Ausschaffungsdeal mit Afghanistan, Asylcamps als Businessmodell, Frontex und die Rüstungslobby

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Migrationsabkommen mit Afghanistan offenbart die Ausschaffungspläne der EU | Griechenland: Unterbringung geflüchteter Menschen als Geschäftsmodell | Lobbying zwischen Frontex und der Rüstungsindustrie aufgedeckt | Feuer in der Napier-Kaserne nach weiterer Anordnung der Selbstisolation | UNO-Migrationspakt “im Interesse der Schweiz” – Was heisst das? | 2020: Mehr Waffenbesitz und rechte Gewalt | Asylstatistik 2020: Wieviele Menschen wurden ausgeschafft? | Gran Canaria: Aufruf zu Hetzjagden auf Geflüchtete | Lübcke-Mörder schuldig gesprochen, mutmasslicher Mittäter freigesprochen | Petition ShutDown ORS | Praktische Informationen, um die Zustände in den Bundesasylcamps zu bekämpfen I Weshalb die Initiative für ein Verhüllungsverbot zutiefst rassistisch ist I Rassismus-Strafnorm I Österreich: Massive Proteste gegen die Abschiebung Minderjähriger | Besetzte Kirche in Brüssel

Was ist neu?

Migrationsabkommen mit Afghanistan offenbart die Ausschaffungspläne der EU

Bis zu 500 Menschen pro Monat sollen mit einem neuen Migrationsabkommen nach Afghanistan abgeschoben werden dürfen. Gleichzeitig rät das Auswärtige Amt aufgrund der Gefährdungslage im Land von jeglichem Aufenthalt ab.
Die EU steht kurz davor, ein (informelles) Abkommen zur sog. Migrationszusammenarbeit mit Afghanistan zu verabschieden. Obwohl gerade die Asyl- und Abschiebepraxis in Bezug auf Afghanistan oft bis weit aus der sogenannten politischen Mitte in der Kritik steht, benennt das zwölfseitige Dokument unverhohlen, was sich die EU unter Migrationszusammenarbeit mit Afghanistan vorstellt: «Irreguläre» Migration aus Afghanistan stoppen und – weit detaillierter ausgeführt im Dokument – die Möglichkeit von Zwangsausschaffungen nach Afghanistan wieder erleichtern. Das Abkommen regelt zu grossen Teilen die Zuständigkeiten für Identitätsabklärung und Beschaffung von Reisedokumenten, damit Ausschaffungen reibungslos durchgeführt werden können.
Einige Auszüge aus dem Abkommen: «Die EU und die Regierung Afghanistans beabsichtigen, eng zusammenzuarbeiten, um eine würdige, sichere und geordnete Rückkehr afghanischer Staatsangehöriger nach Afghanistan zu organisieren, die die Voraussetzungen für einen Aufenthalt in der EU nicht erfüllen.» Eine Zwangsausschaffung mit vorgehender Internierung in einem Ausschaffungsgefängnis und unter Einsatz von Fesselung als «würdige und sichere Rückkehr» zu bezeichnen, ist vollkommen heuchlerisch.
Weiter heisst es im Abkommen: «Zur Erleichterung der Rückführung […] afghanischer Staatsangehöriger können die EU-Mitgliedstaaten Linien- oder Nichtlinienflüge zum Flughafen Kabul und zu allen anderen angegebenen afghanischen Flughäfen […] nutzen, einschliesslich gemeinsamer Flüge zur Rückführung afghanischer Staatsangehöriger aus mehreren EU-Mitgliedstaaten, die von Frontex organisiert und koordiniert werden. Alle EU-Mitgliedstaaten können sich an gemeinsamen Rückführungsaktionen mit Sonderflügen beteiligen. Im Falle von Sonderflügen werden die EU-Mitgliedstaaten die Flugdaten (mit einer Höchstzahl von 50 Rückkehrern pro Flug, eine Zahl, die im Einvernehmen mit der afghanischen Regierung erhöht werden kann) und die personenbezogenen Daten der betreffenden Rückkehrer […] drei Wochen vor dem Rückreisedatum übermitteln. […] Die Höchstzahl der unfreiwilligen Rückkehrer ist auf 500 Personen pro Monat begrenzt, eine Zahl, die nach vorheriger Absprache erhöht werden kann.»
Eine Passage des Dokuments sticht besonders hervor: «Die EU-Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass von Afghanistan rückübernommene Personen, bei denen sich später herausstellt, dass sie keine afghanischen Staatsangehörigen sind, von dem betreffenden EU-Mitgliedstaat wieder aufgenommen oder in ihr Herkunftsland ausgeschafft werden.» Hauptsache, die Menschen wurden nach Afghanistan ausgeschafft. Egal, ob sie noch nie in ihrem Leben dort waren, keine Personen dort kennen, kein soziales Netz dort besitzen.
Das Dokument regelt weiter die «Pflichten» der EU und Afghanistans gegenüber den zwangsausgeschafften Personen. Diese beinhalten Übernahme der Flugkosten, ausführliche Information der betroffenen Person über ihre Situation und finanzielle Unterstützung für die «Wiedereingliederung» in Afghanistan. Ob die EU selbst diese minimalen Anforderungen einhalten wird, sei dahingestellt. Gerade bei der Zwangsausschaffung nach Äthiopien von letzter Woche zeigte sich, wie wenig sich beispielsweise die Schweiz um solche Standards schert. Von mindestens einer der zwangsausgeschafften Personen ist bekannt, dass sie bis zum Moment im Flugzeug nicht wusste, was ihr gerade angetan wird. Und in Äthiopien erhielt sie statt der öffentlich kommunizierten CHF 1000.- gerade mal 100.- (siehe «Bericht der Zwangsausschaffung vom 27. Januar 2021» in der Rubrik Lesenswert).
Das Dokument zeigt unmissverständlich, dass die EU in den nächsten Jahren ihre Abschiebepolitik nach Afghanistan intensivieren will. Es muss in Zukunft wieder vermehrt mit dem Risiko gerechnet werden, dass Menschen nach Afghanistan ausgeschafft werden. In ein Land mit einer äusserst prekären Sicherheitslage. In ein Land, in dem tausende Menschen täglich verfolgt oder getötet werden. In ein Land, für das sich die Reisehinweise des EDA für Schweizer*innen wie folgt lesen:«Von Reisen nach Afghanistan und von Aufenthalten jeder Art wird abgeraten. Die Sicherheit ist nicht gewährleistet: Es besteht das Risiko von schweren Gefechten, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen, Entführungen und gewalttätigen kriminellen Angriffen einschliesslich Vergewaltigungen und bewaffneter Raubüberfälle. In verschiedenen Landesteilen bekämpfen die afghanischen Sicherheitskräfte Verbände der Taliban und anderer bewaffneter Gruppierungen. Im Osten des Landes sind Kämpfer aktiv, die sich zum «Islamischen Staat» bekennen. Die Kämpfe fordern zahlreiche Opfer. Allein im Jahr 2018 sind laut der UNO-Mission in Afghanistan (UNAMA) 3804 Zivilisten getötet und 7189 verletzt worden. […]» Auch wenn die Mächtigen der EU alles daran setzen werden, ihre menschenverachtenden Pläne umzusetzen: Setzen wir uns alle dafür ein, dass kein Mensch unfreiwillig in ein solches Umfeld zurückgebracht wird.
https://www.statewatch.org/media/1801/eu-council-joint-declaration-afghanistan-5223-21-add1.pdf
https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/afghanistan/reisehinweise-fuerafghanistan.html

