Themen
– Geflüchtete Frau* zündet sich an und wird wegen Brandstiftung angeklagt
– ORS diffamiert Petition #ShutDownORS als Stimmungmache und Falschinformation
– Mit einer neuen SEM-Diplomatin wird Migrationspolitik verstärkt zur Aussenpolitik
– Antisemitismus in der Romandie im Anstieg
– Madrid: Nazis gedenken Nazis
– Mehr als 50% der aus Libyen fliehenden Menschen werden abgefangen
– Enttäuschender Zwischenbericht zu rechter Anschlagreihe in Berlin-Neukölln
– Kopf der Woche: Frédérique Vidal
– Südafrika benennt Ortsnamen aus Kolonialzeit um
– Bewohner*innen von Lesbos öffnen ihre Häuser für geflüchtete Menschen
– Blockaden in Wien gegen Abschiebung nach Afghanistan
Was ist neu?
Geflüchtete Frau* zündet sich an und wird wegen Brandstiftung angeklagt
Die Zustände in den griechischen Lagern führen vermehrt zu Selbstverletzungen. So hat sich vergangene Woche ein schwangere Frau* selbst angezündet. Die Reaktion der griechischen Behörden? Sie wird wegen Brandstiftung angeklagt!
Eine hochschwangere geflüchtete Frau* hat sich vergangene Woche im Lager Kara Tepe auf der Insel Lesbos selbst angezündet, nachdem ihr mitgeteilt wurde, dass sie vor der Geburt des Kindes nicht mehr nach Deutschland ausreisen könne. Die Aussicht, unter den schwierigen Bedingungen im Lager ein Kind gebären zu müssen, ist für sie unerträglich gewesen. Nach Angaben des griechischen Migrationsministeriums handelte es sich jedoch um ein «Missverständnis»: die Frau* hätte möglicherweise verstanden, Griechenland überhaupt nicht verlassen zu dürfen – auch nicht nach der Geburt des Kindes. Kritisiert wird seit Monaten die fehlende Transparenz des Auswahlprozesses für die Evakuierung von der Insel. Auch fehlt es an psychologischer Unterstützung.
So ist dies lange nicht ein Einzelfall: Die Zustände in den Lagern sind unglaublich belastend, ein Grossteil der Bewohner*innen leidet unter psychischen Problemen – Selbsttötungsversuche oder Selbstverletzungen kommen häufig vor. Die Corona-Pandemie hat die Situation zusätzlich verschärft: Hilfsorganisation wie das IRC (International Rescue Committee) oder Ärzte ohne Grenzen verzeichneten einen 71-prozentigen Anstieg von Personen, die über psychotische Probleme klagten; die Zahl der Selbstverletzungen sei um 66 Prozent gestiegen.
Die Staatsanwaltschaft auf der griechischen Insel Lesbos geht inzwischen strafrechtlich gegen die geflüchtete Frau* vor. Ihr wird Brandstiftung vorgeworfen. Sie darf nun bis zur endgültigen Entscheidung über eine mögliche Anklage das Land nicht verlassen und kann somit auch nicht nach Deutschland ausgeflogen werden. Wird sie verurteilt, drohen ihr bis zu zehn Jahre Haft – ein weiterer Fall menschenverachtender griechischer Abschreckungspolitik gegenüber geflüchteten Personen.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/griechische-staatsanwaltschaft-will-gefluechtete-wegen-brandstiftung-belangen-a-c05f96d8-cebc-4d7b-8b61-1f7464cb843c
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/119535/Psychische-Probleme-bei-Migranten-auf-Inseln-nehmen-stark-zu
ORS diffamiert Petition #ShutDownORS als Stimmungmache und Falschinformation
2459 Menschen haben die Petition #ShutDownORS unterschrieben. Darin wird gefordert, dass der ORS AG das Leistungsmandat für die Verwaltung der Berner Rückkehrzentren entzogen wird. Die ORS AG kann in ihren Rückkehrzentren nicht sicherstellen, dass die geflüchteten Menschen, die sie gewinnbringend verwaltet, die BAG-Vorgaben einhalten können. Gesundheitsgefährdend ist es insbesondere, dass Isolation und Quarantäne nicht immer getrennt erfolgen. Was ist seit der Petitionsübergabe am Montag 22. Februar geschehen?
Die Zeitungen Bund und Berner Zeitung berichteten über die Inhalte der Petition und die Reaktion der ORS AG. Diese erhob Vorwürfe: „Die zusammen mit der Petition lancierte Stimmungsmache gegen ORS basiert auf Falschinformationen“ (Lutz Hahn, ORS Service AG). Mit einer eigenen Stellungnahme zur Petition doppelte die ORS AG nach: Die von Geflüchteten geäusserte Kritik sowie die Petition seien „von aussen gesteuerte ideologisch fundierte Aktionen“. Den Medien wirft die ORS AG „einseitige Berichterstattung“ vor. Sie hingegen stehe für „Qualität statt Polemik“, „Fakten statt Fake“ und sie sei „lösungsorientiert statt rechthaberisch“. Das ist einem speziell für diesen Kontext angefertigten Foto zu entnehmen.
