Medienspiegel 9. Mai 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++OBWALDEN
Straffällige Asylbewerber vom Glaubenberg: Regierung setzt auf Umplatzierung
In der Antwort auf eine Interpellation liefert die Regierung Fakten und Zahlen zu Straftaten von Asylbewerbern und begründet, warum sie keine Rayonverbote verhängt.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/obwalden/obwalden-straffaellige-asylbewerber-vom-glaubenberg-regierung-setzt-auf-umplatzierung-ld.2133839
-> Interpellation: https://www.ow.ch/de/politik/kantonsratmain/politbusiness/?action=showinfo&info_id=76849&uuid=4f3663950a7842debd6c58d77b582cea


+++SCHWEIZ
Sonntagszeitung 09.05.2021

Militärjustiz verurteilt Grenzwächter: Schulter an Schulter der schwangeren Syrerin die Hilfe verweigert

Drei Grenzwächter haben sich in Brig während einer Rückschaffung der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht. Das Strafverfahren zeigt, wie das hierarchische System versagte.

Martin Stoll

Der 4. Juli 2014 war eine Zäsur im Leben dieser ganz unterschiedlichen Menschen: der 5-köpfigen Flüchtlingsfamilie J., die in einem Boot übers Mittelmeer vom Bürgerkrieg in Syrien geflüchtet war. Sie versuchte an jenem Tag mit dem Zug via Italien und die Schweiz zu Familienangehörigen nach Duisburg, Deutschland, zu gelangen.

Dieser Freitag war auch ein Einschnitt im Leben von langjährigen Schweizer Grenzwächtern. Diese waren an jenem warmen Sommertag mit der Rückführung von 36 Flüchtlingen, 18 Erwachsenen und 18 Kindern, nach Italien beauftragt. Die Gruppe, darunter auch die Familie J., war an der schweizerisch-französischen Grenze in Pontarlier (F) wegen fehlender Papiere aus dem Transitzug EN 220 Venedig–Paris geholt worden.

Als dieser lange Tag zu Ende ging, erlitt die im siebten Monat schwangere Suha J. im Ospedale San Biagio in Domodossola (I) eine Totgeburt. Sechseinhalb Jahre nach dem aufsehenerregenden Vorfall sind jetzt drei an der Rückschaffung beteiligte Grenzwächter von der zuständigen Militärjustiz wegen fahrlässiger Körperverletzung und Nichtbeachten von Dienstvorschriften bestraft worden. Die öffentlich nicht bekannten Verfügungen des Oberauditorats belegen ein kollektives Wegschauen und die Weigerung der Grenzwächter, der in Not geratenen Frau Hilfe zu leisten.

Mit der Rückschaffung der Flüchtlinge nach Italien, dem letzten bekannten Gastland der Flüchtlingsgruppe, wurden in einer ersten Phase fünfzehn in Lausanne und Vallorbe stationierte Grenzwächter beauftragt. Ein Konvoi mit sieben Kleinbussen startet in Vallorbe kurz vor Mittag. Die Fahrt auf der A9 über Lausanne nach Brig verlief nicht reibungslos. Die Stimmung war angespannt.

Das jüngste Kind der Familie J. erbrach sich im Auto des Einsatzleiters, auch einer älteren Frau wurde übel. Doch die Zeit drängte, in Brig sollte die Gruppe um 14.44 Uhr in den Zug nach Domodossola gesetzt werden. «We are not animals» (Wir sind keine Tiere), beschwerte sich ein Flüchtling laut dem Untersuchungsbericht der Militärpolizei beim Einsatzleiter.

Gegen 14 Uhr, der Flüchtlingstross liess Leuk gerade hinter sich, klagte Suha J. bei ihrem Mann Omar über Bauchschmerzen. Sie müsse sich gedulden, man werde bald ankommen, beruhigte der damals 32-jährige Gymnasiallehrer aus Aleppo seine Frau.

In den Zug getragen

Doch die Situation spitzte sich dramatisch zu. Da der Eurocity, mit dem die Syrer nach Italien zurückgeschafft werden sollten, komplett überfüllt war, warteten die Flüchtlinge und rund 20 Grenzwächter und Polizisten zwei Stunden auf den Anschluss. In der offenen Zelle Nummer 1 im Grenzwachtposten von Brig legte sich die zunehmend unter wehenähnlichen Schmerzen leidende Suha J. auf eine Holzbank.

Mehrmals und gegenüber verschiedenen Personen habe Omar J. um medizinische Hilfe für seine schwangere Frau gebeten. «Es wurde allerdings keine medizinische Hilfe auf den Grenzwachtposten geholt», heisst es in den Strafbefehlen.

Man habe ihm gesagt, aus zeitlichen Gründen könne man keinen Arzt rufen, gibt Omar J. in der Untersuchung zu Protokoll. Er habe keine Dringlichkeit erkannt, sagt einer der um Hilfe angegangenen Grenzwächter. Andere haben den verzweifelten Syrer («Doktor, Doktor») an den Einsatzleiter verwiesen.

Dieser blieb hart – selbst als er von Untergebenen darauf hingewiesen wurde, dass die Frau unter schweren Schmerzen in den Zug nach Domodossola getragen werden müsse. «Verlade jetzt», war seine Antwort.

Widerstand wäre Pflicht gewesen

In dieser Situation hätten die Grenzwächter Zivilcourage entwickeln müssen. Sie hätten nicht mehr auf die hierarchische Organisation abstützen dürfen. Es wäre ihre Pflicht gewesen – auch gegen den Willen des Chefs – medizinische Hilfe anzufordern, befand die Militärjustiz. Weil sie dies nicht getan hatten, wurden die Grenzbeamten im Februar und März zu einer Geldstrafe von je 30 Tagessätzen zwischen 100 und 200 Franken (3000 bis 6000 Franken) verurteilt.