https://i0.gmx.ch/image/566/33969566,pd=3/abschiebeflug-afghanistan.jpg

Griechenland: Unterbringung geflüchteter Menschen als Geschäftsmodell

Die dubiose NGO Hopeland hat von der griechischen Regierung einen Auftrag in Millionenhöhe erhalten, um Wohnraum für geflüchtete Menschen zu schaffen. Ein Gerichtsurteil in NRW untersagt derweil die Rückführung nach Griechenland trotz dort vorhandenem Schutzstatus.
Seit Jahren versucht der griechische Staat Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bei ihrer Arbeit im Asylbereich zu behindern. Nun hat eine neu entstandene NGO namens Hopeland einen Auftrag über mindestens 6,5 Millionen Euro erhalten, um Wohnungen für geflüchtete Familien und Angehörige von Risikogruppen bereit zu stellen. Für deren Unterbringung erhält Griechenland von der Europäischen Kommission 125 Millionen Euro. Diese Gelder wurden bisher vom Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) verwaltet. Es vergab Aufträge an NGOs, die sich auf Flüchtlingshilfe spezialisiert haben. Diesen hat die griechische Regierungspartei den Kampf angesagt. Und gleichzeitig nun ein eigenes Geschäftskonzept entdeckt.
Im neuen Wohnungsprogramm ESTIA II werden die europäischen Hilfsgelder nicht mehr über die Verwaltung vom UNHCR sondern direkt vom Ministerium für Migration und Asyl verteilt. Der Journalist Stavros Malichudis hat für die Internetplattform wearesolomon.com recherchiert, an welche Organisationen diese Gelder fliessen. Die Ausschreibungskriterien wurden dabei so lange abgeändert, bis die gewünschte Organisation den Zuschlag erhalten konnte. Hopeland wurde erst am 22. September 2020 gegründet. Durch die Verwendung der Steuernummer einer alten, inaktiven NGO einer der rechtskonservativen Partei Nea Dimokratia nahe stehenden kommunalen Wählergruppe, konnte die neue NGO direkt nach der Gründung auf eine in der Ausschreibung vorgeschriebene mehrjährige Tätigkeit verweisen. Nea Dimokratia arbeitet mit einer harten Politik der Abschreckung gegen geflüchtete Menschen. Politiker*innen der Partei fallen immer wieder mit rassistischen Aussagen auf.
Malichudis fand zudem heraus, dass die Schlüsselpositionen bei Hopeland mit komplett fachfremdem Personal besetzt sind. Und dass zur Unterbringung hauptsächlich AirBnB-Wohnungen angemietet wurden. Seine Recherchen lassen insgesamt vermuten, dass die NGO mit der Unterbringung geflüchteter Menschen vor allem Geld verdienen will. Für die betroffenen Migrant*innen verheisst dies nichts Gutes. Die Vorgänge rund um Hopeland sind abscheulich. Doch sie sind nur ein kleiner Auswuchs des gesamten menschenfeindlichen Asylsystems in Europa.
Auch darum ist der Entscheid erwähnenswert, welcher das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Nordrheinwestfalen (Deutschland) fällte. Es entschied, dass in Griechenland anerkannte Schutzsuchende derzeit nicht rückübergestellt werden dürfen, da „generell die ernsthafte Gefahr besteht, dass sie im Falle ihrer Rückkehr dorthin ihre elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) für einen längeren Zeitraum nicht befriedigen können.“ Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hatte die Asylanträge eines Eritreers und eines aus Syrien stammenden Palästinensers zuvor als unzulässig abgelehnt, da beide bereits in Griechenland internationalen Schutzstatus erhalten hätten. Das OVG schrieb in seiner Begründung, dass bei einer Rückführung die „ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung drohe“ und sie „für einen längeren Zeitraum weder eine Unterkunft noch eine Arbeit“ finden könnten.
Bemerkenswert ist dieses Urteil, weil es die zu erwartenden Lebensumstände der betroffenen Menschen realistisch berücksichtigt. Die meisten Gerichte entziehen sich in diesem Punkt ihrer Verantwortung und verweisen in ihren Urteilen auf „allgemeine Lagebeurteilungen“ welche fernab jeder Realität sind. Die reichen Länder Westeuropas haben mit den aktuellen Asylgesetzen (zum Beispiel dem Dublin-Verfahren) die komplette Verantwortung an Erstankunftsländer wie Griechenland oder Italien ausgelagert, nachdem sie diese zuvor mit ihren EU-Haushalt-Sparpaketen gedemütigt haben. Das Urteil schürt zumindest ein wenig Hoffnung, dass dieser Bumerang nun zurückfliegt.

https://wearesolomon.com/mag/society/millions-in-funding-at-stake-for-refugee-housing/https://www.ovg.nrw.de/behoerde/presse/pressemitteilungen/09_210126/index.phphttps://www.heise.de/tp/features/Wenn-Abschreckung-selbst-zum-Fluchtgrund-wird-5041314.html

https://heise.cloudimg.io/width/1050/q75.png-lossy-75.webp-lossy-75.foil1/_www-heise-de_/tp/imgs/89/3/0/4/8/1/8/1/Interior_main_building_Thessaloniki_port_refugee_camp-08d35f90c74e6e84.jpeg
Geflüchtetenunterkunft in Thessaloniki

Lobbying zwischen Frontex und der Rüstungsindustrie aufgedeckt

Entgegen eigener Aussagen führte Frontex in den vergangenen Jahren zahlreiche Lobbyveranstaltungen mit der Rüstungsindustrie durch. Im Fokus stehen die Aufrüstung der Behörde mit Waffen, Überwachungssystemen und Fahrzeugen. Dabei bleiben Transparenz und Einhaltung europäischer Richtlinien auf der Strecke.
“Frontex trifft sich nicht mit Lobbyisten.” – Das sagte die europäische Grenzagentur Frontex im Januar. Nun veröffentlichte das ZDF eine umfangreiche Recherche, die ein ganz anderes Bild zeichnet. 16 Lobbytreffen gab es allein zwischen 2017 und 2019 mit privaten und staatlichen Akteur*innen. Das veröffentlichte Material stammt von Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz der Europäischen Union. Es umfasst 142 Dokumente zu 16 Meetings, darunter Programme, Teilnehmer*innenlisten, Präsentationen und Werbekataloge.
Die Grössen der Rüstungsindustrie präsentierten auf diesen Treffen ihre Portfolios, darunter Airbus, Heckler&Koch und Glock. Auf der Liste der staatlichen Akteur*innen, die Staatsvertreter*innen aus Ländern innerhalb und ausserhalb der EU aufführt, finden sich auch die Schweiz und die Zürcher Kantonspolizei. Die Präsentationen tragen Titel wie “The Problem – Migrants” (dt. “Das Problem sind Migrant*innen”), und preisen den “Focus on User Experience” (dt. “Fokus auf die Benutzerfreundlichkeit”) von Waffen und Überwachungssystemen an. Ein viel gefragtes Thema an den Lobbytreffen waren Sammlung, Nutzung und Speicherung biometrischer Daten. Sie könnten es zukünftig erlauben, Menschen unabhängig von ihren Papieren zu identifizieren und damit Pässe überflüssig machen.
Die Menschen, die an den EU-Aussengrenzen die Folgen der Frontex-Aufrüstung zu spüren bekommen, werden in den verwendeten Dokumenten durchgehend entmenschlicht und als “Bedrohung” und “Objekte” dargestellt, die man eben “managen” müsse. Diese Sprache ist eine Grundlage für die real stattfindende Gewalt gegenüber Menschen auf der Flucht. Es wird von den teilnehmenden Firmen als legitim betrachtet, Menschen auch gewaltsam von Grenzen zurückzudrängen, sobald ihnen zugeschreiben wird, eine Gefährdung für den dahinter liegenden Staat zu sein. Für Frontex scheint es weiterhin eine praktikable Lösung, über dem Mittelmeer Flugzeuge und Drohnen einzusetzen, anstatt Schiffe, die Menschen retten könnten. Somit entzieht sich die europäische Agentur für Grez- und Küstenwache ihrer Verpflichtung und Verantwortung und überträgt sie der sogenannten libyschen Küstenwache.
Verwunderlich ist es zuerst einmal nicht, dass Frontex in umfangreichem Austausch mit privaten und staatlichen Akteur*innen steht. Der Agentur steht ein wachsendes Budget von elf Milliarden Franken in den nächsten sechs Jahren zur Verfügung. Davon soll unter anderem eine “stehende Reserve” von 10’000 Beamt*innen aufgebaut werden, die mit Handfeuerwaffen ausgerüstet werden sollen. In technische Ausrüstung wie Überwachungssysteme, Fahrzeuge, Flugzeuge und Drohnen wird ebenfalls stark investiert. Brisant ist einerseits die Tatsache, dass diese EU-finanzierte Agentur ihr Handeln nicht transparent macht. Weder waren bei den Treffen externe Beobachter*innen anwesend, noch legte Frontex das schon vor zwei Jahren von der EU geforderte Transparenzregister vor. Für vieles, was Frontex plant oder auch aktuell schon nutzt, gibt es keine oder ungenügende rechtliche Grundlagen. Mitarbeiter*innen von Frontex dürfen nach geltendem Recht keine Schusswaffen tragen. Der Einsatz von Gesichtserkennungstechnologien ist in der EU sehr umstritten und rechtlich noch nicht ausreichend geregelt. Es ist mindestens fahrlässig, eher jedoch kriminell, einer Behörde immer mehr Befugnisse und Gelder zuzusprechen, die wie eine private Vetternwirtschaft funktioniert, welche Menschenrechte missachtet und Menschenleben gefährdet. Solange Informationen zurückgehalten und juristische Ermittlungen durch Frontex-Chef Leggeri selbst behindert werden, bleibt diese immer mächtiger werdende Agentur völlig ausser Kontrolle.
Bild: Wer handelt hier illegal? Darstellung der Flucht von Menschen als Straftat auf den Meeren; Auszug aus einer Präsentation an einem Frontex-Lobbytreffen. https://corporateeurope.org/en/lobbying-fortress-europe
https://frontexfiles.eu/https://corporateeurope.org/en/lobbying-fortress-europe

