Medienspiegel 6. Mai 2021

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+++BERN
bernerzeitung.ch 06.05.2021

Asylfonds im Thuner Stadtrat: Diskussionslos und einstimmig

1,7 Millionen für den Verein Asyl Berner Oberland, 3,5 Millionen Franken für die Stadtkasse: Ohne Wenn und Aber hat der Stadtrat den Asylfonds aufgelöst.

Franziska Streun

Der gleich zu Beginn der Sitzung vorgetragene Wunsch von Gemeinderat Roman Gimmel (SVP) an den Stadtrat ging in Erfüllung. Das Geschäft zum Verein Asyl Berner Oberland (ABO, siehe Ausgabe von gestern) fand im Rat diskussionslos und parteiübergreifend Einstimmigkeit.

Das heisst: Die Solidarbürgschaft von 1,7 Millionen Franken wird wie durch den Gemeinderat beantragt in einen À-fonds-perdu-Beitrag umgewandelt. Der Betrag wird an den Verein Asyl Berner Oberland überwiesen. Die restlichen 3,5 Millionen Franken fliessen in die Stadtkasse, an keinen Zweck gebunden. Anschliessend wird der Asylfonds von einst aufgelöst.

Stadt wäre nicht dazu verpflichtet

«Für die Sachkommission war unbestritten, dass Integration wichtig ist und der Verein eine zentrale Aufgabe gut leistet», fasste SVP-Stadträtin Evelyn Salzmann die Meinung der Sachkommission zusammen. «Zwar ist die Stadt rein rechtlich nicht dazu verpflichtet, dem Verein 1,7 Millionen Franken zu bezahlen», sagte sie, «doch so sind auch weitere Projekte von ABO gesichert und dem Verein eine gewisse Liquidität gewährleistet.»

Auch im Namen der SVP-Fraktion könne sie sagen, dass die vorgeschlagene Lösung des Gemeinderats einstimmig genehmigt werde. «So ist ABO auf eine solide finanzielle Basis gestellt», sagte Salzmann. Zugleich könne danach der Asylfonds aufgehoben werden. Die Stadt könne die 3,5 Millionen Franken gut gebrauchen, zumal aus früheren Flüchtlingswellen auf die Wohnortgemeinde etliche Kosten zurückfallen würden.

Geld in die Stadtkasse

«Wir stimmen dem Antrag ebenfalls zu, doch der Betrag muss reichen, damit ABO danach selbstständig funktioniert», sagte Ronald Wyss (BDP/GLP). Auch die FDP-Fraktion befürwortete den gemeinderätlichen Vorschlag. «Die bisherige Unterstützung war notwendig und angemessen – und die Umwandlung nun positiv, weil auch Geld in die Stadtkasse fliesst», fasste Hanspeter Aellig die Meinung der Partei zusammen.

Auch für Stadträtin Susanne Gygax, die im Namen der Fraktion EVP/EDU/CVP sprach, stimmte das Geschäft – ebenso wie für Cloe Weber (Junge Grüne).

Kein Rückweisungsantrag

Die SP-Fraktion zeigte sich wie die anderen Parteien von der Professionalität des Vereins überzeugt. «Eigentlich hätten wir es begrüsst, wenn ihm der gesamte Betrag aus dem Asylfonds über 5,2 Millionen Franken überwiesen würde», sagte Alice Kropf. Schliesslich sei das Geld für die Integration bestimmt gewesen. «Doch wir verzichten auf einen Rückweisungsantrag, weil er politische keine Chance hätte.»
(https://www.bernerzeitung.ch/diskussionslos-und-einstimmig-171561080178)


+++AARGAU
Projekt der Caritas Aargau: Mit einem freiwilligen Co-Piloten an der Seite soll Flüchtlingen vieles einfacher fallen
Das Projekt Co-Pilot der Caritas Aargau startet erstmals im Freiamt. Gesucht sind Freiwillige, die gemeinsam mit geflüchteten Menschen ein Jahr lang unterwegs sein möchten.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/freiamt/freiamt-projekt-der-caritas-aargau-mit-einem-freiwilligen-co-piloten-an-der-seite-soll-fluechtlingen-vieles-einfacher-fallen-ld.2132827


+++BASEL
Externe Untersuchung zu Gewaltvorwürfen in Bundesasylzentren
Eine Untersuchung soll klären, ob es in Bundesasylzentren zu Gewaltanwendungen gekommen ist. Medienberichte sprechen von Provokationen und Schlägen.
https://telebasel.ch/2021/05/06/externe-untersuchung-zu-gewaltvorwuerfen-in-bundesasylzentren


+++LUZERN
Damit sie die Ausschaffung nicht verzögern: Luzerner Regierung fordert Corona-Zwangstests für abgewiesene Asylbewerber
Laut dem Luzerner Regierungsrat Guido Graf verweigern viele abgewiesene Asylbewerber Coronatests, um ihre Ausschaffung zu verzögern. Er fordert: In diesen Fällen soll der Bund Corona-Zwangstests und -Impfungen erlauben. Laut einer Juristin könne ein solcher Test wohl nur mit erheblichem Einsatz von Zwang und Gewalt durchgeführt werden.
https://www.zentralplus.ch/luzerner-regierung-fordert-corona-zwangtests-fuer-abgewiesene-asylbewerber-2078895/
-> https://www.nau.ch/politik/regional/luzerner-regierung-will-zwangsimpfung-fur-abgewiesene-asylbewerbende-65922148


+++OBWALDEN
Obwalden: Studierende untersuchen Integration von Flüchtlingen
Wie gut sind vorläufig aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge sieben Jahre nach ihrer Einreise in Obwalden integriert? Was braucht es, damit sich Migrant:innen zurechtfinden – und welche Erwartungen haben Einheimische an sie? Diesen Fragen gingen drei Studierende der Hochschule Luzern nach. (ab 02:20)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zentralschweiz/obwalden-studierende-untersuchen-integration-von-fluechtlingen?id=11979359


+++ST. GALLEN
Gewalt in Altstätter Asylzentrum: Sicherheitskräfte schlagen Jugendlichen spitalreif
Eine gemeinsame Recherche der «Wochenzeitung WOZ» und der «Rundschau» deckt Gewaltvorfälle in Asylzentren auf. Ein Vorfall in Altstätten endet für einen 16-jährigen Asylbewerber mit einem dreitägigen Spitalaufenthalt.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ressort-ostschweiz/untersuchung-gewalt-in-altstaetter-asylzentrum-sicherheitskraefte-schlagen-jugendlichen-spitalreif-ld.2133539


+++SCHWEIZ
Wechsel bei der Geschäftsführung der Eidgenössischen Migrationskommission EKM
Bettina Looser übernimmt am 1. September 2021 die Geschäftsführung der Eidgenössischen Migrationskommission EKM. Sie tritt die Nachfolge von Simone Prodolliet an, die nach 18 Jahren an der Spitze der Geschäftsstelle der EKM in den Ruhestand tritt.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-83395.html


SEM-Gattiker: Verrohung im Kontakt mit Behörden
Nach Angriffen auf seine Mitarbeiter nennt SEM-Chef Gattiker die Verrohung im Kontakt mit Behörden als Grund. Doch Gewalt erfahren auch Asylsuchende in Zentren.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/sem-gattiker-verrohung-im-kontakt-mit-behorden-65921813


+++MALTA
Den «El Hiblu 3» droht lebenslänglich
Drei Teenager wegen Terrorismus vor Gericht
In Malta stehen zurzeit drei Teenager wegen Terrorismus vor Gericht. In einer Gruppe von Migrant*innen, die von Libyen wollten sie am 26. März 2019 in einem Schlauchboot nach Europa.
https://rabe.ch/2021/05/05/el-hiblu-3/


