Medienspiegel 15. Juli 2021

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+++BERN
derbund.ch 15.07.2021

Support für Berner Le-Beizli-Lehrling: Dank UNO-Klage Ausschaffung verzögert

Trotz negativem Asylentscheid in der Schweiz, können Flüchtlinge nicht ausgeschafft werden, wenn sie einen UN-Ausschuss einschalten. Ein seltenes Vorgehen, das zunehmen könnte.

Alexandra Elia

Plötzlich gibt es für Omar Habibi* wieder einen Lichtblick. Eigentlich hätte der Le-Beizli-Kochlehrling die Schweiz im Januar verlassen müssen. Weil sein Asylgesuch abgelehnt wurde, verlangen die Behörden seine Ausschaffung nach Afghanistan sowie den Abbruch seiner Ausbildung. Sowohl für den motivierten Lehrling wie auch seinen Lehrbetrieb, die KG Gastrokultur, war dies ein schwerer Schlag.

Die Lage schien aussichtslos. In der Schweiz hat Habibi alle rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Um doch noch in der Schweiz bleiben zu können, hat er sich nun an die UNO gewandt: Gemeinsam mit Unterstützerinnen aus seinem Umfeld hat er gegen den negativen Asylentscheid beim Genfer UN Committee Against Torture (CAT) eine Klage eingereicht.

Dabei handelt es sich um ein ausserordentliches Rechtsmittelverfahren. Das verschafft Habibi Zeit. Denn laut Staatssekretariat für Migration (SEM) darf er nicht ausgeschafft werden, solange das Verfahren um die CAT-Beschwerde hängig ist. Erfahrungsgemäss nimmt ein offenes Verfahren bei einem UN-Ausschuss zwei bis vier Jahre in Anspruch. So gewährt die Beschwerde bis zum endgültigen Entscheid eine gewisse aufschiebende Wirkung.

Daher hat das SEM Habibis Ausreisefrist verlängert. Vorerst darf er bis im November in der Schweiz bleiben und kann seine Ausbildung fortführen. Dies wurde in einem Schreiben des Regierungsrats festgehalten, das dieser Zeitung vorliegt.

«Absolute Ausnahme»

Dieser Weg über die UNO wird selten eingeschlagen. Das kantonale Amt für Bevölkerungsdienste spricht beim Fall Habibi von einer «absoluten Ausnahme». Beim SEM gehen jährlich rund 20 Meldungen von UNO-Vertragsorganen ein. Die kommen aber längst nicht nur vom CAT. Die Anzahl solcher Klagen dürfte also noch geringer ausfallen.

Wie ist zu erklären, dass dieser Beschwerdeweg so selten genutzt wird? Etwa weil er kaum bekannt ist? Eher nicht: Die meisten Expertinnen und Experten des internationalen Asylrechts wissen von dieser Möglichkeit. Damit eine Beschwerde eingereicht werden kann, müssen jedoch gewisse Bedingungen erfüllt sein. Erst wenn alle anderen staatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft sind, das Anliegen schwerwiegender Art ist und auf nachprüfbaren Fakten beruht, kann die UNO eingeschaltet werden.

Laut Matthias Rysler vom Solidaritätsnetz Bern ist es für Geflüchtete schwierig, eine UNO-Klage einzureichen. Vielen Betroffenen sei die Möglichkeit gar nicht erst bekannt, und sie hätten auch selten die finanziellen Mittel, um eine Beschwerde finanzieren zu können. Denn das Verfahren sei meist aufwendig, und es kann zu hohen Kosten führen. Die Klage muss darüber hinaus in einer Sprache der UNO verfasst werden, was für viele schwierig umzusetzen sei.

Rysler vermutet jedoch, dass in Zukunft Klagen an die UN-Komitees zunehmend in Betracht gezogen werden. Den Grund sieht er bei der Arbeit der Justiz. «Bei vielen Entscheiden des Bundesverwaltungsgerichts wird unserer Meinung nach nicht genau hingeschaut.» Würde die UN-Beschwerde zugänglicher gemacht, hätten Flüchtlinge die Möglichkeit, negative Asylentscheide anzufechten.

Differenzen in der Politik

Dass negative Asylentscheide Lehrabbrüche erzwingen, ist ein altes Problem. Für Jürg Schneider ist dieses grundsätzlicher Natur. «Viele Asylsuchende warten auf eine Lösung. Gleichzeitig würden viele Lehrmeister sie sofort wieder anstellen, wenn es denn möglich wäre», sagt der Ökonom, der sich seit Jahren in der Berner Aktionsgruppe Nothilfe engagiert und auch Habibis Fall begleitet. Wer aufgrund eines rechtskräftigen negativen Asylentscheids aus der Lehre falle, tauche unter oder müsse in einem Nothilfezentrum auf Kosten der Kantone und ohne Perspektiven herumhängen.

Das Thema beschäftigt die Politik seit geraumer Zeit. Nachdem vergangenes Jahr der Nationalrat die Motion «Keine Lehrabbrüche bei Asylsuchenden nach Negativentscheid» angenommen hatte, folgte im März der Dämpfer im Ständerat, der das Begehren ablehnte. Mit der Revision des Asylverfahrens und der Beschleunigung der Entscheide stelle sich diese Problematik gar nicht mehr.

Furcht vor den Taliban

Ein wichtiger Punkt bei Ausschaffungsentscheiden ist, ob eine Rückkehr in das Herkunftsland zumutbar ist. Dabei gehen die Ansichten von Behörden und Betroffenen oft stark auseinander. So auch in Habibis Fall. Eine Ausschaffung nach Afghanistan, wie sie Habibi droht, wird bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe bereits seit mehreren Jahren als «unhaltbar» eingestuft.

In einer Mitteilung warnt die Schweizerische Flüchtlingshilfe nun vor einer Verschärfung der Lage: Bedingt durch den Abzug ausländischer Truppen sei die Situation im Land unsicherer denn je. Es wird angenommen, dass es zu einer Ausweitung von Kämpfen und einer möglichen Machtübernahme durch die Taliban kommen könnte. Eine Verschlechterung der Sicherheit und der Menschenrechtslage sei daher zu befürchten.

Noch keine Klarheit

Wie es für Omar Habibi weitergehen wird, ist unklar. Da er sich seit bald fünf Jahren in der Schweiz aufhält, hätte er die Möglichkeit, ein Härtefallgesuch zu beantragen. Darauf haben asylsuchende Personen gesetzlich Anspruch, sofern sie sich seit mindestens fünf Jahren in der Schweiz aufhalten und ihre Integration bereits fortgeschritten ist. In der Praxis sieht das aber meist anders aus: Gerade bei Einzelpersonen gewährt das Bundesgericht ein solches Gesuch erst nach über zehn Jahren. Dies hielt der Regierungsrat in einer Stellungnahme zu einem entsprechenden Vorstoss über die Kriterien bei Härtefallgesuchen fest.

* Name geändert



Die Aufgabe der UN-Ausschüsse

Bei den Vereinten Nationen überwachen verschiedene Ausschüsse die Einhaltung der UNO-Konventionen. Dazu gehört beispielsweise die Einhaltung der UN-Kinderrechtskonvention oder der UN-Konvention gegen Folter. Die Schweiz hat diese Konventionen ratifiziert, dementsprechend verpflichtet sie sich dazu, sie einzuhalten. Erst wenn alle internen Wege für eine Beschwerde ausgeschöpft sind, besteht die Möglichkeit einer Klage bei den UN-Ausschüssen. Diese bilden keine gerichtlichen Instanzen, sind aber in der Praxis für die Schweiz verbindlich, da sie diese Verfahren anerkannt hat. Ein UN-Ausschuss kann vorsorgliche Massnahmen erlassen, mit denen der Vollzug einer Ausschaffung vorläufig gestoppt wird, während die Beschwerde vom UNO-Organ inhaltlich geprüft wird. Dies ist notwendig, um mögliche grobe Menschenrechtsverletzungen, wie etwa Folter, zu verhindern. (ela)
(https://www.derbund.ch/mit-aussergewoehnlicher-methode-gegen-die-ausschaffung-663499924466)


+++AARGAU
aargauerzeitung.ch 15.07.2021

215 Personen kamen bisher in die Isolierstation für Asylsuchende – jetzt befindet sie sich im Stand-by-Modus

Der Kanton nutzt den ehemaligen A3-Werkhof in Frick während der Pandemie als Isolierstation für Asylsuchende. Bisher wurden 215 Personen in der Station isoliert. Die Zwischenbilanz fällt positiv aus. Derzeit ist die Isolierstation im Stand-by-Modus – kann aber jederzeit wieder in Betrieb genommen werden.

