Medienspiegel 9. Februar 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Hätte das Asylzentrum Aarwangen den Corona-Ausbruch verhindern können?
Ende Januar mussten im Asylzentrum Aarwangen 97 Personen aufgrund des Coronavirus in Quarantäne. Am Dienstag ist die Quarantäne nun vorbei und jetzt werden Vorwürfe gegenüber den Zuständen in den Rückkehrzentren laut. Werden die Menschen in diesen Zentren zu wenig geschützt?
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/haette-das-asylzentrum-aarwangen-den-corona-ausbruch-verhindern-koennen-140882683


+++SCHWEIZ
Nationalrat kommt im Mai zu viertägiger Sondersession zusammen
(sda) Vom 3. bis zum 6. Mai kommt der Nationalrat zu einer Sondersession zusammen. Diskutiert wird unter anderem über den Zuckerpreis, die Organspende, Handyauswertungen von Asylsuchenden und die Versicherungsaufsicht.
(…)
Am Mittwochnachmittag geht es um die Asylpolitik, konkret um einen Gesetzesentwurf, der von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK-N) ausgearbeitet wurde. Demnach sollen die Behörden auf die Handy- und Laptopdaten der Asylsuchenden zugreifen dürfen, wenn diese ihre Identität nicht mit Ausweispapieren belegen können.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2021/20210209093104274194158159038_bsd043.aspx


+++DEUTSCHLAND
Trotz Bürgerkrieg & Pandemie: Afghanistan-Abschiebungen gehen weiter
Für Dienstag, den 09.02.2012, ist erneut eine Sammelabschiebung nach Afghanistan geplant. Es ist schon die zweite in diesem Jahr und bereits die dritte, nachdem von März bis Dezember 2020 auf Ersuchen der afghanischen Regierung eine 9-monatige Pause wegen der Covid-19-Pandemie eingehalten wurde.
https://www.proasyl.de/news/trotz-buergerkrieg-pandemie-afghanistan-abschiebungen-gehen-weiter/


+++MITTELMEER
CommemorAction: Solidarität mit den Familien der 91 auf See verschwundenen Menschen!
Wo sind sie? Berichte von Familien der 91 Verschollenen.
https://alarmphone.org/de/2021/02/09/commemoraction-91-personen/


+++EUROPA
Menschenrechte an EU-Außengrenzen: „Das Flüchtlingsrecht ist eine notwendige Zumutung“
Frontex-Skandal, Push-Backs – und keine Folgen? Die Völkerrechtlerin Dana Schmalz erklärt, warum auch Grundrechte politische Mehrheiten brauchen.
https://www.zeit.de/politik/2021-02/menschenrechte-eu-aussengrenzen-verletzungen-fluechtlingspolitik-fluechtlingsrecht-frontex-dana-schmalz/komplettansicht


+++GASSE
SVP zum Notschlafstellen-Tourismus: «Das haben wir befürchtet»
Roma vom grenznahen Ausland sollen das Gratis-Übernachtungsangebot in Basel-Stadt nutzen. Die SVP Basel-Stadt ist empört und fühlt sich bestätigt.
https://telebasel.ch/2021/02/09/svp-zum-notschlafstellen-tourismus-das-haben-wir-befuerchtet
-> https://primenews.ch/news/2021/02/basler-notschlafstelle-zieht-auch-bettler-aus-dem-ausland


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Koordinierte Angriffe in Bern & Zürich – Solidarität mit Basel Nazifrei
In Solidarität mit allen Angeklagten der Basel Nazifrei-Prozesse und Zugehörigkeit zu allen antifaschistischen Kämpfen weltweit wurden in einer koordinierten Aktion in der Nacht vom 21. auf den 22. Januar 21 folgende Ziele angegriffen:
– Staatsanwaltschaft Bern
– Bezirksgericht Zürich Wengihof
– Jugendstaatsanwaltschaft Zürich
Diese Angriffsreihe ist eine Antwort auf die staatliche Repression.
https://barrikade.info/article/4189


BaselNaziFrei Prozesserklärung vom 08.02.2021
Der Angeklagte stellt mit seinem Plädoyer klar: Antifaschismus war notwendig, ist notwendig und wird immer notwendig sein.
https://barrikade.info/article/4190


