Medienspiegel 24. März 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++SCHWEIZ
Schweiz-Algerien – Keller-Sutter strebt praktische Lösungen für Rückführungen an
Justizministerin Karin Keller-Sutter hat bei ihrem Besuch in Algerien eine Verbesserung der Rückführungen diskutiert.
https://www.srf.ch/news/schweiz/schweiz-algerien-keller-sutter-strebt-praktische-loesungen-fuer-rueckfuehrungen-an
-> https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-82821.html


Bundesrätin auf Besuch – Die Schweiz und Nigeria – eine Partnerschaft mit Grenzen
Die Schweiz und Nigeria haben seit zehn Jahren eine Migrationspartnerschaft. Von einer Fortführung profitieren beide.
https://www.srf.ch/news/schweiz/bundesraetin-auf-besuch-die-schweiz-und-nigeria-eine-partnerschaft-mit-grenzen
-> https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-82809.html


Was die UNO-Resolution zu Sri Lanka für die Schweiz bedeutet
Über 25 Jahre lang tobte ein Bürgerkrieg in Sri Lanka. Zehntausende Menschen starben, unzählige verschwanden spurlos. Nun hat die UNO eine Resolution verabschiedet, welche die Regierung zur Aufklärung der Kriegsverbrechen drängt. Doch was nützt das? Und inwiefern wird sie die Schweizer Asylpolitik beeinflussen?
https://www.swissinfo.ch/ger/was-die-uno-resolution-zu-sri-lanka-fuer-die-schweiz-bedeutet/46471398


«Ich will am Leben bleiben»
Der Bund will einen ehemaligen Kindersoldaten ausschaffen. Der Kanton Basel-Stadt weigert sich. Der Fall sorgte für heftige Kontroversen. Jetzt erzählt Ari erstmals seine Geschichte.
https://www.republik.ch/2021/03/24/ich-will-am-leben-bleiben



nzz.ch 24.03.2021

Die Schweiz hat eine Vorbildfunktion für den Asyl- und Migrationspakt der EU

Mit reinen Abwehrstrategien wird Europa der Zuwanderung nicht begegnen können. Es braucht mehr Kooperation mit den Herkunfts- und Transitstaaten sowie jeweils massgeschneiderte Lösungen.

Eduard Gnesa

«Migration ist steuerbar», sagte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson im NZZ-Interview. Sie geht davon aus, dass dazu der Pakt für Asyl und Migration der EU-Kommission wesentlich beitragen wird. Der Pakt stellt einen Ansatz dar, die Konflikte zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu überbrücken, unter anderem mit einem robusteren Management der Aussengrenzen, beschleunigten Asylverfahren und einem solidarischen Mechanismus bei der Verteilung von Asylsuchenden. Nachdem die Schweiz erfolgreich beschleunigte Verfahren eingeführt hat und über einen funktionierenden Schlüssel zur Verteilung von Asylsuchenden auf die Kantone (proportional zur Bevölkerung) verfügt, könnte sie diesbezüglich Ratgeberin der EU sein.

Partnerschaften mit Herkunfts- und Transitstaaten

Inwiefern die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten die Vorschläge beschliessen und umsetzen werden, ist aufgrund der bisherigen Erfahrungen höchst zweifelhaft. Realistischer und weniger umstritten ist hingegen der Vorschlag, die Partnerschaften mit Herkunfts- und Transitstaaten zu vertiefen und durch eine ausgewogene und massgeschneiderte Zusammenarbeit zu stärken mit dem Ziel, die Schleusung von Migrierenden zu reduzieren, Rückkehrabkommen wirksamer umzusetzen, Ursachen irregulärer Migration zu mindern und legale Zugangswege zu schaffen – dies, zumal Herkunftsstaaten reine Rückübernahmeabkommen nicht mehr akzeptieren.

Dieser Ansatz drängt sich angesichts des prognostizierten erheblichen Migrationsdrucks in Richtung Europa geradezu auf. Aus wirtschaftlichen Gründen Migrierende wie auch Flüchtlinge werden Europa als Ziel im Auge haben. Zu den bekannten Fluchtursachen (Kriege, Dürre, Hunger, Klimaveränderungen) kommt der Auswanderungsdruck wegen der Covid-19-Pandemie: zusätzliche Einkommensverluste aufgrund von Arbeitslosigkeit (in Afrika gingen 20 Millionen Arbeitsplätze verloren), stark rückläufige Geldtransfers aus dem Ausland, Rückgang von ausländischen Direktinvestitionen. Die absehbaren Folgen: Millionen von Men­schen wird vor allem in Afrika und im Mittleren Osten der Zugang zu Bildung und Gesund­heitsversorgung verunmöglicht oder erschwert. Deshalb ist ein gesteigerter Vertreibungsdruck zu erwarten; es ist davon auszu­gehen, dass auch die Asylanträge wieder zunehmen werden.

Mit sechs Migrationspartnerschaften (mit drei Balkanstaaten, Tunesien, Nigeria, Sri Lanka) und zehn Migrationsabkommen mit Herkunftsländern von Asylsuchenden hat die Schweiz gute Erfahrungen gemacht. Es wurden Lösungen im gegenseitigen Interesse gefunden, unter anderem Hilfe und Schutz vor Ort, Prävention irregulärer Migration, Visa, Rückkehr und Reintegration, Kapazitätsaufbau und Entwicklung. Diese Partnerschaften beruhen auf Gegenseitigkeit, sind flexibel und schaffen Vertrauen. Die Migrationspartnerschaften haben zu weniger unbegründeten Asylgesuchen geführt, gleichzeitig zu einer verstärkten bilateralen Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten. Partnerschaften kosten zwar, gleichzeitig können damit aber Kosten, die in den Zielstaaten aufgrund irregulärer Migration anfallen, verringert und Mittel für die Aufnahme von tatsächlich Verfolgten zur Verfügung gestellt werden.

Kooperationen erforderlich

Bundesrat und Parlament haben 2020 im Rahmen der strategischen Verknüpfung von Migration und internationaler Zusammenarbeit beschlossen, die Kooperation bezüglich wirtschafts-, entwicklungs- und gesundheitspolitischer Themen im Zusammenhang mit einer kohärenten Migrationspolitik auszubauen. Um dazu beizutragen, dass weitere Destabilisierungen von Herkunfts- und Transitstaaten verhindert werden, und um die irreguläre Migration nach Europa zu verringern, werden die Schweiz und die EU-/Efta-Staaten mit Herkunfts- und Transitstaaten über Partnerschaften kooperieren müssen.

Reine Abwehrstrategien werden nicht mehr genügen. In das bereits breite Anwendungsfeld der Partnerschaften liessen sich weitere Themen einbeziehen, zum Beispiel gesundheitspolitische Anliegen, Rimessen, legale tempo­räre Zuwanderungs­wege, Stages und Ausbildungsmöglichkeiten. Als Schwerpunktregionen kommen Nordafrika, der Nahe Osten und Subsahara-Afrika infrage.