Der in Brig verantwortliche Einsatzleiter ist bereits im November 2018 in einem Gerichtsverfahren in Zürich zu einer ebenfalls bedingten Geldstrafe in der Höhe von 150 Tagessätzen à 150 Franken (22’500 Franken) verurteilt worden. Im Rückblick bedauern die verurteilten Grenzer ihr Verhalten: Er hätte sich ernsthafter um die Sache kümmern müssen, sagt einer.

Anzeige erstattet hat Dina Raewel, die Anwältin der Opferfamilie. Sie sei der Überzeugung gewesen, dass nicht nur der Ranghöchste zur Rechenschaft gezogen werden müsse, sondern auch diejenigen, die tatenlos zugeschaut hätten, «wie eine hochschwangere Frau mit massivsten Schmerzen und Blutungen wie ein Stück Vieh in den Zug nach Domodossola ‹verladen und verfrachtet› wurde», sagt sie. Mit den Urteilen habe die Familie J. eine gewisse Genugtuung erfahren.

Zudem sei jetzt klar: «Ein Handeln in einer solchen Situation obliegt jedem – vom einfachen Feldweibel bis zum General.»



Bund prüft Unterstützung der Verurteilten

Laut Bundespersonalverordnung kann die Verwaltung ihren Mitarbeitenden Kosten eines Verfahrens erstatten, wenn dieses mit der dienstlichen Tätigkeit zusammenhängt. Auch in diesem Fall hat der Bund geprüft, ob die verurteilten Grenzwächter finanziell unterstützt werden sollen. Ob Verfahrenskosten übernommen wurden, lässt das Generalsekretariat des Finanzdepartements «aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes» offen. Zudem sei die Frage der Kostenübernahme noch nicht in allen Fällen entschieden.

Unklar ist auch, ob die betroffene Flüchtlingsfamilie von der Eidgenossenschaft finanziell entschädigt wird. Ueli Maurers Finanzdepartement hat sich dagegen gewehrt, obwohl eine interne Analyse der Zollverwaltung festgehalten hat, dass eine Genugtuung von bis zu 10’000 Franken gerechtfertigt wäre. Der Fall ist vor Bundesverwaltungsgericht hängig.

Nach dem Vorfall in Brig hat die Zollverwaltung immerhin Massnahmen ergriffen, die eine solche Tragödie künftig verhindern sollen. So sind die Erkenntnisse aus dem Fall als Praxisbeispiel in die Ausbildung integriert worden. In Vallorbe, Lausanne und Brig sei zudem ein Netzwerk mit Ärzten aufgebaut worden, die in Notfällen vor Ort Hilfe leisten könnten, teilt die Zollverwaltung mit.
(https://www.derbund.ch/schulter-an-schulter-die-hilfe-verweigert-441877745306)



Totgeburt bei Ausschaffung von Syrerin: Drei weitere Verurteilungen
Die Militärjustiz hat drei weitere Grenzsoldaten verurteilt, nachdem eine syrische Frau bei einer Abschiebung im Sommer 2014 eine Fehlgeburt erlitten hatte. Sie hätten Zivilcourage zeigen und gegen den Willen ihres Vorgesetzten eine Ambulanz rufen müssen, urteilten die Richter.
https://www.watson.ch/schweiz/asylgesetz/920066221-totgeburt-bei-ausschaffung-von-syrerin-drei-weitere-verurteilungen
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/drei-weitere-verurteilungen-wegen-totgeburt-nach-ruckschaffung-65923680


++++ITALIEN
Fast 1.000 Migranten auf Lampedusa eingetroffen
Fünf Boote gelandet. Rechtsparteien fordern Seeblockade
https://www.derstandard.at/story/2000126506238/415-migranten-auf-lampedusa-eingetroffen
-> https://www.nau.ch/news/europa/1200-bootsmigranten-erreichen-mittelmeerinsel-lampedusa-65923843


+++GRIECHENLAND
Proteste im Camp Skaramagas
Geflüchtete im Camp Skaramagas in Athen sind besorgt. Das Camp soll geschlossen werden. Die Bewohner haben deswegen protestiert. Was wird aus ihnen? Bamdad Esmaili hat den Protest beobachtet.
https://www1.wdr.de/nachrichten/wdrforyou/deutsch/wdrforyou-protest-im-camp-skaramages-de-100.html


+++MITTELMEER
Bischof Wüstenberg: Die Retter haben mich sehr beeindruckt
Menschenfischer im Wortsinne: Der emeritierte Bischof Michael Wüstenberg hat das Rettungsschiff „Sea-Eye 4“ auf ihrer ersten Fahrt begleitet. Im Interview erzählt er von den jungen Menschen, die „nichts mit Kirche am Hut“ haben, aber dennoch christliche Werte leben.
https://www.katholisch.de/artikel/29767-bischof-wuestenberg-die-retter-haben-mich-sehr-beeindruckt


+++FLUCHT
Corona und Migration: An das Sterben gewöhnt
Während Europa sich nur um sich selbst kümmert, weichen subsaharische Migrant:innen immer öfter auf die gefährliche Atlantikroute aus. Von Emmanuel Mbolela.
https://www.medico.de/blog/an-das-sterben-gewoehnt-18170


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
bernerzeitung.ch 09.05.2021

Stadt Biel machte Druck: Fahrende kommen Räumung zuvor

Am Mittwoch hätte eine Gruppe von Fahrenden einen städtischen Parkplatz verlassen müssen. Erst am Sonntag machten sie dies schliesslich.

Lea Stuber

Der Parkplatz neben dem Fussball- und Eishockeystadion in der Industriezone am Rande von Biel war von Montagnacht bis Sonntagnachmittag ihr Zuhause. Mit etwa 60 bis 80 Fahrzeugen war eine Gruppe ausländischer Fahrender bei der Tissot-Arena stationiert.

Jetzt sind sie weg. Damit haben fast alle Fahrenden Biel verlassen, nur kleinere Gruppen an anderen Orten sind noch da.