+++EUROPA
EU-Grenzschutzagentur über die Türkei: Frontex meldet Provokationen
Die türkische Küstenwache verhalte sich nicht immer kooperativ, so die EU-Grenzschutzagentur. Teils versuche sie, Migranten in griechische Gewässer zu treiben.
https://taz.de/EU-Grenzschutzagentur-ueber-die-Tuerkei/!5770478/


+++FLUCHT
UNHCR-Vizechefin: „Viele Regierungschefs dämonisieren Flüchtlinge“
Gillian Triggs erklärt im STANDARD-Interview, wie sehr Rechtsruck und Pandemie Flüchtlinge treffen – und was man in der Mittelmeerkrise machen soll
https://www.derstandard.at/story/2000126214060/unhcr-vizechefin-viele-regierungschefs-daemonisieren-fluechtlinge


+++FREIRÄUME
GEMEINDERATSANTWORT AUF:
Kleine Anfrage Eva Gammenthaler (AL): Räumung mit (un)nötigem Grosseinsatz
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=f695067598ce4e328fb3086e19783ef8


Kleine Anfrage Seraina Patzen, Eva Krattiger, Nora Joos (JA!): Umgang mit Besetzungen in der Stadt Bern (I)
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=ef5ae63c024f49f38209a8076707c294


Kleine Anfrage Seraina Patzen, Eva Krattiger, Nora Joos (JA!): Umgang mit Besetzungen in der Stadt Bern (II)
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=72a01ed699924c6ba787be19fb277b2b


Kleine Anfrage Fraktion SVP (Alexander Feuz/Ueli Jaisli/Thomas Fuchs/Thomas Glauser, SVP): Zone für alternative Wohnformen: Der Fluch der bösen Tat: Es muss verhindert werden, dass die Stadt Bern zentraler Anziehungspunkt für alternative Besetzergruppen wird!
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=e1a7b2b4ab664cfa8fecc8f91f1410e3


Eine lange Liste verdrängter Kulturräume in Luzern – Familie Eichwäldli: Der mutlose Stadtrat hat sich das eingebrockt
Spätestens seit Beginn dieses Jahres ist die Soldatenstube mit der Familie Eichwäldli allen in Luzern bekannt und ein politischer Dauerbrenner, der sich zwischen dem Stadtrat und der Bevölkerung zunehmend erhitzt hat. Der Polizeieinsatz in Abwesenheit der Familie Eichwäldli (zentralplus berichtete) stellt den bisherigen Höhepunkt dar und widerspiegelt die lange, mühselige Geschichte, die Kultur- und Freiräume in Luzern zu verzeichnen haben, glaubt Léon Schulthess in seinem Politblog.
https://www.zentralplus.ch/blog/politblog/familie-eichwaeldli-der-mutlose-stadtrat-hat-sich-das-eingebrockt/


+++GASSE
Basel schickt Bettler per One-Way-Ticket fort – das Ausland staunt
Englischsprachige Medien berichten darüber, dass Basel-Stadt Obdachlosen das Zugticket in andere Länder finanziert. Es ist nicht das erste Mal, dass die Schweiz wegen ihres Umgangs mit Bettelnden kritisiert wird.
https://www.watson.ch/schweiz/international/531145937-basler-umgang-mit-bettler-sorgt-fuer-internationale-schlagzeilen


Bettel-Problem im ÖV: BVB wollen Polizeipatrouillen
Die Beschwerden häufen sich: Das Betteln wird zum Problem für die Basler Verkehrsbetriebe. Nun soll die Polizei Präsenz markieren.
https://telebasel.ch/2021/05/06/bettel-problem-im-oev-bvb-wollen-polizeipatrouillen/?utm_source=lead&utm_medium=grid&utm_campaign=pos%200&channel=105100



primenews.ch 06.05.2021

Versäumnis der Basler Regierung in der Bettel-Debatte

Trotz Dauerthema: Behörden zei¬gen kein Interesse an Treffen mit ru¬mä¬ni¬scher Botschaft. Grossräte nehmen Stellung.

von Anja Sciarra

Seit bald einem Jahr diskutiert ganz Basel über die Bettlerinnen und Bettler, die seit der Gesetzesänderung von letztem Juli vorwiegend aus Rumänien, aber auch aus anderen osteuropäischen Ländern, nach Basel gekommen sind.
In der Bevölkerung macht sich zunehmend Unmut breit. Zuletzt haben sich sogar die Basler Verkehrs-Betriebe hilfesuchend an die Polizei gewandt, da sich immer mehr Fahrgäste über «aufdringliche Bettler» beklagen (Prime News  berichtete).

In der Politik ist das Dossier seit der Überweisung eines Vorstosses zur Wiedereinführung des Bettelverbots an die Regierung de facto zum Stillstand gekommen.

Im  Interview mit Prime News hat sich nun der rumänische Botschafter in der Schweiz, Vlad Vasiliu, erstmals zu der Bettel-Thematik in Basel geäussert. Schliesslich agiert er als Repräsentant seines Landes auch als Vermittler zwischen den rumänischen Staatsangehörigen, ihren Anliegen und der Schweiz.

Verblüffend: Trotz bald einjähriger Dauerdebatte haben sich die Basler Behörden in der ganzen Zeit noch nie an die Botschaft gewandt. In der Auslandsvertretung wartet man indes sogar darauf, dass sich der Kanton Basel-Stadt meldet. Für eine lösungsorientierte Zusammenarbeit, wie sie diesbezüglich schon mit anderen Schweizer Städten stattgefunden hat, sei man gerne bereit.

Spärliche Auskünfte aus der Regierung

Vor diesem Hintergrund wollte Prime News zunächst von Beat Jans (SP) als neuer Vorsteher des Präsidialdepartements wissen, weshalb der Kontakt zur rumänischen Botschaft noch nicht gesucht wurde und ob man dies nun nachzuholen gedenkt.

Als Regierungspräsident ist Jans für die Repräsentation des Kantons gegen aussen zuständig, und somit eigentlich auch Ansprechpartner für Vertreter anderer Länder. Das dringliche Bettler-Problem würde einen solchen Austausch nahelegen. Schliesslich prüft die Basler Regierung derzeit auch einen Vorstoss zur Wiedereinführung eines Bettelverbots.

Seitens des Präsidialdepartements bestätigt Sprecherin Melanie Imhof, dass eine Kontaktaufnahme bisher nicht stattgefunden hat. Auch nicht unter der ehemaligen Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann, die bis Februar 2021 im Amt war.

In der Angelegenheit sei aber ohnehin das Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) federführend zuständig, wird Prime News ausgerichtet.

Dort hält man sich in der Causa bedeckt: JSD-Sprecher Martin Schütz hält lediglich fest: «Der im Januar für Frühling in Aussicht gestellte Zwischenbericht ist in Arbeit». Eine Antwort auf die Frage, ob die Regierung mit dem JSD im Lead überhaupt mit anderen Behörden, beispielsweise in Bern, in Verbindung getreten ist, liefert er nicht.

«Versäumnis seitens der Basler Regierung»

Der hängige Vorstoss, mit dem sich die Regierung derzeit beschäftigt, stammt von SVP-Grossrat Joël Thüring. Bei dem Wortführer zur Wiedereinführung des Bettelverbots fallen die Reaktionen auf die Aussagen des rumänischen Botschafters verschieden aus.

Einerseits sei ein Dialog zwischen den Basler und den rumänischen Behörden sicherlich sinnvoll. «Man kann hier durchaus von einem Versäumnis seitens der Basler Regierung sprechen», so Thüring. Allerdings verspricht er sich davon keine konkreten Lösungen.

«Der Herr Botschafter scheint sich nicht dagegen wehren zu wollen, dass hierzulande rumänische Staatsbürger betteln kommen. Daher wage ich zu bezweifeln, dass sich durch eine Kontaktaufnahme etwas ändern würde. Das Problem wäre dadurch zumindest nicht gelöst», sagt Thüring.

SP-Grossrat Pascal Pfister, der gemeinsam mit Parteikollegin Barbara Heer ein  Konzeptpapier zum Umgang mit der Bettel-Thematik vorgelegt hat, zeigt derweil Kulanz gegenüber der Kantons-Exekutive.