All Cops Are Basquiats
 Tatort Kunstraum. In der Nacht auf Montag erschüttert ein Farbanschlag die Sattelkammer im Länggassquartier, ein radikal-situationistisches Kollektiv unter dem Decknamen «VagabundInnen» bekennt sich zum Angriff. Das Communiqué der Gruppe prangert die laufende Ausstellung «Reto Spillmann» an, zu der auch der gleichnamige Zürcher Kantonspolizist Kunstwerke beigetragen hat. Kurator Mayo Irion zeigt sich darüber «psychisch vor allem traurig» TeleBärn berichtet. Diese Ereignisse werfen Fragen auf – Fragen, die tiefer greifen, als es die pamphletische und traditionell polizeikritische Haltung der «VagabundInnen» vielleicht vermuten liesse: Welche Rolle spielt die Polizei im Kunstbetrieb? Und verbirgt sich dahinter ein Jahrzehnte altes Missverständnis, das sich in diesen Tagen an der Figur Reto Spillmann und einem kleinen Berner Off-Space offenbart?
http://www.ksb.ist/doc/all-cops-are-basquiats


Farb-Anschlag: Vandalen stürmen Ausstellung – weil Künstler Polizist ist
Am Sonntag griffen Vandalen die Kunstaustellung eines Zürcher Kantonspolizisten im Länggass-Quartier in Bern an. Dabei wurde die Frontscheibe der Galerie mit Farbbeuteln beworfen.
https://www.20min.ch/story/vandalen-stuermen-ausstellung-weil-kuenstler-polizist-ist-741955619301


«Hey, gits en F***?»: Wie Frauen mit Kreide auf sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum aufmerksam machen
Von Kairo, über London bis Luzern und Zürich: Weltweit erleben Frauen sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum. Mit Beiträgen auf Instagram kämpfen nun zahlreiche Catcalling-Accounts dagegen an.
https://www.tagblatt.ch/leben/catcalling-hey-gits-en-f-wie-frauen-mit-kreide-auf-sexuelle-belaestigung-im-oeffentlichen-raum-aufmerksam-machen-ld.2091647


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
derbund.ch 09.02.2021

Verschärfte Einbürgerungsregel – Wegen Hilfe der Stadt: Kanton Bern will Forscher nicht einbürgern

Ein Physiker aus dem Irak zahlt die Kosten für seine Integrationshilfe zurück – mit Unterstützung der Stadt Bern. Der Kanton hält dies für einen Trick.

Bernhard Ott

Bis vor ein paar Jahren lief es gut für Munir al-Hashimi. Sein Flüchtlingsstatus wurde anerkannt. Dann absolvierte der Physiker aus dem Irak an der Universität Bern ein zweites Doktorat, um in der Schweiz weiterforschen zu können. Im Rahmen seiner wissenschaftlichen Tätigkeit an der Hochschule ist es ihm vor acht Jahren gelungen, ein Projekt der Universität Katar zu akquirieren. Während des dreijährigen Projekts konnte Hashimi die Kosten für die einst bezogene Sozialhilfe in der Höhe von knapp 34’000 Franken zurückerstatten. Auf Schwierigkeiten stiess er erst ab 2017, als er ein Einbürgerungsgesuch stellte.

Kanton lehnt Gesuch ab

Das Gesuch wurde nötig, weil die Universität Katar für die Erteilung weiterer Aufträge seinen Flüchtlingspass nicht mehr akzeptieren wollte. Das Verfahren lief zunächst gut. Im Frühling 2018 sicherte der Berner Gemeinderat Hashimi das Gemeindebürgerrecht zu. Beim Sozialdienst sei ihm damals versichert worden, dass die Einbürgerung durch den Kanton nur mehr Routine sei, sagte Hashimi dem «Bund». Doch im Herbst 2018 lehnte der Kanton das Einbürgerungsgesuch überraschend ab.