Die ORS AG hat zudem auf Facebook bekanntgegeben, mit welche Massnahmen sie in den von ihr verwalteten Asylcamps gegen Corona vorgehe. Sie hätten mit „Aufklärungsvideos und in unzähligen persönlichen Gesprächen“, mit „der Einrichtung von Quarantäne- und Isolationszimmern“, der Intensivierung der „medizinischen und psychologischen Betreuung durch Fachpersonal“, sowie mit „Catering“ und Personal, welches während der Quarantäne „für die Bewohnenden bei Bedarf Lebensmittel einkauft“, auf die Pandemie reagiert.
Da viele geflüchtete Aktivist*innen in den Rückkehrzentren diese Massnahmen nicht feststellen konnten, stellte das Migrant Solidarity Network der ORS AG konkrete Rückfragen:
- Wann und wie haben sie die Aufklärungsvideos verbreitet? Viele kennen diese bisher nicht und würden sie gerne sehen?
- Wie viele Verdachtsfälle und bestätigte Fälle gab es und wie viele davon verbrachten ihre Isolation bzw. Quarantäne in einem Einzelzimmer gemäss BAG-Vorgabe?
- Wie viel zusätzliches Fachpersonal wurde in den unterschiedlichen Rückkehrzentren des Kantons Bern eingestellt?
- In welchen Rückkehrzentren und in welchen Monaten seit Pandemieausbruch wurden Catering sowie Einkäufe für erkrankte Personen oder Personen in Quarantäne sichergestellt?
- Wurden Kosten für Masken, Desinfektionsmitteln und Handschuhe von der ORS AG oder über zusätzliche Ausgaben des Kantons Bern bezahlt?
Auch bat das Migrant Solidarity Network die ORS Service AG, ihre Vorwürfe genauer zu formulieren: „Sie werfen geflüchteten und nicht-geflüchteten Aktivist*innen von Stopp Isolation und vom Migrant Solidarity Network sowie der bernischen Sektion der Demokratischen Jurist_innen Schweiz vor, „mit Falschmeldungen Stimmung gegen ORS zu machen. Wo genau lügen wir?“
Die Antwort der ORS AG kam postwendend per Mail: „Ihren Fragen entnehmen wir, dass es Ihnen offenbar um eine ideologisch motivierte Auseinandersetzung geht, auf die wir als politisch und religiös neutrales Unternehmen nicht eingehen. Ihre Vorwürfe an unsere Adresse weisen wir mit Nachdruck zurück,“ schreibt Lutz Hahn, ORS Service AG. Auch könne der ORS AG grundsätzlich keine Schuld zukommen. Sie mache immer nur das, was der Kanton von ihr fordere: „Wir konzentrieren uns in unserer Arbeit auf die mit dem Auftraggeber vereinbarten Leistungen und begleiten die Bewohner*innen unabhängig von ihrem aufenthaltsrechtlichen Status nach Massgabe der Vorgaben, die in der öffentlichen Ausschreibung durch den Kanton definiert wurden.“
https://migrant-solidarity-network.ch/2021/02/24/wie-reagiert-die-ors-service-ag-auf-die-petition-shutdownors/
Was geht ab beim Staat?
Mit einer neuen SEM-Diplomatin wird Migrationspolitik verstärkt zur Aussenpolitik
Mit Christine Schraner Burgener bekommt das SEM eine neue Chefin. Mario Gattiker, der aktuelle Staatssekretär für Migration, räumt altersbedingt den Sessel. Die Tatsache, dass eine Hardlinerin wie Karin Keller-Sutter auf die Kontinuität eines von SP-Personen geleiteten Asylregimes setzt, verheisst nichts Gutes.
Nicht zufällig hat die zuständige Bundesrätin Karin Keller-Sutter (KKS) eine erprobte Diplomatin in ihr Team geholt. Dies stehe im „Zeichen der wachsenden internationalen Vernetzung der Migrationspolitik“, sagte KKS. Diese Vernetzung bedeutet konkret, dass sich europäische Staaten gemeinsam organisieren, um Migration Richtung Europa kontrolliert zu verhindern und Personen, die es trotzdem nach Europa geschafft haben, effizient wieder abzuschieben. Diesen Kurs versuchen die europäischen Staaten mit „Zucker und Peitsche“-Methoden auch den Herkunftsstaaten und Staaten auf den Migrationsrouten aufzudrücken. Weil die offizielle Schweiz darauf steht, solche Gewalt- und Machtausübung möglichst als eine Begegnung auf Augenhöhe darzustellen, sind diplomatische Fähigkeiten gefragt.
Christine Schraner Burgener arbeitete als Botschafterin in Marokko, Bern und Dublin, war stellvertretende Direktorin in der Völkerrechtsdirektion des EDA und leitete dort die Abteilung Menschenrechte und Humanitäres Völkerrecht. Seit 2018 ist sie UNO-Sondergesandte für Myanmar. Christine Schraner Burgener ist es sich also gewohnt, sich ohne Aufsehen zu erregen effizient auf dem internationalen Parkett sowie in Bundesbern zu bewegen.
Nebst den internationalen Zielen soll Christine Schraner Burgener laut Keller-Sutter die Neuorganisation des Asylregimes in der Schweiz «konsolidieren». Was das im Detail heisst, liessen die beiden an der Medienkonferenz noch offen. SP-Mitglied Schraner Burgener versprach lediglich die Politik ihres Vorgängers Mario Gattiker – ebenfalls ein Sozialdemokrat – fortsetzen zu wollen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-82475.html
https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/neue-chefin-im-staatssekretariat-fuer-migration?id=713f2e03-3200-48c4-bdf9-df902660a8e4
https://www.watson.ch/schweiz/migration/897653839-warum-schraner-burgener-eine-bemerkenswerte-wahl-ist
Was ist aufgefallen?
