Medienspiegel 17. Juni 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Unabhängiger Bericht zu Berner Rückkehrzentren bis Ende Jahr
Noch in diesem Jahr soll der Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) im Kanton Bern vorliegen. Das gab der bernische Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) am Mittwoch im Grossen Rat bekannt.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/191274/


+++LUZERN
Aktion «Beim Namen nennen» zum Gedenken an tote Flüchtlinge
https://www.tele1.ch/nachrichten/aktion-beim-namen-nennen-zum-gedenken-an-tote-fluechtlinge-142507074
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/solidaritaetswoche-in-luzern-gedenkaktion-macht-den-auftakt?partId=12005489


+++SCHWEIZ
Was weiter geschah: Falsche Jobversprechen
Noch bis Ende Monat können sich abgewiesene Asylsuchende für die sogenannt freiwillige Rückkehr mit dem neuen IT-Fernarbeitsprogramm des Staatssekretariats für Migration (SEM) bewerben. Das SEM hofft, dass sich vor allem EritreerInnen und ÄthiopierInnen melden. Menschen anderer Nationalität «werden auf eine Warteliste gesetzt», so ein Sprecher. Diese besteht jedoch erst theoretisch: Denn Anfang Juni gab es noch gar keine «offiziellen Anmeldungen».
https://www.woz.ch/2124/was-weiter-geschah/falsche-jobversprechen


Powercoders im Ausschaffungs-Business
Powercoders nennt sich eine Non-Profit-Organisation, die Geflüchteten kostenlose Kurzausbildungen in Informatik-Jobs anbietet und diesen dann Jobs in IT-Firmen vermittelt. Sie bietet damit talentierten oder bereits IT-erfahrenen Geflüchteten einen Einstieg in die Schweizer IT-Welt. Alle gewinnen – so das Versprechen: Die IT-Branche kommt zu talentierten und willigen Einsteigern, die Teilnehmer:innen können den für sie sehr schwierigen ersten Schritt in die Arbeitswelt machen und die Gesellschaft profitiert davon, dass Geflüchtete ihr Talent einsetzen können, statt in Sozialhilfe oder Putzjobs zu versauern. Powercoders baut auf Freiwilligenarbeit von IT-Experten:innen auf, die die Kandidat:innen ausbilden und vermitteln.
https://wo-unrecht-zu-recht-wird.ch/de/Aktuell


Asylstatistik Mai 2021
Im Mai 2021 wurden in der Schweiz 1029 Asylgesuche eingereicht, 179 mehr als im Vormonat (+21,1 %). Gegenüber Mai 2020, der stark vom europaweiten Lockdown aufgrund von Covid-19 geprägt war, ist die Zahl der Asylgesuche um 653 gestiegen, bleibt aber dennoch deutlich unter dem langjährigen Mittel.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-83994.html


+++DEUTSCHLAND
Innenminister wollen nach Syrien abschieben
Flüchtlingsinitiativen protestieren gegen die Konferenz der Ressortchefs aus Bund und Ländern
Die Asylpolitik ist ein wichtiges Thema bei der diesjährigen Innenministerkonferenz. Geht es nach der Union, sollen mehr Menschen als bisher in Länder abgeschoben werden, die vom Krieg gezeichnet sind.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153409.innenministerkonferenz-innenminister-wollen-nach-syrien-abschieben.html


+++ITALIEN
Aufnahmebedingungen in Italien: Keine Verbesserung in Sicht
Ein heute publiziertes Update der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) und des Vereins borderline-europe ergänzt den Italienbericht der SFH vom Januar 2020 und fokussiert auf die aktuellen Entwicklungen der Aufnahmebedingungen in Italien. Erörtert werden die gesetzlichen Änderungen und deren Umsetzung in der Praxis sowie die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Personen aus dem Asylbereich.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/aufnahmebedingungen-in-italien-keine-verbesserung-in-sicht
-> Update: https://www.fluechtlingshilfe.ch/fileadmin/user_upload/Publikationen/Dublinlaenderberichte/210610_Update_Italien_2.pdf


+++GRIECHENLAND
Ärzte ohne Grenzen MSF schlägt Alarm – RaBe-Info 17.06.2021
Letzte Woche veröffentlichte Ärzte ohne Grenzen / Médecins sans frontières MSF einen Bericht über die Situation von geflüchteten Menschen in Griechenland. Weit über 1000 Menschen habe die Organisation in den letzten zwei Jahren behandeln müssen wegen psychischen Problemen. Seit mehr als fünf Jahren erzeuge die Politik der europäischen Länder und der EU eine beispiellose Krise und enormes menschliches Leid, kritisiert MSF.
https://rabe.ch/2021/06/17/fokus-camps-in-griechenland/


Politisches Urteil im Moria-Prozess – RaBe-Info 17.06.2021
Es gibt viele Hinweise, dass sowohl der Prozess als auch das Urteil gegen die vier Geflüchteten aus Afghanistan politisch motiviert waren, sagt die Berner Anwältin Annina Mullis. Letzte Woche reiste Mullis auf die griechische Insel Chios, um als Prozessbeobachterin der Demokratischen Jurist*innen Schweiz und der Europäischen Jurist*innen für Demokratie und Menschenrechte dem Moria-Prozess beizuwohnen.
https://rabe.ch/2021/06/17/fokus-camps-in-griechenland/


Schweizerinnen & Schweizer geben Lesbos-Flüchtlingen neue Hoffnung
Ein Stück Stoff, ein Flüchtlingslager auf Lesbos und eine Vision. Die Freiburgerin Olivia Guler gibt Frauen auf der Flucht heute neue Hoffnung – mit Taschen.
https://www.nau.ch/news/schweiz/schweizerinnen-schweizer-geben-lesbos-fluchtlingen-neue-hoffnung-65947938


+++MITTELMEER
Rettungsschiff mit 410 Migranten an Bord darf auf Sizilien landen
Nach sieben Tagen auf See erhielt das Schiff die Genehmigung, im Hafen von Augusta anzulegen
https://www.derstandard.at/story/2000127497202/rettungsschiff-mit-410-migranten-an-bord-darf-auf-sizilien-landen


Strafbefehl gegen Seenotretter aufgehoben
München. Den Strafbefehl gegen den deutschen Kapitän Claus-Peter Reisch wegen einer Flüchtlingsrettung hat ein Gericht in Italien ausgesetzt. Das Zivilgericht in Ragusa habe die Strafe von 300.000 Euro aufgehoben, sagte Reisch der Deutschen Presseagentur am Donnerstag. Auch die Beschlagnahmung seines Schiffes »Eleonore« sei aufgehoben worden.
https://www.jungewelt.de/artikel/404845.strafbefehl-gegen-seenotretter-aufgehoben.html


+++EUROPA
Frontex außer Kontrolle? Grenzschutz-Agentur unter Druck
Die europäische Grenzschutz-Agentur Frontex steht erneut im Zentrum scharfer Kritik. Der Europäische Rechnungshof hatte kürzlich die enormen Betriebskosten von 450 Millionen Euro beanstandet und zugleich die Arbeit von Frontex als unzureichend bezeichnet. Zudem wird Frontex vorgeworfen, sich an der illegalen Zurückweisung von Schutzsuchenden an den Außengrenzen beteiligt zu haben.
https://de.euronews.com/2021/06/17/frontex-ausser-kontrolle-grenzschutz-agentur-unter-druck


+++FREIRÄUME
Bye Bye Böxli :'(
Das Böxli auf der Brache am Centralweg in der Lorraine ist Geschichte. Bevor es ganz verschwand, schrieb es aber noch einen Abschiedsbrief….
https://rabe.ch/2021/06/17/bye-bye-boexli/


+++DROGENPOLITIK
Ständerat verlangt Bericht zur Regulierung von Hanf-Produkten
Die Vorgaben zur Produktion, dem Handel und dem Gebrauch von Cannabis-Produkten sollen in der Schweiz einheitlich festgehalten werden. Der Ständerat hat am Donnerstag den Bundesrat beauftragt, in einem Bericht mögliche Regulierungsmassnahmen zu prüfen.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2021/20210617120944068194158159038_bsd090.aspx