Feuer in der Napier-Kaserne nach weiterer Anordnung der Selbstisolation

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In der Napier-Kaserne in der Nähe von Folkestone in Kent brach in einem der Blöcke ein Feuer aus und löste Panik unter den etwa 400 dort untergebrachten Menschen aus. Vierzehn Männer wurden im Zusammenhang mit dem Feuer verhaftet, da die Polizei in Kent von Brandstiftung ausgeht.
Am gleichen Tag hatten die Bewohner laut Cair4Calais einen unpersönlichen Brief des Campbetreibers  Clearsprings erhalten. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie sich in neuen Gruppen für weitere 10 Tage isolieren müssten. Im Januar hatten sich mindestens 120 Menschen im Camp mit Corona infiziert. Im Bericht heisst es: “Da viele Menschen immer noch an Covid erkrankt waren und kaum eine Behandlung erhalten hatten, löste die Nachricht von den internen Umzügen einen grossen Schock aus. Für diejenigen, die noch nicht infiziert waren, war die Nachricht, dass sie für weitere zehn Tage eingesperrt und gefährdet sein würden, ein Schlag. Sie wurden schon zu lange in dieser militärischen Umgebung gehalten. Sie sagen, sie fühlen sich wie in einem Gefängnis. In dieser Woche sprachen wir mit vielen Bewohnern, die uns sagten, dass der Mangel an Kommunikation und die Verwirrung sehr zur Angst und Spannung im Haus beigetragen haben. In ständiger Angst vor Covid zu leben ist schon schlimm genug. Ein Brief wie dieser ist ein weiteres Beispiel für schlechte Kommunikation und mangelnde Sorgfalt seitens des Managements, das den Anstand hätte haben können, mit den Menschen über eine so ernste Angelegenheit zu sprechen.” Cair4Calais kennt viele der Campbewohner aus deren Zeit in Frankreich und steht mit einigen in persönlichem Kontakt.
Seit dem Brand wurden Heizung und Strom in fast allen Baracken abgestellt. Erkrankte und gesunde Personen müssen frieren. Auch die Trinkwasservorräte wurden nicht aufgefüllt. Der Forderung nach besseren Bedingungen im Camp verlieh bereits ein grosser Hungerstreik im Januar Nachdruck. Ein beratender Bericht für die britische Regierung zum weiteren Umgang mit den Kaseren empfahl die Schliessung dieser Asylunterkunft. Er fand zahlreiche kritische Punkte. Darunter beispielsweise den Fall einer Person, die 11 Mal um medizinische Hilfe bat, bevor ihr diese gewährt wurde. Oder eine weitere Person, welche 20 Tage lang unter Schmerzen wartete, bevor sie von einem Arzt gesehen wurde. Fast die Hälfte der Bewohner (44%) gaben an, dass sie sich in der Kaserne unsicher fühlten. Einige hatten Todesdrohungen erhalten und  waren von rechtsgerichteten Demonstrant*innen rassistisch beschimpft wurden.
Allein die Tatsache, dass es sich um nicht-weisse, geflüchtete Menschen handelt, genügt der britischen Regierung als Rechtfertigung für menschenunwürdige Unterbringung, Gesundheits- und Lebensgefährdung. Auch dieses Lager muss umgehend evakuiert werden.
https://care4calais.org/news/fire-breaks-out-at-napier-barracks-as-residents-ordered-to-self-isolate/
https://www.theguardian.com/uk-news/2021/jan/31/asylum-seekers-dire-conditions-kent-napier-barracks-fire

Was geht ab beim Staat?

UNO-Migrationspakt “im Interesse der Schweiz” – Was heisst das?

Im Dezember 2018 hat die UNO einen Migrationspakt verabschiedet. Der Bundesrat ist überzeugt von den Instrumenten des Migrationsmanagements, die der Pakt stärken will: „Die Zielsetzungen des Migrationspakts stimmen mit den Schwerpunkten der Schweizer Migrationspolitik überein.“ Nicht Europa, sondern Herkunfts- und Transitstaaten werden dabei besonders in die Pflicht genommen.
Die frisch verabschiedete Botschaft des Bundesrates liest sich wie die SWOT-Analyse einer Firma. Der Migrationspakt sei eine Chance, weil er einen Beitrag zu den Stärken der Schweiz leiste, wie „wirtschaftlichem Wohlstand, gesellschaftlicher Innovation und kultureller Vielfalt“. Damit Migration die nationalen Interessen aber nicht schwäche, brauche es ein international koordiniertes Migrationsmanagement. Sonst könne es „zu sozialen Spannungen, wirtschaftlichen Kosten und menschlichen Tragödien führen“. Nicht wegen der rassistischen, nationalistischen Politik der Staaten in den kapitalistischen Zentren. Nein, wegen der Herkunftsstaaten und Transitstaaten auf den Migrationsrouten. Diese Staaten hätten Defizite.seien laut Bundesrat „ungenügend gerüstet, um irregulären Migrationsbewegungen vorzubeugen. (…) Eine Vielzahl der aktuellen migrationspolitischen Herausforderungen der Schweiz, z.B. im Rückkehrbereich, rühren von inadäquaten Systemen und nicht vorhandenen Kapazitäten auf der Seite der Herkunftsländer her.“ Genau diese Schwäche behebe der Pakt, indem er Herkunfts- und Transitstaaten in die Pflicht nehme.
Eine weltweit koordinierte Migrationspolitik im “Interesse der Schweiz” sei nicht zuletzt angesichts der Corona-Pandemie wichtig geworden, spinnt der Bundesrat weiter. Die Krise in den kapitalistischen Zentren wie Europa werde „zu einem geringeren Bedarf an ausländischen Arbeitskräften führen und somit zu einer Reduktion der regulären Arbeitsmigration.“ Gleichzeitig werde die Krise in der Peripherie „zu geringeren Perspektiven und zu weniger sozialer Sicherheit führen. Diese Faktoren gehören zu den Kernursachen irregulärer Migration. (…) Zudem kann die globale Wirtschaftskrise zu sozialen Spannungen und bewaffneten Konflikten führen (Ressourcenknappheit, Perspektivenlosigkeit bei Jugendlichen etc.), die wiederum Ursachen von Flucht darstellen“. Der Bundesrat schlussfolgert aber nicht, dass der freie Personenverkehr und die Stärkung der Rechte aller statt weniger Menschen gefördert werden sollten. Im Gegenteil: Durch ein „integriertes, sicheres und koordiniertes Grenzmanagement” auf das der Pakt hinausläuft, sollen die Herkunfts- und Transitstaaten zusammen mit den wohlhabenden Zielstaaten der Migrant*innen die Abschottung der kapitalistischen Zentren gegen deren globale Peripherie verwalten.Hierfür sollen z.B. alle ihre „Daten als Grundlage für eine Politikgestaltung“ zur Verfügung stellen. Denn: „Die Verbesserung der Datenlage in Herkunftsregionen sowie entlang wichtiger Migrationsrouten ist (…) im Interesse der Schweiz“. Auch sollen Migrant*innen „über ausreichende Dokumente verfügen”, was „einem direkten Interesse der Schweiz im Rückkehrbereich“ entspreche. Besonders begrüsst der Bundesrat die im Pakt verankerten Instrumente zur Externalisierung der europäischen Aussengrenzen wie auch der Asylverfahren: „Damit können auch schutzbedürftigen Personen möglichst rasch Schutz und Betreuung gewährt und damit der Weiterwanderung der Schutzsuchenden vorgebeugt werden.“ Wer dann trotzdem weiterreist, soll auch ordentlich Repression erhalten dürfen, findet der Bundesrat und sieht einzig beim Ziel „Freiheitsentziehung bei Migrantinnen und Migranten nur als letztes Mittel“ ein Problem beim Pakt. Es „müsste präzisiert werden, dass die Anordnung der Administrativhaft für Minderjährige über 15 Jahren in der Schweiz weiterhin zulässig ist“. Schliesslich soll ja nicht ein weiteres Ziel „einer sicheren und würdevollen Rückkehr und Wiederaufnahme“ durch die Herkunftsstaaten beeinträchtigt werden. „Dieses Ziel bekräftigt, zum ersten Mal in einem verabschiedeten UNO-Dokument, explizit die völkerrechtliche Verpflichtung der Staaten, ihre eigenen Staatsangehörigen wiederaufzunehmen“, jubiliert der Bundesrat. Als letzten Schliff gewähren die Zielländer den Herkunftsstaaten, dass Migrant*innen „schnellere, sicherere und kostengünstigere Rücküberweisungen“ von Geld an ihre Familien und Bekannten tätigen können, dass ihre Diplome anerkannt werden sollen und dass sie ab einem gewissen Alter „Sozialversicherungs- und erworbene Leistungsansprüche“ auch im Herkunftsstaat beziehen können. Im Pakt wird auch die Kopplung von sog. Entwicklungszusammenarbeit und die Bekämpfung von Flucht- und Migrationsursachen unterstrichen. Aber: „Der UNO-Migrationspakt ändert nichts an der Praxis, dass Menschen, die aufgrund von Naturkatastrophen, der Auswirkungen des Klimawandels oder aufgrund von Umweltzerstörungen ihre Heimat verlassen müssen, nicht als Flüchtlinge anerkannt werden“.
Rechtlich ist der UNO-Migrationspakt nicht verbindlich. Er ist nur eine Verhaltensvorgabe und daher vor allem ein Druckmittel gegen verhandlungsschwache Staaten. Als nächstes wird das Parlament beraten, bevor der Bundesrat abschliessend und alleine über die Zustimmung entscheiden wird.
https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/65149.pdf
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-82217.html

https://www.derbund.ch/jetzt-beginnt-das-feilschen-um-den-uno-migrationspakt-563103430983
https://www.derbund.ch/so-will-cassis-den-uno-pakt-doch-noch-durchboxen-499500311520

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Was ist aufgefallen?

