Medienspiegel 5. Mai 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BASEL
Es begann ganz banal: 25-Jähriger muss nach Streit mit Securitas-Mitarbeitenden ausreisen
Ein Algerier wollte kurz nach acht Uhr morgens etwas aus seinem Zimmer im Bundesasylzentrum in Basel holen. Als ihm dies verwehrt wurde, wurde er ausfällig gegenüber drei Securitas-Mitarbeitenden. Dafür musste er sich vor dem Strafgericht verantworten.
https://www.bzbasel.ch/basel/strafgericht-basel-stadt-es-begann-ganz-banal-25-jaehriger-muss-nach-streit-mit-securitas-mitarbeitenden-ausreisen-ld.2133442


+++THURGAU
Frauenduschen ohne Türen in Asylunterkunft
Zwei SP-Kantonsrätinnen kritisieren die Bedingungen, unter denen Frauen und Mädchen in Asylunterkünften leben. Im Grossen Rat finden sie Rückhalt.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/thurgau-frauenduschen-ohne-tueren-in-asylunterkunft-ld.2133681


+++SCHWEIZ
SEM lässt Gewaltvorwürfe untersuchen
Verschiedene Medien erheben Vorwürfe wegen angeblicher, exzessiver Gewaltanwendung in Bundesasylzentren. Staatssekretär Mario Gattiker hat Alt-Bundesrichter Niklaus Oberholzer damit beauftragt, diese Einzelfälle zu untersuchen. Die Öffentlichkeit wird nach Abschluss der Untersuchung über die Ergebnisse informiert. Zudem werden die internen Abläufe im Sicherheitsbereich überprüft. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) ist bereits daran, verschiedene Massnahmen zur Prävention von Gewalt in den Bundesasylzentren umzusetzen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-83389.html
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/externe-untersuchung-gewaltvorwuerfe-in-asylzentren-bund-suspendiert-sicherheitsleute
-> https://www.rts.ch/info/suisse/12175381-bavures-et-rapports-trafiques-la-securite-derape-dans-les-centres-federaux-dasile.html
-> https://www.tagblatt.ch/news-service/inland-schweiz/bundesasylzentren-gibt-es-gewalt-in-den-bundesasylzentren-das-sem-laesst-die-vorwuerfe-untersuchen-ld.2133224
-> https://www.nzz.ch/schweiz/gewalt-in-asylzentren-sem-laesst-vorwuerfe-extern-untersuchen-ld.1623603?mktcid=smsh&mktcval=Twitter
-> https://www.blick.ch/schweiz/der-bund-reagiert-wegen-gewalt-in-asylzentren-jetzt-wurden-14-sicherheitsleute-suspendiert-id16504205.html
-> https://www.20min.ch/story/bund-entlaesst-sicherheitsleute-nach-gewaltvorwuerfen-in-asylzentren-111045872968
-> https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/190132/
-> https://www.derbund.ch/gewaltvorwuerfe-in-asylzentren-sollen-extern-untersucht-werden-527294160817
-> https://www.fluechtlingshilfe.ch/medienmitteilungen/gewaltvorfaelle-unabhaengige-beschwerdestelle-dringend-notwendig
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/asylzentrum-baesslergut-bund-leitet-externe-untersuchung-ein?id=11978735
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/gewalt-im-bundesasylzentrum-sicherheitsangestellte-belastet?id=11978981
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/gewaltvorwuerfe-in-schweizer-asylzentren?urn=urn:srf:video:d15685d7-e80d-4de1-947d-f536d5fda73b
-> Rundschau: https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/gewaltzone-asylheim-mario-gattiker-agrar-initiativen?urn=urn:srf:video:2f455cf0-dcc8-4824-aafc-1f2a16d9cc6e



DROHUNGEN GEGEN ANGESTELLTE: DER MOB UND DIE MEDIEN
(woz.ch 5.5.2021)
«Linker Mob macht Jagd auf Asyl-Betreuerin», warnte der «Blick» letzte Woche in grossen Lettern auf seiner Titelseite. «Privatadresse veröffentlicht, Katze gequält, Bremsventil manipuliert»: Mit diesen brutalen Methoden würden Linksradikale eine Mitarbeiterin des Basler Bundesasylzentrums Bässlergut bedrohen. Was nachweislich zutrifft: Auf dem autonomen Infoportal «Barrikade» wurden die Kontaktdaten von drei MitarbeiterInnen des Staatssekretariats für Migration (SEM), der Betreuungsfirma ORS sowie der Securitas veröffentlicht und Mitte März zu einem «Telefon- und Mail-Aktionstag» gegen die «VertreterInnen der drei Drecksinstitutionen» aufgerufen.

In einer Medienmitteilung bezeichnet das SEM sämtliche Angriffe als «politisch motiviert». KennerInnen der linken Basler Szene stellen dies infrage. So schreibt das Kollektiv «3 Rosen gegen Grenzen», das mit Recherchen im Asylbereich tätig ist: «Wir können uns nicht vorstellen, dass Personen aus linken sozialen Bewegungen solche Taten begehen. Es gehört schlicht nicht zu ihren Methoden, unbeteiligte Personen zu gefährden oder Tieren Schmerzen zuzufügen.» Die Bremsmanipulationen am Fahrzeug seien von einem Fachmann untersucht worden, teilt das SEM auf Nachfrage mit. Es hat deshalb Anzeige bei der Bundesanwaltschaft eingereicht. Wer hinter den Angriffen steckt, ist nun Gegenstand von Ermittlungen.

Augenfällig ist derweil: Während die Recherchen der WOZ und der «Rundschau» bezüglich der Gewaltvorwürfe gegen SicherheitsmitarbeiterInnen durch das SEM verzögert wurden (vgl. Haupttext oben), machte das Bundesamt die Drohungen gegen die Angestellten aktiv publik. Mehr noch: Die Behörde verknüpfte die beiden Themen in Mails an die WOZ und die «Rundschau». Auch zuhanden von Vorgesetzten wies die Behörde die JournalistInnen darauf hin, dass sie zwar keine «direkte Mitverantwortung» für die Entwicklung trügen, mit ihrer Arbeit aber durchaus Einfluss «auf das Verhalten gewisser Aktivisten» hätten.

Die JournalistInnen nahmen ihre Verantwortung tatsächlich wahr und recherchierten trotz des Drucks weiter. Dass nun eine unabhängige Untersuchung zum Sicherheitspersonal eingeleitet wurde: Dieser Erfolg musste auch gegen die PR-Taktik einer Bundesbehörde erstritten werden, die eigentlich zur Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit verpflichtet wäre.