«Die neue Regierung hat die Bettel-Thematik geerbt. Sowohl Stephanie Eymann im Sicherheitsdepartement wie auch Esther Keller und Beat Jans, die sich damit auseinandersetzen müssen, sind alle neu ins Amt gekommen», sagt Pfister auf Anfrage. Dass sie noch nicht alles erledigen konnten, sei verständlich.

Ein Austausch mit der rumänischen Botschaft würde sich aber sicherlich lohnen, findet der ehemalige Präsident der Basler Sozialdemokraten. «Die SP hat von Anfang an gesagt, dass es einen runden Tisch und den Dialog mit möglichst vielen Personen und Institutionen braucht», so Pfister. Dabei könne auch ein Gespräch mit der Botschaft Sinn machen.

Dialog, Wegweisung oder Verbot?

Eine andere Auffassung als Botschafter Vasiliu hat SP-Mann Pfister derweil bezüglich dem Umgang des rumänischen Staats mit den Roma im eigenen Land. Im Interview mit Prime News bestritt Vasiliu, dass die Roma in Rumänien besonderer Diskriminierung ausgesetzt sind.

«Natürlich ist der Botschafter darum bemüht, seinen Staat nicht in schlechtem Licht darzustellen. Es ist aber schlicht ein Fakt, dass es im Umgang mit den Roma in verschiedensten Ländern noch einigen Nachholbedarf gibt», sagt Pascal Pfister dazu.

Die Hilfe vor Ort müsse daher möglichst niederschwellig sein. Aus Basler Sicht bedeute dies beispielsweise, dass der Kanton spezifisch in den Dörfern, aus denen die Roma-Bettlerinnen und Bettlern hier in Basel kommen, Hilfe leistet.

Ganz anders sieht dies wiederum SVP-Grossrat Joel Thüring. Vielmehr fühlt er sich darin bestätigt, dass einerseits der Weg der SP nicht funktioniere: «Der Botschafter sagt selbst, dass die Bettelnden sich kaum auf einen Dialog einlassen würden, wie es die linken Parteien ständig fordern».

Andererseits halte Vasiliu aber auch klar fest, dass es sich bei den Roma um EU-Staatsbürger handelt und sie damit innerhalb der Dauer von 90 Tagen nicht weggewiesen werden dürfen, sofern sie der Staatskasse nicht zur Last fallen. So wird es jedoch derzeit in der Bundeshauptstadt gehandhabt und von den Grünliberalen gefordert.

«In meiner Auffassung bedeutet dies, dass das Berner Modell – wie es gerne angepriesen wird – nicht umsetzbar ist und gegen das Ausländergesetz verstösst. Es ist daher sicher kein Weg, den Basel gehen muss oder sollte», glaubt Thüring. «Die Wiedereinführung des Bettelverbots – im Rahmen der Rechtsprechung aus Strassburg – ist und bleibt der einzig richtige Weg.»
(https://primenews.ch/articles/2021/05/versaeumnis-der-basler-regierung-der-bettel-debatte)


+++DROGENPOLITIK
Bundesrat prüft Straffreiheit – «Es ergibt keinen Sinn, den Drogenkonsum zu kriminalisieren»
Der Bundesrat prüft den straffreien Konsum von Drogen: Eine Suchtexpertin würde eine Entkriminialsierung begrüssen.
https://www.srf.ch/news/schweiz/bundesrat-prueft-straffreiheit-es-ergibt-keinen-sinn-den-drogenkonsum-zu-kriminalisieren


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Demos: Zürcher Urteil beflügelt Berner Kritiker
Laut Zürcher Verwaltungsgericht war die Teilnehmerbeschränkung an Kundgebungen auf 15 Personen unzulässig . Die Kritiker der Beschränkung im Kanton Bern fühlen sich bestärkt.
https://www.derbund.ch/zuercher-urteil-befluegelt-berner-kritiker-356370151474
-> https://www.bernerzeitung.ch/teilnehmerlimit-an-demos-berner-kritikerin-sieht-sich-bestaerkt-496369921091
Gericht gegen Teilnehmerbeschränkung an


Zürcher Regierung verstiess wegen Demo-Beschränkung gegen Verfassung
Bis am 18. April waren im Kanton Zürich nur Demonstrationen bis maximal 15 Personen erlaubt. Das Zürcher Verwaltungsgericht hat diese Einschränkung nun als «unverhältnismässig» eingestuft. Sie habe gegen die Bundesverfassung verstossen.
https://www.watson.ch/schweiz/coronavirus/377555298-zuercher-regierung-verstiess-wegen-demo-beschraenkung-gegen-verfassung
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zuercher-demonstrations-einschraenkung-war-unverhaeltnismaessig-00157720/
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/zurcher-verwaltungsgericht-erklart-demoverbot-fur-verfassungswidrig-65921943
-> https://www.blick.ch/schweiz/zuerich/nicht-mehr-als-15-personen-zuercher-verwaltungsgericht-erklaert-kundgebungsverbot-fuer-verfassungswidrig-id16506798.html
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/kahlschlag-bei-der-swiss-hunderte-entlassungen-in-zuerich?id=11979404 (ab 02:48)
-> https://al-zh.ch/artikel/news/verwaltungsgericht-bestaetigt-einschraenkung-der-demonstrationsfreiheit-im-kanton-zuerich-ist-rechts/
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/demoverbot-des-zuercher-regierungsrats-nicht-zulaessig?urn=urn:srf:video:b9179cd0-1080-4bce-b72d-f6dd903b8fc4
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/verwaltungsgericht-beurteilt-demo-einschraenkungen-als-unverhaeltnismaessig-141806191
-> Medienmitteilung Kanton ZH (15 Personen): https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2021/05/das-verbot-von-kundgebungen-ab-15-personen-unter-covid-19-verstoe.html
-> Medienmitteilung Kanton ZH (100 Personen): https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2021/05/entscheid-des-verwaltungsgerichts-aktuelle-regelung-bei-kundgebungen-nicht-betroffen.html



tagesanzeiger.ch 06.05.2021

Urteil zu Corona-MasssnahmenDas Zürcher Demoverbot war nicht rechtmässig

Kundgebungen durften bis am 18. April nur 15 Personen umfassen. Mit dieser Einschränkung verstiess der Kanton gegen die Verfassung.

Liliane Minor

Am 19. März 2021 fällte der Zürcher Regierungsrat einen Entscheid, der bei vielen politischen Akteuren auf Unverständnis stiess. Obwohl der Bundesrat die Corona-Regeln gelockert hatte, verlängerte der Kanton das geltende Verbot für Kundgebungen mit mehr als 15 Personen um einen Monat.

Jetzt hat das Verwaltungsgericht entschieden: Das war nicht zulässig. Die Regel sei nicht mit dem übergeordneten Recht vereinbar. Sie stelle einen Eingriff in die Meinungs- und Versammlungsfreiheit dar – das sei aber nur erlaubt, wenn die Voraussetzungen gemäss Bundesverfassung dafür erfüllt sind.

«Vor dem Hintergrund des derzeitigen Wissensstands zur Übertragung von Covid-19, der für alle Kundgebungen geltenden Maskenpflicht sowie der Möglichkeit, Kundgebungsbewilligungen mit gesundheitspolizeilich motivierten Auflagen zu versehen und eine Bewilligung nötigenfalls im Einzelfall zu verweigern, erweist sich Regelung als unverhältnismässig», schreibt das Gericht.

Klage aus linksgrünen Kreisen

Gegen das Verbot geklagt hatten neun Personen, die Mitglieder bei den Parteien SP, Grüne, AL und PdA, der Gewerkschaft VPOD, zwei Klimastreikorganisationen, dem Frauenstreikkollektiv, der Gruppe Ni Una Menos oder dem 1.-Mai-Komitee sind. Die meisten von ihnen waren direkt vom Demoverbot betroffen.