Eduard Gnesa ist Berater in Migrationsfragen. Er war Direktor des Bundesamtes für Migration und Sonderbotschafter für internationale Migrationszusammenarbeit im EDA.
(https://www.nzz.ch/meinung/die-schweiz-hat-eine-vorbildfunktion-fuer-den-asyl-und-migrationspakt-der-eu-ld.1606789)


+++FREIRÄUME
Eine Spinnerei? Von wegen…
Im Norden Berns, an der Strasse nach Bremgarten, liegt der Spinnereiweg. Dieser Name ist im doppelten Sinne stimmig. Einerseits erinnert er an den ehemals grössten Industriebetrieb der Stadt, die Spinnerei Felsenau, anderseits steht er für eine «Spinnerei» aus den Achzigerjahren, an die anfänglich niemand so recht glauben wollte: günstige, nachhaltig und eigenhändig gebaute Wohnungen. Besuch in einem (real gewordenen) Traumhaus.
http://www.journal-b.ch/de/082013/alltag/3857/Eine-Spinnerei-Von-wegen%E2%80%A6.htm



derbund.ch 24.03.2021

Berner Schützenmatte: Vor der Reitschule wird bald mit Kugeln gespielt

Die etablierten Pétanque-Plätze auf der Münsterplattform und im Lorrainepärkli erhalten Konkurrenz auf der Schützenmatte. Ob die neue Spielstätte aber tatsächlich genutzt wird, ist fraglich.

Sarah Buser

Ein grösserer Umbau der heute unwirtlichen Schützenmatte ist schon seit einigen Jahren geplant, wann dieser beginnt, ist jedoch noch unklar. Für eine kurzfristige Belebung der Platzes will die Stadt trotzdem sorgen. Bereits letzten Herbst wurden auf der Schützenmatte klimaangepasste Bäume gepflanzt, die den Platz vor zu grosser Erhitzung schützen sollen. Auch Sitzbänke und Pingpong-Tische wurden bereits aufgestellt und ein Mühle- und ein Schachspiel aufgemalt. Nun möchte die Stadt mit einer Pétanque-Bahn die bestehenden Elemente ergänzen und so ein vielfältiges Angebot an Spiel- und Aufenthaltsmöglichkeiten schaffen.

Voraussichtlich ab Mai 2021 sollte die Bahn zur Verfügung stehen, sagt Pascal Meier, Projektleiter beim Tiefbauamt der Stadt Bern. Dann soll während mindestens zwei Jahren beobachtet werden, wie gut die Bahn genutzt wird. Zumindest die Sitzbänke und die bestehenden Spielmöglichkeiten würden bereits heute rege benutzt, sagt Meier. Aufgrund der Erfahrungen will das Amt danach über das weitere Vorgehen entscheiden.

Könnte die Pétanque-Bahn künftig nicht stören, wenn es um Veranstaltungen auf der Schützenmatte geht? Dafür stelle sie kein Hindernis dar, sagt Pascal Meier. Tische und Installationen könnten auf die Bahn gestellt werden, da diese nur wenige Zentimeter hoch sei. Auch der Boden müsse für die Bahn nicht aufgerissen werden: Die 15 Meter lange und 4 Meter breite Holzbahn werde auf den Asphaltuntergrund aufgesetzt und mit Mergel aufgefüllt.

Aufgesetzte Bahn

Dem Vorgehen positiv gegenüber steht David Böhner, Mitarbeiter der Reitschule und Mitglied der Partei Alternative Linke. Mit den Sitzgelegenheiten und der Pétanque-Bahn gehe die Stadt «in die gute Richtung». Er hoffe nun, dass es keine Einsprachen gebe, sagt Böhner – und dass die Stadt auch die restlichen auf der Schützenmatte verbliebenen Parkplätze möglichst bald aufhebe.

Schaden tut es nicht

Etwas weniger Begeisterung zeigt der Verein Medina, der auf der Schützenmatte ein mobiles Gemeinschaftszentrum für aufsuchende Sozialarbeit betreibt und zweimal pro Woche eine Gassenküche anbietet. Schaden tue es nicht, «bringen wahrscheinlich auch nichts», sagt eine Sprecherin auf Anfrage. Die Kriminalität auf der «Schütz» werde durch das Pétanque-Feld wohl kaum gemindert. Würden aber ein paar der Pétanque-Spieler aus den anderen Pärken vorbeikommen, wäre das erfreulich, da ist sich der Verein mit Böhner einig.

Bruno Pflugi, Präsident des Berner Pétanque-Clubs Boulissima, bezweifelt indessen, dass die Pétanque-Spieler auf die Schützenmatte kommen. Zu stark hätten sich «die bestehenden Pétanque-Plätze in der Stadt etabliert», vor allem die Münsterplattform, der Platanenhof bei der Uni und das Lorrainepärkli. «Schon Mani Matter hat auf der Münsterplattform die Kugeln geworfen», sagt Pflugi.
(https://www.derbund.ch/vor-der-reitschule-wird-bald-mit-kugeln-gespielt-203220610923)


+++GASSE
derbund.ch 24.03.2021

Armut in der Pandemie: Fürs Essen reicht es nicht mehr

Grosser Andrang für verbilligte und kostenlose Lebensmittel: Die Pandemie in der Stadt Bern trifft jene am härtesten, die sowieso bereits wenig hatten. Aber nicht nur.

Sarah Buser

An diesem Morgen läutet die Klingel der Passantenhilfe schon vor 9 Uhr mehrmals. Die Sozialberaterin bittet die Wartenden um ein paar Minuten Geduld. Esswaren der Schweizertafel sind angekommen und müssen erst in die Küche der kleinen Wohnung im Mattenhofquartier gebracht werden.

Um 9 Uhr öffnet die Institution. «I do need help», sagt ein Mann. Die Sozialberaterin führt ihn in eines der beiden Beratungszimmer. Der Mann, der zum ersten Mal hier ist, wird es diesen Monat finanziell nicht über die Runden schaffen. Er habe sich zwar bei der Arbeitslosenvermittlung angemeldet, müsse nun aber auf das Geld warten. Rechnungen, die bezahlt werden müssten, und Ausgaben fürs Essen würden das Budget der Familie sprengen. Die Sozialarbeiterin notiert sich Datum, Name und ein paar Zeilen zur Person. Nach dem Gespräch gehen die beiden in die Küche. Dankbar packt der Mann alle Lebensmittel, die sie ihm anbietet, in seine Tasche. Den ganzen Morgen geht das so weiter, die Klingel bleibt nicht still.

