Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++BERN
Gemeinderatsantwort auf Postulat Rai/Gammenthaler/Altas/Schneider/Abdirahim/Machado „Die Stadt Bern wird Sicherer Hafen“
https://www.bern.ch/politik-und-verwaltung/gemeinderat/aktuelle-antworten-auf-vorstosse/publizierte-antworten-am-10-mai-2021/postulat-rai-die-stadt-bern-wird-sicherer-hafen.pdf/download
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bielertagblatt 10.05.2021
Quartierleben soll bei Integration helfen
Das Schweizerische Rote Kreuz will an der Schützengasse Wohnraum für aufgenommene Flüchtlinge schaffen. Bei den Anwohnenden stösst das Vorhaben auf Skepsis.
von Carmen Stalder
An der Schützengasse 19a in Biel steht eine ehemalige Fabrik, die dem Schweizerischen Roten Kreuz (SRK) Kanton Bern gehört. Im dritten Stock befindet sich eine Loftwohnung, im Untergeschoss hat es Schulungsräume des SRK. Die zwei Stöcke dazwischen dagegen sind aktuell ungenutzt. Das soll sich noch in diesem Jahr ändern: Das SRK will hier ein Wohnprojekt lancieren, bei dem Flüchtlinge gemeinsam mit Personen, die in der Schweiz aufgewachsen sind, unter einem Dach leben.
Letzte Woche hat der Geschäftsführer des bernischen SRK, Joel Meir, mit drei Mitarbeitern die Anwohnenden über das Projekt informiert. Im März erfuhren die Nachbarinnen und Nachbarn der Schützengasse 19a erstmals in einem knappen Infoschreiben vom Vorhaben. Dies führte bei manchen zu Verunsicherung und offenen Fragen. Parallel dazu war das SRK mit der Stadt Biel im Gespräch über die rechtliche Bausituation. Vorgesehen war zu diesem Zeitpunkt, eine Informationsveranstaltung mit der Nachbarschaft durchzuführen, sobald alle baulichen, konzeptionellen und finanziellen Grundlagen vorliegen. Am Ende fand der Anlass früher als geplant statt. «Wir wollen den Dialog mit Ihnen aufnehmen und uns Ihre Sorgen und Ideen anhören», sagte Meir zur Begrüssung.
Wohnkompetenz stärken
Im Rahmen der Reorganisation des Asylwesens hat der Kanton Bern 2019 die Aufgaben unter den verschiedenen Partnern neu verteilt. Das SRK Kanton Bern ist seit dem vergangenen Sommer für die Unterbringung, Integrationsförderung und Sozialhilfe von geflüchteten Menschen in den Regionen Mittelland und Seeland/Berner Jura zuständig. In letzterer betreibt die Organisation zwei Kollektivunterkünfte (120 Plätze in Tramelan sowie 80 Plätze in Büren). Ausserdem vermietet sie in beiden Regionen zusammen knapp 340 Wohnungen. Damit erfüllt das SRK den kantonalen Auftrag nach sozialer Integration der Flüchtlinge, wozu auch die Stärkung der Wohnkompetenz gehört. Diesen Bereich will das SRK nun weiter ausbauen – mit einem Projekt in Biel.
Wenn eine Person in die Schweiz flüchtet, kommt sie zuerst in eines der fünf Bundeszentren. Von dort wird sie gemäss Verteilschlüssel des Bundes einem Kanton zugewiesen, wo sie einen Platz in einer Kollektivunterkunft bekommt. Sind gewisse Kriterien erfüllt, geht es frühstens nach sechs Monaten weiter in eine individuelle Unterbringung. Zu den Voraussetzungen gehören ein positiver Asylentscheid, ein Sprachniveau in Deutsch oder Französisch von A1 und eine fixe Stelle oder ein Ausbildungsplatz.
Für erwachsene Einzelpersonen sollen an der Schützengasse 20 Zimmer eingerichtet werden. Wie in einer WG werden Küche, Bäder und Aufenthaltsräume gemeinsam genutzt. Wer als Untermieterin oder -mieter in eines der Zimmer einziehen möchte, müsse gewisse Wohnkompetenzen mit sich bringen – etwa wissen, wie man eine Waschmaschine bedient und wie die Abfallentsorgung in der Schweiz organisiert ist –, sozial integriert und insgesamt sehr motiviert sein, erklärte SRK-Mitarbeiter Christoph Riesen den Anwohnenden. «Politisch ist der Auszug in eine individuelle Betreuung als Belohnung gedacht», begründet Riesen die hohen Voraussetzungen.
Von der Vielfalt profitieren
Das SRK sieht im Projekt an der Schützengasse viele Vorteile. Das Haus befindet sich inmitten eines Wohnquartiers – mit der Bevölkerung zusammenzuleben erleichtere die Integration, sind die Verantwortlichen überzeugt. Ihr Ziel ist es, dass ein Teil der 20 Zimmer von Personen bewohnt wird, die in der Schweiz aufgewachsen sind, etwa von Studierenden. Daraus könnte sich dann eine Art Götti- oder Gotte-System entwickeln. Auch die Quartierbevölkerung kann einen Anteil zu einer erfolgreichen Integration beisteuern. Das SRK denkt beispielsweise an eine gemeinsame Teestube oder Spielabende. «Von der kulturellen Vielfalt im Quartier können alle profitieren», sagte Riesen. Längerfristig lautet das Ziel, dass die Bewohnenden ganz selbstständig wohnen und arbeiten können.
Die Zuhörerinnen und Zuhörer des Infoanlasses wollten den Schilderungen der SRK-Mitarbeiter nicht so recht Glauben schenken. 20 neue Bewohnende seien zu viel für ihr kleines Quartier, vor allem wenn es sich vorwiegend um junge Männer handle. «Ihr unterschätzt das Pulverfass, zu dem dieses Projekt werden könnte», meinte eine Frau. Eine andere bemängelte, dass sie schon während der ganzen Woche in der Sozialarbeit tätig sei, zuhause wolle sie dann einfach ihre Ruhe haben. Zudem wurden Bedenken geäussert, inwiefern die Flüchtlinge an ihrem neuen Wohnort betreut werden.
Die SRK-Mitarbeiter versuchten, zu beschwichtigen. Die neuen Quartierbewohnerinnen und -bewohner würden durch verschiedene SRK-interne Mitarbeitende begleitet, dazu gebe es Unterstützung von Job-Coaches und Sozialarbeiterinnen. Ausserdem werde bezüglich Geschlecht, Alter und Herkunftsland auf eine gute Durchmischung geachtet. «Wenn es nicht funktioniert, brechen wir das Projekt wieder ab», versicherte Meir. «Das Rote Kreuz hat schliesslich einen guten Ruf – und den wollen wir nicht verlieren.» Die Versammlung endete mit dem Versprechen des SRK, für die nächsten Schritte insbesondere um eine gute Kommunikation besorgt zu sein.
«Wir nehmen die Anliegen sehr ernst und werden das Konzept noch einmal überprüfen», sagt Meir ein paar Tage nach der Veranstaltung. Auch werde man sicher erneut mit der Nachbarschaft in Kontakt treten. Er habe Verständnis für die kritischen Reaktionen und sei froh, diese ungefiltert gehört zu haben. Noch diese Woche wollen sich die Verantwortlichen über das weitere Vorgehen beraten. Aktuell laufen zudem die Abklärungen für das Baubewilligungsverfahren, das aufgrund der Umnutzung nötig ist. Gemäss ursprünglichem Plan sollen die ersten Bewohnerinnen und Bewohner Ende Jahr in die Schützengasse 19a einziehen.
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/biel/quartierleben-soll-bei-integration-helfen)
+++OBWALDEN
Straffällige Asylbewerber vom Glaubenberg: Regierung setzt auf Umplatzierung
In der Antwort auf eine Interpellation liefert die Regierung Fakten und Zahlen zu Straftaten von Asylbewerbern und begründet, warum sie keine Rayonverbote verhängt.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/obwalden/obwalden-straffaellige-asylbewerber-vom-glaubenberg-regierung-setzt-auf-umplatzierung-ld.2133839
+++ZÜRICH
tagesanzeiger.ch 10.05.2021
Neue Armut wegen CoronaStadt Zürich erprobt eine Art Parallel-Sozialhilfe
Sans-Papiers und Ausländer, die aus Angst vor einer Ausweisung nicht aufs Sozialamt gehen, sollen neu Bargeld erhalten.
Liliane Minor
Es sind Szenen, die es in der Schweiz so noch nie gab. Seit Beginn der Pandemie stehen plötzlich hunderte Menschen für Gratislebensmittel an. Etwa beim Hilfsprojekt «Essen für alle», das jeden Samstag bis zu tausend Lebensmittelpakete verteilt, manchmal noch mehr.
«Die Corona-Krise hat eine neue Art von Armut sichtbar gemacht», sagt Raphael Golta, Sozialvorsteher der Stadt Zürich. Es ist eine Armut, die den SP-Politiker erst einmal hilflos machte, weil es eine Armut ist, gegen die er nichts tun konnte. Zumindest nicht mit den Mitteln, die dafür vorgesehen wären. Denn sie trifft Menschen, die kein Recht auf Sozialhilfe haben. Oder die Angst haben vor den Konsequenzen, wenn sie welche beantragen.
Bargeld, ohne aufs Sozialamt gehen zu müssen
Nun will die Stadt Zürich im Rahmen des Pilotprojekts «Wirtschaftliche Basishilfe» Gegensteuer geben: Die Betroffenen sollen mit Bargeld unterstützt werden, ohne formell Sozialhilfe beantragen zu müssen. Zwei Millionen Franken sind vorerst dafür vorgesehen. Weil die Stadt das Geld den Bedürftigen aus rechtlichen Gründen nicht direkt zukommen lassen darf, überweist sie es an die Hilfswerke Caritas, Rotes Kreuz, Sans-Papiers-Anlaufstelle Zürich (Spaz) und Solidara. Diese verteilen das Geld dann in eigener Kompetenz weiter. Einstweilen ist das Pilotprojekt auf 18 Monate befristet. Bewährt es sich, muss das Stadtparlament über eine definitive Einführung entscheiden. (Lesen Sie hier unseren Kommentar dazu.)
Noch ist nicht genau bestimmt, nach welchen Modalitäten das Geld ausgezahlt wird. Klar ist aber: Nur Menschen, die in Zürich verankert sind, erhalten Geld. Und die Basishilfe ist tiefer als die Sozialhilfe.
Ausländer raten sich gegenseitig ab, aufs Sozialamt zu gehen
Zugute kommen soll das neue Hilfsangebot Menschen wie Ardita, die eigentlich anders heisst. Ardita kam vor ein paar Jahren aus Nicaragua in die Schweiz, arbeitet ohne Bewilligung, ohne Aufenthaltsrecht in Privathaushalten. Mit ihrem Verdienst, das selten mehr als tausend Franken beträgt, unterstützt sie auch ihre Familie. Als die Schweiz im März in den Lockdown ging, stand sie plötzlich ohne irgendwas da. «Ich hatte Alpträume», erzählt sie, «Angst davor, heimgeschickt zu werden. Denn daheim gibt es keine Arbeit.» Nur dank der Unterstützung eines Hilfswerks konnte sie sich über Wasser halten.
Oder José, über den diese Zeitung im März berichtet hat. Der 63-jährige Spanier hat seinen Job als Reinigungsfachmann verloren. Das Arbeitslosengeld reicht nirgends hin, aber Sozialhilfe will er keine beantragen, obwohl er ein Recht darauf hätte. «In meinem Umfeld raten wir uns ab, aufs Sozialamt zu gehen», sagt er. Er hat Angst, die Niederlassungsbewilligung zu verlieren, ausgewiesen zu werden. Seit 2019 müssen die Sozialbehörden den Migrationsämtern melden, wenn Ausländerinnen und Ausländer wirtschaftliche Hilfe erhalten. Wer in «substanziellem Umfang» Sozialhilfe bezieht, kann ausgewiesen werden.
Fragt man Raphael Golta, was er von dieser Situation hält, sucht der Politiker nach Worten. Beschämend sei das, paradox. Und ja: «Eine Sauerei. Die Schweizer Städte müssen Armut hinnehmen, weil ihnen das Bundesrecht untersagt, etwas dagegen zu tun.» Da helfe auch das Versprechen von Bund und Kanton wenig, niemand werde ausgewiesen, der wegen Corona in Not gerate: «Die Leute glauben das nicht.»
Dabei hat sich in der Pandemie gezeigt, dass die Sicherungssysteme – Kurzarbeit, Verlängerung der Arbeitslosentaggelder, Hilfszahlungen an Firmen – durchaus greifen und Armut verhindern können. Die Arbeitslosenzahlen konnten stabilisiert werden, gehen neuerdings leicht zurück. Und bisher verzeichnet Zürich auch keinen Anstieg bei den Sozialhilfefällen. 2020 haben sich sogar 4,6 Prozent weniger Personen neu bei der Sozialhilfe angemeldet als 2019.
Es geht um die Existenz
Aber eben, die Hilfe fliesst nicht für alle. Eine Studie, die das städtische Sozialdepartement bei der ZHAW in Auftrag gegeben hat, bestätigt, was Hilfswerke schon früh berichteten: Die Menschen, die sich für Gratislebensmittel anstellen, sind längst nicht mehr nur Randständige, Einsame und Sozialhilfebezüger, die ihr Budget entlasten wollen. Sondern zunehmend Personen, die nicht wissen, wie sie die nächste Miete zahlen, Krankenkasse, Strom und Telefon berappen sollen, weil ihr ganzes Einkommen oder ein Teil davon weggebrochen ist und das Sozialhilfenetz sie nicht trägt.
