Medienspiegel 17. Februar 2021

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+++AARGAU
aargauerzeitung.ch 17.02.2021

Wie stark belasten Flüchtlinge die Aargauer Gemeinden, wenn der Bund nicht mehr bezahlt?

Im Kanton Luzern befürchtet man aufgrund einer Studie, dass rund 40 Prozent der Flüchtlinge die Sozialhilfekosten der Gemeinden erhöhen, sobald der Bund und der Kanton nicht mehr bezahlen. Wie ist die Situation im Aargau?

Mathias Küng

In den Jahren 2014 bis 2016 strömten viele Flüchtlinge nach Europa. Knapp 40’000 fanden 2015 den Weg in die Schweiz. Seither sind die Zahlen rückläufig. Letztes Jahr ersuchten 11’000 Menschen in der Schweiz um Asyl. Doch da viele schlecht oder nicht ausgebildet sind, wuchs in den Aargauer Gemeinden die Angst vor kommenden Sozialhilfekosten. Denn der Bund zahlt zwar für vorläufig Aufgenommene (längstens sieben Jahre) und für anerkannte Flüchtlinge (längstens fünf Jahre) eine Pauschale. Doch danach sind im Aargau die Gemeinden für Personen zuständig, die seither finanziell nicht oder nicht ganz auf eigenen Beinen stehen können.

Auch im Kanton Luzern seien die Gemeinden besorgt, schreibt die «Luzerner Zeitung». Hinzu kommt ja noch die Coronakrise. Der Kanton Luzern und die Gemeinden haben deshalb in einer Ecoplan-Studie untersuchen lassen, mit welcher finanziellen Belastung für die Gemeinden durch das Asyl- und Flüchtlingswesen zu rechnen ist.

Die Studie besagt, es hänge nicht von der Anzahl Flüchtlinge ab, ob die Sozialhilfekosten steigen. Entscheidend sei, wie gut die berufliche Integration gelingt. Beim Kanton Luzern geht man laut «Luzerner Zeitung» davon aus, «dass rund 40 Prozent der Flüchtlinge auch zehn Jahre nach Ankunft in unserem Land mindestens teilweise von Sozialhilfe abhängig sein werden». Wobei anzufügen ist, dass in Luzern (wie im Aargau auch) diese Kosten durch einen Soziallastenausgleich innerhalb des kantonalen Finanzausgleichs geglättet werden.

Kantonaler Sozialdienst: Im Asylbereich ändert sich ständig viel

Luzern ist mit dem Aargau durchaus vergleichbar. Muss man hier mit ähnlichen Zahlen rechnen? Stefan Ziegler, Leiter Kantonaler Sozialdienst, macht keine Prognose: «Dafür muss man bestimmte Annahmen treffen. Doch im Asylbereich ändert sich ständig so viel, dass die Annahmen im Nachhinein meist nicht zutreffen.»

Das gelte unter Coronabedingungen noch viel mehr als bisher. Ziegler beobachtet, dass Kantone mit vielen niederschwelligen Arbeitsplätzen wie Graubünden (grosser Tourismussektor) Flüchtlinge vor Corona rascher integrieren konnten: «Sollten in solchen Kantonen, aber auch bei uns, wegen Corona viele niederschwellige Arbeitsplätze vernichtet werden, könnte dies die bestehende Problematik noch akzentuieren.»

Derzeit 2164 anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge

Per 1. Februar 2020 befanden sich laut Ziegler 2164 anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge in der finanziellen Zuständigkeit des Kantons. Darin sind auch Personen enthalten, die wirtschaftlich ganz oder teilweise selbstständig sind und keine oder nur teilweise Sozialhilfe beziehen. Die Grafik zeigt, in welchem Jahr für wie viele Personen (mit Sicht aus Stand heute) die Zahlungen des Bundes wegfallen werden.

Kaum noch Primärgesuche von Eritreern, dafür Familiennachzug

Dazu müssen Personen gerechnet werden, die zurzeit im Asylprozess stehen und einen positiven Entscheid erhalten werden sowie Geburten und Familiennachzüge. Sozialdienst-Chef Ziegler: «Es gibt kaum noch Primärgesuche von Eritreern, die in die Schweiz fliehen, sondern mehrheitlich Sekundärgesuche für hier geborene Kinder eritreischer Familien und für Familiennachzug.»

Abgezogen werden müssen Personen, die wirtschaftlich selbstständig werden und keine Sozialhilfe mehr beziehen, Personen, die wegziehen oder sterben.

Aarau: Sozialhilfeausgaben sind konstant

Erwartet man in den Gemeinden ähnliche Kostensteigerungen wie in Luzern? In der Stadt Aarau ist man diesbezüglich relativ entspannt. Laut der zuständigen Stadträtin Angelica Cavegn Leitner «waren die Sozialhilfeausgaben für vorläufig aufgenommene Personen und für anerkannte Flüchtlinge in den letzten zwei Jahren sehr konstant».

Die Luzerner Studie beunruhigt Cavegn Leitner nicht: «Unsere Aufgabe ist es, die Flüchtlinge zu integrieren, von ihnen aber auch zu verlangen, dass sie sich integrieren lassen.»

Bei den einzelnen Personen, die der Stadt zugewiesen werden, komme es natürlich sehr auf die Voraussetzungen an, die sie mitbringen. In enger Zusammenarbeit mit dem Kanton fördere man sie bestmöglich in Sprache und Bildung, um sie integrieren zu können (vgl. Artikel zur Integrationsagenda). Die regionale Koordinationsstelle für Freiwilligenarbeit im Asylbereich und die Fachstelle Mobile Integration Region Aarau seien in der glücklichen Lage, auf ein grosses Netzwerk von Freiwilligen abstützen zu können, mit denen die Flüchtlinge gemeinsam gefördert werden. Die Bevölkerung trage dies mit.

Die Gemeinden Aarau, Buchs, Hirschthal, Muhen, Suhr und Unterentfelden bilden die Trägerschaft dieser Fachstellen, gemeinsam mit dem Kanton. Gewiss gebe es Flüchtlinge, die man nicht in den Arbeitsmarkt vermitteln kann, so Cavegn Leitner: «Wir arbeiten intensiv mit ihnen, damit dies doch noch gelingt.»

Sehr hilfreich sei, dass sie bei Bedarf auf Schlüsselpersonen zurückgreifen können, die die jeweilige Landessprache beherrschen. Ob und wie sich die Sozialhilfekosten in diesem Bereich verändern, hänge auch sehr stark davon ab, ob Personen zu- oder wegzügeln. 2020 sind 59 Flüchtlinge von Aarau weg- und 90 zugezogen.

Wohlen: Rund die Hälfte dürfte Unterstützung benötigen

Auch Magnus Hoffmann, Leiter Soziale Dienste in Wohlen, betont, es komme sehr auf die jeweilige Vor-, Schulbildung und Sprachkenntnisse an: «Personen mit einem bildungsfernen Hintergrund haben es viel schwerer. Andere sind ausgezeichnet unterwegs, und deren Kinder sind je nach Alter auch schon in einer guten Ausbildung.»

Auch in Wohlen tue man viel, sie bestmöglich zu fördern und zu unterstützen: «Wer von ihnen Sozialhilfe benötigt, wird von uns gleich behandelt wie alle anderen, die entsprechende Unterstützung benötigen. Ich glaube aber schon, dass schätzungsweise sicherlich rund die Hälfte der vorläufig aufgenommenen und anerkannten Flüchtlinge ganz oder teilweise Sozialhilfe benötigen, sobald es für sie keine Zahlungen des Bundes mehr gibt. Unterstützung benötigen insbesondere Familien mit mehreren Kindern. Das ist aber auch bei einheimischen Familien oft der Fall.» Sollten so viele Unterstützung benötigen, würde das Hoffmann «sehr beunruhigen, denn es würde zeigen, dass wir es nicht geschafft haben, sie zu integrieren».