Nadine Böni

Seit über einem Jahr betreibt der Kanton im ehemaligen A3-Werkhof in Frick – zuvor als Asylunterkunft genutzt – eine Isolierstation für Asylsuchende. Hier werden Personen aus kantonalen und kommunalen Kollektivunterkünften untergebracht, die positiv auf das Virus getestet wurden oder aber engen Kontakt zu positiv getesteten Personen hatten. Sie durchlaufen in Frick die Isolations- und Quarantänezeit.

Zwei Personen wurden hospitalisiert

Eröffnet wurde die Isolierstation während der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020, dann im Sommer vorübergehend geschlossen und im Oktober, als die Fallzahlen wieder stiegen, erneut in Betrieb genommen. Seit der Ersteröffnung wurden total 215 Personen in der Station betreut. Michel Hassler, Sprecher des zuständigen kantonalen Departements für Gesundheit und Soziales, sagt: «Die Belegungszahlen bewegten sich analog der Entwicklung der Fallzahlen in der Schweiz respektive dem Kanton Aargau.»

Im Durchschnitt befanden sich zwischen zehn und 20 Personen in der Unterkunft – maximal können 50 Personen gleichzeitig untergebracht werden.

Es habe immer wieder Krankheitsverläufe mit mittelschweren Symptomen gegeben, so Hassler. «Mehrheitlich wurden die Covid-19-Erkrankungen aber von leichten Symptomen begleitet oder verliefen gar asymptomatisch.»

Zwei Personen aus der Isolierstation mussten im Gesundheitszentrum Fricktal respektive im Kantonsspital Aarau hospitalisiert werden.

24-Stunden-Betreuung gewährleistet

Gesundheit, Betrieb und Sicherheit sind dank einer 24-Stunden-Abdeckung mit Betreuungspersonal gewährleistet. Für die Betreuung hat der Kantonale Sozialdienst einen externen Leistungserbringer beauftragt. «Der Betreuungsdienst ist sehr gut eingespielt und wird täglich rund um die Uhr wahrgenommen», sagt Hassler. Es würden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter «mit einer hohen sozialen Kompetenz» eingesetzt. «Die Abläufe innerhalb der Anlage und mit allen Partnern funktionieren bestens.»

Entsprechend fällt das Zwischenfazit des Kantons positiv aus. Die grösste Herausforderung sei es gewesen, die Isolierstation innerhalb kürzester Zeit betriebsbereit zu machen, sagt Hassler. «Nach der Eröffnung funktionierte der Betrieb weitestgehend einwandfrei.»

Beim Kantonalen Sozialdienst seien denn auch keine negativen Rückmeldungen eingegangen, sagt Hassler. Und weiter: «Die untergebrachten Personen haben sich grossmehrheitlich tadellos an die Vorschriften gehalten. Ausschlaggebend dafür war eine gute Informationsvermittlung an die betroffenen Personen.»

Ein «überaus wertvolles Mittel»

Aktuell befindet sich die Station «im Stand-by-Betrieb», so Hassler. Ende Mai konnte die bisher letzte Person die Isolation in Frick verlassen. Der Sozialdienst aber könne die Anlage bei einem Anstieg der Fallzahlen innert Kürze wieder aktiv betreiben. Hassler: «Solange die Pandemie nicht vorüber ist, möchte der Sozialdienst an dieser für den Asylbereich wichtigen Massnahme festhalten.»

Die Isolierstation in Frick habe sich während der gesamten bisherigen Pandemie als ein «überaus wertvolles Mittel» erwiesen, um die Ausbreitung von Coronafällen in Kollektivunterkünften des Asylbereichs zu verhindern.

Der Betrieb der Station kostet – im aktiven Betrieb – wöchentlich 22’000 bis 27’000 Franken. Die Gemeinde Frick hat die Nutzungsdauer auf die Dauer der Pandemie beschränkt. Längstens jedoch darf der ehemalige Autobahnwerkhof bis zum 31. Dezember 2022 als Isolierstation genutzt werden.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/fricktal/frick-215-personen-kamen-bisher-in-die-isolierstation-fuer-asylsuchende-jetzt-befindet-sie-sich-im-stand-by-modus-ld.2163437)


+++ZÜRICH
Zwei Millionen Franken für die Ärmsten
Das Zürcher Parlament unterstützt das sogenannte Armutsprojekt. Es bewilligt zwei Millionen Franken für die finanzielle Unterstützung von Menschen, die wegen der Corona-Pandemie verarmt sind, aber kein Recht auf Sozialhilfe haben wie die Sans-Papiers.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/zwei-millionen-franken-fuer-die-aermsten?id=12020196


+++SCHWEIZ
Sicherheit und Migration im Mittelpunkt: Bunderätin Keller-Sutter trifft ihre europäischen Amtskolleginnen und Amtskollegen in Slowenien
Am 15. Juli 2021 hat sich Bundesrätin Karin Keller-Sutter anlässlich des informellen Treffens der Ministerinnen und Minister für Justiz und Inneres in Slowenien mit Amtskolleginnen und Amtskollegen ausgetauscht. Die Schwerpunkte der Gespräche waren die neue Schengen-Strategie und die Zusammenarbeit im Migrationsbereich. Im Rahmen der Assoziierung an den Schengen- und Dublin-Abkommen will die Schweiz in beiden Bereichen konstruktiv mitarbeiten. Die Vorsteherin des EJPD nutzte diese Gelegenheit auch für bilaterale Treffen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-84458.html
-> https://www.derbund.ch/keller-sutter-draengt-auf-schengen-dublin-reform-912934050011


+++DEUTSCHLAND
Istanbul-Konvention umsetzen: Schutz vor Gewalt auch für geflüchtete Frauen und Mädchen
PRO ASYL, Flüchtlingsräte und die Universität Göttingen veröffentlichen einen Schattenbericht zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Bezug auf geflüchtete Frauen und Mädchen in Deutschland.
https://www.proasyl.de/news/istanbul-konvention-umsetzen-schutz-vor-gewalt-auch-fuer-gefluechtete-frauen-und-maedchen/


+++EUROPA
Untersuchungsbericht des Europaparlaments: Frontex wusste von Menschenrechtsverletzungen – und tat nichts
Monatelang haben EU-Parlamentarierinnen und Parlamentarier SPIEGEL-Enthüllungen zu illegalen Pushbacks von Flüchtlingen in der Ägäis untersucht. Der Bericht ist eine Abrechnung mit Frontex-Direktor Leggeri – er soll belastendes Material vernichtet haben.
https://www.spiegel.de/ausland/gefluechtete-in-griechenland-frontex-wusste-von-menschenrechtsverletzungen-und-tat-nichts-a-6efe96dc-b4f6-47e9-b4a9-f9b789d2da17
-> https://www.derstandard.at/story/2000128209758/eu-untersuchung-frontex-hat-grundrechtsverletzungen-gebilligt?ref=rss
-> Bericht: https://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2014_2019/plmrep/COMMITTEES/LIBE/DV/2021/07-14/14072021FinalReportFSWG_EN.pdf


Bericht zu Folter in Libyen: „Entsetzliche Vergehen“
Flüchtlinge in Libyen sind massiver Folter und sexueller Gewalt ausgesetzt, heißt es in einem Bericht von Amnesty International. Europa trage eine Mitschuld.
https://taz.de/Bericht-zu-Folter-in-Libyen/!5787039/
-> https://www.nau.ch/politik/international/amnesty-wirft-libyen-missbrauch-und-folter-von-migranten-vor-65965082
-> https://www.jungewelt.de/artikel/406430.festung-europa-folter-im-eu-auftrag.html


+++GASSE
bernerzeitung.ch 15.07.2021

Diebstähle und Messerattacken: Gewalt auf der «Schütz» nimmt wieder zu

In den letzten Wochen häuften sich auf der Schützenmatte gewalttätige Auseinandersetzungen unter nordafrikanischen Gruppen. Einmal mehr verspricht die Stadt zu handeln.