Die Sicherheitsdirektion (SID) von Regierungsrat Philippe Müller (FDP) begründete den Entscheid damit, dass Hashimi nicht nur die Grundleistungen der Sozialhilfe, sondern auch weitere Kosten in der Höhe von 40’000 Franken für Arbeitsintegrationsmassnahmen zurückbezahlen müsse. Sie stützt sich dabei auf eine eigene Wegleitung zur Einbürgerung, die auf dem Bürgerrechtsgesetz basiert. Die Angaben in der Wegleitung widersprechen allerdings den Bestimmungen des Sozialhilfegesetzes. Dieses nimmt die Kosten für Arbeitsintegrationsmassnahmen von der Pflicht zur Rückzahlung der Sozialhilfe explizit aus.

Forschen für Gotteslohn

Für Hashimi war der Entscheid des Kantons bitter. Er konnte das zusätzlich verlangte Geld nicht auftreiben, weil er nach dem Ende des Katar-Stipendiums kein Erwerbseinkommen mehr hatte. Seine Stellensuche sei erfolglos geblieben, obwohl er sich zig-fach beworben habe, sagt al-Hashimi.

Gearbeitet hat er trotzdem. So hat er an der Universität Bern weitergeforscht, um seine wissenschaftlichen Qualifikationen zu erhalten. Hashimi listet in seinem Lebenslauf 16 wissenschaftliche Aufsätze auf, die er seit Beginn seines Aufenthalts in der Schweiz verfasst hat. Den letzten aus dem Bereich der Quantenmechanik hat er vergangenen Dezember in Co-Autorschaft mit einem Professor der Universität veröffentlicht. Dies alles tat und tut er allerdings ohne Entgelt.

Teuscher stellt Antrag

Hashimi ficht den abschlägigen Entscheid der Sicherheitsdirektion mit einer Beschwerde vor Verwaltungsgericht an. Darin kritisiert seine Anwältin die Tatsache, dass er die Kosten für die Arbeitsintegration überhaupt zurückzahlen muss, denn dies widerspreche dem Sozialhilfegesetz. Auch in finanzieller Hinsicht ging sie in die Offensive: Sie bat die Stadt um Unterstützung, weil ihr Mandant als hoch spezialisierter Physiker in Katar eine Anstellung in Aussicht habe, wenn er einen Schweizer Pass besitze.

Der Gemeinderat bewilligte das Gesuch auf Antrag von Sozialdirektorin Franziska Teuscher (GB) und entnahm die vom Kanton geforderten 40’000 Franken einem Fonds zur Förderung der Vermittlungsfähigkeit von Arbeitslosen. Obwohl der Fonds Beiträge à fonds perdu auszahlt, hat sich Hashimi freiwillig verpflichtet, das Geld in Raten zurückzuzahlen, sobald er wieder über ein Einkommen verfüge. «Der Gemeinderat ging davon aus, dass Herr Hashimi so eingebürgert werden kann», sagt der frühere städtische Sozialamtsleiter Felix Wolffers. Mit dem Beitrag aus dem Fonds habe er eine längerfristige und damit auch teure Unterstützung durch die Sozialhilfe verhindern wollen.

Vorwürfe an die Stadt

Damit hätte die Geschichte ihr Ende finden können. Aber die kantonale Sicherheitsdirektion (SID) war nicht bereit, die 40’000 Franken aus dem städtischen Fonds als Rückzahlung zu akzeptieren. Damit werde lediglich ein anderer staatlicher Geldtopf angezapft, «was einer blossen Umverteilung staatlicher Gelder entspricht», wie es in einer Stellungnahme vor Gericht heisst, die dem «Bund» vorliegt. Dies komme einer «Umgehung der einbürgerungsrechtlichen Bestimmungen» gleich.

Zudem moniert die kantonale Behörde eine Zweckentfremdung des städtischen Fonds, aus dem das Geld stammt. «So wird der Fonds zum Einbürgerungsfonds, was nicht angeht und ein unliebsames Präjudiz schaffen könnte», hält die SID fest.

Müllers Sicherheitsdirektion widerspricht somit der Argumentation von Hashimis Anwältin, wonach die Rückzahlung der Sozialhilfe nach dem Sozialhilfegesetz zu erfolgen habe. Vielmehr ist laut SID im Fall einer Einbürgerung das Bürgerrechtsgesetz massgeblich. Zum konkreten Fall wolle man nicht Stellung nehmen, da es sich um ein laufendes Verfahren handle, sagt der stellvertretende SID-Generalsekretär Florian Hirte. Nur so viel: Die Ablehnung des Einbürgerungsgesuchs sei eine Folge der Annahme der Initiative «Keine Einbürgerung von Verbrechern und Sozialhilfeempfängern», die Erich Hess (SVP) einst lanciert hatte. Die «vollständige Rückzahlung» von Sozialhilfe werde seither von Kantonsverfassung und Gesetzgebung vorgeschrieben, sagt Hirte.

