Protectas sperrt eine Person bis zur Unterkühlung in einen Container ein | Bereits vier registrierte antisemitische Akte seit Anfang des Jahres | Armutsstatistik macht den strukturellen Rassismus sichtbar | Ein Jahr nach Hanau: Die Tat hätte verhindert werden können | Belgien: Polizist erhält Bewährungsstrafe nach Erschiessung der zweijährigen Mawda | Auch nach einem Jahr Pandemie: Kollektivquarantäne statt Schutz in Asylunterkünften | Zahl der Asylanträge in der EU sinkt um fast ein Drittel | Chef von Frontex, verteidigt Pushback von geflüchteten Personen | Abschiebung in die Türkei wurde verhindert | SEM-anklagende Todesanzeige für Abdoul Mariga | Teneriffa: Protestnacht ausserhalb des Asyllagers | Keine Rückkehr mehr nach Äthiopien! | Aktuelle Sammelaktion für Geflüchtete in Bihać
Was ist neu?
Protectas sperrt eine Person bis zur Unterkühlung in einen Container ein
Im Bundesasylcamp Perreux bei Neuenburg musste eine geflüchtete Person wegen Unterkühlung ins Spital eingeliefert werden. Im Spital betrug ihre Körpertemperatur nur noch 33 Grad. Die Protectas-Angestellten hatten die Person in betrunkenem Zustand in eisiger Kälte in einem offensichtlich nicht oder wenig geheizten Container eingesperrt. Warum und wie lange die Person eingesperrt war, ist noch unklar. Laut Bertiebskonzept des SEM dürfen die privaten Sicherheitsfirmen in den Bundesasylcamps Personen einsperren, „die durch ihr Verhalten andere Asylsuchende gefährden (…) Die Einschliessung einer Person im Besinnungsraum ist nur erlaubt, sofern gleichzeitig die Polizei alarmiert ist und sie nur bis zum Eintreffen derselben dauert bzw. maximal 2 Stunden.“ Das SEM will, wie gewohnt, zu den Umständen keine Stellung beziehen. Hingegen hat die Staatsanwaltschaft in Neuenburg eine Untersuchung eingeleitet.
Freiheitsberaubung durch private Sicherheitsfirmen ist eine Bestrafung, die sich ausschliesslich gegen Geflüchtete richtet. Regelmässig gibt es Berichte darüber, dass die privaten Sicherheitsfirmen noch weiter gehen und ihre Machtposition ausnutzen, um Menschen unmenschlich zu disziplinieren und sogar zu schlagen.
http://migrant-solidarity-network.ch/2021/02/17/bundesasylcamp-protectas-sperrt-eine-person-bis-zur-unterkuehlung-in-einen-container-ein/
https://www.arcinfo.ch/articles/regions/neuchatel-et-littoral/requerant-d-asile-en-hypothermie-au-centre-federal-de-perreux-1045326
Bereits vier registrierte antisemitische Akte seit Anfang des Jahres
In Biel, Lausanne und Genf wurden antisemitische Akte gegen Synagogen ausgeübt. Bereits Anfang des Jahres kam es in Zürich zu einem antisemitischen Störangriff auf eine Online-Veranstaltung.
In Biel wurden vergangene Woche ein Hakenkreuz und antisemtitische Parolen in das Eingangstor der Synagoge eingraviert. Wer die Tat verübt hat, ist bisher unbekannt. Die jüdische Gemeine Biel und der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) verurteilen sie aufs Schärfste.
Zuvor kam es vor drei Wochen in der Westschweiz ebenfalls zu zwei antisemitischen Akten gegen Synagogen. In Lausanne wurde vor der Synagoge Speck deponiert und in Genf warf eine Person Schweinefleisch gegen die Synagoge. Bereits am 17. Januar war es in Zürich zu einem Vorfall gekommen. Antisemit*innen störten eine Online-Veranstaltung der Jüdischen Liberalen Gemeinde, zeigten verletzende Bilder, darunter Hakenkreuze und Hitlerbilder. Diese Schändungen sind ein Angriff auf Jüd*innen überall in der Schweiz. Machen wir deutlich: Antisemitismus hat keinen Platz!
https://www.kath.ch/newsd/unbekannte-schaenden-synagoge-von-biel/
https://www.derbund.ch/uebergriffe-mit-schweinefleisch-auf-synagogen-in-der-romandie-899294777253
https://www.swissjews.ch/de/news/sig-news/schaendung-der-synagoge-in-biel/
https://www.bernerzeitung.ch/hakenkreuz-an-synagoge-anzeige-eingereicht-952268328590
https://www.20min.ch/story/unbekannte-ritzen-antisemitische-symbole-in-synagoge-tuer-492275362845
https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/biel/antisemitische-parolen-bieler-synagoge-anzeige-eingereicht
https://www.tachles.ch/artikel/news/schaendung-der-synagoge
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/hakenkreuz-und-antisemitische-parolen-an-bieler-synagoge-geschmiert-140930907
Was ist aufgefallen?