Michael Bucher

Lange war es aufgrund der Pandemiesituation ruhig auf der Schützenmatte in Bern. Doch nach und nach kehrt auf dem Areal wieder Leben ein. Dadurch treten auch die negativen Begleiterscheinungen, die ein solcher Hotspot mit sich bringt, wieder zutage. An den letzten drei Wochenenden musste die Polizei spätnachts mehrmals eingreifen, da jeweils mehrere Personen aufeinander losgingen.

Am Sonntag, 27. Juni, frühmorgens um 7 Uhr löste die Polizei etwa eine Schlägerei zwischen vier Männern im Alter zwischen 30 und 49 Jahren auf. Eine Woche später waren es wiederum fünf bis sechs Personen, die nachts um 4 Uhr bei den Basketballkörben aufeinander losgingen – zum Teil mit Messern. Laut Mitteilung der Kantonspolizei mussten drei der Beteiligten mit Stich- und Schnittwunden ins Spital eingeliefert werden.

In der Nacht auf vergangenen Samstag dasselbe Bild: Polizisten in Zivil greifen bei einer Schlägerei von mehreren Personen auf der Schützenmatte ein. Dabei soll laut Kapo-Mitteilung ein Beteiligter einen Polizisten mit einer Flasche in der Hand angegriffen haben. Der Mann konnte schliesslich festgenommen werden, weil der angegriffene Polizist seine Dienstwaffe zog und drohte zu schiessen.

Mann lebensbedrohlich verletzt

Noch heftiger kam es in der Nacht auf vergangenen Sonntag. Die Polizei wurde kurz vor vier Uhr nachts auf die Schützenmatte gerufen. Zwei Personen waren dort aneinandergeraten, wobei einer blutüberströmt liegen blieb. Der Mann wurde laut Polizei «in lebensbedrohlichem Zustand» ins Spital gebracht. Mittlerweile konnte er das Spital jedoch wieder verlassen.

In allen vier Fällen laufen Ermittlungen. Die Polizei kann auf Anfrage einzig sagen, dass «ein Grossteil der Beteiligten aus dem nördlichen Teil Afrikas» stamme. Was aus den Mitteilungen ebenfalls hervorgeht: In mehreren Fällen trugen die Involvierten Diebesgut auf sich. Bei zwei Männern wurden in Rucksäcken insgesamt neun gestohlene Handys entdeckt, ein weiterer soll einer Frau eine Handtasche entrissen haben.

Stadt prüft Massnahmen

Dass Diebesbanden aus dem nordafrikanischen Raum auf der «Schütz» ihr Unwesen treiben, ist nicht neu. Ein diesbezüglicher Höhepunkt wurde im Sommer 2019 erreicht. Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) sprach damals von einer «gravierenden Situation». Auch die neu aufgeflammte Gewalt will die Stadt nicht tolerieren – «unabhängig von der Herkunft von Opfern und Tätern», sagt Walter Langenegger, Leiter des städtischen Informationsdienstes. Man sei deshalb mit der Polizei und «weiteren Akteuren» im Gespräch.

Als mögliche Massnahmen nennt er «verstärkte Prävention durch soziokulturelle Angebote und Polizeipräsenz, den Einsatz einer Security auf dem Platz oder Verbesserungen bei der Beleuchtung und der Infrastruktur».

Neu sind diese Ideen nicht. So erhoffte sich die Stadt Ende 2019 etwa eine Besserung der Sicherheitsproblematik, nachdem die Zwischennutzer auf der «Schütz» die verwinkelte Architektur mit Silos und Containerbars hatten aufheben müssen. Auch führte sie ein interkulturelles Pilotprojekt durch, bei dem Sozialarbeiter zusammen mit älteren Personen aus den Herkunftsländern der Täter Dialogarbeit leisteten.
(https://www.bernerzeitung.ch/gewalt-auf-der-schuetz-nimmt-wieder-zu-745158346611)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
«Megafon»: Mit Druckmaschine und Twitterstunts
Die Zeitung der Berner Reitschule sorgt mit ihrer Medienkritik für Aufsehen. Nun will der Milliardenkonzern TX-Group das «Megafon» verklagen. Was treibt die MacherInnen an?
https://www.woz.ch/2128/megafon/mit-druckmaschine-und-twitterstunts


+++SPORTREPRESSION
Gesichtserkennung beim FC Sion? Datenschützer hätte nichts dagegen
Der Kanton Wallis erwägt gemäss watson-Informationen die Möglichkeit, Kameras an den Eingängen des Tourbillon-Stadions zu installieren, falls die Verwendung von personalisierten Tickets Hooligans nicht davon abhält, bei Spielen des FC Sion zuzuschlagen.
https://www.watson.ch/sport/fussball/916971444-gesichtserkennung-beim-fc-sion-datenschuetzer-haette-nichts-dagegen
-> https://www.nau.ch/sport/fussball/super-league-nach-sion-schliesst-auch-lausanne-den-gastesektor-65965206


+++REPRESSION DE
Peng-Kollektiv: Razzia gegen Aktionskünstler wegen Online-Karte
Am Donnerstagmorgen hat die Polizei Wohnungen und das Büro des Peng-Kollektivs durchsucht. Gemeinsam mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland hatten die Aktionskünstler Orte mit Kolonialvergangenheit veröffentlicht. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen angeblicher Aufforderung zu Straftaten.
https://netzpolitik.org/2021/peng-kollektiv-razzia-gegen-aktionskuenstler-wegen-online-karte/
-> https://taz.de/Razzia-beim-Peng-Kollektiv/!5787076/


Der Militanzvorwurf wird eingesetzt, um linke Bewegungen zu isolieren
Wer verliert, kriminalisiert
Es ist notwendig, linke Bewegungen zu verteidigen, wenn diesen Extremismus und Militanz vorgeworfen werden.
https://jungle.world/artikel/2021/28/wer-verliert-kriminalisiert


+++KNAST
Basler Zeitung 15.07.2021

Straf- und Massnahmenvollzug: Basler schicken pro Jahr 16 Gefangene in die «falsche Haft»

Das Bundesgericht rüffelt die Basler Justiz, weil sie einen Mann Jahre in Isolationshaft hielt, statt ihn im Pflegeheim zu behandeln. Der Fall ist aber keine Seltenheit. In den letzten zehn Jahren sind 159 Gefangene dem falschen Haftregime zugeteilt worden.

Daniel Wahl

Nachts brüllte sich Thomas sein Leid aus dem Leib. Es waren im Schlaf unkontrollierte eruptive Wortschwälle zu seiner Haft, zu seinem Gefängnis- und zu seinem Psychiatrieaufenthalt. Mit Thomas habe ich während einer Woche das Spitalzimmer geteilt. Nicht aber nachts, weil er da alle weckte. Sein Gerichtsurteil trug er stets «auf Mann» – ein vergilbtes Blatt Papier, das den Körpergeruch von sechs Jahren Straf- und Massnahmenvollzug aufgesogen hatte und das die Erlösung seiner Massnahmen ankündigte.

Thomas habe ich aus den Augen verloren, seine Geschichte aber habe ich aufbewahrt – eine Geschichte, die jetzt nach einem Rüffel des Bundesgerichts am Basler Straf- und Massnahmenvollzug an Bedeutung gewonnen hat.

