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+++LUZERN¨
luzernerzeitung.ch 28.05.2021
Luzerner Asylchefin: Stand jetzt müssten die Gemeinden im Jahr 2025 für zusätzlich 940 Personen Sozialhilfe zahlen
Silvia Bolliger, Chefin des kantonalen Asylwesens, spricht über die Auswirkungen der Pandemie, interne Reformen und künftige Lasten für die Gemeinden.
Alexander von Däniken
Corona ist auch bei Flüchtlingen ein grosses Thema, sagt Silvia Bolliger. Die Leiterin der Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen des Kantons Luzern gibt auch einen Einblick über die Folgen der Flüchtlingswelle von 2015/16.
Wie nehmen Sie die Einstellung von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen generell zur Pandemie wahr?
Silvia Bolliger: Sie nehmen die Schutzmassnahmen sehr ernst. Das zeigt sich auch darin, dass es in den Asylzentren kaum Infektionen gab. Und es zeigt, dass sich diese Personen genau informieren – sei es über offizielle Kanäle oder im persönlichen Umfeld. Nichtsdestotrotz verstärkt das Bundesamt für Gesundheit die Informationskampagne im Migrationsbereich, um möglichst alle Personen erreichen zu können.
Wie stehen Sie zur Aussage von Gesundheitsdirektor Guido Graf, man solle im Asylwesen über einen Impfzwang nachdenken?
Da muss ich kurz korrigieren. Das ist nicht eine persönliche Meinung von Guido Graf, das ist eine Aussage der Gesamtregierung im Rahmen einer Vernehmlassung des Bundes. Als Dienststellenleiterin habe ich operative Aufgaben, setze meine Vorgaben um und nehme nicht Stellung zu politischen Themen.
Die Zahl der Personen, die sich im Kanton Luzern im Asylprozess befinden, ist stetig gesunken. Ist das eine Folge der Asylreform, wonach zuerst der Bund für diese Menschen zuständig ist?
Das ist sicher ein Grund. Dadurch, dass die Kantone weniger Personen zugeteilt erhalten, die sich noch im Asylprozess befinden, werden unsere Zentren entlastet. Rund die Hälfte der Personen, die zu uns kommen, hat bereits einen rechtskräftigen Entscheid. Der Hauptgrund des aktuellen Rückgangs ist aber die Coronapandemie. Sie hat viele Menschen davon abgehalten, überhaupt in die Schweiz zu kommen.
Jetzt mehren sich aber die Bilder von Flüchtlingen, die übers Mittelmeer nach Europa gelangen. Gibt es eine Trendumkehr?
Das ist im Moment nicht vorauszusagen. Wir beobachten die Lage genau und stützen uns auf Prognosen des Staatssekretariats für Migration ab. Diese lassen momentan keinen derartigen Schluss zu.
Es fällt auf, dass sich in Luzern vor allem die Zahl der Eritreer reduziert hat – obwohl ihnen mehr Asyl gewährt wird. Hat sich die Lage in Eritrea beruhigt?
Dazu kann das Staatssekretariat für Migration Auskunft geben. Auffallend ist jedoch, dass es vor allem weniger Primärgesuche gegeben hat. Also Gesuche von Personen, welche hierher geflüchtet sind. Demgegenüber ist die Zahl von Sekundärgesuchen, also zum Beispiel von hier geborenen Kindern, hoch. Ausserdem beziehen derzeit relativ viele Personen Nothilfe. Anspruch auf Nothilfe haben Personen, deren Asylgesuch rechtskräftig abgewiesen worden ist oder die einen Nichteintretensentscheid erhalten haben. Diese Personen müssten die Schweiz eigentlich verlassen und haben darum keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Auch dies ist vorwiegend eine Folge der Pandemie.
Das Forum Luzern 60plus kritisiert, dass Angestellte Ihrer Dienststelle seit Übernahme zusätzlicher Aufgaben vom Schweizer Arbeiterhilfswerk Zentralschweiz überfordert seien. Was sagen Sie dazu?
Diese Aussagen sind neu für mich und ich weiss nicht, was genau mit Überforderung gemeint sein soll. Grundsätzlich ist ja per Anfang dieses Jahres nur die Umsetzung der Integrationsagenda Schweiz, kurz IAS, dazugekommen. Gänzlich neu ist, dass unser Sozialdienst durch die Einführung der IAS während sieben Jahren für den Integrationsprozess zuständig ist. Das hat einen Systemwechsel hin zu einer Fallsteuerung bedingt. Dabei übernimmt ein eigenes Fachressort die Planung. Unserer Meinung nach ist diese Umstellung gut angelaufen. Kleine Justierungen sind natürlich noch notwendig.
Wie viele Dossiers hat denn eine Mitarbeitende des Luzerner Sozialdienstes im Durchschnitt zu betreuen?
Das sind rund 95. Diese Zahl lässt sich aber schwer mit Sozialdiensten anderer Kantone vergleichen. Denn wir haben zum Beispiel administrative Arbeiten wie die Abwicklung der wirtschaftlichen Sozialhilfe in ein separates Team ausgelagert.
Trotzdem: Wie kann eine Angestellte bei 95 Dossiers mit zum Teil mehreren Personen die Betreuung sicherstellen?
Die Belastung durch die Dossiers ist sehr unterschiedlich. Bei einzelnen Dossiers ist ein grosser Betreuungsaufwand notwendig, andere bedingen kaum Klientenkontakte. Es handelt sich aber sicherlich um eine anspruchsvolle Aufgabe.
Die Erwerbsquoten der meisten Herkunftsgruppen wie Personen aus Eritrea, Afghanistan und Syrien sind in den letzten Jahren zwar gestiegen. Mit Zahlen um rund 50 Prozent erscheinen sie aber noch tief. Was ist hier das Ziel?
Der Kanton Luzern ist im nationalen Vergleich zum Teil weit über dem Durchschnitt. Das ist eine sehr gute Ausgangslage. Trotzdem wollen wir die Erwerbsquote so weit wie möglich erhöhen. Das Ziel ist aber auch eine nachhaltigere Integration in die Berufswelt.
Wie meinen Sie das?
Trotz steigender Erwerbsquote ist die Sozialhilfequote noch hoch. Das hat damit zu tun, dass viele Personen nur eine Arbeit auf Abruf, eine stundenweise Beschäftigung haben oder in einem kleinen Pensum angestellt sind. Hier setzen wir auf die Integrationsagenda, welche auf eine nachhaltige berufliche Integration abzielt und wir unterstützen mit eigenen Programmen.
Welche zum Beispiel?
Erfolgreich ist zum Beispiel die Integrationsvorlehre. Der Bundesrat hat das Pilotprojekt unter der Federführung der Dienststelle Berufs- und Weiterbildung bis ins Ausbildungsjahr 2023/24 verlängert. Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 werden über die Brückenangebote der Dienststelle Berufs- und Weiterbildung in eine berufliche Grundausbildung geführt. Darüber hinaus führen wir zusammen mit Branchenverbänden Kurse wie Perspektive Bau und Pflege 2.0 durch.
In etwa vier Jahren jährt sich die Flüchtlingswelle, die Europa und die Schweiz erfasst hat, zum zehnten Mal. Dann müssen im Kanton Luzern die Gemeinden für die Sozialhilfe dieser Personen aufkommen. Spüren Sie seitens der Gemeinden bereits Druck?
Es ist auch in unserem Interesse, möglichst viele Personen in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Schliesslich kommt der Kanton nach Wegfall der Bundespauschalen je nach Status für drei oder fünf Jahre ebenfalls voll für die wirtschaftliche Sozialhilfe auf. Darum empfinden wir keinen spezifischen Druck.
«Wir teilen den Gemeinden ausserdem regelmässig mit, wie viele Personen voraussichtlich die Zuständigkeit wechseln werden. Stand heute sind es im Jahr 2025 rund 940 Personen.»
Diese Prognose ist aber noch mit vielen Unsicherheiten behaftet, da es sicher noch Personen gibt, die sich bis dahin von der Sozialhilfe ablösen werden.
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Silvia Bolliger (59) leitet seit dem 1. Januar 2017 die Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen des Kantons Luzern. Zuvor war sie seit 2012 in diversen anderen Funktionen innerhalb des Gesundheits- und Sozialdepartements tätig. Bolliger verfügt über eine kaufmännische Ausbildung und ein Nachdiplomstudium in NPO-Management und wohnt in Horw.
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Für die Impfung ins Impfzentrum
Der Luzerner Regierungsrat fordert einen Impfzwang für Asylbewerber. Er befürchtet, Flüchtlinge könnten eine Rückführung verhindern, indem sie eine Impfung verweigern. Darüber, wie viele Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene im Kanton Luzern geimpft sind, gibt das Gesundheits- und Sozialdepartement auf Anfrage keine Auskunft.
Die Asylsuchenden, die in Wohnungen untergebracht sind, seien diesen Dienstag schriftlich über die Möglichkeit des Impfens informiert worden. Die Dienststelle Asyl- und Flüchtlingswesen hat laut Leiterin Silvia Bolliger bei den Impfungen nur einen Informationsauftrag. Die Impfungen finden in den kantonalen Impfzentren statt. (avd)
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Integrationsagenda: Flüchtlinge früh einbinden
Das Schweizerische Arbeiterhilfswerk Zentralschweiz war lange für die berufliche Integration anerkannter Flüchtlinge im Kanton Luzern zuständig. Per Anfang dieses Jahres hat der Kanton Luzern diese Aufgabe selbst übernommen. Der Kanton begründete das mit der Integrationsagenda. Diese verlange, dass der Integrationsprozess aus einer Hand sichergestellt wird.