Kaspar Surber
(https://www.woz.ch/2118/asylzentren/die-rapporte-der-gewalt)



Flüchtlingspolitik – Nun ergreifen Betroffene das Wort – RaBe-Info 05.05.2021
Kaum ein Thema bewegt die politischen Gemüter stärker als die Asyl- und Flüchtlingspolitik. Seit Jahren schraubt und flickt das Parlament an den Gesetzen, auch aktuell wieder im Rahmen der
Sondersession des Nationalrates.
Die Betroffenen selber kommen dabei kaum, ja eigentlich nie zu Wort, weil sie weder eine starke Lobby haben, noch ausreichend organisiert und vernetzt sind und so ihre Anliegen und Forderungen auch kaum in die nationale Politik einbringen können.
Das soll sich nun ändern: So Corona will tagt am Samstag, 6. Juni 2021 in Bern das schweizweit 1. Flüchtlingsparlament.
https://rabe.ch/2021/05/05/fluechtlingsparlament/


+++DEUTSCHLAND
Abschiebung von Asylbewerbern: »Die frühen Morgenstunden sind die gefährlichsten«
Der Aktivist Hagen Kopp will Asylbewerber vor der Abschiebung bewahren – und steht deshalb nun erneut vor Gericht. Im Interview kritisiert er die deutsche Praxis und spricht über seinen Prozess.
https://www.spiegel.de/panorama/abschiebung-von-asylbewerbern-die-fruehen-morgenstunden-sind-die-gefaehrlichsten-a-41c8dd69-23ce-48c7-862a-62447b90f468


+++EUROPA
Revealed: 2,000 refugee deaths linked to illegal EU pushbacks
A Guardian analysis finds EU countries used brutal tactics to stop nearly 40,000 asylum seekers crossing borders
https://www.theguardian.com/global-development/2021/may/05/revealed-2000-refugee-deaths-linked-to-eu-pushbacks


+++ERITREA
Escaping Eritrea
An unprecedented undercover investigation into one of the world’s most repressive regimes — Eritrea. Exclusive secret footage and testimony shed new light on shocking allegations of torture, arbitrary detention and indefinite forced conscription.
https://www.pbs.org/wgbh/frontline/film/escaping-eritrea/


‘I Didn’t Lose Hope’: Meet a Man Who Risked His Life to Secretly Film Inside One of Eritrea’s Brutal Prisons
https://www.pbs.org/wgbh/frontline/article/secret-footage-filmed-in-eritrea-prison-refugee-shares-story/


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
Saftige Bussen für Fahrende: Sie müssen den Parkplatz bei der Bieler Tissot-Arena verlassen
In Biel haben sich ausländische Fahrende auf dem Parkplatz bei der Tissot-Arena niedergelassen. Bis heute Mittag hätten sie den Platz wieder verlassen müssen. Weil sie das Gelände aber nicht fristgerecht geräumt haben, verteilt die Polizei jetzt Bussen.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/saftige-bussen-fuer-fahrende-sie-muessen-den-parkplatz-bei-der-bieler-tissot-arena-verlassen-141793323


+++FREIRÄUME
Die «Familie Eichwäldli» meldet sich: «Die Situation wird immer absurder»
Nach dem Polizeieinsatz vom Dienstag sind die Bewohnerinnen und Bewohner zurück in der Liegenschaft am Murmattweg. Jetzt legen sie ihre Sicht des vergangenen Tages dar.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/stadt-luzern-die-familie-eichwaeldli-meldet-sich-die-situation-wird-immer-absurder-ld.2133430
-> https://www.zentralplus.ch/eichwaeldli-was-wir-als-luzerner-aus-dem-fall-lernen-koennen-2078015/


+++GASSE
Drogenpolitik – damals und heute – Schweiz Aktuell
Die offenen Drogenszenen sind verschwunden, der Drogenkonsum jedoch nicht. Er hat sich verändert und damit auch die Behandlung von Suchtkranken. Eine ehemalige Heroinabhängige erzählt und Michael Weinmann meldet sich live aus dem Rehazentrum Lutzenberg AR.
https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/drogenpolitik—damals-und-heute?urn=urn:srf:video:f416dbfc-92a1-4109-ab26-5549eed4aba5


+++DROGENPOLITIK
Bundesrat skizziert neue Schweizer Drogenpolitik – Echo der Zeit
Illegale Substanzen wie Cannabis, Kokain oder LSD, werden vor allem von Jugendlichen als Freizeitdrogen konsumiert. Deshalb will der Bundesrat die Drogenpolitik anpassen und denkt über eine fast revolutionäre Änderung nach: Den Konsum aller Drogen straffrei zu machen.
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/bundesrat-skizziert-neue-schweizer-drogenpolitik?id=d6427ebb-3f17-4d5b-ab44-e50795d05cfc


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Wagenplatz “Wagabunten”
Statement zu unserer aktuellen Sitation auf dem Wagabunten Wagenplatz in Solothurn.
7 Jahre sind genug!
“Die Wagabunten” gibt es immer noch!
Bereits seit 7 Jahren sind wir in unseren Wagen in der Stadt Solothurn und Umgebung anzutreffen. 7 Jahre, in welchen wir versuchen unserem Anliegen, ein fixen Standort für unseren Wagenplatz, Gehör zu verschaffen. Doch leider gibt es nach wie vor keine Lösung für unser alternatives Wohnprojekt.
https://barrikade.info/article/4471


Fundis aufs Maul!
Zu Besuch bei ICF (international christian fellowship)
Institutionen wie ICF verkörpern für uns patriarchale Unterdrückung. Wir sind scheiss-wütend, dass sie sich scheinbar ungestört international Räume schaffen, um ihr widerliches, sexistisches und rassistisches Gedankengut zu verbreiten.
Our bodies, our choice! Fight back! Gege grusigi fundis
https://barrikade.info/article/4470


Stadtpolizei hat das Videomaterial der Krawallnächte ausgewertet: Bisher wurden 35 Personen angezeigt – weitere Ermittlungen folgen
Mehrere Stunden Videomaterial zu den Krawallnächten hat die Stadtpolizei St.Gallen analysiert. 35 Personen wurden aufgrund Missachtung der Wegweisung und wegen Hinderung einer Amtshandlung bereits zur Anzeige gebracht. Die Ermittlungen werden nun der Kantonspolizei übergeben. Diese sucht nach den Verantwortlichen für die knapp 80 erfassten Tatbestände.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/ausschreitungen-stadtpolizei-hat-das-videomaterial-der-krawallnaechte-in-stgallen-ausgewertet-und-35-personen-wurden-angezeigt-ld.2133399
-> https://www.blick.ch/schweiz/ostschweiz/krawall-nacht-in-st-gallen-35-personen-werden-angezeigt-id16505184.html


+++LINKSAUSSEN-BASHING
Linksextreme Hetze: Wenn Asylmitarbeitende ins Visier geraten – Rundschau
Gegen einzelne Angestellte des Bundesasylzentrums in Basel läuft seit Monaten eine Hass-Kampagne. Auf einer anonymen Plattform werden Personen an den Pranger gestellt. Eine Mitarbeiterin erhielt mehrfach Drohungen. Die Hintergründe.
https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/linksextreme-hetze-wenn-asylmitarbeitende-ins-visier-geraten?urn=urn:srf:video:25f9f909-e4ca-4271-8dde-7e693d70242e