Armutsstatistik macht den strukturellen Rassismus sichtbar
Diskriminierung aufgrund von Rassismus kennt viele Formen. Teilweise drückt sie sich in nackten Zahlen aus, die natürlich niemals das gesamte Ausmass der erlebten Diskriminierung wiedergeben können. Doch sie geben trotzdem Hinweise auf die strukturelle Ungleichheit in der Schweizer Gesellschaft.
Letzte Woche publizierte das Bundesamt für Statistik die neusten Zahlen zur Armut in der Schweiz. Die Ergebnisse spiegeln den strukturellen Rassismus in der Schweiz wieder. So sind Menschen ohne Schweizer Pass doppelt so oft von Armut betroffen wie Menschen mit einem Schweizer Pass. Bei den erwerbstätigen Personen ist das Verhältnis sogar dreimal so hoch. Grosse Unterschiede zeigen sich auch bei der Wohnsituation. 3.9% der Menschen mit einem Schweizer Pass leben in einer überbelegten Wohnung. Bei Personen ohne Schweizer Pass sind es 13.6%. Auch beim Zugang zum Gesundheitswesen zeigen sich grosse Unterschiede. So konnten doppelt so viele Personen ohne Schweizer Pass eine notwendige Pflegeleistung (Ärzt*in oder Zahnärzt*in) aus finanziellen Gründen nicht in Anspruch nehmen.
Arbeit, Lohn und Wohnsituation sind Bereiche, die in unserer Gesellschaft einen enorm hohen Stellenwert besitzen und den Alltag von Menschen stark beeinflussen und strukturieren. Dass sich in diesen Bereichen so grosse Unterschiede zeigen, ist alarmierend. Die Gründe dafür liegen im strukturell rassistischen Aufbau der Gesellschaft: Wessen Nachname nicht «schweizerisch» genug klingt, hat grosse Mühe einen guten Ausbildungsplatz oder eine gute Arbeit zu finden. Wer BIPoC-Person ist, wird auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt stark diskriminiert. Wer Kopftuch trägt, findet fast nur in der Reinigungsbranche mit niedrigen Löhnen eine Anstellung. Wer die Ausbildung nicht in der Schweiz oder in einem europäischen oder angelsächsischen Land absolviert hat, dessen Diplome werden kaum anerkannt und die Person ist gezwungen, weit unter ihrem Qualifikationsniveau zu arbeiten. Und das sind nur einige der zahlreichen Beispiele, die zu dieser grossen Ungleichheit beitragen. Wir von antira.org schreiben für eine Veränderung dieser Strukturen und wollen die Diskriminierungsformen der heutigen Gesellschaft bekämpfen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-82382.html#links
Ein Jahr nach Hanau: Die Tat hätte verhindert werden können
Am 19. Februar jährte sich das Attentat von Hanau, bei dem neun Menschen aus rassistischen Gründen ermordet wurden. Ein Jahr nach der Tat lässt sich eine Kette des Versagens der Behörden nachzeichnen und die strukturellen Rassismen benennen.
In der Nacht vom 19. Februar wurden Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun und Fatih Saraçoğlu vom Rechtsextremen Tobias Rathjen in Hanau ermordet. Er hatte zuvor seine Tat in einem Manifest begründet und dieses veröffentlicht. Es ist voll von Verschwörungsmythen, Rassifizierungen und weiterem rechten Gedankengut.
Die Initiative 19. Februar hat in ausführlichen Recherchen zusammen mit Freund*innen und Angehörigen der ermordeten Menschen nachgezeichnet, wie es zu dieser Tat kommen konnte, wie sie hätte verhindert werden können und dass es sich nicht um eine Einzeltat handelt. Sie benennen wesentliche Punkte in der Kette des Versagens:
- Waffenschein: Der Attentäter war polizeibekannt. Er hatte Jahre zuvor Strafanzeigen gestellt, welche sein rechtes Gedankengut sowie seinen Verschwörungsglauben deutlich machten. Trotz all seiner Strafverfahren erlangte er eine europäische Vollwaffenerlaubnis und konnte Waffen erwerben. Eine einfache Prüfung der Anträge hätte dazu geführt, dass der Attentäter keine Waffen bekommen hätte – alle neun Menschen könnten so noch am Leben sein. Dieses Problem ist strukturell: Allein nach den offiziellen Behördenangaben haben in Deutschland 1200 Rechtsextremist*innen und Reichsbürger*innen Zugang zu Schusswaffen.
- Vorfälle: Der Attentäter hatte einen Internetauftritt, auf dem er seine Tat ankündigte. Er erstattete Anzeige gegen den Generalbundesanwalt. Er absolvierte Schiesstrainings in der Slowakei. Er fiel mit seinem Verhalten immer wieder auf. Trotz dutzender Vorfälle war der Attentäter unter dem Radar von Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienst. Wer hat ihn geschützt?
- Notrufe: In der Tatnacht gingen zwischen 21:55 Uhr und 22:09 Uhr fünf Notrufe bei der Polizei ein. Keiner wurde beantwortet. Bis heute wurde dieses Versagen der Polizei nicht aufgearbeitet und noch immer keine Rufumleitung für erneute Notfälle eingerichtet.