Siegesgewisser Müller

Die Sicherheitsdirektion wähnt sich mit dieser Argumentation auf der Siegerseite. Laut Hirte ist das Rechtsverständnis des Kantons vom Verwaltungsgericht wiederholt bestätigt worden. So werde etwa in einem Urteil aus dem Jahr 2016 festgehalten, dass die Pflicht zur Rückzahlung der Sozialhilfe in Einbürgerungsverfahren «in keinem Zusammenhang» mit dem Sozialhilfegesetz stehe. Sie sei vielmehr «Ausdruck einer wirtschaftlich erfolgreichen Integration».

Weshalb Munir al-Hashimi aber nicht nur die Grundleistungen der Sozialhilfe, sondern auch die Kosten für die Arbeitsintegrationsmassnahmen rückerstatten muss, bleibt unbeantwortet. Explizit wird dies weder im Bürgerrechtsgesetz noch in der internen Wegleitung zur Einbürgerung erwähnt, auf die sich die Sicherheitsdirektion stützt. Dort hält die Behörde lediglich fest, dass die Festsetzung des zurückzuzahlenden Betrags ihr selber und nicht den Sozialdiensten obliege.

Munir al-Hashimi sei es unbenommen, nach zehn Jahren ein neues Einbürgerungsgesuch zu stellen, hält Philippe Müllers Direktion in einer weiteren Stellungnahme vor Gericht fest. Solange müssen einstige Sozialhilfebezüger im Kanton Bern auf eigenen Beinen stehen, bevor sie ein neues Einbürgerungsgesuch stellen können. Bern ist hier besonders streng, denn nach den Vorgaben des Bundes müssten seit dem letzten Bezug von Sozialhilfe bloss drei Jahre vergangen sein. Für Munir al-Hashimi ist das aber keine Option: Er ist 59-jährig und lebt zurzeit von Erspartem und Unterstützungen Dritter. Zieht sich sein Verfahren noch lange hin, wird er wohl erneut Sozialhilfe beantragen müssen.
(https://www.derbund.ch/stadt-und-kanton-streiten-ueber-irakischen-forscher-628489500198)


+++BIG BROTHER
Das Märchen vom E-ID-Wettbewerb
Bisher unveröffentlichte Dokumente zur Verordnung über die elektronische Identität zeigen: Egal für welchen Anbieter Sie sich entscheiden – am Schluss weiss jeder alles über Sie.
https://www.republik.ch/2021/02/09/das-maerchen-vom-e-id-wettbewerb


Beschwerde gegen Handyauswertung: Mit dem Smartphone das ganze Leben über den Tisch reichen
Seit 2017 darf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Datenträger von Geflüchteten auslesen. Dagegen laufen mehrere Klagen vor deutschen Gerichten, nun kommt eine Beschwerde beim Bundesdatenschutzbeauftragten dazu.
https://netzpolitik.org/2021/beschwerde-gegen-handyauswertung-mit-dem-smartphone-das-ganze-leben-ueber-den-tisch-reichen/


+++POLIZEI DE
Racial Profiling: Kontrollgrund: Hautfarbe
Die Polizei kontrolliert jedes Jahr ohne Tatverdacht Millionen Menschen. Gerichtsurteile zeigen, wann sie dabei Grenzen überschreitet. Sind die Vorschriften das Problem?
https://www.zeit.de/video/2021-02/6229090592001/racial-profiling-kontrollgrund-hautfarbe


+++RASSISMUS
25 Jahre Rassismus-Strafnorm: Eine Bilanz
Artikel 261bis des Schweizerischen Strafgesetzbuches verbietet sowohl die Diskriminierung als auch den Aufruf zu Hass gegen Menschen, die einer ethnischen Minderheit angehören. Bei einer Volksabstimmung am 25. September 1994 wurde die sogenannte Rassismus-Strafnorm mit 54,6 Prozent Ja-Stimmen angenommen, vergangenes Jahr wurde sie erweitert auf Menschen, die lesbisch, schwul oder bisexuell sind.
https://rabe.ch/2021/02/08/25-jahre-rassismus-strafnorm-eine-bilanz/