Mit der Integrationsagenda Schweiz (IAS) haben sich Bund und Kantone im Frühjahr 2019 auf eine gemeinsame und verbindliche Strategie geeinigt, um Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene rasch im Berufsleben zu integrieren. Dazu zählen etwa Sprachkurse schon kurz nach der Ankunft. (avd)
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/silvia-bolliger-die-luzerner-asylchefin-im-interview-ld.2142963)
+++GRIECHENLAND
Verstoß gegen die Menschenrechte
Eine Delegation der Linkspartei besuchte das Lager Kara Tepe auf Lesbos und kritisierte die Zustände scharf – NGOs verklagen Frontex
Nach dem Großbrand im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos sollten im Nachfolgerlager Kara Tepe eigentlich die Zustände besser werden. Tatsächlich ist aber alles schlimmer geworden, berichten Politiker.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1152593.kara-tepe-auf-lesbos-verstoss-gegen-die-menschenrechte.html
Bett, Brot, Seife – Ein ferner Traum für Flüchtlinge in Griechenland
Anerkannten Flüchtlingen in Griechenland mangelt es an allem. Gleich zwei Oberverwaltungsgerichte haben deshalb entschieden: Niemand darf dorthin zurückgeschickt werden. Die Bundesregierung muss das anerkennen und darf Menschen nicht weiter dorthin abschieben.
https://www.proasyl.de/news/bett-brot-seife-ein-ferner-traum-fuer-fluechtlinge-in-griechenland/
+++MAROKKO
Marokkos Grenzöffnung: «Die Aktion hat nur Verlierer produziert» – Echo der Zeit
Von den rund 10’000 Flüchtlingen, die Mitte Mai in die spanische Exklave Ceuta geflüchtet waren, sind fast alle erwachsenen Flüchtlinge wieder nach Marokko überführt worden. Unterdessen bewacht Marokko auch die Grenze wieder. Was hat diese Aktion gebracht?
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/marokkos-grenzoeffnung-die-aktion-hat-nur-verlierer-produziert?id=e0bbbba8-e17f-46a8-b947-55461cf8a353
+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Räumung nicht möglich: Ultimatum an Fahrende in Belp verlängert
Eine Gruppe von fahrenden Roma aus Frankreich darf länger als geplant in Belp bleiben. Dies unter anderem weil im Kanton Bern die Transitplätze fehlen.
https://www.derbund.ch/ultimatum-an-fahrende-in-belp-verlaengert-216323202293
-> https://www.bernerzeitung.ch/fahrende-koennen-eine-woche-laenger-bleiben-531919926056
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/regierung-war-bei-bkw-und-bls-in-der-vergangenheit-wohl-zu-passiv?id=11992391 (ab 02:53)
-> Medienmitteilung Belp: https://www.belp.ch/de/aktuelles/meldungen/Fahrende-in-Belp_02.php
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/keine-raeumung-trotz-abgelaufener-frist-fahrende-in-belp-sorgen-weiter-fuer-aufregung-142127506
+++FREIRÄUME
Gespräche zur Coop-Umnutzung am Sihlquai ohne Erfolg
Trotz Druck des Zürcher Stadtrats, hält der Grossverteiler Coop am Umbau der Wohnhäuser am Zürcher Sihlquai fest. Es gibt aber einen Hoffnungsschimmer für die Mieterinnen und Mieter.
+++GASSE
bernerzeitung.ch 28.05.2021
Pulsierender Treffpunkt in Bern: Wem gehört der Bahnhofseingang?
Immer wieder kommt es zu Reibungen beim zentralen Bahnhofseingang. Die Kaffeebar Florian hat eine Wand aufgestellt, während eine Sozialarbeiterin einen runden Tisch mit den Betroffenen vorschlägt.
Sabine Gfeller
Metal-Musik dröhnt aus Boxen. Ein Mann geht mit einem Sechserpack Bier auf eine Menschengruppe zu, vielleicht seine Freunde, vielleicht bloss Bekannte. Zwei Freundinnen treffen sich, rauchen eine Zigarette und schlendern zusammen fort. Ein Bauarbeiter trinkt sein Feierabendbier. Die Fläche zwischen dem Restaurant Tibits und der Kaffeebar Florian in Bern ist Bahnhofseingang, Treffpunkt und Verweilort zugleich. Für Erwerbstätige, Randständige, Alkoholabhängige.
Meist tummeln sich dort in kleineren Gruppen insgesamt 15 bis 30 Personen, je nach Wetter. Mitten durch den Treffpunkt verläuft die Grenze von SBB-Boden zu Stadtboden, von privatem zu öffentlichem Raum also.
Eine Leserin empört sich in einem Brief an diese Zeitung über das Bild, das dieser Ort abgibt: Er sei «voller Zigarettenstummel, Bierdosen und Spucke». Als Bernerin sei sie sehr unglücklich, diese «schöne Stadt so präsentieren zu müssen», schreibt sie. Ausserdem bleibt laut ihr kaum Platz, den Bahnhof zu betreten.
Der Lockdown in den Köpfen
Die Gassenarbeiterin Eva Gammenthaler sagt, dass dieses Thema jeden Frühling wiederkehre: «Wenn es wärmer wird, versammeln sich hier mehr Leute.» Und das sorge stets für Reklamationen. Ausserdem: «Der Lockdown wirkt in den Köpfen der Leute nach», sagt Gammenthaler. Einige seien daher nicht mehr an grössere Menschenansammlungen gewöhnt.
Das Verweilen an diesem Ort erklärt sich die Gassenarbeiterin folgendermassen: Er ist der zentrale Eingang zum Hauptbahnhof. Hier kann man eine Kippe rauchen, bevor man den rauchfreien Bahnhof betritt. Zudem ist der Regenunterstand nahe, die SBB stellen freien Internetzugang zur Verfügung, es hat Aschenbecher, und der nächste Laden ist nicht weit.
Geschrumpfter Raum
Im November 2018 schrumpfte der verfügbare Raum: Damals zog die Kaffeebar Florian in die Räumlichkeiten, wo früher die Confiserie Sprüngli war. Damit kam die Terrasse, und eine Fläche des frei nutzbaren Raums fiel weg. Nun beschränkt sich die Fläche auf den Schlauch zwischen Florian und Tibits, die Menschen stehen dichter beieinander.
Als Ausweichmöglichkeit hat die Stadt unter dem Baldachin und entlang der Heiliggeistkirche Sitzbänke aufgestellt. Diese dienen Gruppen von randständigen Menschen und der restlichen Bevölkerung.
Das La Gare
Alternativ gibt es auch das La Gare. Der Aufenthaltsraum für Menschen, die alkoholabhängig sind, befindet sich auf der Parkterrasse, auch Kurzparking genannt, des Bahnhofs. Auf den grauen Quader sind zwar Menschen gemalt, trotzdem lädt er nicht besonders ein. Fenster gibt es nur auf der Fassade zum Parkplatz. Sollen hier Menschen mit Alkoholsucht abgeschoben werden nach der Phrase «aus den Augen, aus dem Sinn»? «Nein», sagt die städtische Sozialdirektorin Franziska Teuscher (Grünes Bündnis), «die zentrale Lage ist wichtig, hier können sich die Leute in Ruhe treffen.»
Die Stiftung für Suchthilfe Contact bestätigt Teuschers Aussage: «Es ist absichtlich ein unauffälliger Ort», sagt Simone Santschi, Leiterin vom La Gare. Die Leute würden die Anonymität schätzen. Und deshalb habe es auch nur auf einer Seite des Gebäudes Fenster, die dann mit Lochblech versehen sind. Somit seien die Leute an diesem Ort vor neugierigen Blicken geschützt.
Gemäss Contact kommen hier Menschen hin, die wohl kaum aufhören werden zu trinken. Die Stiftung sei nicht in der Prävention oder Therapie, sondern in der Schadensminderung tätig. Das Ziel: Den Leuten solle es gesundheitlich besser gehen, eine Tagesstruktur und soziale Kontakte sollen gepflegt werden. Aber auch der öffentliche Raum solle entlastet werden.
Laut der Leiterin Simone Santschi ist das La Gare das einzige Lokal ohne Konsumzwang für alkoholabhängige Menschen in der Stadt Bern. Letztes Jahr besuchten pro Tag im Schnitt acht Personen das La Gare, da die Personen im Raum während der Pandemie auf diese Anzahl beschränkt war und ist. Vor der Pandemie waren es deutlich mehr: bis zu 25 Besuchende täglich.
In diesem Aufenthaltsraum kochen die Mitarbeitenden einfache Menüs oder Suppen. Es gibt Spiele, Zeitungen und die Gelegenheit des sozialen Austauschs. Im La Gare sind die Besucherinnen und Besucher willkommen – als Randständige erleben sie anderswo häufig das Gegenteil.
Das Angebot richtet sich laut der Leiterin vom La Gare an schwer alkoholabhängige und sozial desintegrierte Menschen, die volljährig sind. Das Klientel seien meist Männer, die über 30 Jahre alt seien, sich in einem schlechten gesundheitlichen Zustand befänden und deren soziale Kontakte sich auf Personen beschränkten, die ebenfalls alkoholabhängig seien. In der Regel seien sie arbeitslos, würden eine AHV- oder IV- Rente beziehen oder seien von der Sozialhilfe abhängig. Contact führt den Aufenthaltsraum im Auftrag der städtischen Direktion für Bildung, Soziales und Sport.
Wegweisungen beim Tibits?
Am Bahnhofseingang trinken die Menschen ebenfalls Alkohol. Allerdings ist die Gruppe sehr heterogen. Teilweise kommt es zu lautstarken Auseinandersetzungen. Daran scheinen sich einige Gäste vom Tibits zu stören: «Mehrere Leute meldeten mir in den letzten Wochen, dass sie von ihrem Platz neben der Tibits-Terrasse, oder auch rund um die Heiliggeistkirche, fortgeschickt wurden», sagt die Gassenarbeiterin Gammenthaler. Wahrscheinlich habe es Zigarettenrauch auf die Tibits-Terrasse herübergeweht, woran sich Gäste störten. Gammenthaler sieht darin ein Problem, da sich die Weggewiesenen auf öffentlichem Boden befunden hätten. Damit würden Tibits-Gäste Anspruch auf den öffentlichen Raum erheben.
Angesprochen auf diese Wegweisung, sagt Reto Frei, Mitgründer vom Tibits: «Falls sich Gäste durch jemanden gestört fühlen, suchen wir das Gespräch. Aber wir schicken niemanden weg.» Auch den Mitarbeitenden sei kein solcher Fall bekannt.
«Wir haben eine andere Lösung gefunden», sagt Tereq Timmers, Mitinhaber von Florian. Er und sein Team haben sich entschieden, die Terrasse mit einer Holzwand vom Treffpunkt abzugrenzen. «Wenn Leute den Eingang versperren, weisen wir sie darauf hin, dass der Eingangsbereich frei bleiben soll.» Falls nötig benachrichtigen sie die Securitrans. Zu Auseinandersetzungen sei es bisher nicht gekommen, so Timmers.