2020: Mehr Waffenbesitz und rechte Gewalt

23’080 rechtsextreme Straftaten, 1’200 Rechtsextremist*innen mit Waffenbesitz, 1’054 rechte Gewalttaten, 307 Verletzte, 9 Tote, 6 Haftbefehle. Die deutsche Kriminalstatistik zu rechts-politisch motivierter Kriminalität (PMK) des Jahres 2020 liefert eine klägliche Bilanz.
Eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag ergibt: Die sog. Sicherheitsbehörden wussten im Jahr 2020 von knapp 1’200 Rechtsextremist*innen, die Waffen besitzen. Das entspricht einem Anstieg von 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Neben der tatsächlich steigenden Bedrohung von rechts und dem Zuwachs in der rechten Szene führen die sog. Sicherheitsbehörden den Anstieg auch auf Neuerungen im Waffengesetz zurück, sowie darauf, dass sie die rechte Szene angeblich stärker im Fokus hätten. Nicht nur rechte Waffenbesitzer*innen haben 2020 zugenommen, sondern auch rechte Straftaten. 23’080 Delikte meldete die deutsche Polizei bisher. 700 mehr als im Jahr zuvor. Zudem wird davon ausgegangen, dass noch weitere Zahlen in die Statistik einfliessen werden. Somit könnte 2020 der Höchststand erreicht werden, seitdem 2001 die Kategorie Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) bei der Erfassung der Kriminalstatistik eingeführt wurde. Der Anstieg rechter Straftaten wird von Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) mit dem herrschenden politischen und gesellschaftlichen Klima begründet, welches durch die Corona-Krise noch verstärkt würde. Das Zeigen des Hitlergrusses, Bedrohung, Volksverhetzung und Sachbeschädigung fallen ebenso unter die registrierten Delikte, wie Körperverletzung, Mord und Terrorismus. Letztere werden in den 1’054 Gewalttaten zusammengefasst, welche im Vergleich zu 2019 um 68 Taten anstiegen. 307 Menschen wurden bei rechten Angriffen verletzt. Die neun Toten rechtsextremer Gewalt, welche im Jahr 2020 gezählt wurden, sind die Opfer des Anschlags in Hanau. Am 20. Februar hatte der rechtsextreme Tobias Rhatjen neun Menschen erschossen.
Die Polizei ermittelte 2020 knapp 6’000 Tatverdächtige, von denen 61 festgenommen wurden und lediglich 6 (!) einen Haftbefehl erhielten. Im Angesicht dieser horrenden Diskrepanz von Delikten und Haftbefehlen scheint sich die Vermutung, die sog. Sicherheitsbehörden seien auf dem rechten Auge blind, einmal mehr zu bestätigen. Auch die milden Strafen, welche am Donnerstag gegen Mitglieder der rechtsextremen Terrorvereinigung “Gruppe Freital“ vom Oberlandesgericht Dresden verhängt wurden, zeugen davon. Nachdem die Rechtsextremist*innen 2015 mehrere Sprengsätze u.a. in Aslycamps gezündet hatten, waren der Anführer der Gruppe und sieben weitere Mitglieder in einem ersten Prozess im März 2018 zu Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren verurteilt worden. In einem zweiten Prozess gegen weitere Mitglieder und eine Mithelferin wurden nun lediglich eine kurze Haftstrafe und mehrere Bewährungsstrafen verhängt.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-02/rechtsextremisten-waffenerlaubnis-sicherheitsbehoerden-anstieg-anfrage-linksfraktion
https://www.tagesspiegel.de/politik/kriminalitaet-von-neonazis-eskaliert-rechte-straftaten-erreichen-offenbar-neuen-hoechststand/26883576.html

Asylstatistik 2020: Wieviele Menschen wurden ausgeschafft?

Das SEM hat einen statistischen Rückblick auf die Jahreszahlen zum Asylregime veröffentlicht. Der Tabelle „Asyl: Ein- und Austritte“ ist zu entnehmen, dass trotz Corona 232 Personen in nicht-europäische Staaten und 513 Personen in europäische bzw. „Dublin“-Staaten abgeschoben wurden.
Sogenannte „kontrollierte, selbstständige Ausreisen“ gab es 762. Das sind Personen, die teilweise vor ein Linienflugzeug gefahren und vor Ort unter Druck gesetzt werden, „freiwillig“ einzusteigen, um der Zwangsabschiebung zu entkommen. Die grösste Gruppe der „Austritte aus der Asylstatistik“ bilden erneut Menschen, die untertauchten bzw. offiziell als „unkontrollierte Abreisen“ verbucht wurden. 3340 Personen waren es 2020.

Wie Menschen aus der SEM-Statistik verschwinden.

In den vergangenen fünf Jahren hat die schweizer Ausschaffungsmaschine 25’565 Menschen zwangsausgeschaft. 33.474 tauchten unter.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-82180.html

https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-82242.html

https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/auslaenderstatistik-migration-pandemie-wirkt-sich-auf-die-zu-und-auswanderung-aus-ld.2094644

Gran Canaria: Aufruf zu Hetzjagden auf Geflüchtete

In Chatgruppen organisieren sich auf den kanarischen Inseln Menschen zu Hassverbrechen gegen Geflüchtete. Eine der Ursachen ist die Abschottungsstrategie der spanischen Zentralregierung. Diese will die geflüchteten Menschen auf den Inseln statt auf das europäische Festland lassen. Und lässt damit die Inseln im Umgang mit tausenden neu ankommenden Menschen allein.
Die Staatsanwaltschaft von Las Palmas hat wegen möglicher Hassverbrechen Untersuchungen gegen Mitglieder von WhatsApp-Chatgruppen eingeleitet, in denen sich Menschen zur Gewalt gegen Migrant*innen organisierten. Im Zentrum der Ermittlungen stehen mehrere Nachrichten, in denen dazu aufgefordert wurde, im Süden Gran Canarias Migrant*innen anzugreifen, die in einer Tourismusunterkunft untergebracht sind.
Rund um verschiedene Unterkünfte kam es in den vergangenen Wochen zu Angriffen. Darunter Beschimpfungen, Steinwürfe, Schreckschüsse, Schlägereien und sogar Messerangriffe auf dort untergebrachte Personen. Einige Menschen berichten, dass sie sich nicht mehr aus den Unterkünften trauen, seit selbstorganisierte gewalttätige Gruppen bestimmte Gebiete als “ihr Revier” ausgerufen haben, das sie nun “verteidigen” wollen. Die Angreifer*innen bezeichnen in fremdenfeindlicher Rhetorik die ankommenden Menschen als “Invasion” und reproduzieren stereotype Bilder bis hin zu Verschwörungserzählungen, nach denen beispielswiese die Menschen auf der Flucht “getarnte Krieger des marokkanischen Königs” seien.
Im vergangenen Jahr kamen 23’000 Menschen auf den kanarischen Inseln an. Da sich die spanische Regierung strikt weigert, sie aufs Festland zu lassen, werden die Inseln zu einem Gefängnis für die  ankommenden Menschen. Sie bleiben über Monate hinweg ohne Aussicht auf Asyl und ohne Perspektive auf Weiterreise und Arbeit. Viele beschreiben, dass sie sich auf den Inseln “abgestellt” fühlen. Einzig diskutiert wird ihre Unterbringung, die sich abhängig von den Kapazitäten nach und nach von Hotels in prekäre Zeltcamps verschiebt. Nachdem der Tourismus coronabedingt im vergangenen Jahr auch auf den Kanaren eingebrochen ist, wurde das Bild von geflüchteten Menschen in Hotels von den Medien instrumentalisiert. Auch rechte Parteien nutzen Fake-Bilder, auf denen geflüchteten Menschen auf “Kosten ihrer Steuergelder in Hotelpools schwimmen” dürften, um diese Stimmung anzuheizen. Mithilfe von hetzerischem Sprachgebrauch wird Hass geschürt, für den ein Teil der Bevölkerung empfänglich ist. Während klar ist, dass die spanische Regierung Lösungen für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Locals wie auch für einen menschenwürdigen Umgang mit Geflüchteten finden muss, richten sich Frustration und Hass gegen die neu ankommenden Menschen auf der Insel. Wichtig ist zu betonen, dass diese Stimmung nicht die Mehrheitsmeinung der lokalen Bevölkerung ist. Viele der vergangenen Demonstrationen richteten sich explizit gegen die Politik der spanischen Zentralregierung. Viele Menschen auf den Inseln handeln solidarisch mit den geflüchteten Personen. 
Die aktuelle Strategie der spanischen Regierung wird zu keiner nachhaltigen Lösung führen. Während sie auf Abschreckung setzt, kommen fast täglich weitere Menschen an. Im Januar diesen Jahres waren es 2’000 Überlebende der gefährlichen Flucht über den Atlantik. Zahlreiche Boote werden leer an die Strände der Inseln gespült.
https://english.elpais.com/spanish_news/2021-02-01/tension-rising-in-spains-canary-islands-over-irregular-immigration.html?utm_medium=Social&utm_source=Twitter&ssm=TW_CM_EN#Echobox=1612179586https://www.srf.ch/news/international/kanarische-inseln-die-spanische-migrationspolitik-ist-in-der-zwickmuehlehttps://jungle.world/artikel/2021/04/hass-statt-hochsaison
https://www.dw.com/de/migration-frust-und-gewalt-auf-gran-canaria/a-56460195

https://jungle.world/sites/default/files/styles/article_wide/public/2021-01/1024-683-max_0.jpg?itok=62oyvAgQ
Geflüchtete Menschen am Kai von Arguineguín