+++RECHTSPOPULISMUS
Streit um Burkaplakate in Buchs spaltet SVP
In März wird über das Verhüllungsverbot abgestimmt. Die Plakate hängen vielerorts am Strassenrand. So nun auch in Buchs, obwohl die örtliche SVP sich weigerte, die provokativen Burkaplakate aufzuhängen. Das sorgt nun für Unmut innerhalb der Partei.
https://www.telem1.ch/aktuell/streit-um-burkaplakate-in-buchs-spaltet-svp-140882782


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Verschwörungstheoretiker – Bioresonanz: Eso-Arzt verhindert Überlebens-Chance
Der Arzt Manfred Doepp behandelte einen Krebspatienten mit einer in diesem Fall nachweislich wirkungslosen Methode.
https://www.srf.ch/news/schweiz/verschwoerungstheoretiker-bioresonanz-eso-arzt-verhindert-ueberlebens-chance


Studie aus Mannheim und Berlin: Mehr Covid-19-Infektionen nach „Querdenker“-Demos
Die „Querdenken“-Demonstrationen im November 2020 haben dazu beigetragen, dass sich das Corona-Virus innerhalb Deutschlands stark verbreitet hat. Das zeigt jetzt eine aktuelle Studie des ZEW Mannheim und der Humboldt-Universität zu Berlin.
https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mannheim/querdenker-studie-mannheim-100.html
-> https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-ausbreitung-demonstrationen-101.html


Der Absturz des Attila Hildmann: Wie aus dem Kochbuchautor ein Corona-Leugner wurde
Attila Hildmann war früher ein erfolgreicher Kochbuchautor. Jetzt ist er Deutschlands prominentester Corona-Leugner. Die Staatsanwaltschaft verfolgt mehrere Anzeigen wegen Volksverhetzung. Wie ist das passiert?
https://www.youtube.com/watch?v=8kuG346thgk&feature=emb_logo



nzz.ch 09.02.2021

25 000 Franken Busse für Verstoss gegen Corona-Regeln? Wo Urban Legends aufhören und Verschwörungstheorien beginnen

Eine Krise ist der optimale Nährboden für Gerüchte und ausgeschmückte Erzählungen. Nicht selten geht es dabei um die gute Pointe. Mitunter untermauern Legenden aber ein Grundgefühl – etwa dass man vor den Behörden auf der Hut sein muss.

Daniel Gerny, Simon Hehli

25 000 Franken musste eine dreiköpfige Familie unlängst hinblättern, nur weil sie die Quarantänevorschriften verletzt und sich nach einigen Tagen in den eigenen vier Wänden verbotenerweise einen heimlichen Spaziergang durchs Quartier gegönnt hatte. 10 000 Franken kassierte die Polizei pro Elternteil und 5000 Franken für das Kind ab. So jedenfalls lautete die Geschichte, die die NZZ über Umwege erfuhr. Auch in einem anderen Fall war von exorbitanten Strafgeldern die Rede, die nach einem privaten Abendessen angeblich fällig wurden – weil zu viele Teilnehmer anwesend gewesen seien. Doch Nachforschungen blieben ergebnislos, die Quelle der scheinbar skandalösen Vorgänge liess sich nicht eruieren. Was also steckt hinter solchen Geschichten, die jeden vernünftig denkenden Menschen am Sinn mancher Corona-Massnahmen zweifeln lassen?

Seit Beginn ist die Corona-Krise ein idealer Nährboden für Gerüchte, Legenden und Verschwörungstheorien. Sie kursieren längst nicht nur in einschlägigen Kreisen, welche die Pandemie für eine Erfindung von Bill Gates und machthungrigen Regierungen halten. Auch in unverdächtigen Tischrunden sorgen Erzählungen über Auswüchse des Pandemieregimes für Kopfschütteln – allerdings ohne dass sich der Wahrheitsgehalt beweisen oder eindeutig widerlegen liesse. Die Bussen-Horrorstorys sind theoretisch nicht ganz ausgeschlossen, doch höchst unwahrscheinlich: Der Bundesrat und verschiedene Vertreter aus den Kantonen haben nach dem Inkrafttreten der Beschränkungen mehrfach betont, im Privatbereich nicht auf hohe Bussen zu setzen – und Betroffene zunächst nur zu ermahnen.