Antisemitismus in der Romandie im Anstieg
Die CICAD veröffentlichte ihren Jahresbericht 2020 zum Antisemitismus in der französischsprachigen Schweiz. Im vergangenen Jahr sei es zu einem „deutlichen Anstieg der erfassten Fälle“ gekommen. Auch in der Deutschschweiz ist der Antisemitismusbericht erschienen.
Der CICAD-Bericht dokumentiert insgesamt 147 Vorfälle, darunter 141 besorgniserregende Handlungen, im Vergleich zu 100 besorgniserregenden Handlungen im Jahr 2019. 36 % der erfassten Taten stehen im Zusammenhang mit antisemitischen Verschwörungstheorien. Den Haupttreiber für diese Verschwörungstheorien verortet die CICAD bei der „extremen Rechten“: „Kleine Gruppen spielen eine grosse Rolle bei der Verbreitung von antisemitischen Aussagen und anderen Verschwörungstheorien, die sich gegen Juden richten“. Gleichzeitig würden innerhalb der Bewegung der Corona-Skeptiker*innen auch andere neue antisemitische Akteur*innen in Erscheinung treten.
Für die Deutschschweiz veröffentlichen der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) jährlich einen Antisemitismusbericht. Auch dieser ist letzte Woche erschienen. 2020 wurden 47 antisemitische Vorfälle (exklusive Online) gemeldet. Darunter waren 11 Beschimpfungen, 15 Schmierereien und eine Sachbeschädigung. Es wurden keine Tätlichkeiten registriert. Online, vor allem in den sozialen Medien und den Kommentarspalten von Zeitungen, wurden 485 Vorfälle registriert. Antira.org vermutet, dass viele Vorfälle nicht erfasst werden. Die Dunkelziffer ist hoch. Folgendes Fazit ist dem Bericht zu entnehmen: „Fast die Hälfte der gesamthaft 532 Vorfälle (Handlungen, Zusendungen und Online) dieses Jahr haben zeitgenössische antisemitische Verschwörungstheorien zum Inhalt. (…) Es fällt auf, dass eine grosse Anzahl Anhänger solcher Verschwörungstheorien die verschiedensten Theorien miteinander vermischen und weitergeben. Auch im Umfeld der «Corona-Rebellen» werden Verschwörungstheorien mit antisemitischem Inhalt verbreitet.
Die CICAD schlägt vor, dem Antisemitismus hauptsächlich über Bildungsarbeit entgegenzutreten. Antira.org befürwortet einen ganzheitlicheren Ansatz. Nebst Kritik und Bewusstsein ist auch der konkrete antifaschistische und antirassistische Widerstand bedeutsam. Dieser kann von *den Mund auf machen*, über Handarbeit, bis zur Bündnisarbeit reichen. Gleichzeitig sind wohl auch Perspektiven, Wertehaltungen sowie konkrete Lebensformen und Lebenszusammenhänge förderlich, in denen Antisemitismus keinen Platz haben soll und die es gleichzeitig weniger einfach machen, sich antisemitisch Annahmen und Handlungen anzueigenen oder sich gar in faschistischen Strukturen zu organisieren. https://cicad.ch/sites/default/files/news/pdf/Rapport%20antise%CC%81mitisme%202020%20-%20final.pdf
https://www.swissjews.ch/de/downloads/antisemitismus/antisemitismusbericht2020.pdf
Madrid: Nazis gedenken Nazis
Etwa 300 Nazis marschierten am vergangenen Samstag durch Madrid. Beim Almudena-Friedhof feierten sie die faschistische „Blaue Division“, ein Heer aus Freiwilligen, die für Hitler in den zweiten Weltkrieg zogen. Als Organisatoren traten die „Patriot Youth“ sowie die Partei „Spain2000“ oder „La Falange“ in Erscheinung.
Der Anlass machte einmal mehr deutlich, um was es im Faschismus geht: Die gewalttätige Auslöschung dessen, was als „Bedrohung“ eingestuft wird. „Es ist unsere Pflicht, für Spanien zu kämpfen, für Europa zu kämpfen, das jetzt schwach und vom Feind liquidiert ist. Der Feind wird immer derselbe sein, wenn auch mit anderen Masken: der Jude“, hiess es an der Demonstration.
Für die Protestierenden handelten die Mitglieder der Blauen Division quasi aus Notwehr heraus. Sie adeln deren Gewalt, die nötig gewesen sei, um sich vor dem Abgrund zu retten und nicht verschlungen zu werden. Sie verehren die Entschiedenheit dieser empfundenen Bedrohung etwas Hartes entgegen zu setzten, statt Angst und Verwirrung. Die Blaue Division hatte einen militärischen Charakter, um organisiert, geplant und massenhaft für den Faschismus zu töten.