Und die Stadt Biel, die Eigentümerin des Grundstücks, hat ihr Ziel erreicht. Sie hatte der Gruppe vergangene Woche eine Frist gesetzt, wie das «Bieler Tagblatt» (BT) berichtete. Bis am Mittwoch um acht Uhr morgens hätte sie abreisen müssen. Doch die Fahrenden, die bereits die letzten Wochen und Monate ganz in der Nähe auf einem anderen Grundstück der Stadt lebten, sind nicht gegangen. Gegenüber dem Fernsehsender TeleBärn begründete dies ein Fahrender damit, dass es für Fahrende nicht genügend Plätze gebe.

Die Stadt Biel hat Geldbussen ausgesprochen, pro Wohnwagen 500 Franken. Hinzu kamen wiederholte Parkbussen à mindestens 40 Franken, wegen illegalen Parkierens auf öffentlichem Grund.

Der Bieler Sicherheitsdirektor Beat Feurer (SVP) hatte erwartet, dass die Bussen Wirkung zeigen und die Fahrenden das Gelände verlassen würden. «Die Fahrenden haben die Dringlichkeit der Situation wohl erst jetzt verstanden», sagte er am Sonntagabend gegenüber dieser Zeitung.

Biel sieht bei illegalen Landbesetzungen die Wegweisung der Fahrenden vor. Wird das besetzte Gelände in der gesetzten Frist nicht verlassen, erstattet die Stadt Anzeige, wie sie es auch in diesem Fall getan hat.

«So schwierig wie jetzt war es schon viele Jahre nicht mehr», sagt Feurer. So sei in Zusammenarbeit mit der Kantonspolizei bereits eine Räumung des Geländes – als letzte Massnahme – vorbereitet worden, sagt Feurer.

Besonders viele Fahrende in Biel

In und um Biel seien in letzter Zeit mehr Fahrende unterwegs gewesen als in den letzten Jahren. Nämlich mehrere Gruppen mit insgesamt 120 bis 150 Gespannen, schätzt Feurer. Einen möglichen Grund sieht er in den strikteren Corona-Einschränkungen in anderen Ländern; etwa in Frankreich fielen dadurch viele Betätigungsmöglichkeiten weg.

Dass es in der Region zu wenige Standplätze für Fahrende gibt, will auch Feurer nicht abstreiten. Mehr Plätze würden die Situation entschärfen. «Die Strategie der Stadt Biel hat Geduld, viel Energie und einen grossen zeitlichen Aufwand gefordert. Für den Moment ist sie aufgegangen. Sicher ist aber, dass die Fahrenden die Region weiterhin beschäftigen werden», sagt Beat Feurer.
(https://www.bernerzeitung.ch/jetzt-droht-die-stadt-mit-der-raeumung-828789945966)


+++FREIRÄUME
Berner Hausbesetzer laden ihre Familien zum Muttertag ein
Ein Kollektiv besetzt eine ehemalige Schreinerei in Bern. Diese Woche hätten sie das Gebäude räumen sollen. Stattdessen durften sie die Eltern einladen.
https://www.nau.ch/news/schweiz/berner-hausbesetzer-laden-ihre-familien-zum-muttertag-ein-65919256



bernerzeitung.ch 09.05.2021

Lakuz in Langenthal: Auch die Gründer sind erwachsen geworden

Seit 20 Jahren engagieren sich junge Menschen im autonomen Kulturzentrum. Den Geburtstag können sie zwar nicht feiern, aber neue Projekte gibt es immer.

Christian Röthlisberger

Im bunten Haus an der Langenthaler Farbgasse ist es still. Seit dem Spätherbst ist das Lakuz geschlossen, keine Konzerte, keine Veranstaltungen, keine Aktivitäten. Das grosse Nichts – und das mitten in den Vorbereitungen der Geburtstagsfeierlichkeiten, die man Anfang April 2021 ausrichten wollte.

Die Geschichte des Lakuz beginnt Ende der 1990er-Jahre. In den grösseren Städten waren alternative und autonome Kulturzentren längst etabliert, so zum Beispiel die Reitschule in Bern (1981), die Rote Fabrik in Zürich (1980) oder der Sedel in Luzern (1981).

«Es war höchste Zeit, dass auch in Langenthal ein solcher Ort geschaffen wird», sagt Serge Wüthrich, einer der Mitgründer des Lakuz und bis Ende 2020 Grünen-Stadtrat von Langenthal, rückblickend. Am 1. April 2001 erhielten die Initianten den Schlüssel für das heutige Lakuz.

Auflagen nicht umsetzbar

Zur aktuellen Situation mit der Pandemie sagt Wüthrich, der immer noch aktiv mit dabei ist: «Jammern hilft nicht. Wir sitzen alle im gleichen Boot. Die Auflagen waren für uns zwar nachvollziehbar, aber für unser offenes und lebendiges Haus einfach nicht umsetzbar.»

So haben die Verantwortlichen des Lakuz das Geburtstagsfest schweren Herzens auf nächstes Jahr verschoben und die Saison 2020/2021 schon im Spätherbst abgebrochen. Da man keine Löhne zu zahlen habe, sei das eine leichte Entscheidung gewesen.

Das Programm für das Fest sei zu 80 Prozent fertig gewesen, sagt Samuel Deubelbeiss, der sich um die Koordination der Feierlichkeiten kümmert: Zwei Wochenenden waren geplant, mit Konzerten, Graffiti-Workshops, einem antifaschistischen Buurezmorge, einer Ausstellung zur Lakuz-Geschichte, Filmen, Essen und Trinken.

Aber auch ohne Feier sei man jetzt wohl erwachsen geworden, bemerkt Serge Wüthrich: «Nach den ersten Festen waren wir selber etwas unsicher, wie lange es uns noch geben wird. Heute ist es ein anderes Gefühl, ein stabileres.» Die Ziele seien immer noch die gleichen wie bei der Gründung vor 20 Jahren: ein offener Kultur- und Begegnungsort, basisdemokratisch in Vollversammlungen organisiert, nicht kommerziell. Das habe sich gut gehalten, sagt er. So seien immer noch 20 bis 60 junge Menschen ehrenamtlich engagiert.

