen die Privatisierung von öffentlichem Raum und gegen eine Stadtentwicklung, die der Logik der Immobilienspekulation folgt. Er fordert, dass niemand von den Qualitäten der urbanisierten Gesellschaft ausgeschlossen werden darf.
Stattdessen müsse man sicherstellen, dass alle Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, den Stadtraum kollektiv mitzugestalten, sodass «der Austausch nicht über den Tauschwert, Handel oder Gewinn vermittelt ist». Wir gründen die Genossenschaft Warmbächli und beginnen, unsere Zeit und Energie, unser Wissen und Geld in die Planung eines Wohnprojekts in Holligen zu investieren. Wir wollen zumindest ein weiteres Gebäude dem freien Markt entziehen. Als Genossenschaft in den Wohnungsmarkt einzusteigen, offenbart ein Paradox, das nur schwer aufzulösen ist. Der Architekt und Stadtplaner Ernst Hubeli nennt es «eine Gratwanderung, sowohl ausserhalb als auch innerhalb des freien, kapitalistischen Markts agieren zu wollen».
Das Bauprojekt zieht sich in die Länge; wir verlieren Wetten gegen Freunde, ein potenzieller Einzugstermin verstreicht nach dem anderen. Über einen Zwischennutzungsvertrag können wir ein Stockwerk im alten Lagerhaus bereits nutzen, bevor das Gebäude rechtlich uns gehört. Die Genossenschaft formiert sich an genau dem Ort, an dem später einmal gewohnt werden wird. Hier präsentieren die Planerinnen ihre ersten Entwürfe, hier wird darüber diskutiert, welche Räume privat und welche gemeinschaftlich genutzt werden sollen und welchen Ausbaustandard wir uns leisten können. Vor und nach jedem Treffen fahre ich mit dem Velo durch das Quartier, das bald meine Nachbarschaft werden wird, vorbei am Inselspital und Bremgartenfriedhof, vorbei an alten Industriearealen und alternden Wohnblöcken. Am Abend leuchtet Licht in den Fenstern.
Ein Picknick schlägt noch keine Brücken
Die Arbeitsgruppe Quartier initiiert einen langen Tisch der Nachbarschaft, mit Mitbringbuffet, es soll zwanglos und niederschwellig sein. Der Flyer ist bewusst mehrsprachig gehalten, niemand soll sich ausgeschlossen fühlen. Schweizerisch proper schreiben wir auf die Einladung: Samstag von 13 bis 16 Uhr. Bis 15 Uhr taucht niemand auf, dann kommen doch noch eine Handvoll Mütter mit Kindern. Eine Frau hat somalische Sambusa gebacken, eine zweite bringt Baklava mit. Wir probieren die Spezialitäten und unterhalten uns, zum Teil mithilfe von Dritten, die dolmetschen.
Der Nachmittag, der harzig begonnen hatte, endet mit Herzlichkeit. Am Ende drückt mir eine Frau einen Zettel mit ihren Kontaktdaten in die Hand. Ob wir hier Büros bauen? Sie würde gerne putzen kommen, wir sollen uns melden. Ich schüttle den Kopf. Nein, es würden vor allem Wohnungen werden.
Ich will die Frau nicht enttäuschen und verspreche, dass ich ihren Kontakt weiterleite. Ich weiss nur nicht, an wen genau. Eine Zeit lang liegt ihr Zettel auf meinem Regal, dann verschwindet er zwischen anderen Papieren. Ich verdränge mein schlechtes Gewissen. Dass ich als potenzielle Arbeitgeberin wahrgenommen werde, überfordert mich schlicht. Das gemeinsame Picknick sollte dazu dienen, Brücken ins Quartier zu schlagen, aber der Austausch führt mir vor Augen, dass zwischen uns ein Gefälle der Privilegien besteht, das sich nicht durch ein Picknick nivellieren lässt.
So viel Wohlwollen
Eine Freundin erzählt mir von einem Austauschtreffen der Berner Quartierorganisationen, an dem wohlwollend von unserer Genossenschaft berichtet wird. Als es an dem Treffen darum geht, abzuschätzen, welche personellen Ressourcen man in den verschiedenen Quartieren zukünftig einplanen sollte, meint jemand, Holligen sei mit den Zuzügern und Zuzügerinnen ja gut abgedeckt. Wir werden bereits als soziale und personelle Ressource im Quartier mitgedacht. Für meine Freundin klingt es fast so, als ob man sich die Lösung mancher Problemlagen durch die Quartierneulinge erhoffte. Uns schlägt so viel Wohlwollen entgegen, dass wir die Erwartungen eigentlich nur enttäuschen können.