Lübcke-Mörder schuldig gesprochen, mutmasslicher Mittäter freigesprochen

Das Urteil im Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I. ist gesprochen. Während Stephan Ernst zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wird, bekommt sein mutmasslicher Komplize Markus Hartmann nur eine Bewährungsstrafe für Verstösse gegen das Waffengesetz. Für den Angriff auf Ahmed I. gibt es gar einen Freispruch. Der Prozess zeichnet durch die fehlende Einordnung der Tat in die rechtsextreme Szene erneut das Bild eines Einzeltäters.
Am 28. Januar wurde der rechtsextreme Stephan E. vom Oberlandesgericht Frankfurt des Mordes an Walter Lübcke für schuldig befunden. Er wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Der langjährige Neonazi hatte den ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten am 1. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses in Wolfhagen-Istha mit einem Kopfschuss hingerichtet. Dieser Mord reiht sich in eine lange Geschichte rechtsextremer Morde in der Bundesrepublik: Die Amadeo-Antonio-Stiftung zählt mehr als 200 Todesopfer seit 1990.
Von der Anklage des versuchten Mordes an Ahmed I. wurde Stephan E. jedoch freigesprochen. Im Januar 2016 wurde I. vom Fahrrad aus niedergestochen und überlebte schwer verletzt. Bis heute trägt er körperliche und psychische Schäden davon. Die Richter*innen befanden die Teil-DNA-Spuren an einem Messer, das an E.s Wohnort gefunden wurden, als nicht ausreichende Beweise. Ahmed I.s Anwalt Alexander Hoffmann kritisierte nach der Urteilsverkündung, das Gericht habe sich diesbezüglich nicht ausreichend mit den Fragen der Nebenklage befasst.
Auch Stephan E.s mutmasslicher Komplize Markus H. wurde von den Vorwürfen der Beihilfe zum Mord freigesprochen. Die drei Richter*innen sprachen von ‚in dubio pro reo‘ – ‚im Zweifel für den*die Angeklagte*n‘. Und verurteilten ihn lediglich zu einer Bewährungsstrafe wegen Verstössen gegen das Waffengesetz. Stephan E. hatte im Verlauf der Ermittlungen drei verschiedene Geständnisse abgelegt, in denen Markus H. unterschiedlich involviert war. Auch wenn dieser mit ihm Schiessübungen gemacht und ihm zur Waffe verholfen habe, glaubten die Richter*innen der ersten Version des Geständnisses, laut der E. die Tat alleine verübte. Dass mit Markus H. ein weiterer rechtsextremer Mithelfer vor Gericht relativ unbescholten davonkommt, setzt ein falsches Zeichen. Sein wiederholtes zynisches Grinsen im Gerichtssaal zeugt von der Sicherheit, in der H. sich wähnte. Die Staatsanwaltschaft hat bereits Berufung gegen die beiden Freisprüche eingelegt.
Lübcke gelangte vermutlich durch ein Video auf E.s Radar. Dieses wurde von Markus H. gefilmt und zeigt den CDU-Politiker 2015 während einer Informationsveranstaltung über ein Aslycamp in Lohfelden. Dort äusserte er sich gegenüber Pegida-Anhänger*innen, die die Veranstaltung störten, sie könnten doch jederzeit das Land verlassen, wenn sie mit der Asylpolitik nicht einverstanden seien. Markus H. veröffentlichte die Szene im Internet, woraufhin Lübcke Hasskommentaren und Morddrohungen ausgesetzt war. Dass sich das Gericht bewusst dafür entschied, nur die konkreten Tatvorwürfe zu untersuchen und nicht auf E.s und H.s Verbindungen zu rechtsradikalen Netzwerken in Nordhessen einging, ist enttäuschend. E. bewegte sich jahrelang in der rechten Szene, bereits 1989 verübte er einen Brandanschlag auf ein Asyllager. 2009 hatte der Verfassungsschutz seine Beobachtung fallen gelassen, weil sie ihn als nicht mehr aktiv einstuften. Weitere Untersuchungen bezüglich E.s und H.s Verbindungen in die rechte Szene, sowie Behördenversagen im Vorfeld des Mordes soll nun ein Ausschuss des hessischen Landtags anstellen. Doch wie gründlich diese politische Aufklärung vonstatten gehen wird, sei in Frage gestellt.
https://taz.de/Urteil-im-Luebcke-Prozess/!5743619/
https://www.dw.com/de/meinung-kommentar-urteil-mord-walter-l%C3%BCbcke-kassel-rechter-terror/a-56370757?maca=de-rss-de-all-1119-xml-mrss
-> https://taz.de/Urteil-im-Luebcke-Mordprozess/!5748013/
-> https://www.hessenschau.de/panorama/urteil-im-luebcke-prozess-lebenslange-haftstrafe-fuer-stephan-ernst,urteil-stephan-ernst-100.html
-> https://www.derstandard.at/story/2000123684126/lebenslange-haft-fuer-mord-an-deutschem-cdu-politiker-walter-luebcke?ref=rss
-> https://www.derbund.ch/die-gefahr-von-rechts-ist-toedlich-363164769622
-> https://www.derbund.ch/hoechststrafe-fuer-mord-an-deutschem-politiker-839232888331
-> https://jungle.world/artikel/2021/04/kein-interesse-netzwerken
-> https://www.jungewelt.de/artikel/395329.rechter-terror-nur-einer-hinter-gittern.html
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1147587.walter-luebcke-mordhelfer-bleibt-auf-freiem-fuss.html
-> ttps://www.neues-deutschland.de/artikel/1147567.walter-luebcke-stephan-ernst-wegen-mord-am-kasseler-regierungspraesidenten-verurteilt.html
-> https://www.deutschlandfunk.de/nach-urteilen-im-luebcke-mordprozess-jetzt-muss-die.720.de.html?dram:article_id=491666
-> https://www.tagesschau.de/inland/analyse-zum-luebcke-prozess-101.html
-> https://www.tagesschau.de/kommentar/kommentar-luebcke-prozess-101.html

Rassismus Strafnorm ausgewertet

25 Jahre nach der Einführung der Rassismus-Strafnorm im Strafgesetzbuch (Artikel 261bis / Diskriminierung und Aufruf zu Hass) hat die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) die ca. 1000 Gerichtsurteile, die in diesem Rahmen gefällt wurden, ausgewertet.
In ihrem Bericht konstatiert die EKR mehreres: Zum Beispiel, dass die Strafnorm die Meinungsäusserungsfreiheit nicht tangiert. Dieser Befund ist besonders interessant, wenn mensch sich daran erinnert, dass im Abstimmungskampf 1994 die SVP eine Kampagne gegen die Strafnorm lancierte, dass diese ein “Maulkorbgesetz” sei.
Eine weitere Erkenntnis der Auswertung zeigt auf, dass die Rechtsprechung bei Leugnung von Völkermord nicht konsequent vorgeht: Da der Holocaust als historische Tatsache anerkannt ist, ist die juristische Behandlung dessen Leugnung klar und es werden “automatisch rassistische Motive sowie eine Herabsetzung der Angehörigen der Ethnie der Opfer angenommen”. Anders ist es aber bei der Leugnung des Völkermords an den Armenier*innen, dem Genozid in Ruanda, der Unterdrückung in Tibet oder dem Massaker in Srebenica: Laut dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind diese nämlich  “keine juristisch anerkannten Tatsachen” und die Leugnung dessen wird weniger streng oder gar nicht verurteilt.
Letztlich merkt die Präsidentin der EKR Martine Brunschwig Graf an, dass die Strafnorm “verbale Attacken gegen Ausländer oder Asylbewerber”, d.h. “Fremdenhass” als Ganzes nicht abdeckt. Für die FDP-Politikerin soll die “Gesellschaft darüber diskutieren, ob man eventuell den Fremdenhass ebenfalls in die Strafnorm aufnehmen sollte”https://www.infosperber.ch/freiheit-recht/justiz/rassistische-sprache-ist-sichtbar-geworden/

Was nun?


#ShutDownORS: Der ORS Service AG kündigen wegen Gesundheitsgefährdung in der Corona-Pandemie

Im Rückkehrzentrum Aarwangen im Kanton Bern ist Covid ausgebrochen. Die minimalistische Betreuung und die unzureichende Infrastruktur der ORS Service AG führten zu einer Gefährdung der geflüchteten Personen im Rückkehrzentrum.
„Stopp Isolation“ (eine Gruppe Menschen mit Asylnegativentscheid), das Migrant Solidarity Network (MSN) und die Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern (djb) fordern in einer Petition:
Die Unterbringung der Menschen aus dem Rückkehrzentrum Aarwangen in einer quarantänetauglichen, menschenwürdigen Einrichtung. Sie soll genügend Raum und sanitäre Einrichtungen bieten, damit die Hygienevorschriften und Abstandsregeln eingehalten werden können. Zugang zu Tests für ALLE Bewohner*innen der Rückkehrzentren im Kanton Bern (inkl. Transport zum Testzentrum). Zugang zu adäquater medizinischer Versorgung für die erkrankten Menschen. Ausrichtung der gesamten Nothilfeleistungen von acht statt vier Franken pro Tag auch während Quarantänezeiten. Durchführung einer unabhängigen Untersuchung über die Unterbringungsbedingungen in von der ORS Service AG betriebenen Zentren im Kanton Bern. Der ORS Service AG das Leistungsmandat für die Führung der Rückkehrzentren im Kanton Bern entziehen.
https://act.campax.org/petitions/shutdownors-der-ors-service-ag-kundigen-wegen-gesundheitsgefahrdung-in-der-corona-pandemie