Andere Konsumhaltung

Allerdings sagt Wüthrich auch selbstkritisch: «Die Jungen haben eine stärker ausgeprägte Konsumhaltung als wir aus der Gründergeneration.» Das politische Bewusstsein habe abgenommen, man spüre, dass sie sich das Haus nicht selbst erstreiten mussten. «Daran müssen wir arbeiten.»

Die meisten der Engagierten sind in den Dreissigern, einige in den Vierzigern. Von den Gründern ist Serge Wüthrich noch der einzig Verbliebene: «Viele sind weggezogen, haben eine Familie gegründet oder was auch immer jemand sonst für einen Weg gegangen ist.» Die Gruppe sei sehr divers aufgestellt – damals wie heute.

Verändert habe sich vor allem die Infrastruktur, die man laufend verbessert habe, und zwar in Fronarbeit und mit selbst erwirtschafteten Eigenmitteln. Subventionen von der Stadt erhält das Lakuz nicht direkt, einzig die Miete wird dem umtriebigen Verein von der Stadt erlassen.

Inhaltlich, so Wüthrich, hat sich in den 20 Jahren vieles gefestigt: «Wir sind nach wie vor eine offene Plattform für junge Kultur, wo sich alle einbringen können und wo man lernen kann, wie Basisdemokratie funktioniert.» Diese werde nach dem Konsensprinzip gelebt – man diskutiere, bis alle hinter einem Projekt stünden. Dieses Organisationsprinzip gehöre heute zur DNA des Hauses.

Eine weitere Konstante sei der Wandel. Es gebe immer wieder neue Projekte, die hier angerissen würden, sagt Serge Wüthrich. «Die neuste Idee ist eine kleine Siebdruckanlage, wir werden sehen, ob das klappt.»
(https://www.bernerzeitung.ch/auch-die-gruender-sind-erwachsen-geworden-257890949928)



Sihlquai 280 und 282 besetzt!
Zürich ist hässig! Wieder wird Wohnraum vernichtet – wir holen ihn uns zurück.
https://barrikade.info/article/4482
-> https://twitter.com/ajour_mag/status/1391444425579106310
-> https://www.20min.ch/story/unbekannte-besetzen-coop-haeuser-am-sihlquai-639155179620


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Zürcher Gericht muss entscheiden: Dürfen Klimaaktivisten im Notfall das Gesetz brechen?
Rechtfertigt der Klimanotstand zivilen Ungehorsam? Über diese Frage muss am Mittwoch das Zürcher Bezirksgericht entscheiden. Angeklagt sind neun Klimaaktivisten.
https://www.watson.ch/schweiz/justiz/446707522-klimaaktivisten-vom-paradeplatz-muessen-nach-cs-aktion-vor-gericht


+++POLIZEI CH
Sonntagszeitung 09.05.2021

Konflikt unter Motorradclubs: Hells Angels haben genug von Polizisten als Rocker

Immer öfter entstehen Clubs, die von Polizisten und anderen Gesetzeshütern gegründet wurden. Den Platzhirschen wird das langsam zu viel.

Cyrill Pinto

Sie heissen Blue Knights, Punishers oder Gunfighters. Auf den ersten Blick sehen ihre Mitglieder auf den schweren Töffs, bekleidet mit Lederkutten und Totenkopf-Emblemen, aus wie die bösen Jungs anderer Motorrad-Clubs. Doch die Freizeitrocker der «Blauen Ritter», «Bestrafer» und «Waffenkämpfer», wie die Clubs übersetzt heissen, sind in ihrem Beruf Polizisten, Security-Mitarbeiter oder Feuerwehrleute.

Gemeinsam bilden sie in der Töff-Szene eine eigene Gruppe, die sogenannten Law Enforcement Motorcycle Clubs (LEMC), also die Gesetzeshüter unter den Motorrad-Clubs. Zwar distanzieren sich diese klar von den tonangebenden Clubs wie den Hells Angels. Trotzdem respektieren sie die ungeschriebenen Regeln der Gemeinschaft, die strikt ihre eigenen Gesetze, Codes und Hierarchien befolgt. In der Schweiz besagen diese, dass die Hells Angels über die Regeln der Szene wachen und darüber entscheiden, wer einen neuen Club eröffnen darf und wer nicht. Damit soll verhindert werden, dass es zu Gewalt zwischen den Clubs kommt, wie dies im Ausland regelmässig geschieht.

Polizisten und Hells Angels schlossen ein Agreement

Zur ersten, denkwürdigen Begegnung zwischen den Töff fahrenden Polizisten und den berüchtigten Hells Angels kam es vor 20 Jahren: Ein Gründungsmitglied der Blue Knights setzte sich mit «Bobo», dem damaligen Chef der Zürcher Hells, an einen Tisch und verhandelte über die Gründung des ersten LEMC der Schweiz. Gemeinsam legten sie die Spielregeln fest – die seither beide Seiten befolgen. «Ja, mit den Blue Knights haben wir ein Agreement», bestätigt Hemi, der heutige Präsident der Hells Angels Zürich.

Das Problem aber ist: Mittlerweile gibt es weitere Polizisten-Töffclubs in der Schweiz: Neben den Gunfighters und den Punishers ist auch der Shot Gun LEMC aktiv. Als Polizisten wollen sie sich nicht den Hells Angels unterordnen, respektieren aber dennoch die Regeln der MC-Szene. Manche von ihnen wurden schon von Mitgliedern der Hells Angels mit dem Tod bedroht. Eskaliert ist die Situation bislang aber nie. «Wir suchen keine Konflikte, noch stören wir andere Clubs», schreiben die 2010 gegründeten Gunfighters auf ihrer Website.

Doch den Hells Angels, den unbestrittenen Platzhirschen der Schweizer Motorrad-Szene, wird das alles zu viel. «Mehr Law Enforcement Clubs als die Blue Knights braucht es in der Schweiz nicht», sagt Clubpräsident Hemi. Aus seiner Sicht sind «Polizisten, die in ihrer Freizeit Rocker spielen, doch eher schizophren». Der Präsident der Hells Angels fragt: «Was macht es für einen Sinn, einen Lebensstil, den man beruflich bekämpft, in seiner Freizeit zu kopieren?»