Miteinander statt Nebeneinander
Die Sozialarbeiterin Barbara Marti war mehrere Jahre in der Suchtarbeit tätig und arbeitet heute als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Berner Fachhochschule. Sie betont, dass Sucht nie nur einen Faktor hat, sondern «multifaktoriell und komplex» sei. Nicht nur der betroffene Mensch, das soziale Umfeld sowie die Gesellschaft seien entscheidend, ob eine Person eine Alkoholabhängigkeit entwickelt oder nicht.
Als Lösungsansatz schlägt sie vor, dass Verantwortliche mit Betroffenen das Gespräch suchen und sie nach ihren Bedürfnissen fragen. Egal, welcher Konflikt, man könne ihn nur lösen, sobald beide Seiten näherrückten. Bei Problemen könne ein runder Tisch mit allen Beteiligten helfen. Dabei sollten nicht nur Stellvertretende, sondern auch die Betroffenen eingeladen werden.
Für einen direkten Austausch an einem runden Tisch ist das Tibits laut Reto Frei offen. Und auch die Kaffeebar Florian zeigt sich offen: «Wir haben uns bereits an runde Tische gesetzt und sind weiterhin an einem Austausch interessiert», sagt Tereq Timmers.
Eine Option wäre aus Sicht von Barbara Marti etwa auch, den Platz beim Bahnhofseingang miteinander zu nutzen. Dass zum Beispiel die Terrassen von Tibits und Florian nicht mehr so klar abgegrenzt wären, sie von allen genützt werden könnten und es einige Tische zur freien Verfügung hätte – ohne Konsumzwang.
Mehr Dialog
Auch die Sozialdirektorin der Stadt, Franziska Teuscher, plädiert für mehr Dialog. Der Bahnhof sei in allen mittleren oder grösseren Städten ein Dauerthema. Sie räumt aber ein, dass gerade ältere Leute eingeschüchtert sein können, wenn es laut sei und etwa jemand schreie.
Falls sich also jemand nicht selber traut, auf die Leute am Treffpunkt zuzugehen, könne diese Person laut Teuscher beispielsweise die Interventionsgruppe Pinto ihrer Direktion benachrichtigen, die sich im öffentlichen Raum der Stadt Bern für eine konfliktfreie Koexistenz aller Bevölkerungsgruppen einsetzt und auch mit der Polizei zusammenarbeitet. Der Direktion für Bildung, Soziales und Sport sind – wie auch den SBB – allerdings keine Reklamationen zum Treffpunkt zwischen Tibits und Florian bekannt.
Gerade mit dem Casa Marcello in der Aarbergergasse, das wie die anderen Gastrolokale pandemiebedingt vorübergehend zuging, ist laut Teuscher ein wichtiger Treffpunkt weggefallen für Leute, die auf der Gasse leben.
Teuscher vermutet, dass sich die Situation wieder etwas entspannen werde, sobald auch die Innenbereiche der Restaurants am Montag erneut aufgehen. So oder so steht aber der Bahnhofseingang immer auf der politischen Agenda der städtischen Regierung, weil sich an diesem Ort sehr viele Leute mit sehr unterschiedlichen Zielen begegnen, sagt Gemeinderätin Teuscher.
(https://www.bernerzeitung.ch/wem-gehoert-der-bahnhofseingang-268474469989)
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Roma-Bettelnde lassen sich in Basel gratis die Zähne flicken
Im Universitären Zentrum für Zahnmedizin Basel können sich Armutsbetroffene bei Notfällen gratis die Zähne behandeln lassen. Auch rumänische Bettelnde haben vom Angebot Wind bekommen und nutzen dies nun rege.
https://www.20min.ch/story/roma-bettelnde-lassen-sich-in-basel-gratis-die-zaehne-flicken-466031038836
Konflikte am Zürcher Seebecken: Kameras am Utoquai haben mehrere Täter überführt
Bis sich das Nachtleben nach der Öffnung wieder an die Langstrasse verlagert, hält die Polizei an den Kameras am Utoquai fest. Im Kreis 4 werde in kontrollierbarerem Rahmen getrunken.
https://www.tagesanzeiger.ch/kameras-am-utoquai-haben-mehrere-taeter-ueberfuehrt-850387531071
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/zuerich-mit-ueberwachungs-videokameras-am-utoquai-vier-taeter-ueberfuehrt-ld.2143377
+++DROGENPOLITIK
In Olten gibt es einen Cannabis-Pilotversuch
Seit dem letzten Herbst sind in der Schweiz Pilotversuche mit Cannabis erlaubt, wenn sie wissenschaftlich begleitet werden. In Olten soll es nun einen solchen Versuch geben, dies hat das Gemeindeparlament entschieden. Wie genau ein solcher Versuch aussieht, das ist noch nicht klar.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/in-olten-gibt-es-einen-cannabis-pilotversuch?id=11992349
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Strassen 25 Minuten lang blockiert: Tausende Velos an Umzug durch Zürich – verärgerte Autofahrer
Am Freitagabend gab es in der Innenstadt eine Critical Mass. Selbst die Polizei war überrascht von der grossen Teilnehmerzahl – bis zu 10’000 könnten es gewesen sein.
https://www.tagesanzeiger.ch/10000-velos-an-umzug-durch-zuerich-veraergerte-autofahrer-708064398351
-> https://www.20min.ch/story/grosse-velodemo-legt-in-zuerich-den-innenstadt-verkehr-lahm-528720346810
+++REPRESSION DE
Ermittlungen der Bundesanwaltschaft: Anklage im Fall Lina E.
Die Studentin soll „Mitglied einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung“ sein. Auch drei weitere Personen müssen vor Gericht.
https://taz.de/Ermittlungen-der-Bundesanwaltschaft/!5775559/
-> https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundesanwaltschaft-klagt-mutmassliche-linksextremisten-aus-leipzig-an-a-46fa8eaf-2ed0-4179-8a25-1029d186fd51
+++ANTITERRORSTAAT
Beschwerdeserie gegen das Antiterror-Gesetz – was dahinter steckt in 4 Punkten
Sieben Kantone haben bisher Abstimmungsbeschwerden gegen das Antiterror-Gesetz erhalten. Ein Versuch der Gegner, die Vorlage abzuwenden? Ja, findet ein Staatsrechtler. Doch das ist nicht der einzige Grund.
https://www.watson.ch/!795137820
-> https://rabe.ch/2021/05/28/augenwischerei-beim-anti-terrorgesetz/
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zeit.de 27.05.2021
Wie gefährlich ist diese Frau?
Sanija Ameti führt den Kampf gegen das Antiterrorgesetz an. Für die Juristin ist es pure Willkür – selbst sie gelte damit als verdächtig.
Von Marion Rusch
Eines Nachts, Anfang April, es ist weit nach zwölf, kommt eine Nachricht von Sanija Ameti. „Unser Gespräch hat mich nachdenklich gemacht“, schreibt sie. „Ich habe in diesem ganzen Rummel vergessen, was ich wirklich wollte. Ich bin in die Politik gegangen, um die Digitalisierung und die Cybersicherheit in der Schweiz voranzubringen. Jetzt bin ich ständig damit beschäftigt, die grundlegendsten Prinzipien und Rechte aus unserer freiheitlichen Verfassung zu verteidigen. Was für eine Zeitverschwendung.“
Man liest das und fragt sich: Wie weit muss man eigentlich abheben, um nach den Sternen zu greifen?
Am 13. Juni entscheiden die Schweizerinnen und Schweizer über ein neues Antiterrorgesetz. Dass sie darüber abstimmen können, hat viel zu tun mit Sanija Ameti, der 27-jährigen Juristin aus Zürich.
Am 7. Januar 2015 stürmten in Paris zwei Männer mit Sturmgewehren das Büro der Satirezeitschrift Charlie Hebdo und töteten zwölf Menschen. Als Reaktion darauf haben zahlreiche europäische Staaten ihre Terrorismusgesetze verschärft. In der Schweiz verabschiedete das Parlament im Herbst 2020 das neue Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT). Das Gesetz markiert einen Paradigmenwechsel: Im Zentrum steht nicht die Strafverfolgung, sondern die Prävention. Mit dem neuen Werkzeug soll die Polizei Gefährder sanktionieren können, bevor sie zur Gefahr werden. Einen Gerichtsentscheid braucht es dafür in der Regel nicht.
Die einen sehen im Gesetz ein Heilsversprechen: Mehr Cybertechnologie führt zu mehr Sicherheit. Andere wähnen sich in einer Dystopie. Wie man es auch dreht und wendet: Mit einem solchen Gesetz verheddern sich ein Land und seine Institutionen ziemlich schnell in rechtsstaatlichen Widersprüchen. Entsprechend breit war die Kritik in Expertenkreisen. Das schweizerische Außen- departement äußerte sein Unbehagen, eine Gruppe von 60 Schweizer Rechtsprofessorinnen und -professoren warnte vor den neuen Paragrafen, der Europarat und sogar die UN schalteten sich ein. Das Gesetz verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, hieß es. Doch die Rufe verhallten. Justizministerin Karin Keller-Sutter nannte die Einwände „persönliche Meinungen“. National- und Ständerat stimmten dem Gesetz zu.
In Zürich verfolgte Sanija Ameti an ihrem Computer die Ratsdebatte und rieb sich ungläubig die Augen: „Wie kann es sein, dass im Jahr 2020 ein Gesetz erlassen wird, das der Polizei erlaubt, gleichzeitig Richter und Henker zu sein?“ Mit Politik hatte Ameti bisher wenig zu tun. Das Thema aber, das da verhandelt wurde, beschäftigt sie seit ihrer Geburt.
Am 4. Mai 1980 erlag der jugoslawische Staatschef Josip Broz Tito in einem Spital in Ljubljana einer arteriellen Thrombose. Sein Staat folgte ihm ins Grab – was auf dem Balkan ein wüstes Chaos auslöste. In den politischen Wirren suchte eine muslimische Familie im heutigen Bosnien-Herzegowina verzweifelt einen Ort, wo sie frei und sicher leben konnte. Doch eines Nachts standen Polizisten vor dem Haus der Ametis, nahmen den Vater mit und verhörten ihn brutal. Als sie ihn abholten, lag seine dreijährige Tochter Sanija verschüchtert unter einer geblümten Bettdecke. So wurde es ihr später erzählt. Als der Vater aus der Haft entlassen wurde, floh die Familie. Den Genozid in Bosnien verfolgten sie vor einem Fernseher in der Schweiz.