Keiner hat wohl so teuer für zwei Bagatellbrände – das Anzünden eines Bebbi-Abfallsackes in der Stiftsgasse und einer SBB-Holzpalette beim Bahnhof Wolf – bezahlen müssen wie Thomas. Er wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl er die Taten bestritten hatte und nicht direkt überführt werden konnte. Der Richter sah den psychotischen Haschkonsumenten für überführt an, weil man ihm nachweisen konnte, dass er zur Tatzeit unmittelbar in der Nähe gewesen war. Mehrfache Brandstiftung, hiess das im Urteil. Der Sachschaden, die Malerarbeiten inklusive, dürfte keine 10’000 Franken ausgemacht haben, sagte mir Thomas damals.

U-Haft statt Wiedereingliederung

Thomas ging in Berufung. Aber besondere Eile schien das Gericht nicht zu haben. Darum verbrachte der erstinstanzlich Verurteilte fast zwei Jahre im Untersuchungsgefängnis Waaghof und wartete auf die zweite Verhandlung. Hätte er das Urteil nicht angefochten, hätte er seine Haft wohl in einer Anstalt verbüssen können, die Arbeitsplätze vielleicht in Gärtnereien oder Schreinereien anbietet und ihm sogar Wiedereingliederungsmassnahmen angeboten hätte. So aber blieb Thomas im Haftregime des Untersuchungsgefängnisses und hatte während Jahren bloss alle 23 Stunden einen Spaziergang frei. In einem kargen Spazierhof, der lediglich den Blick in den Himmel frei gab.

Während dieser «falschen Haft» im Hinblick auf die Verhandlung am Appellationsgericht liess die Staatanwaltschaft ein Gutachten anfertigen, das bei Thomas eine psychische Krankheit diagnostizierte. Das zweitinstanzliche Urteil lautete dann: «stationäre Therapie». Aber da gab es gerade keinen Platz für die Therapie eines Brandstifters. So blieb Thomas, wie er mir erklärte, ein weiteres Jahr im Bau an der Heuwaage eingesperrt – bis er in die Psychiatrische Klinik überwiesen wurde. «Mehr als drei Jahre sind vergangen, bis ich wieder einmal einen Baum gesehen habe», sagte er mir am Spitalbett. Für den Randständigen hatte sich kein Anwalt mehr gewehrt.

In Isolation statt im Pflegeheim

Vielleicht ist Thomas ein Extrembeispiel. Vielleicht aber auch nicht. In den letzten zehn Jahren zählt der Basler Strafvollzug 159 Fälle einer «falschen Haft». Das sind jährlich 16 Verurteilte, die eine Massnahme oder eine Therapie zugesprochen bekommen, aber in einem Gefängnis landen. Meist im Waaghof – einem Gefängnis, das die geringsten Rehabilitierungs- und Wiedereingliederungsmöglichkeiten aller Basler Anstalten bietet.

Oder im Strafvollzug Bostadel im Kanton Zug. Das Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt muss sich zurzeit mit dem Fall eines Mannes beschäftigen, der seit rund 22 Monaten in der Sicherheitsabteilung des Zuger Gefängnisses untergebracht ist. Auch er hätte eine therapeutische Behandlung nötig, schmorte aber beinahe zwei Jahre in der «falschen Haft» – in Isolationshaft. Das hat das Bundesgericht in diesen Tagen gerüffelt. Der ursprüngliche Plan war, den Mann in ein Pflegeheim einzuweisen.

Keine strikte Regelung

Wie lange die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Menschen in «falscher Haft» ist, liesse sich auf die Schnelle nicht sagen. «Präzise können wir Ihnen das aufgrund des mit der Auswertung verbundenen unverhältnismässigen Aufwandes, der Durchsicht aller einzelnen Akten, nicht mitteilen», gibt das Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) auf Anfrage bekannt. Die Spannbreite betrage erfahrungsgemäss vier Wochen bis mehrere Monate.

Eine strikte Regelung zur Aufenthaltsdauer existiert offenbar nicht. Gemäss bundesrechtlicher Rechtsprechung könne ein Insasse mit einer angeordneten Massnahme vorübergehend in einem Gefängnis untergebracht werden. «Dann aber muss eine Perspektive bestehen, dass er zu einem späteren Zeitpunkt in einer Massnahmeninstitution oder einer Klinik untergebracht werden kann oder ein Behandlungskonzept vorliegt», schreibt das JSD.

Station im Waaghof

Immerhin gibt es seit September 2019 im Waaghof eine Station mit vier Einzelzimmern, wo Häftlinge mit psychischen Problemen behandelt werden können. Dort sei auch die fachärztliche Betreuung erweitert worden, sodass Massnahmenklienten bereits im Untersuchungsgefängnis oder auch im Bässlergut therapeutisch behandelt würden, schreibt das JDS. «Es gibt aber eine Kehrseite dazu», erklärt ein Anwalt, «jetzt müssen die Insassen einfach weniger schnell in eine Klinik überbracht werden.»

Der Notstand der «falschen Haft» ist beim JDS grundsätzlich erkannt – nicht erst seit dem jüngsten Bundesgerichtsurteil. «Verschiedene Projekte in den beiden Deutschschweizer Strafvollzugskonkordaten sehen deshalb für die nächsten Jahre einen weiteren deutlichen Ausbau forensisch-psychiatrischer Plätze vor», heisst es auf Anfrage der BaZ.
(https://www.bazonline.ch/basler-schicken-pro-jahr-16-gefangene-in-die-falsche-haft-284756049893)



Rüffel vom Bundesgericht: Basler Häftling seit fast zwei Jahren in Isolationshaft statt im Pflegeheim
Wegen vergleichsweise geringen Delikten sitzt ein Mann in Isolationshaft, anstatt therapiert zu werden.
https://www.bazonline.ch/basler-haeftling-seit-fast-zwei-jahren-in-isolationshaft-347186797979
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://24-06-2021-6B_587-2021&lang=de&zoom=&type=show_document


+++POLICE BE
20-Jähriger stirbt in Kapo-Gewahrsam: «Es gab weder eine Entschuldigung noch ein Fehler-Eingeständnis»
Kilian S. starb an Weihnachten auf einer Berner Polizeiwache. Nun tritt die Familie des Verstorbenen erstmals an die Öffentlichkeit.
https://www.20min.ch/story/es-gab-weder-eine-entschuldigung-noch-ein-fehler-eingestaendnis-899428963733
-> BZ: https://www.facebook.com/CopwatchBern/posts/2352702691529589


+++POLIZEI ZH
Racial Profiling gegen Sendungsmacherin
Am 14. Juli 2021 stand ein Mitarbeiter des Lokalradio von Zürich, Radio LoRa, vor Gericht wegen Hinderung einer Amtshandlung. LoRa hingegen wirft der Stadtpolizei Zürich Racial Profiling vor. Fabia Fazzini hat sich mit dem Fall beschäftigt und erklärt, um was es bei dem Prozess genau ging und wie das Gericht entschieden hat.
https://stadtfilter.ch/racial-profiling-gegen-sendungsmacherin/
-> http://www.kleinreport.ch/news/zurcher-polizei-mit-blauem-auge-davongekommen-freispruch-fur-lora-mitarbeiter-97476/


+++RASSISMUS
«Farbenblind?» – Eine Ausstellung über Rassismus in der Photobastei
Wie aktuell das Thema Rassismus ist, wurde im Finale der Fussball-Europameisterschaft einmal mehr bestätigt. Seit Mitte Juni 2021 läuft passend dazu in der Photobastei die Ausstellung «Farbenblind?». Eine Auseinandersetzung über Farben und «Bilder im Kopf», dem Gespräch «auf Augenhöhe» und dem Ziel «Schwarze Körper» als Menschen zu sehen.
https://tsri.ch/zh/farbenblind-eine-ausstellung-uber-rassismus-in-der-photobastei/


+++RECHTSPOPULISMUS
Mediennetzwerk: Das «Intellectual Dark Web» lernt Deutsch
Im deutschsprachigen Raum formierte sich im Zuge der Coronavirus-Pandemie ein Mediennetzwerk, ähnlich dem «Intellectual Dark Web» in den USA. Auf YouTube, in Podcasts und in Zeitungen wie «Weltwoche», «Schweizer Monat» oder NZZ artikuliert sich eine relativ kleine, aber lautstarke Schar konservativer Meinungsmacher:innen gegen Corona-Massnahmen, «Cancel Culture» und den «linken Mainstream». Die versprochene «rationale» Debatte entpuppt sich als hohle Polemik.
https://medienwoche.ch/2021/07/13/mediennetzwerk-das-intellectual-dark-web-lernt-deutsch/


