Medienspiegel 27. Mai 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Berner Grossrat diskutiert über Zustände in Asylunterkunft Aarwangen
Im Januar haben sich in kurzer Zeit 30 von 100 Asylsuchenden im Asylzentrum Aarwangen mit dem Corona-Virus angesteckt. Grossrat und Präsident der Asylkommission Emmental-Oberaargau Reto Müller wollte vom Regieriungsrat wissen, ob in Asylunterkünften unmenschliche oder gesundheitsschädliche Zustände herrschen.
https://www.neo1.ch/news/news/newsansicht/datum/2021/05/27/berner-grossrat-diskutiert-ueber-zustaende-in-asylunterkunft-aarwangen.html
-> Motion GR: https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-92399c2f2c1646749acf8953a2fec030.html


Interpellation SP/Grüne:  Gesundheitsvorsorge bei Migrantinnen und Migranten im Kanton Bern
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-476804ca4d8541e7a54e9ffe97a3367d.html


+++BASEL
Petition soll Ausschaffung von Ibrahim A. verhindern
Ibrahim A.* soll trotz guter Integration ausgeschafft werden. Die letzte Hoffnung für den Kurden ist eine Petition seiner Freunde mit über 1200 Unterschriften.
https://www.nau.ch/news/schweiz/petition-soll-ausschaffung-von-ibrahim-a-verhindern-65934650


+++SOLOTHURN
Solothurner SVP hat Initiative eingereicht. Sie fordert, dass vorläufig aufgenommene Flüchtlinge weniger Sozialhilfe erhalten (ab 00:57)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/maskenpflicht-fuer-5-und-6-klassen-im-aargau-aufgehoben?id=11991965


+++ZÜRICH
Die SPAZ gewinnt den Zürcher Gleichstellungspreis 2021!
Wir haben Grund zur Freude! Der Zürcher Stadtrat hat sich entschieden, unser Engagement für Sans-Papiers Frauen mit dem Gleichstellungspreis zu würdigen!
https://sans-papiers-zuerich.ch/news/die-spaz-gewinnt-den-zuercher-gleichstellungspreis-2021/
-> https://www.stadt-zuerich.ch/prd/de/index/ueber_das_departement/medien/medienmitteilungen/2021/mai/210526a.html


+++GRIECHENLAND
Autoritäre Entwicklungen in Griechenland
Die autoritäre Transformation
In Griechenland agiert die Regierungspartei Nea Dimokratia immer autoritärer. Flüchtlinge und Linke werden zu Feinden erklärt, die Hochschulen sollen überwacht werden.
https://jungle.world/artikel/2021/20/die-autoritaere-transformation


+++EUROPA
International geächtet
EU-Abschottungspolitik von UNO angeprangert. Ausgelagertes Grenzregime hat immer gravierendere Folgen
https://www.jungewelt.de/artikel/403204.eu-grenzregime-international-ge%C3%A4chtet.html


+++FREIRÄUME
Coop gibt beim Mieterstreit am Sihlquai nicht nach
Der Mieterschaft von mehreren Häusern am Sihlquai wurde gekündigt. Eigentümer Coop will die Wohnungen in Büros für Swissmill umwandeln. Auch beim heutigen runden Tisch konnte keine Einigung gefunden werden.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/coop-gibt-beim-mieterstreit-am-sihlquai-nicht-nach-142106154



tagesanzeiger.ch 27.05.2021

Umstrittene Umnutzung in Zürich: Coop-Häuser am Sihlquai: Keine Einigung am runden Tisch

Der Grossverteiler hält am Umbau der Wohnhäuser am Zürcher Sihlquai fest. Zum Ärger der Mieterschaft.

Martin Huber

Einige Demonstrantinnen und Demonstranten skandieren am Donnerstagnachmittag vor dem Amtshaus IV in der Zürcher Innenstadt: «Sihlquai bleibt! Sihlquai bleibt!» Doch die Chancen, dass die Wohnhäuser am Sihlquai 280/282 länger erhalten bleiben, sie schwinden.

Gespräche am runden Tisch mit Vertretern der Stadt und der Eigentümerin Coop sind für die Mieterinnen und Mieter der Sihlquai-Häuser enttäuschend verlaufen. Coop sei zu keinen Zugeständnissen bereit gewesen und habe auf der bisherigen Position beharrt, erklärte ein sichtlich enttäuschter Sprecher der Mieterschaft vor den Medien. Die verbleibenden Bewohnerinnen und Bewohner müssten per Ende September dieses Jahres ausziehen. Eine Mietverlängerung gebe es allenfalls für die im Haus einquartierte Schreinerei.

SP-Stadtrat André Odermatt, auf dessen Einladung der runde Tisch zustande gekommen war, habe zudem klargemacht, dass die Stadt nicht in Privateigentum eingreifen könne.

Aufsichtsbeschwerde wegen Denkmalschutz

Die Altbauten am Sihlquai stehen seit Wochen im Zentrum einer Kontroverse um die Wohnpolitik in Zürich: Die Coop Genossenschaft will die preisgünstigen Wohnungen zu Labors und einer Versuchsbäckerei für die Getreidemühlefirma Swissmill umnutzen. Der Sitz der Coop-Tochterfirma befindet sich in unmittelbarer Nähe der Häuser am Sihlquai.

Wegen der Umbaupläne erhielten 15 Mietparteien sowie die Schreinerei die Kündigung. Was prompt für Proteste sorgte. Die Mieterschaft gründete die Interessengemeinschaft «Forever Sihlquai» und sammelte 7000 Unterschriften für eine Petition gegen den Verlust von günstigem Wohnraum. Mit einer Aufsichtsbeschwerde bei der Stadt verlangt sie zudem die Aufnahme der beiden historischen Wohnhäuser ins Inventar der Denkmalpflege.

«Es gäbe genug leere Büroflächen»

Auch im Gemeinderat kamen die Pläne des Grossverteilers unter Beschuss. Das Parlament überwies im März ein dringliches Postulat von AL und SP, das die Stadtregierung auffordert, sich bei Swissmill und Coop dafür einzusetzen, das Bauprojekt zu überdenken und an einem runden Tisch nach Alternativen zu suchen (lesen Sie hier mehr dazu).

Doch diese Verhandlungen sind nun eben nicht nach Wunsch von «Forever Sihlquai» verlaufen. Für zusätzlichen Ärger bei den Bewohnerinnen und Bewohnern sorgt der Umstand, dass Coop die nach den Kündigungen bereits frei gewordenen Wohnungen mittlerweile an eine Zwischennutzungsfirma vermittelt hat.