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Urteil im Effy-Prozess: Berner Hausbesetzer zum Teil freigesprochen
Die 16 Besetzer der Effingerstrasse 29 sind vom Vorwurf der Drohung gegen Behörden und Beamte freigesprochen worden. Schuldig sind sie aber des Hausfriedensbruchs.
https://www.derbund.ch/berner-hausbesetzer-zum-teil-freigesprochen-788636720597
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/die-lonza-waechst-und-nimmt-den-anderen-die-mitarbeitenden-weg?id=12005450 (ab
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/berner-hausbesetzer-prozess-besetzerkollektiv-kommt-glimpflich-davon
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/mildes-urteil-fuer-hausbesetzerinnen-und-hausbesetzer?id=12005198
-> https://rabe.ch/2021/06/17/freispruch-im-effy29-prozess/
-> Megafon-Prozessticker: https://twitter.com/Megafon_RS_Bern
-> https://www.blick.ch/schweiz/bern/moralischer-komplettbankrott-gericht-verurteilt-berner-hausbesetzer-id16606988.html
-> https://www.20min.ch/story/keine-drohung-gegen-beamte-berner-hausbesetzer-teilweise-freigesprochen-328585710956
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/effy-29-prozess-hausbesetzer-kassieren-geldstrafen-142506563
-> Schweiz Aktuell:: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/besetzerkollektiv-in-fast-allen-anklagepunkten-freigesprochen?urn=urn:srf:video:b6957f42-bd26-4ff2-9be1-0267c01056dd



derbund.ch 17.06.2021

Urteile im «Effy»-Prozess – Weil es kein Ultimatum gab: Milde Strafen für Hausbesetzer

Der Prozess gegen die Hausbesetzer an der Berner Effingerstrasse endet mit Geldstrafen. Die Angeklagten kommen glimpflich davon, weil nicht eruierbar ist, wer von ihnen die Polizisten attackiert hat.

Markus Dütschler

Der Berg hat eine Maus geboren. So kann man den Prozess um die 16 beschuldigten Hausbesetzerinnen und -besetzer zusammenfassen. Sie mussten sich vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland verantworten, weil sie eine Liegenschaft des Bundes an der Effingerstrasse 29 in Bern über Monate in Beschlag genommen und sich bei der Räumung am 17. Februar 2017 mit massiver Gewalt gegen die Einsatzkräfte gewehrt hatten.

Das Einzelgericht hat am Donnerstag zwar alle 16 Beschuldigten des Hausfriedensbruchs für schuldig befunden. Allen Beteiligten müsse klar gewesen sein, was die ganze Stadt Bern gewusst habe: dass das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) diese Nutzung weder erlaubt habe noch sie toleriere. Auch die meist formellen bis formalistischen Einwände, die die 16 Verteidiger im Prozess vorgebracht hatten, liess die Richterin nicht gelten.

Täter nicht eruierbar

Vom schwerwiegenderen Delikt der Drohung gegen Behörden und Beamte sprach Gerichtspräsidentin Bettina Bochsler hingegen alle 16 frei. Das mag auf den ersten Blick erstaunen, herrschten doch nach übereinstimmenden Berichten am Räumungsmorgen kriegsähnliche Zustände um «Effy 29», wie die Besetzer die Liegenschaft nannten.

Bei der Räumung leistete das Hausbesetzerkollektiv heftigen Widerstand. Gegenstände und Knallpetarden wurden geworfen. Mehrere Einsatzkräfte wurden dabei verletzt. Zwei Polizisten und ein Feuerwehrmann leiden wegen der Explosion von Knallkörpern in ihrer Nähe noch heute unter einem Tinnitus, der vermutlich nicht mehr heilen wird.

Dass sich Angehörige des Besetzerkollektivs mit Gewalt gegen die Polizei wehrten, ist nicht zu bestreiten. Die Anwälte der verletzten Beamten hatten im Prozess ausgeführt, dass die Besetzer als «zusammengerotteter Haufen» agiert hätten. Auch wer selbst keine Petarde, Metallstange oder Farbe geworfen oder geschüttet habe, sei mit diesen Handlungen einverstanden gewesen. Es gelte das Prinzip, wie es auch der Volksmund benenne: Mitgegangen, mitgefangen. Dieses Prinzip kommt in ähnlicher Weise bei Landfriedensbruch zur Anwendung, wenn Kundgebungsteilnehmer sich beim Auftreten von Gewalt nicht separieren.

Den Eindruck eines verschworenen Kollektivs erzeugten auch die Beschuldigten selbst. Die meisten hatten sich sowohl in der Untersuchung als auch in der Hauptverhandlung in Schweigen gehüllt, indem sie sich auf das prozessuale Recht der Aussageverweigerung beriefen. Eine Distanzierung gab es nicht. Auch hissten sie am Räumungstag nicht die weisse Flagge. Es hätte Gelegenheit gegeben, sich zu ergeben und die Liegenschaft zu verlassen, hatten die Anwälte der Privatkläger ausgeführt. Doch diese Möglichkeit hätten sie nicht genutzt.

Die Staatsanwaltschaft hatte nach Empfinden des Unterstützerumfelds «horrende Strafen» beantragt, bei einigen bis zu 12 Monate Gefängnis.

Nicht alle wussten alles

Weshalb also der Freispruch? Die Gerichtspräsidentin sagte, in der unübersichtlichen Liegenschaft mit den auf mehrere Etagen verteilten Zimmer könne nicht jeder Beteiligte gewusst haben, was andernorts im Haus geschehe. Auch seien die waffenähnlichen Gegenstände nicht von allen bemerkt worden. Zudem sei es am Räumungstag faktisch nicht mehr möglich gewesen, die Liegenschaft zu verlassen.

Die Taktik der Opferanwälte, jeden Beteiligten des Kollektivs der zumindest fahrlässigen oder stillschweigenden Mittäterschaft zu bezichtigen, verfing somit nicht. Bochsler sagte in der Urteilsbegründung, eine kurze Frist zum Verlassen des Gebäudes hätte geholfen, die Spreu vom Weizen zu trennen. Wer nach der Aufforderung im Haus geblieben wäre, hätte so implizit seine Unterstützung für die Gewalttaten bekundet.

Mahnende Worte

Die Richterin verlas die Urteile für die 16 Beschuldigten, von denen fast alle lediglich Geldstrafen von wenigen Hundert Franken bekommen – und dies erst noch bedingt, verbunden mit einer Probezeit. Es war zu spüren, dass der Ausgang des Verfahrens ausser den Beschuldigten niemanden befriedigt.

Bochsler holte darum zu einer Moralpredigt aus. «Dies ist mitnichten ein Freipass für zukünftige Besetzungen», sagte sie. «Das Urteil besagt auch nicht, dass Gewalt gegen Behörden und Beamte toleriert wird.» Sie zitierte aus einem kürzlich erschienenen «Bund»-Artikel, in dem eine Autorin Gewalt als «moralischen Totalbankrott» bezeichnet habe, nur «peinliche Würstchen» wendeten Gewalt an. Die Richterin gab ihrem Unverständnis Ausdruck, dass Kreise um die Beschuldigten zwar lautstark Gewalt gegen Ausländer oder Frauen verurteilten, aber bei Gewalt gegen Polizisten schwiegen. «Das ist eine Bankrotterklärung.»

Da in einem Strafverfahren jeder das Recht auf Verteidigung hat, werden dem Kanton Bern rund 15’000 Franken Anwaltskosten pro Person überbunden. Von den Gerichtsgebühren im Umfang von je 10’000 Franken müssen die Verurteilten ein Viertel übernehmen. Die meisten hatten, sofern sie sich dazu äusserten, geringe Einkommen angegeben. Die Privatkläger bleiben auf ihren Anwaltskosten sitzen.

Keine Zwischennutzung

Die Besetzung hatte am 6. Dezember 2016 ihren Anfang genommen. Damals besetzte das Kollektiv «Oh du Fröhliche» die Liegenschaft, die dem Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) gehört. Die städtische Stelle, die bei Besetzungen oft Zwischennutzungslösungen vermittelt, wurde von keiner Seite hinzugezogen.

Die Besetzergruppe verstand ihre Aktion als Protest gegen eine fade Stadt, in der einzig Profitdenken Gewicht habe. «Effy 29», wie sie die Liegenschaft nannten, sei einer der raren Freiräume, in der alternative Lebensentwürfe ohne überteuerte Mieten realisiert werden könnten. Vor Prozessbeginn hatten Sympathisanten vorübergehend diverse Liegenschaften scheinbesetzt, aber umgehend wieder freigegeben.
(https://www.derbund.ch/weil-es-kein-ultimatum-gab-milde-strafen-fuer-hausbesetzer-239573293740)



derbund.ch 17.06.2021

Kommentar zur Gewalt gegen PolizistenNicht «richtig», aber rechtens

Das Urteil im «Effy»-Prozess verärgert viele. Dennoch war der Teilfreispruch der 16 Hausbesetzerinnen und -besetzer unvermeidlich.