Inzwischen hat der Kanton die Regeln gelockert: Neu sind bis zu 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einer Kundgebung zulässig. Ob diese Einschränkung rechtmässig ist, war vom Verwaltungsgericht nicht zu beurteilen. Aktuell gilt bei Veranstaltungen draussen landesweit eine Beschränkung auf 100 Personen. Kundgebungen sind davon aber ausgenommen; ausser einer Maskenpflicht sieht das Bundesrecht keine Einschränkungen vor.
(https://www.tagesanzeiger.ch/das-zuercher-demoverbot-war-nicht-rechtmaessig-935488126471)



nzz.ch 06.05.2021

Die Einschränkung des Demonstrationsrechts im Kanton Zürich verstiess gegen die Bundesverfassung

Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich rügt den Regierungsrat: Die Beschränkung der Personenzahl auf 15 bei Kundgebungen, das er Mitte März beschlossen hatte, sei unverhältnismässig und damit unzulässig gewesen.

Adi Kälin

Verschiedene Parteien und Organisationen aus dem rot-grünen Spektrum hatten gegen die Einschränkung des Demonstrationsrechts durch den Zürcher Regierungsrat Beschwerde beim Verwaltungsgericht eingereicht. Die Beschränkung auf 15 Personen komme einem eigentlichen Demonstrationsverbot gleich, hatten sie moniert. Eine ähnliche Beschwerde wurde auch im Kanton Bern eingereicht, wo die Kantonsregierung ebenfalls eine Beschränkung auf 15 Personen verfügt hatte.

Grundrecht zu stark eingeschränkt

Das Zürcher Verwaltungsgericht gibt den Beschwerdeführern nun recht: Die Beschränkung, wie sie in der kantonalen Covid-Verordnung festgehalten sei, verstosse tatsächlich gegen die Bundesverfassung; sie schränke die darin garantierte Meinungs- und Versammlungsfreiheit in unverhältnismässiger Art ein. Eine Minderheit des Gerichts war allerdings anderer Meinung.

Der angefochtene Punkt in der Covid-Verordnung ist zwar nicht mehr in Kraft; neu sind Kundgebungen mit bis zu 100 Personen möglich. Dies hat die Zürcher Regierung Mitte April entschieden, die Regelung gilt bis Ende Mai. Dennoch hat das Verwaltungsgericht sich zur Beschwerde geäussert, weil es sich um eine grundsätzliche Rechtsfrage handle, die sich so oder ähnlich wieder stellen könne.

Auf Bundesebene ist eine Beschränkung der Personenzahl bei politischen Veranstaltungen zur Meinungsbildung vorgegeben; maximal 50 Leute sind bei solchen Anlässen zugelassen. Bei Kundgebungen hingegen wird die Personenzahl nicht beschränkt. Dies zeige, dass Demonstrationen aus grund- und staatsrechtlicher Sicht von hoher Bedeutung seien, heisst es im Urteil des Verwaltungsgerichts. Es wird allerdings das Tragen einer Schutzmaske vorgeschrieben. «Im Übrigen» müssten die Kantone die Sache regeln.

Ob die Kantone überhaupt eine Beschränkung der Personenzahl bei Demonstrationen verfügen dürfen, lässt das Verwaltungsgericht offen, weil die angefochtene Verordnung schon aus anderen Gründen als verfassungswidrig beurteilt werden müsse. Grundsätzlich, so das Gericht weiter, dürften Eingriffe in die Grundrechte nicht einschneidender sein als erforderlich. Dies seien sie aber, wenn das Ziel – im konkreten Fall der Schutz der Gesundheit – auch mit milderen Massnahmen erreicht werden könnte.

Keine höhere Gefahr als beim Einkaufen

Im Rahmen der Bewilligung für eine Kundgebung könne man entsprechende Auflagen zum Schutz der Gesundheit erlassen – also etwa Abstandsregeln und Tragen von Schutzmasken. «Bei einer entsprechenden Ausgestaltung einer Kundgebung besteht auch bei mehr als 15 Teilnehmenden keine gegenüber dem täglichen Leben – etwa Besuchen in Einkaufsläden – erhöhte Ansteckungsgefahr und insbesondere kein erhöhtes Risiko eines sogenannten ‹Superspreader-Events›», findet das Verwaltungsgericht.

Noch weniger als bei einer normalen Demonstration rechtfertige sich eine Beschränkung auf 15 Personen bei einem Sitzstreik, bei dem die Abstände ja sehr gut eingehalten werden könnten. Denkbar sei allerdings auch, dass für eine Kundgebung im Einzelfall keine Bewilligung erteilt werde, wenn absehbar sei, dass so viele Leute kämen, dass die Schutzmassnahmen nicht mehr eingehalten werden könnten.

Zusammenfassend urteilt das Gericht, dass ein gänzliches Verbot von Demonstrationen mit mehr als 15 Personen nach aktuellem Wissensstand über die Pandemie unverhältnismässig sei. Die Beschwerde wird also gutgeheissen, die Aufhebung des angefochtenen Artikels in der Verordnung erübrigt sich allerdings, weil sie in der beanstandeten Form ja bereits ausser Kraft gesetzt worden ist.

Regierungsrat prüft Weiterzug

In einer Medienmitteilung kommentieren AL, Grüne und die SP der Stadt Zürich sowie der VPOD der Region Zürich das Urteil mit Genugtuung. Man bedaure nur, dass die Klärung für die Aktionen am 1. Mai zu spät komme. Diese hätten unnötigerweise unter restriktiven Einschränkungen stattfinden müssen, wird Luca Maggi, Gemeinderat der Grünen, in der Mitteilung zitiert.

Die Beschwerdeführer gehen aber noch einen Schritt weiter und fordern nun auch die Aufhebung der geltenden 100-Personen-Beschränkung. Auch diese Grenze sei für Veranstalter nicht kontrollier- oder umsetzbar, schreibt AL-Gemeinderätin Christina Schiller im Communiqué. Es bestehe die Gefahr, dass mehr als die erlaubten 100 Leute kämen und diese dann als Einzelpersonen den Kopf hinhalten müssten. «Damit ist die Ausübung der politischen Rechte nicht mehr gewährleistet.»

Ganz anderer Meinung ist der Regierungsrat, der laut einer Medienmitteilung auch den Weiterzug des Urteils prüft. Seit dem letzten Dezember gebe es im Kanton Zürich Einschränkungen von Demonstrationen; die Regelung hat sich nach Ansicht der Kantonsregierung in der Praxis bewährt. Sie sei auch der Grund dafür, dass im Kanton Zürich keine Massendemonstrationen stattgefunden hätten. Zusammenfassend heisst es: «Aus epidemiologischer Sicht spielt es keine Rolle, ob Menschenansammlungen an Kundgebungen oder sonstwie entstehen.»
(https://www.nzz.ch/zuerich/demonstrationsrecht-corona-einschraenkung-in-zuerich-ging-zu-weit-ld.1623867)



tagesanzeiger.ch 06.05.2021

Nach Urteil zu Corona-MassnahmenNun wollen die Kläger die volle Demo-Freiheit zurück

Der Kanton hat Kundgebungen mit mehr als 15 Personen zu Unrecht verboten. Das hat das Verwaltungsgericht entschieden.

Liliane Minor

«Im Moment sind die Restaurants zu. Es gibt keine Kultur- und Sportveranstaltungen. Da ist es nicht angebracht, Grossdemonstrationen zu bewilligen»: So begründete Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP) gegenüber TeleZüri Mitte März das im Kanton Zürich geltende Verbot für Demonstrationen und Kundgebungen mit mehr als 15 Personen.