Der Ursprung bleibt im Dunkeln

«Angst und Unberechenbarkeit in einer Krise zwingen uns, nach Erklärungen zu suchen», so erklärt Brigitte Frizzoni den Umstand, dass solche Geschichten auftauchen. Frizzoni beschäftigt sich am Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft der Universität Zürich mit populärkulturellen Phänomenen, darunter den sogenannten Urban Legends. Solche modernen Sagen werden meist mündlich, seit einiger Zeit aber vermehrt auch via E-Mail und Social Media verbreitet. Sie lassen sich nie bis zu ihrem Ursprung zurückverfolgen. Sie haben einen Wahrheitsanspruch und operieren dennoch mit dem Unfassbaren. Sie sind meist unterhaltend und kommen so dem Wunsch der Menschen nach guten Erzählungen entgegen, wie Frizzoni erläutert. Und sie machen oft dann besonders schnell die Runde, wenn die Leute verunsichert sind. «In solchen Momenten ist man anfällig für Falschmeldungen.»

Es ist laut Frizzoni kein Zufall, dass eine der berühmtesten Urban Legends in den achtziger und neunziger Jahren kursierte, als schon einmal ein neues Virus für eine weltumspannende Krisenstimmung sorgte: Eine junge Frau reist nach Griechenland oder in ein anderes südliches Land, verliebt sich dort und erlebt eine aufregende Romanze. Beim Abschied erhält sie von ihrem Geliebten ein Geschenk, das sie allerdings erst auf dem Rückflug öffnen soll. Im Päckli findet sie eine tote Ratte mit einem Zettel, auf dem sie liest: «Willkommen im Aids-Klub.» Die Geschichte existierte in unzähligen Varianten – von dem Mann, der sich im Kino versehentlich auf eine Spritze setzt, bis zu den Mädchen, die sich an der Bar von einem Typen geheimnisvolle Wunderdrogen andrehen lassen – stets mit der Schlusspointe vom Aids-Klub.

Auch wenn die Grenzen zwischen den Urban Legends und den Verschwörungstheorien fliessend sind, gibt es deutliche Unterschiede, wie Frizzoni sagt: Verschwörungstheorien sind komplex ausgebaut und basieren auf ganzen Gedankengebäuden und Ideologien. Urban Legends hingegen kommen flüchtiger daher. Sie haben oft eine Pointe, die der Erheiterung dient oder aber ins Bedrohliche kippen kann. Und während sie zwischen wahr und falsch hin und her schwanken, sich jedoch die Quelle nie finden lässt, operieren Verschwörungstheorien mit angeblichen Beweisen. Typisch ist für Letztere ausserdem die Vorstellung, dass eine ganze Organisation über lange Zeit im Verborgenen nach einem ausgeklügelten Plan zuungunsten der Bevölkerung agiert und somit ein klarer Bösewicht existiert.

Behördlicher Übereifer als wahrer Kern

Urban Legends haben oft einen Bezug zur Realität. Es gibt dokumentierte Fälle von behördlichem Übereifer im Kampf gegen die Missachtung der Corona-Vorschriften. So wurden während der ersten Welle Paare ermahnt oder gar gebüsst, weil sie bei einem Spaziergang die damals geltende Abstandsregel von zwei Metern nicht einhielten. Im Einzelfall unterscheiden sich die Sichtweisen der Beteiligten zwar, doch tatsächlich sah die Covid-19-Verordnung die Abstandsregeln in der Öffentlichkeit auch für zusammenlebende Personen vor.

Und auch das eingangs erwähnte Beispiel einer exorbitanten Busse für Quarantänebrecher hat einen wahren Kern: Das Epidemiengesetz sieht eine Geldstrafe von bis zu 10 000 Franken bei vorsätzlichem Fehlverhalten vor. Ein Zürcher Familienvater musste im vergangenen Oktober 2750 Franken bezahlen, weil er nach der Einreise aus Serbien am letzten Tag die Quarantänepflicht verletzt hatte und für einen Spaziergang allein in den Wald gegangen war.