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Dank der EU! SVP kriegt nach 10 Jahren ihre Ausschaffungs-Statistik
Seit Jahren drängt die SVP den Bundesrat, endlich Zahlen zu liefern, wie viele kriminelle Ausländer seit Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative wirklich die Schweiz verlassen mussten. Ausgerechnet dank der EU solls nun die Statistik geben.
https://www.blick.ch/politik/dank-der-eu-svp-kriegt-nach-10-jahren-ihre-ausschaffungs-statistik-id16503092.html


+++KNAST
Mouvement de protestation à Champ-Dollon
Samedi 24 avril 23 détenus ont refusé de regagner leur cellule après la promenade à la prison de Champ-Dollon. La police est finalement intervenue vers 20 heure pour mettre fin à ce mouvement de protestation. L’administration de la prison est très avare sur des informations pourtant fondamentales comme les motivations des prisonniers. Le maigre et unique article consacré à l’événement par la Tribune de Genève ne nous apprend pas grand chose.
https://renverse.co/infos-locales/article/mouvement-de-protestation-a-champ-dollon-3057


+++POLICE BE
Der Kanton Bern möchte eine eigene Polizeischule gründen und auf die gemeinsame Schule mit anderen Kantonen in Hitzkirch verzichten. Diese Absicht kommt nicht nur gut an.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-bern-freiburg-wallis/den-tod-besser-organisieren?id=11978558
-> https://www.neo1.ch/news/news/newsansicht/datum/2021/05/05/kanton-bern-will-wieder-eigene-polizeischule.html


+++RASSISMUS
derbund.ch 05.05.2021

Problematische Darstellungen: Kritik an Rassismus in Berns Schulbüchern

«Hochproblematisch» sei der Inhalt gewisser Lehrmittel, kritisieren zwei Anti-Rassismus-Expertinnen. Doch was muss aus den Büchern raus? Und was soll drinbleiben?

Mathias Streit

Rassistisches Denken ist bis heute in Berns Schulbüchern verankert. Zu diesem Schluss gelangen Rahel El-Maawi und Mandy Abou Shoak. Die beiden Anti-Rassismus-Expertinnen haben mehrere Schulbücher im Kanton Zürich auf rassistische Stereotypen und Darstellungen untersucht. Einige dieser Lehrmittel werden auch im Kanton Bern verwendet. «Was wir gefunden haben, ist hochproblematisch», sagt El-Maawi. Gegen das Ergebnis der Untersuchung gibt es aber auch gewisse Vorbehalte.

El-Maawi und Abou Shoak kritisieren, dass in Schulbüchern bis heute ein binäres Muster dominiert: einerseits die zivilisierten Weissen, andererseits die dümmlichen, unzivilisierten Schwarzen Menschen. «In Wort und Bild werden so rassistische Hierarchisierungen wiedergegeben, die Kinder dann von klein auf in der Schule lernen», sagt El-Maawi.

Negative Folgen für Betroffene

Als Beispiel nennt El-Maawi eine Karikatur aus dem Geschichtsband «Durchblick». Zum Thema Dekolonialisierung zeigt das Bild eine Hand, die drei als Marionetten dargestellte Menschen von den «Fäden der Kolonialisierung» losschneidet. Als Konsequenz landen die drei Schwarzen Menschen – allesamt nur mit einem Bastrock bekleidet – inmitten der Wildnis der Savanne.

«Solch rassistische Stereotype werden von den Kindern übernommen und beispielsweise auf eine Klassenkollegin übertragen», sagt El-Maawi. Für Betroffene habe das negative Folgen für das eigene Selbstwertgefühl. Als Konsequenz fordern die beiden Autorinnen der Untersuchung eine «vollständige Überarbeitung» der diskriminierenden Schulbuchinhalte.

Problematisch ist gemäss El-Maawi und Abou Shoak ein weiterer Punkt: die eurozentrische Perspektive der hiesigen (Geschichts-)Lehrmittel. «Kolonialgeschichte beispielsweise wird kaum kritisiert, sondern als normale Praxis dargestellt», so El-Maawi. Gleichzeitig werde durch die eurozentrische Perspektive vieles gar nicht erst thematisiert: «Widerstandskämpfe im globalen Süden oder die Geschichte von Schwarzen Menschen kommen kaum vor – ausser, wenn es sich um versklavte Menschen handelt.» Entsprechend fehle die Möglichkeit, dass Kinder lernen, bestehende Narrative kritisch zu hinterfragen, so El-Maawi.

Lange Lebensdauer der Bücher

Beim Berner Schulverlag plus zeigt man sich der Verantwortung bewusst. «Die Sensibilität für aktuelle Themen wie Diversität oder Gender ist sehr hoch», sagt Geschäftsführer Bernhard Kobel. Gleichzeitig gibt er zu bedenken, dass die Entstehung eines Lehrmittels oft Jahre dauert – und dieses anschliessend «sicher zehn Jahre» im Einsatz stehe.

«In dieser Zeit kann sich die gesellschaftliche Haltung zu einem Thema massiv verändern», sagt Kobel. Eine Überarbeitung bestehender Lehrmittel, wie von den beiden Frauen gefordert, ergibt seiner Meinung nach aber wenig Sinn, weil diese sowieso regelmässig durch Neue ersetzt würden.

«Wichtiger ist deshalb, dass künftige Schulbücher die heutige Realität wiedergeben, und dazu gehört auch ein anderer Umgang mit dem Thema Rassismus.» Letztendlich obliege es aber der kantonalen Lehrmittelkommission, zu entscheiden, ob ein Schulbuch den aktuellen Anforderungen entspreche oder ersetzt werden müsse.

«Wir dürfen nicht vergessen»

Nadine Ritzer kennt die Untersuchung der beiden Zürcherinnen und geht in mehreren Punkten mit ihnen einig. Etwa, wenn es um die Sichtbarmachung der Stimmen aus dem globalen Süden geht: «Da sind wir weiter als früher, aber noch nicht am Ziel», sagt Ritzer. Sie ist Historikerin und Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Bern (PH Bern) mit Fokus auf Geschichtsvermittlung.

Ritzer warnt aber vor einem grundlegenden Missverständnis: «Historische Quellen, auch solche, die rassistische Stereotype enthalten, sind Fenster zur Vergangenheit und Instrumente des historischen Lernens. Sie dürfen deshalb nicht aus dem Unterricht verbannt werden.» Es sei jedoch wichtig, die Bilder und Texte zu kontextualisieren. «Reden und Handeln in der Vergangenheit waren mitunter grausam – auch das sollen Schülerinnen und Schüler lernen.»