Coop-Sprecher Andrea Ruberti erklärt, Coop und Swissmill hätten am runden Tisch «allen Parteien die Notwendigkeit der Sanierung aufgezeigt». Um den Versorgungsauftrag auch künftig wahrnehmen zu können und den Standort am Sihlquai mit seinen Arbeitsplätzen zu sichern, seien nun «betriebliche Anpassungen» nötig, die Gebäude am Sihlquai 280/282 seien sanierungsbedürftig.

Laut Coop konnte in den vergangenen Wochen mit der grossen Mehrheit der Mieterinnen und Mietern eine Lösung gefunden werden. Mit zwei Mietparteien liefen noch Gespräche.

Ursprünglich hätten die Umbauarbeiten bereits beginnen sollen. Neu sollen die Bauarbeiten voraussichtlich im April 2022 losgehen und ein Jahr dauern.

Für Aufsehen sorgte eine kurzzeitige Besetzung der Häuser am Sihlquai vor rund drei Wochen. Beim Eintreffen der Polizei hatten die Besetzerinnen und Besetzer die Liegenschaft bereits wieder verlassen (lesen Sie hier mehr dazu).
(https://www.tagesanzeiger.ch/coop-haeuser-am-sihlquai-keine-einigung-am-runden-tisch-377682941089)


+++GASSE
Bettelnde suchen Basler Uni-Zahnklinik auf
Das Universitäre Zentrum für Zahnmedizin Basel (UZB) beobachtet in letzter Zeit, dass vermehrt Bettlerinnen und Bettler aus Rumänien zur Behandlung kommen. Es kämen jeden Tag mehrere, manchmal ganze Gruppen, bestätigt Gerlinde Spitzl, CEO des UZB. Behandlet würden aber nur Notfälle, sagt Spitzl.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/bettelnde-suchen-basler-uni-zahnklinik-auf?id=11991260


+++DEMO/AKTION/REPRESSON
derbund.ch 27.05.2021

Berner Hausbesetzer vor Gericht: Unterstützer wittern «politischen Prozess»

Die Besetzer der Effingerstrasse 29 schossen 2017 mit Feuerwerk auf die Polizei, diese konterte mit Gummischrot. Nun müssen sich 16 Personen in Bern vor Gericht verantworten.

Markus Dütschler

Oft enden Hausbesetzungen still und leise. An der Effingerstrasse 29 in Bern war dies anders. Als die Polizei am 22. Februar 2017 mit einem Grossaufgebot im Mattenhofquartier anrückte, um das besetzte Haus zu räumen, schossen Mitglieder des Kollektivs «Oh du fröhliche» mit Feuerwerk gegen die Beamten. Diese antworteten mit Gummischrot. Am Montag beginnt der Prozess gegen 16 Besetzerinnen und Besetzer.

An jenem Montag im Februar 2017 dauerte es Stunden, bis Effy 29, so nannten die Besetzer und ihre Sympathisanten das besetzte Gebäude, geräumt war. Die Besetzergruppe hatte die Liegenschaft, welche dem Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) gehört, mit Blockadevorrichtungen ausgestattet, um das Vorrücken der Polizei zu erschweren. Auf der Strasse bildeten sich spontan Gruppen, die deren Einsatz kritisierten. Die Polizei fuhr mit einem Wasserwerfer auf. Der öffentliche Verkehr war für längere Zeit unterbrochen.

Das BBL hatte der Besetzergruppe zuvor ein Ultimatum gestellt. Als dieses ungenutzt verstrichen war, gelangte die Hauseigentümerin ans Gericht, das die Räumung der Liegenschaft gestattete. Das BBL, das die Liegenschaften des Bundes verwaltet, wollte die besetzte Liegenschaft sanieren und für Bürozwecke nutzen.

Protest gegen «fade» Stadt

Die Besetzung hatte am 6. Dezember 2016 begonnen. Das Komitee begründete die Beanspruchung des seit kurzem leer stehenden Gebäudes damit, dass erschwinglicher Wohnraum in der Stadt rar sei. Ohnehin werde eine Stadt, in der Immobilien nach rein kommerziellen Gesichtspunkten verwaltet würden, «fade, menschenleer und deprimierend».

Die seit 2015 bestehende Zwischennutzungsstelle der Stadt kam nicht zum Einsatz. Einerseits, weil es vonseiten des BBL kein Gesuch gab. Andererseits, weil die Besetzer sich dahingehend äusserten, dass sie nicht viel von legalen Zwischennutzungen hielten, denn da würden stets gewisse Kreise bevorzugt.
Das besetzte Haus befindet sich im Berner Mattenhofquartier.

Jetzt, über vier Jahre nach der Räumung, kommen Angehörige der Besetzergruppe vor Gericht. Der Termin hätte eigentlich im November 2020 stattfinden müssen, musste jedoch wegen der Pandemie verschoben werden. 16 Personen müssen sich ab kommendem Montag wegen Hausfriedensbruchs sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte verantworten, wobei das letztere Delikt mit weitaus härteren Strafen bedroht wird.

Nebst der Staatsanwaltschaft treten auch vier Privatkläger auf. Es sind Angehörige von Polizei und Feuerwehr, die am Räumungstag verletzt wurden. Nach einem allfälligen Schuldspruch könnten sie auf dem Zivilweg Schadenersatzforderungen an die Verursacher richten. Das Urteil wird für den 17. Juni erwartet.

«Horrende» Strafanträge

Auf der Website anarchistisch.ch rufen Unterstützer zu einer «Solidemo» auf, denn die «Besetzer*innen» würden «für ihre Ideen und ihren Widerstand verurteilt». Nach der Räumung habe «die mediale sowie bürgerliche Abrechnung» begonnen, denn das Projekt Effy 29 stehe «stellvertretend für alle Freiraumprojekte», so die Unterstützungsgruppe. «Diese Hetze nutzte der Staat für einen weiteren repressiven Ausbau in Bern», indem «potenziell tödliche» neuartige Gummischrotwerfer eingesetzt und Anti-Terror-Einheiten «standardmässig bei Hausräumungen aufgeboten» würden.

An den 16 Beschuldigten werde «durch einen politischen Prozess von oben ein Exempel statuiert». Das werde man nicht zulassen, sondern mit «Aktionen in der ganzen Stadt» reagieren. Diese Ankündigungen sind – kaum überraschend – auch im Amthaus zur Kenntnis genommen worden. Dem Vernehmen nach wird die Polizei vor dem Gebäude, in dem das Regionalgericht Bern-Mittelland tagt, präsent sein.