Markus Dütschler

Gewalttätige Szenen um ein besetztes Haus – und dann Freispruch? Das «gesunde Volksempfinden» hat dazu nur einen Kommentar: «Geits no?» Polizisten und ein Feuerwehrmann wurden durch Petarden dauerhaft geschädigt, auch entstand grosser Sachschaden. Weshalb werden die 16 Personen des Kollektivs «Oh du Fröhliche» nur wegen Hausfriedensbruchs bestraft, aber nicht wegen der gravierenderen «Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte»?

Die Antwort ist einfach: Weil die Justiz nur bestrafen kann, was erwiesen ist. Das Kollektiv, das die Bundes-Liegenschaft in Beschlag nahm, wusste, dass dies nicht erlaubt ist. Die 16 haben sich kaum darum bemüht, eine legale Zwischennutzung zu erreichen. Deshalb ist der Hausfriedensbruch evident.

Beim zweiten Delikt brachten die Anwälte der Polizisten und des Feuerwehrmanns den juristischen Begriff des «zusammengerotteten Haufens» ins Spiel, der jenem des Landfriedensbruchs gleicht: Wer Gewalttaten geschehen lässt, ohne sich von der Demo abzusetzen, macht sich schuldig, auch wenn er selbst keine Gewalt ausübt. Mitgegangen – mitgefangen, sagt der Volksmund.

Die Richterin sah dies anders. Sie geht davon aus, dass im Haus nicht alle Beteiligten wussten, was die anderen taten. Auch hätten sie dieses nicht mehr verlassen können, selbst wenn sie gewollt hätten. Nur ein letztes Ultimatum vor der Räumung hätte die Spreu eindeutig vom Weizen getrennt.

Die 16 machten es der Justiz nicht leicht, da sie meist schwiegen. Man mag das als Arroganz und Missachtung werten, was es sicher auch war. Aber Schweigen ist das Recht jedes Beschuldigten, aus dem ihm keinerlei Nachteil erwachsen darf.

Gewalt gegen Einsatzkräfte ist in einem Rechtsstaat durch nichts zu rechtfertigen. Es ist darum verständlich, wenn bei Polizisten der Groll über das Urteil gross ist. Doch der Rechtsstaat gilt immer, selbst gegenüber frivolen Besetzern, die sich um ihn foutieren.
(https://www.derbund.ch/nicht-richtig-aber-rechtens-510604648486)



bernerzeitung.ch 17.06.2021

«Effy 29»-Prozess: Mildes Urteil für die Hausbesetzer

Die 16 Hausbesetzer an der Effingerstrasse werden nur wegen Hausfriedensbruchs belangt, nicht jedoch wegen Gewalt gegen Beamte.

Michael Bucher

Es ist ein überraschendes Urteil: Von den 16 Hausbesetzerinnen und -Besetzern an der Effingerstrasse muss niemand ins Gefängnis. Alle Angeklagten wurden am Freitagmorgen nur wegen Hausfriedensbruchs verurteilt, nicht aber wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte.

Dies entschied das Regionlagericht Bern-Mittelland am Freitagmorgen am Ende eines zweieinhalb Wochen andauernden Prozesses. Es wurden allesamt nur Geldstrafen ausgesprochen, bis auf eine sind alle bloss bedingt. Bezahlen müssen die Beschuldigten einen Viertel der Verfahrenskosten. Bei einigen Vorbestraften fallen zusätzlich Bussen in der Höhe von rund 200 Franken an.

Zwar kam die Einzelrichterin zum Schluss, dass vom Besetzerkollektiv bei der Räumung der Liegenschaft Gewalt ausgeübt wurde. Allerdings sei unklar, wer daran alles beteiligt gewesen sei.
Herbe Niederlage für Staatsanwaltschaft

Die vier Frauen und zwölf Männer standen während der letzten zweieinhalb Wochen vor dem Regionalgericht- Bern-Mittelland. Sie hatten als linksautonomes Kollektiv «Oh du Fröhliche» vor gut vier Jahren die Liegenschaft an der Effingerstrasse 29 besetzt und sich gewaltsam gegen die Räumung der Polizei gewehrt. Feuerwerk und allerhand Mobiliar wurden dabei auf die Einsatzkräfte geworfen. Den Beschuldigten wird Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamten sowie Hausfriedensbruch vorgeworfen.

Weil rund zwei Drittel der Beschuldigten einschlägig vorbestraft ist, forderte die Staatsanwaltschaft teils harte Strafen. Vier Männer sollten ins Gefängnis, die Dauer variierte zwischen neuneinhalb und zwölf Monaten. Neun Personen sollten insgesamt unbedingte Strafen erhalten. Das nun vorliegende Urteil ist demnach eine herbe Niederlage für die Staatsanwaltschaft

Derweil zerpflückten die Verteidiger der 16 Beschuldigten die Anklageschrift. Diese sei unbrauchbar, da keinem der Angeklagten eine konkrete Tat vorgeworfen werde. Unisono forderten sie Freisprüche für ihre Klienten. Auch stellten sie die Verhältnismässigkeit des damaligen Polizeieinsatzes infrage. Die Beschuldigten hätten keine Möglichkeit gehabt, das Gebäude freiwillig zu verlassen, monierten sie.
(https://www.bernerzeitung.ch/mildes-urteil-fuer-die-hausbesetzer-404335866235)



„Der Prozess ging von Anfang an gegen die Polizisten anstatt gegen die Besetzer. Trotz einschlägiger Vorstrafen von 2/3 der Hausbesetzer muss niemand ins Gefängnis! Ist die Richterin auf dem links-grünen Auge blind?“
https://twitter.com/bernstark/status/1405541495566864394



derbund.ch 17.06.2021

Kritik nach Teilfreispruch: «Tiere sind besser geschützt als Einsatzkräfte der Polizei»

Regierungsrat Philippe Müller (FDP) kritisiert die milden Urteile im «Effy»-Prozess. Wer zusehe, wie Feuerwerkskörper zum Angriff vorbereitet werden, der mache sich mitschuldig.

Sophie Reinhardt

Der Prozess gegen die Hausbesetzer an der Berner Effingerstrasse endet lediglich mit Geldstrafen. Die 16 Angeklagten kommen glimpflich davon, weil nicht eruierbar ist, wer von ihnen die Polizisten attackiert hat. Vom schwerwiegenderen Delikt der Drohung und Gewalt gegen Behörden und Beamte sprach das Regionalgericht Bern-Mittelland alle frei – zum Entsetzen des bernischen Polizeidirektors Philippe Müller (FDP): «Wenn dieses Urteil juristisch korrekt ist, dann sind Tiere bei uns besser geschützt als unsere Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Sanität», sagte er am Donnerstagnachmittag auf Anfrage.

Ein Kollektiv aus linksautonomen Kreisen hatte im Februar 2017 das Gebäude an der Effingerstrasse 29 in Bern besetzt und weigerte sich, dort wieder abzuziehen. Bei der polizeilichen Räumung seien die kantonalen Mitarbeiter bei ihrem Einsatz «massiver Gewalt» ausgesetzt gewesen, beteuert Müller. Mit Feuerwerk und Steinen schossen die Besetzer aus den Fenstern und von den Balkonen auf die Polizeikräfte: «Es kann doch nicht sein, dass solche Gewalt keine juristischen Konsequenzen mit sich bringt», sagt Müller. Wer zusehe, wie Steine, Eisenstangen und Feuerwerksraketen zum Einsatz bereitgemacht würden, und sich nicht entferne, gehöre seiner Meinung nach zur Zusammenrottung und sei «mitgefangen – mitgehangen».

Auch die Verteidigung bestritt nicht, dass Feuerwerk und Mobiliar Richtung Polizei geflogen waren. Doch niemand wisse, wer was getan habe. Zum Freispruch gegen den Vorwurf der Drohung und Gewalt gegen Beamte kam es, weil für das Gericht letztlich nicht mit Sicherheit erstellt werden konnte, wer im Innern des Gebäudes gewaltsam Widerstand gegen die Polizei geleistet hatte.

Es sei für ihn als verantwortlicher Polizeidirektor schwierig, seine Mitarbeitenden in heikle Situationen zu schicken, wenn er befürchten müsse, dass sie bei ihrer Arbeit nicht genügend geschützt werden, so Müller.