Was die Integrationsagenda bringt, vermag Hoffmann noch nicht zu sagen, da sei man noch zu wenig lange unterwegs. Es sei schwierig zu sagen, ob die Arbeitsmarktchancen für schlecht Qualifizierte in Coronazeiten sinken, so der Sozialamtsvorsteher von Wohlen. Er weiss aber von einigen, die sogar jetzt eine Stelle finden. Das könnte womöglich auf in der Region angesiedelte Onlinehändler zurückzuführen sein, die in Coronazeiten einen Boom erleben.

Aarburg: Der grosse Kostenschub kam schon 2017/18

In Aarburg hat der grosse Kostenschub bei der Sozialhilfe für Flüchtlinge schon in den Jahren 2017/18 stattgefunden. Im Städtchen leben mittlerweile 200 Eritreer, von denen die meisten schon 2012/13 in die Schweiz gekommen sind. Die Unterstützung des Bundes für sie lief in Aarburg 2017/18 zumeist aus. Gemäss der SVP-Nationalrätin und Sozialvorsteherin von Aarburg, Martina Bircher, «schnellten daraufhin die Sozialhilfekosten um 600’000 Franken nach oben». Einen weiteren grossen Kostenschub erwartet Martina Bircher nicht mehr: «Wir haben genau auf dem Radar, bei wem die Bundesunterstützung wann aufhört. In den nächsten drei Jahren werden weitere 25 Personen die Bundesunterstützung verlieren.»

Als Bircher 2014 in Aarburg Sozialvorsteherin wurde, benötigten 95 Prozent der Eritreer Sozialhilfe, inzwischen seien es noch 85 Prozent. Dazu zählen natürlich auch solche, die einen Job haben, bei denen der Lohn für eine oft kinderreiche Familie aber nicht reicht. Bessere Perspektiven haben junge Eritreer, die hier zur Schule gingen beziehungsweise gehen, und jetzt eine Ausbildung machen können, sagt Bircher.
Sozialhilfequote von 4,9 Prozent bereitet auch angesichts von Corona Sorgen

Insgesamt beziehen derzeit in Aarburg 400 Personen – Flüchtlinge, Schweizer, Ausländer – Sozialhilfe. Dank der Arbeitsmarkt-Integrationsstrategie habe man die Sozialhilfekosten 2019/20 um eine Million Franken senken können, sagt Bircher. In Aarburg ist die Sozialhilfequote zwischen 2017 und 2019 von 6,1 auf immer noch weit überdurchschnittlich hohe 4,9 Prozent gesunken. So blickt Bircher sorgenvoll in die Zukunft. Denn viele Menschen verlieren derzeit und in naher Zukunft wegen Corona ihren Arbeitsplatz: «Wer dann bis in zwei Jahren keinen neuen Job findet, wird ausgesteuert und gerät auch in die Sozialhilfe», befürchtet Bircher.

Forderung: Bund soll zehn Jahre lang bezahlen

Bircher schaut ein bisschen neidisch nach Luzern. Dort übernimmt der Kanton (so wie auch der Kanton Zürich) die Kosten für anerkannte Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene weitere fünf bzw. drei Jahre, sodass die Gemeinden erst nach zehn Jahren finanziell in die Pflicht genommen werden. Der Aargau macht das nicht.

Birchers Ziel ist allerdings ein anderes: nämlich dass der Bund zehn Jahre lang zahlt. Das verlangt sie (wie früher schon Philipp Müller) in einem Vorstoss. Der Bundesrat lehnt ihn ab, im Nationalrat ist er noch nicht traktandiert. Bircher hofft, dass das Parlament ihr folgt. Einen Erfolg habe sie schon erzielt: «Der Bund wollte vorläufig Aufgenommene mit Blick auf die Integrationsagenda nur noch fünf statt sieben Jahre unterstützen, um den Druck auf die Gemeinden zu erhöhen. Aufgrund meines breit abgestützten Vorstosses für eine Erhöhung auf zehn Jahre hat er diese Absicht wieder fallen lassen.»



Sozialhilfe für Flüchtlinge: So ists heute geregelt

Der Bund vergütet den Kantonen die Kosten für die Sozialhilfe für anerkannte und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge sowie für vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer in Form einer Pauschale und zeitlich befristet. Der Kanton vergütet den Gemeinden die Sozialhilfekosten für anerkannte Flüchtlinge (Ausweis B) längstens fünf Jahre ab Einreichung des Asylgesuchs. Bei vorläufig anerkannten Flüchtlingen (Ausweis F) gilt dieser Kostenersatz längstens sieben Jahre. Danach müssen die Wohnsitz-Gemeinden für die Kosten aufkommen. Für vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer (Ausweis F) ist der Kanton finanziell zeitlich unbeschränkt zuständig. (az)
(https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/kanton-aargau/sozialhilfe-wie-stark-belasten-fluechtlinge-die-gemeinden-wenn-der-bund-nicht-mehr-bezahlt-ld.2102829)


+++BASEL
Darum mussten Asylsuchende in Bottmingen so lange in Quarantäne
Fast dreieinhalb Wochen mussten Asylsuchende in Bottmingen in Quarantäne. Telebasel hat nachgefragt, warum.
https://telebasel.ch/2021/02/17/darum-mussten-asylsuchende-in-bottmingen-so-lange-in-quarantaene



Basler Zeitung 17.02.2021

Erweiterung des Eingangsbereichs: Allschwiler Asylheim erhält Container mit Arrest- und Besuchsräumen

Wegen der Schliessung des Bundesasylzentrums Feldreben in Muttenz wird das 2012 eröffnete Asylzentrum Atlas in Allschwil temporär weitergeführt. Jetzt erhält es einen neuen, grösseren Eingangsbereich samt Sicherheitszaun.

Simon Erlanger

Es sind verschachtelte Sätze in trockenem Juristendeutsch, die am Dienstag aufhorchen liessen: «Gestützt auf das Gesuch des Staatssekretariats für Migration vom 18. Dezember 2020, hat das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement die Anpassungen des Bundesasylzentrums Allschwil im Kanton Basel-Landschaft unter Auflagen genehmigt», so die Mitteilung des Bundes. Unklar bleibt, was damit gemeint ist. Etwa der Ausbau des Asylzentrums Atlas am Bachgraben?

Seit der Schliessung des temporären Bundesasylzentrums Feldreben in Muttenz am 30. Oktober 2020 fordert der Bund von den Kantonen der Nordwestschweiz Ersatz für die 240 verloren gegangen Plätze. Auf dem Areal Feldreben ist seit Januar das Baselbieter Corona-Impfzentrum untergebracht. Die Asylunterkunft Atlas in Allschwil besteht seit 2012. Seit 2013 wird sie vom Bund geführt. Da ein definitives Asylzentrum des Bundes in der Region fehlt, sind sich der Bund, der Kanton Basel-Landschaft und die Gemeinde Allschwil gemäss Communiqué des Bundes schon 2018 einig geworden, das Asylzentrum Atlas mit 150 Plätzen temporär weiterzuführen.