Angebracht oder nicht, rechtlich war die Zürcher Bestimmung nicht zulässig. Das hat das Verwaltungsgericht in einem soeben veröffentlichten Urteil entschieden. Eine derartige Einschränkung des Versammlungs- und Meinungsäusserungsrechts sei unverhältnismässig und rechtswidrig. Denn das Ziel, die öffentliche Gesundheit zu schützen, lasse sich auch mit der geltenden Masken- und Bewilligungspflicht erreichen: «Bei einer entsprechenden Ausgestaltung einer Kundgebung besteht auch bei mehr als 15 Teilnehmenden keine gegenüber dem täglichen Leben erhöhte Ansteckungsgefahr.»

Gemäss Covid-19-Verordnung des Bundes seien Kundgebungen explizit ohne zahlenmässige Beschränkungen und Schutzkonzept zugelassen, so das Gericht weiter. Es bestehe deshalb «kein Zweifel an der bewussten Entscheidung (…), für politische und zivilgesellschaftliche Kundgebung keine maximale Anzahl Teilnehmer vorzusehen», heisst es im Urteil. Einstimmig fiel der Entscheid der fünf Richterinnen und Richter allerdings nicht. Eine Minderheit ist der Ansicht, die Zürcher Regel sei angesichts der Pandemie zumutbar.

«Es geht um Grundrechte»

Gegen die Zürcher Regelung Beschwerde eingelegt hatten die drei Stadtzürcher Parlamentsmitglieder Christina Schiller (AL), Luca Maggi (Grüne) und Natascha Wey (SP), VPOD-Co-Präsidentin Michèle Dünki-Bättig sowie fünf Mitstreiter. Die meisten von ihnen waren als Mitglieder von zwei Klimastreikorganisationen, dem Frauenstreikkollektiv, der Gruppe Ni Una Menos oder dem 1.-Mai-Komitee direkt von der Beschränkung betroffen.

Die Beschwerdeführenden zeigen sich verhalten erleichtert über das Urteil. Natascha Wey sagt: «Wir sind froh um die Klärung, denn es geht um Grundrechte.» Nun sei klar, dass die Kantone die Ausübung der politischen Rechte und die Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährleisten müssten, heisst es in einer Medienmitteilung von SP, Grünen, AL und der Gewerkschaft VPOD. Die Klimastreikenden verlangen zudem, dass die Behörden die bisherigen Verzeigungen gegen Demonstrantinnen und Demonstranten zurückziehen; «Diese stützten sich auf eine rechtswidrige Bestimmung.»

In den letzten Wochen waren die Bestimmungen immer wieder Gegenstand von politischen Diskussionen und harscher Kritik – vor allem auch deshalb, weil die Zürcher Stadtpolizei die Regeln strikt durchsetzte. So etwa am 19. März, als die Beamten junge Klimaaktivisten vom Sechseläutenplatz wegwiesen, die in Gruppen von drei bis fünf Personen einen Sitzstreik durchführten. Oder als die Polizei um den 7. März herum mehrere Kundgebungen teils mit Gewalt auflöste.

In jenen Tagen machte Polizeivorsteherin Karin Rykart (Grüne) eine bemerkenswerte Aussage im Gemeinderat: Sie bezeichnete die Demo-Regeln als «nicht nachvollziehbar». Die Stadtpolizei müsse diese aber umsetzen. Sie habe diesbezüglich mit Sicherheitsvorsteher Fehr telefoniert und ihn «auf die absurde Situation» hingewiesen. Auch die Stadtpolizei äusserte sich kritisch: Begrenzungen bei der Teilnehmerzahl seien nur schwer umsetzbar.

Gericht sagt nichts zur aktuellen Regel

Doch so klar sich das Verwaltungsgericht zur 15er-Regel äussert: Die volle Demonstrationsfreiheit erhalten die Zürcherinnen und Züricher damit nicht zurück. Denn per 19. April hat der Regierungsrat die fragliche Verordnung angepasst. Seither sind Kundgebungen bis 100 Personen zugelassen. Ob diese Beschränkung rechtens ist, dazu äussert sich das Verwaltungsgericht nicht.

Für Manuela Schiller, die als Anwältin zusammen mit Kollegin Ursula Weber die Beschwerde aufgegleist hat, ist aber klar: «Aus unserer Sicht ist das Urteil auch auf die 100er-Grenze übertragbar.» Dass das Gericht dies nicht klargestellt habe, sei enttäuschend.

In ihren Medienmitteilungen fordern die beteiligten Parteien und Organisationen den Kanton nun auf, die «rechtswidrige Einschränkung der Grundrechte» unverzüglich aufzuheben, auch im Hinblick auf den Frauenstreiktag vom 14. Juni. Denn auch die 100-Personen-Grenze laufe faktisch auf ein Demonstrationsverbot hinaus, sagt Gemeinderätin Christine Schiller: «Bewilligungsinhaber setzen sich dem grossen Risiko aus, dass einem öffentlichen Aufruf mehr als die erlaubten 100 Personen folgen und sie dann als Einzelperson den Kopf hinhalten müssen. Damit ist die Ausübung der politischen Rechte nicht mehr gewährleistet.»

Regierungsrat: Praxis hat sich bewährt

Ganz anderer Ansicht ist der Regierungsrat. Er teilte mit: «Der Entscheid bleibt für die geltende Regelung folgenlos.» Weiter schreibt er, die Zürcher Praxis habe sich bewährt. Auf die Frage, was genau unter «hat sich bewährt» zu verstehen sei, schreibt Regierungssprecher Andreas Melchior: «Im Kanton Zürich fanden bisher keine Massendemonstrationen statt.» Der Regierungsrat hat nun 30 Tage Zeit, um zu entscheiden, ob er das Urteil weiterzieht.

Eine ganz andere Frage ist, wie lange die derzeitige 100er-Regel noch in Kraft bleibt. Sie gilt vorerst bis Ende Mai, der Regierungsrat wird also schon bald festlegen müssen, wie es weitergeht. Anwältin Schiller sagt schon jetzt: «Wir würden eine Verlängerung anfechten.»

Zürich ist neben Bern der einzige Kanton, der die Demonstrationsfreiheit eingeschränkt hat. Auch in Bern ist eine Beschwerde hängig. Überall sonst in der Schweiz gilt die Bundesregel: Kundgebungen sind mit Maskenpflicht grundsätzlich bewilligungsfähig.
(https://www.tagesanzeiger.ch/nun-wollen-die-klaeger-die-volle-demo-freiheit-zurueck-420094014027)



Anzeigen nach Krawallen in St. Gallen – Schweiz Aktuell
Vor gut einem Monat kam es in St. Gallen zu gewaltsamen Jugendkrawallen und einem Sachschaden von 150’000 Franken. Die Polizei wertet immer noch Videomaterial aus, um die Verantwortlichen für die grossen Schäden zu finden.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/anzeigen-nach-krawallen-in-st–gallen?urn=urn:srf:video:2d461859-7b54-472e-b7f0-c87ae9f3a543


+++REPRESSION DE
Plötzlich Terroristin
Die Leipziger Studentin Lina E. sitzt seit sechs Monaten als vermeintliche linke Gewalttäterin in Haft
Seit November sitzt die Leipziger Studentin Lina E. als angeblicher Kopf einer linken Zelle in Haft. Seither ist sie auch Gegenstand medialer Vorverurteilung.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1151647.antifaschistin-lina-e-ploetzlich-terroristin.html
-> https://www.akweb.de/bewegung/free-lina-paragraf-129-verfolgungswelle-gegen-linke/


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Härtefall: Aufenthaltsbewilligung von Trans-Frau aus Mauritius wird verlängert
Weil ihr Herkunftsland Transgender-Menschen nicht anerkennt, darf eine Mauritierin weiter in der Schweiz bleiben. Das Bundesverwaltungsgericht widerruft damit einen Entscheid des Staatssekretariats für Migration (SEM).
https://www.aargauerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/bundesverwaltungsgericht-haertefall-aufenthaltsbewilligung-von-trans-frau-aus-mauritius-wird-verlaengert-ld.2133860
-> Urteil: https://www.bvger.ch/bvger/de/home/medien/medienmitteilungen-2021/hartefallaufenthaltsbewilligungfurmauritischetransgenderfrauverlangert.html



nzz.ch 06.05.2021

Härtefall: Transfrau aus Mauritius darf in der Schweiz bleiben

Sie kam als Mann in die Schweiz, schloss eine eingetragene Partnerschaft und unterzog sich einer Geschlechtsanpassung. Dann ging die Partnerschaft in die Brüche, und sie sollte die Schweiz verlassen. Nun sagt das Bundesverwaltungsgericht: Das ist nicht zumutbar.