Wer isoliert ist und keine Worte, kein Gegenüber findet, um sich über den Frust, über die Gewalt in der Welt auszutauschen, wird diesen Frust womöglich nicht bearbeiten und dazu neigen, sich den Probleme ausgeliefert zu fühlen und eine angenommene äussere Ursache des Problems um jeden Preis bekämpfen zu wollen. Klaus Theweleit beschrieb diese faschistische Psychodynamik vor kurzem folgendermassen: „Bedrohungen von aussen können bekämpft werden. Bedrohungen von innen nur bearbeitet. Bekämpfen geht alleine. Bearbeiten geht nur mit Hilfe anderer, in Beziehungen oder Therapien. Das „Innere“ zu erschiessen ist nicht möglich. Der entscheidende Schritt „ins Unglück“ ist geschehen im Moment, wo Menschen alles, was sie stört im Leben, ausserhalb des eigenen Selbst verorten“.
https://cicad.ch/fr/le-juif-est-le-coupable-lennemi-sera-toujours-le-meme-300-neo-nazis-defilent-madrid?mc_cid=1abd254956&mc_eid=889a716329
https://taz.de/Attentaeter-von-Hanau/!5748592/
Mehr als 50% der aus Libyen fliehenden Menschen werden abgefangen
In den vergangenen zehn Tagen kam es zu zahlreichen Schiffbrüchen, aber auch Rettungen auf dem zentralen Mittelmeer sowie zu selbstständigen Anlandungen von hunderten Menschen auf Lampedusa.
Eine Meldung folgt der nächsten: Vor Lampedusa ist ein Boot mit 47 Menschen an Bord gekentert. Sieben Personen blieben vermisst. Ein Kind wurde auf der Flucht von Libyen nach Lampedusa geboren. Mehrere hundert Menschen wurden von den NGO-Schiffen Aita Mari und Sea Watch 3 sowie den Frachtern Asso Trenta und Vos Triton gerettet und nach Sizilien gebracht. Leider gibt es auch zahlreiche Meldungen zu Todesfällen und Vermissten: Etwa 50 Todesfälle wurden bestätigt, dutzende Menschen werden vermisst. Erneut wurden zahlreiche Notrufe von den maltesischen und italienischen Behörden ignoriert. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) meldete in diesem Jahre bereits 170 Todesfälle auf der zentralen Mittelmeerroute.
Ebenfalls warnte die IOM, dass in diesem Jahr bereits 2500 Menschen von der sogenannten libyschen Küstenwache abgefangen und in das Bürgerkriegsland zurückgebracht und in Lagern inhaftiert wurden. Andere Quellen sprechen von bis zu 4000 zur Rückkehr gezwungenen Menschen. Allein am vergangenen Wochenende haben sich aus Libyen mehr als 1000 Menschen auf den Weg nach Europa gemacht, von denen die Hälfte von einem einzigen Patrouillenboot der sogenannten Tripolis-Küstenwache wieder an Land gebracht wurden. Videoaufnahmen zeigen, wie bei einem dieser Manöver 20 Menschen bei der Übernahme vom Schlauchboot auf das Milizenboot ins Meer fallen. Für die sogenannte libysche Küstenwache ist das Abfangen der Boote ein lukratives Geschäft. Die hohen Beträge, die die verzweifelten Menschen an Schlepper zahlen, um sie nach Europa zu bringen, fliessen in die gleichen Netzwerke. Nach der Rückführung sind die Menschen gezwungen, das Geld immer wieder aufzubringen. Viele unternehmen zahlreiche erfolglose Versuche.
Derweil wandte sich der neue libysche Premierminister Abdul Hamid Dbeibah mit Glückwünschen an Italiens neuen Premierminister Mario Draghi und forderte insbesondere engere Beziehungen in der Migrationsfrage. Für Italien spielt Libyen eine wichtige Rolle in der ausgelagerten europäischen Grenzsicherung.
https://www.avvenire.it/attualita/pagine/sbarchi-naufragi-dispersi-ancora-caos?utm_medium=Social&utm_source=Twitter#Echobox=1614067459https://thecivilfleet.wordpress.com/2021/02/19/maltese-and-italian-coastguards-fail-to-assist-ngo-rescuers-who-asked-for-their-help/https://www.migazin.de/2021/02/23/frachter-bringt-232-gerettete-fluechtlinge-und-einen-toten-nach-sizilien/https://www.deutschlandfunk.de/migration-acht-tote-auf-der-flucht-ueber-das-mittelmeer.1939.de.html?drn%3Anews_id=1231309https://www.ref.ch/news/italienischer-frachter-rettet-232-fluechtlinge-aus-seenot/https://twitter.com/PVolontaires/status/1363858440146272257
Enttäuschender Zwischenbericht zu rechter Anschlagreihe in Berlin-Neukölln
In Berlin wurde letzte Woche der Zwischenbericht einer ‚Expert*innen-Kommission‘ bezüglich des sog. Neukölln-Komplexes herausgegeben. Er ist für viele Betroffene und Aktivist*innen eine Enttäuschung. Und erst aufgrund von Druck von ihnen zustande gekommen.
Niklas Schrader von der Linksfraktion beanstandete, die Kommission habe den zusammengestellten, umfangreichen Fragenkatalog „nicht einmal ansatzweise“ untersucht. Er spricht sich für einen Untersuchungsausschuss aus. Der Neukölln-Komplex umfasst eine Reihe von rechtsextremen Anschlägen im Berliner Stadtteil Neukölln der letzten fünf Jahre. Auch der Mord an Burak Bektaş im Jahr 2012 ist nach wie vor nicht aufgeklärt. Insgesamt sind es mehr als 70 Angriffe. Darunter befinden sich vor allem Brandanschläge auf Autos und Häuser, aber auch Morddrohungen, die an Häuserfassaden gesprüht wurden und eingeworfene Fensterscheiben. Ziel sind Personen, die von Rassismus betroffen sind oder sich antifaschistisch organisieren.