«Leiden bis heute»

Die Richterin kam am Donnerstag zum Schluss, dass die Beweislage viel einfacher gewesen wäre, wenn die Polizei den Besetzenden am Morgen der Räumung eine kurze Frist eingeräumt hätte, um die Liegenschaft noch zu verlassen. «Es gab im Vorfeld Aufforderungen, das Gebäude zu verlassen», argumentiert seinerseits Müller. Dass ihre Aktion illegal gewesen sei, müsse den Besetzern bewusst gewesen sein. «Man kann nicht vor jeder Intervention noch warnen, dass die Polizei jetzt kommt.» Sonst sei der Erfolg der Polizeiaktion gefährdet.

«Erstaunt» über den Freispruch der 16 Besetzerinnen und Besetzer gibt sich auch Adrian Wüthrich, Präsident Polizeiverband Bern-Kanton und Alt-SP-Nationalrat. Bis heute würden zwei Polizisten an den Folgen des Einsatzes leiden. «Diese Mitarbeiter der Blaulichtorganisationen wurden von den Täterinnen und Tätern bewusst angegriffen; dass diese nun nicht verurteilt wurden, ist nicht ganz nachvollziehbar», so Polizeigewerkschafter Wüthrich.

Auch bei der Pressestelle der Kantonspolizei heisst es auf Anfrage, man sei «betroffen» von den Freisprüchen. Als Teil der Strafverfolgungsbehörden respektiere die Kantonspolizei Bern aber «selbstverständlich den Entscheid des Gerichts», teilt ein Sprecher weiter mit. Da es sich um Zivilklagen handelte, ist die Kantonspolizei Bern nicht Partei. «Unsere Mitarbeitenden werden bei der Durchsetzung ihrer Rechte von der Kantonspolizei Bern als Arbeitgeberin unterstützt. Dies auch finanziell, was die rechtliche Vertretung bei einem allfälligen Weiterzug des Urteils vor eine nächste Instanz betrifft», heisst es seitens Polizei weiter. Darüber hinaus gelte es nun, die schriftliche Urteilsbegründung abzuwarten und dann mit Blick auf künftige Einsätze genau zu analysieren.

Das Urteil im «Effy»-Prozess verärgert viele. Dennoch war der Teilfreispruch der Hausbesetzerinnen und -besetzer unvermeidlich. Warum, erklären wir in unserem Kommentar.
(https://www.derbund.ch/tiere-sind-besser-geschuetzt-als-einsatzkraefte-der-polizei-904046069638)


+++REPRESSION DE
Großeinsatz in der Rigaer Straße 94: Polizei bricht ein
Die Brandschutzbegehung des besetzten Hauses Rigaer94 verzögert sich am Donnerstag zunächst. Dann geht die Polizei gewaltsam ins Gebäude.
https://taz.de/Grosseinsatz-in-der-Rigaer-Strasse-94/!5779630/
-> https://twitter.com/rigaer94
-> https://taz.de/Polizeieinsatz-in-der-Rigaer94/!5777054/
-> https://www.derbund.ch/wenn-die-polizei-mit-der-kettensaege-durch-die-tuer-kommt-809376088756
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153371.rigaer-einbruch-in-der-rigaer-strasse.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/404700.wem-geh%C3%B6rt-die-stadt-durchsichtiges-spiel.html
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/2021-06/rigaer-94-polizei-hausbesetzung-berlin-eskalation?wt_zmc=sm.int.zonaudev.twitter.ref.zeitde.redpost.link.x&utm_medium=sm&utm_source=twitter_zonaudev_int&utm_campaign=ref&utm_content=zeitde_redpost_link_x
-> https://www.morgenpost.de/berlin/article232559983/Brandschutzpruefer-ist-nach-Auseinandersetzung-im-Haus.html
-> https://www.morgenpost.de/berlin/article232557077/Brandschutzpruefung-in-Rigaer-94-verzoegert-sich.html
-> https://www.morgenpost.de/berlin/article232556843/Polizei-mit-rund-350-Kraeften-an-Rigaer-94-im-Einsatz.html
-> https://www.morgenpost.de/berlin/article232556611/Rigaer-94-Polizei-hofft-auf-ruhigen-Einsatz.html
-> https://www.morgenpost.de/bezirke/friedrichshain-kreuzberg/article232556535/Live-Blog-Polizei-verschafft-sich-Zutritt-zur-Rigaer-94.html
-> https://aktionsticker.org/
-> https://twitter.com/alx_froehlich
-> https://twitter.com/s_zamora_martin
-> https://twitter.com/retep_kire
-> https://twitter.com/LeftvisionClips
-> https://twitter.com/Marie__Frank
-> https://twitter.com/Andy_LcL
-> https://twitter.com/KopietzAndreas
-> https://vimeo.com/564086323
-> https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/rigaer-strasse-in-berlin-der-angriff-startet-verpisst-euch-a-61e2a924-788f-4dbc-81c1-1fa883ae501a?utm_source=dlvr.it&utm_medium=%5Bfacebook%5D&utm_campaign=%5Bspontop%5D#ref=rss


Ankündigung im Abgeordnetenhaus: Geisel: Räumung in einigen Monaten
Innensenator nennt Attacken auf Polizisten in der Rigaer Straße „offenes Gangstertum“. Zu Steinewürfen werde wegen versuchten Totschlags ermittelt.
https://taz.de/Ankuendigung-im-Abgeordnetenhaus/!5777058/


+++SOZIALRECHT
Weil sie Angst vor Schlechterstellung haben – Ausländer verzichten auf Sozialhilfe
SP-Nationalrat Mustafa Atici berichtet von Menschen, die trotz Anspruch keine Sozialhilfe beziehen, weil sie sich sonst nicht einbürgern lassen können oder ihre Niederlassungsbewilligung zu verlieren drohen. Corona habe die Situation noch verschärft.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/verschaerfungen-weil-sie-angst-vor-schlechterstellung-haben-auslaender-verzichten-auf-sozialhilfe-ld.2152631


Aargauer Sozialhilferecht beschäftigt Bundesgericht
Eine Aargauer Gemeinde hat von einer Frau verlangt, dass sie die Sozialhilfe mit den Pensionskassengeldern zurückzahlt. Das kantonale Verwaltungsgericht fand dies rechtens. Dagegen wehrt sich die Frau mit Hilfe der Unabhängigen Fachstelle für Sozialhilfe. Sie gehen nun ans Bundesgericht.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/aargauer-sozialhilferecht-beschaeftigt-bundesgericht?id=12005174
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/sozialhilfe-mit-der-pension-sozialhilfeschulden-bezahlen-umstrittene-aargauer-praxis-wird-fall-fuers-bundesgericht-ld.2152283


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Sozialleistungen zurückbezahltIrakischer Physiker kann nun doch eingebürgert werden
Der Kanton Bern verweigert sich nicht mehr, Munir al-Hashimi den Schweizer Pass zu geben. Grund: Seine Schulden wurden von einer reichen Mäzenin übernommen.
https://www.derbund.ch/nun-prueft-der-kanton-die-einbuergerung-des-irakischen-physikers-erneut-308857799689
-> https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.mm.html/portal/de/meldungen/mm/2021/06/20210616_1416_weiterhin_vollstaendigerueckzahlungerforderlich



derbund.ch 17.06.2021

Wegen Rückzahlung SozialhilfeStreit um Einbürgerung beigelegt – die Grundsatzfrage bleibt

Die Einbürgerung des irakischen Physikers Munir Al Hashimi wird vom Kanton nicht mehr blockiert. Der Rechtsstreit um die Höhe der geschuldeten Sozialhilfe bleibt ungeklärt.

Bernhard Ott

Im Fall des einbürgerungswilligen Physikers Munir Al Hashimi kommt es nun doch nicht zu einem Urteil des Verwaltungsgerichts. Mit der Bezahlung bezogener Sozialhilfe in der Höhe von 40’000 Franken durch die Rudolf-und-Ursula-Streit-Stiftung hat Al Hashimi «die Vorgaben der Sicherheitsdirektion erfüllt», wie es in einer Mitteilung heisst. Durch die Zahlung kurz vor dem erwarteten Urteil habe Al Hashimi «die Einbürgerungsvoraussetzungen anerkannt», stellt die Sicherheitsdirektion von Philippe Müller (FDP) fest.

Der irakische Physiker hat vor Verwaltungsgericht gegen eine Verfügung des Kantons geklagt, mit der ihm die Einbürgerung verwehrt wurde. Der Kanton hat die Verfügung aufgrund der Rückzahlung nun zurückgezogen und führt das Einbürgerungsverfahren fort.