Ritzer vertraut dabei auf die Kompetenzen der Lehrpersonen. Diese würden in ihrer Ausbildung lernen, Schülerinnen und Schüler so anzuleiten, dass sie adäquat auch mit rassistischen Quellen umgehen können. «Idealerweise gelingt es dabei, den Bogen aus der Geschichte zum heutigen Alltagsrassismus zu schlagen und diesem entgegenzutreten», sagt Ritzer.

Dass Lehrmittel nicht immer topaktuell sind, lässt sich laut Ritzer kaum verhindern. Die PH Bern stellt auf ihrer Website deshalb zusätzliches Material zu aktuellen Themen zur Verfügung, zum Beispiel zu den kolonialen Verstrickungen der Schweiz.

Die von El-Maawi und Abou Shoak losgetretene Debatte bezeichnet Ritzer als «wichtig». «Schülerinnen und Schüler sollen im Unterricht lernen, wie sich Geschichtsschreibung verändert und dass Geschichte immer wieder neu geschrieben wird.»



Die «Tour décolonial»

Die alljährliche Tour de Lorraine findet 2021 unter dem Motto «Köpfe und Herzen dekolonisieren» statt. Das Programm umfasst diverse Workshops, Filme und künstlerische Darbietungen. Im Rahmen eines Vortrags präsentieren Rahel El-Maawi und Mandy Abou Shoak die Ergebnisse ihrer Untersuchung. Wegen Corona findet die Tour de Lorraine heuer im Frühjahr statt im Januar statt. Die «Tour décolonial» dauert vom 30. April bis zum 13. Mai. (mas)
(https://www.derbund.ch/kritik-an-rassismus-in-berns-schulbuechern-139011226909)


+++RECHTSPOPULISMUS
«War doch nur ein Witz!» Der Humor der neuen Rechten – RaBe-Info 05.05.2021
Über ertrunkene Geflüchtete wird gelacht, Frauen – vor allem Politikerinnen – werden erniedrigt und sexistisch beleidigt, der Holocaust wird verharmlost. In der neurechten Internetszene entwickle sich eine ganz spezifische Form von Humor, «ein Lachen, welches vor nichts und niemandem Halt mache», sagt Lars Koch, Professor für Medienwissenschaft und Neuere deutsche Literatur an der Technischen Universität Dresden.
https://rabe.ch/2021/05/05/fluechtlingsparlament/


Nach Blick-Recherchen: Bund soll Gangs unter die Lupe nehmen
In der Schweiz entwickelt sich seit einigen Jahren eine Jugend-Gewaltkultur. FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann will es jetzt genauer wissen – und fordert, dass der Bund abklärt, ob eine Gesetzesänderung nötig ist.
https://www.blick.ch/politik/nach-blick-recherchen-bund-soll-gangs-unter-die-lupe-nehmen-id16501957.html


Die Vernetzung rechter Akteure
Rechte Akteure vernetzen sich auf europäischer Ebene und propagieren das Ideal eines “Europas der Vaterländer” – doch ist das mehr als nur Rhetorik? Welche politischen Ziele verfolgen sie? Und wie sind sie derzeit auf parlamentarischer Ebene vernetzt?
https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/die-vernetzung-rechter-akteure-100.html


+++RECHTSEXTREMISMUS
derbund.ch 05.05.2021

Antisemitische Rassendiskriminierung: Basler Neonazi verurteilt

Tobias Steiger, rechtsextremer Provokateur aus Basel, ist wegen antisemitischer Äusserungen zu einer bedingten Geldstrafe verknurrt worden. Ob er Einsprache erhebt, ist noch unklar.

Kurt Pelda

Nach heftiger Kritik in den Medien hat die Basler Staatsanwaltschaft ein mehr als zwei Jahre altes Strafverfahren gegen einen Neonazi abgeschlossen. Der ehemalige Basler Sektionschef der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos), Tobias Steiger, wurde wegen antisemitischer Rassendiskriminierung verurteilt. Der Strafbefehl ist aber noch nicht rechtskräftig, es gilt damit weiterhin die Unschuldsvermutung.

Wichtigster Auslöser war eine Rede, die Steiger anlässlich einer Pnos-Demonstration Ende November 2018 in Basel gehalten hatte. Darin gab er den Juden unter anderem die Schuld am Ersten und am Zweiten Weltkrieg und behauptete, dass die Juden durch Terror erneut zu Kriegen anstifteten, um weltweite Flüchtlingswellen auszulösen.

Hass gegen Juden geschürt

In eine ähnliche Richtung zielten Facebook-Beiträge, mit denen Steiger eine Komplizenschaft zwischen Israel und dem Islamischen Staat herzuleiten versuchte und den Holocaust infrage stellte. Damit schürte der inzwischen 46-Jährige nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Hass gegen Juden. Steiger erhielt deshalb eine bedingte Geldstrafe von 160 Tagessätzen à 80 Franken. Hinzu kommt eine Busse von 2200 Franken.

Teuer wird es bei den Verfahrenskosten und Gebühren, die mit mehr als 6000 Franken zu Buche schlagen. Bereits 2019 war Steiger im Kanton Solothurn verurteilt worden, weil er auf Facebook ein Bild, das eine weisse Frau mit einem schwarzen Mann zeigte, mit dem Ausdruck «Rassenschande» kommentiert hatte.

Er werde gegen den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft wahrscheinlich keine Einsprache erheben, meinte Steiger auf Anfrage, er müsse sich dazu aber erst noch mit seinem Anwalt absprechen. Zur verhängten Strafe reagierte er mit den Worten: «Wenn du wissen willst, wer dich wirklich regiert, frag dich, wen du nicht kritisieren darfst.»

Beeilung nach Fernsehbeitrag

Fast zweieinhalb Jahre lang hat die Basler Staatsanwaltschaft in der Angelegenheit wenig Sichtbares unternommen, bis zu einem Beitrag in der SRF-Sendung «10 vor10» vor zwei Wochen. Das zögerlich wirkende Verfahren gegen den Neonazi gepaart mit dem äusserst forschen Vorgehen der Justiz gegen linksgerichtete Gegendemonstranten der Pnos-Manifestation von 2018 führte zu happigen Vorwürfen. Hat die Staatsanwaltschaft die Sache nun auf Druck der Medien vorangebracht? Der Strafbefehl wurde nur sechs Tage nach der Ausstrahlung des «10 vor 10»-Beitrags ausgestellt.