Auch der Linken-Politiker Ferat Kocak, auf dessen Haus 2018 ein Brandanschlag verübt wurde, wies auf unbeantwortete Fragen und Ungereimtheiten hin, denen in der Untersuchung nicht nachgegangen wurde: Obwohl der Verfassungsschutz wusste, das Kocak von Neonazis verfolgt und beschattet wurde, wurde es ‚versäumt’ ihn vorzuwarnen. Einer der Ermittlungsbeamten besuchte einen Szene-Treff für Neonazis. Einer soll sich sogar mit einem der Tatverdächtigen privat getroffen haben. Ein befangener Staatsanwalt äusserte seine ideologische Nähe zu den rechtsextremen Tatverdächtigen – ihm wurde mittlerweile immerhin der Fall entzogen. Aber auch einige andere Polizeibeamt*innen sind z.B. Mitglied in der AfD. Daten von Betroffenen wurden unbegründet von Polizeicomputern abgefragt und gerieten daraufhin in die Hände von Neonazis. Kocak kritisiert den Unwillen der Polizei, sich mit den Rechten in den eigenen Reihen auseinanderzusetzen und die Strategie der Verharmlosung der Taten in der Politik.
Christiane Schott ist auch Betroffene von rechter Gewalt und demonstriert mit der BASTA-Initiative jeden Donnerstag vor dem LKA in Berlin-Britz für die Aufklärung der Anschlagserie. Sie fügt rechte Chatgruppen von Berliner Polizeibeamt*innen und rassistische Äusserungen von LKA-Beamt*innen hinzu. Dass Neonazi-Strukuren und sog. Sicherheitsbehörden (nicht nur) in Deutschland immer wieder Verbindungen aufweisen, lässt sich nicht von der Hand weisen. Einen Überblick über dieses strukturelle Problem, das sich nicht mit dem Verweis auf vereinzelte Beamt*innen abtun lässt, versucht die Internetseite #ENTNAZIFIZIERUNGJETZT zu erstellen:
https://entnazifizierungjetzt.de/
https://rabe.ch/2021/02/24/neonazis-wueten-in-berlin-neukoelln/
https://www.youtube.com/watch?v=iXCU2CuHM5s&feature=youtu.be
https://www.tagesspiegel.de/berlin/ermittlungsfehler-und-zu-wenig-kommunikation-betroffene-und-politiker-bemaengeln-bericht-zu-neukoellner-anschlagsserie/26937960.html
https://www.tagesspiegel.de/berlin/rechtsextreme-anschlagsserie-in-berlin-hauptverdaechtiger-neonazi-verteilt-propaganda-in-neukoelln/26944726.html
Kopf der Woche
Frédérique Vidal
Die Wissenschaftsministerin Frankreichs greift die kritische Praxis an Universitäten an und verwendet dabei Lieblingsbegriffe der Rechten.
Die Wissenschaftsministerin Frankreichs, Frédérique Vidal, kündigte in einem Fernsehinterview für den Nachrichtensender CNews, der oft rechten und rechtsextremen Politiker*innen als Bühne dient, eine Untersuchung in der staatlichen Wissenschaftsorganisation CNRS und an den französischen Universitäten an. In ihrer Begründung verwendete sie Lieblingsbegriffe der Rechten: «Links-Islamismus» («Islamo-Gauchisme») würde «die Universitäten vergiftete» und linke Geisteswissenschaftler*innen die Mittel des CNRS oder der Universitäten dafür nutzen, um ihre politischen Überzeugungen zu verbreiten. Sie wolle untersuchen, wo an Universitäten «Meinungen und Aktivismus» statt Wissenschaft und Rationalität gepflegt würden und nannte auch direkt Forschungsfelder, welche sie als besonders untersuchungswürdig ansieht: Post-Kolonialismus, Rassismus oder Gender-Studies. Nach den Geschehnissen in Griechenland, der Türkei oder Polen stehen Vidals Äusserungen für einen weiterer Angriff auf kritisches Denken an Hochschulen.
https://antira.org/2021/02/15/angriffe-auf-uni-freiraeume-eroeffnung-von-gefaengnis-camps-urteil-gegen-bettelverbot/#more-8097
https://www.derbund.ch/sie-hantiert-mit-dem-lieblingskampfbegriff-der-rechten-487673591309
Was war eher gut?
Südafrika benennt Ortsnamen aus Kolonialzeit um
Orte mit kolonialen Wurzeln oder kopierten europäischen Namen sollen neu benannt werden. Die Aktion könnte als Vorlage für die europäischen Staaten dienen, in denen Strassen und Plätze noch immer nach Rassisten, Kriegsverbrechern und Kolonialherren benannt sind.