Die neuste Verlautbarung legt nun die Vermutung nahe, dass das Atlas massiv ausgebaut werden soll. Dem sei nicht so, erklärt der Baselbieter Asylkoordinator Rolf Rossi: «Es gibt in Allschwil diverse Kapazitätsprobleme im Eingangs- und Besuchsbereich sowie im Bereich der NGOs. Diese löst der Bund mit dem Anbau von Containern.» Die neue Bundesgesetzgebung sehe Besuchsräume vor sowie Zimmer, in denen sich die Asylsuchenden mit Rechtsvertretern besprechen könnten. Mit der ersatzlosen Schliessung des Bundesasylzentrums Feldreben in Muttenz habe das nichts zu tun. Das «Atlas Allschwil» sei schon seit vielen Jahren eine Aussenstelle des Bundes.

Von Zaun umgeben

Beim zuständigen Staatssekretariat für Migration im Eidgenössischen Justiz-und Polizeidepartement (EJPD) war bis Redaktionsschluss keine Auskunft zu bekommen. Auf der Website des EJPD findet sich aber eine sogenannte Plangenehmigungsverfügung des Bundes zwecks Aufstellung von vier Containern im Allschwiler Asylzentrum.

Diese sollen einen neuen Eingangsbereich bilden. Zwei Container dienten der Eingangskontrolle. Ein weiterer Container beherbergt einen sogenannten Sicherheits- oder Arrestraum, in dem Personen im Konfliktfall oder im Falle einer Wegweisung festgehalten werden können, bis die Polizei kommt. Der vierte Container sei für Besuche und den Austausch zwischen Asylsuchenden und Personen aus der Zivilgesellschaft vorgesehen, so das EJPD. Alles wird von einem Zaun umgeben.

Die neuen Räume führen nicht zu einer höheren Anzahl von Unterbringungsplätzen oder zu mehr Personal. Man reagiere damit auf eine Aufsichtsbeschwerde, in der das Nichtvorhandensein von Besuchsräumen gerügt worden sei. Das Aufstellen der Container geschehe mit dem Einverständnis der Gemeinde Allschwil. Die Arbeiten werden vom Bundesamt für Bauten und Logistik ausgeführt.
(https://www.bazonline.ch/allschwiler-asylheim-erhaelt-container-mit-arrest-und-besuchsraeumen-920711331319)



Schweiz: Abschiebung von Hünkar Arslan stoppen!
Trotz Verhaftungsgefahr will die Schweiz den HDP-Aktivisten Hünkar Arslan am Freitag in die Türkei abschieben. Die migrantische Selbstorganisation ROTA will das verhindern und ruft zum Protest vor dem Gefängnis Bässlergut in Basel auf.
https://anfdeutsch.com/menschenrechte/schweiz-abschiebung-von-hunkar-arslan-stoppen-24549
-> Wieder frei: https://twitter.com/basel_nazifrei/status/1362034833938141204


+++NEUENBURG
Bundesasylcamp: Protectas sperrt eine Person bis zur Unterkühlung in einen Container ein
In den Bundesasylcamps werden Container als Zellen genutzt. Warum die Person keine Kleider trägt, ist unklar. Aber es war ebefalls Winter als dieses Foto geschossen wurde. Es handelt sich hingegen um eine andere Situation als jene im Artikel zur Unterkühlung im Bundesasylcamp Perreux.
https://migrant-solidarity-network.ch/2021/02/17/bundesasylcamp-protectas-sperrt-eine-person-bis-zur-unterkuehlung-in-einen-container-ein


+++GRIECHENLAND
Geflüchtete in Griechenland: Sturm, Hagel und feuchte Zeltwände
Auf Lesbos leben nach dem Brand des Lagers Moria noch immer Tausende Menschen in einem provisorischem Camp. Winterfest ist es nicht.
https://taz.de/Gefluechtete-in-Griechenland/!5747334/


+++MITTELMEER
(A-Radio) Interview über Frontex und illegale Pushbacks im Mittelmeer
Das A-Radio Berlin präsentiert ein Interview mit der Gruppe “Mare Liberum” über ihre Arbeit, mit der sie illegale Pushbacks von Frontex und Grenzschutz im Mittelmeer beobachten und dokumentieren.
https://barrikade.info/article/4209


+++EUROPA
Asylpolitik: Frontex verteidigt Pushback von Migranten
Dürfen Flüchtlinge auf dem Mittelmeer zur Umkehr gezwungen werden? Sind deren Boote nicht in Seenot, ja, sagen die EU-Grenzschützer. Deren Chef lobt seine Behörde.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-02/frontex-push-backs-eu-asylpolitik-grenzschutz-mittelmeer-fluechtlinge


Fight Frontex – Kein Pushback ist legal!
Täglich werden an den EU-Aussengrenzen Menschenrechte missachtet.
Auch die offizielle europäische Grenzschutzagentur Frontex, welche auch von der Schweiz mitgetragen wird, hat sich bewiesenermassen an zahlreichen illegalen Pushbacks beteiligt.
Der Agentur werden zunehmend mehr Kompetenzen und finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt. Dies verdeutlicht den restriktiven migrationspolitischen Kurs der EU.
Europa schottet sich immer mehr ab und versucht dadurch jeglicher Verantwortung zu entkommen. Dieses Handeln hat fatale Folgen für tausende von Menschen in Not.
#keinpushbackistlegal #makethefortresseuropefall
https://barrikade.info/article/4212


+++FREIRÄUME
Streitfrage: Sind Bewohner Mieter oder Besetzer? – «Familie Eichwäldli» will die Stadt Luzern vor Gericht zerren
Wird ein Haus besetzt, liegt ein Hausfriedensbruch vor und das Gebäude kann auf Wunsch der Besitzerin polizeilich geräumt werden. Mieter loszuwerden ist ungleich schwieriger – darauf setzt nun die Familie Eichwäldli, um die Räumung zu verzögern. Die Stadt Luzern nimmt es gelassen.
https://www.zentralplus.ch/familie-eichwaeldli-ficht-die-kuendigung-an-2014365/
-> https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/soldatenstube-die-familie-eichwaeldli-startet-einen-weiteren-versuch-und-kuendigt-einen-rechtsstreit-gegen-die-stadt-luzern-an-ld.2103374



luzernerzeitung.ch 17.02.2021

«Ein Zeitzeugnis erster Güte»: Architekten eilen den Hausbesetzern beim Eichwäldli zu Hilfe

Diverse Architekten melden sich beim Fall Eichwäldli zu Wort: Das Gebäude sei historisch bedeutsam und erhaltenswert. Der Luzerner Stadtrat zeigt sich unbeeindruckt.

Simon Mathis

Bei der Soldatenstube am Murmattweg 2 kommt es bald zum Showdown: Bis spätestens Donnerstagmorgen müssen die Hausbesetzer das Gebäude verlassen haben, sonst drohen ihnen Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruch. Die Stadt Luzern als Eigentümerin will das Gebäude rückbauen. Die «Familie Eichwäldli», wie sich die Besetzer nennen, haben die Hoffnung indes noch nicht aufgegeben: In einer Mitteilung zitieren sie zwei Architekten, die den Abbruchentscheid des Stadtrates anzweifeln.

Es handelt sich dabei um den Berner Architekten Rolf Mühlethaler und den Luzerner Dieter Geissbühler, einem ehemaligen Architektur-Dozenten an der Hochschule Luzern (HSLU). Die beiden seien Teil einer kurzfristig zusammengesetzten Expertengruppe, die den Zustand der Soldatenstube neu beurteilen solle, so die Besetzer.