Ursula Käufeler, die Leiterin der Passantenhilfe, erzählt, was sich seit Beginn der Pandemie verändert hat. Viele Menschen aus dem Tieflohnsektor seien seit letztem März dazugekommen und machten nun den grössten Teil der Klientel aus. Es seien insbesondere Angestellte aus der Gastronomie und Reinigungsfachkräfte, die es teilweise schon vor Corona nur knapp über die Runden geschafft hätten. Wenn das Trinkgeld oder der Nachtzuschlag wegfalle und durch die Kurzarbeitsentschädigung nur 80 Prozent des Lohns ausbezahlt werde, könne es eng werden. Im Jahr 2020 hätten ungefähr 4000 Menschen die Passantenhilfe aufgesucht, 800 mehr als im Vorjahr. «Durch Corona wurden bestehende Missstände verstärkt und sichtbar», sagt Käufeler.

Zuerst alles andere

Seit Beginn der Pandemie sind es mehr und vor allem andere Personen, die auf finanzielle Mittel und das Lebensmittelangebot zurückgreifen müssen. Private und kirchliche Hilfsangebote haben seit letztem März einen grossen Anstieg der Nachfrage verzeichnet. Kürzlich hat der Berner Gemeinderat ergänzend 100’000 Franken Soforthilfe in Form von Lebensmitteln und Essensbons in Aussicht gestellt.

Das genaue Ausmass der Zunahme ist allerdings schwer zu beziffern: Es gibt keine verlässlichen Zahlen, wie viele Personen auf Gratisabgaben von Essen und finanzielle Überbrückungshilfen angewiesen sind. Die betroffenen Menschen vermeiden nicht selten den Kontakt mit den Behörden und wollen nicht erkannt werden, sagt Claudia Hänzi, die Leiterin des Sozialamts der Stadt Bern.

Die Sozialhilfeleistungen hätten wegen Corona bislang jedoch kaum zugenommen, weil vorgelagerte Systeme wie die Kurzarbeit oder die Arbeitslosenversicherung noch schützen würden, sagt Hänzi. Dass mehr Menschen auf Hilfe angewiesen seien, zeige sich aber bei den Anträgen auf Sozialhilfe. Im Jahr 2020 wurde eine Zunahme von gut 7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verzeichnet. Die konkreten Auswirkungen auf die Sozialhilfe würden sich erst noch zeigen.

«Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen zuerst alles andere zahlen, bevor sie Geld fürs Essen ausgeben», sagt die Leiterin der Passantenhilfe, Ursula Käufeler. Aber sind Essensbons und Gratis-Lebensmittel nun wirklich die richtige Hilfe für die Armutsbetroffenen? Markus Kaufmann, Geschäftsführer der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe, sagt es so: Als Soforthilfe mache dieses Mittel Sinn, längerfristig allerdings nicht.

Nun kommen auch Handwerker

Auch beim Caritas-Markt im Berner Mattenhofquartier hat sich während des letzten Jahres einiges verändert, sagt Leiter Daniel Lauper. Vor der Krise hätten sich Kunden auch mal Gemüse oder Säfte gekauft. Nun fällt ihm auf, dass die Leute grösstenteils Grundnahrungsmittel kaufen. Man sehe öfters Firmenautos, beispielsweise von Handwerkern, die vor dem Laden parkierten. Diese Leute seien wahrscheinlich von der Kurzarbeit betroffen und würden nicht mehr genug verdienen. Der Lockdown löst eine Kettenreaktion aus. Die geschlossenen Restaurants beispielsweise betreffen nicht nur die Pächter und die Angestellten, sondern auch das Putzpersonal und die Handwerker. Vor Beginn der Corona-Krise habe er die Kunden gekannt, sagt Lauper. «Nun treffe ich täglich auf neue Gesichter.»

Armutsbetroffene Menschen können im Caritas-Laden günstige Lebensmittel einkaufen. Vor der Pandemie brauchte es Belege wie die Steuererklärung oder eine Kopie der Prämienverbilligung, um die zum Einkauf benötigte Caritas-Markt-Karte zu beantragen. Seit letztem Frühling wurden die Kriterien für den Bezug der Karte gelockert, sagt Lauper. Es brauche schnelle Hilfe. Dank Geld aus einer Glückskette-Spendenaktion konnten Essensbons im Wert von 60’000 Franken verteilt werden. «Wir sind kaum nachgekommen, die Gutscheine abzugeben.»

Lücke im System

Auf der Schützenmatte in Bern unterhält der Verein Medina einen Container. Darin kochen Freiwillige und «Leute vom Platz» warmes Essen. An diesem regnerischen und kalten Märzabend finden sich trotz des schlechten Wetters rund 30 Personen ein. Einige haben sich um das wärmende Feuer versammelt, andere sitzen bei einem Teller Bohneneintopf oder einem Schwarztee auf der Festbank vor dem Container.

Nur wenige mögen ihre Geschichte erzählen, bleiben lieber auf Distanz. Ein junger Mann lässt sich auf ein kurzes Gespräch ein. Er sagt, er sei froh um dieses Angebot, er würde sonst nicht zu solch gutem Essen kommen, und er schätze die Gesellschaft. Der Verein Medina sucht mit diesem Treffpunkt den Zugang zu armutsbetroffenen Menschen und will ihnen aus der prekären Situation helfen. Er unterstützt Menschen, die durch die sozialen Netze gefallen sind. Oft geht es darum, einen Schlafplatz zu finden. Manchmal gelingt es, eine Beschäftigung zu vermitteln.

Betroffen von der Krise sind Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund. Das reicht von jenen, die aus Scham oder Furcht vor negativen Folgen auf Sozialhilfe verzichten, bis zu jenen, die schon zuvor wenig hatten. «Die Krise zeigt die Lücken im System auf», sagt Markus Kaufmann, Geschäftsführer der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe. Von der Armut betroffen seien beispielsweise auch Sans-Papiers, die unter prekären Verhältnissen gearbeitet und in der Krise nun sogar diese Jobs verloren hätten. Bei ihnen würden Essensbons nicht ausreichen: «Mittelfristig braucht es Lösungen, die den Zugang zur Sozialhilfe vereinfachen», sagt Kaufmann.
(https://www.derbund.ch/fuers-essen-reicht-es-nicht-mehr-757913985355)


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Philippe Müller, Regierungsrat BE/FDP – Rundschau
 https://www.srf.ch/play/tv/rundschau/video/theke-philippe-mueller?urn=urn:srf:video:5d277a7e-f8d9-476d-aabf-c55cb10c194c



bernerzeitung.ch 24.03.2021

Nach Räumung des Sitzstreiks: Berner Klimastreikende protestieren beim Regierungsrat

Es sei absurd, 180 Menschen anzuzeigen, obwohl der Sitzstreik Corona-konform gewesen sei. Das schreibt Klimastreik Bern in einem Brief an die Kantonsregierung.