Mit Freude reagierte der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG), der bereits mehrfach Anzeige gegen Steiger und andere Pnos-Verantwortliche erstattet hatte: «Wir sind froh und erleichtert, dass der Fall nun offenbar doch an die Hand genommen werden konnte», meinte SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner. Schuldig gesprochen wurde Steiger auch noch wegen versuchter Drohung und Beschimpfung des rechtsextremen Basler Grossrats Eric Weber. Im Kanton Basel-Landschaft läuft daneben ein weiteres Verfahren gegen Steiger wegen mutmasslicher Rassendiskriminierung.
(https://www.derbund.ch/basler-neonazi-verurteilt-508157372632)


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Corona-Demos in Aarau und Wettingen: Die Initiantinnen sagen die Anlässe ab, wollen aber zumindest den abschlägigen Entscheid des Gemeinderates Wettingen ans Verwaltungsgericht und evtl. sogar ans Bundesgericht weiterziehen. (ab 05:22)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/solothurn-projekt-aaregondel-erstmals-vorgestellt?id=11978732


+++HISTORY
Jagd auf die neokolonialen Verstrickungen
Im Rahmen der diesjährigen Tour de Lorraine fand an diesem Sonntag eine Schnitzeljagd von Public Eye (vormals Erklärung von Bern) statt. In einem spielerischen Rahmen mittels einer App wird auf die heutigen Praktiken von Schweizer Konzernen in ehemaligen Kolonialstaaten aufmerksam gemacht und gezeigt wie noch immer eine starke wirtschaftliche Abhängigkeit herrscht.
https://www.journal-b.ch/de/082013/kultur/3908/Jagd-auf-die-neokolonialen-Verstrickungen.htm


+++GASSE
CMS übernimmt Kosten für Zahnbehandlungen bei Obdachlosen (ab 03:50)
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-basel-baselland/asylzentrum-baesslergut-bund-leitet-externe-untersuchung-ein?id=11978735


Tipps für den Umgang mit Bettler*innen in Basel
Es herrscht angespannte Stimmung in Basel: Die bettelnden Roma sorgen für Überforderungen und Wut. Pfarrer Pucher aus Graz hat Tipps, wie du souverän reagierst.
https://bajour.ch/a/BXrKItBJH74rnJhE/tipps-fur-den-umgang-mit-bettlerinnen-in-basel


BVB-Fahrgäste fühlen sich von Bettelnden gestört und belästigt: Jetzt soll die Polizei helfen
BVB-Direktor Bruno Stehrenberger wünscht sich von der Polizei Präsenz in den Fahrzeugen, damit sich die Fahrgäste sicherer fühlen.
https://www.bzbasel.ch/basel/geleakter-brief-bvb-fahrgaeste-fuehlen-sich-von-bettelnden-gestoert-und-belaestigt-jetzt-soll-die-polizei-helfen-ld.2133350



Basler Zeitung 05.05.2021

Weil Bettler Fahrgäste störenBVB fordert mehr Polizei in Trams

Passagiere fühlen sich offenbar immer häufiger durch aufdringliche Bettler in Basler Trams und Bussen belästigt. Nun hat BVB-Direktor Bruno Stehrenberger in einem Brief die Polizei um Hilfe gebeten.

Alexander Müller

Ein Brief von BVB-Direktor Bruno Stehrenberger sorgt für viel Zündstoff in der ohnehin längst emotional aufgeladenen Bettler-Diskussion. Der Chef der Basler Verkehrsbetriebe bittet Polizeikommandant Martin Roth um Hilfe. Die BVB hätten in den vergangenen Wochen «sehr viele» negative Rückmeldungen von ihren Fahrgästen erhalten, schreibt Stehrenberger in dem von SVP-Grossrat Joël Thüring auf Twitter geleakten Brief. Die Passagiere ärgern sich laut dem BVB-Direktor wegen der «teilweise sehr aufdringlichen Bettlern» in den Trams und Bussen. «Viele Fahrgäste fühlen sich dadurch belästigt und gestört.» Auch die Mitarbeiter des Netzservice hätten diese Beobachtungen bestätigt, schreibt Stehrenberger.

Tatsächlich sind in den Fahrzeugen auf Strecken in den Basler Innenstadt regelmässig Bettler anzutreffen, die versuchen, den Passagieren beispielsweise Rosen zu verkaufen. Diese Beobachtung macht auch die BaZ immer wieder. Betteln ist in den Trams ebenso wie das Musizieren verboten. Dies regelt die BVB in ihrer eigenen Hausordnung. Die Durchsetzung dieser Regeln ist aber laut Stehrenberger «in der Praxis eine grosse Herausforderung, respektive in der Praxis kaum machbar» schreibt der BVB-Direktor in seinem Brief an die Polizei. Und zusätzliches Sicherheitspersonal für die Fahrzeuge will Stehrenberger nicht beauftragen, «weil das finanziell nicht im Sinne der baselstädtischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sei».

Deshalb bittet der BVB-Direktor den Polizeikommandanten, sozusagen von Chef zu Chef, um unkomplizierte Hilfe: «Zur Verbesserung des Sicherheitsgefühls in unseren Fahrzeugen würden wir es sehr begrüssen, wenn die patrouillierende Polizei von Zeit zu Zeit auch in unsere Busse und Trams einsteigen würde, um verstärkt Präsenz zu markieren.» Eine Reaktion der Polizei auf diese Anfrage liegt derzeit noch nicht vor.

SVP-Grossrat Thüring bezeichnet die Situation in den Fahrzeugen der BVB-Fahrzeugen als «unhaltbar». Er erwarte nun «dringend die Wiedereinführung des Bettelverbots». Wie ein solches Bettelverbot aussehen könnte, ist derzeit unklar. Der Ball liegt aktuell bei der Basler Regierung, die auf Druck einer Mehrheit des Grossen Rates ein Bettelverbot ausarbeiten muss. Wegen eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist aber die Wiedereinführung eines totales Bettelverbot vermutlich nicht mehr möglich. Bürgerliche pochen aber auf ein möglichst strenges Verbot, beispielsweise ein Verbot des Bettelns mit Kindern oder Tieren, ein Verbot des Bettelns vor Läden und Restaurants – oder aber eben in Tram und Bus. Die Linke setzt hingegen auf möglichst wenige Regeln und liebäugelt sogar mit staatlich finanzierten Unterkünften für die Bettler.
(https://www.bazonline.ch/bvb-fordert-mehr-polizei-in-trams-823724962413)



Basler Zeitung 05.05.2021

Bettler in den Basler Trams Das sagt die Polizei zum Brief des BVB-Direktors

Die BVB sind überfordert mit den Bettlern, die in ihren Fahrzeugen unterwegs sind. Kann die Polizei daran etwas ändern?

Alexander Müller

Seit mehr als einem Jahr leiden die Transportunternehmen unter der Corona-Pandemie, die Passagierzahlen sind drastisch gesunken, sowohl BVB als auch BLT müssen mit happigen Einbussen zurechtkommen. Nun könnten die Bettler in den Trams dazu führen, dass Fahrgäste auch nach dem Abflachen der Corona-Welle auf eine Fahrt mit dem ÖV in der Basler Innenstadt verzichten.