+++RECHTSEXTREMISMUS
Brauner Mob feiert rechtsextreme Gedenkfeier: Neonazis marschieren in Sempach auf – Luzerner Polizei greift nicht ein
In Sempach sind am vergangenen Wochenende rund 70 Neonazis aufmarschiert. Unbehelligt von den Behörden hielt der braune Mob beim Winkelried-Denkmal eine rechtsextreme Gedenkfeier zur Schlacht bei Sempach ab. Infolge der zentralplus-Recherchen hat der Kanton Luzern jetzt entsprechende Nachforschungen aufgenommen.
https://www.zentralplus.ch/neonazis-marschieren-in-sempach-auf-luzerner-polizei-greift-nicht-ein-2136127/
-> https://www.pilatustoday.ch/zentralschweiz/nach-neonazi-treffen-in-sempach-kanton-forscht-nach-142958738
-> https://www.zentralplus.ch/neonazis-in-sempach-david-roth-sp-ist-sauer-2140147/
-> Recherchen Antifa Bern: https://www.antifa.ch/medienmitteilung-der-antifa-bern-zur-rechtsradikalen-gedenkfeier-zur-schlacht-bei-sempach-organisiert-von-der-nationalen-aktionsfront-naf/



derbund.ch 15.07.2021

Nazis im Internet: «Die Antwort war Frauenhass»

Simon Strick untersucht rechtsradikale Foren. Er zeigt: Nazis von heute schüren Konflikte zwischen den Geschlechtern – und tricksen die Medien aus.

Linus Schöpfer

Die «New York Times» veröffentlichte diesen Monat einen Dokfilm zum Capitol-Sturm, der mit dramatischen Handyaufnahmen gespickt war. Hat er Sie überrascht?

Nein. Einige Videos kannte ich schon von den rechtsextremen Foren, denen ich für meine Forschung folge. Bemerkenswert war, wie in den Foren reagiert wurde: Man freute sich über den Film. Wer eine Handyaufnahme vorzuweisen hatte, die von der «New York Times» übernommen worden war, wurde dafür gefeiert. Diese Videos waren ein wichtiger Grund, warum das Capitol überhaupt gestürmt wurde.

Wie meinen Sie das?

Es ging ihnen um die Macht der Bilder. Bilder, die belegen, wie sie hineingehen ins Gebäude. Wie sie sich auf den Sesseln der Parlamentarier breitmachen und so weiter. Der Capitol-Sturm ist der bestdokumentierte Terrorakt in den USA.

Hatten Sie Anzeichen vor dem Sturm, dass sich etwas zusammenbraut?

Es braut sich ständig etwas zusammen in diesen Foren. Und es bewahrheitet sich auch ständig irgendwie irgendetwas. Aufrufe zum Bürgerkrieg gibt es immer. Es geht aber weniger um gezielte Anweisungen als vielmehr um eine Atmosphäre, in der Aktionen wie der Capitol-Sturm denkbar werden. Verschiedene Lager haben ein Interesse daran, eine rechte Atmosphäre zu erschaffen, die möglichst viele erreicht. Das geschieht mit gezielter Desinformation, wie sie etwa Fox News pflegt. Jeder Nachricht wird ein rechter Spin mitgegeben, das Tagesgeschehen von rechts durchgefiltert. An diese Nachrichten docken dann die Userinnen und User in den sozialen Medien an: Sie zeigen ihre Betroffenheit, ihr Engagement und malen sich aus, was zu tun wäre.

Wie stark haben wir uns in der Trump-Ära an rechte Erklärungen und Atmosphären gewöhnt? In der Schweiz kultivieren Publizisten wie Roger Köppel ein schier grenzenloses Verständnis für Trump. Daran änderte auch der Putschversuch nichts.

Dass etablierte Medien sich von rechten Atmosphären kontaminieren lassen, ist nichts Neues. 2015 wurde ein mehr oder weniger rechtsextremes Framing von fast allen grossen deutschen Zeitungen übernommen: als ständig von einer «Flüchtlingswelle» die Rede war. Seitdem hat sich der Ton nochmals verschoben. Ständig werden Prinzipienfragen gestellt, die einen rechten Dreh haben. Das sehen wir derzeit bei der Diskussion über Identitätspolitik, die vor allem populistisch geführt wird. Meist wird nicht einmal geklärt, was wir unter Identitätspolitik verstehen. Stattdessen wird gefragt: Ist Identitätspolitik der Untergang des Abendlandes? Oder bejaht man sie vorbehaltlos? Als gäbe es nichts dazwischen, geschweige denn sehr klare Bedeutungen, was Identitätspolitik meint. Jüngstes Beispiel dieser Undifferenziertheit ist die neue Titelgeschichte des «Spiegels».

Steve Bannon, Vordenker der extremen Rechten, schätzt es bekanntermassen sehr, wenn sich die Linke mit Identitätspolitik beschäftigt. Läuft das Spiel gerade in seinem Sinn?

Bannon weiss, dass politische Mehrheiten auf den Feldern der Kultur und der Medien gewonnen werden können. Das haben die grossen Medien in unseren Ländern bis heute nicht wirklich verstanden: wie die extreme Rechte Debatten lanciert und prägt. Bannon und sein Mentor Andrew Breitbart haben die heutige Situation entscheidend beeinflusst.

Ein Beleg dafür ist für Sie das Format des Faktenchecks, das viele Medien in den Trump-Jahren eingeführt haben.

Ein Faktencheck kann einem Trump oder Bannon letztlich wenig anhaben. Die bringen einfach ihre Gegenfakten und profitieren von der Aufmerksamkeit. Die Absicht, die dem Faktencheck zugrunde liegt, ist sicher löblich: Man will eine faktenbasierte Realität konstruieren. Damit bestärkt man ein Publikum, das dafür zugänglich ist. Rechte bekämpft man so allerdings nicht. Die agieren auf einer sehr emotionalen Ebene, mit einer anderen Realität. Ich glaube, wir brauchen Gegengefühle.

Gegengefühle?

Ein Vorbild könnte die Klimabewegung sein, die unter anderem schlicht ausspricht, dass wir Angst vor der Zukunft haben sollten. Auch sie argumentiert erfolgreich über Betroffenheit, aber für alle. Der extremen Rechten müssen wir auf eine ähnliche Weise entgegentreten. Schliesslich sorgen sie für einen Klimawandel der anderen Art, ich nenne das den diskursiven Klimawandel. Und der hat für viele Menschen ebenfalls sehr konkrete Folgen. Weil sie sich nicht mehr auf die Strasse trauen, weil sie verfolgt und ausgegrenzt, weil sie abgeschoben und ermordet werden. Die Rechtsextremen bedrohen nicht nur die Demokratie, sondern sehr konkret Menschen in dieser Gesellschaft.

In Ihrem Buch zeigen Sie, wie virtuos die Rechtsextremen mit digitalen Formen wie Memes spielen. Ist die Figur Pepe the Frog den deutschen Rechtsextremen ebenso bekannt wie den amerikanischen?

Die digitalen Faschisten bewegen sich in einem amerikanisierten, also globalisierten Raum. Ihre Memes gehen um die Welt. Pepe the Frog wird mittlerweile überall verwendet, dazu kommen länderspezifische Symbole. Der Frosch war so erfolgreich, weil er diese merkwürdige Unentschiedenheit hatte: Die traditionellen Medien mühten sich ab, seine Bedeutung zu entschlüsseln. Derweil freuten sich die Rechten über die Aufmerksamkeit.

Auch Adolf Hitler machen die digitalen Faschisten zur Popfigur. In einem Comic, den Sie im Buch analysieren, tritt er als väterlicher Tröster auf, der einen verzweifelten jungen Mann in den Arm nimmt und ihn vom Suizid abhält.