Zwar liegt die Anklageschrift noch nicht vor, doch verlangt die Staatsanwaltschaft laut dem Gericht Geldstrafen und in einigen Fällen bedingte oder unbedingte Freiheitsstrafen bis zu zwölf Monaten. Die Unterstützer der Beschuldigten bezeichnen diese Strafanträge als «horrend».

Sie liegen in einem Bereich, für den es kein dreiköpfiges Richterkollegium braucht. Das Verfahren wird darum von einer Einzelrichterin durchgeführt, auch wenn es weit komplizierter ist als übliche einzelrichterliche Verfahren. Wegen der zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmer beansprucht es den geräumigen Assisensaal.

Die meisten schweigen

Offen bleibt, ob es die zahlreichen Verhandlungstage überhaupt braucht, die für den Prozess angesetzt worden sind. Laut Gericht äusserten sich gegenüber der Ermittlungsbehörde lediglich zwei der Beschuldigten zur Sache. Eine davon stammt aus Deutschland. Diese Person ist laut Gericht von der Verhandlung dispensiert, da sie bereits ausgesagt hat.

Die anderen 14 beriefen sich auf ihr Aussageverweigerungsrecht. Würden sie vor Gericht plötzlich reden, bedeutete dies einen Strategiewechsel in der Verteidigung. Nach Auskunft des Gerichts besteht eine Anwesenheitspflicht lediglich für die jeweils eigene Einvernahme und die Urteilsverkündigung.

Die Unterstützer finden rückblickend, der «Widerstand» gegen die «Repression» habe sich gelohnt. In den Wochen nach der Räumung hätten sogar «grosse Mainstream-Medien über Gentrifizierung, Leerstand und Besitz» berichtet: «Die Thematik war in aller Munde, Mensch machte sich Gedanken.»
(https://www.derbund.ch/unterstuetzer-wittern-politischen-prozess-551584980872)
-> Solidemo Effi-Prozesse: https://barrikade.info/article/4494



bernerzeitung.ch 27.05.2021

Vorschau auf «Effi 29»-Prozess: Wie die Stadt Bern mit Hausbesetzern umgeht

2017 eskalierte die Räumung an der Effingerstrasse 29. 16 Hausbesetzer stehen deswegen ab Montag vor Gericht. Derartige Tumulte bilden in Bern jedoch die Ausnahme.

Michael Bucher

Stehen in Bern oder der Agglomeration Gebäude über längere Zeit leer, so laufen die Besitzer über kurz oder lang Gefahr, ungebetene Gäste im Haus zu haben. Die Rede ist von Hausbesetzerinnen und -besetzern, die sich über Nacht in meist sanierungsbedürftigen Liegenschaften breitmachen. Das kann in einem leer stehenden Wohn- und Geschäftshaus in Ostermundigen sein, in einem ehemaligen Altersheim in Zollikofen oder wie aktuell in einer ausrangierten Schreinerei im Fischermätteliquartier.

Die illegalen Besetzungen sind immer auch ein politischer Protest, bei dem etwa auf fehlende Freiräume in urbanen Zentren aufmerksam gemacht wird. Auch sehen Linksaktivisten darin einen Kampf gegen Immobilienspekulation, Wohnungsnot und zunehmend teurere Mietpreise in Wohnquartieren.

«Effi 29» war ein Ausreisser

«Die allermeisten Besetzungen verlaufen friedlich», sagt Marc Lergier, Bereichsleiter bei Immobilien Stadt Bern. Ihm unterstellt ist die städtische Koordinationsstelle Zwischennutzung, die auf den Plan tritt, wenn ein stadteigenes Haus leer steht. Seit deren Gründung im Jahr 2015 habe man 21 Besetzungen – davon waren zehn betroffene Gebäude im Besitz der Stadt – begleitet. Sie alle seien friedlich über die Bühne gegangen, so Lergier. Nur einmal habe sich ein städtischer Mitarbeiter von den Besetzern verbal bedroht gefühlt. Vor drei Jahren war das, als eine Liegenschaft im Steigerhubel besetzt wurde.

Dass es in der Besetzerszene auch Akteure gibt, die nicht vor Gewalt zurückschrecken, zeigte sich am 22. Februar 2017 an der Effingerstrasse 29. Gegen 20 Hausbesetzer fuhren grobes Geschütz auf, um sich gegen die polizeiliche Räumung zu wehren. Ab kommenden Montag müssen sich 16 von ihnen vor dem Berner Regionalgericht verantworten.

Die damalige «Strassenschlacht» leitete zumindest bei der Kantonspolizei eine Art Zäsur ein. So ist seither bei Räumungen zu beobachten, wie die Polizei mit einem massiven Aufgebot aufmarschiert – inklusive Luftüberwachung mit Drohne und Unterstützung durch die Sondereinheit Enzian. Zu Scharmützeln mit der Polizei kam es jedoch seit 2017 nicht mehr. Meist sind die Besetzer am Tag der Räumung bereits ausgeflogen.

Der Stadt sind die Hände gebunden

Auf die Arbeit der städtischen Koordinationsstelle Zwischennutzung hatten laut Marc Lergier die Ausschreitungen an der Effingerstrasse keinen Einfluss. «Wir waren bei den Vermittlungen nicht involviert», sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Denn die Liegenschaft gehört nicht der Stadt, sondern der Bundesverwaltung. Und diese wollte die Angelegenheit offenbar allein regeln. «Wenn die Bundesverwaltung auf uns zugekommen wäre, hätten wir versucht, beratend zur Seite zu stehen», sagt Renzo Riedwyl, der Verantwortliche der Koordinationsstelle, der beim Gespräch ebenfalls anwesend ist. Das Beispiel zeigt: Wird die Stadt nicht um Hilfe gebeten, sind ihr die Hände gebunden.

Elfmal wurde die Koordinationsstelle seit 2015 von privaten Liegenschaftsbesitzern oder anderen Behörden um Rat gebeten. Laut Lergier konnte in vier Fällen eine legale Zwischennutzung vereinbart werden. Gerade wenn noch keine Baubewilligung vorliege, geschweige denn Pläne für eine Nachnutzung, empfehle man den Besitzern, eine Zwischennutzung ins Auge zu fassen, meint Riedwyl.