Stadt und Kanton im Clinch

Politisch brisant wurde der Fall, weil Stadt und Kanton Bern unterschiedliche Haltungen vertreten. Die Stadt hiess die Einbürgerung gut und hat für Al Hashimi gar den verlangten Betrag beglichen. Die kantonale Direktion von Philippe Müller hat dies aber nicht akzeptiert, weil es «einer blossen Umverteilung staatlicher Gelder entspricht», wie es in einer Stellungnahme vor Gericht heisst, die dem «Bund» vorliegt.

Al Hashimi kam 2003 als Flüchtling in die Schweiz und hat in der ersten Zeit Sozialhilfe bezogen. Die Kosten in der Höhe von 34’000 Franken hatte er zurückbezahlt, nachdem er 2013 bis 2016 für die Universität Bern ein Projekt akquiriert hatte, das durch die Katar Foundation finanziert wurde. Danach hat Al Hashimi ein Einbürgerungsgesuch gestellt, weil die Universität Katar für weitere Aufträge seinen Flüchtlingspass nicht mehr akzeptierte.

Widersprüchliche Rechtslage

Juristisch drehte sich der Konflikt zwischen Stadt und Kanton um die Frage, ob Einbürgerungswillige nicht nur den Grundbedarf einst bezogener Sozialhilfe zurückzahlen müssen, sondern auch die Kosten für die Arbeitsintegration. Im Sozialhilfegesetz wird Letzteres explizit ausgeschlossen. Laut Müller ist aber die Einbürgerungsgesetzgebung massgeblich. Und diese sehe vor, dass bezogene Sozialhilfe vollständig zurückbezahlt werden müsse. Das umfasse nebst dem Grundbedarf eben auch weitere Sozialhilfeleistungen wie die Kosten für Arbeitsintegration, sagt Müller. Das Rechtsverständnis werde durch ein Urteil des Verwaltungsgerichts gestützt, wonach die Rückzahlung der Sozialhilfe in Einbürgerungsverfahren «in keinem Zusammenhang» mit dem Sozialhilfegesetz stehe. Sie sei vielmehr «Ausdruck einer erfolgreichen wirtschaftlichen Integration».

Müller verwahrt sich gegen die Berichterstattung im «Bund», wonach er im Fall Al Hashimi eine Forscherkarriere verhindert habe. «Meine Direktion wendet das Gesetz an, auch wenn das nicht allen passt.» Und der Kanton Bern habe seit der Annahme der Initiative «Keine Einbürgerung von Verbrechern und Sozialhilfeempfängern» von Erich Hess (SVP) nun mal ein relatives strenges, vom Grossen Rat erlassenes Einbürgerungsgesetz. Seither sehen Kantonsverfassung und Gesetzgebung die «vollständige Rückzahlung» von Sozialhilfe vor.

Müller findet es «schade», dass es im Fall Al Hashimi nicht zu einem Urteil gekommen sei. Denn die Widersprüche zwischen Sozialhilfegesetz und Einbürgerungsgesetzgebung bleiben bestehen. «Die involvierten Behörden müssten mal zusammensitzen und die Rechtslage besprechen», sagt der Sicherheitsdirektor. Letztlich könne aber nur der Grosse Rat eine Änderung herbeiführen.

Arbeit für Gottes Lohn

Bei Munir Al Hashimi ist die Freude gross: «Das sind tolle Neuigkeiten», sagt der Forscher. Der Schweizer Pass werde es ihm ermöglichen, wieder nach Katar zu reisen, um ein weiteres Forschungsstipendium zu beantragen. Das werde er aber wohl nicht mehr für die Universität Bern machen. «In Zürich suchen sie eine Zusammenarbeit mit Katar.»

Das Al Hashimi nicht mehr an der Uni Bern arbeiten will, hat noch einen weiteren Grund: In den letzten zwei Jahren hat Al Hashimi am Institut für theoretische Physik zur Quantenmechanik geforscht, was zu bisher zwei wissenschaftlichen Publikationen geführt hat – und dabei nichts verdient. Das Ersuchen um eine Entschädigung sei vom Institut aber unter Hinweis auf «interne Regeln» abgelehnt worden, sagt Al Hashimi.

Die Universität Bern bestätigte in einer früheren Stellungnahme, das Al Hashimi in ein Projekt am Institut für theoretische Physik involviert gewesen sei. Man habe ihm aber von Anfang an klargemacht, «dass er nicht mit einer Anstellung oder irgendwelchen finanziellen Entschädigungen rechnen dürfe».
(https://www.derbund.ch/streit-um-einbuergerung-beigelegt-die-grundsatzfrage-bleibt-299469139877)



bernerzeitung.ch 17.06.2021

Ausschaffung eines Ausländers: Die Drogen werden der Familie zum Verhängnis

Für die Behörden ist er der Drogendealer, der ausgeschafft gehört. Für seine Partnerin der liebende Vater ihrer Kinder. Über eine Familie, die dem Unausweichlichen ausweichen will.

Lea Stuber

Wäre er damals, im Frühsommer 2018, nicht mit Drogen erwischt worden – sie wären jetzt nicht hier. John K.* (35), Sara M.* (34) (beide Namen geändert), ihre zwei gemeinsamen Kinder (3 und 1) und Sara M.s ältestes Kind (7) haben vor einigen Wochen ihre Wohnung in einem Dorf nahe Bern verlassen. Nun leben sie vorübergehend woanders.

Das müssten sie nicht tun, wäre er nicht mit gut 70 Gramm Kokain erwischt worden und hier nicht ein Ausländer. So aber wird John K., sobald die Polizei ihn schnappt, in Ausschaffungshaft kommen und danach von der Schweiz nach Nigeria ausgeschafft.

Denn das Strafgericht verurteilte ihn, den nigerianischen Staatsbürger, nicht nur zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten, davon 15 Monate bedingt, sondern nach Artikel 66 des Strafgesetzbuches, der seit 2016 in Kraft ist, auch zu einer Landesverweisung von acht Jahren.

Zweimal war die Polizei bereits in der Berner Wohnung der Familie, die sie inzwischen verlassen hat, durchsuchte jedes Zimmer, weckte dabei frühmorgens die Kinder. Zweimal fand sie John K. nicht, gerade noch rechtzeitig hatte er sich verstecken können.

«Wenn ich mir vorstelle, dass sie ihn wirklich gefunden und mitgenommen hätten», sagt Sara M., die Schweizerin, und schüttelt den Kopf. Sie gibt sich kämpferisch, sagt Dinge wie: «Wir wollen wieder eine Anwältin nehmen und schauen, was wir machen können», doch ab und an klingt die Hoffnungslosigkeit mit.

Sie hält das Smartphone vor sich und blickt in die Kamera, neben ihr sitzt John K. Man verstehe ja, wie schwer die Situation für sie und die Kinder sei, habe es beim kantonalen Migrationsdienst geheissen. Doch er müsse nun mal nach Hause zurück. «Wo ist denn zu Hause», fragt John K. jetzt, «für jemanden, der eine Familie hat?» Sie erzählen per Videocall, hie und da wirbelt ein Kind durchs Bild.

Die Reue des Vaters

Im Frühsommer 2018 habe er ein Kinderbett kaufen wollen, sagt John K. «Ich wurde zum ersten Mal Vater und freute mich so auf das Kind. Um für das Baby da zu sein, wollte ich alles tun.»

An jenem Tag, als ihn die Polizei kontrollierte, hätte er die gut 70 Gramm Kokain von A nach B bringen sollen. Selber konsumiert, das habe er nicht. «Une culpabilité importante», hielt das Strafgericht Lausanne im Urteil fest. Eine schwere Schuld.

«Ich bereue es, sehr sogar», sagt John K., «ich hätte das nicht tun sollen.» Er habe versucht, auf anderen Wegen zu Geld zu kommen. Ganz am Anfang durfte er, der Asylbewerber, der von acht Franken am Tag lebte, nicht arbeiten. Danach wurde es ihm verunmöglicht: Er hätte den Job auf dem Bau schon gehabt, bekam aber keine Arbeitsbewilligung.

Wer ist ein Härtefall?

Mit Artikel 66 des Strafgesetzbuches, der Umsetzung der 2010 angenommenen Ausschaffungsinitiative, wird eine Landesverweisung für sogenannte Katalogstraftaten, etwa schwere Betäubungsmitteldelikte, obligatorisch.