- Verschlossener Notausgang: Im Quartier war es bekannt, dass der Notausgang der Arena Bar verschlossen war. Das sollte die Flucht von Menschen bei rassistischen Razzien der Polizei, die regelmässig in der Bar stattfanden, verhindern. Es verhinderte auch, dass sich die Menschen in der Nacht des Attentats in Sicherheit bringen konnten. Auch das ist institutioneller Rassismus, der tötet. Ohne die Anzeige einer Angehörigenfamilie würde es bis heute keine Ermittlungen dazu geben.
- Rassismus gegenüber den Angehörigen und Überlebenden: Vili Viorel Păun hatte den Attentäter mit seinem Auto verfolgt. Anhand des Kennzeichens oder seines Ausweises hätte die Polizei ihn innerhalb weniger Minuten identifizieren können. Dennoch wurde seine Familie weder in der Nacht noch am nächsten Morgen über seinen Tod informiert. Sie musste sich selbst auf die Suche nach ihrem Sohn machen und wurde erst am Folgetag um 16:00 Uhr informiert und ohne Betreuung aus der Polizeiwache weggeschickt. Was geschehen war, musste die Familie selbst herausfinden.
- Weiteres: In der Tatnacht selbst haben Polizist*innen am Tatort mit Waffen auf Angehörige gezielt. Einem Überlebenden wurde befohlen, sich für seine Aussage allein zu einer drei Kilometer entfernten Polizeiwache zu begeben, während der Attentäter noch unterwegs war. Der Vater des Täters, der die Angehörigenfamilien bedroht, wird von der Polizei geschützt. Viele weitere Beispiele zeigen auf, dass die deutschen Behörden migrantische Personen nicht schützen.
Ein Jahr nach dem Attentat lässt sich klar sehen, wer von deutschen Behörden Unterstützung erwarten kann und wer nicht. Wieder zeigt sich die Unwilligkeit zur Aufklärung nicht nur der rassistischen Straftat selbst, sondern auch in der Aufarbeitung des Versagens von Polizei und Staatsanwaltschaft. Die Initiative 19. Februar fordert weiterhin Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen. Bekämpfen wir Rassismus auf allen Ebenen!
https://19feb-hanau.org/
https://bajour.ch/a/wxZQ9gAT3GpwDSzI/gedenkveranstaltung-in-basel-hanau-ist-uberall
Zum Weiterinformieren:
Ausführliche Recherche: „Kette des Versagens“
https://19feb-hanau.org/wp-content/uploads/2021/02/Kette-des-Versagens-17-02-2021.pdf
Doku der Initiative 19. Februar: „Wir klagen an! Ein Jahr nach dem rassistischen Terroranschlag“
https://youtu.be/Qu0NM_TYOPM
Podcast: „190220 – Ein Jahr nach Hauau“
https://open.spotify.com/show/0Z2UJwgGfDnxrIhJpefINW?si=&nd=1
Podcast: „Und der Boden weint: Ein Jahr nach dem Attentat in Hanau“
https://www.srf.ch/audio/kontext/und-der-boden-weint-ein-jahr-nach-dem-attentat-in-hanau?id=11934142
Hintergrund: „Das Selbstbild der Täter“
https://www.der-rechte-rand.de/archive/6769/das-selbstbild-der-taeter/
Psychoanalyse: „Psychogramm eines Killers“
https://taz.de/Attentaeter-von-Hanau/!5748592/
Belgien: Polizist erhält Bewährungsstrafe nach Erschiessung der zweijährigen Mawda
Ein belgisches Gericht hat einen Polizeibeamten wegen der tödlichen Schüsse auf ein zweijähriges kurdisches Mädchen zu einer einjährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Der Beamte hatte während einer Verfolgungsjagd auf einen Lieferwagen geschossen.
Der Polizeibeamte Victor-Manuel Jacinto Goncalves wurde in der südbelgischen Stadt Mons wegen des Vorfalls im Mai 2018 der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden. Der Beamte hatte während einer Verfolgungsjagd auf der Autobahn das Feuer auf ein Fahrzeug eröffnet und dabei ein zweijähriges kurdisches Mädchen namens Mawda getötet. Dem Mädchen wurde in den Kopf geschossen, als die Polizei einen Lieferwagen quer durch Belgien verfolgte, in dem migrierende Menschen von Schleusern nach Grossbritannien gebracht werden sollten.
Jacinto Goncalves – dem zunächst bis zu fünf Jahre Gefängnis drohten – beharrte während des Prozesses darauf, er habe einen Reifen zerschiessen wollen, um das Fahrzeug zu stoppen; als sein Auto heftig ausscherte, ging die Kugel daneben und traf das kleine Mädchen am Kopf. Die Staatsanwält*innen akzeptierten früh, dass der Beamte nicht „vorsätzlich“ beabsichtigt hatte, eine Körperverletzung zu verursachen und reduzierten die Strafe auf eine einjährige Bewährungsstrafe. Dennoch warfen sie dem Polizisten rücksichtsloses Verhalten vor und erklärten, er hätte wissen müssen, dass das Abfeuern seiner Waffe Leben gefährden könnte.