Sie trägt Schuhe von Gucci und dissertiert über Cybersicherheit
„Ich habe erlebt, was passieren kann, wenn man der Polizei unkontrollierte Macht gibt“, sagt Sanija Ameti. Es ist Ende März, sie sitzt hinter einer großen Tasse Kaffee. „Die Menschen werden nicht von einem Tag zum anderen zu Monstern. In Jugoslawien waren die Menschen nicht blutrünstiger als in der Schweiz, im ›Dritten Reich‹ auch nicht. Hier haben wir einfach ein brutal naives Weltbild.“ Als Ameti im Herbst sah, wie dieses „Willkür-Gesetz“, wie sie es nennt, vom Parlament verabschiedet wurde, schrieb sie eine E-Mail an ihre Freunde am Institut für öffentliches Recht der Universität Bern, wo sie gerade zum Thema Cybersicherheit dissertiert. „Eigentlich müsste man das Referendum ergreifen“, stand darin.
Wenn man der Frau gegenübersitzt in ihrer schönen Altbauwohnung mitten im Zürcher Kreis 4, bekommt man eine Ahnung, warum aus dieser E-Mail schließlich ein Referendum wurde. „Ich bin ein liberaler und pragmatischer Mensch“, sagt sie. Deshalb politisiert sie bei den Grünliberalen und nicht bei der SP. Deshalb stört sie sich nicht daran, dass die entscheidenden Unterschriften für das Referendum ungeahnte Verbündete sammelten: die „Freunde der Verfassung“, eine Gruppierung, welche die Corona-Maßnahmen bekämpft. Ameti raucht keine Joints an Parteitagen und verbrennt keine Büstenhalter vor der Kamera. Stattdessen tingelt sie durch die Schweiz und erklärt dem Land, dass hinter dem Antiterrorgesetz undurchsichtige Überwachungsalgorithmen steckten; wie das funktioniere mit der prognostischen Unschärfe; dass absolute Sicherheit in unserer digitalisierten Welt ein gefährlicher Wunschtraum sei. Im Grunde aber vermittelt sie ihrem Publikum, ihrem Gegenüber ein Gefühl: Komm auf unsere Seite. Wir sind die Guten. Es ist der Operation-Libero-Effekt.
Im Eingang ihrer Wohnung stehen Schuhe von Gucci. Einen Schreibtisch hat Sanija Ameti nicht, dafür eine Spiegelbar, so üppig bestückt, als wäre der Raum ein exklusiver Club. Absurd viele Champagnerkübel stehen herum, die Spirituosen hinter dem Tresen sind allesamt jahrzehntealte Sammlerstücke, ein paar Hundert Franken pro Flasche. „Ich habe gern Gäste“, sagt sie und lächelt.
Eine Bohemienne verteidigt den Rechtsstaat
Unten an der Tür, an der Klingel, steht nicht Ameti, sondern Schmidt-Gabain. Der Name sorgt in Zürich gerade für ordentlichen Wirbel, seit sein Träger sich aufgemacht hat, die alteingesessene Kunstwelt aufzumischen. Der 38-jährige Florian Schmidt-Gabain, ein auf Kunstrecht spezialisierter Anwalt, Ametis Freund, möchte Präsident der Zürcher Kunstgesellschaft werden, also oberster Chef des Kunsthauses. Dabei hat sich die lokale Elite bereits auf eine Kandidatin aus dem Innern des Zürcher Kunstfreisinns geeinigt. Die WoZ nennt Schmidt-Gabain einen „jungen Wilden aus Biel“, der keine Berührungsängste kenne. In der NZZ am Sonntag wird er für seine Ambitionen verlacht, während er vom selben Medienhaus eben noch zum bestgekleideten Schweizer gekürt wurde. Im Guardian gibt er derweil Stiltipps, der Handelszeitung erklärt er, wie man Champagner mit dem Säbel öffnet. Es gibt Paare, die passen schlechter zusammen.
Eine Bohemienne verteidigt den Rechtsstaat und damit auch ihre ganz persönlichen, individuellen Freiheiten: zu denken, zu sagen und zu sein, was sie will. Nils Melzer nennt Ameti eine „brillante Politikerin“. Der UN-Sonderbericht- erstatter über weltweite Folter zögerte nicht lange, als sie ihn fragte, ob er das PMT-Referendum unterstützen würde. Er sagt, man spüre, dass es ihr nicht zuerst um ihre Karriere gehe: „Das ist eine Berufung.“
Im Bücherregal im Haushalt Ameti/Schmidt-Gabain stehen Dürrenmatt, Kafka und Mani Matter. Den Berner Liedermacher und Staatstheoretiker zitiert die Juristin besonders gern, wenn sie in diesen Wochen gegen das PMT kämpft. In einem seiner Lieder macht sich „e bärtigä Kärli am Bundeshus z’schaffe“, und zwar mit Dynamit. Zu stoppen sei der Typ nicht mit Repression, sondern nur mit Rechtsstaatlichkeit, sagt Ameti. Und warnt davor, was passieren könnte, wenn das PMT jemandem in die Hände fällt, der die nötigen Hemmige nicht hat, es maßvoll und verhältnismäßig anzuwenden.
Anfang Mai, ein Podium in Bern. Sanija Ameti und Nils Melzer debattieren mit den bürgerlichen Nationalrätinnen Maja Riniker und Andrea Gmür über das PMT. Zwei Welten prallen aufeinander. Rechts eine Welt, die gedanklich an der Schweizer Grenze endet; links die global vernetzte Gegenwart. Melzer war zwölf Jahre als IKRK-Delegierter in Krisengebieten, hat Antiterroreinheiten in Afghanistan ausgebildet und erlebt, wie Oppositionelle aufgrund von sogenannten Gefährderlisten, die zwischen den verschiedenen Geheimdiensten ausgetauscht werden, gefoltert wurden. Während der Veranstaltung reden die beiden Seiten erstaunlich präzise aneinander vorbei. Dabei wollen sie eigentlich dasselbe: den weltweiten Terrorismus bekämpfen. Schließlich läuft das Gespräch auf einen zentralen Punkt heraus: auf die Frage, was man unter Terrorismus überhaupt versteht.
Ameti klingt gedämpft, die Prognosen sprechen deutlich gegen sie
Das PMT definiert Terrorismus als „Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung, die durch die Begehung oder Androhung von schweren Straftaten oder mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken verwirklicht oder begünstigt werden sollen“. Melzer und Ameti sagen, mit dieser Definition könne praktisch jeder zum Gefährder gemacht werden: Greta Thunberg genauso wie der unscheinbare Nachbar, der den Bundesrat als Diktator beschimpft. Dabei wäre es so einfach gewesen. Nur ein Wörtchen hätte der Gesetzgeber austauschen müssen. Statt eines oder müsste ein sowie stehen, das den Terrorismus mit einer Straftat koppeln würde. So wie man es in einem früheren Gesetzesentwurf lesen konnte. „Wieso hat man das nachträglich geändert?“, fragt Nils Melzer. Die Bundesrätin gibt darauf keine Antwort. „Also sagen Sie es mir bitte: Warum?“ Die CVP-Nationalrätin Andrea Gmür druckst herum. Schließlich sagt sie: „Da kommt doch niemand auf irgendeine Gefährderliste … Furcht und Schrecken … Das ist doch Wortklauberei.“
Zwei Wochen später. Es ist Mitte Mai. Man hört es deutlich durchs Handy, Sanija Ametis Stimmung ist gedämpft. Die Prognosen werden immer düsterer. Fast 70 Prozent der Schweizer Bevölkerung wollen dem Antiterrorgesetz zustimmen. So zeigen es die aktuellsten Umfragen. Ameti sagt, ihr gehe langsam die Energie aus. All die Anlässe, all die Meetings. Sie ist jetzt auch im Vorstand der Operation Libero und leitet die PMT-Kampagne, dabei sollte sie doch am Institut an der Uni Bern Prüfungen für die Studierenden vorbereiten und ihre Doktorarbeit vorantreiben. Am meisten Energie aber, sagt sie, raubten ihr die „dreisten Falschbehauptungen“ von Bundesrätin Keller-Sutter. „Ihr sind alle Mittel recht! Sie stellt sich einfach vor die Fernsehkamera und sagt, das Rechtsgutachten, das sie in Auftrag gegeben habe, bescheinige, das Gesetz sei EMRK-konform. Dabei steht da klipp und klar, der Hausarrest sei nicht vereinbar mit der EMRK. Ja, hab ich Tomaten auf den Augen?!“
Sie wird jetzt laut: Mit den Fichen habe die Schweiz auch nur ein paar Kommunisten überwachen wollen, schließlich seien 900.000 Schweizer als „Gefährder“ ausspioniert worden. Von der Crypto-Affäre, bei der ausländische Geheimdienste mit dem Wissen der Schweiz fremde Staaten ausspionierten, wolle sie gar nicht reden. Und ein Ende der Grundrechtsverletzungen sei nicht in Sicht, die öffentliche Gesichtserkennung werde bereits vorbereitet. „Wieso verschwende ich meine Zeit damit, etwas aufhalten zu wollen, das schon so lange am Laufen ist? Ich muss wohl schauen, dass ich diese Sache einigermaßen gesund überstehe“, sagt sie müde.
In der Wohnung von Ameti, oben links im Bücherregal, etwas abseits von Matter, Kafka und Dürrenmatt, steht Cervantes’ Don Quijote. Der kühne Held will gegen das Unheil kämpfen und erlebt wilde Abenteuer. Am Ende aber kämpft er gegen Windmühlen.
(https://www.zeit.de/2021/22/sanija-ameti-antiterrorgesetz-terrorismus-juristin-rechtsstaat-schweiz/komplettansicht)
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limmattalerzeitung.ch 28.05.2021
Sanija Ameti: «Wir machen den Terroristen ein Geschenk» – sie floh aus dem Krieg und kämpft heute gegen das Anti-Terror-Gesetz
Mit dem umstrittenen PMT-Gesetz soll die Polizei mehr Kompetenzen im Kampf gegen Terrorismus erhalten. Juristin Sanija Ameti leitet die Gegenkampagne. Schon wenige Monate nach dem Beginn ihres politischen Engagements stand sie in der «Arena» einer Bundesrätin gegenüber. Ihr Kampf hat auch mit der eigenen Biografie zu tun.