Die Hitlerfigur sagt zum Jungen nur ein einziges Wort: «Nein.» Das ist irritierend: Hitler als therapeutische Figur für depressive weisse Jungs. Solche Bilder entwickeln eine emotionale Wirkung, die mich als Gender- und Medienwissenschaftler interessiert. Die digitalen Faschisten bieten den Jungen ein ganzes popkulturelles Gegenuniversum an: Comics, Memes, Bücher, T-Shirts, Comedy-Serien, Games, eine eigene Spielart des Technos und so weiter.

Grosse Bedeutung messen Sie dem Ereignis Gamergate zu.

Gamergate hat viele internetaffine, junge Männer erstmals in eine rechts fühlende Atmosphäre eintauchen lassen. 15- bis 30-jährige Männer, die zu Hause gamend vor dem Computer sassen und sich auf einmal vor eine vermeintliche Prinzipienfrage gestellt sahen: War man für eine unpolitische Gamekultur? Oder war man für den Feminismus? Die Antwort darauf war Frauenhass und Antifeminismus, das vor allem. Damit erreichen die digitalen Faschisten mehr Menschen als mit jedem anderen Thema. Antifeminismus ist ein Haupteinstiegspunkt in rechte Atmosphären.

Wieso?

Weil Geschlecht ein Thema ist, das immer emotional ist und zu dem alle intuitiv einen Bezug haben. Der Feminismus politisiert die Geschlechterverhältnisse. Allein schon beim Hinweis auf die Existenz von Transgender fühlen sich viele Männer und auch Frauen in ihrem Geschlecht, ihrer «Biologie» angegriffen. Beim anderen grossen Thema, dem Rassismus, agieren die digitalen Rechten anders als ihre Vorgänger. Die neue Rechte kommuniziert rassistische Inhalte auf der Gefühlsebene, sie setzt auf Betroffenheit: Man sei kein Rassist, sondern eben besorgt über den «grossen Austausch» oder die «Umvolkung». Diese Betroffenheit ist der Stoff der sozialen Medien und bringt dort Aufmerksamkeit. Meist folgen solche Beiträge einem Muster: «Ich habe von dieser oder jener Nachricht gehört, fühle mich betroffen und muss meine Gefühle mitteilen.» Als nächster Schritt folgt: «Warum fühle ich mich von dieser Nachricht derart betroffen? Weil ich weiss bin. Weil die Gesellschaft Weisse wie mich unterdrückt und austauschen will.» Auf diese Weise machen die digitalen Faschisten ein Identifikationsangebot für weit mehr Menschen, als wenn sie offene rassistische Stereotype äussern. Weiss-Sein wird vorstellbar als Minderheitenposition, was sie in der Realität nicht ist.

Sie zitieren den Kulturtheoretiker Klaus Theweleit: «Es gibt längerfristig keinen Weg aus faschistischen Bedrohungen als den über gestärkte Frauenpositionen in der Gesellschaft und im Privaten.» Bedeutet Frauen zu wählen, Nazis zu verhindern?

Theweleit versteht den Neofaschismus vor allem als Männlichkeitsproblem. Damit hat er recht, aber heute können Sie mit Le Pen und Weidel auch rechte Frauen wählen. Theweleit trifft trotzdem einen zentralen Punkt: Generell muss die Gesellschaft Diversität und Chancengleichheit nicht nur meinen, sondern sehr konkret machen. Im Privaten, in der Öffentlichkeit, in wichtigen Positionen müssen Frauen, nichtweisse und nichtheterosexuelle Menschen sehr viel mehr einbezogen sein. Ob das längerfristig «Nazis verhindert», kann ich nur hoffen. Sicher ist nichts.

Simon Strick: Rechte Gefühle. Affekte und Strategien des digitalen Faschismus. Transcript, Bielefeld 2021. 475 S., 50 Franken.



Day of Rage: How Trump Supporters Took the U.S. Capitol | Visual Investigations
https://www.youtube.com/watch?v=jWJVMoe7OY0


Glossar zum Thema

    Pepe the Frog: Der feiste Frosch war 2005 vom Zeichner Matt Furie als unpolitische, hedonistische Figur erfunden worden. Zehn Jahre später wurde er gegen Furies Wille zu einem Maskottchen der Rechten und Rechtsextremen. Der Frosch wurde kombiniert mit rassistischen Anleihen, die Verbreitung von Hass mittels Pepe-Memes zur populären Spielerei. Donald Trump vertwitterte 2015 ein Bild, in dem er selber aussieht wie Pepe the Frog.

    Gamergate: Ein Blogger, ein Gamejournalist und Zoë Quinn, eine sich nonbinär verstehende Person, die Games designt – mit dieser Konstellation begann die Gamergate-Kontroverse von 2014. Der Blogger unterstellte dem Journalisten öffentlich, ein Spiel von Quinn wegen einer Affäre positiv beurteilt zu haben. Das stimmte nicht. Dennoch wurden der Journalist und vor allem Quinn nun bedroht. Dies unter dem Vorwand, die«Game-Kultur» gegen Korruption, aber auch gegen Diversity-Bestrebungen verteidigen zu wollen. Ungezählte Gamer und ihre rechten Unterstützer betrieben auf Plattformen wie Twitter oder Reddit eine Hetzkampagne mit Todes- und Vergewaltigungsdrohungen, zudem kam es zu Hackerangriffen auf persönliche Konten.

    Identitäre: Eine als rechtsextrem eingestufte Gruppierung, die sich besonders gekonnt im digitalen Raum bewegt. Die Identitären pflegen ein ganz anderes Erscheinungsbild als die Neonazis der 90er mit ihren Springerstiefeln und Glatzen, sie gleichen viel eher städtischen Hipstern. Auch ihre Mittel sind zeitgemäss: Influencer-Videos auf Youtube, Guerilla-Marketing auf der Strasse und im Web. Doch man lasse sich nicht täuschen: Mit ihrem «Ethnopluralismus» fordern die Identitären letztlich, dass Menschen in ethnische Kategorien eingeteilt werden und alle dort leben sollen, wo bereits die Grosseltern gelebt haben. (lsch)
(https://www.derbund.ch/die-antwort-war-frauenhass-818786402492)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
derbund.ch 15.07.2021

Impfgegner Sucharit Bhakdi: «Israel ist die lebende Hölle»

Zuerst kritisierte er die Massnahmen gegen Corona, dann die Impfungen – und nun Israel. Der Mikrobiologe und Bundestagskandidat Sucharit Bhakdi redet sich um Kopf und Kragen.

Guido Kalberer

In einer TV-Sendung mit dem Titel «Die Corona-Impfung – die Hölle auf Erden?» fährt der emeritierte Professor Sucharit Bhakdi grobes Geschütz auf: Das Verhalten der Ärzte, die Menschen gegen das Coronavirus impften, sei «unethisch, verwerflich und verbrecherisch».

Dieser «Menschenversuch» sei ein Verstoss gegen die Humanität, über den ein Welttribunal richten werde. Das sei, so der 74-jährige Infektionsepidemiologe, keine Drohung gegen die «ignoranten und dummen Kollegen», sondern eine Tatsache. «Sie tun das böseste Karma», weiss der in Kiel wohnhafte Buddhist.

Antisemitische Ausfälle

Sucharit Bhakdi, der von der «Weltwoche» hofiert wird als «Elder Statesman, der nie aus der Rolle fällt», ist für die Gegner der deutschen Corona-Politik ein Held mit dem Nimbus des seriösen Wissenschaftlers. Sein Buch «Corona Fehlalarm? Zahlen, Daten und Hintergründe», das er gemeinsam mit seiner Frau Karina Reiss schrieb, bestärkte seine Fangemeinde im Glauben, auf der richtigen Seite zu stehen.

Im TV-Gespräch lässt der thailändisch-deutsche Autor seinen Ressentiments freien Lauf. Dabei schreckt er auch vor antisemitischen Ausfällen nicht zurück. Durch «den Impfzwang in Israel» hätten die aus Nazi-Deutschland geflüchteten Juden, deren kulturelle Leistungen er sehr schätze, ihr eigenes Land in etwas verwandelt, was schlimmer sei als Nazi-Deutschland, «wo das Erzböse war».