Unterdessen wurde der irakisch-kurdische Fahrer des Fahrzeugs, das die Migrant*innen transportierte, im selben Prozess zu vier Jahren Haft verurteilt. Die Strafmasse der beiden Urteile zeigen, auf welch rassistischen Säulen das Rechtssystem steht. Menschen über Grenzen befördern zu wollen ist für das Gericht offensichtlich weitaus schlimmer, als mit dem Abfeuern einer Schusswaffe die Tötung eines Menschen bewusst in Kauf zu nehmen.
Die Verfolgungsjagd fand statt, obwohl französische Ermittler*innen einen GPS-Tracker an Bord des Fahrzeugs angebracht hatten, um den Transporter abzufangen. Die belgische Polizei sagte jedoch, sie habe nicht gewusst, dass der Transporter bereits überwacht wurde, als sie versuchte, einzugreifen.
Laut Aktivist*innen von Justice 4 Mawda versuchte die Staatsanwaltschaft während des Prozesses, die Glaubwürdigkeit der Aussagen von Mawdas Eltern zu untergraben. Mawdas Eltern, die den Irak 2015 verlassen hatten, wollten ursprünglich nach Grossbritannien, liessen sich aber nach dem Tod des Mädchens in Belgien nieder, da sie nach dem tragischen Vorfall eine Aufenthaltsgenehmigung aus humanitären Gründen erhielten. Ihre Anwälte sagten, dass „kein Urteil ihren Schmerz auslöschen kann“, fügten jedoch hinzu, dass sie hofften, es würde „als Beispiel für die Polizei dienen.“ Der Tod von Mawda wurde in Belgien zu einem Symbol für die Gefahren der pauschalen Kriminalisierung von Migration, insbesondere in Kreisen der Strafverfolgungsbehörden. Justice 4 Mawdaargumentierte, dass solch tragische Todesfälle aufgrund der Entmenschlichung von migrierenden Menschen auftreten würden.
https://www.infomigrants.net/en/post/30275/belgian-police-officer-gets-one-year-suspended-sentence-over-the-shooting-of-migrant-toddler?preview=1613405167546
https://www.infomigrants.net/en/post/28760/trial-begins-in-belgium-of-police-officer-after-migrant-toddler-s-death
Auch nach einem Jahr Pandemie: Kollektivquarantäne in Asylunterkünften statt dezentraler Schutz
In einem Asylcamp in Bottmingen, Basel-Land, mussten alle siebzehn Bewohner*innen über drei Wochen in Quarantäne. Die Platzverhältnisse in dem Lager lassen keine ausreichende Isolation zu (Gruppenschlafräume, Gemeinschaftsräume). Die Betreiberorganisation machte jedoch keine Anstalten, andere Bedingungen zu schaffen und somit die Sicherheit der anderen Bewohnenden zu gewährleisten. Die Folge war, dass sich immer mehr Leute ansteckten, weswegen die Quarantäne mehrmals verlängert werden musste. Das zehrte an der Substanz aller, gab ein Bewohner an.
In einer anderen Gemeinde in Basel-Land werden unterdessen zwar mehr Container gebaut, diese dienen jedoch nicht den Bewohner*innen des Camps in Allschwil. Vielmehr werden sie zur stärkeren Kontrolle eingesetzt. Zwei Container sollen ausschliesslich das Ein- und Ausgehen der Bewohner*innen überwachen. Ein Container soll als Arrestzelle fungieren, in der Menschen z.B. bis zu ihrer Abschiebung festgehalten werden können. Der letzte Container soll als Besuchsraum für Leute aus der Zivilgesellschaft oder Anwält*innen gebraucht werden. Sollen die Lebensbedingungen innerhalb des Camps von der Öffentlichkeit abgeschirmt werden? Dass das Camp umzäunt ist, verwundert angesichts dieser Kontrollmechanismen nicht.
Die ungenügenden Quarantänebedingungen und die Verschlechterung der ohnehin prekären Lebensverhältnisse von Menschen in Asyllagern im Kanton Bern wird unterdessen auch von Aktivist*innen der Gruppe Stop Isolation, vom Migrant Solidarity Network (MSN), sowie den Demokratischen Jurist*innen Bern (djb) angeprangert. Sie lancierten die Petition #ShutDownORS. Seitdem die Betreibung der Camps im Sommer 2020 von der Heilsarmee auf die gewinnorientierte ORS AG übergegangen ist, haben sich die Massnahmen zur Disziplinierung und Überwachung noch verstärkt. Zusätzlich seien die Massnahmen, die Menschen im Camp in Aarwangen nach dem Corona-Ausbruch im Januar 2021 vor dem Virus schützen sollten, äusserst mangelhaft gewesen: Zugang zu Tests sei nicht flächendeckend gewährleistet gewesen, Räume zur Isolation von erkrankten Bewohner*innen seien nicht zur Verfügung gestellt worden, Masken und Desinfektionsmittel gab es erst nach Kritik von aussen.