Gute Frage, die wir bei einem Besuch bei den Punishers zu beantworten suchen. Der Treffpunkt irgendwo im Aargau muss geheim bleiben, das war die Bedingung. Es erscheinen Präsident Yam und sein Vize Hippo sowie Bäri, der Kassier. Seit fünf Jahren ist der Club in der Schweiz aktiv, die Idee zur Gründung kam von Bäri. Jetzt wollen sie sich zum ersten Mal erklären. «Wir sehen zwar aus wie Gesetzlose, doch wir halten uns ans Gesetz, vielleicht noch mehr als mancher Polizist», sagt Bäri, der viele Jahre für die Securitas arbeitete. «Wer mit seiner Maschine zu schnell ist und seinen Lappen verliert, fliegt aus unserem Club – so sind die Regeln.»

Im Treff stehen ein Billiardtisch und eine Bar. Zwei Festbänke dienen als Sitzgelegenheit. An der Wand hängen die Abzeichen von befreundeten MCs und Polizeieinheiten. Bäri zeigt auf die Musikanlage in der Ecke: «Bei uns ist immer Punishers-Radio eingeschaltet», sagt er und meint damit die eigene Radiostation des weltweit operierenden Punisher-Motorradclubs. Gerade läuft das Stück «Folsom Prison Blues» von Johnny Cash. Es ist die enge Freundschaft und die Gemeinschaft, die die Punishers schätzen. Ähnlich wie andere MCs folgen sie einem clubinternen Kodex. «Wir schätzen diese Verbindlichkeit», sagt Yam. Heute wohne doch jeder in anonymen Mehrfamilienhäusern, wo sich die Nachbarn kaum kennten, sagt Vizepräsident Hippo. «Wir suchen einen Ort, wo man sich miteinander unterhalten kann.»

Auf der aufklappbaren Festbank in der Mitte des Treffs steht eine Holzbox. «Hier hinein legen wir unsere Handys, wenn wir ins Stübli kommen. So vermeiden wir, dass alle immer nur auf ihr Telefon starren», erklärt Bäri. Der Zusammenhalt in einem MC sei mit dem einer Familie vergleichbar. Wird ein Member schwer krank, kümmern sich die anderen um ihn und seine Angehörigen. «Wir lassen niemals einen Bruder im Stich.» Anwärter werden wie in jedem anderen MC auch auf ihre charakterliche Eignung geprüft. Ein Jahr lang dient man dem Club als Anwärter. Hat man die Anforderungen erfüllt, wird man ein Jahr lang Mitglied auf Probe. Besteht man auch diese, wird man auf Lebzeiten in die Bruderschaft aufgenommen. Wer stirbt, wird Mitglied des Chapter 31, das auch durch einen Aufnäher verewigt ist, den jedes Clubmitglied trägt.

Punishers arbeiten als Security, Gefängniswärter oder bei der Polizei

Bei den Punishers sind vor allem Security-Männer und Polizisten aktiv, manche arbeiten auch als Gefängniswärter oder sind bei der Feuerwehr. «Wie viele wir sind, verraten wir nicht – aus Sicherheitsgründen», sagt Yam. Ihre Kutten tragen sie auch nur bei Vereinsanlässen oder Ausfahrten. Einmal im Jahr treffen sich Punishers aus ganz Europa. «Für den Run-out packen wir unsere Rucksäcke auf die Harley und fahren in einem Tag schon mal bis zu 1000 Kilometer», sagt Yam.

Ursprünglich stammen die Punishers aus den USA, wo der reine Männerclub 1999 gegründet wurde. Das unterscheidet die Punishers zum Beispiel von den Blue Knights, die nur aktive oder pensionierte Polizisten, dafür aber auch Frauen aufnehmen. «Wir grenzen uns zwar von den Outlaws ab», erklärt Präsident Yam und meint damit die berüchtigten Clubs wie die Hells Angels, «doch wir respektieren gleichzeitig die Rangordnung und den Frieden in der Schweizer MC-Szene.» Im Vergleich zu anderen Ländern sei es deshalb in der Schweiz vergleichsweise friedlich in der Szene. Tatsächlich haben die Punishers, trotz ihres Namens, mit Gewalt nicht viel am Hut, im Gegenteil: Wie andere LEMCs spenden sie regelmässig für wohltätige Zwecke oder erfüllen Kinderwünsche. Etwa 2019, als sie einem Kind mit Down-Syndrom einen lang gehegten Traum erfüllten: eine Fahrt mit einem Polizei-Motorrad.

Polizisten sind in klassischen MCs nicht willkommen

Etwas biederer als die Punishers kommen die Blue Knights daher. Auch sie sind ein LEMC, vor 20 Jahren wurde der erste Ableger in der Schweiz gegründet. Henrik Fretz, Roadname «Fretzmen», arbeitet als Kantonspolizist. Gleichzeitig ist er Präsident des Chapters 1 der Blue Knights Switzerland. «Polizisten sind auch Motorrad-Fans und möchten in einem eigenen Club aktiv sein», begründet er sein Engagement. Weil sie in den klassischen MCs nicht willkommen seien, hätten Polizisten irgendwann ihren eigenen Verein gegründet.

Offenbar besteht ein gewisser Bedarf: Seit der Gründung der Blue Knights, 1974 im US-Bundesstaat Maine, wurde der Club immer grösser. Inzwischen gehören ihm 16’500 Mitglieder weltweit an. In der Schweiz gibt es mittlerweile vier Chapter. «Wir sind wie ein normaler Club organisiert und haben Statuten nach OR und ZGB», erklärt Fretz. Von Clubs wie den Hells Angels distanziere man sich klar, sagt er und fügt hinzu: «Wir sind an die Gesetze gebunden.» Die ungeschriebenen Regeln der MC-Szene in der Schweiz seien historisch gewachsen und einzigartig auf der Welt, sagt Fretz mit Blick auf die klassischen Clubs. «Die MC-Szene lebt in einer anderen Welt, und wir respektieren sie, grenzen uns jedoch klar von ihr ab.» Anders als die klassischen MCs nehmen die Blue Knights auch Frauen in ihre Reihen auf. «Wir sind ein Familienclub. Das unterscheidet uns teilweise von anderen LEMCs», sagt Fretz.