Auch wenn die beiden es nicht so sagen, so darf doch folgende Behauptung aufgestellt werden: Gehörte die Liegenschaft an der Effingerstrasse 29 der Stadt, wäre es nie zu einer Räumung gekommen. Sehr wahrscheinlich wäre sie auch nie über eine längere Zeit leer gestanden.

Denn Leerstände will die Stadt tunlichst vermeiden. Droht eine städtische Liegenschaft temporär leer zu stehen, so wird die Koordinationsstelle aktiv und versucht, möglichst früh eine nahtlose Zwischennutzung aufzugleisen. Das kann in einem «Kraftakt» münden wie etwa beim Zieglerspital, wo schlagartig eine Fläche von 23’000 Quadratmetern frei wurde. Oder bei der ehemaligen Feuerwehrkaserne an der Viktoriastrasse.

Kulante Praxis

Manchmal sind die Besetzer trotzdem schneller und nisten sich in einer leer stehenden städtischen Liegenschaft ein. Zehnmal kam das seit 2015 vor. In vier Fällen konnte ein Zwischennutzungsvertrag abgeschlossen werden, beim Rest gelang es der Koordinationsstelle, dass die Besetzer freiwillig das Feld räumten. Als Beispiel nennt Lergier die einstige Pflegefachschule an der Reichenbachstrasse. «Können wir aufzeigen, dass wir konkrete Pläne haben, ziehen die Besetzer in der Regel wieder ab», sagt er.

Wie kulant die Stadt Bern zuweilen mit Hausbesetzern umgeht, zeigt das Beispiel Warmbächli-Areal, wo heute eine genossenschaftlich geführte Wohnsiedlung am Entstehen ist. Zuvor hatte ein Kollektiv die Brache besetzt. Laut Lergier wollte dieses nichts von einer legalen Zwischennutzung wissen. Die Stadt liess die Besetzer trotzdem gewähren, weil diese versicherten, das Areal zu räumen, sobald die Bagger auffahren. «Daran haben sie sich gehalten», so Lergier.

Man kann der Stadt diese Zugeständnisse als Schwäche auslegen, Lergier nennt es eine «pragmatische, deeskalierende Praxis», die sich bewähre. «Auf Konfrontationskurs zu gehen, ist oftmals kontraproduktiv», ergänzt Renzo Riedwyl. Ein stures Vorgehen lasse meist nur Verlierer zurück, «das haben mittlerweile auch private Liegenschaftsbesitzer erkannt», meint er.

Das Fabrikool-Debakel

Ein Beispiel, das nur Verlierer zurückliess, ist die ehemalige Schreinerei auf dem Von-Roll-Areal in der hinteren Länggasse. Diese gehört dem Kanton Bern und stand über zehn Jahre leer, ehe ein Kollektiv namens Fabrikool das Gebäude Anfang 2017 besetzte. Da die Besetzer den Gebrauchsleihvertrag mit dem Kanton kündeten, aber nicht auszogen, kams vor zwei Jahren zur polizeilichen Räumung.

Um eine erneute Besetzung zu verhindern, errichtete der Kanton eine vier Meter hohe Schutzwand rund um das baufällige Gebäude. Zusätzlich bewachte fortan eine private Sicherheitsfirma das Areal. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Für die geplante Überbauung wurde erst kürzlich ein Baugesuch eingereicht. Dies teilte das Architekturbüro mit, dem der Kanton das Gebäude im Baurecht abgegeben hatte.

Für die Überwachung des Geländes seien dem Kanton in den letzten zwei Jahren Kosten in der Höhe von über einer Viertelmillion Franken entstanden, gibt die kantonale Bau- und Verkehrsdirektion auf Anfrage bekannt. Jeden Monat kommen rund 1500 Franken dazu.

Zürich als Vorbild

Solche Beispiele rufen jeweils linksgrüne Parteien auf den Plan. Ihre Forderung: In Bern soll fortan das Zürcher Modell gelten. Dieses besagt, dass besetzte Häuser nur geräumt werden dürfen, wenn eine Abbruch- oder eine Baubewilligung vorliegt, eine Nachnutzung unmittelbar bevorsteht oder wenn Personen oder geschützte Bauteile gefährdet sind. Laut Marc Lergier setzt die Stadt dieses Modell bereits heute um – sofern es um stadteigene Liegenschaften geht.

Bei allen anderen fehle der Stadt aufgrund der Einheitspolizei im Kanton Bern die Kompetenz, eine solche Regelung zu erlassen, hielt der Gemeinderat vor zwei Jahren in einer Antwort auf eine Motion fest. Werde die Polizei von Privaten, dem Kanton oder dem Bund aufgeboten, habe die Stadt keine Entscheidungsmacht. Ausserdem sei eine solche Weisung gegenüber Dritten rechtlich nicht durchsetzbar.



Prozess gegen 16 Hausbesetzer

Es war eine der aufsehenerregendsten polizeilichen Räumungen in Bern: Am Morgen des 22. Februar 2017 fuhr die Kantonspolizei bei der Effingerstrasse 29 auf, um ein besetztes Gebäude zu räumen. Ein Kollektiv namens «Oh du Fröhliche» hatte rund drei Monate zuvor die leer stehende Liegenschaft gegenüber dem Kocherpark in Beschlag genommen. Die Eigentümerin, das Bundesamt für Bauten und Logistik, verlangte die Räumung.

Normalerweise sind bei einer Räumung kaum mehr Besetzerinnen und Besetzer vor Ort. Nicht so dieses Mal. Es befanden sich nicht nur etliche Leute im Gebäude, auch bescherten sie den Polizisten einen ungemütlichen Empfang. Die Besetzer warfen mit Feuerwerkskörpern und Mobiliar nach den Polizisten. Diese antworteten mit Gummischrot. Laut Polizei waren im Treppenhaus mehrere Barrikaden errichtet worden, gar von «Sprengfallen» war die Rede.

Die Polizei wurde sichtlich überrascht von der massiven Gegenwehr. Rund acht Stunden dauerte die «Strassenschlacht». Beeinträchtigt wurde der Polizeieinsatz auch, weil immer mehr Sympathisanten der Besetzer den Schauplatz aufsuchten und ihren Protest kundtaten. Die Protestgruppe schwoll zeitweise auf 50 Personen an, die Polizei fuhr zur Abschreckung sogar mit einem Wasserwerfer auf.

19 Personen wurden bei der Räumung festgenommen. Laut Polizei waren zwei Drittel von ihnen vorbestraft, eine Person gar polizeilich ausgeschrieben. Ihnen allen wurde eine DNA-Probe entnommen.