Sozialbau eines Ur-Liberalen

Mühlethaler betont laut Mitteilung die «kulturhistorische, städtebauliche, freiräumliche und architektonische Bedeutung» der alten Soldatenstube. Das Gebäude «könne mit angemessenen und verhältnismässigen Mitteln instand gesetzt, wo notwendig gesichert, repariert und damit weiterhin und ohne weiteres genutzt werden». Damit widerspricht er direkt dem Stadtrat, der die Instandstellung des Gebäudes unverhältnismässig nennt. Der Luzerner Dieter Geissbühler setzt sich laut Mitteilung für einen Aufschub des Abbruchs ein: «Das spezielle Gebäude des wohl bedeutendsten Luzerner Architekten Armin Meili bedarf höchster Sorgfalt bei der Abwägung seiner Erhaltungswürdigkeit. Die Zeit dazu muss sichergestellt werden.»

Rolf Mühlethaler war am Dienstag nicht für nähere Nachfragen erreichbar. Dieter Geissbühler allerdings bestätigt auf Anfrage, Teil der Expertengruppe zu sein. «Dieses Gebäude ist ein Zeitzeugnis erster Güte», sagt er. Die historische Bedeutung dieses Baus sei in der öffentlichen Debatte bisher nicht gewürdigt worden. «Einen Architekten vom Kaliber Armin Meili gibt es in Luzern nur ein einziges Mal – und er hat schliesslich nicht nur das frühere Kunst- und Kongresshaus gebaut.»

Soldatenstuben als Gebäudetyp gebe es in der Schweiz nur noch äusserst wenige; sie seien einmalig und daher schützenswert. Dahinter liege auch eine gewisse Symbolik: «Vergessen wir nicht, dass Meili ein Ur-Liberaler war, also alles andere als links. Als Oberst in der Schweizer Armee wurde er 1940 zum Beauftragten für die Festungsbauten ernannt.»

Das Holzhaus mit Baujahr 1935 habe der Gemeinschaft unter den Soldaten gedient, sei also ein eigentlicher Sozialbau. In diesem Gebäude habe man sich fernab von den Offizieren austauschen können. Auch Geissbühler ist der Überzeugung: «Ein oberirdischer Holzbau kann problemlos instand gesetzt werden.» Die Details müsse man nun noch überprüfen, aber er habe keine Bedenken – auch in Sachen Wirtschaftlichkeit nicht.

«Ungutes Gefühl» beim Heimatschutz

Mühlethaler und Geissbühler sind nicht die einzigen Vertreter ihrer Zunft, die dieser Auffassung sind. Auch andere Architekten, die mit der Situation im Eichwäldli vertraut sind, teilen auf Anfrage diese Einschätzung. Unserer Zeitung liegt zudem erstmals ein Schreiben des Innerschweizer Heimatschutzes (IHS) vor. Er ist datiert auf Mitte Dezember 2020 und adressiert an den Stadtrat.

Im Schreiben steht, dass der Rückbau der Soldatenstube beim IHS ein «ungutes Gefühl» hinterlasse. Der IHS hält fest, dass das Gebäude im Bauinventar als erhaltenswert eingestuft wird. «Weder ökonomische noch ökologische Gründe genügen, um ein Objekt aus dem Schutzstatus zu entlassen», heisst es im Schreiben weiter. Nach Meinung des IHS und weiterer Fachleute sei die Schutzwürdigkeit der Soldatenstube «klar gegeben». Der Heimatschutz bezeichnet die Abrisspläne als «deutlich verfrüht und in keiner Weise als zielführend».

Stadtrat bleibt bei Abbruchplan

Von alledem lässt sich der Luzerner Stadtrat nicht beeindrucken. Baudirektorin Manuela Jost (GLP) sagt auf Anfrage: «Die ‹Familie Eichwäldli› hatte über zwei Jahre Zeit, Belege wie Kostenschätzungen und Gutachten für ihre Aussage der ‹Instandsetzung mit verhältnismässigen Mitteln› vorzulegen. Der Stadt sind keine bekannt.» Auch durch die Einschätzungen der Architekten ergebe sich kein neues Bild.

2019 hätte sich die «Familie Eichwäldli» mit dem vorgeschlagenen Expertenteam einverstanden erklärt. Dieses habe das vorliegende Gutachten schliesslich erstellt. Nach Fertigstellung des Gutachtens hätten die Bewohner das Gespräch abgebrochen. Den Vorwurf, die Stadt hätte kein anders Gutachten gelten lassen, weist Jost zurück: «Die Stadt hat keine Ablehnung anderer Gutachten signalisiert.»

Bleibt die Frage: Kommt diese Diskussion nicht viel zu spät? Dazu sagt ein Mitglied der «Familie Eichwäldli»: «Vielleicht ist es zu spät. Aber es geht uns darum, nicht aufzugeben.»
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/fall-eichwaeldli-in-luzern-architekten-eilen-besetzern-zu-hilfe-ld.2102927)


+++GASSE
Weinfelder Stadtrat postiert Security am Bahnhof
Nachdem es am Bahnhof Weinfelden wiederholt zu gewalttätigen Überfällen gekommen ist, setzt die Stadt zusätzlich einen privaten Sicherheitsdienst ein. Er soll jeweils am Abend am Bahnhof präsent sein, vorerst bis Ende März.
https://www.toponline.ch/news/thurgau/detail/news/weinfelder-stadtrat-postiert-security-am-bahnhof-00152280/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
bernerzeitung.ch 17.02.2021

Demo gegen Ausschaffungsapparat: Sieben Aktivisten wehren sich gegen Verurteilung

Die Blockade von Gefangenentransporten am Güterbahnhof Bern könnte für sieben Aktivisten teuer werden. Der Vorwurf lautet auf Nötigung.

Hans Ulrich Schaad

Das Kopfschütteln der vier Frauen und drei Männer zu Beginn der Gerichtsverhandlung war zwar ohne Worte, aber deutlich: «Nein. Wir ziehen die Einsprache gegen den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft nicht zurück.» Zuvor hatte die Gerichtspräsidentin die Beschuldigten, alle zwischen 23 und 27 Jahre alt, darauf aufmerksam gemacht, dass bei einer erneuten Verurteilung hohe Kosten anfallen würden. Rund 2000 Franken pro Person. Bei einem sofortigen Rückzug wären es nur rund 250 Franken.

Die sieben Beschuldigten, die sich vorher teilweise gar nicht gekannt hatten, blockierten Anfang Dezember 2018 am Güterbahnhof Bern den Zugang zur Übergabestelle, wo Häftlinge auf den Gefängniszug umgeladen werden. Knapp drei Stunden dauerte die Aktion. Auf einem Transparent stand das Anliegen der Demonstranten: «Unmenschlichen Ausschaffungsapparat stoppen». Denn mit diesem Zug werden auch Personen transportiert, die aus der Schweiz ausgeschafft werden.

Die Polizei war rasch vor Ort. Ein Dialog mit den Aktivisten sei nicht möglich gewesen, erzählte vor Gericht ein als Zeuge vorgeladener Polizist. Das Ganze sei in einer ruhigen Atmosphäre verlaufen. Die Feuerwehr musste aber aufgeboten werden, weil drei Personen mit Rohren, Bauschaum und Ketten miteinander verbunden waren.

Verurteilt wegen Nötigung

Die Staatsanwaltschaft bestrafte acht Aktivistinnen und Aktivisten wegen Nötigung und Sachentziehung – sie hatten bei einem Supermarkt für die Blockade Einkaufswägeli geholt – per Strafbefehl zu bedingten Geldstrafen von 60 Tagessätzen à 30 respektive 40 Franken sowie zu Bussen von 600 oder 800 Franken. Ein Mann akzeptierte den Strafbefehl. Die anderen sieben erhoben Einsprache, weshalb es am Mittwoch zur Verhandlung vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland gekommen ist.