Christoph Bernet
Sanija Ameti kennt Politik nur im Pandemiemodus. Das gemeinsame Bier nach der Vorstandssitzung, die Delegiertenversammlung in der Mehrzweckhalle: All das hat sie bisher nicht erlebt. Denn Ameti hat sich erst Anfang 2020, kurz bevor Covid-19 das öffentliche Leben und den politischen Alltag aus den Bahnen warf, so richtig politisch zu engagieren begonnen.
Dieses Engagement hat die 28-jährige Juristin in wenigen Monaten ins nationale Rampenlicht geführt. Zunächst wurde sie in den Parteivorstand der Grünliberalen des Kantons Zürich gewählt. Später in die SRF-«Arena» eingeladen, wo sie Bundesrätin Karin Keller-Sutter bei einer Sendung über die E-ID argumentativ ins Schwitzen brachte. Und aktuell steht sie an die die Spitze eines nationalen Referendumskomitees. Sie kämpft in der Nein-Kampagne gegen das «Bundesgesetz über präventive Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus», kurz PMT, über das am 13. Juni abgestimmt wird.
«Es war ein verrücktes Jahr», sagt sie beim Gespräch und lacht dabei leicht ungläubig. Ganz so recht erklären kann sie sich auch nicht, wie das alles passiert ist. Bei ihr seien wohl «der Zufall und die notwendigen Grundlagen» aufeinandergetroffen, meint Ameti. Denn innerhalb weniger Monate kommen gleich zwei Vorlagen aus ihrem Fachgebiet an die Urne. Zuerst am 7. März die elektronische Identität und nun am 13. Juni das PMT.
«Schliift´s eigentlich?»
Ameti doktoriert seit 2018 an der Juristischen Fakultät der Universität Bern im Bereich Cyber-Security. In ihrer Dissertation befasst sie sich mit der Frage, wie die Verantwortlichkeit geregelt ist, wenn der Staat im digitalen Bereich Aufgaben an Private auslagert. Das wäre bei der (abgelehnten) E-ID der Fall gewesen. Und es würde gemäss Ameti auch bei einer Annahme des PMT zum Thema. Nämlich dann, wenn Behörden mithilfe von durch Privatfirmen entwickelte Algorithmen «terroristische Gefährder» voraussagen – und mit Massnahmen bis hin zum Hausarrest belegen könnten.
Bei der Beratung des Gesetzes im Parlament im vergangenen Jahr sei ihr teilweise «richtig schlecht geworden». Die Diskussionen seien teilweise jenseits von Gut und Böse gewesen. Für Ameti geht es beim PMT um «weitreichende Eingriffe in unsere Freiheitsrechte». Sie sei nicht grundsätzlich gegen präventive Massnahmen zur Verhinderung von Terrorismus. Aber damit tatsächlich terroristische Handlungen verhindert werden könnten, brauche es eine «konkrete Definition» davon. Im Gesetz hingegen finde sich die schwammige Formulierung, wonach bereits das «Verbreiten von Furcht und Schrecken» als terroristische Handlung gelten soll.
Bundesrat und Parlament hätten bewusst kaum richterliche Kontrollen und eine schwammige Terrorismusdefinition ohne konkreten Gewaltbezug eingebaut, um das PMT möglichst breit anwenden zu können. SVP-Nationalrat Mauro Tuena habe das in der «Rundschau» ganz offen zugegeben. «Schliift’s eigentlich?», habe sie sich gedacht, als sie den Beitrag gesehen habe.
«Die Fiche des 21. Jahrhunderts»
Das PMT werde damit missbräuchlich gegen alle kritischen Politiker, Journalisten und Bürger eingesetzt werden, ist Ameti überzeugt: «Genau gleich, wie die Schweizer Behörden in den 1980er Jahren die Fichen für die damaligen ‹Gefährder› missbraucht haben. Wir würden mit dem PMT die Fiche des 21. Jahrhunderts einführen.» In einer digitalisierten Welt sei dies allerdings noch viel schlimmer als in den Achtzigern.
Das Thema Sicherheit habe sie schon immer stark beschäftigt, begründet Ameti ihr Engagement. Das hat auch mit ihrer eigenen Geschichte zu tun. Sanija Ameti floh 1995 als kleines Mädchen mit ihren Eltern aus dem Bosnien-Krieg in die Schweiz. «Wir mussten aus einem Staat fliehen, in dem es keine Freiheitsrechte, keinen Rechtsstaat, keine Sicherheit gab. Das ist richtig schlimm.» Daraus entspringe auch ihre Motivation für den Einsatz gegen das PMT: «Sicherheit schaffen wir, indem wir der Polizei und Armee genügend personelle und finanzielle Ressourcen geben, und nicht indem wir unseren freiheitlichen Rechtsstaat abschaffen.» Doch genau dies geschehe mit dem PMT-Gesetz: «Damit machen wir den Terroristen ein Geschenk.»
Die Sorge um die Freiheitsrechte mache sie zur überzeugten PMT-Gegnerin – und zur Liberalen. Ausserdem seien ihr die Umwelt und eine mit Europa vernetzte Schweiz wichtig. Deshalb habe sie sich für die Grünliberalen entschieden. Davor habe sie bei den Jungfreisinnigen reingeschaut, «aber die waren mir zu wenig progressiv».
Doch sie sei froh über die Parteienvielfalt in der Schweiz: «Die Auseinandersetzung zwingt mich dazu, meine eigenen Argumente permanent zu überprüfen». Sie sei sehr pragmatisch und arbeite mit jedem zusammen, der mit ihr zusammen eine Sache voranbringen – oder einen Rückschritt verhindern wolle. Das sei auch beim Referendumskomitee der Fall. Von libertär gesinnten Jungfreisinnigen, über den Chaos Computer Club und die Piratenpartei bis hin zur Juso sind Leute mit unterschiedlichsten Ansichten dabei: «Unsere Sitzungen waren auf jeden Fall sehr spannend», sagt Ameti schmunzelnd.
«Bin grosser Amherd-Fan»
In diesem «verrückten Jahr» habe sie Gefallen an der Politik gefunden. Überrascht haben sie die vielen, bisher ausschliesslich positiven Rückmeldungen aus der Bevölkerung. Eine Kandidatur für ein politisches Amt will die Zürcherin nicht ausschliessen, aber konkrete Pläne dafür hat sie bislang nicht: «Bis jetzt hat sich in meinem Leben immer im richtigen Moment eine Türe geöffnet.» Sie spinne gerne im stillen Kämmerlein ihre Gedanken und webe diese in wissenschaftliche Artikel ein. Deshalb kann sie sich eine akademische Laufbahn vorstellen. Andererseits faszinierten sie auch die praktischen Aspekte von Cyber-Security, weshalb sie auch im Armee- und Sicherheitsbereich eine berufliche Zukunft sehe, sagt Ameti. Und schiebt mit einem Augenzwinkern nach: «Ich bin grosser Fan von Bundesrätin Viola Amherd.»
Doch zunächst müsse sie ihre Dissertation fertigstellen. Deshalb hofft sie, dass es nach der PMT-Abstimmung etwas ruhiger wird. Aber loslassen wird sie die Politik nicht mehr: «Es fegt eben schon», meint Ameti. Vergangene Woche wurde sie in den nationalen Vorstand von Operation Libero gewählt. Der Schritt macht klar: Mit Sanija Ameti hat eine die Politbühne betreten, vor der nicht so schnell wieder der Vorhang fallen wird.
(https://www.limmattalerzeitung.ch/schweiz/sanija-ameti-wir-machen-den-terroristen-ein-geschenk-sie-floh-aus-dem-krieg-und-kaempft-heute-gegen-das-anti-terror-gesetz-ld.2138529)
+++POLIZEI SG
Hat die Polizei überreagiert, Herr Hurni?
Die Ausschreitungen in St.Gallen an Ostern haben viele Fragen aufgeworfen, auch zum Verhalten der Polizei. Im Interview nimmt Ralph Hurni, Kommandant der Stadtpolizei, Stellung.
https://www.saiten.ch/hat-die-polizei-ueberreagiert-herr-hurni/
+++POLIZEI ZH
«Es besteht eine grosse Gefahr für Willkür»
Bodycams sollen in Zürich bald ein zusätzlicher Schutz für PolizistInnen liefern. Aber schützen sie auch gewaltbetroffene Personen? Simon Muster hat beim Juristen Tarek Naguib von der Allianz gegen Racial Profiling nachgefragt.
https://www.pszeitung.ch/es-besteht-eine-grosse-gefahr-fuer-willkuer/
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nzz.ch 28.05.2021
Stadtpolizei-Kommandant Blumer ärgert sich über Widerstand gegen breitere Überwachung: «In Zürich sind Kameras ein rotes Tuch – leider»
Daniel Blumer beobachtet die Gewalt in Zürich mit Sorge. Abhilfe schaffen könnten alkohol- und waffenfreie Zonen sowie mehr Videoüberwachung, sagt der Polizeikommandant im Interview.
Fabian Baumgartner, Daniel Fritzsche
Herr Blumer, hatten Sie auch schon einmal Lust, Ihr Pensum zu reduzieren?
Nein, definitiv nicht.
Laut der Stellenausschreibung kann Ihre Nachfolge Ihren Job auch in einem 80-Prozent-Pensum erledigen. Ist das realistisch?
Ich glaube, mein Job ist nur sehr schwierig in einem Teilzeitpensum zu bewältigen. Es ist, was Präsenz und Arbeitszeiten betrifft, mindestens eine Vollzeitstelle. Mit anderen Worten: Es müsste eine zweite Person die übrigen 20 Prozent übernehmen. Dann stellt sich jedoch die Herausforderung, dass die beiden Personen sich gegenseitig optimal ergänzen müssen. Sehr viele Geschäfte und Entscheide auf Stufe Kommando sind äusserst komplex. Wenn man nur zu 80 Prozent Bescheid weiss, kommt es zu Schwierigkeiten.
Sie sind also skeptisch.
Ich kann nur für die Stadt Zürich sprechen. In kleineren Korps, wo ich auch schon tätig war, wäre ein Teilzeit-Kommandant oder eine Teilzeit-Kommandantin vielleicht eher möglich.