Trotzdem gibt es Gemeinsamkeiten mit anderen MCs: Auch die Blue Knights schätzen die Gesellschaft im Verein, die länderübergreifenden Freundschaften, die Ausfahrten mit ihren Bikes und internationale Treffen mit LEMC-Ablegern in ganz Europa.

Bei der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten sieht man die Polizisten in Rockerkluft «nicht als akutes Thema». Jedes Korps habe seine Regeln für das Verhalten ausserhalb der Dienstzeit. Und die folgten einem einfachen Prinzip: «Polizisten haben auch in ihrer Freizeit eine Vorbildfunktion.»
(https://www.derbund.ch/hells-angels-haben-genug-von-polizisten-als-rocker-157942818545)


+++QUEER
Hass auf Homo- und Transsexuelle: «Ich bin glücklich, wenn jemand nur Schwuchtel zu mir sagt»
Unsere Autorin war mit Jugendlichen unterwegs, für die der Alltag ein Spiessrutenlauf ist. Ein Besuch in Zürich, in der Agglomeration und auf dem Dorf in Schwyz – wo Homosexuelle und Transmenschen zur Zielscheibe von Hass werden.
https://www.blick.ch/schweiz/hass-auf-homo-und-transsexuelle-ich-bin-gluecklich-wenn-jemand-nur-schwuchtel-zu-mir-sagt-id16510388.html


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Verhältnismässig? Der Polizeieinsatz an der Corona-Demo in Aarau sorgt für Kritik
Rund 1’500 Personen haben gestern in Aarau gegen die Corona-Massnahmen demonstriert. Der Protestmarsch war unbewilligt, die Polizei war dementsprechend mit einem Grossaufgebot vor Ort und hat Präsenz markiert, auch mit Pfefferspray und einer Verhaftung. Von links und rechts gibt es jetzt Kritik am Polizeieinsatz.
https://www.telem1.ch/aktuell/verhaeltnismaessig-der-polizeieinsatz-an-der-corona-demo-in-aarau-sorgt-fuer-kritik-141847439


Panflöte-Hymne beim Bahnhof – ab 03:40:00 (diesmal länger)
https://youtu.be/f1RjtjHTvto


Demonstrierende befreiten Rädelsführer aus Polizeigewahrsam
An der Corona-Demo am Samstag war die Stimmung aufgeheizt: Ein Video zeigt, wie Massnahme-Gegner in Aarau auf die Polizei losgehen, um einen ihrer Anhänger zu befreien.
https://www.20min.ch/story/demonstranten-befreiten-raedelsfuehrer-aus-polizeigewahrsam-511988878611


Illegale Corona-Demo Aarau: Teilnehmer haben Polizei attackiert
Es sind drastische Bilder: Polizisten in Vollmontur haben einen Mann in Gewahrsam, der sich ihren Anweisungen widersetzt. Aber die Beamten werden eingekesselt von Corona-Demonstranten und müssen den Mann freigeben. Sie hätten keine Chance gehabt gegen die Übermacht. Später gewinnt die Polizei.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/illegale-corona-demo-aarau-teilnehmer-haben-polizei-attackiert?id=11980931


Illegale Corona-Demo von Aarau: Gegendemonstranten angehustet und angepöbelt – auch Polizisten werden angegangen
Vereinzelt stellten sich in Aarau Menschen den Demonstranten entgegen. Manche werden angepöbelt, einem Jugendlichen wird ins Gesicht gehustet. Auch mehrere Polizisten werden angegangen.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/illegale-demo-von-aarau-gegendemonstranten-werden-angehustet-und-angepoebelt-ld.2134938



aargauerzeitung.ch 09.05.2021

Polizeidirektor Egli nach illegaler Demo: «Wenn sich genügend Leute versammeln, haben sie eine gewisse Macht – dort kann der Staat nur beschränkt eingreifen»

Über tausend Coronaskeptiker durften am Samstag mehr oder weniger unbehelligt in Aarau illegal und ohne Masken demonstrieren. Man habe sich bewusst zu einer anderen Taktik entschieden, erklärt Polizeidirektor Dieter Egli. Er wollte keine Wasserwerfer auffahren lassen.

Raphael Karpf

«Der Regierungsrat bedauert, dass Gruppierungen mit ihrer Teilnahme an der illegalen Kundgebung von heute sich unsolidarisch verhalten und die Schutzmassnahmen bewusst ignoriert haben.» Dies teilt Polizeidirektor Dieter Egli noch am Samstagabend, kurz nach Ende der illegalen Coronademo in Aarau, mit. Und weiter: «Mit diesem Verhalten haben sie die eigene Gesundheit und vor allem die Gesundheit der Mitmenschen gefährdet.»

Trotzdem konnte die illegale Demonstration nicht verhindert werden. Und es wurde gar nicht versucht, sie aufzulösen.

Die Polizei war mit einem Grossaufgebot vor Ort, sie bekam Unterstützung von Polizisten anderer Kantone. Trotzdem konnte die Demo nicht verhindert werden. Wieso nicht?

Dieter Egli: Vordringlichstes Ziel war, eine grosse, stationäre Versammlung zu verhindern. Das ist gelungen. Wenn so viele Leute kommen, stösst man irgendwann an seine Grenzen. Die Polizei konnte nicht alle fernhalten. Aber wichtiger erscheint mir der Punkt, dass Versammlungen verhindert werden konnten.

Haben Sie den Aufmarsch unterschätzt?