Von der Landesverweisung kann das Gericht nur bei einem schweren persönlichen Härtefall absehen. Und wenn zudem die privaten Interessen der Ausländerin oder des Ausländers, in der Schweiz zu bleiben, höher zu gewichten sind als die öffentlichen Interessen an einer Landesverweisung.

Warum war John K. kein Härtefall?

Grund 1: die Art des Delikts. Im Grunde sollte diese keine Rolle spielen, denn bei der Härtefallprüfung geht es um die persönliche Situation der Person. Doch bei Betäubungsmitteldelikten seien die Chancen, als Härtefall zu gelten, deutlich kleiner als bei anderen Katalogtaten, etwa Vermögensdelikten. Diese Erfahrung macht der Berner Anwalt Thomas Tribolet, der immer wieder Klienten mit einer Landesverweisung hat.

Die Zahlen vom Bundesamt für Statistik (BfS) bestätigen dies: Im Durchschnitt wurde im Jahr 2020 bei gut 60 Prozent der Verurteilungen nach Artikel 66 eine Landesverweisung ausgesprochen. Bei schweren Betäubungsmitteldelikten steigt die Quote auf beinahe 90 Prozent. Eine ähnlich hohe Quote hat nur Diebstahl.

Die Richterinnen und Richter fühlten sich wegen der politischen und medialen Diskussion rund um das Thema Drogen unter Druck und legten das Gesetz streng aus, sagt Tribolet. Insbesondere, wenn die Person – wie John K. – aus einer prekären Situation heraus und mit der Aussicht auf ein relativ gutes Einkommen Botengänge im Auftrag einer kriminellen Organisation mache. «Genau Menschen wie ihn hatte man bei der Landesverweisung im Kopf», sagt Tribolet.

Grund 2: die Dauer der Freiheitsstrafe. Je länger diese ist, desto kleiner die Chancen, in der Schweiz bleiben zu dürfen. Auch dies zeigen die BfS-Zahlen für 2020: Bei mehr als 24 Monaten Freiheitsentzug wurden in fast 90 Prozent aller Fälle Landesverweisungen ausgesprochen.

Anwalt Tribolet sagt: «Mit 30 Monaten kommt dieser Fall in einen Bereich, wo es schon vor der Ausschaffungsinitiative schwierig geworden wäre.» Früher konnte bei mehr als zwölf Monaten Freiheitsentzug die Aufenthaltsbewilligung widerrufen werden.

Grund 3: die Aufenthaltsdauer in der Schweiz und die Familienverhältnisse. John K. lebt seit 2015, als er mit 30 Jahren ein Asylgesuch stellte, in der Schweiz. Das ist eine relativ kurze Zeit, gerade im Vergleich zu Leuten, die keinen Schweizer Pass haben, aber schon in der Schweiz aufgewachsen sind. Sara M. und John K. versuchten zweimal, zu heiraten, doch es klappte nicht. Unter anderem wegen fehlender Papiere, die John K., beim zweiten Versuch in Haft, nicht organisieren konnte.

Auch als seine erste Tochter zur Welt kam, sass John K. in Haft, das war noch vor dem Urteil. Anerkennen konnte John K. seine Tochter erst nach der Freilassung. Selbst wenn er sie schon vor dem Urteil anerkannt hätte, wäre er wohl kein Härtefall gewesen, schätzt Tribolet: «Wenn Kinder klein sind, wird der Eingriff als weniger gross betrachtet.»

Seit dem Strafurteil vom Mai 2019 sieht die Schweizer Justiz John K.s Situation also nicht als schweren persönlichen Härtefall. Er beziehungsweise seine Anwältin legte dagegen Berufung ein. Später zog die Anwältin diese wieder zurück. Warum, weiss er nicht.

Die Familie kämpft

Seit er aus der Haft entlassen wurde, kämpfen sie, wie Sara M. und John K sagen. Sie versuchen, die Behörden zu überzeugen, dass sie als Familie zusammenbleiben müssen.

«Wird ein Schweizer kriminell, sitzt er seine Haft ab und gut ist», sagt Sara M. Der Anwalt Thomas Tribolet ist der Meinung, dass die Bestimmung der Landesverweisung das Schweizer Strafverfahren und den Strafvollzug infrage stellt. «Ziel einer Gefängnisstrafe ist die Resozialisierung und künftige Straffreiheit. Die Landesverweisung sollte also eigentlich erst nach dem Vollzug der Freiheitsstrafe verfügt werden, sofern dieses Ziel nicht erreicht werden konnte.»

Die erste Hoffnung von John K. und Sara M. war der Asylantrag, der noch hängig war. Als anerkannter Flüchtling wäre der Vollzug seiner Landesverweisung aufgeschoben worden. Doch er wurde abgelehnt.

Danach versuchten sie noch einiges, zahlten mit der Unterstützung von Sara M.s Familie über 5000 Franken für Anwälte. John K. stellte Gesuche und Rekurse, ging gar ans Bundesgericht. Nichts nützte.

Während in Strassburg beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte noch eine Beschwerde von John K. hängig ist, lässt sich diese Geschichte so zusammenfassen: Wenn nicht direkt nach dem Strafurteil Berufung eingelegt wird, stehen die Chancen schlecht, die Landesverweisung noch abwenden zu können. Doch für John K. hätte wohl selbst die Berufung nicht viel ändern können. Dazu sind die Schweizer Gesetze und deren Anwendung zu streng, seine persönliche Situation aus Behördensicht zu wenig tragisch.

Die Polizei an der Tür

Und jetzt kommt die Zwangsausschaffung näher. «Wenn wir in unsere Wohnung zurückgehen», sagt Sara M., «wird alles wieder hochkommen.»

Das Klingeln um sechs Uhr morgens, die Polizeiautos vor dem Haus, an der Tür ein Dutzend Polizistinnen und Polizisten. Jetzt ist es also so weit, sagten sie sich, als die Polizei weg war.

Nach drei Wochen war die Polizei wieder da. Sara M., die gerade die Zähne putzte, blieb keine Zeit, die Zahnpasta ins Becken zu spucken, schon stand ein Polizist – ohne den Durchsuchungsbefehl gezeigt zu haben – in der Wohnung. Er stiess sie vor den Kindern an die Wand. Die Folge: Schürfwunden an Schulter und Hand, sie musste zur Ärztin. Wo er sei, habe der Polizist wissen wollen. «Ich weiss es nicht», sagte sie, während John K. nebenan in einer Kleiderkiste hockte.

«Du rechnest jeden Augenblick damit, dass die Polizei wiederkommt», sagt Sara M. Das älteste Kind habe einen Stuhl ans Fenster gestellt und fortan nach Polizeiautos Ausschau gehalten. Jedes Mal, wenn es geklingelt habe, seien die zwei älteren Kinder aufgeschreckt.

Seit sie untergetaucht sind, unterrichtet Sara M. das älteste Kind. Es habe ein traumatisches Erlebnis gehabt, habe Schlafstörungen, den Unterricht könne es im Moment nicht besuchen, schrieb die Kinderärztin der Schule.

Im Moment bezieht Sara M., die ausgebildete Kauffrau, Sozialhilfe. Ihr Wunsch sei es, sich von der Sozialhilfe lösen zu können. Einen Job suchen könne sie aber nur, wenn sie die Kinderbetreuung mit John K. aufteilen könne.

«Die Schweiz», sagt Sara M., «unterstützt anscheinend lieber eine alleinerziehende Mutter, als dass sie einen Mann, der seine Strafe abgesessen hat, in der Schweiz lässt.» Dazu sagt Anwalt Thomas Tribolet: «Das öffentliche Interesse, dass er gehen muss, überwiege, wird argumentiert. Es wäre auch ein öffentliches Interesse, dass die Frau sich von der Sozialhilfe lösen kann.»