Christoph Hämmann

Die Kantonspolizei Bern kannte kein Pardon: Am vergangenen Freitag kontrollierte sie auf dem Waisenhausplatz rund 200 Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die sich dort zum Sitzstreik versammelt hatten, und wies sie weg. Rund 180 Personen würden angezeigt, meldete die Polizei im Anschluss.

Das sei «absurd», schreibt Klimastreik Bern nun in einem offenen Brief an die Kantonsregierung, schliesslich habe man «eine Corona-konforme Durchführung der Aktion gewährleistet». Zwar war die Demo nur für maximal 15 Personen bewilligt worden, man habe sich aber in Kleingruppen organisiert, die Abstand zueinander gehalten hätten, so Klimastreik Bern, und alle Teilnehmenden hätten Masken getragen.

«Nicht aus Spass oder zur Provokation»

Täglich bewegten sich mehrere Tausend Menschen an Bahnhöfen, heisst es im Brief weiter, Schulklassen mit 20 Kindern und Jugendlichen sässen «dicht an dicht» im Klassenzimmer. «Sobald wir aber draussen – aufgeteilt in Kleingruppen und mit Masken – sitzen, bekommen wir eine Anzeige.»

Man demonstriere «nicht aus Spass oder zur Provokation», schreibt das Klimastreik-Kollektiv, sondern weil die Regierungen darin versagten, wissenschaftliche Fakten ernst zu nehmen und entsprechend zu agieren. «Als Antwort auf unser wissenschaftsbasiertes Handeln erfahren wir massive Repressionen der Polizei, die mit unserem Demokratieverständnis nicht vereinbar sind.»
(https://www.bernerzeitung.ch/berner-klimastreikende-protestieren-beim-regierungsrat-678901324024)



Interpellation (Grüne): Warum verbietet die Berner Regierung – restriktiver als der Bund – «politische Demonstrationen» mit mehr als 15 Personen, sofern die Schutzmassnahmen eingehalten werden?
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-9a869b0b6caa49c6b2d441936da7418f.html


+++POLICE VD
Affaire Hervé Mandundu : Procès, jour 2
https://renverse.co/infos-locales/article/affaire-herve-mandundu-proces-jour-2-2994


+++POLIZEI ZH
Gewalt an Frauen: Welche Rolle spielt die Polizei?
Leiden Frauen unter Gewalt, gilt die Polizei als erste und wichtigste Instanz. Doch seit den repressiven Einsätzen der Stadtpolizei Zürich an verschiedenen Demonstrationen scheint das Vertrauen in den «Freund und Helfer» zu schwinden. Über verhärtete Fronten, fragwürdige Strukturen und dem Versuch, die Wogen zu glätten.
https://tsri.ch/zh/gewalt-frauen-welche-rolle-spielt-die-polizei-demonstration-frauendemo-widerstand/


+++QUEER
Eine kleine Geschichte antifeministischer Rhetorik
Ein Blick auf Karikaturen der 1900er Jahre und auf die antifeministischen Argumente heute zeigt: In mehr als 100 Jahren Frauenbewegung haben sich die Gegnerinnen nicht viel Neues einfallen lassen. Feministinnen seien hysterisch, nicht zurechnungsfähig und ihr heimliches Ziel sei es über die Männer zu herrschen.
https://www.arte.tv/de/videos/102190-004-A/eine-kleine-geschichte-antifeministischer-rhetorik/


„Extreme Gewalt“: Schweiz: Transphobes Video einer Tageszeitung empört LGBTI-Community
Eine genderqueere Person wird in einem „Satire“-Video von ihrer Psychologin aufgefordert, das Katzenklo zu benutzen, wenn sie nicht auf die Damen- oder Herrentoilette gehen wolle.
https://www.queer.de/detail.php?article_id=38433



nzz.ch 24.03.2021

LGBTQIA-Aktivisten suchen Zeitungsredaktion auf – weil sie sich von einem Satire-Video gedemütigt fühlen

«Le Temps» veröffentlichte ein Video zur geschlechtergerechten Sprache. Das sorgte intern wie extern für hitzige Debatten – und für einen ungewöhnlichen Redaktionsbesuch.

Antonio Fumagalli, Lausanne

Am Freitagnachmittag klopfte es bei der Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» an der Türe. Als ein Wirtschaftsredaktor öffnete – der eigentliche Empfang der Redaktion liegt zwei Stockwerke höher –, traute er seinen Augen kaum: Zwanzig bis dreissig Personen standen auf engstem Raum und forderten, mit einem Kadermitglied sprechen zu dürfen.

Was war geschehen? Vier Tage zuvor hatte «Le Temps» ein knapp fünfminütiges Video der in der Romandie bekannten Komikerin Claude-Inga Barbey veröffentlicht. Es ist Teil einer wöchentlich ausgestrahlten Serie, bei der Barbey eine neurotische Psychologin mimt, die eine «Person der Aktualität» empfängt.

In jenem Video sass Jocelyne, die sich als «genderqueer» definiert, auf der Couch. Thema der Sprechstunde: die geschlechtergerechte Sprache und deren Auswirkungen auf den Alltag der Patientin. Die «Psychologin» mokierte sich darüber, dass sie nicht mehr wisse, wie sie Jocelyne eigentlich nennen solle – und empfahl ihr, als sie weder auf die Männer- noch auf die Frauentoilette gehen wollte, das Katzenklo aufzusuchen.

«Le Temps» löscht das Video nicht

Über die künstlerische Qualität des satirischen Beitrags lässt sich streiten. Die LGBTQIA-Community – der Sammelbegriff steht für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle, queere, intersexuelle und asexuelle Menschen – fand es jedenfalls kein bisschen lustig. Kurz nach der Veröffentlichung des Videos entfachte sich in den sozialen Netzwerken eine hitzige Debatte über die Legitimität des Beitrags.

Die Personen, die das Video als diskriminierend erachten, gaben den Ton an. Gemässigtere Stimmen ermahnten, dass es keine Zensur geben dürfe, solange das Gesetz eingehalten werde. «Le Temps» veröffentlichte, aufgeschreckt durch die Polemik, gleich zwei selbstreflektierte Artikel zum Thema, zumal das Video auch redaktionsintern kontrovers diskutiert worden war.

Doch dabei blieb es nicht. Die erwähnte LGBTQIA-Gruppe wollte nicht nur die Chefredaktion sprechen, sondern auch einen offenen Brief veröffentlicht haben. «Le Temps» kam der Forderung nach. Darin heisst es unter anderem, dass das Video eine «extreme Gewaltausübung» gegenüber transgender und nichtbinären Personen sei, die ohnehin tagtäglich Diskriminierungen ausgesetzt seien. Alle Identitäten hätten ihre Berechtigung und dürften nicht lächerlich gemacht werden. Kurz: Das Video sei demütigend, ignorant, ja entmenschlichend. Es sei sofort zu löschen, und die Redaktion von «Le Temps» habe sich öffentlich zu entschuldigen.