Diese Befürchtung teilt zumindest BVB-Direktor Bruno Stehrenberger mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. «Wir haben wegen Corona schon genug Fahrgäste verloren. Jetzt wollen wir nicht noch mehr verlieren», schreibt Stehrenberger an seine Belegschaft. Er wendet sich zudem brieflich an den Kommandanten der Basler Polizei und bittet um Hilfe. Die Passagiere ärgern sich laut dem BVB-Direktor zunehmend wegen der «teilweise sehr aufdringlichen Bettler». Ob die Polizei nicht vermehrt auch in den Trams Präsenz markieren könne, fragt der BVB-Chef die Polizei.

Polizei kann nur in Notfällen eingreifen

Die Basler Polizei bestätigt den Eingang des Briefes. Wie die Anfrage beantwortet wird, will Mediensprecher Martin Schütz gegenüber dieser Zeitung jedoch nicht sagen. Er hält aber fest, dass normales Betteln im Kanton Basel-Stadt nicht verboten sei. Ein generelles Verbot gibt es nur für das bandenmässige Betteln. Die Trams und Busse der BVB sind jedoch nicht öffentlicher Boden, sondern gelten als Privatareale. «Auf Privatarealen kann ein Besitzer oder Betreiber das Betteln via Hausordnung verbieten», sagt Schütz. Das Durchsetzen seiner Regeln müsse der Eigentümer aber ebenfalls selbst übernehmen. «Falls dies ein Eigentümer oder Betreiber nicht allein schafft, kann die Kantonspolizei zur Unterstützung beigezogen werden.»

Doch diesem Eingreifen setzt das Polizeigesetz enge Grenzen: Ein Einsatz der Polizei ist dann vorgesehen, wenn Menschen unmittelbar an Leib und Leben bedroht oder anderweitig in Not sind – also beispielsweise, weil sich eine Person im Tram sehr renitent verhält.

Somit bleibt der Ball vornehmlich bei den BVB. Sie selbst müssen für Ordnung in den Fahrzeugen sorgen. Warum kann nicht das eigene Personal die Bettler aus den Trams weisen, beispielsweise die Billettkontrolleure? Es darf schliesslich davon ausgegangen werden, dass Bettlerinnen und Bettler kaum ein Billett lösen, um im Tram ihrem Tun nachzugehen. BVB-Sprecherin Sonja Körkel winkt ab. Zwar seien Billettkontrolleure den ganzen Tag unterwegs. «Aber bei rund 200 Fahrzeugen, die pro Tag im Einsatz sind, können sie nicht überall sein.»

Auch das BVB-Personal hat Angst

Ausserdem gehörten sicherheitsrelevante Aufgaben nicht zum Zuständigkeitsbereich des Netzservice oder der Fahrzeugführer. Man wolle nicht die Gesundheit des Personals gefährden, das über keine Ausbildung für solche Situationen verfügt. Eigens Sicherheitspersonal aufzubieten, schliesst Stehrenberger in seinem Brief hingegen aus Kostengründen aus. Allerdings: Bereits heute gibt es Situationen, in denen Sicherheitsleute mitfahren. Beispielsweise im französischen Streckenbereich der Linie 3, seit eine BVB-Mitarbeiterin Opfer einer Laserattacke wurde, oder auf den Linien des Nachtnetzes.

Aber sowohl das eigene Personal als auch die situativ eingesetzten Sicherheitsleute hätten nicht die Befugnisse der Polizei, sagt Körkel. «Wir dürfen niemanden zurückhalten.» Die Polizei hingegen greift erst ein, wenn es brenzlig wird. Für die BVB, die sich von der Anfrage an die Polizei vor allem eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls ihrer Kundschaft erhoffen, bleibt die Situation mit den Bettlern in den Fahrzeugen damit schwierig. Das Transportunternehmen hält Fahrgäste dazu an, sich beim Wagenführer zu melden, wenn sie bedrängt werden oder sich nicht wohlfühlen. «Dann wird die Leitstelle informiert und die Polizei aufgeboten», sagt Körkel. Doch bis die Polizei das Tram betritt, sind die Bettler in den meisten Fällen wohl längst wieder ausgestiegen.

BLT-Chef: «Bettelei ist eine Plage»

Auch bei der BLT entwickelt sich das Betteln in den Trams zunehmend zum Problem. «Vor ein paar Wochen stellten wir dies vor allem in der Innenstadt fest, heute sind die Bettler bis weit in die Agglomeration unterwegs», sagt BLT-Direktor Andreas Büttiker. Man versuche das Problem über Durchsagen zu lösen, in der die Fahrgäste gebeten werden, den Bettlern nichts zu geben. «Dies wirkte jeweils umgehend. Denn da, wo nichts gegeben wird, besteht auch kein Anreiz zu betteln», sagt Büttiker.

Anders als bei den BVB überprüft das Personal nicht nur die Gültigkeit der Tickets. «Wir machen die Bettler darauf aufmerksam, dass Betteln nicht erwünscht ist». Bussen drohen keine, sagt Büttiker. Der BLT-Direktor macht sich aber Sorgen um die Folgen: «Die Bettelei entwickelt sich immer mehr zur Plage, die langsam geschäftsschädigende Auswirkungen annimmt und möglicherweise Menschen vom ÖV abhält.»
(https://www.bazonline.ch/das-sagt-die-polizei-zum-brief-des-bvb-direktors-145952288261)



primenews 05.05.2021

«Die Basler Behörden haben uns noch nicht kontaktiert»

Vlad Vasiliu, rumänischer Botschafter in der Schweiz, äussert sich erstmals öffentlich zu den Roma-Bettlern in Basel.

von Oliver Sterchi und Anja Sciarra

Bern, Kirchenfeldquartier, das diplomatische Zentrum der Schweiz. Hier – untergebracht in prächtigen Patrizier-Häusern – reiht sich eine Vertretung an die andere. An der Kirchenfeldstrasse, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Botschaften Österreichs und Kanadas, befindet sich auch der Sitz des rumänischen Botschafters Vlad Vasiliu.

Prime News ist in die Bundesstadt gereist, um mit dem offiziellen Vertreter des rumänischen Staates in der Schweiz über die Roma-Bettler – das politische und mediale Dauerthema am Rheinknie – zu sprechen. Die meisten Roma, die in den letzten Monaten nach Basel kamen, haben einen rumänischen Pass.

Wir passieren das Tor, zeigen unsere Ausweise und werden von einer Botschaftsmitarbeiterin in einen Sitzungsraum geführt. Dort begrüsst uns Vasiliu mit einem gutschweizerischen «Grüezi!». Das anschliessende Gespräch findet auf Hochdeutsch statt, das der Botschafter fliessend beherrscht.

Im Interview mit Prime News äussert sich Vasiliu erstmals öffentlich zu den Roma-Bettlern in Basel, schildert die Lage in seinem Heimatland und skizziert mögliche Lösungen.
Herr Botschafter, wann waren Sie das letzte Mal in Basel?

Vor einem Monat. Ich hatte einen Termin dort.

Sind Ihnen die Roma-Bettler aufgefallen?