Bereits im November hatten Bewohner*innen des Camps in einem Brief auf die Missstände aufmerksam gemacht – folgenlos. Am Montag werden die knapp 2500 gesammelten Unterschriften nun an den Regierungsrat des Kantons Bern, sowie an die Geschäftsprüfungskommission des Grossen Rates übergeben.
https://telebasel.ch/2021/02/17/darum-mussten-asylsuchende-in-bottmingen-so-lange-in-quarantaene
https://www.bazonline.ch/allschwiler-asylheim-erhaelt-container-mit-arrest-und-besuchsraeumen-920711331319
https://act.campax.org/petitions/shutdownors-der-ors-service-ag-kundigen-wegen-gesundheitsgefahrdung-in-der-corona-pandemie
Zahl der Asylanträge in der EU sinkt um fast ein Drittel
Im letzten Jahr wurden in der EU so wenige Asylanträge gestellt wie zuletzt im Jahr 2013. Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) gibt die «Reisebeschränkungen durch die Pandemie» als Hauptgrund an – über die Abriegelung der Grenzen Europas wird nicht gesprochen.
Die Zahl der in der EU gestellten Asylanträge sind im letzten Jahr um ein Drittel gesunken. 461’000 Menschen haben einen Asylantrag gestellt – so wenige wie zuletzt 2013. Im Jahr zuvor waren es noch 671’200, was einem Rückgang um 31 Prozent entspricht. Die wichtigsten Herkunftsländer bleiben die Bürgerkriegsstaaten Syrien und Afghanistan. Vier Prozent der Asylanträge stammen von Kindern, die ohne Eltern eingereist sind (Unbegleitete Minderjährige). Die Zahl der Asylbescheide hat sich trotz Pandemie kaum geändert: nur jede*r dritte Antragsteller*in erhielt einen positiven Entscheid.
Diese Zahlen stammen vom Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen, kurz EASO. Als Grund für die gesunkenen Asylanträge gab EASO die «Reisebeschränkungen durch die Pandemie» an. Ob dies der einzige Grund ist, ist mehr als fraglich. So meinte Horst Seehofer, Leiter des deutschen Bundesinnenministerium, dass «die Massnahmen zur Steuerung der Migration» wirken würden. Was dies heisst, ist bekannt: Abriegelung der Grenzen Europas, illegale Pushbacks, geflüchtete Menschen, die bei Minustemperaturen in Bosnien festsitzen – ohne Perspektive auf Schutz.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-02/asylantraege-europa-geringe-anzahl-corona-pandemie-2013https://www.dw.com/de/seehofer-zahl-der-asylanträge-um-knapp-ein-drittel-gesunken/a-56188355
https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-02/asylantraege-europa-geringe-anzahl-corona-pandemie-2013
https://www.srf.ch/news/international/deutlich-weniger-migration-eu-verzeichnet-ein-drittel-weniger-asylantraege
Kopf der Woche
Fabrice Leggeri, Chef von Frontex, verteidigt Pushback von geflüchteten Personen
Die Grenzschutzbehörde Frontex ist für zahlreiche illegale Pushbacks und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Anstatt für sichere Fluchtrouten zu sorgen, steht Frontex für Abschottung. Deren Chef Fabrice Leggeri lobt nun seine Behörde.
In den letzten Monaten stand die Grenzschutzbehörde Frontex immer wieder unter starker Kritik: Frontex ist für zahlreiche Pusbacks – kollektive Abschiebungen von geflüchteten Personen, ohne deren Asylantrag zu prüfen – verantwortlich. Anstatt für sichere Fluchtrouten zu sorgen, steht Frontex für Grenzsicherung und Abschottung und ist mitverantwortlich dafür, dass das Mittelmeer noch immer als eine der tödlichsten Fluchtrouten der Welt gilt. Zuletzt wurde publik, wie Frontex entgegen eigener Aussagen in den vergangenen Jahren zahlreiche Lobbyveranstaltungen mit der Rüstungsindustrie durchführte (https://antira.org/2021/02/08/ausschaffungsdeal-mit-afghanistan-asylcamps-als-businessmodell-frontex-und-die-ruestungslobby/).
Absolut absurd erscheint die Reaktion von Fabrice Leggeri, dem Chef von Frontex, auf diese Vorwürfe. Er weist sämtliche Anschuldigungen zurück und meint: «Als Grenzschutzbehörde sind wir verpflichtet, die Grund- und Menschenrechte zu achten. Und das tun wir.» Was Leggeri unter der Einhaltung von Menschenrechten versteht, legt er gleich selbst dar, wenn er anfügt: «Ein Mitgliedsstaat darf ein Boot festsetzen oder zu einer Kursänderung zwingen, wenn es sich nicht in Seenot befindet. Das ist auch durch internationales Seerecht gedeckt.»