Leute wie Ardita und José. Oder Prostituierte, die derzeit einem Berufsverbot unterliegen. Darunter sind auch Schweizerinnen, die sich scheuen, die Behörden um Hilfe zu bitten, weil sie sich vor anzüglichen und abwertenden Bemerkungen fürchten.
Das Problem aus Goltas Sicht: «Bei diesen Menschen geht es um mehr als darum, das Budget zu entlasten. Es geht um ihre Existenz.» Lebensmittelspenden seien gut und recht, würden aber nicht weiterhelfen, wenn das Geld für die Miete fehlt. «Manchmal braucht es einfach Bargeld.» Bisher haben die Hilfswerke die gröbste Not gelindert. Aber bei der Sans Papier Anlaufstelle zum Beispiel werden die Mittel langsam knapp.
Ziel: Bundesgesetz anpassen
Eine ganz andere Frage ist, ob ein solches Parallel- Sozialsystem rechtlich haltbar ist. Der Stadtrat ist davon überzeugt. Man habe ja schon bisher Hilfswerke finanziell unterstützt. Neu sei nur, dass die Bedürftigen auch Bargeld bekommen. Und: Das Geld stammt nicht wie bisher aus städtischen Fonds, sondern aus Steuergeldern.
Als definitive Lösung sieht die Stadt die Basishilfe aber nicht. «Langfristig muss das Problem in Bern angepackt werden», so Golta. Er pocht auf Anpassungen beim Ausländer- und Integrationsgesetz (AIG), das Sozial- und Migrationspolitik verknüpfe: «Was auch immer die migrationspolitische Absicht dahinter war: Die Realität ist, dass diese Regelung in den Städten zu Armut und Elend führt. So lange das Gesetz ist, wie es ist, brauchen wir eine eigene Lösung»
Golta ist nicht der einzige Schweizer Sozialvorsteher, der so denkt. Auch in der Städteinitiative Sozialpolitik, in der fast 60 Schweizer Städte zusammengeschlossen sind, wird das Thema intensiv diskutiert. Und in Bern hat SP-Nationalrätin Samira Marti eine parlamentarische Initiative eingereicht, in der sie verlangt, dass Sozialhilfebezug bei Menschen, die seit mehr als zehn Jahren ordnungsgemäss in der Schweiz leben, nicht mehr zu einer Ausweisung führen darf.
Hilfswerke begrüssen das Projekt
Die Hilfsorganisationen begrüssen das neue Angebot der Stadt. Caritas-Direktor Max Elmiger spricht von einem «Leuchtturmprojekt». Die vergangenen Monate seien für die Caritas nicht einfach gewesen. Denn eigentlich hat sich das Hilfswerk die Regel gegeben, keine finanzielle Unterstützung zu leisten, wenn Menschen Sozialhilfe beantragen könnten: «Aber wir sind da in einem Gewissenskonflikt, wenn wir Ausländerinnen und Ausländer ans Sozialamt verweisen – im Wissen, dass sie dann ihr Aufenthaltsrecht verlieren könnten.» Letztlich brauche es aber eine Änderung des Gesetzes.
Andrea Sprecher, Generalsekretärin der SP, nennt die Basishilfe «einen mutigen Schritt». Dass Armut in Zürich existiere, sei nicht neu, aber die Krise habe sichtbar gemacht, wie viele Menschen von der Hand in den Mund lebten. Kritischer zeigen sich die Bürgerlichen. Aus Sicht von Severin Pflüger, Präsident der Stadtzürcher FDP, müsste sich Zürich, wenn schon, für eine Gesetzesänderung stark machen: «Die Probleme der Sozialhilfe sollte man innerhalb der Sozialhilfe angehen, nicht ausserhalb.» SVP-Gemeinderat Samuel Balsiger moniert, die Stadt wolle mit der Basishilfe demokratisch gefällte Entscheide umgehen «und den Rechtsstaat aushebeln».
Und was sagt der Kanton zu den Stadtzürcher Plänen? Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP) will das Projekt nicht werten: «Sozialhilfe ist eine klassisch kommunale Aufgabe. Die Stadt Zürich weiss selbst am besten, wie sie die Armut auf ihrem Stadtgebiet bekämpfen kann.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/stadt-zuerich-erprobt-eine-art-parallel-sozialhilfe-691552096271)
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«Wirtschaftliche Basishilfe» – ein Pilotprojekt gegen die Armut – Schweiz Aktuell
Mit der «wirtschaftlichen Basishilfe» will die Stadt Zürich auch Sans-Papiers mit Steuergeldern unterstützen. Ausländer:innen, denen beim Bezug vom Sozialhilfe die Ausweisung droht, sollen das Angebot ebenfalls nutzen können.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/wirtschaftliche-basishilfe—ein-pilotprojekt-gegen-die-armut?urn=urn:srf:video:abd02bf1-3748-4778-a00e-efc1fede771a
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/stadt-zuerich-soll-pilotversuch-zu-grundeinkommen-durchfuehren-00157980/
Neue «Wirtschaftliche Basishilfe» hilft Armut in Zürich zu verhindern
Die pandemiebedingt angespannte Wirtschaftslage bringt vor allem Ausländerinnen und Ausländer in prekären Beschäftigungsverhältnissen in der Stadt Zürich in existenzielle Nöte. Aus Angst vor negativen migrationsrechtlichen Konsequenzen verzichten aber viele der Betroffenen auf den Bezug von Sozialhilfe. Die Folge: Ein Leben in Armut mitten in unserer Stadt.
https://www.stadt-zuerich.ch/sd/de/index/ueber_das_departement/medien/medienmitteilungen_aktuell/2021/mai/210510a.html
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nzz.ch 10.05.2021
Die Stadt Zürich will mit zwei Millionen Franken Armut verhindern. Doch wer sind die Menschen, die durch die Maschen fallen?
Die Sozialhilfequote in der Stadt Zürich ist im letzten Jahr gesunken. Die Armut in der Stadt ist jedoch seit der Pandemie so sichtbar wie noch nie.
Linda Koponen
Die Pandemie hat die Armut in der Stadt Zürich sichtbar gemacht und teilweise verschärft. Zwar ist die Sozialhilfequote im vergangenen Jahr sogar leicht gesunken. Seit über einem Jahr stehen aber täglich Hunderte von Personen für kostenlose Mahlzeiten oder Lebensmittelpakete an.
Mirjam Schlup, die Direktorin der Sozialen Dienste der Stadt Zürich, führt die leicht gesunkene Sozialhilfequote darauf zurück, dass das Hilfsnetz im Zuge der Pandemie stark ausgebaut wurde. «Massnahmen wie Kurzarbeit, Erwerbsersatzentschädigungen für Selbständige oder Nothilfe für Kleinunternehmer haben dafür gesorgt, dass sich die Betroffenen nicht bei der Sozialhilfe anmelden müssen», sagte Schlup am Montag an einer Medienkonferenz. Das soziale Sicherungsnetz funktioniere, aber: «Es wird der Arbeitsmarkt sein, der darüber entscheidet, wie sich die Sozialhilfequote entwickeln wird.»
Dass die Zahl der Sozialhilfebezüger gesunken ist, hat noch einen anderen Grund: Nicht alle, die Anspruch auf die Hilfsgelder hätten, machen von ihnen Gebrauch. Namentlich geht es um Ausländerinnen und Ausländer, die befürchten, wegen des Bezuges von Sozialhilfe ihre Aufenthaltsbewilligung zu verlieren. Hinzu kommen Sans-Papiers, die keine Sozialhilfe beziehen können, weil sie sich illegal im Land aufhalten. Der Sozialvorsteher Raphael Golta (sp.) sagte an der Medienkonferenz: «Es gibt Menschen, die nicht wirklich durch das System versorgt sind.»
Diesen Personen will der Stadtrat nun unter die Arme greifen. Er hat für ein 18-monatiges Pilotprojekt zwei Millionen Franken gesprochen. Das Geld fliesst an vier zivilgesellschaftliche Organisationen: die Caritas Zürich, das Schweizerische Rote Kreuz, die Sans-Papiers-Anlaufstelle Zürich (Spaz) sowie Solidara Zürich (vormals Zürcher Stadtmission). Neben der Hilfeleistung in Form von Naturalien sollen die Organisationen die Bedürftigen in Notlagen neu auch vorübergehend finanziell unterstützen können. «Um den Betroffenen nachhaltig zu helfen, muss man ihnen Geld geben, damit sie die Möglichkeit haben, ihre Existenz zu sichern», sagte Golta.
Doch wer sind die Menschen, die auf kostenlose Lebensmittel angewiesen sind? Und was hat sie in die prekäre Lage gebracht? Bisher wusste man relativ wenig über sie. Das Sozialdepartement hat bei der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften deshalb eine Studie in Auftrag gegeben. Die Wissenschafterinnen und Wissenschafter haben neun Gruppen identifiziert.
1. Randständige
Psychisch krank, süchtig, seit mehreren Jahren auf der Strasse – «für die klassischen Randständigen» habe sich mit der Pandemie eigentlich relativ wenig verändert, heisst es in der Studie. Die Gruppe der Randständigen in Zürich ist zwischen 20 und 80 Jahre alt, manche von ihnen gehörten früher der Drogenszene auf dem Platzspitz an. Zwar sind die Männer noch immer in der Mehrzahl, doch seit einigen Jahren beobachten die Fachstellen eine Zunahme von obdachlosen Frauen. Die zumeist älteren Schweizerinnen und Schweizer beziehen häufig eine IV- oder AHV-Rente, in manchen Fällen gekoppelt an Zusatzleistungen.
Die Angebote der Anlaufstellen nutzten die Randständigen oft bereits seit Jahren. Warme Mahlzeiten seien für sie überlebenswichtig, aber auch relevant, um soziale Kontakte zu pflegen, ist in der Studie zu lesen. Die Schliessung der sozialen Einrichtungen während des Lockdowns im Frühling 2020 habe die Gruppe vor eine existenziell bedrohliche Situation gestellt. Und die fehlenden Gelegenheiten zum Betteln hätten ihnen den Zusatzverdienst erschwert.
2. Einsame Seniorinnen und Senioren
Um ihr knappes Budget zu entlasten und der Einsamkeit zu entfliehen, haben auch zahlreiche Senioren die Lebensmittelausgaben aufgesucht. Durch die Schliessung der Restaurants sind gerade für ältere Personen wichtige soziale Treffpunkte weggefallen. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass es sich dabei zumeist um Personen mit Schweizer Pass oder um ehemalige Arbeitsmigranten mit der Aufenthaltsbewilligung C handelt. Die meisten lebten von einer tiefen AHV- oder IV-Rente mit oder ohne Ergänzungsleistungen.
3. Sozialhilfebezüger
Familien, Alleinerziehende, Working Poor – als dritte Gruppe, die von den kostenlosen Lebensmitteln Gebrauch macht, haben die Wissenschafter der ZHAW Sozialhilfebezüger identifiziert. Dabei handelt es sich um Schweizerinnen und Schweizer oder Ausländer mit einer C- oder einer B-Bewilligung. Da sie von der Sozialhilfe leben, hatten sie auch während der Pandemie ein gesichertes Einkommen. Die kostenlosen Mahlzeiten und Lebensmittel haben sie genutzt, um ihr Budget zu entlasten.
4. Von Armut Betroffene, die keine Sozialhilfe beziehen
Auch arme Familien und Einzelpersonen, die vor der Pandemie keine Sozialhilfe bezogen haben und so knapp über oder unter dem Existenzminimum lebten, sind für die kostenlosen Lebensmittel angestanden. Oft handle es sich dabei um kinderreiche Familien oder Alleinerziehende, heisst es in der Studie. Die meisten von ihnen hätten einen Migrationshintergrund und arbeiteten im Niedriglohnsektor, in unsicheren Arbeitsverhältnissen oder als Selbständige. In vielen der betroffenen Familien setze sich das Einkommen aus mehreren Arbeitspensen zusammen.
Die Pandemie hat die Situation dieser Personengruppe teilweise stark verschlechtert, weil für sie oftmals gleich mehrere Einkommensquellen weggefallen sind. Zwar können die Einbussen zum Teil durch die Arbeitslosenversicherung, die Kurzarbeitsentschädigungen oder staatliche Überbrückungshilfen kompensiert werden. Bis die Zahlungen eintreffen, dauert es jedoch. Und sie ersetzen nicht das gesamte Einkommen. Das hat zur Folge, dass die Personen unter das Existenzminimum fallen. Ausländerinnen und Ausländer machen laut der Studie ihren Anspruch auf Sozialhilfe trotzdem nicht geltend, aus Angst, ihre Aufenthaltsbewilligung zu verlieren.
5. Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene
Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene leben von der Asylfürsorge. Die Pandemie hat die Jobsuche auch für diese Personen erschwert. Um Geld zu sparen, haben viele von ihnen das kostenlose Lebensmittelangebot genutzt.