«Ich bin nur ein Clown»

Madeleine von Holzen, die Chefredaktorin von «Le Temps», die sich rund eine halbe Stunde mit den unerwarteten und friedfertigen Besuchern austauschte, will sich nicht zum Inhalt des Videos äussern. Jede Betrachterin und jeder Betrachter solle sich ein eigenes Urteil bilden. Keinesfalls habe man die LGBTQIA-Community verletzen wollen.

Die Forderung der Aktivisten, das Video vom Netz zu nehmen, werde man nicht erfüllen, sagt sie. Es gelte die künstlerische Freiheit. Dass man den offenen Brief veröffentlicht habe, sei kein Kniefall und hänge auch nicht damit zusammen, dass die Gruppe persönlich bei der Redaktion aufgekreuzt sei. «Wir verstehen die Publikation als Beitrag zu einer wichtigen gesellschaftlichen Diskussion, die geführt werden soll», so von Holzen.

Claude-Inga Barbey, die Komikerin, sah sich ebenfalls gezwungen, auf die Polemik zu reagieren. Ihrem neusten Video fügte sie eine kurze Erklärung bei: Sie sei schlicht ein Clown und porträtiere in dieser Rolle Personen, wie sie sie im Alltag antreffe – nämlich freundliche, bösartige, rassistische, schöne und hässliche Menschen. «Genau deswegen bezahlt man Künstler. Damit diese all die schlimmen Sachen erleben, während man gemütlich zu Hause sitzt», schliesst sie.
(-> Video: https://youtu.be/64DfpjKy3Mg)


+++RASSISMUS
«Rassismus schliesst Türen. Öffnen wir sie» – RaBe-Info 24.03.2021
Seit Anfang März sind die grünen Plakate in der ganzen Stadt zu sehen. Darauf steht in grossen Buchstaben «Rassismus schliesst Türen. Öffnen wir sie» – eine Kampagne zum Thema struktureller Rassismus der Stadt Bern. Noch bis nächsten Samstag findet die Aktionswoche Bern gegen Rassismus statt.
https://rabe.ch/2021/03/24/aktionswoche-gegen-rassismus/



bernerzeitung.ch 24.03.2021

Interview zur Aktionswoche gegen Rassismus – Wie sich zwei Freundinnen gegen rassistische Sprache engagieren

Carla Schär und Umu Ali erzählen, warum das Wort «Migrationshintergrund» problematisch sein kann und wie sie reagieren, wenn in ihrem Beisein diskriminierende Begriffe verwendet werden.

Andrea Knecht

Umu Ali, wann empfinden Sie die deutsche Sprache als diskriminierend?

Umu Ali: Das kommt immer auf den Kontext an, in dem ein Wort gebraucht wird. Meistens sind es Situationen im Alltag – und oft hat es mit rassistischen Begriffen zu tun. Manchmal sind es eigentlich positiv gemeinte Bemerkungen zu meinem Kopftuch wie: «Eigentlich bin ich kein Fan von Kopftüchern, aber so wie Sie es tragen, finde ich es noch schön.» Zudem werde ich oft auf Hochdeutsch angesprochen, weil die Menschen das Gefühl haben, ich spreche die Sprache sowieso nicht. Es geht also über die Wortebene hinaus.

Carla Schär, Sie leiten Workshops zu diskriminierender Sprache. Wie kam es dazu?

Carla Schär: Das hat verschiedene Motivationen. Ich bin nicht direkt betroffen, aber ich sehe es als meine Verantwortung, weil ich in meinem Alltag in der deutschen Sprache kommuniziere, Nachrichten auf Deutsch lese und höre. Manche meiner Freunde und Freundinnen sind von Rassismus betroffen. Mit ihnen rede ich darüber und bekomme vieles mit. Und ich unterrichte Deutsch und habe dort auch schon selbst Fehler gemacht.

Zum Beispiel?

Carla Schär: Als ich ohne viel zu überlegen das Wort «Migrationshintergrund» behandelt habe, das im Lehrmittel stand. Durch meine Ausbildung habe ich gemerkt, dass viel zu wenig thematisiert wird, wie mit Begriffen in Lehrmitteln umgegangen wird. Darum habe ich angefangen, mich genauer damit zu beschäftigen.

Was ist am Wort Migrationshintergrund diskriminierend?

Carla Schär: Semantisch betrachtet ist das Wort Migrationshintergrund an sich nicht diskriminierend – es besteht aus «Migration» und «Hintergrund». Aber wie Umu gesagt hat: Hier kommt es auf den Kontext an. Wie wird das Wort wahrgenommen? Wer verwendet es zu welchem Zweck?

Und?

Carla Schär: Wenn man das Wort Migrationshintergrund anschaut, müsste man eigentlich auch fragen: Wer hat denn keinen Migrationshintergrund? Denn eigentlich bedeutet das Kompositum ja: Ein Mensch, der einen oder mehrere Vorfahren hat, die migriert sind – das trifft auf alle Menschen zu. Die wichtigen Fragen sind: Wer definiert, welche Gruppe von Menschen mit diesem Wort bezeichnet wird? Und warum ist diese Zuschreibung relevant? Denn in vielen Kontexten ist sie eigentlich nicht relevant.

Umu Ali: Ich kann mich eigentlich überhaupt nicht mit diesem Wort identifizieren und bin mir gleichzeitig bewusst, dass viele Menschen mich damit beschreiben würden.

Worüber sprechen Sie in den Workshops?

Carla Schär: Wir besprechen Begriffe aus dem Wortschatz der deutschen Sprache, die rassistisch sind. Manche sehr offensichtlich, andere weniger – was dann auch zu grösseren Diskussionen führt. Worum es nicht geht, ist, die «richtige deutsche Sprache» zu definieren. Das Ziel ist, seinen eigenen Sprachgebrauch zu reflektieren und bewusster zu reden. Dazu gehört auch, dass man anderen zuhört. Dass ich als Nichtbetroffene nicht bestimme, was rassistisch ist und was nicht.

Umu Ali: Ich möchte meine Erfahrungen teilen, damit die Leute sich bewusst werden und lernen können und sich einschalten können, wenn sie diskriminierenden Sprachgebrauch in ihrem Alltag mitbekommen.

Um welche Begriffe geht es konkret und wie ordnen Sie diese ein?

Carla Schär: Wir sprechen über die historischen Verbindungen von Begriffen. In der deutschen Sprache sind das konkret die Zeit des Nationalsozialismus und des Kolonialismus – aber auch die aktuelle Migrationspolitik. Warum werden zum Beispiel manche Menschen als Expats bezeichnet, andere als Migrantinnen und Migranten?

Sie beide sind befreundet. Reden Sie in Ihrer Freundschaft über Rassismus?