Die Räumung hatte heftige Proteste zur Folge. Gleich drei Kundgebungen fanden in den Folgetagen statt. Bei jener am Abend nach der Räumung kam es zu massiven Sachbeschädigungen – allen voran in der Länggasse. Der Schaden betrug mehrere Zehntausend Franken.

Nach über vier Jahren beginnt nun am Montag am Regionalgericht Bern-Mittelland der Prozess gegen die «Effi 29»-Leute. 16 Personen sind angeklagt. Gegen zwei Beschuldigte wurde laut Gericht das Verfahren wegen unbekannten Aufenthalts sistiert, eine weitere Person ist mittlerweile verstorben.

Unmittelbar nach der Räumung hatte die Staatsanwaltschaft noch wegen Gefährdung des Lebens und Landfriedensbruchs ermittelt. Doch diese Vorwürfe liessen sich offenbar nicht erhärten beziehungsweise einzelnen Beschuldigten zuordnen. So sind die 16 Personen «nur» wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte und Hausfriedensbruch angeklagt.

Was die Grösse angeht, ist es ein beispielloses Verfahren. Noch nie gab es in einem Prozess so viele Beschuldigte wegen Gewalt gegen Polizisten. Nebst den Einvernahmen der Besetzer, die laut Gerichtsschreiber alle einen eigenen Anwalt haben, werden auch drei Polizisten und ein Mitglied der Feuerwehr als Privatkläger aussagen. Erst nach über zwei Wochen, am 17. Juni, werden die Urteile gefällt.

Für die Zeit während des Prozesses kündigt die Anarchistische Gruppe Bern «Aktionen in der ganzen Stadt» an. So ruft sie etwa zu einer Art Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude am Morgen des ersten Prozesstages auf sowie zu einer Solidaritätskundgebung am nächsten Donnerstagabend. Sie spricht von einem «politischen Prozess», bei dem an den 16 Beschuldigten ein «Exempel von oben» statuiert werden soll. (mib)
(https://www.bernerzeitung.ch/wie-die-stadt-bern-mit-hausbesetzern-umgeht-974882241630)



Une brochure pour faire face à la répression
Faisant suite à la brochure « Vos droits face à la police » de l’Observatoire des pratiques policières (OPP) de 2011, une nouvelle brochure vient de paraître sur les droits face à la répression. Elle s’adresse principalement aux personnes engagées politiquement et susceptibles d’être visées par la justice pénale des cantons de Genève et Vaud. Pour la grande majorité des arguments développés, elle peut servir de base pour faire face à des procédures dans l’ensemble de la Suisse.
https://renverse.co/infos-locales/article/publication-de-la-brochure-faire-face-a-la-repression-conseils-juridiques-aux-3086
-> PDF: https://renverse.co/IMG/pdf/brochure_rouge_et_noir.pdf



Kundgebungsbeschränkungen werden aufgehoben
Der Regierungsrat hat die kantonale Verordnung über Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie an die vom Bundesrat beschlossenen Lockerungsschritte angepasst. Ende Mai hebt er die Beschränkung der Kundgebungen auf. Weiter hat der Regierungsrat die Zuständigkeiten und das Verfahren zur Durchführung von Grossveranstaltungen festgelegt und die bestehenden Regelungen in der Gastronomie, beim Justizvollzug und den Schulen verlängert.
https://www.be.ch/portal/de/index/mediencenter/medienmitteilungen.meldungNeu.mm.html/portal/de/meldungen/mm/2021/05/20210527_1105_kundgebungsbeschraenkungenwerdenaufgehoben
-> https://www.bernerzeitung.ch/100er-beschraenkung-bei-demos-faellt-ende-mai-weg-609172857251
-> https://www.derbund.ch/ticker-corona-kanton-bern-847540015171
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/auch-kanton-bern-hebt-100-er-grenze-bei-kundgebungen-auf-65935587


Zürcher Regierung zieht Demonstrations-Urteil nicht weiter
Der Zürcher Regierungsrat akzeptiert den Rüffel, den ihm das Verwaltungsgericht Anfang Mai verpasst hat. Das Gericht entschied damals, dass die 15er-Regel an Demonstrationen unrechtmässig war. Der Kanton führte diese ein, um Corona-Ansteckungen zu verhindern.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zuercher-regierung-zieht-demonstrations-urteil-nicht-weiter-00158959/
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/zuerich-regierung-zieht-demonstrations-urteil-nicht-weiter-ld.2142914


Polizei soll Bodycams vorerst sechs Jahre einsetzen
Einzelne Einsatzkräfte der Zürcher Stadtpolizei sollen für vorerst sechs Jahre mit Bodycams ausgerüstet werden. Das Stadtparlament hat am Mittwoch die Verordnung beraten, die deren Einsatz regeln soll. Nun liegt sie bei der Redaktionskommission.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/zuerich-polizei-soll-bodycams-vorerst-sechs-jahre-einsetzen-ld.2142785


+++KNAST
Resozialisierung: Ausländische Gefangene werden benachteiligt
Das Ziel des Schweizer Strafvollzugs ist die Resozialisierung, trotzdem werden Vollzugsöffnungen immer öfters verweigert. Insbesondere für ausländische Strafgefangene ergeben sich im Hinblick auf die Wiedereingliederung grosse Schwierigkeiten. Wie gehen die Vollzugsbehörden mit Strafgefangenen ohne Schweizerpass um? Werden sie durch die Freiheitsstrafe angemessen auf das Leben nach der Entlassung vorbereitet? Und welche kriminalpolitischen Folgerungen lassen sich daraus ableiten?
https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/freiheitsentzug/resozialisierung-auslaendische-gefangene


Unzulänglichkeiten in den Gefängnissen
Rechtspflegekommission weist auf bauliche Mängel und personelle Unterdotierung hin
https://www.st-galler-nachrichten.ch/st-gallen/detail/article/unzulaenglichkeiten-in-den-gefaengnissen-00199965/



tagesanzeiger.ch 27.05.2021

Prozess vor ObergerichtBrian wird ein Fall für die UNO

Das Zürcher Obergericht muss entscheiden, ob der 25-Jährige hinter Gittern bleibt. Seine Verteidiger erheben schwere Vorwürfe an den Justizvollzug.