Aus Berlin wird Ntabozuko, aus Porth Elizabeth wird Gqeberha. Südafrika benennt Orte um und gibt ihnen neue Namen in den Sprachen, welche vor der europäischen Kolonialherrschaft in den Regionen gesprochen wurden. Siedler*innen aus Europa haben ihre Siedlungen einst nach Ortschaften aus der Heimat benannt. Ortsnamen auf deutsch wie Potsdam, Heidelberg oder Berlin hatten bis heute überlebt. Auch Ortsnamen, welche nach Kolonialist*innen benannt sind, werden geändert. Die Hafenstadt Porth Elizabeth wurde einst nach der Frau eines britischen Gouverneurs benannt. Neu heisst sie Gqeberha, in der Sprache der Xhosa die Bezeichnung für den Fluss, welcher durch die Stadt fliesst.
Die südafrikanische Regierungspartei ANC kämpft seit langem für die Umbenennungen. Es ist nach 2002 und 2010 bereits das dritte Mal, dass in Südafrika in grösserem Umfang geographische Namen geändert werden, welche an die Apartheid oder die Kolonialzeit erinnern oder rassistisch klangen. Damit ist Südafrika weiter als Länder wie beispielsweise das benachbarte Namibia. In der ehemaligen deutschen Kolonie sind Namen aus der Ära des deutschen Kaiserreiches noch immer weit verbreitet.
In Teilen der Bevölkerung gibt es aber auch Kritik am Zeitpunkt der Umbennungen. Es sei in Zeiten der Corona-Pandemie eine rein symbolische Geste, welche nichts kostet. Der Staat solle stattdessen mehr Geld für die Unterstützung von Menschen aufwenden, welche unter der Pandemie und den Restriktionen leiden.
In Europa sind die Namen einstiger Kolonialherren derweil weiterhin breit präsent. Und oft besteht in Politik und Bevölkerung erschreckend wenig Wille, dies zu ändern. In Deutschland existiert beispielsweise in Nürnberg, Neukölln oder Delmenhorst die Wissmannstrasse. Diese ist nach Hermann Wissmann benannt, der im Auftrag von Bismark ab 1888 einen Terrorkrieg zur Eroberung Ostafrikas führte. Manche dieser Strassenschilder wurden während der Nazizeit montiert und bis heute nicht abgehängt. Die „Petersstrasse“ wurde in vielen deutschen Städten nach Carl Peters benannt, welcher als Reichskommissar Deutsch-Ostafrika eroberte und wegen seiner bevorzugten Hinrichtungsmethode auch „Hänge-Peters“ genannt wurde. Neue Strassennamen scheiterten in mehreren Fällen am Unwillen der Anwohner*innen. Bestrebungen zur Umbenennungen solcher Strassennamen werden von rechtsbürgerlichen Medien sogar als „Volksumerziehung“ bezeichnet (zum Beispiel von WELT-Journalist Alan Posener). Auf den Webseiten tearthisdown.com und freedom-roads.de gibt es eine umfassende Übersicht zur kolonialen Namensgebung von Strassen und Orten in Deutschland.
Die ehemaligen Kolonialmächte haben noch viel vor ihrer eigenen Türe zu kehren. Und auch in schweizer Städten sind die Spuren aus dieser Zeit weiterhin präsent. Gehen wir also mit offenen Augen durch die Strassen.
https://www.abendblatt.de/reise/article231644673/Suedafrika-benennt-alte-Ortsnamen-um.html
Wo gabs Widerstand?
Bewohner*innen von Lesbos öffnen ihre Häuser für geflüchtete Menschen
Auf Lesbos bieten zahlreiche Familien geflüchteten Menschen aus dem Lager Kara Tepe eine private Unterkunft an. Die eisigen Temperaturen sind lebensbedrohlich. Ihr offener Brief wurde im Parlament verlesen.
Angesichts einer weiteren nahenden Kaltfront erklärten sich zahlreiche Inselbewohner*innen bereit, ihre Häuser zu öffnen und warme Schlafplätze anzubieten. Die Kampagne wird von der Gruppe „Citizens of Lesbos“ koordiniert. Ihr haben sich bereits über 50 Personen angeschlossen, die sich bereit erklären, zumindest temporär Menschen bei sich privat unterzubringen.
Im Schreiben der „Citizens of Lesbos“ an die Regierung heisst es: „Lassen Sie diejenigen von uns, die eine geflüchtete Familie in der Kälte aufnehmen wollen, dies tun. Wir sprechen über unsere Häuser. Unsere Häuser, die wärmer und menschlicher werden, wenn diejenigen, die auf dieser Welt Pech hatten, für eine Weile hereinkommen. Wir öffnen unsere Häuser für Mitmenschen, denen kalt ist.“
Gleichzeitig kritisieren sie das Versagen der griechischen Behörden in ihrem Betreuungsauftrag: „Wir werden nicht über die hunderten von kommunalen und staatlichen Gebäuden sprechen, die geschlossen sind und die genutzt werden könnten, damit diese Menschen nicht leiden müssen. Wir werden nicht über die hunderte von Kirchengebäuden sprechen, die verschlossen sind und vor sich hin verrotten. Diese Orte sind nicht einmal für Griechen geöffnet, die ebenfalls leiden. Und wir werden nicht über die Container in Kara Tepe sprechen, die versiegelt wurden, anstatt Familien in der Wärme aufzunehmen. Und wir werden das PIKPA-Lager nicht erwähnen, das vor kurzem gewaltsam geschlossen wurde – ein Ort, der die Schwachen beherbergte.“Bei eisigen Temperaturen leben aktuell etwa 7000 Menschen in Kara Tepe auf Lesbos. Ihre Zelte sind nicht winterfest und direkt am Meer dem Wetter schutzlos ausgesetzt. Die meisten Zelte haben keine Böden, keine Heizungen und nur wenige Stunden am Tag Strom. Es scheint, als käme die Jahreszeit Winter für Behörden jedes Jahr aufs Neue völlig überraschend. Vermutlich ist es ihnen aber schlichtweg egal, wie es den Menschen in den Lagern geht, oder es ist sogar förderlich für ihre Abschreckungsstrategie, die weitere Menschen davon abhalten soll, sich auf den Weg nach Europa zu machen.