Kathrin Alder

Es ist selten, dass in einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von wahrer Liebe die Rede ist. Heiratet jemand aus dem Ausland eine Schweizerin oder einen Schweizer und geht es anschliessend um Fragen des berechtigten Aufenthalts, sind Worte wie «Zweckehe» oder gar «Scheinehe» oft nicht weit. Nicht so in diesem Fall. Er sei zutiefst überzeugt davon, dass sein Ex-Partner aus Liebe zu ihm in die Schweiz gekommen sei und nicht aus Interesse, gab der ehemalige Partner zu Protokoll.

Für das Bundesverwaltungsgericht gibt es keine Gründe, an dieser Aussage zu zweifeln. Die Richterinnen und Richter in St. Gallen hatten den Fall einer aus Mauritius stammenden Transfrau zu beurteilen. Der Begriff «Trans» umfasst Menschen, die sich nicht jenem Geschlecht zugehörig fühlen, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Die mauritische Transfrau wurde bei ihrer Geburt dem männlichen Geschlecht zugeordnet. Im Oktober 2014 reiste sie zu ihrem Partner in die Westschweiz und ging mit ihm eine eingetragene Partnerschaft ein. Entsprechend erhielt sie auch eine Aufenthaltsbewilligung.

Veränderungen nicht akzeptiert

2016 unternahm die Transfrau erste Schritte hin zu einer Geschlechtsanpassung. Ihr Partner war ursprünglich damit einverstanden und unterstützte sie in ihrem Transformationsprozess. Doch wie er später in einer Befragung erklärte, sei es ihm immer weniger gelungen, die Veränderungen zu akzeptieren. Er habe schliesslich realisiert, dass er mit einem Mann zusammenleben wolle und nicht mit einer Frau. Das Paar trennte sich. Im Dezember 2017 löste es die eingetragene Partnerschaft auf.

Die Einwohnerdienste verlängerten die Aufenthaltsbewilligung der Transfrau trotz Trennung und gaben das Dossier an das Staatssekretariat für Migration (SEM) weiter. Doch dieses sah keinen Grund für eine Verlängerung. Die Transfrau wehrte sich, gab an, eine Geschlechtsanpassung werde in Mauritius nicht anerkannt. Zahlreiche Dokumente würden ausserdem belegen, dass Transmenschen und Personen aus der LGBTQ-Gemeinschaft auf Mauritius diskriminiert würden. Das SEM holte daraufhin Erkundigungen ein, im April 2019 folgte der Entscheid: Die Situation von Transmenschen auf Mauritius sei nicht schwerwiegend genug, um eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung zu rechtfertigen. Es lehnte das Gesuch der Betroffenen ab und setzte eine Frist für ihre Ausreise an.

Nun musste sich das Bundesverwaltungsgericht mit dem Fall befassen. Das Urteil ist am Donnerstag publiziert worden. Die Richterinnen und Richter in St. Gallen kommen gestützt auf das Ausländergesetz zum Schluss, die Transfrau sei ein Härtefall. Sie darf also in der Schweiz bleiben.

Transmenschen werden diskriminiert und verstossen

Eine Rückkehr in die Heimat erachtet das Bundesverwaltungsgericht als nicht zumutbar. Geschlechtsanpassungen seien auf Mauritius verboten, sowohl medizinische als auch administrative. Entsprechend würden bereits vollzogene Anpassungen von den Behörden auch nicht anerkannt. Für die betroffene Transfrau bedeute dies, dass sie in ihrer Heimat nicht als Frau leben könne. Sie wäre gezwungen, im Körper einer Frau zu leben, während sie offiziell als Mann gälte. Sie könne somit auch keinen Mann heiraten, da gleichgeschlechtliche Ehen auf Mauritius ebenfalls verboten sind.

Transmenschen würden auf Mauritius zudem regelmässig diskriminiert und von ihren Familien verstossen. Ohnehin sei fraglich, ob die Transfrau überhaupt in ihre Heimat zurückkehren könne. Immerhin stimmten ihre Identität und ihr Aussehen nicht mehr mit den Angaben in ihrem Reisepass überein.

Und schliesslich komme hinzu, dass die Transfrau nach wie vor medizinisch intensiv betreut werde, sowohl von Ärzten als auch von Psychotherapeuten. Eine solche Behandlung sei auf Mauritius nicht gewährleistet. Laut einem medizinischen Bericht muss sie sich auf unbestimmte Zeit einer Hormontherapie unterziehen. Ohne Hormonbehandlung und die Möglichkeit gelegentlicher psychiatrischer Beratung würde sie aber erneut in eine sogenannte Geschlechtsdysphorie geraten – eine Art Identitätsstörung mit schwerwiegenden psychischen Folgen, schliesst der Bericht.

Abhängig von der Sozialhilfe

Negativ ins Gewicht fällt für das Bundesverwaltungsgericht indes die Tatsache, dass die Transfrau seit 2017 Sozialhilfe bezieht. Sie war zunächst im Gesundheitsbereich tätig, doch soll ihre Geschlechtsanpassung nach eigenen Angaben zu beruflichen Schwierigkeiten geführt haben. Zum einen habe sie sich schweren Operationen unterzogen, zum anderen habe ihr berufliches Umfeld mit ihren physischen Veränderungen teilweise grosse Mühe gehabt.

Für die Richterinnen und Richter in St. Gallen sind diese Erklärungen glaubwürdig. Sie habe sich zudem stets um eine berufliche Wiedereingliederung bemüht, habe mehrere Schulungen absolviert und an einem Programm teilgenommen, das zu einem mehrmonatigen Anstellungsverhältnis führen könne. Das Bundesverwaltungsgericht ist deshalb überzeugt, dass sich die Lage der Transfrau bald bessere, auch wenn sie insbesondere aufgrund der Pandemie ungewiss bleibe. Es betonte deshalb auch, die Lage sei regelmässig neu zu beurteilen, gerade wenn die Abhängigkeit von der Sozialhilfe noch länger andauere.

Das Urteil kann beim Bundesgericht angefochten werden.

Urteil F-2233/2019 des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. 4. 2021.
(https://www.nzz.ch/schweiz/haertefall-trans-frau-aus-mauritius-darf-in-der-schweiz-bleiben-ld.1623756)


+++KNAST
Interpellation SVP: Wiedereröffnung des ehemaligen Jugendheims Prêles, um den Mangel an geschlossenen Vollzugsplätzen für jugendliche Straftäter aus der Westschweiz zu beheben?
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-d17113a58334493eb242c181166b5a3c.html


+++BIG BROTHER
Der gläserne Gast
Der Kanton Bern speichert Contact-Tracing-Daten von Restaurantbesuchern zentral abgeliefert werden sollen sie von umstrittenen Apps. Mehrere Kantone wollen nun nachziehen. Aus Datenschutzsicht ist das verheerend.
https://www.republik.ch/2021/05/06/der-glaeserne-gast


+++POLIZEI TI
Video zeigte Szene in Lugano TI: Zwei Tessiner Polizisten angeklagt – wegen dieser rabiaten Verhaftung
Sie wurden übel beleidigt und gefilmt. Doch jetzt werden zwei Polizisten wegen einer rabiaten Verhaftung im Dezember 2020 in Lugano TI angeklagt. Ihnen wird Amtsmissbrauch und Tätlichkeit vorgeworfen. Das Video machte im Netz die Runde.
https://www.blick.ch/schweiz/tessin/video-zeigte-szene-in-lugano-ti-zwei-tessiner-polizisten-angeklagt-wegen-dieser-rabiaten-verhaftung-id16506972.html