Nein. Wir haben mindestens mit den anwesenden 1500 Personen gerechnet. Es war allerdings schwierig, einzuschätzen, wie viele effektiv kommen würden. Auch dass noch von einer Demo in Wettingen die Rede war, erschwerte die Planung. Und wegen des schönen Wetters musste man damit rechnen, dass doch einige Menschen unterwegs sein würden.

Trotzdem konnte die Demo nicht verhindert werden. Waren Sie gut genug vorbereitet?

Ja. Die Polizei hat mit Augenmass gehandelt, die Lage laufend neu beurteilt und versucht, keine Eskalation und Gewaltausbrüche herbeizuführen. Dafür waren genügend Polizeikräfte vor Ort. Um die ganze Stadt abzuriegeln, hätte es viel mehr gebraucht. Dann hätte sich die Demo an einen anderen Ort verlagert. Ziel war, dass möglichst wenig Menschen demonstrieren, mit dem Wissen, dass es eine schwierige Balance ist: Die Demonstration einzuschränken auf der einen, dass möglichst keine Zwangsmittel eingesetzt werden müssen, die eine gewalttätige Gegenreaktion provozieren, auf der anderen Seite.

Haben Sie darum gar nicht erst versucht, die Demo aufzulösen?

Das ist die klassische Frage für jede Polizei-Einsatzleitung. Wo löse ich Demos auf? Wo kessle ich Demonstrierende ein? Bei verschiedenen Situationen wurden einzelne Leute herausgenommen. Aber gerade bei einer gewissen Grösse muss die Polizei situationsgerecht handeln – auch wenn das von aussen wie Nichtstun und unbefriedigend aussehen mag.

Das heisst, wenn genügend Menschen mitmachen, darf ich ungestraft das Gesetz brechen?

Das ist die Problematik, mit der die Sicherheitskräfte konfrontiert sind. Bei einer grossen Anzahl Menschen spezifische Massnahmen wie die Maskenpflicht und den Abstand durchzusetzen, ist eine riesige Herausforderung. Wenn sich genügend Leute versammeln, habe sie eine gewisse Macht. Dort kann der Staat nur beschränkt eingreifen. Auch weil wir im Vergleich zu anderen Ländern nur kleine Polizeikorps haben. Das ist aus meiner Sicht aber nicht nur eine Frage der Sicherheit, sondern auch eine politische: Wie gehen wir als Gesellschaft mit einer Minderheit um, die demokratisch legitimierte Massnahmen nicht mittragen? Wie weit akzeptieren wir das? Wie weit unterbinden wir das? Und mit welchem Aufwand und welchen Konsequenzen?

Was sagen Sie Menschen, die fordern, sie hätten mit Wasserwerfern auffahren und die Demo auflösen sollen?

Ich bin nicht sicher, welche Reaktion das ausgelöst hätte. Es wäre aber sicher zu einer Gewalteskalation gekommen. Wir haben gemerkt, dass gewisse Demonstrierende durchaus gewaltbereit waren. Man muss dabei auch an die Polizistinnen und Polizisten denken: Was muten wir ihnen alles zu? Und wie würde die Stadt nach so einem Einsatz aussehen? Da müssen wir eine Balance finden.

Falls wieder eine illegale Demo im Aargau durchgeführt würde: Würden sie wieder gleich vorgehen?

Die Polizei wird den Einsatz vom Samstag analysieren. Allerdings zeigt sich bei jeder Demo eine neue Situation: die Anzahl Leute, der Ort. Es kommt darauf an, ob die Demo in einer Stadt oder auf dem Land stattfindet. Deshalb kann ich nicht sagen, wie wir ein nächstes Mal genau reagieren würden.

Aber sie würden auch bei einem nächsten Mal keine Wasserwerfer auffahren?

Das kommt auch auf die öffentliche Stimmung an. Welche Brisanz behält das Thema? Ich habe den Eindruck, das Interesse geht zurück. Zumindest verglichen mit den vergangenen Wochenenden. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, werden die Demos vielleicht kleiner, auf jeden Fall wieder anders. Wir müssen mit allem rechnen.

Die Menschen waren ohne Masken an der illegalen Demo. Es gab unzählige Videos und Bilder. Werden die Menschen nun ausfindig gemacht und angezeigt?

Das ist auch eine Frage der Verhältnismässigkeit. Die Polizei muss prüfen, was diesbezüglich möglich ist.
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/aarau-polizeidirektor-nach-illegaler-demo-wenn-sich-genuegend-leute-versammeln-habe-sie-eine-gewisse-macht-dort-kann-der-staat-nur-beschraenkt-eingreifen-ld.2134948)


+++HISTORY
baslerzeitung.ch 08.05.2021

Basler Kolonialismus: Eine Haushälterin mit königlichem Stammbaum

Mitte des 19. Jahrhunderts brachten Basler Missionare Menschen aus Ghana, Äthiopien, dem Sudan oder Indonesien ans Rheinknie. Eine von ihnen war Anjama.

Mirjam Kohler

1858: Auf einem Segelschiff irgendwo auf dem Meer zwischen Ghana und England kümmert sich die zwölfjährige Anjama um ein drei Monate altes Baby. Es ist hungrig, doch das Essen an Bord ist knapp, besonders für den Säugling. Die Reise ist beschwerlich, der Kapitän unterwegs verstorben und der Steuermann hat Mühe, den Weg nach Bristol zu finden.

Anjama ist mit der Familie des Basler Missionars Johann Gottlieb Christaller unterwegs. Das Baby, für das sie die Verantwortung trägt, ist das jüngste Mitglied der Familie. Seit fünf Jahren arbeitet Anjama da für die Familie im Haushalt und erhält dafür Schulunterricht. Ihre Mutter, eine einflussreiche Frau, hat sie in die Familie vermittelt. Als Johann Christaller erkrankt, beschliesst man mit Zustimmung der Mutter, das Mädchen mit nach Europa zu nehmen. Anjama selbst wurde das erst am Tag vor ihrer Abreise gesagt.