https://www.infomigrants.net/en/post/30421/greece-residents-in-lesbos-rally-in-solidarity-for-migrantshttps://www.politikalesvos.gr/gianis-varoyfakis-minyma-apo-ti-lesvo-sti-voyli-quot-sas-milame-gia-ta-spitia-mas-quot/
Blockaden in Wien gegen Sammelabschiebung nach Afghanistan
Etwa 70 Menschen beteiligten sich in Wien an einer soliden Blockadeaktion. Über Stunden besetzten sie mehrere Ausfahrten des Polizeianhaltezentrums (PAZ) Rossauer Lände , um eine Sammelabschiebung nach Afghanistan zu verhindern. Mit technischen Blockaden verursachten sie eine stundenlange Räumungsaktion und ein Verkehrschaos in der Stadt, sodass viele Menschen auf ihr Anliegen aufmerksam wurden. Eine Gruppe hatte sich auf Tripods auf drei bis vier Metern Höhe angekettet, andere verbanden sich in einer Sitzblockade mit Lock-ons. Kletteraktivist*innen hissten Plakate zwischen Strassenlaternen. Brennende Frontex-Fahnen waren zu sehen. Die Aktivist*innen setzen sich für ein allgemeines Bleiberecht für alle ein. Sie betonen zudem, wie widersprüchlich es ist, dass in ein Kriegsland abgeschoben wird, dass Österreich selbst in die höchste Gefahrenstufe einordnet.
https://www.oe24.at/video/oesterreich/wien/antifa-demo-bei-rossauer-laende-demonstrantin-im-interview/466455250
http://bleiberechtfueralle.com/
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Bundesasylcamps: „Hier mangelt es an Respekt, Menschenrechten, Sicherheit und Gesundheit“
https://migrant-solidarity-network.ch/2021/02/23/bundesasylcamps-hier-mangelt-es-an-respekt-menschenrechten-sicherheit-und-gesundheit/
Gewalt im Bundesasyllager Basel – Teil 2
Mit der zweiten Broschüre fordern 3 Rosen gegen Grenzen zusammen mit schweizweit tausenden Betroffenen die Aufhebung der Zwangsunterbringung von Menschen in Bunkern und Lagern. Im Mai 2020 wurde die erste Broschüre mit Zeug*innenberichten zu Gewalt im Bundesasyllager Basel von 3 Rosen gegen Grenzen veröffentlich und gleichzeitig wurden die Gewaltvorfälle in der SRF Rundschau und in der WOZ aufgegriffen. Die Situation im Lager Basel schien sich vorübergehend zu verbessern. Doch im November 2020 wurden neue Gewaltvorfälle gemeldet. Diese werden nun in einer zweiten Broschüre beschrieben.
https://3rgg.ch/gewalt-im-bundesasyllager-basel-teil-2/
Was können wir vom migrantischen Selbstschutz der 1990er lernen?
Garip Bali über die Pogromjahre nach der Wende, migrantische Jugendgangs und die Geschichte der Antifaşist Gençlik
https://www.akweb.de/ausgaben/658/was-koennen-wir-vom-migrantischen-selbstschutz-der-1990er-lernen/
Podcast: Reflexionen zu Hanau / Warum Rechtsextremer Terror nicht ernstgenommen wird.Wir gedenken der Opfer des rechtextremistischen Terror-Anschlags in Hanau am 19. Februar 2020 und teilen unsere Reflexionen zu dem Thema. Zu Gast in dieser neuen Folge vom Kanackische Welle-Podcast ist unsere ebenfalls halb-palästinensische Journo-Schwester Alena Jabarine (@alli_jaba). Sie hat den Podcast „190220 – Ein Jahr nach Hanau“ gemeinsam mit Sham Jaff @trafficsham, Şeyda Kurt @seyda.kurt und Viola Funk @villevallo produziert und klärt uns genau auf über die Details des Falls. Wenn ihr den Fall nochmal besser verstehen wollt, die Täter-Ideologie und die Hintergründe, hört rein.https://kanackischewelle.podigee.io/39-reflexionen_zu_hanau
‘Why are we forgotten?’: Undocumented immigrants make stand in Brussels church
Protesters want consideration from the country’s top immigration official.
https://www.politico.eu/article/belgium-brussels-undocumented-immigrants-church-beguinage-protest/
Small Children Left Drifting In Life Rafts In The Aegean Sea!