Liliane Minor

Die Vorwürfe, die Brians Anwälte erhoben haben, wiegen schwer. Folter: Nichts weniger als Folter sei die Art und Weise, wie die Behörden – allen voran der Zürcher Justizvollzug – den heute 25-jährigen Straftäter seit Jahren behandelten. Neben Pflichtverteidiger Thomas Häusermann waren am Mittwoch auch Anwalt Bernard Rambert und Menschenrechtsspezialist Philip Stolkin vor dem Zürcher Obergericht erschienen. Bernard und Stolkin übrigens «pro bono», also kostenlos. Brian selbst war nicht anwesend, er hatte um Dispensation gebeten.

Im luftleeren Raum steht der Foltervorwurf der drei Anwälte nicht. Sie stützen sich auf zwei Gutachten von renommierten internationalen Spezialisten. Experten des internationalen, von der UNO anerkannten Zentrums gegen Folter (IFEG, International Forensic Expert Group) besuchten Brian sogar eigens in der Pöschwies – und was der ihnen erzählte, stuften die Besucher als schockierend ein.

Brian lebt seit bald drei Jahren praktisch in Einzelhaft, neuerdings in einer eigens erbauten Zelle, die Kontakte zu Aufsehern auf ein Minimum reduzieren soll. Dieses Haftregime entspreche «in hohem Mass der Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder Strafe», schreiben die Experten. Brian zeige bereits Anzeichen von körperlichen und seelischen Folgeschäden. So schilderte der junge Mann: «Weil ich allein in meiner Zelle bin, ertappe ich mich dabei, dass ich mit mir selbst rede. (…) Ich kann nicht lange schlafen, und wenn ich schlafe, wache ich nach kurzer Zeit wieder auf.»

Für die IFEG-Experten ist klar: Die Isolation muss möglichst rasch beendet werden. Denn je länger diese dauere, desto mehr körperliche und seelische Schäden seien zu erwarten. Die Gutachten haben diplomatische Folgen. UNO-Sonderberichterstatter Nils Melzer hat bei Aussenministier Ignazio Cassis interveniert. Die Schweiz muss der UNO nun eine Erklärung liefern.

Staatsanwalt verlangt Verwahrung

Eigentlich ging es in der Verhandlung vor Obergericht nicht um die aktuellen Haftbedingungen, sondern vielmehr um eine ganze Reihe von Vorfällen, die sich gemäss Anklageschrift zwischen Januar 2017 und August 2018 ereignet haben sollen.

Das schwerste Delikt ist aus Sicht des Staatsanwalts als versuchte schwere Körperverletzung einzustufen. Brian soll auf einen Gefängnis-Mitarbeiter losgegangen sein, als ihm eröffnet wurde, dass er zurück in Sicherheitshaft müsse. Gemäss Anklageschrift verpasste «der extrem kräftige Kampfsportler» seinem Opfer mehrere «wuchtige Fausthiebe». Es sei nur dem Glück zu verdanken, dass der Mann keine schweren Verletzungen davontrug.

Dazu kommen zahlreiche weitere Taten, unter anderem heftige, ja unflätige Beschimpfungen und Drohungen. So soll Brian eine Aufseherin als «Schlampe» bezeichnet haben. Einem anderen Gefängnis-Mitarbeiter sagte er: «Ich lasse dich um» und «du bist als erster dran».

Staatsanwalt Ulrich Krättli will Brian für all diese Taten 7,5 Jahre hinter Gitter bringen. Und er verlangt eine Verwahrung. «Brian ist ein derartiger Extremfall an Renitenz und Gewaltbereitschaft», sagte Krättli, dass keine andere Massnahme denkbar sei. Das gelte umso mehr, Brian sich jeder Therapie verwehre.

Des Bezirksgericht Dielsdorf war im November 2019 zu einem anderen Schluss gekommen, es verurteilte Brian zu vier Jahren und neun Monaten Haft, aufgeschoben zugunsten einer stationären Therapie. Die Voraussetzungen für eine Verwahrung seien nicht erfüllt, so das Bezirksgericht. «Dieses Urteil ist nicht umsetzbar», sagte Krättli, der gegen ebenso wie Brian Berufung erhoben hatte.

Verteidigung will Freispruch

Die Verteidigung verlangte einen vollumfänglichen Freispruch. Und dabei spielten die Gutachten der Folterexperten sowie ein weiteres Gutachten des Psychiaters Rolf Binswanger eine zentrale Rolle.

«Folter ist niemals zu rechtfertigen, das Folterverbot absolut», sagte Anwalt Bernard Rambert. Brian aber sei schon als Kind der Folter unterworfen worden. Drei Mal sei er als Teenager monatelang in Isolationshaft gesteckt worden, zum erste Mal im zarten Alter von zehn Jahren – ohne eine Straftat begangen zu haben. «Der hyperaktive Brian war sicherlich kein einfaches Kind», sagte Rambert, «aber das rechtfertigt nicht, was ihm angetan wurde.»

Vor diesem Hintergrund sei auch Brians Verhalten im Gefängnis zu sehen, sagte Verteidiger Thomas Häusermann. Brian sei von der dreimaligen monatelangen Isolationshaft im Kindesalter schwer traumatisiert – und dieser Film spiele sich in seinem Kopf immer wieder ab. Deshalb wehre er sich auch stärker als jemand, der eine andere Vorgeschichte hat, gegen alle Einschränkungen. «Das hat er sich nicht ausgesucht», sagte Häusermann. «Dieses Verhalten ist ihm strafrechtlich nicht vorwerfbar. Es ist eine Überlebensreaktion.»

Brian leide durch die Isolation an einem extremen körperlichen Reizmangel. Er sehe immer dieselben Wände, berühre immer dieselben Dinge, höre nur das Rauschen der Lüftung. Wenn Brian die Aufseher beschimpfe, anspucke und auf sie losgehe, dann sei das auch ein Versuch, die fehlenden Reize zu kompensieren. «Täte Brian das nicht, er ginge psychisch kaputt», sagt Häusermann. Dass er sich wehre, sei nicht nur verständlich, sondern richtig und gesund.

Aufseher sollen gelogen haben

Die Anklage selbst zerzauste Häusermann regelrecht. Der angebliche Angriff könne sich gar nicht so abgespielt haben wie geschildert, die Aufseher hätten gelogen. Fakt sei: Die Pöschwies-Verantwortlichen hatten vor dem Besprechungsraum eine mehrköpfige Interventionsgruppe positioniert, weil sie einen Ausraster befürchtet hatten. Diese Männer seien beim erste Lärm hereingestürzt. Bezeichnenderweise habe ausgerechnet der Mann, der die Tür geöffnet und das Geschehen als erster erblickt habe, ausgesagt: «Ich habe keine Schläge gesehen.» Es sei alles ganz schnell gegangen, «dann waren alle auf Brian drauf».