Viel von dem, was gerade passiert, kann die bald dreijährige Tochter noch nicht einordnen. Wenn Sara M. sie aber frage: «Was würdest du der Polizei sagen, wo Papi ist?», dann sage diese: «Ich weiss es nicht.» So viel hat sie verstanden.
(https://www.bernerzeitung.ch/die-drogen-werden-der-familie-zum-verhaengnis-798086599907)


+++KNAST
Der Fall Brian: Weit jenseits der roten Linie
Überreaktion, Willkür, extreme Repression: Die Behörden haben im Fall Brian masslos versagt. Selbst der Uno-Sonderberichterstatter für Folter erhebt schwere Vorwürfe. Dennoch: Brian ist erneut verurteilt worden – verwahrt wird er allerdings nicht.
https://www.woz.ch/2124/der-fall-brian/weit-jenseits-der-roten-linie


Nach neuem Urteil: «Brian ist enttäuscht vom Strafmass»
Brian («Carlos») ist der wohl bekannteste Häftling der Schweiz. Gestern erhielt er das Urteil des Obergerichts. Sein Anwalt ist damit unzufrieden.
https://www.nau.ch/news/schweiz/nach-neuem-urteil-brian-ist-enttauscht-vom-strafmass-65948452



tagesanzeiger.ch 17.06.2021

Analyse zum Brian-Urteil: Nun muss die Isolation beendet werden

Das Obergericht verzichtet darauf, Brian zu verwahren. Das ist mutig und richtig. Dennoch hinterlässt das Urteil einen schalen Nachgeschmack.

Liliane Minor

Man hätte gern miterlebt, wie das Obergericht über Brians Zukunft, über Schuld, Strafe und Massnahme diskutiert hat. Es muss das Gremium rund um den Vorsitzenden Christian Prinz einiges an Mut gekostet haben, Brian nicht auf unbestimmte Zeit hinter Gittern zu versenken. Nicht weil der 25-Jährige so gefährlich wäre. Sondern weil die Entrüstung programmiert ist, sollte Brian in Freiheit wieder zuschlagen.

Doch der Entscheid des Obergerichts ist richtig. Brian mag ein Schläger sein. Er mag beschimpfen, drohen, spucken, zerstören. Aber wie Oberrichter Prinz zu Recht sagte: Er ist kein Mörder, kein Vergewaltiger, kein Räuber, kein Brandstifter. Für solche hochgefährlichen Verbrecher ist die Verwahrung als allerletztes Mittel gedacht, um die Gefahr weiterer schwerster Taten zu bannen.

Aber sie ist nicht dafür gedacht, renitente Gefangene zu disziplinieren, deren Gewaltbereitschaft sich vor allem gegen die Justizbehörden richtet. Diese Zeiten sind zum Glück längst vorbei.

Doch so positiv und richtig der Verzicht auf eine Verwahrung ist: Das Urteil hinterlässt einen schalen Nachgeschmack.

Da ist erstens die Art und Weise, wie das Gericht die Aussagen der Beteiligten gewürdigt hat: Die Aufseher sind uneingeschränkt glaubwürdig, Brian überhaupt nicht. Dass sich die Aufseher nach Brians Angriff nachweislich über den Tatablauf abgesprochen haben? Egal. Eine Rekonstruktion des hoch umstrittenen Geschehens? Unnötig. Dass gegen dieselben Aufseher wegen eines anderen Vorfalls mittlerweile ein Strafverfahren läuft, weil Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen, wie einer von ihnen auf den gefesselt am Boden liegenden Brian einschlägt? Irrelevant.

Die zahlreichen detaillierten Schilderungen Brians, wie Aufseher ihn provozieren und schikanieren, tut das Gericht hingegen salopp als «Verschwörungstheorien» ab. Da ist die Vermutung zumindest nicht von der Hand zu weisen, dass ein gewisser Brian-Bias gespielt hat: Was nicht sein darf, darf nicht sein.

Zweitens die Verschärfung der Strafe von 4 Jahren und 9 Monaten auf 6 Jahre und 4 Monate. Eine nachvollziehbare Erklärung lieferte das Gericht in der mündlichen Urteilseröffnung nicht. Gut möglich, dass die Richter ganz einfach Zeit gewinnen wollten, damit Brians Entlassung vorbereitet werden kann. Nur: Damit verletzen sie das Prinzip, dass die Strafe schuldangemessen sein muss.

Umso irritierender ist, drittens, die Reaktion des Gerichts auf die Vorwürfe der Verteidigung, Brians Haftbedingungen seien als Folter einzustufen. Der junge Mann verbringt 23 Stunden am Tag allein in der Zelle, auch beim Hofgang hat er keinen Kontakt zu Mitinsassen. Obwohl namhafte Experten das harsch kritisieren, obwohl die UNO Anfang Woche einen Bericht von der Schweiz eingefordert hat, übt Oberrichter Prinz nicht die leiseste Kritik am Justizvollzug. Lieber spricht er Angehörigen, Anwälten und Unterstützern ins Gewissen, sie möchten Brian doch bitte auf den rechten Weg bringen.

Man hätte sich auch hier mehr Mut vom Obergericht gewünscht. Zumindest ein paar mahnende Worte auch an die Justiz. Denn eines ist klar: Brian hat bereits 1338 Tage seiner Strafe abgesessen, Stand heute kommt er in knapp drei Jahren frei. Es ist höchste Zeit, dass die Pöschwies-Verantwortlichen das äusserst rigide Haftregime lockern. Brian muss zwingend aus der Isolation geholt werden. Sonst droht die Entlassung tatsächlich im Fiasko zu enden.
(https://www.tagesanzeiger.ch/nun-muss-die-isolation-beendet-werden-415738182773)


+++POLIZEI DE
Rechtsextremismus bei der Polizei: „Es ist ein männliches Problem“
Beim Thema Rechtsextremismus innerhalb der Polizei gehe niemand mehr von Einzelfällen aus, sagt Polizeiwisschenschaftler Behr im Interview mit tagesschau.de. Und er erklärt, warum Männerbünde meist das Problem sind.
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/interview-rafaelbehr-rechtsextremismus-sek-103.html


Einsatz in Hamburg: Er war als Altenpfleger unterwegs – die Polizei hielt ihn für einen Drogendealer
John H. fuhr in Hamburg mit seinem E-Bike zu seinen Patienten. Plötzlich rissen drei Zivilpolizisten den schwarzen Altenpfleger vom Rad. Aus rassistischen Motiven?
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/hamburg-wie-die-polizei-einen-altenpfleger-fuer-einen-drogendealer-hielt-a-0569a0cb-738c-4107-9986-2510e98a646e


+++FRAUEN/QUEER
Feministischer Streik: «Jung und Alt müend zämestah»
100 000 Menschen protestierten am feministischen Streiktag in der ganzen Schweiz gegen Lohnungleichheit, die Geringschätzung von Care-Arbeit, Sexismus – und gegen die Erhöhung des Frauenrentenalters. Mittendrin die pensionierten Frauen des Silber-Teams.
https://www.woz.ch/2124/feministischer-streik/jung-und-alt-mueend-zaemestah


Vorstoss im Parlament: Gosteli-Archiv gerettet
Nachdem der Bundesrat dem Gosteli-Archiv ein Gesuch um Finanzhilfe positiv beantwortet hat, ist eine entsprechende Motion im nationalen Parlament hinfällig geworden.
https://www.bernerzeitung.ch/bedrohtes-gosteli-archiv-gerettet-842086200152
-> https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2021/20210617094351766194158159038_bsd054.aspx


+++RASSISMUS
Marianne Helfer wird neue Leiterin der Fachstelle für Rassismusbekämpfung
Marianne Helfer wird ab dem 1. Oktober 2021 die Leitung der Fachstelle für Rassimusbekämpfung (FRB) übernehmen. Sie tritt die Nachfolge von Michele Galizia an, der in Pension geht.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-84025.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
Die merkwürdige Geschichte der Firma Asgaard
Im Februar 2020 wurde im Auftrag der Bundesanwaltschaft die Firma Asgaard in Nordrhein-Westfalen durchsucht, die auch aktive Soldaten ins Ausland vermittelt. Der ex-Kommandosoldat und Geschäftsführer Dirk G. steht unter Terror-Verdacht. Auffällig sind die Kontakte seiner Firma zu Waffenhändlern, die Nordkreuz und die Gruppe des KSK-Soldaten Andre S. („Hannibal“) unterstützt haben. Zudem wird der Terrorverdächtige seit Jahren vom Unternehmer Reinhard Rade aus Leipzig beraten, der sich seit den 1980er Jahren mit Neonazis umgibt.
„Auch drängte Dirk G. darauf in einem Bunker in der Schweiz das Schießtraining für seine Rekruten abzuhalten. Der Betreiber des Bunkers ist ein führendes Mitglied der rechtspopulistischen Partei SVP und hatte die gigantische Anlage von der Schweizer Regierung gekauft. Der Bunker ist so groß, dass man dort mit Lastwagen durch die Katakomben fahren kann. Die Festung hatte sogar eine eigene Leichenhalle. Der Betreiber ging mit einem Konzept in die Offensive, das vor allem Prepper anziehen sollte. Ein Foto zeigt Dirk G. und eine weitere Person dort beim Schießen mit einem Sturmgewehr. Als ich den Schweizer Besitzer der Festung auf Asgaard ansprach, behauptete der jedoch, dass er noch nie von der Firma gehört habe.“
https://www.antifainfoblatt.de/artikel/die-merkw%C3%BCrdige-geschichte-der-firma-asgaard