Hinter der Idee steht ein politisches Signal. Die grüne Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart will wie ihre Vorgänger ein diverseres Polizeikorps und mehr Frauen auf Kaderstufen. Machen Sie da Fortschritte?
Ja, die gibt es. Es geht ja nicht nur um Mann und Frau. Um die Diversität zu sehen, muss man nur einmal die Namenliste unseres Korps anschauen. Da finden Sie viele Leute mit Migrationshintergrund. Auch bei der sexuellen Ausrichtung sind wir diverser aufgestellt als früher. Nicht erreicht haben wir bis jetzt das Drittelsziel beim Frauenanteil.
Wie hoch ist der Anteil momentan?
Bei den Polizistinnen liegt er bei knapp 20 Prozent. Das hat aber nichts mit internen Widerständen zu tun. Im Gegenteil: Ich schätze die weiblichen Qualitäten bei der Polizeiarbeit in einem hohen Mass. Es sind die Rahmenbedingungen und die Inhalte der Arbeit, die dazu führen, dass wir deutlich weniger Bewerbungen von Frauen als von Männern haben. Wir versuchen, daran mit grossem Aufwand etwas zu ändern.
Liegt es vielleicht einfach daran, dass es Frauen- und Männerberufe gibt? In Kindergärten arbeiten fast nur Frauen, bei der Polizei halt mehr Männer.
Sie haben ein Stückweit recht. Das physische Element bei der Polizeiarbeit kann eine Frau deutlich weniger gut erfüllen als ein Mann. Andererseits können Frauen in manchen Situationen Probleme besser lösen als ihre männlichen Kollegen.
Wie meinen Sie das?
Männer geraten schneller in einen Machtkampf. Frauen kommunizieren anders.
Die Kantonspolizei hat ihrerseits die Marke von 20 Prozent bereits 2019 erreicht.
Das ist so. Die Arbeit in der Stadt Zürich ist aber eine andere als im Kanton. Es gibt hier regelmässig grosse Konflikte, bei denen die Einsatzkräfte physisch eingreifen müssen. Ich spreche etwa von den Auswirkungen der 24-Stunden-Gesellschaft.
Hat die Aggressivität gegenüber Polizisten in der Stadt zugenommen?
Ja, das stellen wir fest. Auf der Strasse, aber auch andernorts. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Einsatzzentrale stehen zum Beispiel massiv unter Druck, weil sie am Telefon vermehrt mit wütenden Personen zu tun haben. Die Anrufer sind unfreundlich, Situationen eskalieren rascher. Wir haben einige Fälle im Korps, bei denen die Dauerbelastung zu gesundheitlichen Problemen führte.
Was ist der Einfluss von Corona?
Wir haben das kürzlich intern analysiert. Die Belastung unserer Leute ist hoch. Meine Leute sind müde.
Was hat sich während der Pandemie für die Polizei konkret verändert?
Die Nutzung des öffentlichen Raums hat enorm zugenommen. Am Utoquai und am Stadelhofen gibt es immer wieder Grosseinsätze. Die dauernde Konfrontation in diesem Gebiet nagt an unseren Leuten. Dazu kommen die ständig ändernden Corona-Regeln, die vielen Demonstrationen.
Am Utoquai wurden Überwachungskameras installiert. Bleiben diese weiter bestehen?
Vorerst ja. Die Kameras helfen uns, strafbare Handlungen aufzuklären. In vier Fällen konnten wir Täter erfolgreich überführen. Vier weitere Verfahren sind am Laufen.
Wann braucht es die Kameras nicht mehr?
Persönlich hoffe ich, dass sich mit der schrittweisen Öffnung von Restaurants, Bars und Klubs das Nachtleben wieder stärker vom Utoquai hin zur Langstrasse verlagert. Dort sind die Abläufe eingespielt, und die Leute verteilen sich besser. Die Lage am Utoquai ist für uns zurzeit schon sehr herausfordernd. Zeitweise trafen sich bis zu 8000 Leute dort am Abend – ohne Ziel und mit viel Alkohol. Das verursacht Konflikte.
Und an der Langstrasse ist es besser?
Dort wird auch viel getrunken, aber in einem kontrollierbaren Rahmen. Am Utoquai gibt es zum Beispiel kein Sicherheitspersonal wie vor den Klubs an der Langstrasse.
Sie haben einmal alkoholfreie Zonen in der Stadt angeregt. Die Idee ist jedoch versandet.
Ich fände das aus polizeitaktischer Sicht nach wie vor eine sinnvolle Sache. In ausländischen Städten funktioniert das bestens. Aber Frau Rykart hat sich dagegen entschieden. Diesen politischen Entscheid akzeptiere ich. Wünschenswert wären aus unserer Sicht auch waffenfreie Zonen. Wir sehen am Utoquai, dass Jugendliche oft Messer mit sich führen. Das ist gefährlich. Doch auch diese Frage ist politisch geklärt.
Immer wenn auf städtischem Gebiet eine Kamera aufgestellt wird, hagelt es von Links Kritik. Wünschen Sie sich eine breitere Überwachung?
Das Extrembeispiel ist London. Dort wird praktisch jede Ecke der Stadt überwacht. So weit möchte ich nicht gehen. Doch Kameras leisten vor allem in der Aufklärung von Verbrechen wertvolle Dienste. In Zürich aber sind Kameras ein rotes Tuch – leider. Ich bin überzeugt, dass so manche Straftaten nicht aufgeklärt beziehungsweise nicht verhindert werden können.
Was war Ihre Losung an die Leute an der Front in der Umsetzung der Corona-Regeln?
Das war extrem herausfordernd. Oft hat der Bundesrat am Freitag etwas angekündigt, und am Samstag mussten wir bereits handeln. Wir mussten jeweils so rasch wie möglich klare Anweisungen an die Mitarbeiter erteilen.
Und Sie mussten stets die Balance zwischen Regeltreue und Augenmass behalten. Ist das geglückt?
Wir haben immer gesagt: Bei Corona geht es um gesundheitliche Fragen und hauptsächlich um Übertretungen. Es geht nicht um kriminelle Energie, die man mit aller Kraft stoppen müsste. Deshalb konzentrierten wir uns stets darauf, die Leute zu ermahnen. Repressive Massnahmen waren immer das letzte Mittel. Ich glaube, der Balanceakt ist uns ganz gut gelungen.
In der «Rundschau» hat Mark Burkhard, der oberste Polizist des Landes, gesagt, wenn man Übertretungen in grossem Masse toleriere, störe das das Verhältnis zwischen Polizei und Bevölkerung. Hat er recht?
Ich habe mir die Bilder aus anderen Städten und Dörfern bei den Demonstrationen der Massnahmengegner angeschaut. Es sieht nicht gut aus, wenn die Polizei nur zusieht und nicht eingreift, obwohl eine Veranstaltung verboten ist. In der Stadt Zürich ist die Polizei nie einfach danebengestanden. Wir konnten aber auch nicht einfach eine zu grosse, friedliche Demonstration gewaltsam auflösen. Das wäre unverhältnismässig gewesen. Aber wir haben angefangen, die Teilnehmer zu kontrollieren und zu verzeigen. Das hat Wirkung gezeigt.
War es ein Fehler, dass man die Leute zum Beispiel in Rapperswil einfach marschieren liess?
Wenn Sie hören wollen, dass ich den Einsatz eines anderen Kommandanten kritisiere, dann kann ich Ihre Erwartung nicht erfüllen.
In Zürich haben Polizeieinsätze oft ein politisches Nachspiel. Die Linke beobachtet die Polizeiarbeit mit Argusaugen.
Die Kritik kommt immer von den gleichen Leuten von links und von rechts. Aus der Bevölkerung höre ich so etwas höchst selten.
Im März kam es an einer Frauen-Demonstration zu unschönen Szenen. Ein Polizist schlug mehrfach auf den Kopf einer Frau ein. Können Sie so ein Verhalten tolerieren?
Wir haben eine interne Untersuchung durchgeführt. Wir konnten feststellen, dass der Mitarbeiter die schweizweit geltenden Instruktionen eingehalten hat. Man redet hier von sogenannten Ablenkungsschlägen. Die Demonstrantin hatte ihn in die Finger gebissen; das sieht man auf dem veröffentlichten Video nicht. Bei einem derartigen physischen Angriff sind solche Schläge erlaubt . . .
«Ablenkungsschläge», das klingt aber ziemlich euphemistisch . . .
Ich habe gestützt auf den Vorfall die Frage gestellt, ob die heutige Regelung richtig ist. Wir sind nun zum Schluss gekommen, dass Ablenkungsschläge gegen den Kopf nur noch in Notwehrsituationen zulässig sind. Dies, um Verletzungen zu vermeiden.
Wann wird das umgesetzt?
Ab sofort.
Und was geschieht mit dem Polizisten?
Ich habe keine personalrechtlichen Massnahmen gegen ihn ergriffen. Die Staatsanwaltschaft wird den Fall aber sicher noch untersuchen.
Linke Kritiker sehen sich durch solche Vorfälle in ihren Vorbehalten bestätigt. In ihren Augen hat die Polizei ein «Rambo-Problem».
Die Frage der Gewaltanwendung durch die Polizei ist ein Paradox. Meine Leute müssen, im Notfall mit Gewalt, die Gewalt von anderen eindämmen. Bei Anstellungen suchen wir Leute, die gewaltfähig sein müssen, aber nicht «gewaltgeil». In jeder Situation professionell zu bleiben, ist für uns eine grosse Herausforderung. Wir legen deshalb grossen Wert auf dieses Thema bei der Ausbildung. Wir nehmen zudem jeden Vorfall ernst und untersuchen ihn intern.
In Zürich gilt im Moment noch – anders als in den meisten Kantonen – eine Obergrenze bei Demonstrationen. Sie lag bei 15 Personen, jetzt bei 100. Erleichterte oder erschwerte Ihnen das die Arbeit?
Als die Obergrenze tief lag, hat sie uns die Arbeit stark erleichtert. Als sie auf 100 erhöht wurde, wurde es deutlich schwieriger. Und zwar aus taktischer Sicht. Wenn wir zuerst warten müssen, bis 100 Leute auf einem Platz sind, bevor wir mit Wegweisungen beginnen können, dann ist die Ansammlung schon zu gross, und die Situation wird unübersichtlich.
Nachdem der Bundesrat weitere Lockerungen beschloss, hat nun der Zürcher Regierungsrat die Obergrenze per Montag aufgehoben. Begrüssen Sie das?