Ich war kurz in der Altstadt. Dort habe ich zwei, drei Bettler gesehen. Als rumänische Botschaft verfolgen wir die Diskussionen in Basel rund um dieses Phänomen selbstverständlich schon länger.

Wie nehmen Sie diese Diskussionen wahr?

Für uns ist es zunächst einmal wichtig, dass die Würde und die Rechte der rumänischen Staatsangehörigen hierzulande gewahrt werden, unabhängig davon, zu welcher Minderheit sie gehören. Auch die Roma sind rumänische Staats- und damit auch EU-Bürger. Sie verfügen über alle Rechte, die Menschen aus EU-Ländern in der Schweiz geniessen, zum Beispiel die freie Einreise oder den Aufenthalt bis zu 90 Tagen.

Betrifft das auch das Betteln?

Selbstverständlich müssen sich alle rumänischen Staatsangehörigen an die jeweiligen nationalen und lokalen Gesetze halten. Wir teilen die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg, der klar festgehalten hat, dass Betteln grundsätzlich erlaubt sein muss. Ich möchte aber vermeiden, dass durch gewisse Presseberichte eine Minderheit oder gar eine ganze Nationalität kriminalisiert wird.
In den Medien ist zuweilen von «osteuropäischen» oder «rumänischen» Bettlern die Rede, stört Sie das?

Ja, das halte ich für kontraproduktiv und ist auch nicht korrekt, weil die Verallgemeinerung oder Übertragung eines Verhaltenstyps auf eine ganze Region oder Nation aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt und diskriminierend ist.

Können Sie aber nach­vollziehen, dass sich viele Basler an der teilweise aggressiven Vorgehens­weise gewisser Bettler stören?

Ich komme auf das Urteil aus Strassburg zurück: Jeder Mensch, unabhängig seiner Herkunft, Konfession oder Staatsangehörigkeit, hat das Recht, in einer Notlage seine Mitmenschen um Hilfe zu bitten. Es kann aber sein, dass sich gewisse Personen dadurch belästigt fühlen. Dennoch gilt es, die Menschenwürde zu wahren.
Basel scheint sich schwer zu tun mit einer Lösung der Problematik.

Was wäre Ihr Vorschlag?

Ich bin überzeugt, dass die Basler Verwaltung über die nötige Erfahrung und das Wissen verfügt, um dieses Phänomen anzugehen. Wir als Botschaft sind aber gerne bereit, auch unter Einbezug anderer Behörden des rumänischen Staates, unsere Hilfe und Expertise anzubieten, wie wir das bereits bei anderen Schweizer Städten gemacht haben, etwa in Bern, was als «Berner Modell» bekannt wurde.

In Bern ging es vor allem um die Bekämpfung von organisiertem Betteln, in das teilweise auch Minder­jährige hineingezogen wurden. Wie beurteilen Sie die Situation in Basel?

Ob die Roma-Bettler in Basel der organisierten Kriminalität zuzuordnen sind, weiss ich nicht. Als pauschale Behauptung stimmt das sicher nicht. Aber wie gesagt: Wir sind gerne bereit, in dieser Frage mit den Basler Behörden zusammenzuarbeiten. Nicht nur die Botschaft, sondern auch das Innenministerium in Bukarest kann hier eine Rolle einnehmen. Falls es organisierte kriminelle Strukturen gibt, können wir diese gemeinsam mit unseren Schweizer Kollegen angehen. Damit dieser Prozess ins Rollen kommt, muss aber zuerst ein entsprechender Wunsch der kantonalen oder lokalen Behörden geäussert werden.

Wurden Sie bereits von den Basler Behörden kontaktiert?

Nein, bislang noch nicht. Es kann natürlich sein, dass die Basler Polizei in gewissen Fällen direkt in Bukarest nachgefragt hat. Solche polizeitechnischen Anfragen laufen nicht über die Botschaft. Aber für eine ständige Kooperation auf der Ebene von Politik und Verwaltung, wie ich sie vorhin skizziert habe, wurden wir noch nicht angefragt.

Man könnte also zum Beispiel das «Berner Modell» auf Basel übertragen?

Sagen wir es so: Man muss das Rad nicht mehr neu erfinden. Man müsste das Modell wahrscheinlich auf die spezifischen lokalen Gegebenheiten anpassen. Aber grundsätzlich wäre das eine Möglichkeit, ja.

Sie sprachen eingangs von den Rechten und der Würde der Roma. Diese gelten aber in Rumänien selber als «Bürger zweiter Klasse» und sind zum Teil massiven Diskriminier­ungen ausgesetzt. Was unter­nimmt der rumänische Staat, um diesen Menschen zu helfen?

Eine Eurobarometer-Studie der EU-Kommission hat unlängst gezeigt, dass die Rumänen weniger Diskriminierung im Alltag wahrnehmen als der EU-Durchschnitt. Das trifft auch auf die Roma-Minderheit in Rumänien zu. Die Roma sind eine bedeutende Minderheit in unserem Land, werden aber überhaupt nicht als «Bürger zweiter Klasse» empfunden, zumindest nicht von der Mehrheit der Bevölkerung. Ich möchte auch erwähnen, dass die soziale Inklusion der Roma-Minderheit durch die rumänische Regierung seit 2003 mittels nationalen und europäischen Programmen (EU-Roma Integrationsstrategie) gefördert wurde.

Herr Botschafter, mit Verlaub, die inter­nationalen Berichte sprechen eine ganz andere Sprache. Amnesty International schreibt beispielsweise von Aus­grenzungen in vielen Lebens­bereichen. Und Strassburg hat Rumänien im April 2019 wegen eines Falles von exzessiver Polizei­gewalt gegen vier Roma verurteilt.

Strassburg stellt immer individuelle Fälle fest. Ich will auch überhaupt nicht bestreiten, dass es solche Fälle gibt. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die Polizeibehörden in gewissen Situationen nicht immer angemessen reagieren, aber dies sind Ausnahmefälle. Den Amnesty-Bericht, den Sie ansprechen, kenne ich nicht. Ich will ihm auch nicht widersprechen. Allerdings gilt es zu fragen, auf welcher Grundlage und mit welcher Methodik solche Aussagen getroffen werden. Und ob sie statistisch relevant sind. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte behandelt unzählige Fälle. Ich bezweifle sehr, dass die Roma-Minderheit in Rumänien dabei zahlenmässig heraussticht.

Die Roma in Basel sagen, es sei immer noch besser, hier zu betteln, als in Rumänien zu leben. Das muss Ihnen als Vertreter dieses Staates doch zu denken geben?

Ich würde umgekehrt die Frage stellen, wieso diese Leute der Ansicht sind, dass sie in Rumänien angeblich keine Perspektive hätten. Rumänische Firmen suchen händeringend nach Angestellten. Es gibt mehr als genug Jobs. Inzwischen importieren wir sogar Leute aus Drittstaaten, um den Bedarf des Arbeitsmarktes zu decken. Tatsache ist: Viele Roma sind schlecht oder gar nicht ausgebildet. Hier müssen wir ansetzen.