Die menschenverachtende Haltung hinter dieser Äusserung ist mitverantwortlich für den Tod von hunderten von Menschen auf dem Mittelmeer. Auch ist diese Praxis alles andere als legal: Pushbacks verstossen gegen verschiedene internationale Gesetze, unter anderem gegen das in der Genfer Konvention verankerte Non-Refoulement-Prinzip und gegen Artikel 18 und 19 der Europäischen Menschenrechtskonvention.Leggeri zufolge sollen Ende März oder Anfang April die ersten von 40 vorgesehenen Menschenrechtsbeobachter*innen bei der EU-Grenzschutzagentur eingestellt werden. Dass diese an der Situation wenig werden ändern können, ist wohl bereits jetzt klar.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-02/frontex-push-backs-eu-asylpolitik-grenzschutz-mittelmeer-fluechtlingehttps://www.woz.ch/-b0d9
Was war eher gut?
Abschiebung in die Türkei wurde verhindert
Hünkar Arslan soll in die Türkei abgeschoben werden, wo ihm Gefängnis droht. Das SEM hatte für den Entscheid das Eintreffen von Verteidigungsdokumenten aus der Türkei nicht abgewartet. Nach Protesten wurde er aus der Ausschaffungshaft entlassen.
Hünkar Arslan hat vor einem Jahr Asyl in der Schweiz beantragt. Als Alevit, Kurde und Aktivist der Demokratischen Partei der Völker (HDP) drohen ihm in der Türkei Repression und Gefängnis. Seine ganze Familie ist politisch aktiv und auf dem Radar der türkischen Behörden. Vor seiner Flucht in die Schweiz waren er und seine Familie Spionage, Drohungen und nicht registrierten Haftpraktiken durch den türkischen Staat ausgesetzt.
Laut der migrantischen Selbstorganisation ROTA wurde die Ablehnungsentscheidung in Arslans Asylverfahren vom Staatssekretariat für Migration (SEM) noch vor dem Eintreffen seiner Verteidigungsunterlagen aus der Türkei gefällt. Eine Ungerechtigkeit, die im neuen beschleunigten Prozess keine Ausnahme ist und für die Betroffenen negative Folgen hat. Vor zwei Wochen wurde Hünkar Arslan in Ausschaffungshaft genommen. Sein Abschiebetermin wurde auf Freitag, 19. Februar gesetzt. In der Logik der Schweizer Behörden ein konsequentes und zügiges Handeln.
ROTA hatte danach zu Protesten aufgerufen. Der Asylantrag müsse erneut geprüft werden – unter Berücksichtigung aller Unterlagen. Eine Abschiebung in einen nichtdemokratischen Staat wie die Türkei, in der allein am vergangenen Montag mindestens 718 Menschen unter vage formulierten Terrorvorwürfen festgenommen wurden, ist mit dem Demokratieanspruch der Schweiz nicht vereinbar. Die Ausschaffungshaft müsse sofort beendet werden. Am Donnerstagmorgen wurde Hünkar Arslan aus der Ausschaffungshaft entlassen.
Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, eine genaues Auge auf das Verhalten der Schweizer Behörden zu haben. Häufig halten sie ihre eigenen Vorgaben nicht ein. Entscheidungen werden im Zweifelsfall zum Nachteil asylsuchender Menschen getroffen. Das schweizer Asylsystem hat viele Ungerechtigkeiten – decken wir sie auf und unterstützen wir Menschen, die seiner Willkür ausgesetzt sind.
https://anfdeutsch.com/menschenrechte/schweiz-abschiebung-von-hunkar-arslan-stoppen-24549
https://www.facebook.com/Rota.migrant/posts/243988697225478
Wo gabs Widerstand?
SEM-anklagende Todesanzeige für Abdoul Mariga
„Ausschaffung ist Folter. Ausschaffung ist Mord“ – Die bittere Wahrheit dieser Parole wurde für Abdoul Mariga zum Schicksal. Ein knappes Jahr nach seiner Zwangsausschaffung verstarb er am 17. Oktober in Conakry Guinea. Vermutlich an einer nicht oder kaum behandelten Hepatitis B. Das „Collectif Droit de Rester Lausanne“ erinnerte diese Woche mit einer das SEM anklagenden Traueranzeige alle Parlamentarier*innen an ihre Verantwortung und fordert sie zum Handeln auf.
Abdoul Mariga starb im Alter von 30 Jahren. Ein knappes Jahr nachdem die Schweizer Behörden ihn mit Gewalt abgeschoben haben. Abdoul Mariga kam mit 18 Jahren in die Schweiz. Er absolvierte eine Lehre und arbeitete als Koch im Unispital in Lausanne. Im Kanton Waadt stellte er ein Härtefallgesuch. Der Kanton gab grünes Licht und empfahl dem SEM das Gesuch zur Annahme. Doch das SEM griff ein und verhinderte seine Regularisierung. Schlussendlich wurde Abdoul Mariga Ende 2019 mit Gewalt abgeschoben.