In eine ähnliche Richtung geht die Geschichte, wonach Coop während des grossen Schneefalls im Januar Auftausalz wegen der Corona-Vorschriften aus dem Verkauf nehmen musste. Das Gerücht wurde mitsamt Beweisbild auf Twitter herumgeboten. Zwar war der Verkauf von Streusalz nie verboten. Doch Coop konnte gegenüber «20 Minuten» trotz Nachforschungen nicht ausschliessen, dass das Beweisbild aus einer einzelnen Filiale stammen könnte, die das Salz versehentlich aus dem Sortiment genommen hatte.

    Nicht sehr sinnvoll, @alain_berset ‼️

    Wie sinnvoll Berset’s Verordnungen sind zeigt dieses Foto. Salz und Scheibenwasser darf nicht gekauft werden. pic.twitter.com/kQfNNx5RKs
    — Daniel Heierle 👉 (Alternativ gab.com/Heierle) (@Heierle) January 19, 2021

Zu den Urban Legends rund um Corona gehört auch die Behauptung, es werde eine Prämie bezahlt, falls verstorbene Patienten in Spitälern und Pflegeheimen als Covid-19-Opfer deklariert würden: tausendmal behauptet – nie belegt. Doch wer erzählt solche Geschichten weiter, und wie bildet sich ihr episodenhafter Charakter heraus? «Oft ist es allein die Freude, mit einer guten Story unterhalten zu können», sagt die Erzählforscherin Frizzoni. So werden Geschichten zugespitzt, um Pointen ergänzt und Abend für Abend weitererzählt – immer nach dem Motto: «Eine Bekannte von mir kennt jemanden, der . . .» Anders als Verschwörungstheorien werden sie laut Frizzoni kaum strategisch eingesetzt, doch untermauern auch sie mitunter ein Grundgefühl – etwa dass man vor den Behörden auf der Hut sein müsse. Nicht selten kommen Polizisten oder Ärzte aber auch als Gewährspersonen vor, die die Glaubwürdigkeit stärken sollen.

Zeitungsente zu Verbier

Auch die Medien tischen manchmal Ammenmärchen auf. Kurz nach Weihnachten vermeldete die «Sonntags-Zeitung», 200 Engländer seien über Nacht mit Sack und Pack aus Verbier geflohen, obwohl wegen des mutierten Virus strenge Quarantänevorschriften gälten. Die Geschichte sorgte tagelang weltweit für Schlagzeilen und Empörung. Dennoch war sie kaum mehr als eine Legende. Woher sie kam und wie sie schliesslich in der Zeitung landete, liess sich im Nachhinein nur noch schemenhaft rekonstruieren. Gegenüber der «NZZ am Sonntag» erklärte Markus Rieder, Kommunikationschef der Walliser Kantonspolizei, er wisse nicht, wie das Gerücht zustande gekommen sei: «Wir haben keinerlei Kenntnisse von 200 Briten, die unerlaubt Verbier verlassen haben.»
(https://www.nzz.ch/schweiz/25-000-franken-busse-fuer-verstoss-gegen-corona-regeln-ld.1599649)



Schweizer Corona-Strategie – Petitionen und Demos: Unmut gegen Shutdown wächst
100’000 Unterschriften haben Jungfreisinnige in den letzten Wochen im Netz gesammelt. Ihr Ziel: ein Stopp des Shutdowns. Die hohe Zustimmung erstaunt nicht: Die Corona-Müdigkeit scheint zuzunehmen.
https://www.srf.ch/news/schweiz/schweizer-corona-strategie-petitionen-und-demos-unmut-gegen-shutdown-waechst


+++HISTORY
Schauplätze kolonialer Verstrickungen
Was hat Bern mit Kolonialismus zu tun? Inwiefern prägt koloniales Erbe auch unser Quartier? Ein neuer Stadtplan führt zu den Spuren in Bern – auch in der Länggasse.
http://www.journal-b.ch/de/082013/politik/3807/Schaupl%C3%A4tze-kolonialer-Verstrickungen.htm