Wie?

Bildung ist der wichtigste Faktor, um der Falle von Arbeitslosigkeit und Armut zu entkommen. Ein Teil der Roma-Minderheit in Rumänien hat noch nicht einmal die obligatorische Schule abgeschlossen, geschweige denn eine Berufsausbildung absolviert. Für diese Leute ist Betteln eine Notlösung. Der rumänische Staat wirkt dem entgegen, indem er etwa freie Studienplätze für Roma in den Gymnasien und an den Universitäten bereitstellt. Ausserdem gibt es spezielle Berufsbildungs-Programme. Man muss auch sagen: viele der Roma in Rumänien sind gut ausgebildet und völlig integriert. Das gilt auch für die Roma in der Schweiz. Nur schaffen es diese Fälle nicht in die Medien. Man fokussiert auf die Problemfälle.

Sie sagen also, die Roma, die keine Aus­bildung haben und auf der Strasse betteln, seien selber schuld an ihrer Lage?

Es gibt eine Vielzahl von Gründen, weshalb jemand seine Ausbildung frühzeitig abbricht und in die Bettelei abrutscht. Meist stecken auch gewisse Traditionen, sozialen Archetypen oder persönliche Tragödien dahinter. Ich möchte einfach betonen, dass es in Rumänien Schul- und Studienplätze für alle gibt. Und der Arbeitsmarkt ist ebenfalls gut aufgestellt. Klar ist aber auch: Die Löhne in Rumänien sind tiefer als im EU-Durchschnitt. Ich weiss zwar nicht, wie viel die Roma mit Betteln in Basel verdienen, aber vielleicht ist das für sie lukrativer, als zuhause zu arbeiten. Ich bin fest überzeugt, dass jemand, der gut ausgebildet ist, in Rumänien einen guten Job findet. Aber man muss das natürlich auch wollen.

Und die Roma, die hierher­kommen, wollen das nicht?

Das kann ich nicht beurteilen. Das Wichtigste ist aber, das Problem an der Wurzel zu beheben und die Lebensumstände der Roma in Rumänien zu verbessern. Erst wenn wir den Lebensstandard dieser Leute anheben, haben sie keinen Grund mehr zu betteln. Und dafür bedarf es Bildung, Jobs und Perspektiven.

Zugespitzt formuliert sagen Sie, dass der rumänische Staat alles unter­nimmt, was er kann. Darüber hinaus fühlen Sie sich nicht verant­wortlich für die Roma, die hier auf der Strasse betteln?

Natürlich fühlen wir uns verantwortlich. Wir hatten als Botschaft schon diverse Anfragen von Roma, die zurückkehren wollten. Denen haben wir dann die Heimreise finanziert. Aber wir sind auch kein Arbeitsbeschaffungsamt. Der Staat schafft einen Rahmen, innerhalb dessen sich seine Bürger entfalten können – und zwar alle Bürger. Man darf nicht übersehen, dass auch andere rumänische Bürger in prekären finanziellen Verhältnissen leben.

Zurück nach Basel: Was halten Sie von der Idee der Gratis-Unterkünfte für die Roma-Bettler, die die SP eingebracht hat? Führt das nicht zu einer Sogwirkung?

Ich möchte mich nicht in die innenpolitische Debatte in Basel-Stadt einmischen. Ich denke, in einer akuten Notsituation kann es Sinn machen, Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Für wie lange und unter welchen Bedingungen, ist wieder eine andere Frage. Wichtig ist, den Teufelskreis von schlechter oder keiner Ausbildung, Arbeitslosigkeit und Armut zu beenden und den Leuten eine Lebensperspektive zu geben.

Stichwort Hilfe vor Ort: Die Schweiz hat von 2009 bis 2019 181 Millionen Franken nach Rumänien überwiesen. Wie viel davon kam bei den Roma-Gemeinschaften an?

Es ist schwierig, eine konkrete Zahl zu nennen. Man muss unterscheiden zwischen direkten und indirekten Zahlungen. Zu den direkten gehören etwa Schulprojekte in Landkreisen mit einer Roma-Mehrheit. Indirekte können etwa Fördergelder für Start-Ups sein, die Arbeitsplätze schaffen, von denen wiederum die Roma profitieren. Für eine genaue Auflistung müssten Sie sich aber an die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit in Bern wenden. Alle diese Projekte sind mittel- und langfristig angelegt. Man muss sich aber bewusst sein, dass wir diese Problematik nicht von heute auf morgen lösen.

Es gibt allerdings auch unmittelbare Probleme, etwa die Sache mit den Minder­jährigen, die inzwischen ebenfalls in Basel betteln. Wie soll man das angehen?

Ich kann nur wiederholen, was ich bereits gesagt habe: Die rumänische Botschaft ist gerne bereit, mit der Basler Verwaltung zusammenzuarbeiten. Wir verfügen auch über entsprechende Fachleute in Bukarest. Es gibt schliesslich auch bei uns solche Fälle.

Also noch einmal ein Aufruf an die Basler Regierung, sich bei Ihnen zu melden?

Auf entsprechenden Wunsch können wir sehr schnell reagieren und gemeinsam Lösungen finden. Das wäre nicht das erste Mal.

Gibt es noch etwas, das Ihnen wichtig ist?

Ich möchte noch kurz auf die Kohäsionsmilliarde zu sprechen kommen: Wenn die Schweiz diese freigeben würde, könnte sie zusammen mit den rumänischen Behörden weitere Projekte in Angriff nehmen, um dem Bettel-Phänomen entgegenzuwirken.

Herr Botschafter, wir bedanken uns für das Gespräch!



Vlad Vasiliu

Ein Arzt im diplomatischen Dienst

Vlad Vasiliu (*1965) ist seit Dezember 2016 rumänischer Botschafter in der Schweiz und in dieser Funktion auch zuständig für Liechtenstein. Im Mai geht seine Zeit in Bern zu Ende. Vasiliu wird ins Aussenministerium nach Bukarest zurückkehren.

Bevor er seinen Posten in der Schweiz antrat, war Vasiliu seit 1998 an diversen rumänischen Vertretungen im deutschsprachigen Raum tätig, darunter in den Generalkonsoluaten in München und Bonn sowie in den Botschaften in Berlin und Wien.

Von 2015 bis 2016 war Vasiliu zwischenzeitlich Staatssekretär für Europäische Angelegenheiten im Handels- und Wirtschaftsministerium in Bukarest. Vasiliu besuchte in Bukarest eine deutsche Schule und studierte im Anschluss Medizin. Das Studium schloss er mit dem Doktorgrad ab. Er hat einen Sohn. (ost)
(https://primenews.ch/articles/2021/05/die-basler-behoerden-haben-uns-noch-nicht-kontaktiert)