Ja, denn eine zu hohe Grenze kann man nicht mehr durchsetzen. Den ursprünglichen Gedanken, der auch hinter dem Entscheid des Regierungsrats lag, kann ich nachvollziehen. Man wollte keine grossen Demos von Massnahmenkritikern, die keine Masken tragen, in Zürich. Darum sind diese dann an andere Orte ausgewichen, nach Liestal, Altdorf oder Urnäsch. Bei uns in Zürich blieb es diesbezüglich ruhig.
Das «Problem» wurde einfach ausgelagert.
Das ist der Kantönligeist in der Schweiz. Als Gemeindepolizist stimmte das für mich in diesem Fall (lacht).
Ihre politische Vorgesetzte Karin Rykart kritisierte anderseits die Grundrechtseinschränkungen im Kanton.
Das ist die politische Ebene. Und als Bürger kann ich das durchaus nachvollziehen. Die Versammlungsfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht, das finde auch ich. Das Verwaltungsgericht hat das kürzlich auch in einem Urteil festgehalten, als es um die Obergrenze bei 15 Personen ging.
Sie fühlten sich durch Frau Rykarts Äusserungen nicht im Stich gelassen?
Nein, wir haben das im Vorfeld so besprochen. Wir haben eine hervorragende, vertrauensvolle Zusammenarbeit. Politisch kann ich gut hinter ihrer Aussage stehen. Taktisch war die 15er-Grenze für uns aber, wie gesagt, nicht nur schlecht. Letztlich habe ich eine operative Funktion, und Frau Rykart hat eine politische. Manchmal haben wir unterschiedliche Standpunkte. Darüber diskutieren wir auf Augenhöhe.
Das Sicherheitsdepartement ist in Zürich seit über 30 Jahren in linker Hand. Merkt man das als Polizeikommandant?
Das kommt stark auf die involvierten Personen an. Wenn es integre Leute sind, dann ist die Konstellation sogar ein Gewinn. Wenn man die Dinge ausdiskutiert, kommt man letztlich zu besseren Entscheiden, als wenn von Anfang an alle der gleichen Meinung sind. Als ich Kommandant in der Stadt Bern war, war mein Vorgesetzter ein Law-and-Order-Hardliner. Durch seine pointierten Aussagen in der Öffentlichkeit litt das Bild der Polizei in der Stadt zeitweise. Das ist in Zürich anders.
In Zürich wollte der frühere Sicherheitsvorsteher Richard Wolff die Nationalitäten von mutmasslichen Tätern in Polizeimeldungen nicht mehr nennen. Die Zürcher Stimmbevölkerung hat sich kürzlich aber klar für Transparenz ausgesprochen. Ihre Meinung?
Für unsere tägliche Arbeit ist diese Frage eigentlich völlig irrelevant. Ich ärgere mich aber, wenn die Polizei für politische Spielchen missbraucht wird. Das war bei der Nationalitätennennung der Fall. Man wollte nicht immer darauf hinweisen, wie hoch der Anteil der ausländischen Bevölkerung bei strafbaren Handlungen ist. Das wiederum provozierte die SVP – und die Stimmbevölkerung hat nun gesprochen. All das wäre nicht nötig gewesen.
Neu sollen in Zürich auch Ausländer die Polizistenausbildung machen dürfen. Ist das auch bloss so ein politisches Spielchen?
Als Kommandant ist es für mich wichtig, dass bei der Qualität der Aspirantinnen und Aspiranten keine Abstriche gemacht werden. Die neue Regelung bei der Ausbildung führt lediglich dazu, dass wir gewisse Leute schon früher rekrutieren können als bisher.
Insgesamt ist es ein Akt von Symbolpolitik.
Diese Aussage unterstütze ich nicht.
Wäre es denn aus Ihrer Sicht angezeigt, dass künftig auch Leute ohne Schweizer Pass für den Polizeidienst zugelassen werden?
Wer bei uns arbeiten will, muss in Zürich und in der Schweiz zu 100 Prozent assimiliert sein. Man sollte den grössten Teil der Schulbildung hier absolviert haben. Man muss Schweizerdeutsch sprechen und verstehen können. Ein Akzent ist in Ordnung. Wer diese Voraussetzungen erfüllt, sollte doch eigentlich als Nächstes eine Einbürgerung anstreben. Insofern braucht es für mich keine Änderung am Status quo.
In einem Jahr reduzieren Sie Ihr Pensum nicht auf 80, sondern auf 0 Prozent. Sie werden pensioniert. Wird Ihnen nicht langweilig?
Langweilig wird mir sicher nicht. Ich habe vor, mehr Töff zu fahren, zu reisen und zu golfen. Dass ich nicht mehr jedes Wochenende wegen einer Demonstration oder sonst etwas erreichbar sein muss, werde ich nicht vermissen. Die Arbeit mit dem Korps aber sehr. Umso mehr freue ich mich, dass ich jetzt noch ein Jahr lang mit meinen Kolleginnen und Kollegen verbringen darf. Ich habe einen grossartigen Job.
Welche Erlebnisse werden Ihnen in Erinnerung bleiben?
Ich finde es einfach wahnsinnig beeindruckend, was die Kolleginnen und Kollegen tagtäglich leisten. Die Stadt Zürich ist ein Schmelztiegel mit einer hohen Kadenz an ganz unterschiedlichen Einsätzen: Street Parade, Züri-Fäscht, hitzige Fussballpartien – es läuft ständig irgendetwas. Zum Glück ist in den letzten acht Jahren kein Einsatz total misslungen. Schlagzeilen gab es, aber keine Skandale. Zu einem Strafverfahren wegen eines misslungenen oder fehlerhaften Einsatzes kam es zum Beispiel nie. Das macht mich schon ein bisschen stolz.
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Daniel Blumer – Zürichs oberster Stadtpolizist
dfr. · Seit 2013 ist Daniel Blumer Kommandant der Stadtpolizei Zürich, des drittgrössten Polizeikorps der Schweiz mit rund 2100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zuvor war der gebürtige Zürcher in gleicher Funktion in der Stadt Bern und im Kanton Basel-Landschaft tätig. Ende Mai 2022 wird der heute 64-Jährige pensioniert.
(https://www.nzz.ch/zuerich/stadtpolizei-in-zuerich-sind-kameras-ein-rotes-tuch-leider-ld.1627164)
+++POLIZEI DE
Polizisten als Internettrolle
Ein Berufsverband der Polizei geht aggressiv gegen Journalist*innen und Aktivist*innen auf Twitter vor. Nun hat sich Katarina Barley eingeschaltet. Die Polizei will die Vorwürfe prüfen.
Hass im Netz bleibt nicht länger im Netz. Die Künstlerin Jasmina Kuhnke musste deswegen im April umziehen. Ein Berufsverband der Polizei machte nun Andeutungen über ihren Wohnort. Politiker*innen fordern eine Untersuchung – und Konsequenzen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1152527.polizei-polizisten-als-internettrolle.html
+++RASSISMUS
Natasha A. Kelly: „Wir schreien und werden nicht gehört“
Weil Rassismus in Deutschland kaum erforscht ist, setzt er sich auch an den Hochschulen fort, sagt die Autorin Natasha A. Kelly. Die Unis seien die „Keimzelle des Übels“.
https://www.zeit.de/campus/2021-05/natasha-a-kelly-rassismus-forschung-universitaet-soziologie/komplettansicht
+++RECHTSEXTREMISMUS
Schlägerei im Ballenberg – war es Extremismus?
Am 15. Mai kam es im Freilichtmuseum zu einer Prügelei. Die «Weltwoche» spricht von einem Zusammenstoss zwischen Links- und Rechtsextremen. Die Kantonspolizei Bern kann die Recherchen weder bestätigen noch dementieren.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/190736/
-> Weltwoche-Artikel: https://twitter.com/dnlrysr/status/1397869710188892161
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Coronavirus: Solothurner Beizen bereiten sich auf Gegner-Demo vor
Gegner der Massnahmen gegen das Coronavirus rufen trotz fehlender Bewilligung zu einer Demonstration in Solothurn auf. Gastro-Betreiber zeigen sich besorgt.
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-solothurner-beizen-bereiten-sich-auf-gegner-demo-vor-65936135
Medienbericht: Berliner Verfassungsschutz führt KenFM offenbar als Verdachtsfall
Ken Jebsens YouTube-Kanal ist bereits dicht, nun droht dem Moderator einem Medienbericht zufolge auch Ärger mit dem Verfassungsschutz. Sein Sender wird demnach wegen Desinformation als Verdachtsfall geführt.
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/ken-jebsen-berliner-verfassungsschutz-fuehrt-kenfm-offenbar-als-verdachtsfall-a-6258ab55-e3d0-4aae-b1a5-10f822f4257e
-> https://www.infosperber.ch/medien/verfassungsschutz-beobachtet-kenfm/
Nach neuem Verschwörungs-Song: Mannheim will Auftritt von Xavier Naidoo verhindern
Nun auch seine Heimatstadt: Die Mannheimer Stadtverwaltung möchte verhindern, dass Xavier Naidoo dort ein Konzert gibt. Schon andere Städte sagten Auftritte des Sängers ab.
https://www.spiegel.de/kultur/musik/mannheim-will-auftritt-von-xavier-naidoo-verhindern-a-6bcf242a-4910-4c74-8455-9b348692e930
Referendum angekündigt: «Freunde der Verfassung» wollen Medienförderung verhindern
Das Parlament will in der bevorstehenden Sommersession einen markanten Ausbau der Medienförderung beschliessen. Doch das letzte Wort wird wohl die Stimmbevölkerung haben.
https://www.republik.ch/2021/05/28/referendum-angekuendigt-freunde-der-verfassung-wollen-medienfoerderung-verhindern
Der Küssnachter Bezirksrat rüffelt Satiriker Andreas Thiel: Dieser sitzt im Schulrat und hat sich an Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen kritisch zur Maskenpflicht an Schulen geäussert (ab 04:10)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/luzern-bewilligt-leichtathletik-meeting-uri-lehrabschluss-feiern?id=11992217
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Zürichsee Zeitung 28.05.2021
Vandalismus in Thalwil: Sprayer vergleichen Impfkampagne mit dem Holocaust
Unbekannte haben entlang der Zürcherstrasse in Thalwil einen Schriftzug mitsamt Hakenkreuz angebracht. Der Kanton hat Anzeige erstattet.