6. Wanderarbeiter
Wanderarbeiter reisen durch Europa und arbeiten temporär auf dem Bau, in der Gastronomie, in der Reinigungsbranche oder als Haushaltshilfen. In die Schweiz können sie aus dem EU-Raum mit einem 90-Tage-Visum für Selbständigerwerbende einreisen oder eine Arbeitsbewilligung beantragen. Manche von ihnen kommen auch als Touristen ohne Arbeitsbewilligung ins Land. Andere hegen gar nicht die Absicht, eine Arbeitsstelle zu finden, und verdienen Geld mit regulären und irregulären Gelegenheitsjobs, mit Kleinkriminalität und Betteln.
Seit der Pandemie haben es auch Wanderarbeiter schwerer, eine Arbeit zu finden. Doch in ihren Herkunftsländern hat sich die wirtschaftliche Lage ebenfalls verschlechtert. Oftmals sind sie für den Unterhalt ihrer Familien zuständig. Um doch noch etwas Geld in ihre Ursprungsländer schicken zu können, nehmen sie die kostenlosen Lebensmittelangebote in Anspruch.
7. Prostituierte
Die Situation der Prostituierten im Kanton Zürich hat sich erheblich verschlechtert. Im ersten Lockdown stand das Sexgewerbe komplett still, und nach Lockerungen im Sommer hat der Bundesrat im Dezember erneut ein Prostitutionsverbot verhängt. Dieses wurde von der Landesregierung zwar im März wieder gelockert, doch der Zürcher Regierungsrat hält weiterhin daran fest. Da die Frauen in den wenigsten Fällen Kurzarbeit oder Erwerbsersatzentschädigung beantragen können, schaffen viele von ihnen im Untergrund weiter an. Sie sind auf das Geld angewiesen, um die häufig überrissenen Zimmerpreise begleichen zu können.
Seit dem ersten Lockdown zahlen die Beratungsstellen regelmässig finanzielle Nothilfe an Sexarbeiterinnen aus. Ohne diese Unterstützung würden viele ihre Wohnung, ihre Krankenkassenprämien und ihren Lebensunterhalt nicht mehr bezahlen können, heisst es in der Studie. Die Prostituierten sind auch auf die Lebensmittelpakete angewiesen.
8. Abgewiesene Asylsuchende
Abgewiesene Asylsuchende leben von Nothilfe (8 Franken 50 pro Tag) und wohnen in Notunterkünften. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass sich ihre Lage durch die Pandemie kaum verschlechtert habe, da sie auch davor unter prekären Verhältnissen gelebt hätten. Dennoch seien einige von ihnen trotz Rayonverbot aus der Agglomeration in die Stadt gereist, um sich kostenlose Lebensmittel zu sichern.
9. Sans-Papiers
In der Stadt Zürich leben geschätzt 10 000 Sans-Papiers. Weil sie sich ohne Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz aufhalten, haben sie keinen Anspruch auf Sozialhilfe oder Kurzarbeitentschädigung. Die meisten von ihnen sind in Privathaushalten, in der Gastronomie oder auf dem Bau tätig. Die Pandemie stellt für sie eine finanzielle und gesundheitliche Belastung dar. Laut der Studie gehörten jene Sans-Papiers, die in privaten Haushalten arbeiten, zu den Ersten, die im Lockdown im Frühling 2020 ihre Arbeit verloren haben. Weil sie nur wenig verdienen und deshalb kaum über Vermögen verfügen, war die Not für sie unmittelbar.
An der Medienkonferenz übte Raphael Golta grundsätzliche Kritik am Schweizer Migrationsrecht: Das Bundesrecht verhindere die Armutsbekämpfung in den Städten, weil aufenthaltsrechtliche Fragen an den Bezug von Sozialhilfe geknüpft seien. Für die Migrantinnen und Migranten sei daher ein «Schutz vor ausländerrechtlichen Konsequenzen» notwendig, wenn sie Sozialhilfe in Anspruch nähmen. Für Sans-Papiers brauche es einen «definierten Weg» zur Regularisierung.
Das Pilotprojekt «Wirtschaftliche Basishilfe» startet noch in diesem Sommer. «Es wäre schön, wenn wir dieses Projekt nicht brauchen würden», sagte Golta. «Wir werden jedoch machen, was nötig ist, um diesen Menschen zu helfen.» Bei Bedarf werde dem Gemeinderat eine Erhöhung der Mittel beantragt.
(https://www.nzz.ch/zuerich/corona-in-zuerich-wer-die-von-armut-betroffenen-menschen-sind-ld.1624178)
+++ITALIEN
Mehrere Rettungsschiffe – Über 2000 Bootsmigranten kommen in Lampedusa an
Auf der italienischen Insel Lampedusa ist seit Sonntagabend eine Rekordzahl an Flüchtlingen und Migranten angekommen.
https://www.srf.ch/news/international/mehrere-rettungsschiffe-ueber-2000-bootsmigranten-kommen-in-lampedusa-an
-> https://taz.de/Fluechtlinge-auf-der-Insel-Lampedusa/!5766229/
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1151865.lampedusa-erneut-fluechtlingshotspot.html
Seenotrettung: „Sea-Watch 4“ in Sizilien festgesetzt
Die italienischen Behörden werfen Sea-Watch vor, sich nicht an Vorgaben zu halten. Den Seenotrettern zufolge ist deshalb unklar, wann sie weiterfahren dürfen.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2021-05/seenotrettung-sea-watch-4-sizilien-hafen-mittelmeer-migration
+++MITTELMEER
Italien: Wieder mehr Bootsflüchtlinge aus Libyen
Zentrale Mittelmeerroute: Von Januar bis Anfang Mai kamen mehr als doppelt so viele wie im Vorjahreszeitraum. Die Zahl der Toten hat sich mehr als verdreifacht
https://www.heise.de/tp/features/Italien-Wieder-mehr-Bootsfluechtlinge-aus-Libyen-6042501.html
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nzz.ch 10.05.2021
Eine neue Migrationswelle scheint im Mittelmeer im Anrollen zu sein – aber sie ist noch schwach
Mehr als 2000 Ankömmlinge drängen sich auf der kleinen Insel Lampedusa. Die italienische Rechte fordert eine Seeblockade.
Andres Wysling, Rom
Auf der italienischen Insel Lampedusa sind am Sonntag innert 24 Stunden 20 Boote mit 2128 Migranten an Bord gelandet, zum Teil aus eigener Kraft, zum Teil mithilfe der italienischen Küstenwache. Die Boote kamen zum Teil aus Libyen, zum Teil aus Tunesien. Der plötzliche Zustrom ist wohl auf gebesserte Wetterverhältnisse zurückzuführen. Der «Hotspot» zur Aufnahme von Migranten stehe vor dem Zusammenbruch, berichten italienische Medien.
Die Anlage stand jüngst zwar leer, ist aber nur für rund 250 Personen ausgelegt. Etwa die Hälfte der Migranten soll deshalb noch am Montag nach Sizilien überführt werden, an Bord des Kursschiffes und mit zwei eilends aufgebotenen Schiffen der Küstenwache. Sie werden dann zuerst für die zweiwöchige Covid-19-Quarantäne auf Schiffen untergebracht.
Scharfe Kritik an der Innenministerin
Eine neue Migrationswelle zeichnet sich ab, sie ist allerdings noch weit entfernt von der grossen Flut der Jahre 2014-2017. Sie kommt den italienischen Rechtspolitikern nicht ungelegen, sie können ihr Dauer-Wahlkampfthema nun wieder bewirtschaften, das im Pandemiejahr in den Hintergrund gerückt ist. Giorgia Meloni, Parteichefin der Fratelli d’Italia und Oppositionsführerin, liess verlauten, Innenministerin Luciana Lamorgese sei offenkundig unfähig, dieser «wahren Invasion» entgegenzutreten. Sie fordert eine Seeblockade, um die Menschenhändler und die Seenotretter und damit die Migranten zu stoppen.
Scharfe Kritik an der Innenministerin
Eine neue Migrationswelle zeichnet sich ab, sie ist allerdings noch weit entfernt von der grossen Flut der Jahre 2014-2017. Sie kommt den italienischen Rechtspolitikern nicht ungelegen, sie können ihr Dauer-Wahlkampfthema nun wieder bewirtschaften, das im Pandemiejahr in den Hintergrund gerückt ist. Giorgia Meloni, Parteichefin der Fratelli d’Italia und Oppositionsführerin, liess verlauten, Innenministerin Luciana Lamorgese sei offenkundig unfähig, dieser «wahren Invasion» entgegenzutreten. Sie fordert eine Seeblockade, um die Menschenhändler und die Seenotretter und damit die Migranten zu stoppen.
🔸️80 pp senza benzina, cibo, acqua. Imbarcando acqua.
🔸️55 pp, perso contatto dalle 9.30
🔸️96 pp senza benzina, cibo, acqua
🔸️97 pp senza cibo, benzina, acqua, in mare da due giorni
🔸️91 pp senza cibo, benzina, acqua, 1 pers. malata.
Queste ~419 pp saranno soccorse?
— Alarm Phone (@alarm_phone) May 9, 2021
https://twitter.com/alarm_phone/status/1391468190744653827?ref_src=twsrc%5Etfw
Deutlich mehr Ertrunkene als im Vorjahr
Seit Anfang Jahr sind nach Angaben der Uno-Organisation für Migration IOM über 500 Migranten im zentralen Mittelmeer auf der Überfahrt von Libyen nach Italien ertrunken, mehr als dreimal so viele wie in den ersten vier Monaten des Vorjahrs. Die private Rettungsorganisation SOS Méditerranée wirft den europäischen Staaten vorsätzliche Untätigkeit vor. Sie entzögen sich ihrer Verantwortung, Such- und Rettungsaktionen zu koordinieren, und überliessen es privaten Akteuren und der Zivilgesellschaft, das von ihnen geschaffene «tödliche Vakuum» zu füllen. Das Vakuum wird auch gezielt geschaffen, indem private Rettungsschiffe durch die Behörden blockiert werden, wie zuletzt die «Sea Watch 4».
Ein eklatanter Fall verweigerter Hilfe wurde vor drei Wochen dokumentiert. Alarm Phone meldete am 21. April früh den italienischen und libyschen Behörden ein Boot in Seenot. Sieben Stunden später sichtete ein Flugzeug der EU-Grenzschutzagentur Frontex das Boot. Auf weitere Interventionen von Alarm Phone hin beschieden die Libyer, sie wüssten nichts von einem Boot in Seenot, sie würden auch nichts unternehmen wegen schlechten Wetters. Die Italiener sagten nur: «Meldet euch, wenn ihr neue Informationen habt.» Am 22. April abends sichtete das private Rettungsschiff «Ocean Viking» Überbleibsel eines Boots und mehrere Leichen, die im Wasser trieben. Etwa 130 Personen waren ertrunken, Überlebende gab es nicht.
Anderseits wurden Hunderte von Migranten von der libyschen Küstenwache aufgegriffen und nach Libyen zurückgebracht. Italien und die Europäische Union unterstützen die libysche Küstenwache bei dieser Aufgabe mit materieller Hilfe – unter anderem mit der Lieferung von Booten – und Ausbildung. Die Ausbildung umfasst auch den Punkt Menschenrechte. Es ist aber allgemein bekannt, dass viele Migranten durch die Küstenwache misshandelt und in Libyen in Gefangenschaft und oft wie Sklaven gehalten werden. Fälle von Folter und Vergewaltigungen sowie Tötungen sind belegt. Libyen gilt darum nicht als sicherer Zufluchtsort, wie die Uno immer wieder in Erinnerung ruft.
(https://www.nzz.ch/international/italien-2000-migranten-auf-lampedusa-meloni-ruegt-lamorgese-ld.1624480)
+++JENISCHE/SINTI/ROMA
CSL Behring kämpft mit ausländischen Fahrenden: Mehr als 30 Wohnwagen besetzen Firmenparkplatz
Einmal mehr sorgen ausländische Fahrende im Sendegebiet für Aufruhr. In der Nacht auf Montag besetzt ein ganzer Fuhrpark an Wohnwagen den Firmenparkplatz der CSL Behring AG in Lengnau. Das Gelage stösst nicht nur den Mitarbeitenden sauer auf, sondern auch Politikern und der Gemeinde.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/csl-behring-kaempft-mit-auslaendischen-fahrenden-mehr-als-30-wohnwagen-besetzen-firmenparkplatz-141861131
-> https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/grenchen/lengnau-fahrende-besetzen-das-gelaende-von-csl-behring-ld.2135523
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bielertagblatt.ch 10.05.2021
«Bitte, bitte lasst uns hier bleiben»
Drei Gemeinden hat die Gruppe Fahrende, die zuvor in Biel war, seit Sonntagabend heimgesucht. Derzeit stehen an die 50 Gespanne auf dem Gelände der CSL Behring in Lengnau. Gemeindepräsidenten fordern Lösungen von der Politik.
Brigitte Jeckelmann, Mengia Spahr
Am Sonntagabend war der Verkehr in Orpund auf der Hauptstrasse und der Byfangstrasse zwischen 16 und 20 Uhr lahmgelegt. Nach Aussage von Gemeindepräsident Oliver Matti konnte sogar die Feuerwehr zeitweise nicht ausrücken. Der Grund: Dutzende Wohnwagen von Fahrenden blockierten den Weg. Rund 50 Gespanne wollten sich auf dem Römerareal bei der alten Turnhalle niederlassen. «Das ist wirklich kein geeigneter Standort für Fahrende – so mitten im Dorf», sagte Matti.