Umu Ali: Ja. In meinem Alltag kommt es immer wieder zu Situationen, nach denen ich mich frage: «Hätte ich jetzt etwas dagegen sagen können?» Wenn ich später mit Carla darüber spreche, merke ich oft, dass es total daneben war, dass ich zum Beispiel auf eine bestimmte Art bezeichnet worden bin – und dass ich mich hätte wehren können. Und natürlich ist es auch schon vorgekommen, dass ich im Freundeskreis einschreiten und sagen musste, dass etwas nicht okay war – einfach aus Zivilcourage.

Carla Schär: Wir haben auch schon viele Diskussionen geführt, weil ich manchmal zu impulsiv reagiere. In manchen Situationen hatte ich das Gefühl, einschreiten, etwas sagen zu müssen, weil eine Aussage nicht okay war. Danach hat sich herausgestellt, dass du, Umu, das gar nicht wolltest – weil du fandest, es sei egal oder bringe nichts. Da muss ich viel lernen – ich weiss ja nicht, wie es sich anfühlt, betroffen zu sein. Aber darüber können wir offen reden.

Schreiten Sie auch ausserhalb des Freundeskreises ein, wenn Sie mitbekommen, dass jemand diskriminierende Sprache verwendet?

Umu Ali: Wenn ich mit Freundinnen unterwegs bin, von denen manche auch Kopftuchträgerinnen sind, kommen manchmal schon Kommentare, die total unangebracht sind. Und klar sagt man dann auch etwas. Aber ich habe schon oft die Erfahrung gemacht, dass gerade diese Leute ihr fixes Bild aus den Medien haben. Wenn sie dann eine Frau sehen, die ein Kopftuch trägt, reicht das offenbar schon, um etwas auszulösen.

Wie reagieren Sie dann?

Umu Ali: Ich kann nicht viel mehr machen als sagen, dass man nicht alle Muslime in einen Topf werfen kann. Die meisten sind dann überrascht, dass ich überhaupt die Sprache spreche – oder so perplex, dass gar nichts mehr kommt. Was mir noch nie passiert ist, ist, dass ich etwas gesagt habe und die Person geantwortet hat: «Es tut mir leid, mir war nicht klar, dass man dieses Wort nicht brauchen sollte.»

Carla Schär: Meine Strategie ist, die Person zu fragen: Wie meinst du das? Ich glaube, viele haben keine böse Absicht, sondern überlegen einfach nicht viel. Ich hoffe, dass sie dann anfangen, nachzudenken.

Welche Reaktionen würden Sie sich wünschen?

Umu Ali: Natürlich dass man sich entschuldigt! Oder fragt, welches Wort man alternativ benutzen soll. Oder mich einfach fragt, warum ich ein Tuch trage – oft habe ich das Gefühl, das interessiert die Leute gar nicht.

Carla Schär: Ich würde mir wünschen, dass man denen zuhört, die etwas zu sagen haben, und nicht einfach selbst entscheidet, was jetzt richtig ist.

Viele Leute beharren aber darauf, bestimmte Begriffe weiterhin zu verwenden. Warum?

Carla Schär: Eine mögliche Erklärung ist, dass sich diese Leute persönlich angegriffen fühlen. Dass sie verneinen, dass die deutsche Sprache diskriminierend ist, weil sie das Gefühl haben, sie selbst seien böse, diskriminierend, weil sie diese Sprache sprechen. Aber das betrifft ja nicht nur Sprache – auch wenn man Leute auf anderes rassistisches Verhalten anspricht, ist in unserer Gesellschaft die Idee weit verbreitet, Rassismus sei etwas Individuelles und mit bösen Absichten verbunden. Aber das muss nicht so sein.

Sondern?

Carla Schär: Schlussendlich ist Rassismus ein gesellschaftliches Problem. Wir alle haben Denkweisen verinnerlicht, die wir reflektieren und ändern müssen. Klar können Fehler passieren – das Wichtigste ist, dass wir sie annehmen. Wenn dir jemand sagt, «das ist diskriminierend», ist es nicht an dir, dem entgegenzuhalten. Denn es geht nicht um deine Absicht, sondern darum, wie es ankommt.

Und wie kommen wir aus diesem Sich-angegriffen-Fühlen raus?

Carla Schär: Zum Beispiel indem ich akzeptiere, dass ich auch Teil des Problems bin und etwas ändern kann. Ich kann mich in dieser Diskussion als Lernende betrachten – ich werde schliesslich nie die Erfahrungen haben, die Umu hat.

Umu Ali: Ich finde es wichtig, dass man die Leute darauf aufmerksam macht, wie sie Wörter benutzen, oder darauf, dass sie fragen sollen, «war meine Aussage jetzt diskriminierend?» – vielen ist es halt einfach nicht bewusst.

Welche Rolle spielt Sprache in der Bekämpfung von Rassismus?

Carla Schär: Vielleicht eine kleine – aber eine sehr wichtige, finde ich. Sprache hat einen grossen Einfluss darauf, wie wir die Welt wahrnehmen. Die Erfahrung und die Vorstellung jedes einzelnen Menschen ist begrenzt, aber durch Sprache können wir über die eigene Nase hinausschauen. Dieser Perspektivenwechsel fehlt leider noch zu oft in unserer Gesellschaft.

Am Freitag, 26. März, findet von 17 bis 18.30 Uhr im Rahmen der Aktionswoche gegen Rassismus der Workshop «Wie diskriminierend ist die deutsche Sprache?» von VoCHabular statt.



Zu den Personen

Umu Ali und Carla Schär sind gute Freundinnen. Vor etwa sechs Jahren haben sie sich bei der Arbeit im Verkauf kennen gelernt. Umu Ali, 30, ist Detailhandelsfachfrau und bildet sich gerade zur Schneiderin weiter. Carla Schär, 26, unterrichtet Deutsch als Fremdsprache. Sie hat Linguistik studiert und danach den CAS zur Lehrperson Deutsch als Fremdsprache absolviert. Sie arbeitet als Freiwillige im Verein VoCHabular, der die Kurse zu diskriminierender Sprache anbietet. Beide leben in Bern.



Der Verein VoCHabular

Der Verein VoCHabular hat sich in erster Linie der Entwicklung von Lernmittel verschrieben, mit denen fremdsprachige Personen selbst Dialekt lernen können. «Menschen, die ein sehr gutes Niveau im Deutschen erreichen, werden im Alltag mit Schweizerdeutsch konfrontiert – und stehen vor neuen Hürden», erklärt Carla Schär. «Das Bedürfnis, Dialekt zu lernen, ist gross.» Mit gedruckten Büchern und einer App soll der Einstieg in den Schweizer Alltag erleichtert werden. Die Workshops zu diskriminierender Sprache sind eine zusätzliche Aktivität des Vereins.