63 Tage nach der Abfahrt in Ghana erreicht das Segelschiff Bristol. Von dort aus geht die Reise weiter nach London, dann Rotterdam, auf dem Rhein nach Mannheim und Anfang Juni 1858 mit dem Zug nach Basel. Ende Juli reist die Familie Christaller weiter nach Württemberg, Anjama wird zurückgelassen. Inzwischen ist den Missionaren aufgefallen, dass europäische Krankheiten sehr gefährlich sind für Menschen, die ihnen zum ersten Mal ausgesetzt sind. Viele Menschen, die nach Europa gebracht wurden, starben rasch und jung an solchen Erkrankungen. Man beschliesst, die Experimente abzublasen.

Unerwartete Wendung

Anjama soll deshalb möglichst rasch wieder nach Ghana zurückkehren. Ihr Aufenthalt in Europa sollte nicht lange dauern, so war es auch mit ihrer Mutter abgemacht. Bis zur Rückkehr wird Anjama in der sogenannten Voranstalt der Basler Mission, wo die Familie Kolb lebt, untergebracht. Dort freundet sie sich mit den Töchtern der Familie an, scheint Vertrauen zu fassen.

Doch einmal mehr kommt alles anders, ohne dass die Zwölfjährige darauf Einfluss nehmen kann. Ende August hält ein Wagen vor dem Kolb’schen Haus. Der 76-jährige Christian Friedrich Spittler, ein sehr einflussreicher Basler Missionar, ist da, um Anjama abzuholen.

Anjama betrachtet den Wagen misstrauisch. Als ihr klar wird, dass sie die Familie Kolb verlassen muss, flüchtet sie weinend zum Familienvater. Umsonst, das Mädchen wird nach Riehen gebracht. Spittler hatte das Komitee der Basler Mission, dem er selbst auch angehört, überzeugen können, dass er Anjama für das nächste Jahr bei sich aufnehmen darf. Sein Ziel: die «Erziehung von heidnischen Kindern in christlicher Liebe und Zucht».

Ihr Wille wird gebrochen

Im Haus von Spittler scheint die Strenge vor der Liebe zu kommen. Spittlers Adoptivtochter Susette, selbst ein Arbeiterkind, das von Spittler die christlichen Werte und Tugenden beigebracht bekommen hat, hat keine Erfahrung im Umgang mit Kindern. Anjama ist so unglücklich, dass sie mehrmals versucht, zu fliehen. Und das, obwohl sie sich in der Gegend kaum ausgekannt haben dürfte. Jedes Mal wurde sie gefunden und wieder zurückgebracht. Sie musste viel ertragen, «wie es so geht, bis der eigene Wille gänzlich gebrochen ist», wie es ein Zeitzeuge beschreibt.

Im Herbst zieht der Spittler-Haushalt ins Winterquartier am Basler Schlüsselberg. Die inzwischen 13-jährige Anjama wird beim Münster eingeschult – in die erste Klasse. Sie hat Mühe, mitzukommen, ihr Deutsch ist noch schlecht. Im Haus von Spittler wird mehr Wert auf ihre Hausarbeit gelegt als auf ihre Ausbildung. Sie wird von Mitschülern verspottet und verfolgt, der Lehrer lässt sie früher gehen, damit sie etwas mehr Ruhe auf dem Heimweg hat. Trotzdem dürfte jeder Weg, den Anjama hinter sich bringen muss, ein Spiessrutenlauf gewesen sein. Es gibt nur eine Handvoll Schwarze in Basel. Der breiten Bevölkerung ist der Anblick Schwarzer Menschen noch Jahrzehnte später höchstens aus dem Zolli vertraut. Im Rahmen sogenannter Völkerschauen wurden dort ab 1879 auch Schwarze zusammengepfercht und ausgestellt. In diesem Kontext ist wohl auch Prestige als Grund zu nennen, warum Spittler das Mädchen nicht in die Heimat zurückkehren lassen will.

Anjama stirbt als Dienstmädchen

Mit 16 Jahren wird Anjama auf den Namen Susanna Luise getauft. Nun soll sie mit Frau Christaller nach Ghana zurückkehren, wie es sich auch ihre Verwandtschaft wünscht. Spittler ist wenig überraschend dagegen, dass ihn seine Haushaltshilfe verlässt. Im Alter von 22 Jahren muss Anjama vor das Komitee der Basler Mission treten, dem Spittler noch immer angehört. Sie wolle in Basel bleiben, sagt sie, und nicht nach Ghana zurückkehren, wo sie hätte Königinmutter werden können. Ihre Familie betrachtet das Ganze inzwischen als Menschenraub.

Zusammen mit Susette und anderen Bediensteten führt Anjama den Haushalt von Spittler. Ab und zu darf sie verreisen, soll auch ein eigenes Projekt für Spittler führen, das aber scheitert. Sie ist nicht die einzige Schwarze, die beim Missionar lebt und arbeitet. Schwarze Menschen aus Basel und der Region treffen sich im Haus und wenn diese erkranken, ist es Anjama, die sich um sie kümmert. Es ist ebenfalls eine Schwarze Frau, die Anjama bis zu ihrem Tod Ende März 1882 pflegt. Die 35-Jährige, die in Ghana ein Leben im Wohlstand hätte führen können und nur kurz in Basel bleiben sollte, stirbt als Dienstmädchen.

Dieser Text entstand mithilfe der Recherche-Gruppe des Basler Frauenstadtrundgangs.



Neuer Frauenstadtrundgang

Die neue Ausgabe des Frauenstadtrundgangs «Unsichtbar und unterbezahlt – who cares?» beschäftigt sich mit Sorgearbeit. Historisch und aktuell, im Waschzuber, am Mittagstisch oder an Corona-Betten. Auch Anjamas Geschichte wird auf dem Rundgang erzählt. Daten der Durchführung: 9. Mai und 6. Juni, 14 Uhr, Treffpunkt Augustinergasse 11. Weitere Daten und Anmeldung: www.frauenstadtrundgang-basel.ch.
(https://www.bazonline.ch/eine-haushaelterin-mit-koeniglichem-stammbaum-652177963723)