Seit Wochen zirkulieren mehrere Gruppen von ausländischen Fahrenden in der Region. Als jüngst zum wiederholten Male ein Gelände südlich der Tissot Arena in Biel von teils immer wieder denselben Personengruppen besetzt wurde, griff Sicherheitsdirektor Beat Feurer (SVP) hart durch, stellte ein Ultimatum und liess, nachdem dieses am Mittwoch verstrichen war, Bussen verteilen (das BT berichtete). Am Sonntag zogen die Fahrenden weiter Richtung Orpund und machten auf dem Römerareal Halt. Da es sich um Gemeindeland handelt, führte Gemeindepräsident Oliver Matti die Verhandlungen mit den Fahrenden und setzte den Beschluss durch, keine Landbesetzungen zu tolerieren.
Matti bleibt hart
Das Angebot der Fahrenden, die Gemeinde für die Nutzung des Areals zu bezahlen, habe er ausgeschlagen. «Orpund kann das Problem, dass es keinen Transitplatz in der Region gibt, nicht lösen», lautet Mattis Antwort auf die Frage, weshalb Orpund keinen provisorischen Standplatz für Fahrende zur Verfügung stelle. Bei einem Treffen der Regierungsstatthalterin Romi Stebler mit Vertretenden der Agglomerationsgemeinden hatte Beat Feurer einen solchen in Biel in Aussicht gestellt, unter der Bedingung, dass alle zwei Jahre eine andere der umliegenden Gemeinden Land zur Verfügung stellt. Doch weil sich keine dazu bereit erklärte, ist das Projekt vorerst auf Eis gelegt. Matti sagt, er wisse auch nicht, wie das Problem zu lösen sei. Vielmehr sieht er den Kanton in der Pflicht: Es sei zu einfach, der Regierungsstatthalterin zu sagen, sie solle mit den Gemeinden für provisorische Standplätze schauen. «Wie bei der Standortsuche für das Spital, müsste man wohl eine Arbeitsgruppe bilden, die verschiedene Möglichkeiten evaluiert.»
Pieterlen, 20 Uhr
Nach vier Stunden in Orpund gaben die 50 Wohnwagen die Strassen frei und zogen weiter in Richtung Pieterlen. Dort trafen sie gegen 20 Uhr ein und fuhren über mehrere Äcker und Wiesen von Bauern. Ihr Ziel war der Trainingsplatz des Hundesportvereins Seeland-Pieterlen. Dort brachen sie die Absperrung auf und legten mehrere Pfosten flach. Dann parkierten sie ihre Wagen und begannen, sich häuslich einzurichten. Bei Gemeindepräsident Beat Rüfli klingelte das Telefon. Er eilte auf den Platz, zusammen mit Landwirt Peter Stalder und Andrew Reber, dem Präsidenten des Vereins. Auch die Kantonspolizei traf ein.
Andrew Reber ist stocksauer.
Es sei nicht das erste Mal, dass die Fahrenden auf dem Hundetrainingsplatz Halt machen, sagt er am Telefon. Jedes Mal, so Reber, «haben sie den Rasen zerstört, Abfall hinterlassen und Schäden in der Höhe von mehreren tausend Franken hinterlassen». So auch dieses Mal. Noch nie habe man allerdings Geld bekommen von ihnen, ärgert sich Reber, der die Stimmung bei der Verhandlung am Sonntag als «äusserst angespannt» bezeichnet. «Nicht viel hat gefehlt, und es wäre zu einer Eskalation gekommen.» Die Polizei sei daneben gestanden und hätte versucht, zu beschwichtigen. Als es brenzlig wurde, habe einer der Polizisten seinen Diensthund aus dem Auto geholt. Reber schaltete das Flutlicht auf dem Platz an, begann, die Autonummern zu fotografieren und drohte den Fahrenden mit einer Strafanzeige.
Andrew Reber erlebt die Situation mit den Fahrenden im Seeland jedes Jahr als schlimmer. «Es ist zum Resignieren», sagt er und fordert von der Politik endlich eine Lösung. «Die Leute tun mir ja auch leid, vor allem ihre Kinder», sagt er. Einer der Anführer habe fast gefleht: «Bitte, bitte, lasst uns hier bleiben.» Doch das gehe auf dem Übungsplatz einfach nicht. «Wo sollen denn sonst unsere Vereinsmitglieder trainieren?»
Gemeindepräsident Beat Rüfli war bei den Verhandlungen anwesend, weil er für die Sicherheit in der Gemeinde zuständig ist, ebenso Burgergemeindepräsident Hans-Peter Scholl. Denn das Gelände des Hundesportplatzes gehört der Burgergemeinde.
Rüfli muss sich immer mal wieder mit Fahrenden auseinandersetzen. Die Nähe zu Biel sei dafür prädestiniert, sagt er. Die Gruppe kennt er schon von früheren Begegnungen. Es seien Fahrende aus Frankreich. Pächter und Grundeigentümer werden laut Rüfli bei der Polizei Anzeige wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung erstatten.
Bund schiebt Problem ab
Wie der Orpunder Gemeindepräsident nimmt auch Beat Rüfli die Politik in die Verantwortung. Es könne nicht sein, dass der Bund diese Aufgabe einfach an die Kantone abschiebt. Er ärgert sich über den Kanton Bern, der seit Jahren erfolglos nach einer Lösung sucht. Dies im Wissen, «dass es praktisch aussichtslos wird, wenn die Gemeinden nicht bereit sind, die Fahrenden bei sich kurzfristig und legal aufzunehmen.»
Rüfli verweist dabei auf die Gemeinde Brügg als positives Beispiel. Dort stand den Fahrenden während zwei Jahren ein provisorischer Platz zur Verfügung. Gegen Mitternacht zogen die Fahrenden aus Pieterlen ab in Richtung Lengnau. Im Visier hatten sie das Gelände der CSL Behring. Dort besetzen sie seither den Parkplatz.
Lengnau, Mitternacht
Für Lengnau ist es die erste direkte Begegnung mit Fahrenden. Das hat die Gemeinde gestern Abend in ihrer Medienmitteilung geschrieben. Die Behörde sei kurz vor Mitternacht über die Besetzung informiert worden.
Die Fahrenden haben sich laut Mitteilung der Anweisung widersetzt, den Platz zu verlassen. Weitere Verhandlungen im Verlauf des Tages hätten stattgefunden, heisst es weiter.
Der Gemeinderat Lengnau verurteile die illegale Landnahme. Weil die Fahrenden den Parkplatz blockierten, kam es zu einem Verkehrschaos. Deshalb habe man die Zufahrt in die Industriezone beschränken müssen. Solche Einschränkungen würden nicht toleriert: «Die Behörden sind enttäuscht, dass die Rechte der Grundeigentümer kaum innert notwendiger Frist geschützt werden.»
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/seeland/bitte-bitte-lasst-uns-hier-bleiben)
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bielertagblatt.ch 10.05.2021
Nach Bussen und Strafanzeige – Fahrende abgereist
Ein grosser Teil der ausländischen Fahrenden, die sich illegal auf dem Gelände südlich der Tissot Arena eingerichtet hatten, ist aufgebrochen.
Nachdem das Ultimatum der Stadt Biel letzten Mittwoch verstrichen ist, wurden alle Gespanne mit je 500 Franken gebüsst (das BT berichtete). Auch in den darauffolgenden Tagen wurden Parkbussen verteilt, und gemäss Sicherheitsdirektor Beat Feurer (SVP) hat die Stadt Biel Strafanzeige eingereicht. Nun zeigte das Vorgehen Wirkung: Gestern Abend zogen die Fahrenden mit ihren Gespannen Richtung Orpund weg. Dabei kam es zwischenzeitlich zu einem grossen Rückstau auf der Orpundstrasse.
Erfreulicheres konnte Feurer über die Fahrenden berichten, die sich beim Werkhof an der Portstrasse aufhielten. Dieser Gruppe hatte die Stadt eine Frist bis am Sonntag gesetzt, um das illegal besetzte Gelände zu verlassen. Diese wurde mit dem gestrigen Verlassen des Geländes nun auch eingehalten.
Wohin die zwei Gruppen Fahrender weitergezogen sind und ob alle Gespanne das Gelände bei der Tissot Arena verlassen haben, konnte bis zum Redaktionsschluss nicht in Erfahrung gebracht werden. fb
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/biel/nach-bussen-und-strafanzeige-fahrende-abgereist)
+++GASSE
Wie kommen Randständige an einen Impftermin?
Seit letzter Woche impfen auch Zürcher Apotheken gegen Covid-19. Immer wieder kämen auch Leute vorbei, die selber keinen Termin buchen können, sagt Lorenz Schmid, Präsident des Zürcher Apothekerverbandes. Für Randständige fordert Schmid deshalb ein niederschwelliges Angebot von offizieller Seite.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/wie-kommen-randstaendige-an-einen-impftermin?id=11981015
+++FREIRÄUME
tagesanzeiger.ch 10.05.2021
Besetzung im Kreis 5: Streit um Coop-Häuser – Polizei dringt in besetztes Gebäude ein
Am Sonntagabend haben Aktivistinnen und Aktivisten ein Haus am Sihlquai besetzt. Nun war die Polizei mit einem Grossaufgebot vor Ort.
Am Sonntagabend wurden zwei Häuser am Sihlquai besetzt. «Die Häuser denen, die drin leben», hiess es auf Transparent an der Fassade der Sihlquai 280/282 im Kreis 5. Und auf einer einschlägigen Website heisst es in einer Stellungnahme: «Wieder wird Wohnraum vernichtet, wir holen ihn uns zurück.»
Am Montagmorgen kam es dann zu einem grossen Polizeieinsatz am Sihlquai. Coop teilt auf Anfrage mit: «Es wurde Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch eingereicht.» Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort und drang ins Gebäude ein. Wie Mediensprecherin Judith Hödl vor Ort mitteilte, waren die Besetzerinnen und Besetzer aber bereits abgezogen. Die Polizei musste das Haus also nicht räumen. Die Transparente der Aktivistinnen und Aktivisten hat die Polizei entfernt.
Laut Stadtpolizei waren bei den Hauseingängen und an den Wohnungstüren teilweise die Schlösser ausgewechselt worden. Zudem seien Türen beschädigt oder verbarrikadiert worden. «Durch die Stadtpolizei Zürich wurden nun Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch eingeleitet», teilt die Polizei mit.
Vorstoss im Gemeinderat
Die Besetzung ist das jüngste Kapitel in einem seit Wochen tobenden Streit um die Umnutzung zweier Wohnhäuser am Sihlquai 280/282 im Zürcher Kreis 5. Die Besitzerin Coop will dort aus Wohnungen Labors und Büros machen. Das Vorhaben von Coop stösst aber auf Widerstand – im Stadtparlament und nun auch durch Aktivistinnen und Aktivisten.
Seit die Pläne von Coop bekannt wurden, gibt es lautstarke Kritik daran. Initianten hatten innert Kürze rund 7000 Unterschriften für eine Petition gegen das Vorhaben gesammelt und diese Mitte März dem Stadtrat überreicht. «Nein danke, Coop! So nicht!», heisst es darin.
Auch im Gemeinderat kamen die Pläne von Coop und Swissmill unter Beschuss. Mit 87 zu 30 Stimmen überwies das Parlament ein Postulat von AL und SP, das die Stadtregierung auffordert, sich bei Swissmill und Coop dafür einzusetzen, das Bauprojekt zu überdenken.
AL und SP kritisierten zudem, dass die Coop-Genossenschaft ein Versprechen breche. So habe die Firma vor zehn Jahren im Abstimmungskampf um den 118 Meter hohen Swissmill-Kornspeicher am Sihlquai versprochen, dass Industrie sowie Arbeitsplätze, Kultur und Wohnen im Quartier erhalten bleiben sollten. Genau dieses Versprechen werde mit den jetzigen Plänen für das Wohn- und Gewerbehaus gebrochen.
Verärgerung über Zwischennutzung
Jüngst erzürnte die Gegner des Projekts, dass Coop nun die Immobilien an die Zwischennutzungsfirma Intermezzo vermittelt habe, welche die einzelnen Zimmer deutlich höher als zum ursprünglichen Mietpreis vermieten wolle. Die verbliebenen Mietparteien und die Schreinerei seien davor nicht über diese Zwischennutzung informiert worden. Das sei «ein Schlag ins Gesicht», heisst es in einem Communiqué der Kritiker. Die Zimmer, in denen die Mieterinnen und Mieter ein halbes Leben verbracht und für die sie gekämpft hätten, würden nun «zu Wucherpreisen zur Zwischennutzung angeboten».
Walter Angst, Sprecher des Mieterinnenverbands Zürich, hält das Vorgehen von Coop für «sehr unsensibel», wie er sagt. Ohne mit den verbliebenen Mietern zuvor Kontakt aufgenommen zu haben, habe der Grosskonzern einfach eine Firma für Zwischennutzung in der Liegenschaft vorbeigeschickt, welche die nach den Kündigungen frei gewordenen Wohnungen in Beschlag nehmen wolle. «Und das alles, kurz bevor man sich an einem Runden Tisch treffen will.»
Bauarbeiten im April 2022 geplant
Eine Coop-Sprecherin schreibt auf Anfrage, dass mit der Mehrheit der Mieterinnen und Mieter eine Lösung gefunden werden konnte. Nur mit zwei Mietparteien seien noch Gespräche im Gang. «Um den leerstehenden Wohnraum bis zu Baubeginn sinnvoll zu nutzen, haben wir die Wohnungen an die Firma Intermezzo vermietet», schreibt sie. Diese biete die Wohnungen zu ihren eigenen Konditionen unabhängig von Coop an. «Coop verdient an der Zwischennutzung nicht mehr als an den bisherigen Mietpreisen.»