Die Aktionswoche gegen Rassismus

Die 11. Aktionswoche gegen Rassismus der Stadt Bern dreht sich ums Thema «struktureller Rassismus» und dauert noch bis Samstag, 27. März. Online finden Workshops und Vorträge statt – unter anderem zu Rassismus an Hochschulen, Racial Profiling oder Mythen und Realität binationaler Paare. Das vollständige Programm ist auf der Website der Stadt Bern aufgeschaltet.
(https://www.bernerzeitung.ch/wie-sich-zwei-freundinnen-gegen-rassistische-sprache-engagieren-727911710276)



Othering: Rassismus als Unterhaltung
In seinem Meinungstalk „Die letzte Instanz“ machte der WDR TV-Unterhaltung auf Kosten anderer, in diesem Fall Sint:izze und Rom:nja. Das ist leider nichts Neues in der Unterhaltungsbranche.
https://geschichtedergegenwart.ch/othering-rassismus-als-unterhaltung/


+++RECHTSPOPULISMUS
Heftige Debatte auf Twitter: «Intoleranz gewisser Linker» – Nazi-Vergleich nach Nebelspalter-Karikatur
Linke Twitter-User übten scharfe Kritik am Nebelspalter, haben aber offenbar die Satire nicht verstanden. Solche vorschnellen Urteile sind laut einem Soziologen schädlich für die Diskussionskultur.
https://www.20min.ch/story/intoleranz-gewisser-linker-nazi-vergleich-nach-nebelspalter-karikatur-452951193553


Berner SVP-Regierungsrat versteht Bundesrat nicht mehr
Der Berner Pierre Alain Schnegg war einst klarer Befürworter des bundesrätlichen Corona-Kurses. Nun zeigt er grosses Unverständnis für die neusten Beschlüsse.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/berner-svp-regierungsrat-versteht-bundesrat-nicht-mehr-65893847


+++RECHTSEXTREMISMUS
Frankreichs Regierung verbietet die rechtsextreme Génération Identitaire
Ein Verbot mit Tücken
Die französische Regierung hat Anfang März die rechtsextreme Gruppe Génération Identitaire verboten. Aus ihr gingen die österreichischen und deutschen Ableger der »Identitären Bewegung« hervor.
https://jungle.world/artikel/2021/11/ein-verbot-mit-tuecken


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Zürichsee-Zeitung 24.03.2021

Corona-Demonstration in Rapperswil: «Wir sind kein Polizeistaat»

Fabio Wyss

Um die 8000 Corona-Skeptiker, Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker demonstrierten letzten Samstag in Liestal. Dabei verstiessen die allermeisten gegen die Maskentragpflicht. Nun planen die Organisatoren von «Stiller Protest» am 24.  April eine Veranstaltung in Rapperswil-Jona. Der St. Galler Sicherheitsdirektor Fredy Fässler (SP) hat grosse Vorbehalte.

Der Verein Stiller Protest will im April in Rapperswil-Jona demonstrieren. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Ja natürlich. Solche Bilder wie in Liestal möchte ich nicht im Kanton St. Gallen sehen. Das Virus ist unter uns und ist gefährlich. Wenn Leute in so grossen Mengen ungeschützt demonstrieren, ist das inakzeptabel. Aber: Es braucht meiner Meinung nach eine Gelegenheit, damit Bürger ihren Unmut artikulieren können. Selbstverständlich aber unter Einhaltung der geltenden Regeln.

Ihre Baselbieter Amtskollegin Kathrin Schweizer würde im Nachhinein keine Bewilligung mehr erteilen. Was bedeuten solche Erfahrungen für die geplante Veranstaltung in Rapperswil‑Jona?

Die Aufgabe der Verantwortlichen auf kommunaler Ebene und der Polizei ist es momentan, mit den Veranstaltern ins Gespräch zu kommen. Diese müssen nach den Vorkommnissen in Liestal glaubwürdig nachweisen, dass sie eine Demonstration durchführen können, die den gesundheitlichen Risiken Rechnung trägt. Der Bundesrat lässt meiner Meinung nach mit guten Gründen solche Versammlungen zu. Das heisst aber nicht, dass Demonstrierende machen können, was sie wollen.

Solche Protestmärsche sind ein Schlag ins Gesicht für jene, die sich an Regeln halten.

Jene, die sich seit über einem Jahr an die Regeln halten, ärgern sich zu Recht. Deshalb wollen wir diese Bilder von Liestal kein zweites Mal mehr sehen. Wir müssen Lösungen suchen, die eine Demonstration ohne gesundheitliche Risiken gewährleisten. Das ist natürlich ein riesiger Spagat.

In Liestal zeigte sich, dass bei Tausenden protestierenden Massnahmengegnern eine Maskenpflicht nicht durchsetzbar ist. Selbst bei kleineren Veranstaltungen wie der illegalen in Gommiswald zögerte die St. Galler Polizei. Wieso ist das so schwierig?

Maskenverweigerer werden tatsächlich kaum an einer Veranstaltung eine Schutzmaske tragen. Das war auch die Situation in Gommiswald. Aus Überlegungen der Verhältnismässigkeit konnte die Veranstaltung der überzeugten Corona-Leugner nicht verhindert werden. 90 Personen – von Kindern bis zu Rentnern – hätten aus einem Restaurant gezerrt und getragen werden müssen. Danach hätte die Polizei kontrollieren müssen, dass sie nicht wieder zurückgehen.

Die Polizei könnte aber auch direkt ein Zeichen setzen: Es ist bekannt, wer organisiert und wer auf einer Bühne auftritt. Jene Leute tragen eine Verantwortung und müssten auf die Maskentragpflicht hinweisen. Warum werden nicht wenigstens diese Rädelsführer abgeführt?

Das wäre eine denkbare Strategie. Die Polizei muss aber immer berücksichtigen, was das auslöst. Das Einfachste wäre, nun in Rapperswil-Jona von Anfang an Zugänge und Zufahrtswege abzuriegeln. Was passiert dann aber anderswo? Kommt es zu Strassenschlachten, hat es die Polizei auch nicht recht gemacht. Es ist nicht so, dass es in der Praxis immer nur einfache Antworten gibt.

Im Umkehrschluss führt das aber dazu, dass sich Maskenverweigerer im Recht sehen. Im Internet kursieren Videos, wie man am besten Gesetze umgeht und Beamte an der Nase herumführt.

Die Veranstaltenden und Teilnehmenden, ob in Liestal oder Gommiswald, werden strafrechtlich zur Verantwortung gezogen. Mich beunruhigt aber schon, in welcher Art Teile der Bevölkerung den Staat und seine Institutionen gering schätzen und davon ausgehen, dass man das Gesetz so einfach austricksen kann. Ordnungsbussen werden einfach zurückgeschickt.

Was passiert dann?