Praktische Informationen, um die Zustände in den Bundesasylcamps zu bekämpfen

Der Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF), das Betriebskonzept Bundesasylzentren und die augenauf-Broschüre “Deine Rechte” enthalten wichtige Informationen für Menschen in Bundesasylcamps und ihre Verbündeten ausserhalb.
In den Bundesasylzentren leben Menschen, die in der Schweiz Schutz suchen. Doch nach ihrer Flucht unterliegen sie in der Schweiz dermassen starken Freiheitseinschränkungen, dass sogar die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter hinschauen und kontrollieren muss (die NKVF kontrolliert sonst vorwiegend Gefängnisse). Seit der Eröffnung der Bundesasylcamps 2019 besuchte die NKVF gerade mal 8 der 22 Bundesasylcamps und dies zumeist auf Anmeldung und oft nur einmal. Der NKVF werden weder die Zeit noch das Geld zur Verfügung gestellt, wirklich zu kontrollieren. Zudem hat sie keine Macht einzugreifen, um Menschen vor den Behörden, der Polizei, der ORS und vor allem vor den prügelnden Securitas- oder Protectas-Mitarbeitenden zu schützen. Die NKVF darf nur Empfehlungen aufstellen. Leider vertuscht die NKVF diese Schwächen und akzeptiert ihre Alibifunktion. So erstaunt es nicht, dass der Bericht falsch verallgemeinernd und beschönigend schlussfolgert: „Die Unterbringung von asylsuchenden Personen durch den Bund ist nach Einschätzung der Kommission grundsätzlich menschen- und grundrechtskonform“.
Trotzdem liefert der Bericht wichtige Informationen über die theoretisch geltenden Regeln im Bundesasylcamp. Für antira.org sind mindestens die folgenden 10 Punkte wichtig: (1) Das Sicherheitspersonal müsste eine ID-Nummer tragen. (2) Körperdurchsuchungen sollten immer von Personen des gleichen Geschlechts durchgeführt werden. (3) Nur die Campleitung darf Disziplinarmassnahmen wie Taschengeldentzug, Ausgangsverbot, Zentrumsausschluss oder Einsperren im „Besinnungsraum“ anordnen. (4) Solche Strafen sollten den Betroffenen nicht durch die Securitas oder die Protectas, sondern durch die ORS mitgeteilt werden. (5) Zentrumsausschlüsse und Einsperren in den «Besinnungsräumen» müssten gegenüber Betroffenen schriftlich begründet und es sollte auf Beschwerdemöglichkeiten hingewiesen werden. (6) Menschen dürften nicht mehr als zwei Stunden im «Besinnungsraum» eingesperrt werden. (7) Der «Besinnungsraum» soll dazu dienen, asylsuchende Personen (…) bis zum Eintreffen der Polizei sicher unterzubringen. (8) Die Polizei müsste vor dem Einsperren im «Besinnungsraum» alarmiert werden. (9) Minderjährige Asylsuchende dürften im «Besinnungsraum» nicht eingeschlossen werden. (10) Pfeffersprays sollten “nur in äussersten Notfällen und nicht in geschlossenen Räumen“ eingesetzt werden und es müsste danach immer “ein medizinischer Check“ bei betroffenen Personen stattfinden.
Was nun? Lasst uns nicht schweigen zur Gewalt in den Bundesasylcamps. Wer selbst in einem Bundesasylcamp lebt oder wer Menschen kennt, die dort isoliert werden, kann die Einhaltung der Punkte kontrollieren und Probleme dokumentieren und selbstbestimmt bekannt machen. Zudem könnten Probleme immer auch der NKVF oder der Beschwerdestelle, die es laut NKVF in jedem Bundesasylcamp geben sollte, gemeldet werden. Mehr Informationen über die Rechte bzw. die rechtliche Entrechtung von Geflüchteten in den Bundesasylzentren finden sich in der tollen mehrsprachigen Infobroschüre von augenauf (https://www.rights-asylum.ch/) wie auch im SEM-Betriebskonzept für Bundesasylcamps. Darin hält das SEM die unterdrückerischen Abläufe seiner Camps ziemlich genau fest: https://www.plattform-ziab.ch/wp-content/uploads/2020/09/SEM_BEKO_2020.pdf.
https://www.nkvf.admin.ch/dam/nkvf/de/data/Berichte/2020/baz/ber-baz-de.pdf

Weshalb die Initiative für ein Verhüllungsverbot zutiefst rassistisch ist

Am 7. März 2021 können Menschen mit einem Schweizer Pass über die Volksinitiative “Ja zum Verhüllungsverbot” abstimmen. Die Initiative verlangt, «dass in der Schweiz niemand sein Gesicht verhüllen darf. Diese Vorschrift würde an allen öffentlich zugänglichen Orten gelten, also auf der Strasse, in Amtsstellen, im öffentlichen Verkehr, Restaurants, Läden oder in der freien Natur. Ausnahmen wären ausschliesslich in Gotteshäusern und an anderen Sakralstätten möglich sowie aus Gründen der Sicherheit, der Gesundheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums. Weitere Ausnahmen, beispielsweise für verhüllte Touristinnen, wären ausgeschlossen.» Die «Foulards Violets» haben ein Argumentarium zur Ablehnung der Initiative zusammengestellt.
Das Kollektiv setzt sich aus muslimischen und nicht-muslimischen Frauen zusammen. Unabhängig davon, ob sie selbst das Kopftuch tragen oder nicht, stehen sie in Solidarität mit denen, die sich entschieden haben, das Kopftuch zu tragen. Gemeinsam fordern sie die Rechte der Menschen, die diese Entscheidung getroffen haben. Nachfolgend einige Ausschnitte aus den Argumenten:
«Angeblich verfolgt die Initiative mehrere rühmliche Ziele. Wir stellen jedoch fest, dass die Annahme der Initiative keineswegs zur Erreichung der vorgebrachten Ziele beitragen würde, sondern sogar neue Probleme schaffen würde.
Ziel 1:
«Sicherstellung der Mindestanforderungen an ein Leben in Gesellschaft»
– Es ist bereits heute möglich, eine Person aufzufordern, ihr Gesicht zu zeigen, an Orten, wo dies zur Identifizierung notwendig ist.
– Die derzeitige sanitäre Lage zeigt klar auf, dass die Verhüllung von Mund und Nase (das Tragen einer Maske) das gesellschaftliche Leben nicht beeinträchtigt.
Ziel 2:
«Erhalt der öffentlichen Ordnung und Sicherheit»
– Die Mehrheit der Kantone verfügt bereits über Bestimmungen, die die Gesichtsverhüllung an öffentlichen Anlässen, insbesondere sportlichen, verbietet. In der Schweiz trägt zudem nur eine Hand voll Frauen die Burka; die Einführung eines Verfassungsartikels wäre unnötig und nicht proportional.
– In ihren Debatten erwähnten Bundesrat und Parlament das Sicherheitsargument nur im Zusammenhang mit Hooliganismus, nicht mit der Burka.
– Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und der UN-Menschenrechtsausschuss halten fest, dass Sicherheitsbedenken kein generelles Verbot rechtfertigen.
Ziel 3:
«Stärkung von Freiheit und Gleichstellung der Geschlechter»
– Artikel 181 des Strafgesetzbuches stellt Nötigung bereits unter Strafe.
– Stärkt die Initiative wirklich die Gleichstellung der Geschlechter, so wie sie es vorgibt? Nein, die Initiative will die Körper von Frauen kontrollieren und verneint ihre Fähigkeit, selbst zu denken und für sich zu entscheiden. Die Initiative verfällt einem sexistischen und paternalistischen Blick auf die Frauen.
Die Initiative fördert kein einziges der vorgebrachten Ziele. Welches Ziel verfolgt sie tatsächlich? Sie versucht die feministische Bewegung zu spalten. Sie spielt mit Ängsten. Sie will zum zigsten Mal eine Debatte auf dem Rücken von Muslim*innen austragen und sie als Bevölkerungsgruppe stigmatisieren. Sie trägt zur Legitimierung von Islamophobie, Gewalt und Hass bei. Sie führt zu mehr Gewalt und Übergriffen an Frauen, die als Musliminnen erkennbar sind.