Ursprünglich sei geplant gewesen, dass die Baumaschinen auffahren, sobald die Wohnungen leer stünden, schreibt sie. Da aber gewisse Mieter eine Erstreckung beantragt hätten, habe sich Coop dazu entschieden, die Wohnungen bis zum voraussichtlichen Erstreckungstermin für eine Zwischennutzung zu vermieten. «Die Kündigungen waren nicht auf Vorrat», schreibt sie. Neu sollen die Bauarbeiten im April 2022 losgehen und ein Jahr dauern.
mth/sip
(https://www.tagesanzeiger.ch/streit-um-coop-haeuser-polizei-dringt-in-besetztes-gebaeude-ein-528174585139)
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nzz.ch 10.05.2021
Polizeieinsatz in besetzten Häusern am Sihlquai
bai. Am Montagmorgen sind Einsatzkräfte der Stadtpolizei Zürich in die Liegenschaften am Sihlquai 280/282 ausgerückt. Dies, weil am Vortag an zwei Gebäuden im Kreis 5 Transparente mit der Aufschrift «Besetzt» angebracht worden waren und Hinweise auf weitere Aktionen bestanden, wie es in einem am Mittag versendeten Communiqué heisst.
Mehrere Dutzend Personen versammelten sich am Sonntag um 19 Uhr 30 am Sihlquai. Dort führten sie eine unbewilligte Kundgebung durch. Diese verlief ohne Zwischenfälle und löste sich kurz vor 22 Uhr auf.
Weil sich in den Liegenschaften auch Wohnungen befinden, die noch vermietet sind, wurden am Montagvormittag vor der polizeilichen Intervention die Besitzverhältnisse geklärt. Die Eigentümerschaft stellte anschliessend einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs.
Die Polizei durchsuchte daraufhin die beiden Häuser. Dabei trafen die Einsatzkräfte keine Personen an, die sich widerrechtlich im Gebäude aufhielten. Bei den Hauseingängen und an den Wohnungstüren waren teilweise die Schlösser ausgewechselt, die Türen beschädigt oder verbarrikadiert worden. Die Polizei leitete Ermittlungen gegen Unbekannt wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruchs ein.
Die dortigen Gebäude sollen umgenutzt werden. Die Eigentümerin Coop will Büros und Labors einrichten. Die Pläne von Coop und der mit dem Kornsilo in der Nachbarschaft präsenten Getreidemühlenfirma Swissmill, die zur Coop-Genossenschaft gehört, sorgten im Gemeinderat für Diskussionsstoff.
Die Mieter hatten eine Interessengemeinschaft gegründet und eine Petition lanciert. Auf Facebook äussern sie sich zur Besetzung am Sonntag: Es sei alles sehr schnell gegangen, plötzlich seien alle leer stehenden Wohnungen besetzt worden. Man sei von der Aktion überrascht worden, anerkenne aber, dass das Ganze ruhig über die Bühne gegangen sei.
(https://www.nzz.ch/zuerich/polizeimeldungen-aus-zuerich-motorradlenker-verletzt-polizisten-ld.1607384)
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-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/coop-haeuser-am-sihlquai-polizei-geht-gegen-hausbesetzer-vor-141860929
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/besetzte-haeuser-in-zuerich-00157928/
-> https://www.20min.ch/story/polizei-dringt-in-besetztes-coop-gebaeude-ein-178994080962
-> https://twitter.com/__investigate__
-> https://twitter.com/sozialismus_ch
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/wohnhauser-der-coop-im-zurcher-sihlquai-von-unbekannten-besetzt-65924176
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/besetzte-haeuser-in-zuerich-00157928/
-> https://barrikade.info/article/4482
-> https://twitter.com/ajour_mag/status/1391444425579106310
-> https://www.20min.ch/story/unbekannte-besetzen-coop-haeuser-am-sihlquai-639155179620
-> https://www.youtube.com/watch?v=f5Hjm_34zaU
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Durch den Monat mit Tillie Kottmann (Teil 1): Wie viel Material hat die Polizei mitgenommen?
Die Luzerner Informatikerin und Hackerin Tillie Kottmann hat vertrauliche Daten von grossen US-Firmen publiziert. Im März hat die US-Justiz Anklage gegen sie erhoben, die Luzerner Polizei hat in deren Auftrag Kottmanns Wohnung durchsucht.
https://www.woz.ch/2118/durch-den-monat-mit-tillie-kottmann-teil-1/wie-viel-material-hat-die-polizei-mitgenommen
Fall Gundula: Journalistin soll alle Kosten tragen – Nach Urteil des Bundesgerichts: Luzerner Millionär Bodum tritt nach
Der in Luzern residierende Kaffeekannenproduzent Jørgen Bodum feuert im Fall Gundula die nächste Breitseite ab. Nachdem ihn das Bundesgericht erst gerade in die Schranken wies, unterstellt sein Anwalt der freigesprochenen Journalistin jetzt Bereicherungsabsichten.
https://www.zentralplus.ch/nach-urteil-des-bundesgericht-im-fall-gundula-luzerner-millionaer-bodum-tritt-nach-2077965/
Dringliche Interpellation: SVP will Kosten der Polizeiaktion auf Eichwäldli-Besetzer abwälzen
Die Situation des Eichwäldli ist weiterhin ungeklärt. In einer dringlichen Interpellation an den Luzerner Stadtrat, fordert die SVP-Fraktion mit mehreren Fragen zu einer Aufklärung bezüglich des Eichwäldli auf.
https://www.zentralplus.ch/svp-will-kosten-der-polizeiaktion-auf-eichwaeldli-besetzer-abwaelzen-2082611/
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luzernerzeitung.ch 10.05.2021
Werbeprofis in eigener Sache: So tickt die «Familie Eichwäldli»
Die Bewohnerinnen und Bewohner der Soldatenstube verstehen es hervorragend, Sympathisanten um sich zu scharen. Doch letztere sollten sich genau überlegen, vor welchen Karren sie sich spannen lassen.
Simon Mathis
Die Bewohnerinnen und Bewohner der Soldatenstube am Murmattweg 2 halten die Stadt Luzern in Atem. Ihr Kampf für den Erhalt des Gebäudes polarisiert und weckt starke Emotionen – bei ihren Unterstützern ebenso wie bei ihren Kritikern. Wie ist es dazu gekommen? Und wie ticken die rund zehn Bewohner, die sich «Familie Eichwäldli» nennen?
Ein Blick zurück. Dezember 2018. Die Stadt Luzern als Eigentümerin des Gebäudes schlägt Alarm: Die Bewohner der alten Soldatenstube sollen das Gebäude umgehend verlassen. Menschenansammlungen seien zu gefährlich, so die Begründung. Die Soldatenstube sei in einem maroden Zustand.
Anfang Januar 2019 lud die «Familie» zum letzten offiziellen Mittagstisch in der Stube. Die Stimmung war ausgelassen, die Besucher zahlreich. Anwesend waren Familien, Studenten, Handwerker und Pensionierte. Sie assen, diskutierten, legten Geld in die Kollekte.
Schliesslich erschienen die Vertreter der Stadt, um das Gebäude abzunehmen. Die Mitarbeiter der Baudirektion setzten sich an ein Tischchen und diskutierten mit den Bewohnern. Rund um den Tisch drängten sich Journalisten – und lauschten gespannt dem Gespräch, das mit einer Verweigerung der Schlüsselübergabe endete.
Das ist der Beginn dieser Geschichte, die in den vergangenen drei Jahren um diverse Kapitel reicher geworden ist. Aber schon damals wurde deutlich, was die «Familie Eichwäldli» von Gruppierungen aus der Besetzerszene wie «Stella Matta», «Pulpa» oder «Gundula» unterscheidet: nämlich ihr Wille und ihre Fähigkeit, Sympathisanten und Medien zu mobilisieren.
Nachbarn, Quartiervereine, Interessengemeinschaften, Kulturschaffende, Architekten, Ingenieure und schliesslich auch Parlamentarier – sie alle wurden zu Fürsprechern der «Familie». Das ist ungewöhnlich.
Das liegt daran, dass die «Familie Eichwäldli» in der Kulturszene und in der linken Politik bestens vernetzt ist. Hinzu kommt, dass die Bewohner vergleichsweise offen kommunizieren. Sie betreiben einen eigenen Blog, verschicken regelmässig Medienmitteilungen (stellen sich direkten Fragen aber nur selektiv) und sind in den sozialen Medien wie Instagram, Facebook und Twitter aktiv. Es handelt sich hier keinesfalls um eine Gruppierung, die sich nur gegen innen orientiert.
Die Bewohnerinnen und Bewohner gehen einer geregelten Arbeit nach und verbitten sich, als «Hausbesetzer» betitelt zu werden. Damit setzen sie einen Kontrast zu «herkömmlichen» Linksautonomen. Und trotz aller Sticheleien gegen das Bürgertum geben sie sich nicht wie ideologische Aktivisten, sondern eher wie selbstironische Rebellen. Beim Polizeieinsatz vergangene Woche war auf einem Transparent zu lesen: «Im Falle einer Räumung: Bitte Katze füttern.»
Die Medienarbeit der «Familie» ist geradezu professionell. Das zeigt nicht zuletzt das Kampagnenvideo für die kürzlich lancierte Petition; eine Werbeagentur hätte es kaum besser machen können. Dass diese Petition bereits über 2200 Unterschriften verzeichnet, spricht ebenfalls für sich.
-> https://youtu.be/_pIx4_CTUwY
Bei allem Medienrummel muss man sich aber eines fragen: Wofür setzen sich die Unterstützer da eigentlich ein? Die «Familie Eichwäldli» hat die Soldatenstube zu einem Symbol für alternative Wohnformen erhoben. Das kann man gut finden oder auch nicht. Die politische Haltung ändert aber nichts am statischen Zustand des Gebäudes.
Es ist schon verwunderlich, mit welcher Vehemenz hier die Aussagen des Luzerner Stadtrates hinterfragt werden. Dieser hat einen Bericht vorgelegt, der «gravierende und bedrohliche Situationen» nicht ausschliesst und darum den geplanten Abriss stützt. Wer dem widerspricht, unterstellt der Exekutive eine bewusste Täuschung. Das ist ein happiger Vorwurf, der nicht leichtfertig und primär aus Eigennutz fallen darf.
Ein Bild auf dem Facebook-Profil der «Familie Eichwäldli» zeigt ein Transparent, das den Idealismus der Gruppe auf den Punkt bringt. Da steht: «Es gibt Dinge, die doch einfach möglich sein müssen, damit wir nicht völlig verzweifeln in der Welt.» Dem gegenüber steht ein Satz, den Stadtbaumeister Marko Virant 2019 am Tischchen in der Soldatenstube an die Bewohner richtete: «Wir sind erstaunt, nein, schockiert darüber, dass Sie die Situation derart auf die leichte Schulter nehmen.»
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/analyse-zur-soldatenstube-die-selbstironischen-rebellen-wie-tickt-die-familie-eichwaeldli-ld.2134485)
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Bald soll es zum ersten grossen Klimastreik nach der Pandemie kommen – das ist geplant
Die Bewegung ‹Strike for Future› plant am 21. Mai schweizweit Protest-Aktionen. Neu mischen auch die Gewerkschaft Unia und der feministische Streik mit.
https://www.watson.ch/schweiz/coronavirus/161136410-erster-grosser-klimastreik-nach-pandemie-das-ist-geplant
-> https://www.blick.ch/politik/pressekonferenz-um-10-30-uhr-streiktag-am-21-mai-so-will-die-klimajugend-die-schweiz-lahmlegen-id16514549.html
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nzz.ch 10.05.2021
Strike for Future: Aktivisten kündigen einen «Klima-Alarm» am nationalen Streiktag an
Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen unterstützen die Klimastreikbewegung bei einem Aktionstag, der am 21. Mai stattfinden soll. Die Forderungen sind breit – und noch ist unklar, welche Aktionen Corona-bedingt erlaubt werden.
Larissa Rhyn, Bern
Am 21. Mai soll in der ganzen Schweiz und in Liechtenstein ein «Strike for Future» stattfinden. Laut Exponenten der Klimabewegung sind bereits 50 Aktionen geplant, darunter Veloproteste, Konzerte, ein «Klimapostenlauf» oder Podiumsdiskussionen. Noch sind nicht alle davon bewilligt. Laut den Organisatoren soll es jedoch für jede Aktion ein eigenes Corona-Schutzkonzept geben.
Für 11 Uhr 59 ist ein «Klima-Alarm» geplant, bei dem möglichst viele Menschen gleichzeitig Lärm machen sollen. «Damit wollen wir alle Menschen wachrütteln und sie auf die uns geringe verbleibende Zeit hinweisen», schreiben die Organisatoren in einer Mitteilung.
Am Montag informierten Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Organisationen in Bern über die geplanten Aktionen und den Streiktag. Darunter waren nicht nur junge Erwachsene aus der Klimabewegung, sondern auch Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften. Bisher hatte sich der Klimastreik um Unabhängigkeit von anderen politischen Akteuren bemüht. Nun geht die Bewegung für den Streiktag breite Allianzen ein.
Haben sich die Prioritäten der Jugendlichen verschoben?