Das hat zur Folge, dass ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft eröffnet wird. Das wird wesentlich teurer. Es kann nicht ernsthaft daran gezweifelt werden, dass bei solchen Veranstaltungen Masken zu tragen sind. Ich bin mir aber bewusst, dass Corona-Leugner diese Zweifel haben. Sie werden noch realisieren, dass sie im Unrecht sind.

Bis Gerichte Urteile fällen, dauert es. Wieso gibt es keine Sofortmassnahmen?

Der Rechtsstaat kann nicht ausgehebelt werden. Das muss so bleiben. Alles andere wäre ein Polizeistaat.

Gewisse Kreise bezeichnen die Schweiz schon als solchen. Beschäftigt Sie diese Spaltung der Gesellschaft?

Mir macht das grosse Sorgen. Leute sind nicht mehr bereit, angeordnete Massnahmen zu tragen. Sondern sind sogar gewillt, sich deswegen strafbar zu machen. Diese Spaltung ist das, was wir in einer Krise am wenigsten brauchen. Wir sind noch nicht am Ende dieser Pandemie. Man kann Massnahmen hinterfragen und kritisieren. Wie das die St. Galler Regierung zuletzt auch gemacht hat. Schliesslich ist aber der Bundesrat zuständig und trägt die Verantwortung.

Bei der Demonstrationsfreiheit überlässt der Bund die Umsetzung den Kantonen. Die Regierungen in Zürich oder Bern haben für Demonstrationen eine Obergrenze von 15 Personen eingeführt. Ist das für die St. Galler Regierung ebenfalls ein Thema?

Aktuell nicht. Die St. Galler Regierung will das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit aufrechterhalten. Das gilt auch für jene Menschen, die mit den Massnahmen gegen die Corona-Epidemie nicht zufrieden sind. Ich kann aber nicht ausschliessen, dass wir dereinst zu einem anderen Schluss kommen.

Jetzt herrscht ein Flickenteppich. Was dazu führt, dass Organisatoren von Demonstrationen in ländliche Kantone ausweichen. Bräuchte es darum bundesweite Regelungen?

Am besten wäre es, wenn wir Kantone uns auf eine gemeinsame Strategie verständigen könnten. Das Problem ist, dass die Berner und die Zürcher Kantonsregierungen von ihrer Obergrenze von 15 Personen kaum abweichen werden.

Inwiefern?

In der Konsequenz heisst das, dass alle anderen Kantone diese Regel übernehmen müssten. Das ist keine gemeinsame Lösung, sondern eine, die von den beiden grossen Kantonen vorgegeben wurde. Ich muss aber ehrlich auch sagen: Diese Kantone haben regelmässig illegale und gewalttätige Demonstrationen, welche sie bewältigen müssen.



Zur Person

Fredy Fässler ist der oberste Polizeidirektor des Landes. Seit November präsidiert der 62-Jährige die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD). Seit 2012 ist der studierte Jurist St. Galler Regierungsrat und Vorsteher des Sicherheits- und Justizdepartements. Der SP-Politiker ist verheiratet, Vater zweier Kinder und wohnt in St. Gallen. (wyf)
(https://www.zsz.ch/wir-sind-kein-polizeistaat-963499298096)



Massnahmen-Befürworter organisieren nach Liestal Online-Demo
Nach einer Massnahmen-Demo in Liestal BL am Samstag soll am Donnerstag eine Gegendemonstration stattfinden. Aber pandemiegerecht nur digital.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/massnahmen-befurworter-organisieren-nach-liestal-online-demo-65893771
-> https://www.blick.ch/schweiz/demo-gegen-die-corona-kritiker-jetzt-schlagen-die-massnahmen-befuerworter-zurueck-id16419641.html


Gegen-Demonstrantin spricht von Doppelmoral bei der Corona-Demo
Die Demonstrierenden fasste man letzten Samstag mit Samthandschuhen an. Nicht so die Gegendemonstrierenden, so der Vorwurf einer Teilnehmerin.
https://telebasel.ch/2021/03/24/gegen-demonstrantin-spricht-von-doppelmoral-bei-der-corona-demo


Juso legt sich mit «Mass-Voll»-Demonstranten an
Die Jungsozialisten lesen den Corona-Demonstranten die Leviten. Diese reagieren amüsiert: Mit den Argumenten desavouierten sich die Juso gleich selbst.
https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/juso-legt-sich-mit-mass-voll-demonstranten-an-65893202


Newsportal löscht negatives Umfrageergebnis
Ein Gastbeitrag von Massnahmenkritikern ist schlecht bewertet worden. Nau entfernte daraufhin das Voting.
https://www.persoenlich.com/medien/newsportal-loscht-negatives-umfrageergebnis


«Mass-Voll!»: Der Kampf für eine vergessene Generation
Die Jugendbewegung «MASS-VOLL!» fordert die Wiederherstellung von Grundrechten und die sofortige Aufhebung sämtlicher Zwangsmassnahmen. Ein Gastbeitrag.
https://www.nau.ch/news/stimmen-der-schweiz/mass-voll-der-kampf-fur-eine-vergessene-generation-65893065
-> https://twitter.com/Megafon_RS_Bern/status/1374691158107025416
-> https://twitter.com/redder66/status/1374603050950782977
-> https://twitter.com/__investigate__/status/1374667775436857349


Hostpoint sperrt drei Webseiten von Corona-Skeptikern
Hostpoint hat am Dienstag drei Webseiten von Corona-Skeptikern gesperrt. Auf einer ist es zu Gewaltaufrufen gegen Politiker gekommen.
https://www.nau.ch/news/digital/hostpoint-sperrt-drei-webseiten-von-corona-skeptikern-65893394


Mobilisierbare Deutsche
Eine politische Einordnung der „Corona Rebellen“
Die sogenannten „Hygienedemos“ haben gezeigt: Nicht wenige Menschen in Deutschland sind für eine regressive Mobilisierung offen. Diese, auf ihren Gestus reduzierte Rebellion, soll die unbegriffene gesellschaftliche Ohnmacht der Individuen kaschieren, während die realen Gründe der Ohnmacht unangetastet bleiben. Es ist eine Spielart der konformistischen Revolte, die sich subversiv aufführt und eine Schein-Rebellion gegen eine imaginierte Macht anzettelt. Sie lässt autoritäre Fantasien frei, frönt Strafbedürfnissen und sehnt sich nach Kollektiv und Führung.
Die Broschüre „Mobilisierbare Deutsche” liefert eine Reflexion der ideologischen Grundaspekte dieser Mobilisierung. Sie zeigt auf, inwiefern das entfaltete Narrativ den üblichen Mustern von regressiver Gesellschaftskritik und Verschwörungsmythen entspricht. Dadurch wird erklärbar, warum auch unverdächtige Akteur*innen über eine Eigendynamik in die Nähe zu extrem Rechten gelangen konnten, – eine tieferliegende Affinität wird offenbart.
https://www.edition-assemblage.de/buecher/mobilisierbare-deutsche/