+++POLIZEI CH
Polizeiausbildung nach Berner Entscheid mit ungewisser Zukunft
Die Interkantonale Polizeischule Hitzkirch verliert ihren stärksten Mitstreiter: Der Kanton Bern will ab 2036 eine eigene Polizeischule führen. Nun liegt es an den Kantonen – darunter dem Kanton Zug – neue Lösungen zu finden.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/zug/kanton-zug-polizeiausbildung-nach-berner-entscheid-mit-ungewisser-zukunft-ld.2133643


+++RASSISMUS
Jasmina Kuhnke kämpft gegen Hass im Netz: „Die deutschen Behörden müssen aufwachen“
Jasmina Kuhnke macht sich auf Twitter gegen Rassismus stark. Im Februar wurde ihre Adresse im Netz veröffentlicht, sie erhielt explizite Morddrohungen und musste umziehen. Nun hat sie einen Fonds für weibliche, nicht-binäre und Trans-Aktivist:innen eröffnet, die im Netz und darüber hinaus verfolgt werden.
https://enorm-magazin.de/gesellschaft/gleichstellung/die-deutschen-behoerden-muessen-aufwachen


+++RECHTSEXTREMISMUS
Strafbefehl gegen Tobias Steiger: Mehr als zwei Jahre nach Hetzrede klopft Behörde Neonazi auf die Finger
Die Kundgebung der rechtsextremen Partei national orientierter Schweizer (Pnos) vom November 2018 in Basel bleibt vor allem wegen der massiven Gegendemonstration in Erinnerung. Nun gibt es eine erste Sanktion gegen den damaligen Basler Pnos-Chef.
https://www.20min.ch/story/mehr-als-zwei-jahre-nach-hetzrede-klopft-behoerde-neonazi-auf-die-finger-907373662456
-> https://telebasel.ch/2021/05/06/ehemaliger-basler-pnos-chef-wegen-antisemitismus-verurteilt/?channel=105100
-> https://www.watson.ch/schweiz/basel/285508063-ehemaliger-basler-pnos-chef-wegen-antisemitismus-verurteilt


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Aarau rechnet mit mehreren Tausend Corona-Demonstranten – Regierungsrat ruft zum Einhalten des Verbots auf
Offiziell haben die Organisatoren die für Samstag geplanten und von den Behörden verbotenen Kundgebungen gegen Coronamassnahmen in Aarau und Wettingen abgesagt. Dennoch geht Hanspeter Hilfiker, der Aarauer Stadtpräsident, davon aus, dass mehrere Tausend Personen zu einer unbewilligten Demonstration anreisen dürften.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/aarau-rechnet-mit-mehreren-tausend-corona-demonstranten-regierungsrat-ruft-zum-einhalten-des-verbots-auf-ld.2133890


Coronavirus: Aarau und Wettingen rechnen mit Demonstranten
In Aarau und Wettingen AG könnte am Samstag erneut gegen die Massnahmen im Kampf gegen das Coronavirus demonstriert werden. Dies trotz Verbots der Behörden.
https://www.nau.ch/news/schweiz/coronavirus-aarau-und-wettingen-rechnen-mit-demonstranten-65920785


Die Ideologie der Pandemieleugner
Wer steckt hinter der Gruppe, die in Wettingen und Aarau gegen die Corona-Massnahmen demonstrieren wollte? Eine Recherche.
https://robinadrienschwarz.medium.com/die-ideologie-der-pandemieleugner-61d1bd6458e5


Anonymous verpasst Querdenkern erneut einen Schlag
Heute vor einem Jahr nahm Anonymous den virtuellen Kampf gegen Coronaleugner und rechtsextreme Verschwörungserzähler auf. Zum Jubiläum hat das Hacker-Kollektiv das Reichsbürger-Netzwerk des selbsternannten «Königs von Deutschland» gehackt.
https://www.watson.ch/digital/coronavirus/250677607-anonymous-kam-sah-und-hackte-reichsbuerger-netzwerk


Fakecheck: Giftige Abstrich-Stäbchen und Parasiten in Masken – 10vor10
In den sozialen Medien kursieren Videos und Meldungen über giftige und krebserregende Abstrich-Stäbchen. Auf Hygienemasken und Abstrich-Stäbchen sollen gar Parasiten platziert worden sein. Der «10 vor 10»-Fakecheck geht diesen Behauptungen auf den Grund.
https://www.srf.ch/play/tv/10-vor-10/video/fakecheck-giftige-abstrich-staebchen-und-parasiten-in-masken?urn=urn:srf:video:64cb4136-d895-400f-9cad-e097ec1185ee



derbund.ch 06.05.2021

Initiator von #allesdichtmachen: Ein Filmer provoziert Deutschland

Regisseur Dietrich Brüggemann mischt die deutsche Corona-Debatte auf. Schweizer Filmemacher wollen nun eine Veranstaltung mit ihm verhindern.

Linus Schöpfer, Pascal Blum

Letzte Woche gab die Schauspielerin Miriam Stein dieser Zeitung ein Interview.

Die Schweizerin hatte bei #allesdichtmachen mitgemacht und in ihrem Beitrag empfohlen, auch Ungeborene auf Corona testen zu lassen. Das Video wurde auf Youtube 350’000-mal geklickt.

Stein wollte nicht sagen, wer hinter der Satire-Aktion steckte. Auch nicht, ob sie sich das Video selber ausgedacht hat.

Dass Miriam Stein überhaupt ein Interview gab, entsprach dabei offenbar nicht den Plänen der Initianten. Pläne, von denen die Öffentlichkeit dieser Tage peu à peu mehr erfährt.

So zitierte der «Spiegel» jüngst aus der Projektskizze, mit der im Vorfeld um Unterstützung geworben worden war. Darin wird festgehalten, wie sich die Schauspieler nach der Publikation verhalten sollen: «Wenn die Aktion dann mal in der Welt ist, dann schweigen wir.» Und: «Keine Statements, keine Interviews.»

Bleibtreu untreu?

Regisseur Dietrich Brüggemann und die Schauspieler Volker Bruch und Jan Josef Liefers waren gemäss Recherchen des «Spiegels» und anderer Medien die Initiatoren.

Brüggemann gilt als Vordenker, er drehte laut NDR mit dem wenig bekannten Produzenten Bernd K. Wunder in Berlin, München und Wien die Videos.

Ein weit prominenterer Name, so berichteten parallel der «Spiegel» und der Berliner «Tagesspiegel», war offenbar im Vorfeld involviert gewesen: Moritz Bleibtreu. Allerdings sei Bleibtreu kurz vor der Veröffentlichung abgesprungen, angeblich auf Druck eines Werbepartners.

Dies zum Ärger einiger Kolleginnen, die wegen des berühmten Schauspielers überhaupt mitgemacht hätten. Volker Bruch hätte über Bleibtreus Ausstieg informieren sollen, das aber unterlassen. Bruch habe weitere Abgänge befürchtet und deshalb nichts gesagt.

Bruch, der Partner von Miriam Stein, machte sich als Hauptdarsteller der TV-Serie «Babylon Berlin» einen Namen. Auf dem Filmset fiel Bruch jüngst auf, weil er dank einer ärztlichen Sondergenehmigung ohne Maske unterwegs ist.

Die Kritikerplattform

Die Aktion #allesdichtmachen war kein spontanes Projekt befreundeter, bislang unpolitischer Schauspieler, wie man anfänglich denken konnte.

So unterstützen die Initianten Bruch und Brüggemann «1 bis 19», eine Plattform für Kritiker der deutschen Corona-Politik.