Argumente gegen die Initiative
Die Initiative stärkt die Gleichstellung der Geschlechter nicht. Im Gegenteil, sie behindert die Fortschritte der feministischen Bewegung. Sie ist eine sexistische, rassistische, paternalistische und zutiefst anti-feministische Initiative.
– Das Vorurteil, wonach muslimische Frauen, und insbesondere Nikabträgerinnen, unterdrückt und in ihrer Wahlfreiheit eingeschränkt würden, ist stark verankert. Es ist sexistisch und rassistisch zugleich, wird aber von einem Teil der Politiker*innen aufgenommen und instrumentalisiert, um von aufkommenden Emotionen zu profitieren und an Sichtbarkeit zu gewinnen.
– Eine solche Interpretation des Nikabs ist nur möglich, wenn über die Köpfe von muslimischen Frauen hinweg gesprochen wird und ihre Denk- und Handlungsfähigkeit verneint wird. Ihnen wird die demokratische Teilhabe abgesprochen.
– Diese Frauen als unterdrückt zu betrachten und dass sie zu ‘etwas gezwungen worden’ seien, bedeutet, ihnen den Status eines politischen Subjekts abzusprechen. Sie werden damit zu Objekten des politischen Diskurses reduziert. Beides können wir in der Initiative und in der dazugehörigen Debatte beobachten.
– Wer dieses Vorurteil akzeptiert und es benutzt, tendiert dazu, die Situation der Frauen in der Schweiz im Vergleich zu idealisieren, auch wenn diese jeden Tag Lohnungleichheit, Feminiziden und anderen Formen der Unterdrückung ausgesetzt sind. Die Feministinnen in der Schweiz fordern reale Antworten auf ihre Kämpfe.
– Der Vorwand der «Befreiung der Frauen» wurde bereits früher als Rechtfertigung einer politischen Agenda missbraucht (z.B. als die USA die militärische Intervention in Afghanistan moralisch als Befreiung von Burkaträgerinnen zu rechtfertigen versuchte). Frauen und die Kleidung von Frauen dürfen nicht als Rechtfertigung für politische und strategische Ziele missbraucht werden.
Intersektionalität: Muslimische Frauen in der Schweiz erfahren verschiedene Arten von Unterdrückung. Um das Ziel einer gerechteren und solidarischeren Gesellschaft zu erreichen, müssen alle bekämpft werden.
– Muslimische Frauen sind zugleich von Sexismus, Rassismus und Islamophobie betroffen. Es ist daher unmöglich, die feministischen Probleme von muslimischen Frauen zu lösen, ohne zugleich die Islamophobie zu bekämpfen. Folglich ist Islamophobie auch ein feministisches Thema.
Deshalb: Nein zum Verhüllungsverbot am 7. März!
Bild https://www.srf.ch/news/abstimmungen/initiative-verhuellungsverbot/umfrage-zu-den-abstimmungen-initiative-zum-verhuellungsverbot-startet-mit-ja-mehrheit (Momentane Stimmabsichten zum Verhüllungsverbot)
www.lesfoulardsviolets.org
https://www.woz.ch/2104/burkaverbot/trau-nicht-den-wertepredigern


Wo gabs Widerstand?

Österreich: Massive Proteste gegen die Abschiebung Minderjähriger

Mit Strassenblockaden versuchten Aktivist*innen die Abschiebung der 12-jährigen Tina und ihrer Schwester Lea (5) nach Georgien zu verhindern. Die Polizei trat mit einem massiven Aufgebot an.
Mit einer Petition mit 34‘000 Unterschriften hatten Tinas Mitschüler*innen zuvor vergeblich versucht, die Abschiebung zu verhindern. Beide Mädchen wurden in Österreich geboren, ihre Mutter kam zum Studieren ins Land. Da Georgien aber mittlerweile als sicheres Herkunftsland eingestuft wird, verlor sie ihre Aufenthaltsberechtigung. Die Familie wurde beim Abendessen abgeholt und in Ausschaffungshaft gebracht. Eine Möglichkeit, sich von ihrem Umfeld zu verabschieden, hatte sie nicht. Aktivist*innen, Mitschüler*innen und Politiker*innen von SPÖ, Grünen und NEOS versammelten sich drei Tage später, um den Transport zum Flughafen zu verhindern. Mit Einkaufswagen und Sperrmüll wurden Barrikaden errichtet. Laut einem vor Ort anwesenden Reporter des Falters klebte ein Aktivist seine Hand mit Kontaktkleber an die Barriere einer Zufahrtsstrasse. Die Polizei war mit der Spezialeinheit WEGA und Hundestaffeln vor Ort und trat sehr aggressiv auf.
In der gleichen Nacht wurden weitere Familien mit teils minderjährigen Kindern ausgeschafft. In den Wochen zuvor hatte es in mehreren Städten des Landes Proteste gegen die Abschiebepraxis und den Umgang mit geflüchteten Menschen gegeben. Der Fall von Tina & Lea spaltet derweil die österreichische Regierungskoalition. Besonders ÖVP-Innenminister Karl Nehammer steht unter Beschuss. Dieser rechtfertigte die Deportation mit der Begründung, dass er aufgrund der geltenden Gesetze nicht anders handeln konnte. Diese Aussage ist nicht nur menschenverachtend sondern auch juristisch falsch. Viele prominente Vertreter*innen der Grünen stellten sich gegen die Abschiebung. Doch ihre Partei trägt mit ihrer Regierungsbeteiligung diese unmenschliche Asylpolitik aktiv mit.
Dieser krasse Fall darf als Zeichen gedeutet werden, dass die rechte ÖVP nun auch auf das Prinzip Abschreckung setzt. Niemand ohne österreichischen Pass soll sich sicher fühlen können. Der zivile Ungehorsam und die breite Mobilisierung gegen Abschiebungen bleibt weiterhin unerlässlich.

https://www.infomigrants.net/en/post/29968/austria-outrage-over-deportation-of-three-girlshttps://neuezeit.at/abschiebung-tina-kinder-oesterreich/

https://pbs.twimg.com/media/EsyfVq6W8AEo5RM?format=jpg&name=large
Blockade gegen die Abschiebung

Besetzte Kirche in Brüssel

Seit Mitte vergangener Woche besetzen Menschen mit negativem Asylentscheid die Kirche St-Jean-Baptiste-au-Béguinage in Brüssel. Ihre Forderungen: Gespräche mit der Regierung und kollektive Regularisierung.
Auf dem Platz vor der Kirche haben sich Unterstützer*innen eingefunden. Es ist geplant, weitere Kirchen in der Stadt zu besetzen. Die Aktivist*innen betonen ihre unmögliche Situation: Viele von ihnen sind seit langer Zeit in Belgien, doch der Zugang zu Wohnungen, Gesundheitsversorgung und Bildung wird ihnen verwehrt. Die belgische Regierung ignoriert ihre Situation, die sich durch die Corona-Krise zusätzlich verschlechtert hat: Viele Menschen leben am gleichen Ort. Ohne Papiere müssen sie Corona-Tests selbst bezahlen, wofür oft das Geld fehlt. „Unsere Gesundheit ist in Gefahr und zusätzlich setzen wir so die Gesundheit anderer Menschen einem Risiko aus.“ – so die Besetzer*innen der Kirche in Brüssel. 
https://www.infomigrants.net/en/post/30052/undocumented-migrants-protest-in-brussels-church


Was steht an?

Kundgebung: HANAU – Kein Vergeben kein Vergessen

Freitag, 19. Februar 2021, 18 Uhr, Barfüsserplatz, Basel
“Am 19. Februar jährt sich das Attentat von Hanau. Mit der gezielten Ermordung von 9 migrantischen Menschen wurde für uns Migrant*innen ein neues Level von rassistischer Gewalt erreicht. Heute wissen wir, dass eine rassistische Polizeipraxis den Notausgang zusperren liess und somit eine Flucht vor dem Rechtsterroristen unmöglich machte. Überlebende und Betroffene berichten, dass sie in der Nacht des Attentats und danach wie „Kriminelle“ behandelt worden sind. Die Angehörigen rufen dazu auf, am Jahrestag Kundgebungen und Aktionen durchzuführen. Lasst uns daher treffen in Gedenken an Ferhat, Hamza, Said, Vili, Mercedes, Kaloyan, Fatih, Sedat und Gökhan. Wir fordern Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen!”
19feb-hanau.org

Aktuelle Sammelaktion für Bihać

OpenEyes sammelt Sachspenden für Geflüchtete in Bosnien. Gebraucht werden insbesondere winterfeste Männer- und Unisexkleidung, Handschuhe, Mützen, Schals, Schlafsäcke, Matten, Decken, Rettungsdecken, Rucksäcke, Zelte.
BERN I jeden Sa. 10:00 – 13:00 und
Sonnenhaus, Sortierraum an der Morillonstrasse 77
BERN I jeden Do. 18:00-22:00
Medina – mobiles Gemeinschaftszentrum, Schützenmatt Bern
https://www.openeyes.ch/spende-sachen

Black History Month 2021

Das Deutsch Amerikanische Institut in Tübingen macht im Februar verschiedene (Online-) Veranstaltungen zum „Black History Month 2021″, darunter Lesung und Vortrag mit Alice Hasters z uihrem Buch “ Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ sowie Online-Diskussion mit Dr. Nicole Hirschfelder, Tübingen, und Esther Earbin, J.D., Indianapolis, zu “ Anti-Schwarzer Rassismus und Polizeigewalt in Deutschland und den USA“.
https://www.dai-tuebingen.de/sites/default/files/uploads/events/kp_1_21_web.pdf

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Bericht der Zwangsausschaffung vom 27. Januar 2021
Vor fünf Monaten erhielt Solomon ein Aufgebot für einen Flug nach Äthiopien. Diesen Flug verweigerte er. Sein Lebensmittelpunkt befand sich in der Schweiz. Er arbeitete in einer Fahrradwerkstatt, engagierte sich in der Unterkunft, in der er wohnte und wurde von allen geschätzt. Die Schweiz zu verlassen war für ihn völlig inakzeptabel. Nach seiner Verweigerung bezog er weiterhin die Nothilfe, welche er alle zwei bis drei Monate neu beantragen musste. Ansonsten ging das Leben ohne weitere Einschränkungen weiter. Keine Eingrenzung, die ihn zwingen würde, zu Hause zu bleiben und auf die Polizei zu warten, keine gerichtliche Verfügung, nichts. Nichts was darauf hin deutete, dass er bald in den Räumlichkeiten des Einwohner*innenamtes, wo er die Nothilfe beantragen musste, verhaftet werden würde.
https://barrikade.info/article/4176