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Er war unzufrieden mit Corona-Politik: Thurgauer Corona-Skeptiker ist nach Tansania gezogen
Sie waren eine allseits beliebte Familie – bis der Vater zum Corona-Skeptiker wurde. Jetzt ist ein Thurgauer Anwalt plötzlich weg. Der 48-Jährige verlässt mit Frau und Kindern die Schweiz und lässt sich in der Skeptiker-Hochburg Tansania nieder.
https://www.blick.ch/ausland/er-war-unzufrieden-mit-corona-politik-thurgauer-corona-skeptiker-ist-nach-tansania-gezogen-id16608332.html



tagblatt.ch 17.06.2021

Weil er mit der Schweizer Coronapolitik nicht einverstanden ist: Thurgauer Anwalt reist mit seiner Familie nach Tansania aus

Es war bekannt, dass er mit den Coronamassnahmen nicht einverstanden ist: Mit Frau und sechs Kindern hat ein Rechtsanwalt aus dem Thurgau letzte Woche die Schweiz Richtung Ostafrika verlassen. Von der plötzlichen Abreise wurde auch sein engstes Umfeld überrascht. Zurück bleibt ein Scherbenhaufen.

Ida Sandl

Im Garten liegen noch Spielsachen, die Autos stehen in der Garage. Als wären sie nur kurz weg und kämen jeden Augenblick zurück. Doch seit eineinhalb Wochen ist das Haus verlassen. Es soll verkauft werden, heisst es. Die Familie, die hier gewohnt hat, lebt jetzt in Ostafrika, in Tansanias Millionenmetropole Arusha. Nachrichten gibt es wenige: «Es geht uns gut», sehr viel mehr wissen selbst die Eltern nicht.

Knall auf Fall hat ein Rechtsanwalt aus dem Thurgau mit Frau und sechs Kindern die Schweiz verlassen. One-Way-Ticket nach Afrika. Zurück bleiben ratlose Nachbarn, Kollegen, Freunde. Es gibt viele Fragen, aber keine schlüssige Erklärung. Die Familie war beliebt. Die Kinder hatten Freunde, sie waren in Sportvereinen aktiv. Der Mann, 48 Jahre alt, ist ein erfolgreicher Anwalt, Partner in einer Kanzlei. Ein sympathischer Kollege. Einer, mit dem man gerne ein Bier trinkt.

Dubiose Chats schienen plötzlich glaubhafter als offizielle Informationen

Doch dann kam Corona und damit der Lockdown. Er nervte sich an den Einschränkungen, sah die Freiheitsrechte schwinden. Wegen der Maskenpflicht, wegen des Versammlungsverbots. Verschwörungstheorien schienen plötzlich glaubhafter als die offiziellen Informationen. Auch die Ehefrau soll zu den Coronaskeptikern gehören. Corona war das beherrschende Thema. Mit der Impfkampagne wurde es noch schlimmer. Ein Kollege sagt: «Er war überzeugt, alle, die sich impfen lassen, haben ihr Todesurteil unterschrieben. Es war absurd.»

In der Kanzlei einigten sie sich darauf, dass das Thema Corona tabu sei. Weil es zu nichts geführt habe ausser zu Endlosdiskussionen. Die letzten Wochen vor der Abreise erschien er seinen Kollegen etwas lockerer. Die Hoffnung stirbt zuletzt: Vielleicht kommt ja alles noch gut.

Mehr als 100 offene Dossiers bleiben zurück

Montag vor einer Woche folgte der Schock: Die Familie sei nach Tansania ausgereist, teilte eine Art Sachwalter der Kanzlei mit. Einfach so, ohne Vorwarnung. Zurück bleibt ein Scherbenhaufen: Mehr als 100 offene Dossiers, die bearbeitet, Klienten, die informiert und Termine, die abgesagt werden müssen. «Ich mache nichts anderes mehr», sagt der Inhaber der Kanzlei, er tue alles, um den Schaden, so gut es geht, zu begrenzen.

Die Eltern sind verzweifelt

Für die Eltern ist eine Welt zusammengebrochen. Sie verstehen nicht, dass der Sohn alles aufgibt, die Karriere, das Heim, die Familie. Was ist schiefgelaufen? Waren es die extremen Chats, die falschen Leute? Wovon die Familie in Tansania leben will, weiss niemand genau. Die Rede ist von einem Lehrauftrag am Nelson-Mandela-Institut. Der Vater sorgt sich vor allem um seine Enkel. Auch wenn er die Entscheidung nicht nachvollziehen kann, will er sie akzeptieren: «Er wird immer mein Sohn bleiben.»

Darf ein Anwalt einfach seine Klienten ihrem Schicksal überlassen? Nein, sagt die Präsidentin des Obergerichts, Katharina Glauser, zugleich Präsidentin der Anwaltskommission: «Wenn ein Anwalt seine Klienten im Stich lässt, verletzt er damit die Anwaltspflicht.»

Ob dies im konkreten Fall so ist, muss aber erst geprüft werden. Dabei muss der Betroffene auch seine Sicht darstellen können. Im schlimmsten Fall könne der Entzug des Anwaltspatents drohen; es sind aber auch mildere Sanktionen möglich.



Gebete gegen Corona

Impfen hielt er für unnötig, da sein Land das Coronavirus durch Gebete vertrieben habe. Vor kurzem ist Tansanias Präsident John Magufuli verstorben, offiziell an Herzstillstand. Gerüchten nach soll er einer Corona-Infektion erlegen sein und für die Coronaleugner ist er ermordet worden. Vizepräsidentin Samia Suluhu hat jetzt das Regiment übernommen. Sie erklärte zwar, was Corona betrifft, könne sich Tansania «nicht abschotten wie eine Insel». Doch den Worten müssen erst noch Taten folgen. Die letzten Coronazahlen, die Tansania veröffentlicht hat, stammen von Mai 2020. Da stand das Land mit seinen 58 Millionen Einwohnern offiziell bei 509 Infektionen und 21 Todesfällen. Tansanias Coronapolitik macht es für Skeptiker und Querdenker attraktiv. Prominentes Beispiel ist der deutsche Arzt und Coronaleugner Bodo Schiffmann. Er hat offenbar ein Reiseunternehmen gegründet. Wie ‹t-online› schreibt, soll die «Bodo Frank and Friends Safari Ltd.» ab Juli Gleichgesinnte nach und durch Tansania bringen. (san)
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/coronaskepsis-weil-er-mit-der-schweizer-coronapolitik-nicht-einverstanden-ist-thurgauer-anwalt-reist-mit-seiner-familie-nach-tansania-aus-ld.2151611)



„Wir würden lieber heute als morgen von den Verträgen zurücktreten“: Berliner Veranstaltungsagentur distanziert sich von Xavier Naidoo
Gegenwind für Xavier Naidoo: Sein eigener Konzerveranstalter aus Berlin distanziert sich vom Sänger mit homophobem Liedgut. Eine Erfolg kann Naidoo dagegen in Rostock verbuchen.
https://www.queer.de/detail.php?article_id=39157
-> https://www.tagesspiegel.de/berlin/veranstalter-trinity-music-schwenkt-um-jetzt-doch-kein-konzert-von-xavier-naidoo-in-berlin/27295352.html
-> https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153387.verschwoerungstheoretiker-xavier-naidoo-nicht-willkommen.html


Ken Jebsen: Superstar unter den Erzählern von Verschwörungsmythen
Der ehemalige Radiomoderator verfügt auch in Österreich über eine Fangemeinde
https://www.derstandard.at/story/2000127455180/ken-jebsen-mit-israelhasssuperstar-unter-den-erzaehlern-von-verschwoerungsgesichten


+++HISTORY
Sozialpädagogin über vergessene NS-Opfer: „Es ging um die Norm“
Die Sozialpädagogin Christa Paul über Schicksale der sogenannten asozialen KZ-Häftlinge, die nach 1945 lange nicht als Opfer anerkannt wurden.
https://taz.de/Sozialpaedagogin-ueber-vergessene-NS-Opfer/!5774926/