Zwei 24-jährige Frauen gaben zu, dass sie die Blockade mitorganisiert und auch das Material dafür beschafft hatten. Ihr Ziel sei es gewesen, die Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, dass Ausschaffungen mit diesen Zügen abgewickelt werden. «Das ist eine brutale und unwürdige Art», sagte die eine. Die andere fügte an: «Es brauchte etwas Krasses, um darauf aufmerksam machen.» Deshalb seien sie zusammengekettet gewesen.

Aus Solidarität mitgemacht

Die anderen fünf Beschuldigten erklärten, dass sie mit der Organisation der Aktion nichts zu tun gehabt haben. Sie konnten sich teilweise nicht mehr genau daran erinnern, wie sie davon Wind bekommen hatten. Sie wollten mit der Teilnahme ihre Solidarität zeigen und das Anliegen unterstützen. Ohne grosse Erwartungen waren sie an die Bahnstrasse gegangen. Einer fand es seltsam, dass nur so wenige Leute da waren und keine Medien. «Man konnte gar nicht viel mehr machen als einfach herumstehen.»

Alle Beschuldigten, bis auf einen nicht anwaltlich vertreten, plädierten meist in einem Satz auf Freispruch. Ein 23-Jähriger Berner hielt aber ein kleines Plädoyer. Er habe das Gefühl, nichts Verbotenes getan zu haben. Man habe niemanden gestört oder behindert. «Diese Ausschaffungen sind ethisch nicht korrekt. Darauf wollten wir aufmerksam machen.» Und er fürchte sich vor den Konsequenzen eines Eintrags im Strafregister.

Das Gericht wird das Urteil am Donnerstagnachmittag eröffnen.



Jail-Train: Ein Spezialfall in Europa

Im Auftrag der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz (KKJPD) fährt die Securitas täglich Gefangene quer durch die Schweiz. Gemäss dem «Tages-Anzeiger» verlegte das Bewachungsunternehmen 2019 mit dem «Jail-Transport-System» landesweit mehr als 16’000 Insassinnen und Insassen. Damit ist die Schweiz ein Spezialfall, denn nirgends sonst in Europa werden Gefangene mit einem Zug transportiert. Auch in Bern finden mehrmals pro Woche Umladungen von Häftlingen von der Strasse auf die Schiene statt. Dies geschieht beim Güterbahnhof an der Bahnstrasse.

In dem fensterlosen Jail-Train (engl.: Gefängniszug), der den SBB gehört, werden Häftlinge aller Art befördert, «einige wechseln von der Untersuchungshaft in eine Justizvollzugsanstalt, andere werden von einer Justizvollzugsanstalt in die andere verlegt oder werden aus der Ausschaffungshaft zum Flughafen geführt, um eine ausländerrechtliche Wegweisung zu vollziehen», erklärt Roger Schneeberger, Generalsekretär der KKJPD. Die Zusammensetzung solcher Transporte sei abhängig von den Transportbestellungen der Kantone und nicht auf einzelne Kategorien von Häftlingen beschränkt. Einen «Ausschaffungsbahnhof», wie von den Protestierenden beschrieben, gebe es in Bern nicht, meint Schneeberger. (mib)
(https://www.bernerzeitung.ch/sieben-aktivisten-wehren-sich-gegen-verurteilung-895660343281)



Angriff gegen das griechische Konsulat in Zürich
Wir haben am Abend des 14. Februar 21 das griechische Konsulat im Zürcher Seefeld mit Farbe beschmiert. Wir solidarisieren uns damit mit dem Hungerstreik des Genossen Dimitris Koufontinas. Dimitris war Militanter des 17. November und sitzt seit 2002 im Knast, nachdem die illegal agierende Organisation aufflog. Er streikt, um zu widerstehen.
https://barrikade.info/article/4207


Formation: Training: “Medic all terrain”, near Bure
[FR]
Du 25 avril au 2 mai 2021, nous invitons toustes celleux qui souhaitent se familiariser avec la pratique medic dans des manifestations en milieu urbain et rural, à l’ancienne gare de Luméville, dans le sud de la Meuse. Nous aimerions inviter tout particulièrement celleux qui n’ont pas ou peu d’expérience sur le sujet.
[ENG]
On 25/04 – 02/05 we’re inviting everyone who would like to gain knowledge about medic practice during demonstrations in urban and rural enviroments. This week gonna be on the old « gare » of lumeville, in the south of meuse (france). We would like especially invite those who lack experience in topic.
https://barrikade.info/article/4210


+++REPRESSION DE
Linkes Zentrum in Berlin: Der Köpi droht der Verkauf
Das autonome Hausprojekt Köpi und ihr Wagenplatz sollen verkauft werden. Der Bezirk Mitte hat die Bebauung der Freiflächen erlaubt.
https://taz.de/Linkes-Zentrum-in-Berlin/!5640482/


+++SPORTREPRESSION
luzernerzeitung.ch 17.02.2021

Urteil: GC-Hooligan zieht nach Skandalspiel in Luzern vor Bundesgericht – und unterliegt

Nach dem erzwungenen Spielabbruch im Mai 2019 muss sich ein vorbestrafter Beteiligter an jedem Matchtag bei den Behörden melden und erhält ein Rayonverbot. Zu Recht, urteilt das Bundesgericht.

Manuel Bühlmann

4:0 führt der FC Luzern gegen den Grasshopper Club. Die Gäste aus Zürich werden nach diesem Spiel in die Challenge League absteigen. Daran zweifelt nach dem vierten Tor für die Luzerner in der 66. Minute wohl niemand mehr unter den 10’469 Zuschauerinnen und Zuschauern in der Swisspor-Arena. Nicht einmal die mitgereisten GC-Fans glauben da noch an ihre Mannschaft. Kurz darauf klettern einige aus dem harten Kern über die Abschrankungen und erzwingen einen Unterbruch der Partie. Die Polizei muss aufmarschieren und die aufgebrachten Supporter im Zaum halten. Diese fordern von den Zürcher Spielern die Herausgabe ihrer Trikots. Um eine Eskalation zu verhindern, kommt die Mannschaft der Aufforderung nach.

Der abgebrochene Match vom 12. Mai 2019 hat ein juristisches Nachspiel. Aus einem am Mittwoch veröffentlichten Bundesgerichtsurteil geht hervor: Die Behörden sprachen in der Folge gegen einen der beteiligten Zürcher Anhänger ein Rayonverbot aus und belegten ihn bis Oktober 2021 mit einer Meldeauflage. Das bedeutet: Vier Stunden vor und nach einem Heimspiel der Grasshoppers und des FC Zürichs darf er sich nicht in von den Behörden festgelegten Gebieten aufhalten. Darüber hinaus muss er sich an jenen Tagen bei den Behörden melden, an denen die erste Mannschaft von GC im Einsatz steht.

Die Kantonspolizei Zürich eröffnete gegen ihn zudem ein Verfahren wegen Nötigung. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, er habe von den GC-Spielern die Herausgabe ihrer Trikots gefordert und damit gedroht, andernfalls zusammen mit weiteren Fans und bewaffnet mit Eisenstangen die Katakomben des Stadions zu stürmen. Zum Stand des strafrechtlichen Verfahrens äussert sich das Bundesgericht im aktuellen Entscheid nicht. Stattdessen geht es um die Frage, ob Rayonverbot und Meldeauflage verhältnismässig sind. Nein, findet der GC-Fan. Deshalb hat er sich mit einer Beschwerde ans Bundesgericht gewandt. Insbesondere stört er sich an der verhängten Meldepflicht bei allen Spielen der Grasshoppers. Dadurch werde erheblich in seine persönliche Freiheit eingegriffen, obwohl er bisher wegen des Vorfalls in Luzern nicht verurteilt worden sei, argumentiert er.