In yet another shocking breach of international law, men, women and children have been beaten, robbed and forced onto a life raft by Greek authorities, despite repeated government claims that it does not undertake ‘pushbacks’ of refugees into Turkey. Thirteen men, women and children were forcibly removed from a refugee camp in Lesvos on Wednesday night by uniformed operatives, who claimed the refugees were being taken to be tested for COVID-19. Instead, they were forced into an isobox, repeatedly beaten with batons, stripped of their possessions and forced into the sea on an inflatable life raft.
https://aegeanboatreport.com/2021/02/22/small-children-left-drifting-in-a-life-raft-in-the-aegean-sea-approved-by-notis-mitarachi/
Glossar
Intersektionalität
Der Begriff Intersektionalität (1989 von Kimberlé Crenshaw eingeführt) veranschaulicht, dass sich Formen der Unterdrückung und Benachteiligung nicht einfach aneinanderreihen lassen, sondern in ihren Verschränkungen und Wechselwirkungen Bedeutung bekommen. Kategorien wie Geschlecht, ‚Rasse‘, Alter, Klasse, Ability oder Sexualität wirken nicht allein, sondern vor allem im Zusammenspiel mit den anderen. Die intersektionale Perspektive erlaubt, vielfältige Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse miteinzubeziehen, die über eine Kategorie allein nicht erklärt werden können.
(von: https://www.gwi-boell.de/de/intersektionalitaet)
Heteronormativität
„Der Begriff benennt Heterosexualität als Norm der Geschlechterverhältnisse. (…) Die Heteronormativität drängt die Menschen in die Form zweier körperlich und sozial klar voneinander unterschiedener Geschlechter, deren sexuelles Verlangen ausschließlich auf das jeweils andere gerichtet ist. (…) Was ihr nicht entspricht, wird diskriminiert, verfolgt oder ausgelöscht (…) Heteronormativität (erzeugt) den Druck, sich selbst über eine geschlechtlich und sexuell bestimmte Identität zu verstehen, wobei die Vielfalt möglicher Identitäten hierarchisch angeordnet ist und im Zentrum der Norm die kohärenten heterosexuellen Geschlechter Mann und Frau stehen. Zugleich reguliert Heteronormativität die Wissensproduktion, strukturiert Diskurse, leitet politisches Handeln, bestimmt über die Verteilung von Ressourcen und fungiert als Zuweisungsmodus in der Arbeitsteilung. “
(zitiert nach Peter Wagenknecht auf: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-90274-6_2)
„Analysiert wird, wie Heterosexualität in die soziale Textur unserer Gesellschaft, in Geschlechterkonzeptionen und in kulturelle Vorstellungen von Körper, Familie, Individualität, Nation, in die Trennung von privat/öffentlich eingewoben ist, ohne selbst als soziale Textur bzw. als produktive Matrix von Geschlechterverhältnissen, Körper, Familie, Nation sichtbar zu sein.“
(zitiert nach Sabine Hark auf: https://gender-glossar.de/h/item/55-heteronormativitaet)
Neokolonialismus
1963 benannte der erste Ministerpräsident Ghanas, Kwame Nkrumah, Neokolonialismus, indem er »vor den sehr realen Gefahren einer Rückkehr des Kolonialismus in versteckter Form« warnte.
„Unter dem Terminus ›Neokolonialismus‹ sind zwei Ebenen zu unterscheiden: ein Zustand, der von massiver Benachteiligung einheimischer Bevölkerungen zugunsten ausländischer Investoren gekennzeichnet ist, und eine Politik, die auf die Aufrechterhaltung von Abhängigkeitsverhältnissen abzielt. Im ersten Fall geht es um die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, im zweiten darüber hinaus um die Kontrolle über die politischen Entwicklungen und die Machtpositionen im internationalen Kontext.“
(aus D. Göttsche et al. (Hrsg.), Handbuch Postkolonialismus und Literatur)
Eurozentrismus
Der Begriff des Eurozentrismus stützt sich auf eine Weltsicht, die weitestgehend durch europäische Werte und Traditionen geprägt ist und wurde. Er steht für eine Einstellung, die Europa unhinterfragt in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt. Ausgehend von der Annahme, dass die kulturellen und politischen Systeme Europas das ideale Modell darstellen, wird Europa als Maßstab gesellschaftlicher Analysen und politischer Praxis betrachtet. Die europäische Geschichte und Gesellschaftsentwicklung wird als Norm verstanden, die erfüllt oder von der abgewichen wird. Die westlichen Kulturen dienen als Bewertungsmaßstab und haben im Laufe der Kolonialisierung ihre Wertvorstellungen global durchgesetzt und expandiert.
Im eurozentristischen Denken, bleiben die Denkweisen und Philosophien der nicht europäischen Kulturen häufig unbeachtet und werden abgewertet oder negiert.
(von https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/eurozentrismus/2242 und http://wikifarm.phil.hhu.de/transkulturalitaet/index.php/Eurozentrismus)
Genderstern (*)
Das Genderstrenchen verweist auf den Konstruktionscharakter von Geschlecht. So bezieht sich der Begriff Frauen* beispielsweise auf alle Personen, welche sich unter der Bezeichnung „Frau“ definieren oder sichtbar gemacht sehen.
Weiter wird mit dem Gendersternchen signalisiert, dass im genannten Beispiel nicht nur cis-Frauen gemeint sind. Somit wird gleichzeitig die geschlechtliche Binarität hinterfragt und der Versuch unternommen, Menschen, welche sich dieser nicht zugehörig fühlen, miteinzubeziehen.