Renato Kaiser – Der Eiertanz der Toleranz
Satirischer Kommentar zu den Aussagen von SP-Nationalrätin Yvonne Feri in der “Arena” auf SRF.https://www.youtube.com/watch?v=o3xNS8Zs03g

‘Gefährliche Orte’ & Defund the Police
Am 26. Januar feierte die Polizei Berlin in einer Pressemitteilung das einjährige Bestehen einer neuen Brennpunkt- und Präsenzeinheit. Sie arbeitet an sogenannten ‚kriminalitätsbelasteten Orten‘ wie dem Görlitzer Park/Wrangelkiez und wurde dort 2020 massiv aufgestockt. Das Konzept dieser Orte wird von antirassistischen Initiativen jedoch seit Jahren kritisiert. Wir haben Biplab Basu von KOP Berlin und ReachOut eingeladen, um zu fragen: Um wessen und welche Formen von Sicherheit geht es hier? Wie sollen sie realisiert werden?1 Ausgehend davon stellen wir uns die Fragen: Wie können Ressourcen umverteilt werden, um ein soziales Sicherheitsversprechen jenseits rassistischer Polizeipraktiken einzulösen? Was können wir dabei von ‚Defund the Police‘ lernen?https://archive.org/details/2021-02-03-interview-david-mit-kopberlin-biblap-basu-gefaehrliche-orte-defund-th

“Die Gerechtigkeit ist so greifbar, sie liegt vor meinen Augen, aber ich komme nicht dran.” – Statement von Ahmed I. zur Urteilsverkündung im Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.
Am 28. Januar 2021 wurde in Frankfurt das Urteil im Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I. gesprochen. Stephan Ernst wurde wegen des Mordes an Walter Lübcke zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, die besondere Schwere der Schuld wurde festgestellt, die Sicherungsverwahrung vorbehalten. Für den Mordversuch an Ahmed I. wurde er hingegen – trotz erdrückender Beweislage – freigesprochen. Nach dem Ende des Prozesstages gab Ahmed I. ein Statement vor der Presse, welches wir hier dokumentieren.https://www.nsu-watch.info/2021/01/die-gerechtigkeit-ist-so-greifbar-sie-liegt-vor-meinen-augen-aber-ich-komme-nicht-dran-statement-von-ahmed-i-zur-urteilsverkuendung-im-prozess-zum-mord-an-walter-luebcke-und-zum-angriff-auf/

EU zahlt mehr als 300 Millionen für Überwachung mit Drohnen
Seit vier Jahren fliegen unbemannte Systeme im Regelbetrieb für die Agenturen der Europäischen Union. Jetzt erhalten auch einzelne Regierungen Gelder für Drohnen an ihren Grenzen. Demnächst könnten dort ferngesteuerte Patrouillenboote eingesetzt werden.
https://netzpolitik.org/2021/emsa-frontex-und-mitgliedstaaten-eu-zahlt-mehr-als-300-millionen-fuer-ueberwachung-mit-drohnen/

Shocking number of deaths, but also growing struggles on the ground
Alarm Phone: Western Mediterranean Regional Analysis, 1 October – 31 December 2020
https://alarmphone.org/en/2021/01/29/shocking-number-of-deaths-but-also-growing-struggles-on-the-ground/

Flüchtlingskinder auf Lesbos leiden mehr denn je
Im griechischen Flüchtlingslager Kara Tepe leben derzeit rund 2.000 Kinder. Sie leiden nach Einschätzung der Psychologin Glatz-Brubakk mehr denn je, werden mehr und mehr depressiv. Ihr Alltag sei geprägt von Angst – vor Kidnapping, Gewalt und Vergewaltigungen.
https://www.migazin.de/2021/02/03/psychologin-fluechtlingskinder-auf-lesbos-leiden-mehr-denn-je/

Von Fethiye nach Rhodos. Keine Überlebenden
In Erinnerung an die 14 Menschen, die am 2. Januar 2020 im Ägäischen Meer ertrunken sind
https://alarmphone.org/de/2021/01/02/von-fethiye-nach-rhodos-keine-ueberlebenden/

Die indische Regierungspartei BJP will antikolonialen Kampf umdeuten
Seit Jahren versuchen Hindunationalist:innen in Indien die historische Unabhängigkeitsbewegung für sich zu vereinnahmen, um ihre Akzeptanz in der Bevölkerung zu stärken.
https://sozialismus.ch/international/2021/die-indische-regierungspartei-bjp-will-antikolonialen-kampf-umdeuten/

Faschismus und Rassismus
Donna Murch, Politikprofessorin in New Jersey, erläuterte auf der XXVI. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz 2021 die Geschichte des »Rassenfaschismus« in den USA. Trump ist kein Zufall, sondern wird davon getragen. Die weiße Mittelschicht steigt ab, ihre »Herrenvolkdemokratie« bröckelt, ihre Lebenserwartung sinkt massiv. Gleichzeitig entstehen Bewegungen wie »Black Lives ¬Matter« mit fünf bis sechs Millionen Anhängern.
https://www.jungewelt.de/artikel/395244.rlk-video-faschismus-und-rassismus.html

Glossar

Intersektionalität
Der Begriff Intersektionalität (1989 von Kimberlé Crenshaw eingeführt) veranschaulicht, dass sich Formen der Unterdrückung und Benachteiligung nicht einfach aneinanderreihen lassen, sondern in ihren Verschränkungen und Wechselwirkungen Bedeutung bekommen. Kategorien wie Geschlecht, ‚Rasse‘, Alter, Klasse, Ability oder Sexualität wirken nicht allein, sondern vor allem im Zusammenspiel mit den anderen. Die intersektionale Perspektive erlaubt, vielfältige Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse miteinzubeziehen, die über eine Kategorie allein nicht erklärt werden können.
(von: https://www.gwi-boell.de/de/intersektionalitaet)

Heteronormativität
„Der Begriff benennt Heterosexualität als Norm der Geschlechterverhältnisse. (…) Die Heteronormativität drängt die Menschen in die Form zweier körperlich und sozial klar voneinander unterschiedener Geschlechter, deren sexuelles Verlangen ausschließlich auf das jeweils andere gerichtet ist. (…)  Was ihr nicht entspricht, wird diskriminiert, verfolgt oder ausgelöscht (…)  Heteronormativität (erzeugt) den Druck, sich selbst über eine geschlechtlich und sexuell bestimmte Identität zu verstehen, wobei die Vielfalt möglicher Identitäten hierarchisch angeordnet ist und im Zentrum der Norm die kohärenten heterosexuellen Geschlechter Mann und Frau stehen. Zugleich reguliert Heteronormativität die Wissensproduktion, strukturiert Diskurse, leitet politisches Handeln, bestimmt über die Verteilung von Ressourcen und fungiert als Zuweisungsmodus in der Arbeitsteilung. “
(zitiert nach Peter Wagenknecht auf: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-90274-6_2)
„Analysiert wird, wie Heterosexualität in die soziale Textur unserer Gesellschaft, in Geschlechterkonzeptionen und in kulturelle Vorstellungen von Körper, Familie, Individualität, Nation, in die Trennung von privat/öffentlich eingewoben ist, ohne selbst als soziale Textur bzw. als produktive Matrix von Geschlechterverhältnissen, Körper, Familie, Nation sichtbar zu sein.“
(zitiert nach Sabine Hark auf: https://gender-glossar.de/h/item/55-heteronormativitaet)

Neokolonialismus
1963 benannte der erste Ministerpräsident Ghanas, Kwame Nkrumah, Neokolonialismus, indem er »vor den sehr realen Gefahren einer Rückkehr des Kolonialismus in versteckter Form« warnte.
„Unter dem Terminus ›Neokolonialismus‹ sind zwei Ebenen zu unterscheiden: ein Zustand, der von massiver Benachteiligung einheimischer Bevölkerungen zugunsten ausländischer Investoren gekennzeichnet ist, und eine Politik, die auf die Aufrechterhaltung von Abhängigkeitsverhältnissen abzielt. Im ersten Fall geht es um die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, im zweiten darüber hinaus um die Kontrolle über die politischen Entwicklungen und die Machtpositionen im internationalen Kontext.“
(aus D. Göttsche et al. (Hrsg.), Handbuch Postkolonialismus und Literatur)

Eurozentrismus
Der Begriff des Eurozentrismus stützt sich auf eine Weltsicht, die weitestgehend durch europäische Werte und Traditionen geprägt ist und wurde. Er steht für eine Einstellung, die Europa unhinterfragt in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt. Ausgehend von der Annahme, dass die kulturellen und politischen Systeme Europas das ideale Modell darstellen, wird Europa als Maßstab gesellschaftlicher Analysen und politischer Praxis betrachtet. Die europäische Geschichte und Gesellschaftsentwicklung wird als Norm verstanden, die erfüllt oder von der abgewichen wird. Die westlichen Kulturen dienen als Bewertungsmaßstab und haben im Laufe der Kolonialisierung ihre Wertvorstellungen global durchgesetzt und expandiert.
Im eurozentristischen Denken, bleiben die Denkweisen und Philosophien der nicht europäischen Kulturen häufig unbeachtet und werden abgewertet oder negiert.
(von https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/eurozentrismus/2242 und http://wikifarm.phil.hhu.de/transkulturalitaet/index.php/Eurozentrismus)