Peppina Beeli von der Unia nahm Bezug auf die Covid-19-Krise und argumentierte, wenn die Temperaturen wegen des Klimawandels anstiegen, seien Angestellte in der Gastro- und in anderen Branchen besonders exponiert. Sie könnten nicht vor der Hitze in ein klimatisiertes Büro flüchten. Daher engagiere sich die Arbeitnehmerorganisation ebenfalls am Strike for Future.
Auch Aktivisten des Klimastreiks beziehen sich nun stark auf die Covid-19-Krise. Krisen verschärften bestehende Ungleichheiten, argumentierte eine junge Aktivistin von Strike for Future an der Pressekonferenz. Das letzte Jahr habe dies gezeigt, weil Pflegende ausgebeutet worden seien und beispielsweise die häusliche Gewalt zugenommen habe. Für die Klimakrise gelte dasselbe. Für den 21. Mai haben der Klimastreik und diverse andere Bewegungen ein Streikmanifest formuliert.
Letztmals fanden im September in verschiedenen Schweizer Städten Kundgebungen des Klimastreiks statt. Mehrere Tage lang campierten Klimaaktivisten auf dem Bundesplatz in Bern. Nun ist die erste landesweite Aktion seit langem geplant. An einem nationalen Streik im Sommer 2019 hatten über 60 000 Personen teilgenommen.
Auf die Frage eines Journalisten, ob die Organisatoren eine geringere Beteiligung befürchteten, weil sich die Prioritäten vieler junger Menschen im letzten Jahr verschoben hätten, antwortete Annika Lutze, die sich beim Klimastreik engagiert: «Wir sind jetzt in einer weitaus prekäreren Situation. Wir haben wiederum ein Jahr verloren und könnten nun schon in Tagen rechnen, die uns noch bleiben, um zu handeln.»
Breite Kapitalismuskritik als Gemeinsamkeit
Die Aktivisten nutzen die Krise auch für eine breite Kapitalismuskritik. Diese präzisieren sie in einem «Streikmanifest», in welchem sie unter anderem einen starken Service public und eine Demokratisierung der Wirtschaft fordern.
Das Klima dient den beteiligten Organisationen zwar als gemeinsamer Aufhänger. Darunter summieren sie aber diverse Forderungen zu anderen Themen, wie zu einer biodiversitätsfreundlichen Landwirtschaft oder zur Schaffung «nachhaltiger, stabiler, gesunder und gut bezahlter Arbeitsplätze».
(https://www.nzz.ch/schweiz/strike-for-future-klimaaktivisten-planen-schweizweit-aktionen-ld.1624473)
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SOS Colombia Soliaktion bei Botschaft in Bern
An der kolumbianischen Botschaft in Bern haben wir ein „SOS Colombia“ Transparent aufgehängt und den Eingangsbereich mit rot-blau-gelber Schnur versponnen. Zudem wurde vor der Botschaft und in der Nachbarschaft Flyer verteilt, welcher auf die Proteste und massive Gewalt von Seiten des Staates aufmerksam macht.
https://barrikade.info/article/4483
Männerwelten im Tränengas
Bei aller Schwierigkeit, die Tumulte um Ostern irgendwie einzuordnen: Das Geschlechterverhältnis unter den Jugendlichen bietet Anlass für ein paar Gedanken zum Verhältnis von Männlichkeit und Gewalt und zur Sehnsucht nach Anerkennung.
https://www.saiten.ch/maennerwelten-im-traenengas/
+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Regierungsratsantwort auf Interpellation Geissbühler-Strupler (Herrenschwanden, SVP) Umsetzung der Ausschaffungsklausel mit 40 Prozent Ausnahmefällen?
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-f10f04c490e94abdb0f3f3ae4d292441.html
+++ANTITERRORSTAAT
Anti-Terror-Gesetz – Notwendig oder missbräuchlich?
Bundesrätin Karin Keller-Sutter will eine Lücke in der Terrorismusbekämpfung schliessen. Dies sei dringend nötig, um die Bevölkerung vor Attentaten zu schützen. Mit präventiven Massnahmen wie Kontaktverboten oder Hausarrest soll die Polizei gegen Gefährder vorgehen können, die eine Bedrohung darstellen. Für die Gegenseite ist das Gesetz missbräuchlich und willkürlich. Aufgrund von Verdachtsmomenten der Freiheit beraubt zu werden, verstosse gegen die Menschenrechte. Zudem werde die Gewaltentrennung verletzt.
https://www.telebaern.tv/talktaeglich/anti-terror-gesetz-notwendig-oder-missbraeuchlich-141676091
-> https://www.tele1.ch/nachrichten/anti-terror-gesetz-bundesraetinnen-besuchen-fedpol-141860989
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/karin-keller-sutter-niemand-der-an-demo-teilnimmt-ist-gefahrdet-65917286
+++BIG BROTHER
«Das geht zu weit»: Gastrobranche ruft zum Streik gegen neues Datengesetz auf
Seit Montag gilt im Kanton Bern die neue Gesetzesverordnung bezüglich der Datenerfassung. Dieses verlangt, dass ausnahmslos alle Restaurantbesucher ihre Personalien angeben müssen – diese werden ans Contact Tracing weitergegeben. Sollten die Daten eines Gasts fehlen, haftet der Gastrobetreiber. Für das Kollektiv «Gastrostreik Bern» eine Grenzüberschreitung.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/das-geht-zu-weit-gastrobranche-ruft-zum-streik-gegen-neues-datengesetz-auf-141861152
Das Kollektiv Gastrostreik Bern ruft zum «Datenstreik» auf
Ab heute, dem 10. Mai, sind Gastronomiebetriebe verpflichtet, Gästedaten täglich auf eine zentrale kantonale Datenbank zu übermitteln. Dem Kollektiv Gastrostreik Bern geht das zu weit: Es tritt in den «Datenstreik» und ruft dazu auf, seine Forderungen zu unterstützen.
http://www.journal-b.ch/de/082013/politik/3915/Das-Kollektiv-Gastrostreik-Bern-ruft-zum-%C2%ABDatenstreik%C2%BB-auf.htm
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Medienmitteilung: Das Kollektiv Gastrostreik Bern ruft zum «Datenstreik» auf und fordert Paradigmenwechsel beim Contact Tracing
Ab diesem Montag sind Gastronomiebetriebe verpflichtet, Gästedaten täglich und als Vorschussleistung an den Kanton zu liefern. Dies führt zu einem Datenkraken beim Kanton, mit Millionen besonders schützenswerten Personendaten – ohne dass überhaupt ein bestätigter Covid-Fall vorliegt, und ohne dass ein modernes System den Missbrauch aktiv ausschliesst. Dies geht uns zu weit: Wir treten in den «Datenstreik» und rufen dazu auf, unsere Forderungen zu unterstützen.
Aufruf zum Datenstreik
Per 10. Mai 2021 tritt die neue Verordnung in Kraft, die einen automatischen Datenaustausch der Gästedaten mit einer kantonalen «Datenkrake» vorschreibt – ein System das aus IT-Sicht vorsintflutlich ist und heute ganz einfach anders gelöst werden könnte (Stichworte Blockchain / dezentrale Speicherung, anonymisierte Speicherung etc.). Wir sind nicht bereit, einen so massiven, datenschützerisch äusserst bedenklichen Einschnitt in die Privatsphäre unserer Gäste zu akzeptieren. Deswegen treten wir in den «Datenstreik» und fordern unsere Branchenfreund*Innen auf, mitzumachen.
Wichtig: Wir haben grosses Verständnis für Betriebe, die aus Furcht vor Repressionen nicht bereit sind, das Weiterleiten der Daten zu bestreiken. Teilst du unsere Ansichten und Forderungen, möchtest dich aber nicht durch das Mitmachen beim Datenstreik exponieren? Dann zählen wir gerne auf dich als Unterstützer*In, ohne dass du die Datenweiterleitung bestreikst.
Paradigmenwechsel im Bereich Contact Tracing – Eigenverantwortung liegt bei den Gästen
Die aktuellen Regeln besagen, dass die Verantwortung für das Contact Tracing bei den Betreibenden von Gastro/Kulturlokalen liegt. Wir sind der Auffassung, dass Betreibende eine zu grosse Verantwortung tragen: Gäste müssen passiv & aktiv informiert und aufgefordert werden, ihre Angaben einzutragen (Self-Checkin). Dafür werden Gäste beim Eingang, an den Tischen, und aktiv durch das Personal darauf hingewiesen, dass die Registrierung obligatorisch ist. Dies final zu überprüfen ist aber kein gangbarer Weg – weder für die Betreibenden noch deren Personal, das durch diese Regeln einem enormen Druck ausgesetzt ist, welcher nichts mehr mit unserer Tätigkeit zu tun hat. Wir wollen unseren Gästen – besonders auch in Krisenzeiten – ein schönes Erlebnis bieten. In diesem Rahmen «Polizei» zu spielen ist falsch und definitiv nicht unsere Aufgabe. Wir fordern, dass die Eigenverantwortung für das korrekte Eintragen in Contact Tracing-Systemen bei den Gästen liegt – analog einer Self-Checkout-Kasse bei den Detailhändlern, wo sich auch der Gast strafbar macht, wenn er Waren stiehlt, und sich nicht an die Vorgaben hält.
Wir stehen hinter dem Contact Tracing und einem automatischen Datenaustausch
Uns ist es ein grosses Anliegen, kundzutun, dass wir das Erfassen von Kontaktdaten als wichtiges Mittel zur Bekämpfung der Pandemie sehen. Da die Behörden aufgezeigt haben, dass sie mit dem aktuellen System nicht in der Lage sind, ein Contact Tracing zu bewältigen, stehen wir auch einem automatisierten System positiv gegenüber. Was hier aber gebaut wird, ist eine zentrale Datenbank – diese ermöglicht beispielsweise das Erstellen präziser Bewegungsprofilen von Gästen. Ein praktikables System sollte datenschützend gebaut werden, so wie es heute bei besonders heiklen Personendaten state of the art ist: Mit einer «echten» Sicherheit gegen Missbrauch und nicht reinem besänftigen staatlicher Stellen, dass mit den Daten schon korrekt umgegangen werde. Es gilt, die Möglichkeit von Missbrauch technisch auszuschliessen, was heute einfach möglich ist, wie landesweit IT-Fachleute bestätigen.
Kollektiv Gastrostreik
Kontakt: gastrostreik@immerda.ch
(https://www.facebook.com/gastrostreikbern/photos/a.105863044725252/183728730272016/)
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derbund.ch 10.05.2021
Berner Tracing-Datenbank: Gastronomen rufen zum Datenstreik auf
Wirte müssen neu die elektronischen Kontaktdaten ihrer Gäste an den Kanton Bern weiterreichen. Dem wollen sich nun einige Gastronomen verweigern.
Sophie Reinhardt
Wer sass mit wem auf der Terrasse beim Kaffee oder Apéro und hat sich dabei vielleicht mit Corona infiziert? Damit das Contact-Tracing des Kantons effizienter wird, müssen Wirte seit Montag die Daten ihrer Gäste dem Kanton Bern täglich elektronisch übermitteln. Wie die Daten gesammelt und übertragen werden, ist Sache der Bars, Restaurants und Cafés – solange die Daten täglich auf den Servern des Kantons landen. Dieser speichert die Informationen dann in einer zentralen Datenbank – und ruft sie ab, wenn es zu einem Corona-Fall kommt.
Doch gegen dieses neue Vorgehen regt sich nun Widerstand. «Wir sind nicht bereit, einen so massiven, datenschützerisch äusserst bedenklichen Einschnitt in die Privatsphäre unserer Gäste zu akzeptieren», sagt Diego Dahinden, Gastronom und Pressesprecher Kollektiv Gastrostreik Bern. Das Kollektiv spricht in einer Medienmitteilung vom Montag von einer kantonalen «Datenkrake» und ruft die Berner Wirte dazu auf, in einen «Datenstreik» zu treten.
Die zum Streik aufrufenden Bars und Restaurants wollen zwar weiterhin die Kontaktdaten ihrer Gäste registrieren. Sie wollen die Daten aber wie bis anhin nur bei einem Covid-Fall unter den Gästen oder Mitarbeitenden an den Kanton weiterleiten.
«Uns geht es nicht darum, dass wir die Daten nicht erheben wollen», sagt Dahinden. «Was hier aber gebaut wird, ist eine zentrale Datenbank – diese ermöglicht beispielsweise das Erstellen präziser Bewegungsprofile von Gästen.»
Dahinden rechnet damit, dass sich rund ein Dutzend Berner Gastronomen dem Streik anschliessen. Bereits dazu bekannt haben sich vor allem alternative Beizen wie das Café Kairo und die Brasserie Lorraine, auch das Lehrerzimmer im Progr oder die Kantine der Hochschule der Künste, «Buffet Nord», bekundeten Sympathie mit dem Streik.
Wenig Verständnis für den «Datenstreik» zeigt man beim Kanton Bern. «Mit den neuen Öffnungsschritten gibt es nun halt auch neue Vorgaben», sagt Gundekar Giebel, Sprecher der bernischen Gesundheitsdirektion. Damit das Contact-Tracing-Team potenzielle Ansteckungsketten rasch erkennen könne, sei es unabdingbar, dass man nicht lange auf die Daten der Restaurationsbetriebe warten müsse.
Ob und, wenn ja, welche Sanktionen die betreffenden Gastronomen zu befürchten haben, will Giebel nicht sagen. Er stellt aber klar, dass der Kanton Bern über effiziente Druckmittel verfügt: «Wenn wir in Bälde über die nächsten Öffnungsschritte diskutieren, dann können wir sicher nur Unternehmen berücksichtigen, die sich an die Vorgaben halten», so Giebel.