In Guinea war er allein. Die Behörden anerkannten ihn nicht als Bürger des Landes. Das erschwerte den ohnehin teuren Zugang zum Gesundheitssystem zusätzlich. Ohne Job, ohne Aufenthaltsgenehmigung und krank wurde Abdoul Mariga rasch mittel- und obdachlos. Schliesslich wurde er in schlechtem Zustand ins Krankenhaus eingeliefert und starb einige Tage später. Hier Zeilen eines der letzten Briefe an Freund*innen in der Schweiz:
„Meine Gesundheit ist nicht gut. Meine Arme und Beine schlafen ständig ein. Das begann während meiner Inhaftierung in der Schweiz, bevor die Abschiebung durchgeführt wurde und jetzt kommt es immer häufiger vor. Mir wird schwindlig und manchmal verliere ich das Gleichgewicht und falle hin. Am Anfang war ich im Krankenhaus, aber jetzt habe ich keinen Zugang mehr, weil mir das Geld fehlt. Ich habe mich eine Zeit lang behandeln lassen, aber jetzt ist es vorbei, ich habe keine Medikamente mehr und keine Betreuung mehr. Selbst das Wohnen wird sehr schwierig. Ich bin hier mit einer Menge Angst, weil ich nicht weiss, wie es mir in den nächsten Tagen gehen wird. Ich lebe hier mit grossen Schwierigkeiten und jedes Mal, wenn die Polizei mich kontrolliert, nehmen sie mir alles Geld ab, das ich bei mir habe. Das Sicherheitsministerium weigerte sich, mir Papiere auszustellen“.
Abdoul Marigas Tod ist die direkte Folge der Schweizer Asylpolitik, die mit unvorstellbarer Härte gegen Menschen vorgeht, die in ihrer Logik keine Daseinsberechtigung in der Schweiz haben.
https://asile.ch/2020/10/30/renvois-hommage-a-abdoul-mariga/
Teneriffa: Protestnacht ausserhalb des Asyllagers
Etwa 60 geflüchtete Menschen, die im Lager Las Raíces in La Laguna (Teneriffa) untergebracht sind, haben die Nacht auf Matratzen ausserhalb des Camps verbracht. Sie protestierten damit gegen die schlechten Bedingungen im Lager und die Weigerung der Behörden, sie weiterreisen zu lassen, um ihren Migrationsweg auf das europäische Festland fortzusetzen. Bei der Kundgebung trugen sie Transparente mit der Aufschrift „Wir sind Immigranten, keine Kriminellen“, „Freiheit“ und „Die Suche nach dem Lebensunterhalt ist ein Verbrechen geworden. Kein Marokko“.
Von der Versammlung Las Raíces wurde ein Appell an die Inselgesellschaft gerichtet, den geflüchteten Menschen Lebensmittel und Wasser zu bringen. Das Bürger*innenkollektiv hatte sich organisiert, um den Migrant*innen Unterstützung und Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Die spanische Regierung hält weiterhin an ihrem Plan fest, geflüchtete Menschen von den kanarischen Inseln nicht auf das Festland weiterreisen zu lassen. Dieser Plan ist unmenschlich und absurd. Die Migrant*innen haben den sehr gefährlichen Weg vom afrikanischen Festland über das Meer in Kauf genommen, weil sie in ihren Herkunftsländern keine Perspektive mehr haben. Die Bewohner*innen der kanarischen Inseln leiden gleichzeitig wirtschaftlich stark unter den Massnahmen der Corona-Pandemie. Die Behörden heizen mit ihrer Entscheidung bewusst Ressentiments an, um anschliessend die Migration als Problem darzustellen.
https://www.eldiario.es/canariasahora/migraciones/grupo-migrantes-pasa-noche-fuera-campamento-tenerife-protesta-situacion_1_7224559.html
Was steht an?
Keine Rückkehr mehr nach Äthiopien! Versammlung | 24. Februar | 12 Uhr | La Treille | Genf
Kundgebung | 24. Februar | 12 Uhr | La Treille | Genf
https://solidaritetattes.ch/stop-aux-renvois-vers-lethiopie-rassemblement-24-fevrier-12h-la-treille/
Aktuelle Sammelaktion für Geflüchtete in Bihać
OpenEyes sammelt Sachspenden für Geflüchtete in Bosnien. Gebraucht werden insbesondere winterfeste Männer- und Unisexkleidung, Handschuhe, Mützen, Schals, Schlafsäcke, Matten, Decken, Rettungsdecken, Rucksäcke, Zelte. Für das Kochkollektiv werden vorübergehend auch gewisses Küchenmaterial und Elektronik gesammelt!
BERN I jeden Sa. 10:00 – 13:00 und
Sonnenhaus, Sortierraum an der Morillonstrasse 77
BERN I jeden Do. 18:00-22:00
Medina – mobiles Gemeinschaftszentrum, Schützenmatt Bern
https://www.openeyes.ch/spende-sachen
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
(A-Radio) Interview über Frontex und illegale Pushbacks im Mittelmeer
Das A-Radio Berlin präsentiert ein Interview mit der Gruppe „Mare Liberum“ über ihre Arbeit, mit der sie illegale Pushbacks von Frontex und Grenzschutz im Mittelmeer beobachten und dokumentieren.
https://barrikade.info/article/4209
Antiziganismus, Gadje-Rassismus oder schlicht Rassismus?