«1 bis 19»-Gründer Paul Brandenburg, ein Notfallmediziner, sieht in der Corona-Krise «eine Art Kulturkampf des Rechtes auf physisches Leben, der zeitlichen Existenz, gegen Menschenwürde und Lebensqualität».

Brandenburg wusste früh von #allesdichtmachen, das gibt auch Brüggemann zu. Im März sagte Brandenburg in einer Youtube-Sendung: «Wir haben aus dem Medien- und Kunstbereich Namen, die im Vorabend- und Hauptabendprogramm bekannt sind aus den grossen Sendern.» Von diesen würden sich in Kürze sehr viele «outen».

Bruchs Eintrittsgesuch

Zu Bruch wurde diese Woche bekannt, dass er einen Mitgliedsantrag bei der Partei Die Basis gestellt hat. Diese wurde im Sommer 2020 als Reaktion auf die deutsche Corona-Politik gegründet und hat mittlerweile um die 15’000 Mitglieder.

Die Partei will Parteien als politische Organisationsform überwinden. An ihre Stelle sollen Abstimmungen treten, bei denen Bürger in wichtigen Fragen einen Konsens finden.

Zu den Forderungen der Partei gehören eine strafrechtliche Aufarbeitung der Corona-Politik und eine «Erneuerung» des sozialen Lebens, aber auch Klimaneutralität oder eine ökologische Landwirtschaft. Die Corona-Impfkampagne bezeichnet sie als das «grösste medizinische Experiment am Menschen».

Prominente Vertreter der Partei gehören der rechts-esoterischen, für Verschwörungstheorien bekannten Querdenker-Bewegung an. In einer Umfrage der Uni Basel erklärten 18 Prozent der befragten Querdenker, bei der nächsten Bundestagswahl Die Basis wählen zu wollen.

Wer schrieb die Texte?

Die Kontroverse um #allesdichtmachen hat nicht nur mit den Videos zu tun, die viele als zynisch empfinden. Sondern auch mit der Frage, wofür die Teilnehmer stattdessen stehen.

Möchten sie nur die Pandemiepolitik hinterfragt sehen, einzelne Massnahmen wie etwa die Ausgangssperre? Oder geht es ihnen letztlich doch ums grosse Ganze: Deutschland, seine derzeitige Verfassung, die Parteien, die Demokratie?

Auch ist nach wie vor unklar, wer die Texte zu den Videos von #allesdichtmachen geschrieben hat. «Teilweise sprechen die Akteure ihre eigenen Texte, teilweise nicht, teilweise ist es eine Mischung», sagt Dietrich Brüggemann im «Spiegel».

Umtriebiger Liefers

Von den drei Organisatoren ist Liefers der bekannteste. Nach der Veröffentlichung von #allesdichtmachen trat er in grossen Talkshows auf und debattierte mit Gesundheitsminister Jens Spahn.

Liefers versteht sich als Botschafter eines grossen, vernünftigen, jedoch ungehörten Teils der Gesellschaft. Kein Nachteil für ihn ist, dass er als Ermittler im «Tatort» berühmt geworden ist, mit einer populären Sendung von ausgeprägter Biederkeit. Politik und Medien würden den Menschen zu wenig zuhören und die grosse allgemeine Unzufriedenheit übersehen, so Liefers.

Tatsächlich zeigen Umfragen, dass die Zustimmung zur deutschen Corona-Politik in den letzten Monaten deutlich gesunken ist. Allerdings ist dabei nicht nur der Anteil jener gewachsen, die für Lockerungen plädieren. Vermehrt werden auch härtere Massnahmen gewünscht.

Während Bruch wortkarg bleibt, gab mittlerweile auch Brüggemann ein paar Interviews. Er kritisiert vor allem die Kommunikation der deutschen Regierung. Diese sei nicht ehrlich. Sie wolle der Bevölkerung weismachen, dass der Lockdown etwas Lustiges sei. Dies, obwohl die Massnahmen «an die Essenz unseres Menschseins» gingen. Man müsse jetzt «aufmachen».

Brüggemann triggert dabei gezielt Ressentiments. Etwa, wenn er pauschal von der «bessergestellten Laptopklasse» spricht. Diese lasse sich von «der anpackenden Bevölkerung» Dinge nach Hause liefern, fotografiere dann am Wochenende ebendiese Menschen, wenn sie sich im Freien aufhielten, und poste die Bilder dann auf Twitter.

Welche Alternativen?

Obskur bleibt, in welchen politischen Alternativen die Initiatoren von #allesdichtmachen denken.

Wie er sich eine gute Pandemiepolitik vorstellt, sagte Brüggemann bisher nicht. Auf seinem Blog bittet er aber, die sofortige Aufhebung sämtlicher Schutzmassnahmen «als Option nicht aus dem Diskurs auszuschliessen».

Den Istzustand verneinen und zugleich alle Möglichkeiten offenhalten: Seine Rolle als Provokateur der Meinungsfreiheit spielt Brüggemann bisher sehr gekonnt.



Die Aktion

An der Onlineaktion #allesdichtmachen nahmen 51 Schauspielerinnen und Schauspieler sowie der Regisseur Dietrich Brüggemann teil.

Unter den Teilnehmenden befindet sich viel «Tatort»-Prominenz, etwa Ulrich Tukur oder Jan Josef Liefers. Dazu kommen bekannte Schauspielerinnen wie Heike Makatsch und Miriam Stein oder auch Hanns Zischler, Wim Wenders’ Weggefährte.

In ihren Videos überzeichnen die Darsteller die deutsche Corona-Politik und die Argumente ihrer Unterstützer. Am Donnerstag, dem 22. April, wurden die Videos auf Youtube aufgeschaltet. Die Aktion prägt seither die deutsche Corona-Debatte. (lsch)



Brüggemann soll als Juror ersetzt werden

Die Gruppe Swiss Fiction Movement fordert den «sofortigen Ersatz» von Dietrich Brüggemann als Juror bei der Zürcher Filmstiftung. Zu den Mitgliedern der Gruppe gehören unter anderem die Regisseure Pierre Monnard («Wilder»), Samuel Schwarz oder Mirko Bischofberger. Brüggemann beurteilt derzeit mit seiner Schwester Anna die Fast-Track-Gesuche, eine Förderung für innovative Formate mit kleinerem Budget, die Swiss Fiction Movement massgeblich angestossen hatte.

Der Grundgedanke hinter dem Fast-Track-Fördermittel sei die inhaltliche und formale Freiheit der Stoffe, schreibt Joël Jent, Präsident von Swiss Fiction Movement. «Die Äusserungen von Brüggemann und den verbundenen Personen der Filmszene motivieren aktuell zu Stellungnahmen gegen #allesdichtmachen. Die Freiheit der Stoffe scheint uns deshalb nicht mehr gewährleistet, es sind zu viel Emotionen im Spiel, die die objektive Beurteilung der Stoffe und Ideen verunmöglichen.»

Der Sachverhalt werde geprüft, sagt Filmstiftungs-Geschäftsführerin Julia Krättli. «Wir nehmen die Bedenken ernst.» Das Geschwisterpaar Brüggemann sei aber lange vor der Aktion #allesdichtmachen aufgrund seines gemeinsamen bisherigen Schaffens als Jury ausgewählt worden.

Der ehemalige Fast-Track-Gewinner Eric Bergkraut («Wir Eltern») wehrt sich gegen eine Absetzung: «Diese deutsche Querdenker-Bewegung geniesst nicht den Hauch meiner allerleisesten Sympathie. Hingegen stört mich das rundum galoppierende Lagerdenken. Was und wer da alles aus Gegenwart und Geschichte rausgecancelt werden soll!»

Die Zürcher Filmstiftung ist neben Cinéforom in der Westschweiz die grösste regionale Filmförderung im Land. 2020 unterstützte sie Projekte mit rund 9,2 Millionen Franken. Stiftungsratspräsident ist Stadtpräsidentin Corine Mauch. (blu)
(https://www.derbund.ch/ein-filmer-provoziert-deutschland-893684672907)