Mit einem Mal sind wir Immobilienbesitzerin. Wir müssen uns selbst noch an diese Rolle gewöhnen: «Bauherr entschuldigt sich, weil er Graffiti wegputzt», titelt «20 Minuten» einen Beitrag, in dem darüber berichtet wird, dass die Genossenschaft Sprayer bittet, nicht mehr an die eingepackte Fassade der Baustelle zu sprayen. «Nicht weil wir keine Graffiti mögen, sondern weil wir hier günstige Wohnungen bauen wollen und das Entfernen sauteuer ist», schreibt jemand von der Genossenschaft in einer offiziellen Mitteilung auf Facebook.
Unser Bauprojekt lässt die Brache verschwinden
Zum Tag der Nachbarschaft bauen wir auf der Warmbächli-Brache einen Stand auf und laden Menschen ein, ihre Wünsche für das zukünftige Areal aufzuschreiben. «Bitte schickt eure Kinder hier zur Schule!», appelliert jemand. «Keine Luxuswohnungen!» und «Wir wünschen uns echte Durchmischung», schreiben andere. «Die Brache soll bleiben!», reklamieren gleich zwei Personen. Und was nun? Es ist genau unser Bauprojekt, das die Brache zum Verschwinden bringen wird. Wie können wir trotzdem einen Freiraum für das Quartier erhalten? Wer hat hier welchen Einfluss auf Stadtentwicklungsprozesse?
Geld, Recht und Eigentum, zählt Andrej Holm auf. Das seien die drei wichtigsten Steuerungsmöglichkeiten in der Wohnungspolitik. Im Jahr 2014 nimmt die Stadtberner Bevölkerung mit 71,56 Prozent eine Initiative an, die vorsieht, bei Um- und Neueinzonungen von Wohnzonen mindestens ein Drittel der Wohnnutzung mit preisgünstigen Wohnungen zu bebauen oder an gemeinnützige Wohnbauträger abzugeben. Die Wohnungen sollen in Kostenmiete vermietet werden. Ähnlich lautende Initiativen werden in Zürich, Basel und Luzern angenommen. In Holligen werden zur Überbauung vorgesehene Areale vor allem an Wohnbaugenossenschaften abgegeben.
Das Dilemma einer Generation
Bevor die Brache durch einen schön bepflanzten Arealhof ersetzt wird, trinke ich ein letztes Mal mit Freundinnen ein Bier an der Bus Stop Bar und frage mich, ob uns das neoliberale Narrativ der Stadtentwicklung einholen wird. Was, wenn man die Geister gar nicht rief, aber selbst zu ihnen gehört? «Ich hatte schon oft das Gefühl, dass die Wahl unserer Zeit darin besteht, sich vernichten zu lassen oder moralische Kompromisse einzugehen, um handlungsfähig zu bleiben; sich entweder zerstören zu lassen oder zu funktionieren, indem man zur Zerstörung beiträgt.» Die Schriftstellerin Jia Tolentino beschreibt Dilemma und Lebensgefühl einer ganzen Generation, deren Aktionsradius zwischen Gewissen und Gewissensbissen pendelt.
Bin ich gut, weil ich mich für ein Genossenschaftsprojekt einsetze, das bezahlbaren Wohnraum schafft, oder bin ich böse, weil das Projekt so attraktiv ist, dass Hausbesitzerinnen auf die Idee kommen könnten, umliegende Liegenschaften zu vergolden? Ich möchte das Quartier mit Händen fassen, es drehen und wenden, bis sich die Widersprüche meines Handelns auflösen. Wenn ein ehemaliges Industrieareal in ein zeitgenössisches Wohnquartier für siebenhundert Personen umgewandelt wird, dann macht das etwas mit einem Quartier. Ich habe mich dazu entschieden, diese Veränderung mitzugestalten. Wie es jetzt weitergeht, ist offen.
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Rebecka Domig ist Kunsthistorikerin und freie Autorin. Sie ist Mitglied der Genossenschaft Warmbächli.
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Neue Siedlung in Berns Westen
Wo früher die Kehrichtverbrennungsanlage stand, entsteht nun neuer Wohnraum. Insgesamt sind rund 350 Wohnungen für 700 bis 800 Personen geplant. Die Wohnbaugenossenschaft Warmbächli ist nur eine von sechs gemeinnützigen Bauträgerinnen, die diese neue Siedlung im Berner Stadtteil Holligen errichten. Ebenfalls am Projekt beteiligt sind die Fambau-Genossenschaft, Baugenossenschaft Brünnen-Eichholz, NPG AG für nachhaltiges Bauen, Baugenossenschaft Aare-Bern und die Eisenbahner-Baugenossenschaft. Der Bau der sechs Gebäude erfolgt etappenweise. Voraussichtlich im November wird der Umbau der Baugenossenschaft Warmbächli beendet sein. Als letzter Teil der neuen Siedlung soll 2025 das Projekt der Eisenbahner-Genossenschaft abgeschlossen werden. (red)
(https://www.derbund.ch/wie-gut-gemeinte-wohnbaupolitik-das-wohnen-verteuert-835688493978)