Mehraufwand erwartet
Einen massiven Eingriff in die Privatsphäre kritisierte vor einigen Tagen auch die Stadtberner Bar- und Clubkommission. Rein praktische Bedenken hat dagegen der Verband Gastro Stadt Bern und Umgebung, der beim Datenstreik nicht mitmachen mag. «Wir befürchten, dass ein solcher Streik negative Konsequenzen für die ganze Gastronomie mit sich bringen würde», sagte Präsident Tobias Burkhalter. Doch auch er ärgert sich über die neue Reglung des Kantons. Für Gastronomen bringe sie einen grossen Mehraufwand: Einerseits müssten Wirte nun genau überprüfen, ob sich sämtliche Gäste auf den Terrassen in den Apps registriert und ihre Kontaktangaben hinterlegt hätten. «Und was ist, wenn jemand über kein Smartphone, Akku oder Empfang verfügt?», fragt Burkhalter rhetorisch. Dann müssten die Beizerinnen und Beizer die Daten selbst aufnehmen und dem Kanton täglich übermitteln.
«In Anbetracht der Tatsache, dass mir bis heute kein einziger Fall bekannt ist, wo ein Restaurant die Daten der Gäste herausgeben musste, ist der Mehraufwand immens», so Burkhalter. Er empfinde es zudem als unfair, dass der Kanton nun argumentiere, dass es zu Schwierigkeiten kam bei der Beschaffung der Daten bei Restaurantgästen. «Der Kanton hat jetzt die grosse Aufgabe des Contact-Tracings einfach an die Gastronomen abgegeben», so Burkhalter.
Datenschützer involviert
Die Berner Datenschutzaufsichtsstelle hat die kritisierte Datenbank bereits beurteilt und gutgeheissen. Das Epidemiengesetz reiche als rechtliche Grundlage dafür, sagt der kantonale Datenschutzbeauftragte Ueli Buri: «Aus Sicht des Bürgers ändert sich nicht so viel: Nun werden die Kontaktdaten beim Staat und nicht mehr bei den vielen Gastronomen gesammelt.»
Buri hat bisher aber lediglich das Konzept der Datenbank überprüft: «Wichtig war mir dabei, dass die Daten nach 14 Tagen wieder gelöscht werden und dass man nur nach Ort und Zeit suchen kann, nicht aber nach Personen.» Daher dürfte es nicht möglich sein, Bewegungsprofile zu erstellen – was die Kritiker ja befürchten.
Buri räumt indessen ein, dass die Datenbank so schnell aufgebaut wurde, dass die formelle Datensicherheitsdokumentation noch nicht vollständig vorliege. In den kommenden Wochen will der Datenschutzbeauftragte das Projekt deshalb begleiten: Prüfen will er dabei unter anderem, ob die Daten wirklich nach zwei Wochen gelöscht werden.
(https://www.derbund.ch/gastronomen-rufen-zum-datenstreik-auf-482641122605)
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bernerzeitung.ch 10.05.2021
Effizienteres Contact-Tracing: Beizen weigern sich, die Gästedaten automatisch zu übermitteln
Gegen die zentrale Contact-Tracing-Datenbank des Kantons regt sich Widerstand. Ein Stadtberner Kollektiv ruft zum «Datenstreik» auf.
Marius Aschwanden, Claudia Salzmann
Seit diesem Montag weiss die kantonale Gesundheitsdirektion, in welcher Beiz Sie wann einen Kaffee getrunken, einen Snack gegessen oder ein Abendessen genossen haben. Die Daten dazu jedenfalls hätte die Verwaltung. Denn seit dem 10. Mai müssen alle Restaurants und Bars die Check-in-Angaben ihrer Gäste – Name, Adresse, Telefonnummer – täglich an den Kanton übermitteln. Dort werden diese in einer zentralen Datenbank für 14 Tage gespeichert.
Mit dieser Änderung will die Gesundheitsdirektion das Contact-Tracing bei positiven Corona-Fällen effizienter gestalten. Die kantonalen Virusdetektive müssen dank der Datenbank die Kontaktangaben der Gäste nicht mehr aufwendig bei jedem Betrieb einzeln beschaffen. Dies hat insbesondere im letzten Sommer zu einigen Problemen geführt.
In der Stadt Bern regt sich jetzt aber Widerstand gegen das Vorhaben. Am Montag rief das Kollektiv mit dem Namen Gastrostreik zu einem Datenstreik auf. In der Medienmitteilung ist die Rede von einer «Datenkrake», die bei der Verwaltung geschaffen werde. Und dies, «mit Millionen besonders schützenswerten Personendaten – ohne dass überhaupt ein bestätigter Covid-Fall vorliegt und ohne dass ein modernes System den Missbrauch aktiv ausschliesst».
Datenschützer auch skeptisch
Als Mediensprecher des Kollektivs tritt Diego Dahinden auf. Er spricht von «einigen Dutzend Lokalen», die sich gegen die Änderung wehren. Ob sie alle sich auch am Streik gegen den automatischen Datenaustausch beteiligen, weiss er nicht. «Es ist jedem Betrieb selber überlassen, ob er das tut», sagt Dahinden. Eine Liste an Lokalen, welche die Daten nicht einreichen würden, gebe es nicht. Auch, um diese Betriebe vor Repressalien zu schützen.
Erstmals aufgetreten ist das Kollektiv im vergangenen Dezember. Damals organisierte es den Gastrostreik, bei dem sich eine breite Front von betroffenen Gastrobetrieben gegen das vom Bundesrat ausgesprochene «Berufsverbot» wehrte. Dahinden betont, dass er nicht für alle damals Beteiligten spreche. Zudem sei das Kollektiv nicht grundsätzlich gegen das Tracing. Die Daten sammeln auch die «streikenden» Betriebe weiterhin nach altem Vorgehen und bewahren sie bei sich auf.
Sogar einem automatisierten System stehe das Kollektiv positiv gegenüber. Nur müsse der Datenschutz wirklich gewährleistet sein. Dahinden glaubt nicht, dass dies aktuell so ist. Er sagt: «Die nun gebaute Datenbank ermöglicht beispielsweise das Erstellen präziser Bewegungsprofile von Gästen.»
Mit seinen Vorbehalten ist Dahinden nicht allein. Auch der Co-Präsident der Bar- und Clubkommission, Max Reichen, kritisierte den Kanton kürzlich massiv für das Vorhaben. Und selbst der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte ist skeptisch. So sagte etwa Silvia Böhlen von der Kommunikationsstelle im März, als diese Zeitung die Pläne publik machte: «Wenn so viele sensible Daten an einem Ort gespeichert werden, ist das immer ein grosses Risiko.»
Sie sprach auch von einer Systemumkehr: Während der Kanton bisher nur im Bedarfsfall – wenn es nachweislich zu einer Infektion gekommen ist – Zugriff auf die dezentral bei den Restaurantbetreibern gespeicherten Daten hatte, wird er dies künftig permanent haben. «Damit stellt sich die Frage der Verhältnismässigkeit, und es steigt auch die Gefahr von unerlaubten Zugriffen», so Böhlen.
Unverständnis beim Kanton
Die Berner Datenschutzstelle hingegen hat das Projekt beurteilt und gutgeheissen. Entsprechend verärgert ist Gundekar Giebel, Sprecher der Gesundheitsdirektion über den «Datenstreik». Unverständlich sei das, findet er. Die Datenschutzbedenken seien längst abgeklärt worden.
So können die Angaben etwa nur bei einem «konkreten gesundheitsrelevanten Ereignis zur raschen Eindämmung der Infektionskette» verwendet werden. Die Daten werden zudem verschlüsselt auf Servern in der Schweiz aufbewahrt und können einzig und allein durch das kantonale Contact-Tracing abgerufen werden. Eine Abfrage nach einzelnen Gästen schliesslich sei nicht möglich.
«Wir müssen jetzt gemeinsam einen Weg finden, wie die nächsten Lockerungsschritte erfolgreich umgesetzt werden können», sagt Giebel. Und dazu gehöre ein möglichst rasches und effizientes Contact-Tracing. «Bekommen wir das nicht hin, könnten die Restaurants unter Umständen nur eine kurze Zeit offen sein», so der Sprecher. Giebel appelliert schliesslich auch an die Verantwortung, die jeder tragen müsse. «Es ist ein Zusammenspiel von Gast, Betrieb und Kanton. Und dieses muss funktionieren.»
Giebel kündigt aber auch an, dass der Kanton nun nicht in den nächsten Tagen die Corona-Polizei in die streikenden Betriebe schicken werde. Nichtsdestotrotz könnten diese gebüsst werden.
(https://www.bernerzeitung.ch/beizen-weigern-sich-die-gaestedaten-automatisch-zu-uebermitteln-395675786123)
+++PRIVATE SICHERHEITSFIRMEN
tagesanzeiger.ch 10.05.2021
Private Sicherheitsdienste in Zürich: Sie sehen der Polizei zum Verwechseln ähnlich
In Zürich sind vermehrt bewaffnete Sicherheitskräfte unterwegs, die aussehen wie Polizisten in Vollmontur. Doch was dürfen sie überhaupt?
Anielle Peterhans
Dieses Foto verwirrt. Eine Gruppe Sicherheitsleute mit Schutzhelm, Schutzschild, Körperschutz und Schusswaffe bereitet sich auf ihren Einsatz am 1. Mai vor. «Briefing vor dem Einsatz», schreibt die Firma OE Investigation Services AG auf ihrer Facebook-Seite zu diesem Foto. Äusserlich unterscheiden sie sich kaum vom Sonderkommando der Polizei, das sich am selben Tag auf dem Helvetiaplatz aufgestellt hat. Dass diese einschüchternde Vollmontur auch von Sicherheitsleuten getragen werden kann, sorgt für Verwirrung.
Beim betroffenen Einsatz handelte es sich um den Schutz einer «religiösen Minderheit in Zürich», sagt Patrick Nussbaum, Mitgründer der Firma OE Investigation Services AG. Konkreter könne er nicht werden. Es handle sich aber um private Auftraggeber, welche seine Firma ganzjährig betreue.
Auf seine Sicherheitskräfte ist der diplomierte Sicherheitsfachmann und Prüfungsexperte stolz. Neben Diensthundeführern, Sanitätspersonal und unbewaffneten Sicherheitsspezialisten tragen 70 Prozent seiner Angestellten eine Waffe. Sie sind dazu befugt durch die eidgenössische Waffentragbewilligung. Lediglich Helm, Extremitätenschutz und Schutzschild kamen am 1. Mai hinzu. «Wir mussten an diesem Tag damit rechnen, in gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten zu geraten, und haben uns entsprechend aufgerüstet», sagt Nussbaum.
Nur Nothilfe und Notwehr
Auch Nussbaum sieht die Gefahr der Verwechslung mit den offiziellen Ordnungshütern. Seine Mannschaft sei deshalb auf Rücken und Arm klar mit «Sicherheitsdienst» gekennzeichnet. Zudem sei sein Personal gut geschult und werde laufend weitergebildet – mehr als gesetzlich gefordert werde. Alle Mitarbeitenden wüssten genau, über welche Kompetenzen sie verfügten und welche einzig der Polizei vorbehalten seien. Auch die Waffentragbewilligung werde von den Behörden laufend geprüft.
Denn entgegen dem Eindruck, den ihre Ausrüstung teilweise erweckt: Private Sicherheitsleute dürfen auf öffentlichem Grund nicht viel mehr tun als eine Zivilperson auch. Die Kompetenzen der privat beauftragten Sicherheitsleute ergeben sich aus dem Recht auf Notwehr und Nothilfe. Auch in Vollmontur können sie mutmassliche Delinquenten lediglich der Polizei melden.
Auf Privatgrund vertreten Sicherheitsleute das Hausrecht des Besitzers und können unerlaubte Personen wegweisen oder kontrollieren, sofern ein entsprechender Auftrag besteht.
Auftritt hat abschreckende Wirkung
Was Nussbaums Team weiss, wüssten Laien oft nicht, sagt Matthias Leese, Wissenschaftler am Center of Security Studies der ETH. Private Sicherheitsdienste dürfen auf öffentlichem Grund keine hoheitlichen Aufgaben wahrnehmen. Das heisst: nicht festhalten, nicht durchsuchen, keinen Ausweis verlangen und schon gar nicht die Waffe zücken.
Wieso dann diese Vollmontur? «Zur Abschreckung», sagt Leese. Wenn ein 1,90 Meter grosser Mann mit Waffe und Schlagstock auftrete, achte man sich nicht darauf, was auf dem Rücken stehe. Die Vollmontur ist aber erlaubt, sofern nachgewiesen werden kann, dass der Auftrag eine solche Ausrüstung erfordert.
Leese spricht von einem «Wildwuchs» an Sicherheitsdiensten in der Schweiz seit den 90er-Jahren. Schon 2015 gab es mehr als 800 private Sicherheitsfirmen mit über 20’000 Angestellten. Diese Zahlen erhob Matthias Bieri, ein ehemaliger Kollege von Leese an der ETH . Zu den bekanntesten gehören Securitas und Protectas. Im Kanton Zürich sind heute laut Sicherheitsdirektion 115 Sicherheitsfirmen angesiedelt.