Eine Vorstrafe, zwei Stadionverbote

Die beiden Bundesrichter und die Bundesrichterin weisen diese Einwände zurück. Sie erinnern an das Hooligan-Konkordat, das die Erteilung einer Meldeauflage auch ohne strafrechtliche Verurteilung vorsieht. Ernstzunehmende Hinweise – beispielsweise polizeiliche Anzeigen oder glaubwürdige Aussagen des Sicherheitspersonals – reichten aus. Und solche liegen aus Sicht des Bundesgerichts im Fall des GC-Fans vor.

Das aktuelle Urteil zeigt ausserdem, der Mann war den Behörden bereits bekannt. Wegen Vorfällen bei Fussballspielen war er strafrechtlich verurteilt worden, dazu kommen zwei Stadionverbote und eine Meldeauflage. Die obersten Richter schliessen daraus, «dass weder eine strafrechtliche Verurteilung noch weniger schwere, gestützt auf das Hooligan-Konkordat ergangene Massnahmen den Beschwerdeführer vom Randalieren abhalten konnten, nachdem ein Fussballspiel nicht den von ihm gewünschten Verlauf genommen hatte». Zu Recht seien mildere Mittel von der Vorinstanz für ungenügend erachtet worden. «Die Meldeauflage erweist sich mit andern Worten als erforderlich», urteilt das Bundesgericht und weist auch die Kritik am ausgesprochenen Rayonverbot zurück. Weil seine Beschwerde abgewiesen wird, muss der GC-Fan Gerichtskosten in der Höhe von 2000 Franken bezahlen.

Bundesgerichtsurteil 1C_462/2020 vom 12. Januar 2021
(https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/gc-hooligan-zieht-nach-skandalspiel-in-luzern-vor-bundesgericht-und-unterliegt-ld.2103285)
-> Urteil Bundesgericht: https://www.bger.ch/ext/eurospider/live/de/php/aza/http/index.php?highlight_docid=aza%3A%2F%2Faza://12-01-2021-1C_462-2020&lang=de&zoom=&type=show_document


+++BIG BROTHER
»Laufende Barcodes«:  Bürgerrechtler fordern Gesetz gegen Gesichtserkennung
Der Chaos Computer Club und seine Verbündeten wollen »biometrische Massenüberwachung« verbieten lassen. Die Technik werde missbraucht, auch in Europa.
https://www.spiegel.de/netzwelt/web/reclaim-your-face-buergerrechtler-fordern-eu-gesetz-gegen-gesichtserkennung-a-9f614b4e-1bab-4e8a-af7e-0a5ae54f5a11
-> https://www.heise.de/tp/features/Europaeische-Buergerinitiative-fordert-Verbot-biometrischer-Massenueberwachung-5058211.html


+++RASSISMUS
Offener Brief an Klaus J. Stöhlker
Am Wochenende erschien ein Artikel von Klaus J. Stöhlker auf Inside Paradeplatz. Der Titel verweist auf eine Mediengeschichte zum Verhältnis jüdischer Touristen zur lokalen Bevölkerung im Saastal im Wallis. Im Inhalt bietet der Beitrag aber eine Aneinanderreihung von Vorurteilen und Klischees gegenüber Jüdinnen und Juden. Stöhlkers Text hat viele Leserinnen und Leser, vor allem auch aus der jüdischen Gemeinschaft, verstört und erschüttert. SIG-Präsident Ralph Lewin gehört zu diesen Lesern und nimmt nun in einem offenen Brief an Klaus J. Stöhlker Stellung.
https://www.swissjews.ch/de/news/sig-news/offener-brief-an-klaus-j-stoehlker
-> https://insideparadeplatz.ch/2021/02/13/kein-platz-mehr-fuer-juden-im-saas-tal/


+++VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN
Demonstration in Wohlen: Gemeinde wappnet sich für bis zu 1000 Teilnehmende
Der Verein Stiller Protest hat für den kommenden Samstag, 20. Februar, die Bewilligung für einen Protestmarsch mit anschliessender Kundgebung auf dem Merkur-Areal in Wohlen erhalten. Die Regionalpolizei erwartet zwischen 500 und 1000 Demonstrierende in der Freiämter Regionalmetropole.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/freiamt/stiller-protest-demonstration-in-wohlen-gemeinde-wappnet-sich-fuer-bis-zu-1000-teilnehmenden-ld.2102481


Corona-Leugner-Ärzte werden gewarnt, ohne Wirkung
Einige Ärzte (Corona-Skeptiker und Leugner) gehen an die Öffentlichkeit. Sie gründeten den  Verein Aletheia. Neunzig Ärztinnen und Ärzte, die Verschwörungstheorien, Aberglaube und Absurditäten anhängen, sind schon dabei.
Andreas Heisler, einer der Gründer, behauptet, die Stimmung in der Schweiz sei wie damals in der DDR. “Keine Reisefreiheit, keine Meinungsfreiheit, keine Versammlungsfreiheit.” und stellt sich mit diesen Lügen gleich selbst ins Abseits. Kantonsärzte beobachten die Verstösse, die diese Ärzte begehen. Sie drohen damit, die Praxen zu schliessen und werden dies in den nächsten Tagen hoffentlich auch konsequent tun. Zu lange liessen sie diese gefährlichen “Ärzte” schon gewähren.
https://www.mittellaendische.ch/2021/02/10/corona-leugner-%C3%A4rzte-werden-gewarnt-ohne-wirkung/#gsc.tab=0


Marian Eleganti setzt auf Anti-Facebook «MeWe»
Vor zwei Tagen hat Papst Franziskus den Rücktritt des Churer Weihbischofs Marian Eleganti (65) angenommen. Der bleibt sendungsbewusst im Internet aktiv – und setzt künftig auf «MeWe». Es ist eine Art unzensiertes Anti-Facebook, das viele Rechtspopulisten anzieht.
https://www.kath.ch/newsd/marian-eleganti-setzt-auf-anti-facebook-mewe/


«Hebt sofort alle Massnahmen auf» – Demonstrantinnen reden Thurgauer Kantonsräten ins Gewissen
Vor der Sitzung des Thurgauer Grossen Rates appellierten rund 40 Personen gegen den Lockdown und die Maskentragpflicht. Die Polizei schritt nicht ein, der Protest verlief friedlich.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/frauenfeld/corona-hebt-sofort-alle-massnahmen-auf-demonstrantinnen-reden-kantonsraeten-ins-gewissen-ld.2103255



nzz.ch 17.02.2021

«Mordaufrufe und Bombenanleitungen sind auf Telegram keine Seltenheit»

Mit der Pandemie sind die Nutzerzahlen beim Messenger-Dienst in die Höhe geschnellt. Zunehmend werden dort extremistische und verschwörungsideologische Inhalte unzensiert verbreitet. Das ist gefährlich, meint der Extremismusforscher Miro Dittrich.

Corinne Plaga

Nicht erst seit der Corona-Pandemie erleben Verschwörungstheorien einen Zulauf. Doch die seit einem Jahr andauernde globale Krise, die viele Menschen verunsichert, scheint als Katalysator für diverse Verschwörungserzählungen zu wirken. Mittlerweile muss man niemandem mehr erklären, was hinter dem Begriff «QAnon» steckt, so sehr hat die absurde Ideologie aus den USA bereits auch hierzulande in den vergangenen Monaten für Aufmerksamkeit gesorgt.