Francesca Prader
«Impfen macht frei», dazu ein Hakenkreuz mit dem Zusatz «2.0» – dieser Schriftzug prangt seit kurzem auf 30 Meter Länge und 1,5 Meter Höhe an der Wand entlang der Zürcherstrasse bei der Bushaltestelle Sonnenberg in Thalwil. Die Sprayer bedienen sich damit des Schriftzugs «Arbeit macht frei», der über den Toren der Konzentrationslager Auschwitz und Dachau prangte, und vergleichen die Impfkampagne gegen das Coronavirus mit dem Holocaust.
Wie die Kantonspolizei Zürich auf Anfrage bestätigt, ist wegen der Schmiererei eine Anzeige vonseiten der kantonalen Baudirektion eingegangen. Weil es sich bei der Zürcherstrasse um eine Kantonsstrasse handelt, ist der Kanton zuständig. «Wir ermitteln wegen Sachbeschädigung», sagt Mediensprecher Ralph Hirt.
«Politisch heikel und rassistisch»
Das kantonale Tiefbauamt hat bereits eine Firma mit der Entfernung des Schriftzuges beauftragt. «Grundsätzlich werden Sprayereien jeder Art entfernt. Wenn sie wie in diesem Fall politisch heikel und rassistisch oder sexistisch sind, nehmen wir das unmittelbar in Angriff», sagt Thomas Maag, Mediensprecher der Baudirektion. Bis spätestens am kommenden Montag werde der Schriftzug mitsamt dem Hakenkreuz entfernt sein.
Im Kanton Zürich gebe es Tausende Bauwerke, an denen sich Sprayer immer wieder verewigten, sagt Maag. «Schmierereien lassen sich kaum verhindern. Sie zu entfernen, gehört deshalb ebenso zum Strassenunterhalt wie der Winterdienst oder die Pflege von Grünflächen.»
Auch die Wand bei der Passerelle an der Zürcherstrasse ist nicht zum ersten Mal betroffen. Im Frühling letzten Jahres prangte an der Stelle ein Graffito mit dem Logo des FC Zürich. Bereits zu einem früheren Zeitpunkt sei an der Wandfläche ein Graffitischutz angebracht worden, sagt Maag. Aufgrund der Grösse des aktuellen Schriftzuges geht er davon aus, dass die Reinigung «trotzdem einen tiefen vierstelligen Betrag kosten» werde.
Dass Sprayer ihre Meinung zur Corona-Pandemie und den Massnahmen dagegen kundtun, ist in Thalwil ebenfalls schon vorgekommen. So zierte beispielsweise im Januar der Schriftzug «Maskenpflicht für Kinder ist ein Verbrechen» die Mauern der Schulhäuser Oeggisbüel und Oelwiese sowie eine Wand bei der Sportanlage Brand. Der Sachschaden belief sich auf rund 10’000 Franken.
Die Gemeinde hatte in diesen Fällen Anzeige wegen Sachbeschädigung erstattet. Wie Joana Büchler, Kommunikationsbeauftragte der Gemeinde Thalwil, auf Anfrage sagt, sind die Ermittlungen der Gemeindepolizei hierzu bisher erfolglos geblieben.
Ermittlungen mit Schriftanalyse
Das sei nicht immer der Fall, sagt Ralph Hirt. «Die Chance, herauszufinden, wer hinter solchen Schmierereien steckt, steigt, je öfter die Person zur Spraydose greift.» So vergleiche die Kantonspolizei jeweils anhand von Schriftanalysen, ob mehrere Schriftzüge von der gleichen Person angebracht worden sein könnten. «Die Aufklärungsrate für solche Sachbeschädigungen ist daher nicht schlecht», resümiert Hirt.
Für Sprayer, die erwischt werden, werde es schnell sehr teuer. «Sie müssen die Reinigung der Wand bezahlen, hinzu kommt in vielen Fällen eine saftige Busse, und die Beschuldigten müssen bei der Staatsanwaltschaft vorstellig werden», sagt Hirt.
(https://www.zsz.ch/sprayer-vergleichen-impfkampagne-mit-dem-holocaust-409171037364)
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nzz.ch 28.05.2021
Gewalt-Aufrufe über Facebook wegen Corona-Massnahmen sind strafbar, wie ein neuer Fall zeigt
Ein 28-jähriger Landschaftsgärtner, der mit den Corona-Massnahmen des Bundesrats nicht einverstanden war, hat öffentlich zu Gewalt aufgerufen und ist deshalb zu einer bedingten Geldstrafe und einer Busse verurteilt worden.
Tom Felber
Die private Facebook-Gruppe heisst: «Covid-19-Allianz gegen den Bundesrat, keine Immunität für Psychopathen!» und existiert auch heute noch. Sie hat offenbar derzeit 1220 Mitglieder. Im Dezember postete ein 28-jähriger lediger Landschaftsgärtner aus dem Zürcher Oberland mehrere Beiträge in dieser Gruppe, die ihn nun teuer zu stehen gekommen sind:
Wegen öffentlicher Aufforderung zu Verbrechen oder zu Gewalttätigkeiten im Sinne von Artikel 259 StGB ist er mit einem Strafbefehl der Staatsanwaltschaft See/Oberland zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 100 Franken (9000 Franken) und 2000 Franken Busse verurteilt worden. Hinzu kommen 800 Franken Gebühren. Der Strafbefehl blieb unangefochten und ist damit rechtskräftig geworden.
Bundesplatz zum Brennen bringen
Im Dezember 2020, eine Woche vor Weihnachten, postete der Beschuldigte laut Strafbefehl «aus Frust über die in der Schweiz geltenden respektive vom Bundesrat verfügten Corona-Massnahmen» in der besagten Facebook-Gruppe mehrere Beiträge auf Mundart und teilweise durchgehend in Grossbuchstaben.
Darin hiess es unter anderem: «Mir müend de verdammti Bundesplatz sprichwörtlich i Flamme ufgah lah. Mir müend ahfangs 2021 ali zemmestah und mit em Motto #TodundhassderCoronadiktatur de Bundesplatz zum brenne bringe. Die Drecksäck münd endlich ufhöre mit dere Diktatur.»
Neben anderen Hasskommentaren postete er zudem zwischen dem 18. Dezember 2020 und dem 27. Januar 2021 einen Eintrag, der direkt gegen Bundesrätin Simonetta Sommaruga (sp.) gerichtet war. Er betitelte die Politikerin mit einem üblen sexistischen Schimpfwort und schrieb, wieder auf Mundart und durchgehend in Grossbuchstaben: «Hoffentlich träumsch jedi Nacht devo, dass die öber gnadelos verprügled!!!!!!», mit sechs Ausrufezeichen.
Keine Kontrolle über die Folgen gehabt
Laut dem Strafbefehl nahm der Landschaftsgärtner dabei zumindest billigend in Kauf, dass seine Aufforderungen zur Gewalt «an eine Vielzahl von ihm nicht mehr kontrollierbarer Personen» weitergegeben wurden. Der Beschuldigte habe weder gewusst, wer Organisator dieser Facebook-Gruppe war, noch, wie viele weitere Mitglieder diese Gruppe besass. Insbesondere habe er nach Veröffentlichung seiner Posts auch keinerlei Einfluss mehr darauf gehabt, wer und wie viele Personen seine Einträge weiterleiten würden und ob jemand seinen Aufforderungen, auf dem Bundesplatz Feuer zu entfachen und die Bundesrätin zu verprügeln, nachkommen würde.
Damit habe er öffentlich zu einem Verbrechen und zu einem Vergehen mit Gewalttätigkeit gegen Menschen oder Sachen aufgefordert. Die Probezeit für die bedingte Geldstrafe ist auf zwei Jahre angesetzt worden. 2800 Franken muss der Mann bezahlen. Wie dem Strafbefehl weiter zu entnehmen ist, erfolgte auch eine Mitteilung an das Bundesamt für Polizei in Bern, an den Nachrichtendienst des Bundes und an das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS).
(https://www.nzz.ch/zuerich/corona-leugner-wegen-aufruf-zu-gewalt-ueber-facebook-bestraft-ld.1627535)
+++HISTORY
Namibia: Deutschland erkennt Kolonialverbrechen als Völkermord an
Anfang des 20. Jahrhunderts töteten deutsche Kolonialtruppen Zehntausende Menschen vom Volk der Herero und Nama. Erstmals bekennt sich die Bundesregierung zum Genozid.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-05/kolonialismus-deutschland-namibia-voelkermord-herero-nama-anerkennung
-> https://www.tagesschau.de/ausland/afrika/deutschland-kolonialverbrechen-namibia-101.html
-> https://www.rnd.de/politik/herero-aktivist-kritisiert-einigung-der-bundesregierung-mit-namibia-WBXA3B635JG4PLYNJCL5TAT7R4.html
-> Rendez-vous: https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/deutschland-arbeitet-kolonialverbrechen-in-namibia-auf?id=a5ab1d15-3cc2-4102-b127-bcda224c7c1b
-> https://taz.de/Kolonialverbrechen-an-Herero-und-Nama/!5775510/
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1152585.versoehnungsabkommen-mit-namibia-billig-aber-nicht-recht.html
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/deutschland-anerkennt-voelkermord-in-namibia?id=88f42d33-a649-4c40-aa11-a44e6465c154
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/deutschland-will-voelkermord-in-namibia-anerkennen?urn=urn:srf:video:8be2a1cb-e791-476f-a5e1-c697d2ee6414
-> https://www.spiegel.de/kultur/koloniale-raubkunst-schluss-mit-der-verharmlosung-kommentar-a-338f7afd-8f91-4da2-98e6-272cec7cf2e1
-> https://www.tagesanzeiger.ch/berlin-entschuldigt-sich-fuer-den-ersten-voelkermord-der-neuzeit-736623147823
Bundesrat verteidigt sich in Sachen «Crypto-Affäre» – Echo der Zeit
Der Bundesrat hat sich heute zur «Crypto-Affäre» erklärt. Die Kritik, er habe die Tragweite falsch eingeschätzt, weisst er zurück. Und die Regierung sieht auch bei der Kontrolle des Nachrichtendienstes keinen Reformbedarf.
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/bundesrat-verteidigt-sich-in-sachen-crypto-affaere?id=dcb827a9-e1d6-4028-8090-2979704f617a