An Infamie nicht zu überbieten ist Bhakdis Schlussfolgerung: «Das Schlimme an den Juden ist: Sie lernen gut. Es gibt kein Volk, das besser lernt als sie. Aber sie haben das Böse jetzt gelernt – und umgesetzt. Deswegen ist Israel jetzt living hell, die lebende Hölle.»

Neben offenem Antisemitismus bedient der Biologe, der zuletzt an der Universität Mainz lehrte, alle nur erdenklichen Verschwörungstheorien: Die Wissenschaftler von der Berliner Charité steckten mit der Regierung unter einer Decke, bei der Zulassungsbehörde arbeiteten nur Verbrecher, und der kinderlosen Kanzlerin sei es ohnehin egal, was für Auswirkungen ihre Entscheidungen für die Zukunft hätten usw.

Nun könnte man das Interview, das bereits im April geführt worden war, aber erst diese Woche breit gestreut wurde, wegen des geballten Unsinns ad acta legen. Wenn es nicht so viel aussagen würde über den aktuellen Zustand unserer Diskussionskultur. Der aggressive Meinungsmarkt, auf dem alles und jedes behauptet werden kann, breitet sich immer mehr aus in den sozialen Medien. Mit fundierter Aufklärung, bei der das bessere Argument sticht, hat das nichts mehr zu tun.

Alternative Fakten?

Gestützt wird diese Tendenz von einem alternativen Journalismus, der die sogenannten Mainstream-Medien heftig kritisiert, selbst aber völlig unkritisch ist. In das Sofagespräch mit Sucharit Bhakdi, das Kla.tv (Klagemauer TV) ausstrahlte, wird ab und zu ein Querbalken folgenden Inhalts eingeblendet: «Investigativer Journalismus mit Kai Stuht & Team».

Wenn das investigativ ist, was der Fotograf und Filmemacher Stuht macht, braucht es mehr denn je die herkömmlichen Medien, die von den Verschwörungstheoretikern so heftig bekämpft werden. «Totalitär» ist nämlich nicht der Staat, wie Sucharit Bhakdi, immerhin Bundestagskandidat der Partei «Die Basis», behauptet, sondern die Art und Weise, wie er andere auf üble Weise diffamiert.
(https://www.derbund.ch/israel-ist-die-lebende-hoelle-977120030917)
-> https://www.boersenblatt.net/news/verlage-news/antisemitische-aeusserungen-von-sucharit-bhakdi-185993
-> https://www.derstandard.at/story/2000128210489/antisemitismus-servus-tv-plant-keine-neuen-auftritte-mit-corona-verharmloser?ref=rss
-> https://www.morgenpost.de/vermischtes/article232791287/corona-impfung-bhakdi-stuht-antisemitismus.html
-> https://www.tagesschau.de/investigativ/bhakdi-antisemitismus-101.html



«Apropos» – der tägliche PodcastWer sind die Covid-Massnahmen-Gegner?
Innerhalb von drei Wochen haben die Gegner und Gegnerinnen der Corona-Massnahmen 180’000 Unterschriften für ein zweites Referendum gesammelt. Ein Rekord. In «Apropos» erzählt eine Aktivistin, warum ihr Ärger nach wie vor so gross ist.
https://www.derbund.ch/wer-sind-die-covid-massnahmen-gegner-445949686403



derbund.ch 15.07.2021

187’000 Unterschriften in drei Wochen: Drei Rekordsammler auf Covid-Gesetz-Mission

Das zweite Referendum gegen das Covid-Gesetz ist in Rekordzeit mit einer Rekordzahl von Unterschriften zustande gekommen. Wie war das möglich? Drei Beteiligte erzählen.

Edgar Schuler

«Das ist sehr beeindruckend, aber auch beunruhigend.» Tom Cassee, Kampagnenexperte und Generalsekretär der SP Schweiz, staunt über die 187’000 Unterschriften, die innerhalb von 24 Tagen für das zweite Referendum gegen das Covid-19-Gesetz zusammenkamen.

Es ist das fünftbeste Resultat eines Referendums in der Geschichte dieses Schweizer Volksrechts. Allerdings sind die Unterschriften nicht überprüft. Wie viele es am Schluss genau waren, wird ein Geheimnis bleiben: Die Bundeskanzlei muss nur so viele Unterschriften überprüfen, bis feststeht, dass das Referendum zustande gekommen ist. Die Hürde von 50’000 Unterschriften wurde aber zweifellos deutlich übertroffen.

Für Tom Cassee, der Kampagnenleiter der Konzerninitiative war, ist es «schwer nachvollziehbar», dass so viele Personen glauben, das Covid-Gesetz werde «die freie Schweiz beenden». Das ist sein politisches Urteil. Kampagnentechnisch zweifelt Cassee, dass allein dank gesammelten E-Mail-Adressen und Werbung über den Internetchat Telegram so viele Unterschriften zusammengekommen sind. Der Kampagnenspezialist vermutet, dass «viel Geld» im Spiel war, um Unterschriftenbögen per Post zu verschicken.

«Hoch motivierte Sammlertrupps»

Das wird aber vom Referendumskomitee heftig bestritten. «Der finanzielle Aufwand war tief, weil ja mehrere Organisationen daran beteiligt waren», sagt Marion Russek, Co-Präsidentin der «Freunde der Verfassung». Es habe nicht einmal einen eigenen Spendenaufruf gebraucht. Josef Ender, Präsident des «Aktionsbündnisses Urschweiz», spricht von «rund 5000 Franken», die aus den Reihen des Bündnisses beigesteuert worden seien.

An der Unterschriftensammlung haben sich auch die Junge SVP, die Bewegung «Mass-Voll» und andere Vereinigungen der Corona-kritischen Szene beteiligt. Dabei war auch das «Netzwerk Impfentscheid», das gleichzeitig Unterschriften für die eigene Initiative gesammelt hat. Die Impfkritiker wollen die Verfassung mit einem Impfpflicht-Verbot ergänzen.

Marion Russek sagt, die Schweizerinnen und Schweizer seien durch das Corona-Regime des Bundesrats «erwacht und zunehmend politisiert» worden. Sie spricht von «hoch motivierten Sammlertrupps auf der Strasse», die für den Sammelerfolg verantwortlich seien. Wir haben bei drei Beteiligten nachgefragt.

Josef Lauber: «Plötzlich haben Experten die Macht übernommen»

Nein, als «Supersammler» möchte er nicht bezeichnet werden. Die 2111 Unterschriften, die er innerhalb von drei Wochen für das Covid-Referendum zusammengebracht hat, seien vielen Leuten zu verdanken. «Ich habe nur organisiert und die Leute eingeteilt.» Organisiert hat Lauber die Plakate, die Stellwände und den Tisch, den er auf dem Schwanenplatz mitten in Luzern aufgestellt hat. Lauber sorgte dafür, dass der Stand immer besetzt war. So kamen dort die Unterschriften zusammen.

Der Luzerner ist 58-jährig und hat an der Hochschule St. Gallen Wirtschaft studiert, er ist lic. oec. und Master of Arts. Seither ist er vor allem als professioneller Fundraiser unterwegs, überwiegend selbstständig. Er unterstützt Non-Profit-Organisationen beim Spendensammeln, per Telefon, übers Internet oder auf der Strasse. Er hat in Belgien, Kanada, in den USA und in Thailand gearbeitet.

«Im Ausland wurde mir bewusst, wie einmalig unsere direkte Demokratie ist», sagt Lauber. In keinem anderen Land hätten die Bürgerinnen und Bürger einen so direkten Einfluss auf die Politik.

Politisiert durch die Pandemiepolitik

Parteipolitik aber war nie seine Sache. «Die Grünen haben mich eine Weile lang interessiert, aber es ist dann nichts daraus geworden.» Politisiert wurde Lauber erst durch die Schweizer Pandemiepolitik. «Plötzlich haben die Experten die Macht übernommen», sagt Lauber.