Dass die QAnon-Bewegung im deutschsprachigen Raum angekommen ist, beweisen auch die steigenden Nutzerzahlen beim Messenger-Dienst Telegram, wo die teilweise rechtsextremen Anhänger ungestört interagieren können. Die grösste deutschsprachige QAnon-Gruppe zählt derzeit über 164 000 Abonnenten. Andere themenverwandte Kanäle haben mehrere tausend Abonnenten. Wichtig für die Szene sind allerdings auch die einzelnen Akteure, die sich im Feld der Verschwörungsmythen tummeln (siehe Grafik).

Im Januar durchbrach Telegram die Marke von 500 Millionen Usern weltweit. Deutschland gehört dabei zu den wichtigsten Märkten für Telegram. Etwa acht Millionen Deutsche nutzen die App – vorrangig als Mittel für die private Kommunikation. Die meisten Nutzer legen vor allem Wert auf ihre Privatsphäre und den Datenschutz, den die App verspricht. Gerade weil die Plattform nicht eingreift, tummeln sich aber immer mehr deutschsprachige Pandemieleugner, Extremisten und Verschwörungsanhänger in dem Netzwerk.

Die Entwicklung dieser wachsenden Bewegungen und die Ausbreitung von Verschwörungsideologien im Netz beobachtet der Experte für Online-Rechtsextremismus Miro Dittrich. Er ist seit einigen Jahren inkognito mit mehreren Profilen und Avataren auf verschiedenen Plattformen unterwegs, die bedeutend für die Community sind. Dort beobachtet er neben den grösseren Akteuren auch kleinere Kanäle und Gruppen, deren Strategien er analysiert.

Herr Dittrich, Sie bewegen sich tagtäglich in der Szene. Wie nehmen Sie die Stimmung in den Kanälen wahr?

Da Telegram quasi nicht moderiert, finden sich hier die extremsten Positionen: Mordaufrufe und Bombenanleitungen sind hier keine Seltenheit. Nach Terroranschlägen machen dort auch gewaltvolle Videos die Runde. Telegram ist so etwas wie das Twitter für Rechtsextreme. Dort trifft sich die Elite, und Diskurse werden von dort aus auf andere Plattformen transportiert.

Sie beobachten auch eine wachsende Vermischung von Verschwörungsideologien mit rechtsextremistischen Inhalten. Können Sie das genauer erklären?

Anfangs war die Identitäre Bewegung mit ihrem Kanal lange an der Spitze von Telegram. Doch mit einzelnen Akteuren der Szene, wie Oliver Janich oder Attila Hildmann, sind die Verschwörungskanäle auf Telegram explodiert. Die geposteten Inhalte zum Beispiel einer Eva Hermann haben teilweise bis zu 500 000 Aufrufe. Xavier Naidoo, der auch schon vor der Pandemie durch Verschwörungserzählungen aufgefallen ist, teilt mitunter Beiträge, die im rechtsterroristischen Milieu zu verorten sind. Wenn man sich die Originalquellen der Inhalte anschaut, wird dort zum Beispiel dazu aufgerufen, Journalisten zu erhängen. Nutzer, die an Verschwörungsmythen glauben oder dafür anfällig sind, gelangen so mit einem Klick in rechtsextreme Netzwerke.

Auf die zunehmende digitale Vernetzung von Rechtsextremisten, Verschwörungsideologen und Anhängern der QAnon-Bewegung machte auch der Grünen-Politiker Konstantin von Notz vor kurzem im «Handelsblatt» aufmerksam. Er sieht in der wachsenden Szene sogar eine Bedrohung für die deutsche Demokratie. In den Kanälen würden massenhaft menschenverachtende und volksverhetzende Inhalte geteilt, und man würde sich zu Straftaten verabreden. Diese bedrohliche Entwicklung kann Dittrich bestätigen. Er beobachtet zudem Alt-Tech-Plattformen aus dem amerikanischen Raum wie Parler und Gab, die weitgehend unreglementiert sind.

Die Plattform Parler hat sich vor allem als Treffpunkt für Trump-Anhänger entwickelt. Parler wirbt mit Meinungsfreiheit und zieht damit vor allem Nutzer aus dem politisch rechten Lager an. Nach dem Sturm auf das Capitol haben Google, Apple und Amazon die App gesperrt. Mittlerweile ist die App wieder online. Das Netzwerk Gab sowie die Videoplattform BitChute gelten als Brutstätte des Hasses für Antisemitismus und Rassismus. Auch dort wird vonseiten der Betreiber nicht in die Inhalte eingegriffen. Diese Plattformen haben im deutschsprachigen Raum aber nie ein grosses Publikum erreicht.

Als wie gefährlich stufen Sie die Gruppen und Kanäle bei Netzwerken wie Telegram ein?

Da muss man differenzieren. Auf Telegram hat sich zum einen ein rechtsterroristisches Netzwerk niedergelassen, das konkret zu Mord und Terror aufruft und Terroristen verherrlicht. So hatte beispielsweise die Neonazigruppe «Atomwaffen Division Deutschland» einen Kanal auf Telegram. Ein Mitglied der rechtsextremen «Feuerkrieg Division», die einen Kanal betreibt, wurde im Dezember wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat verurteilt. Zum anderen gibt es Leute wie Oliver Janich, die QAnon und andere krude Verschwörungserzählungen seit 9/11 verbreiten. Er redet wiederholt davon, dass die meisten Politiker eigentlich erhängt gehören, er ergänzt seine Aussagen zwar noch mit «nach einem gerechten Prozess», aber eigentlich ist klar, dass er den «politischen Feind» zum Tode erklärt. Gekoppelt mit dieser alternativen Wirklichkeit, die erzeugt wird durch Missinformation, entsteht dadurch schon ein gewisses Gefahrenpotenzial.

Dass die ideologischen Erzählungen aus der Online-Community auch in reale Gewalt umschlagen können, zeigt laut Dittrich auch die Radikalisierung der «Querdenken»-Szene. Die Bewegung organisiert Demonstrationen, bei denen die Teilnehmer unter anderem gegen die Corona-Massnahmen der Regierung protestieren. Unter den Teilnehmern sind auch Menschen, die die Pandemie leugnen und dahinter eine grosse Verschwörung des Staates sehen. Wie kürzlich bekanntwurde, haben die Demos dazu beigetragen, dass sich das Virus innerhalb Deutschlands stark verbreiten konnte.

Während einer Demo in Leipzig im November 2020 mischten sich Neonazis und Hooligans unter die Protestierenden und gingen gewaltsam gegen Polizisten sowie Reporter und Gegendemonstranten vor. Die Rechtsextremen sähen sich als «Speerspitze der Bewegung», meint Dittrich. Sie würden radikale Aktionen forcieren, brauchten aber die Masse der anderen Teilnehmer hinter sich. Auch hätten der Brandanschlag auf das Robert-Koch-Institut, die Belagerung der Reichstagstreppe, die Schüsse auf ein Impfzentrum in Bayern sowie weitere Vorfälle gezeigt, wie gewaltbereit die «Anti-Corona-Szene» mittlerweile sei, erklärt der Online-Experte. Laut deutschen Verfassungsschützern kommen bis zu zehn Prozent der Teilnehmer bei Corona-Protesten aus dem rechtsextremen Lager.

Laut einer Studie ist die Mehrheit der «Querdenker» zwar nicht extremistisch, sie glaubt aber an Verschwörungsideologien. Sind es also «nur» ein paar Radikale, die das Problem darstellen?