Sicherheitsdienste überschritten in der Vergangenheit immer wieder mal ihre Kompetenzen, sagt Leese. Die privaten Wachleute bewegen sich beispielsweise bei Personenkontrollen in einer juristischen Grauzone. Besonders was öffentlich zugängliche Bereiche betrifft, die in privater Hand sind – wie Flughäfen, Einkaufszentren oder Fussballstadien.
Um die Sicherheit an Veranstaltungen zu gewährleisten, sind solche der Polizei vorbehaltenen Massnahmen aber erforderlich. In der Praxis gibt jede Besucherin und jeder Besucher einer Veranstaltung seine Einwilligung dafür beim Ticketkauf.
Zürcher Gesetz sei extra schlank gehalten
Der Kanton Zürich regelte die Problematik der privaten Sicherheitsdienste mit einer Anpassung im Polizeigesetz. Seit 2018 benötigen Sicherheitsfirmen in Zürich eine Betriebsbewilligung. Die Anforderungen an die Betriebe sind minimal. Ohne konkrete Hinweise auf Übertretung wird eine Firma nicht mehr kontrolliert. Das geht aus einer Anfrage im Kantonsrat 2019 hervor.
Das entsprechende Gesetz sei bewusst schlank gehalten und setze auf Eigenverantwortung, heisst es in der Antwort des Regierungsrats. Ein Sicherheitsmitarbeiter muss etwa Schweizer Bürger oder im Besitz einer Niederlassungsbewilligung sein, darf keine Vorstrafen haben und muss eine praktische und theoretische Ausbildung besucht haben. Inhalt und Umfang der Aus- und Weiterbildung bestimmt das Unternehmen. Nach aktuellem Stand sind im Gesamtarbeitsvertrag nur 20 Stunden Basisausbildung vorgesehen.
Auch zum Dresscode steht wenig im Zürcher Polizeigesetz. Einzig: Sicherheitsunternehmen und ihre Angestellten sind verpflichtet, «alles zu unterlassen, was zu ihrer Verwechslung mit Polizeiorganen führen oder die Arbeit der Polizei beeinträchtigen könnte».
Für seine Aufträge sieht Patrick Nussbaum kein Problem. Seine Firma arbeite an speziellen religiösen Feiertagen auch mit der Polizei zusammen. «Wir begrüssen uns, sprechen uns ab und regeln, wer bei einem Vorfall welche Funktion hat. Dabei tragen wir eine ähnliche Ausrüstung, sind nur anders angeschrieben», sagt Nussbaum. Die Zusammenarbeit funktioniere sehr gut. Professionelle Unternehmen wie seines würden ihren limitierten Handlungsspielraum kennen und sähen sich als Unterstützung.
Schweizweite Minimalstandards gefordert
Solche Auftritte in Vollmontur von privaten Sicherheitsleuten seien verwirrend, sagt hingegen Priska Seiler Graf. Die SP-Nationalrätin aus Kloten steht den privaten Sicherheitsdiensten kritisch gegenüber. «Das Gewaltmonopol liegt beim Staat und nirgendwo anders», sagt sie. Private Sicherheitsdienste müssten sich deshalb äusserlich von der Polizei klar unterscheiden.
Heikel seien auch die fehlenden Anforderungen an die Ausbildung. «Wenn man die Sicherheit schon privatisieren muss, sollte dafür gesorgt werden, dass diese Unternehmen ein besonders hohes Qualitätsniveau aufweisen», sagt Seiler Graf. Polizistinnen und Polizisten haben eine gute und spezifische Ausbildung. Sie werden auf ihre Aufgaben vorbereitet und haben die gesetzlichen Grundlagen dafür. Bei einigen Sicherheitsfirmen werde dafür momentan leider noch zu wenig gesorgt.
Seiler Graf hat deshalb schon 2016 schweizweite Minimalstandards für Sicherheitsfirmen gefordert. Ihr Vorstoss wurde 2019 vom Ständerat abgelehnt.
Auch der Verband Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB) und der Verband privater und öffentlicher Sicherheitsdienstleister Schweiz (VPOSS) unterstützen nach wie vor eine nationale Lösung.
Max Hofmann, Generalsekretär des VSPB, fordert klare Grenzen, was die Sicherheitsdienste machen können und was nicht. Die Ausbildung von privaten Sicherheitsdiensten sei nicht schlecht, aber limitiert und konzentriert. «Wenn der Polizist etwas macht, geniesst er Legitimität. Jeder weiss, wie die gesetzliche Lage ist.» Bei einer privaten Firma sei das bis heute nicht allen klar, sagt Hofmann.
Sogar Daniel Beck, Vizepräsident des VPOSS, würde schweizweite Minimalstandards begrüssen. Das Sicherheitsbedürfnis der Leute steige. «Wir übernehmen Aufgaben, für die die Polizei keine oder wenig Kapazität hat», sagt Beck. Private Sicherheitsdienste würden jedoch nicht immer goutiert. Das sei eine heikle Gratwanderung.
Der Verband setze sich bei seinen Mitgliedern für eine gute Aus- und Weiterbildung ein. Es gebe aber immer wieder schwarze Schafe unter den Firmen, sagt Beck. «Durch schlecht ausgebildetes und ungeschultes Personal gerät unsere ganze Branche in Verruf.»
Bezüglich Dresscode hat Beck weniger Bedenken: Jeder gute Sicherheitsdienst werde sich hüten, in die polizeiliche Hoheit einzugreifen. Wer seine rechtlichen Kompetenzen auf öffentlichem Grund überschreite, sei seine Bewilligung schnell wieder los.
Auch Patrick Nussbaum hofft, dass die schwarzen Schafe in der Branche besser kontrolliert werden. Ihretwegen sieht auch Nussbaum eine bundesweite Regelung hinsichtlich der Kennzeichnung von Vorteil. Er und seine Firma OE Investigation Services AG haben derweil alle Hände voll zu tun. Seine Leute sorgen neben anderen Aufträgen gerade an Zürcher Impfzentren für Sicherheit.
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Kantönligeist verhindert einheitliche Lösung
Die Westschweizer Kantone haben bereits 1996 ein Konkordat über Sicherheitsunternehmen geschlossen. So gelten kantonsübergreifend gleiche Anforderungen, wenn Sicherheitsfirmen eine Bewilligung erteilt wird. Einen ähnlichen Vertrag haben mehrere Deutschschweizer Kantone im Jahr 2010 angestossen. Dem Konkordat über private Sicherheitsdienstleistungen (Küps) traten jedoch nur zehn Kantone bei. Der Kanton Zürich befand sich nicht unter ihnen. Die interkantonale Übereinkunft ist bis heute nicht in Kraft. Das Binnenmarktgesetz besagt, dass eine private Sicherheitsfirma ihre Dienstleistungen schweizweit gemäss dem Recht ihres Sitzkantons anbieten kann. So bestehe das Risiko, dass der Kanton mit dem niedrigsten Regelungsniveau den Standard für die gesamte Schweiz vorgibt, sagen Befürworter einer einheitlichen Lösung. (anp)
(https://www.tagesanzeiger.ch/private-sicherheitsleute-machen-der-polizei-konkurrenz-282357158449)
+++POLICE BE
Regierungsratsantwort auf Interpellation Ammann (Bern, AL) Pressearbeit bei Polizeieinsätzen – Wegweisungen von Journalist*innen und Hinderung am Filmen der Polizeiarbeit.
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-f10f04c490e94abdb0f3f3ae4d292441.html
+++POLIZEI CH
kkpks.ch 10.05.2021
12 Schusswaffeneinsätze im Jahr 2020 verzeichnet – Einsätze mit Elektroimpulspistolen steigen weiter leicht an
Die Schweizer Polizeikorps haben 2020 insgesamt 12 Schusswaffeneinsätze verzeichnet. Das sind drei Einsätze weniger als im Vorjahr. Weiter angestiegen ist die Zahl der Einsätze mit Elektroimpulspistolen. Diese mussten 96 Mal ausgelöst werden, im Vorjahr waren es noch 73 Einsätze gewesen.
Die Schweizer Polizeikorps haben im vergangenen Jahr insgesamt 12 Schusswaffeneinsätze gemeldet. Im Jahr 2019 waren es 15 Schusswaffeneinsätze. Die Hälfte der Einsätze erfolgte im Rahmen der Gefahrenabwehr auf Tiere oder auf Fahrzeuge. Insgesamt drei Personen wurden bei einem Schusswaffeneinsatz tödlich verletzt. Im Vorjahr war es ein tödlicher Schusswaffeneinsatz.
Die Zahl der Einsätze mit Elektroimpulspistolen hat sich gegenüber den Vorjahren weiter erhöht. Insgesamt 96 Mal wurden die Elektroimpulspistolen eingesetzt. Das sind 23 Einsätze mehr als im Vorjahr. Zudem wurde der Einsatz der Elektroimpulspistole in 87 weiteren Fällen angedroht, musste allerdings nicht eingesetzt werden, um die Lage zu stabilisieren. Diese insgesamt 183 Einsätze mit Elektroimpulspistolen entsprechen einem leichten Anstieg von 7.6% (Vorjahr: 170 Einsätze).
(https://www.kkpks.ch/de/aktuell/news)
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/3-tote-bei-12-einsaetzen-polizei-greift-weniger-zur-schusswaffe-dafuer-mehr-zum-taser
-> https://www.derbund.ch/polizei-hat-weniger-schusswaffen-eingesetzt-als-im-vorjahr-338324874264
Polizei beschränkt sich aufs Beobachten – Tagesschau
Demonstrationen von mehreren tausend Menschen können von der Polizei kaum aufgelöst werden, wenn die Polizei das Prinzip der Verhältnismässigkeit einhält. Das sorgt für Unmut – auch beim Präsidenten der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/polizei-beschraenkt-sich-aufs-beobachten?urn=urn:srf:video:80f76756-0c86-46ae-81a5-7aba21b9b41a
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/einsaetze-bei-menschenmassen-warum-setzt-die-polizei-massnahmen-nicht-durch-fredy-faessler
+++QUEER
Schwulenhass im Rap – Homophobie muss nicht sein – auch im Schweizer Rap
US-Rapper Lil Nas X hat mit seinem Song «Montero (Call Me By Your Name)» die Homophobie-Debatte neu befeuert. Wäre so ein Song auch in der Schweiz denkbar?
https://www.srf.ch/kultur/musik/schwulenhass-im-rap-homophobie-muss-nicht-sein-auch-im-schweizer-rap
+++RASSISMUS
antira-Wochenschau: Rassistische Vorlagen im Nationalrat, Impfzwang für Sans-Papiers, Obdachlos wegen Bleiberecht
https://antira.org/2021/05/10/rassistische-vorlagen-im-nationalrat-impfzwang-fuer-sans-papiers-obdachlos-wegen-bleiberecht/
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Eine Festnahme, zehn Anzeigen und viele offene Fragen: Das Fazit der Polizei zur illegalen Demo in Aarau
Zwei Tage nach der illegalen Demo in Aarau beantwortet die Kapo Aargau einige Fragen zum Einsatz – andere wiederum lässt sie unbeantwortet. Offen ist etwa die Frage, ob die illegal Demonstrierenden mit irgendwelche Konsequenzen rechnen müssen.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/coronaskeptiker-eine-festnahme-zehn-anzeigen-und-viele-offene-fragen-das-fazit-der-polizei-zur-illegalen-demo-in-aarau-ld.2135279
«Nein, das war kein gelungener Einsatz» – SP-Grossrätinnen kritisieren Polizeidirektor und Parteikollege Dieter Egli
Die Polizei versuchte am Samstag nicht, die illegale Demo der Coronaskeptiker in Aarau gewaltsam aufzulösen. Sie konnten kreuz und quer durch die Stadt marschieren. SP-Grossrätinnen kritisieren nun den Einsatz.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/coronaskeptiker-illegale-demo-in-aarau-sp-grossraetinnen-kritisieren-polizeieinsatz-und-den-eigenen-polizeidirektor-ld.2135251
Faustschläge und Kopfstösse gegen Polizisten in Aarau: Wie konnten Corona-Skeptiker diese Festnahme verhindern?
Polizisten wurden mit Fäusten und Kopfstössen attackiert, ein festgenommener Aktivist gewaltsam befreit. Bei der Corona-Demo am Samstag in Aarau richtete sich die Wut mancher Demo-Teilnehmer gegen die Beamten. Trotzdem hielt sich die Aargauer Polizei zurück.
https://www.blick.ch/schweiz/faustschlaege-und-kopfstoesse-gegen-polizisten-in-aarau-wie-konnten-corona-skeptiker-diese-festnahme-verhindern-id16514739.html
Querdenken-Demos: „Aggression definitiv gestiegen“
Paul Christoph Gäbler war als Journalist bereits bei vielen Querdenken-Demos. „An ruhigen Tagen bleibt es bei Pöbeleien, es kann aber auch schnell mal eskalieren“, sagt er. „Ich versuche, mich darauf zu fokussieren, was die Leute da hingetrieben hat.“
https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-mittagsecho/audio-querdenken-demos-aggression-definitiv-gestiegen-100.html
+++HISTORY
Insta-Serie «Vergiss mich nie» – «Die junge Generation muss an die Verdingkinder erinnert werden»
Die Instagram-Serie über das fiktive Verdingkind Anna soll eine junge Generation auf das Thema aufmerksam machen.
https://www.srf.ch/kultur/film-serien/insta-serie-vergiss-mich-nie-die-junge-generation-muss-an-die-verdingkinder-erinnert-werden