Das Obergericht verzichtete nach mehr als elf Stunden Verhandlung am Abend auf eine Urteilseröffnung. Es will seinen Entscheid voraussichtlich in rund drei Wochen bekannt geben.
(https://www.tagesanzeiger.ch/brian-wird-ein-fall-fuer-die-uno-855480399837)


+++BIG BROTHER
Gesichtserkennung: Europäische Bürgerrechtler gehen gegen Clearview vor
Clearview gefährde mit ihren Identifizierungsdiensten den offenen Charakter des Internets und Grundrechte, monieren vier zivilgesellschaftliche Organisationen.
https://www.heise.de/news/Gesichtserkennung-Europaeische-Buergerrechtler-gehen-gegen-Clearview-vor-6055056.html
-> https://www.derstandard.at/story/2000126960880/eu-aktivisten-reichen-beschwerde-gegen-gesichtserkennungsanbieter-ein
-> https://www.zeit.de/digital/datenschutz/2021-05/clearview-ai-gesichtserkennung-datenschutz-klage-aktivisten


+++POLIZEI ZH
Bodycams bei der Polizei: Feuerlöscher oder Brandbeschleuniger?
Die Zürcher Stadtpolizei soll bei brenzligen Einsätzen Bodycams einsetzen, geht es nach dem Stadtrat. Das Mittel ist jedoch höchst umstritten und sorgt seit Jahren für grosse Diskussionen. So auch am Mittwoch im Zürcher Stadtparlament. Ein definitiver Entscheid wurde noch nicht gefällt.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/bodycams-bei-der-polizei-feuerloescher-oder-brandbeschleuniger?id=11991245
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/bodycams-hitzige-diskussion-im-zuercher-stadtparlament?urn=urn:srf:video:c50010ad-39dc-44df-a07f-13455c11183c


+++RASSISMUS
Anti-asiatischer Rassismus existiert nicht in der Schweiz? Dann hör dir ihre Erlebnisse an
Vier Schweizer:innen erzählen im Video von ihren rassistischen Erfahrungen, die sie als Menschen mit asiatischen Wurzeln tagtäglich erleben.
https://www.watson.ch/videos/rassismus/280802116-rassismus-gegenueber-asiaten-in-der-schweiz-vier-betroffene-erzaehlen


+++RECHTSEXTREMISMUS
Rechtsradikale Teenager – Zwei minderjährige Schweizer an Bau von Bomben gehindert
Jugendliche, die sich online von rechtem Hass anstacheln lassen, sind gemäss Sicherheitsbehörden ein zunehmendes Risiko.
https://www.srf.ch/news/schweiz/rechtsradikale-teenager-zwei-minderjaehrige-schweizer-an-bau-von-bomben-gehindert
-> 10vor10: https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/junge-rechtsextreme-bombenbastler-in-der-schweiz?urn=urn:srf:video:3927f624-5786-4abb-ab47-d809a8e8337f



tagblatt.ch 27.05.2021

«Arische Kunst» im Palace-Haus: «Strafanzeige hätte keine schlechten Chancen»: So steht es in der Kontroverse um den fragwürdigen Mieter in einer Liegenschaft der Stadt St.Gallen

Ein Atelierinhaber im Palace-Gebäude bezeichnet seine Kunst als «arisch». Trotz grosser Empörung anderer Mieter über die rassistischen, antisemitischen und volksverhetzenden Inhalte soll der Künstler bleiben dürfen. Gemäss eines Strafrechtsprofessors ist jedoch eine nähere Analyse notwendig.

Sandro Büchler

Im Palace am Blumenbergplatz ist Feuer im Dach. Es sind happige Vorwürfe, die elf Mietparteien im Dezember in einem Brief an den Stadtrat formulieren. Vergangenes Jahr kamen sie dahinter, was ein Ateliermieter im Palace-Gebäude, ein 69-jähriger Deutscher, in sozialen Medien von sich gibt. Es sind rassistische, antisemitisch und volksverhetzende Inhalte, die der Maler und Bildhauer auf Facebook postet. In einem Beitrag bezeichnet dieser seine Kunst als «arisch».

Das Mieterkollektiv – von Gewerkschaften, der SP bis hin zu Agenturen – sucht das Gespräch mit der Stadt, die die Ateliers im Gebäude an der Zwinglistrasse vermietet, und fordert den sofortigen Rauswurf des Künstlers. Stadtrat Markus Buschor zitiert diesen zu einer Unterredung in sein Büro. Dabei habe der Mann glaubhaft dargelegt, weder «arische Kunst» zu verfassen, noch nationalsozialistisch gesinnt zu sein. Buschor belässt es bei einer mündlichen Ermahnung. Im März machte das «Tagblatt» den Fall publik.

Künstler vermutet Rache- und Diffamierungsaktion

Der Künstler selbst sagte damals, seine Äusserungen seien aus dem Zusammenhang gerissen. Das Mieterkollektiv betreibe eine Racheaktion gegen ihn. Man versuche, ihn mit uralten Posts, die rein privat wie spontane Tagebucheinträge zu verstehen seien, zu diffamieren und aus dem Palace rauszuekeln.

Seit der Veröffentlichung wird jetzt hinter verschlossenen Türen diskutiert. Das Mieterkollektiv fordert vom Stadtrat weiterhin, dass die online gemachten Aussagen rasch und sauber abgeklärt werden. Denn die rassistischen Postings hätten keinesfalls aufgehört. Der 69-Jährige verbreite seine Ansichten neuerdings auf Telegram. Zum Beweis senden die Mietparteien Screenshots davon dem Stadtrat.

«Wir gehen den neuen Vorkommnissen nach», sagt Baudirektor Markus Buschor. Anfangs Mai empfing er eine Delegation der Mieterinnen und Mieter zudem zu einer Aussprache. «Ich muss betonen, dass es hier um eine anspruchsvolle Angelegenheit geht und wir deshalb die Sachverhalte sehr sorgfältig prüfen.»

Ende Mai will Buschor die Mieterinnen und Mieter über die neu gewonnenen Erkenntnisse ins Bild setzen.