Das ist sicher eine Mischung an Leuten. Man macht es sich aber sehr einfach zu sagen: Das sind ja alles normale Leute und nur ein «paar Extreme» dazwischen. Studien zeigen, dass verschwörungsideologische Einstellungen gepaart mit rechtsextremen und antisemitischen Anschauungen in der Bevölkerung weit verbreitet sind. Auch die Esoterikszene, die bei den Demos präsent ist, ist gefüllt mit Misinformation, zum Beispiel beim Thema Impfen. Diese Ideologien tragen teilweise auch viel Menschenverachtung in sich. Die Menschen, die wirklich berechtigte Kritik an den Corona-Massnahmen haben – und diese gibt es ja –, stellen nur einen kleinen Teil dar. Wenn man duldet, dass man neben Neonazis läuft oder dass Rechtsextreme auf der Bühne stehen bei diesen Demos, ist das nicht verständlich. Da muss man ganz klar Grenzen ziehen.

Wie gehen Sie vor, wenn Sie online in der Szene recherchieren?

Ich selbst teile nie menschen- oder demokratiefeindliche Inhalte, aber als jahrelanger Beobachter kenne ich die kulturellen Codes der Community. Da geht es um die richtige Ästhetik. Name und Profilbild müssen passen. So wird man eigentlich überall aufgenommen. Zum anderen habe ich auch algorithmische Unterstützung bei meiner Recherche. Youtube und Facebook schlagen mir immer neue Kanäle und Seiten vor. Das verstärkt die Radikalisierung online, auch wenn die Plattformen schon etwas dagegen unternommen haben. Sonst schaue ich mir die Verbindungen der Nutzer an und decke so Netzwerke auf.

Youtube sei zum wichtigsten Propaganda-Tool für Rechtsextreme geworden, so Dittrich. Da die grossen Plattformen immer stärker in die Inhalte eingreifen und Accounts löschen, die gegen die Richtlinien verstossen, wanderten immer mehr Akteure ab – in Deutschland vor allem zu Telegram, Signal und teilweise zu VK, dem russischen Äquivalent zu Facebook. Seit den Ausschreitungen in Chemnitz von 2018 sei Telegram für die rechtsextreme Szene sehr wichtig geworden, erklärt Dittrich. Eingreifende Massnahmen seitens Telegram finden aber langsam statt. Erst kürzlich löschte der Dienst mehrere rechtsradikale Chat-Gruppen. In der Vergangenheit verbannte Telegram bereits einige islamistische und terroristische Kanäle.

Das Deplatforming, also das Löschen von Profilen und Gruppen, wird von den Betreibern sozialer Netzwerke immer stärker genutzt. Hilft diese Methode wirklich?

Deplatforming hat Vor- und Nachteile und ist auf keinen Fall eine Lösung für das gesellschaftliche Problem. Gewaltbereite Extremisten können der Gesellschaft aber nur langfristig einen Schaden zufügen, wenn sie ein Massenpublikum erreichen können. Social Media ist dabei unabdinglich, um neue Menschen zu erreichen und zu radikalisieren. Das sollte man nicht zulassen. Bei Gruppen wie der rechtsextremen Identitären Bewegung oder Akteuren wie Alex Jones wurde dies erfolgreich getan. Die Plattformen können aber noch viel mehr tun. Weiterhin posten Menschen unter Klarnamen Mordaufrufe auf Facebook. QAnon gab es schon länger, ist aber erst durch die grossen Netzwerke populär geworden. Hier hätte man viel früher einschreiten müssen. Diese neuen Phänomene müssen schneller erkannt und gestoppt werden.

In einer jüngeren Studie zu Deplatforming kommen die Autoren zu dem Schluss: Alternative Netzwerke werden genutzt, um Inhalte von gelöschten Akteuren wieder gezielt auf den grossen Plattformen zu verbreiten. Und: Telegram habe sich zum zentralen Medium unter rechten Akteuren entwickelt: «96 Prozent aller von uns untersuchten Hassakteure haben hier (hyper-)aktive Kanäle. Die meisten verstehen Telegram als ihre kommunikative Basis.» Die Vorteile von Telegram sind eindeutig: Die kaum vorhandene Moderation und die Push-Nachrichten auf dem Handydisplay wirken unmittelbarer. Ausserdem kann leicht zwischen privater Messenger-Funktion und öffentlicher Kanalfunktion gewechselt werden.

Problem: Telegram fällt nicht unter das NetzDG

Abgesehen von Telegram hätten sich laut den Studienautoren keine stabilen Ausweichforen etabliert. Der einfache Grund dafür: Bei Telegram greift das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) bis anhin nicht, welches Hasskriminalität im Internet bekämpfen soll. Es zwingt die sozialen Plattformen, innerhalb kurzer Zeit tätig zu werden, wenn rechtswidrige Inhalte öffentlich werden. Ausserdem müssen Facebook und Co. regelmässig Transparenzberichte über ihre Arbeit ablegen, die Auskunft über die gelöschten und gesperrten Inhalte geben. Telegram ist von all dem befreit, denn die App wird weiterhin als Messenger und nicht als soziales Netzwerk betrachtet.

Ein weiterer Faktor für mögliche Anpassungen könnte zudem die Finanzierung werden. Telegram, das als Dissidenten-Plattform startete, muss sein bisheriges Geschäftsmodell ändern: Der Gründer Pawel Durow plant, künftig mit Werbung Geld zu verdienen. Dies betreffe aber nur Kanäle, keine persönlichen Chats. «Ein Projekt unserer Grösse benötigt mindestens ein paar hundert Millionen Dollar pro Jahr, um bestehen zu können», schrieb Durow auf Telegram. User-Daten würden für Werbezwecke aber nicht benutzt, heisst es. Wenn Telegram grosse Werbekunden gewinnen will, muss die App allerdings bei ihren Inhalten aufräumen und problematische Kanäle löschen, so die Einschätzung Dittrichs. Bis jetzt geschehe das nur «halbherzig» und nur bei den offensichtlichen, extremsten Fällen.

Wer trägt die Verantwortung, gegen Hass und Hetze vorzugehen?

Zum einen die Plattformen, die jetzt gezielt handeln müssen und Inhalte offline nehmen müssen. Die fehlende juristische Erreichbarkeit von Telegram könnte etwa über die Einführung des Marktortprinzips aufgelöst werden. Definitiv ist auch die Politik gefragt. Die digitalen Räume wurden lange nicht ernst genommen. Aber sie haben Auswirkungen auf die Offline-Welt, siehe Halle und Hanau. Die Sicherheitsbehörden müssen aktiver werden. Wer online Mordaufrufe postet, muss damit rechnen, verfolgt zu werden. Gleichzeitig müssen wir als Gesellschaft darüber nachdenken, wie es sein kann, dass sich so schnell so viele Menschen radikalisieren und die Realität verlassen. Bis anhin haben wir ausser Deplatforming und Verhaftungen keine Antwort darauf. Wichtig wären auch Beratungsstellen für Betroffene, um Menschen zu deradikalisieren und sie aus ihrer Alternativwelt herauszuholen.



Miro Dittrich

Der Extremismusforscher war Projektleiter von «de:hate» der Amadeu-Antonio-Stiftung. Zudem war er unter anderem tätig als Faktenprüfer für Correctiv und die Recherche-Organisation First Draft. Seit mehreren Jahren beschäftigt sich Dittrich mit rechtsextremen Online-Kulturen, der wachsenden Verschwörungsideologie QAnon sowie Antisemitismus im Netz.
(https://www.nzz.ch/technologie/telegram-wo-extremisten-und-verschwoerer-ungestoert-kommunizieren-ld.1600633)