Bei der Beschaffung eines Kampfjets, da würden alle mitreden: Die Vor- und Nachteile der F-35 oder der Rafale, alles werde bis ins Detail diskutiert. «Aber bei Corona, da regieren die Epidemiologen via Bundesrat einfach durch.» Aufgegangen ist das Lauber bei einem Vortrag von SVP-Nationalrat Pirmin Schwander.

Dass mitten in der Pandemie die Zahl der Intensivbetten reduziert wurde, dass jetzt Untersterblichkeit herrscht, dass die Impfrisiken heruntergespielt werden, das bewegt Lauber. «Recherchieren Sie das mal!», sagt Lauber. Er informiert sich über «Mainstream-Medien», aber auch auf massnahmenkritischen Websites wie Corona-Ausschuss.de und jener des Bloggers Samuel Eckert.

«In Österreich hat das Verfassungsgericht die Corona-Massnahmen gestoppt», sagt Lauber, «wir haben kein solches Gericht, bei uns muss es das Volk tun.»

Ruth Kündig: «Das ist kein Killervirus.»

«Die Massnahmen waren für mich ein Schock», sagt Ruth Kündig. Beruflich und privat bedeuteten sie für die Leiterin einer Sprachschule in Freienbach SZ einen tiefen Einschnitt: Sie durfte nicht mehr unterrichten, und sie durfte die Enkelkinder nicht mehr hüten. Ein Wahnsinn seien die Einschränkungen gewesen, angeheizt von einer «Medienpanik».

«Die Massnahmen standen in keinem Verhältnis zur Gefahr der Pandemie», sagt Kündig. Dabei sei doch schnell klar geworden, dass es sich bei Sars-CoV-2 nicht um ein «Killervirus» handle. «Sicher, man muss die Risikogruppen schützen, aber deswegen die ganze Bevölkerung einsperren?» Der Maskenzwang, die Abstandspflicht, die Beschränkungen, wie viele Menschen man treffen dürfe: alles Dinge, für die Kündig kein Verständnis hat. «Wir können uns doch selber schützen, wir benötigen keinen Staat, der uns sagt, wie wir gesund zu leben haben.» Kündig setzt auf «gesunden Menschenverstand und Selbstverantwortung».

Kündig, die sich bisher nie politisch engagiert und nie für irgendetwas Unterschriften gesammelt hatte, fand im «Aktionsbündnis Urschweiz» neue Freunde. «Ich fühlte mich in meiner kritischen Haltung nicht länger allein.» Sie verlor durch ihr politisches Engagement aber auch bisherige Freunde, die sie nicht mehr grüssen.

Hilfe von den Behörden

Bei der Unterschriftensammlung auf der Strasse ergaben sich «gute Gespräche», und Kündig traf auf Leute, die ihr für ihren Einsatz dankten. Es kam aber auch vor, dass sie angefeindet wurde. «Das muss man einstecken können – und mit einem Lächeln wegstecken.»

Hilfe kam durchaus auch von den Behörden. Kündig erhielt Kurzarbeitsentschädigungen für ihre Angestellten. Aber: «Mir war nicht wohl dabei. Ich wollte arbeiten, nicht Hilfsgelder einstecken.» In Kündigs Umfeld gab es kaum schwere Verläufe – ausser einem Mann, der auch noch durch eine Vorerkrankung besonders gefährdet war. «Aber auch er hat das Referendum unterschrieben.»

Flurin Stöckli: «Uns wurde Angst eingejagt.»

«Es hat mich wütend gemacht», sagt der 34-jährige Wirt und Fussballtrainer. Die Corona-Massnahmen bedeuteten für ihn gleich in beiden Tätigkeiten ein Berufsverbot: Er musste das Restaurant beim Skilift Handgruobi im Mythengebiet zeitweise schliessen. «Dabei wäre es ein Superwinter gewesen, vom Schnee her und vom Wetter.» Und an Fussball war auch nicht zu denken. Stöckli war bis vor kurzem Trainer des Zweitliga-interregio-Vereins Ibach SZ.

Neue Arbeit hat Stöckli bei einem Küchenbauer gefunden. Für ihn ging es beim Unterschriftensammeln darum, ein Zeichen zu setzen, «dass sie nicht alles mit uns machen können». Wegen der Pandemie die ganze Gesellschaft zum Stillstand zu bringen, hielt und hält der Schwyzer für übertrieben – auch wenn er anerkennt, dass Corona viele krank gemacht hat, manche über Monate, und über 10’000 Todesopfer forderte. «Klar, jeder Tod ist eine Tragödie, ob Corona dabei eine Rolle gespielt hat oder nicht.»

Das alles rechtfertige aber die Massnahmen nicht. «Ein Freund von mir hat seinen Grossvater wegen Corona verloren», sagt Stöckli, «er hat trotzdem unterschrieben.» Der Bundesrat und die Medien hätten Panik geschürt. «In der Kommunikation ging es immer nur um die Gefahren und darum, dass man sich einschliessen soll.»

«Wir müssen uns zeigen»

Kaum je sei die Rede davon gewesen, wie man das Immunsystem stärken könnte, durch Sport etwa, Spaziergänge, soziale Kontakte. «Dass wir Schweizer uns derart Angst einjagen liessen, verstehe ich nicht», sagt Stöckli. Ihm geht es jetzt darum, dass die Verhältnisse wieder zurechtgerückt werden.

Flurin Stöckli ist zuversichtlich, dass das Volk im zweiten Anlauf das Covid-Gesetz ablehnt. In der ersten Abstimmung standen auch die wirtschaftlichen Hilfsgelder zur Debatte. «Das war ganz klar eine Erpressung.» In der kommenden zweiten Ausmarchung spielen jetzt nur noch die Gesetzesänderungen von Ende März eine Rolle – etwa das Covid-Zertifikat. «Es schafft eine Zweiklassengesellschaft», sagt Stöckli.

Er glaubt grundsätzlich, dass der Wind seit der Abstimmungsniederlage gekehrt hat. Vor einem halben Jahr sei es nicht selbstverständlich gewesen, sich offen zum Widerstand gegen das Gesetz zu bekennen. «Aber jetzt stehe ich gern mit Namen und Bild dafür ein – wir müssen uns zeigen.»



Darum gehts beim Referendum

In Corona-Zeiten geht es rasend schnell mit Gesetzen und Referenden. Am 13. Juni haben die Stimmberechtigten ein erstes Mal über das Covid-19-Gesetz abgestimmt, das dem Bundesrat spezielle Vollmachten zur Pandemiebekämpfung gibt. Damals war es vom Parlament aber schon abgeändert und ergänzt worden, etwa mit Bestimmungen zum Covid-Zertifikat. Darum hatten Corona-kritische Bewegungen schon vor dem Abstimmungstermin erneut das Referendum ergriffen.

Für die Referendumsträger schafft insbesondere das Zertifikat die Grundlage für die rechtliche Diskriminierung Ungeimpfter. Das sei verfassungswidrig und durch keine Bedrohungslage gerechtfertigt. 2020 seien «zur vermeintlichen Pandemiebekämpfung über 130 Milliarden an Steuergeldern verschleudert» worden. Bis heute fehlten indessen belastbare Beweise für die Wirksamkeit der Massnahmen. Der Bundesrat hat als Termin für die Abstimmung über das zweite Referendum den 28. November bestimmt. (ese/sda)
(https://www.derbund.ch/entsteht-hier-eine-neue-volksbewegung-804239482959)


+++HISTORY
Handlanger des amerikanischen Ethnozids
Martin Marty wollte die Sioux vor dem Höllenfeuer retten und wagte sich sogar daran, Sitting Bull zu bekehren – so wurde er Teil des Vernichtungskampfs gegen die indigene Kultur. Wie kommt ein Schweizer Benediktinermönch dazu, im Auftrag des amerikanischen Staats Indigene zu “zivilisieren”?
https://www.swissinfo.ch/ger/handlanger-des-amerikanischen-ethnozids-/46767796


Geschichte über die Migration (ab 04:21)
https://www.telebielingue.ch/de/sendungen/info/2021-07-15#chapter-a756f330-22a4-4b9b-8624-36ff915fd186