Mieterverband: «Mit Mietrecht Politik betreiben, ist der falsche Weg»

Thomas Schwager vom Mieterinnen- und Mieterverband Ostschweiz ist mit dem Gedankengut des 69-jährigen Künstlers zwar nicht einverstanden. «Aber das Mietrecht ist nicht die richtige Plattform, um gegen Rassismus und andere abstruse Ideen anzukämpfen.»

Für den Leiter der St.Galler Geschäftsstelle des Mieterverbands ist die Sachlage klar. «Der Mieter hat einen gültigen Mietvertrag.» Zwar könne jeder Vertrag gekündigt werden, dann habe der Mann jedoch Möglichkeiten gegen die Kündigung vorzugehen.

Sei er mit dieser nicht einverstanden, könne der Deutsche eine Begründung von der Stadt verlangen. «Dann käme der Fall vor die Schlichtungsstelle», so Schwager. Allenfalls sei eine Fristerstreckung möglich. «Es handelt sich hier aber um eine Einzelperson und einen Atelierraum, da wird für ihn nicht viel rauszuholen sein.»

Anders sähe dies laut Schwager bei Wohnungen aus, denn Wohnen sei ein Grundrecht. Bei einer jungen Familie mit einem schulpflichtigen Kind würden oft vergleichsweise lange Fristerstreckung gewährt, damit die Eltern eine neue vergleichbare Wohnung finden können.

Der Geschäftsleiter der Ostschweizer Mieterverbands sagt, die Situation sei für die übrigen Mieterinnen und Mieter im Palace sicherlich nicht angenehm. Schwager sagt aber auch: «Wir stoppen Hass und Rassismus nicht, in dem man eine Person aus einem Atelier wirft.»

Strafrechtsprofessor sagt: «Posts scheinen problematisch»

Sind die Äusserungen des deutschen Künstlers, der 2002 in die Schweiz kam und seit über zehn Jahren im Palace eingemietet ist, überhaupt rassistisch und somit strafrechtlich relevant? «In der Gesamtschau scheinen diese tatsächlich problematisch im Hinblick auf Rassendiskriminierung in Artikel 261 des Strafgesetzbuchs», schreibt Marcel Niggli. Der Strafrechtsprofessor lehrt an der Universität Freiburg und ist spezialisiert auf Fragen zur Anti-Rassismus-Strafnorm.

Er betont, eine nähere Analyse sei jedoch notwendig. Über die strafrechtliche Relevanz müsse die Staatsanwaltschaft beziehungsweise das Gericht entscheiden, so Niggli. «Mir scheint aber, dass eine Strafanzeige keine schlechten Chancen hätte.»

Das Strafmass reiche von einer Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe. Niggli fügt hinzu, dass die Anti-Rassismus-Strafnorm als Offizialdelikt ausgestaltet ist. «Die Strafverfolgung müsste auch aufgrund von Medienberichten aktiv werden.»

Bei der St.Galler Staatsanwaltschaft hat man erst aufgrund der Nachfrage des «Tagblatt» Kenntnis vom Fall. «Ein Strafverfahren diesbezüglich läuft nicht. Es wurden bis dato keine Anzeigen eingereicht», schreibt Mediensprecher Stefan Hess.
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/arische-kunst-im-palace-strafanzeige-haette-keine-schlechten-chancen-so-steht-es-in-der-kontroverse-um-den-fragwuerdigen-mieter-eines-stgaller-ateliers-ld.2141989)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Die Kindersoldaten der Pandemie
Die Instrumentalisierung von Kindern gehört zu den besonders düsteren Seiten in der Debatte um die Coronamaßnahmen. Immer fanatischer und oft auch hasserfüllter verläuft die Auseinandersetzung: Die Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler wird von „Querdenken“ und deren Unterstützern zum „Verbrechen“ erklärt. Gegen Selbsttests an Schulen wird Stimmung gemacht und eine „Panikmache“ der Regierung behauptet. Ob nun bei der Polonaise von Coronaleugner:innen auf dem Marktplatz in Meißen oder bei Großdemonstrationen wie in Leipzig, Kassel oder Stuttgart: Immer wieder werden Kinder auch bei Protesten auf der Straße nach vorn geschickt, um ein robustes Eingreifen der Polizei bei Verstößen gegen Auflagen zu hintertreiben.
https://mission-lifeline.de/die-kindersoldaten-der-pandemie/


Bezirksrat Küssnacht kritisiert Corona-Äusserung von Andreas Thiel
Andreas Thiel hatte sich kritisch zur Maskenpflicht an Schulen geäussert. Nun tadelt ihn der Bezirksrat von Küssnacht SZ. Thiel sitzt dort im Schulrat.
https://www.nau.ch/news/schweiz/bezirksrat-kussnacht-kritisiert-corona-ausserung-von-andreas-thiel-65935604
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/schwyz/bezirksschulen-bezirksrat-kuesnacht-distanziert-sich-von-den-aeusserungen-von-schulratsmitglied-ld.2143071


Xavier Naidoo: Sein neuer Anti-Corona-Song bringt Gemüter zum Kochen
«Ich mach da nicht mit»: So heisst der neue Song von Xavier Naidoo. Klar im Vordergrund steht die Kritik gegenüber Corona-Massnahmen und der Impfung.
https://www.nau.ch/people/welt/xavier-naidoo-sein-neuer-anti-corona-song-bringt-gemuter-zum-kochen-65935262


Dümmste Vorhersagen stürzen Schwurbler jetzt in den Abgrund | WALULIS STORY SWR3
Die Bewegung der Corona-Verschwörungsschwurbler zerfällt in ihre Einzelteile. Oliver Janich kämpft vor der Kamera mit den Tränen, weil sich seine Mutter nicht vom Impfen abbringen lassen will. Maskenverweigerer tragen jetzt Maske, um sich vor Geimpften zu schützen. Und auf Attila Hildmanns Impf-Genozid warten wir immer noch. Nach all der geschürten Angst, den Demos und der Eskalation ist jetzt Payback-Time. Wir erfreuen uns an den absurdesten Verschwörungstheorien ums Impfen, die nicht eingetroffen sind, analysieren, wie der Verfall der Verschwörungs-Bewegung vonstatten geht und warum sie dennoch gefährlich bleibt.
https://www.youtube.com/watch?v=ORz2x7sz8mo


„KenFM“ unter Beobachtung
Die Medienplattform „KenFM“ wird nun vom Berliner Verfassungsschutz beobachtet. Dort würden Desinformation und Verschwörungsmythen verbreitet und damit die Szene der „Querdenker“ weiter radikalisiert, heißt es.
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/verfassungschutz-kenfm-101.html