Sintize, Sinti, Romnja und Roma werden ausgegrenzt und diskriminiert – doch wie sollte diese Form von Rassismus angemessen benannt werden? Die Debatte um den Begriff Antiziganismus.
https://www.bpb.de/mediathek/326875/antiziganismus-gadje-rassismus-oder-schlicht-rassismus
Neue Broschüre zu Securitas-Gewalt im Bundesasyllager
Die Gewalt geht weiter, schauen wir hin statt weg! Die 3 Rosen gegen Grenzen veröffentlichen eine zweite Broschüre zu Übergriffen der Securitas im Bundesasyllager Basel. #FightSecuritas – Gegen das Lagersystem
https://3rgg.ch/wp-content/uploads/2021/02/3Rosen-BR-DE1.pdf
Glossar
Intersektionalität
Der Begriff Intersektionalität (1989 von Kimberlé Crenshaw eingeführt) veranschaulicht, dass sich Formen der Unterdrückung und Benachteiligung nicht einfach aneinanderreihen lassen, sondern in ihren Verschränkungen und Wechselwirkungen Bedeutung bekommen. Kategorien wie Geschlecht, ‚Rasse‘, Alter, Klasse, Ability oder Sexualität wirken nicht allein, sondern vor allem im Zusammenspiel mit den anderen. Die intersektionale Perspektive erlaubt, vielfältige Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse miteinzubeziehen, die über eine Kategorie allein nicht erklärt werden können.
(von: https://www.gwi-boell.de/de/intersektionalitaet)
Heteronormativität
„Der Begriff benennt Heterosexualität als Norm der Geschlechterverhältnisse. (…) Die Heteronormativität drängt die Menschen in die Form zweier körperlich und sozial klar voneinander unterschiedener Geschlechter, deren sexuelles Verlangen ausschließlich auf das jeweils andere gerichtet ist. (…) Was ihr nicht entspricht, wird diskriminiert, verfolgt oder ausgelöscht (…) Heteronormativität (erzeugt) den Druck, sich selbst über eine geschlechtlich und sexuell bestimmte Identität zu verstehen, wobei die Vielfalt möglicher Identitäten hierarchisch angeordnet ist und im Zentrum der Norm die kohärenten heterosexuellen Geschlechter Mann und Frau stehen. Zugleich reguliert Heteronormativität die Wissensproduktion, strukturiert Diskurse, leitet politisches Handeln, bestimmt über die Verteilung von Ressourcen und fungiert als Zuweisungsmodus in der Arbeitsteilung. “
(zitiert nach Peter Wagenknecht auf: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-90274-6_2)
„Analysiert wird, wie Heterosexualität in die soziale Textur unserer Gesellschaft, in Geschlechterkonzeptionen und in kulturelle Vorstellungen von Körper, Familie, Individualität, Nation, in die Trennung von privat/öffentlich eingewoben ist, ohne selbst als soziale Textur bzw. als produktive Matrix von Geschlechterverhältnissen, Körper, Familie, Nation sichtbar zu sein.“
(zitiert nach Sabine Hark auf: https://gender-glossar.de/h/item/55-heteronormativitaet)
Neokolonialismus
1963 benannte der erste Ministerpräsident Ghanas, Kwame Nkrumah, Neokolonialismus, indem er »vor den sehr realen Gefahren einer Rückkehr des Kolonialismus in versteckter Form« warnte.
„Unter dem Terminus ›Neokolonialismus‹ sind zwei Ebenen zu unterscheiden: ein Zustand, der von massiver Benachteiligung einheimischer Bevölkerungen zugunsten ausländischer Investoren gekennzeichnet ist, und eine Politik, die auf die Aufrechterhaltung von Abhängigkeitsverhältnissen abzielt. Im ersten Fall geht es um die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, im zweiten darüber hinaus um die Kontrolle über die politischen Entwicklungen und die Machtpositionen im internationalen Kontext.“
(aus D. Göttsche et al. (Hrsg.), Handbuch Postkolonialismus und Literatur)
Eurozentrismus
Der Begriff des Eurozentrismus stützt sich auf eine Weltsicht, die weitestgehend durch europäische Werte und Traditionen geprägt ist und wurde. Er steht für eine Einstellung, die Europa unhinterfragt in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt. Ausgehend von der Annahme, dass die kulturellen und politischen Systeme Europas das ideale Modell darstellen, wird Europa als Maßstab gesellschaftlicher Analysen und politischer Praxis betrachtet. Die europäische Geschichte und Gesellschaftsentwicklung wird als Norm verstanden, die erfüllt oder von der abgewichen wird. Die westlichen Kulturen dienen als Bewertungsmaßstab und haben im Laufe der Kolonialisierung ihre Wertvorstellungen global durchgesetzt und expandiert.
Im eurozentristischen Denken, bleiben die Denkweisen und Philosophien der nicht europäischen Kulturen häufig unbeachtet und werden abgewertet oder negiert.
(von https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/eurozentrismus/2242 und http://wikifarm.phil.hhu.de/transkulturalitaet/index.php/Eurozentrismus)