Medienspiegel 15. Januar 2021

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Neu bis 2025 möglichAsylunterkunft in Hinterkappelen wird weiterbetrieben
Die 18 Wohncontainer, die als provisorische Flüchtlingsunterkunft dienen, könnten wegen der Corona-Pandemie bis zu fünf Jahre länger in Betrieb bleiben.
https://www.bernerzeitung.ch/asylunterkunft-in-hinterkappelen-wird-weiterbetrieben-530127917509
-> https://www.derbund.ch/fluechtlingsunterkunft-in-hinterkappelen-bleibt-bestehen-911921856341
-> https://www.jgk.be.ch/jgk/de/index/direktion/organisation/rsta/aktuell.meldungNeu.html/jgk/de/meldungen/dir/rsta/2021/01/20210115_1025_rsta_bern-mittellandhinterkappelen-provisoriumdermigrationsunter



derbund.ch 15.01.2021

Nach negativem Asylentscheid: «Le Beizli»-Kochlehrling soll nach Afghanistan ausgeschafft werden

Der Flüchtling absolviert im Berner Liebefeld eine Lehre als Koch. Jetzt droht ihm die Ausschaffung in ein Land, in dem seit 40 Jahren Krieg herrscht.

Andres Marti

Das Wetter an diesem Abend passt zu den Aussichten des jungen Mannes, der vor der Gewerbeschule in Bümpliz in der Kälte auf die Fotografin wartet: äusserst düster. Nach dem Staatssekretariat für Migration (SEM) hat vor kurzem nämlich auch das Bundesverwaltungsgericht das Asylgesuch von Omar Habibi abgelehnt. Nun droht dem Mann die Ausschaffung nach Afghanistan. Lehrvertrag, gute schulische Leistungen, zusätzliche Deutschkurse: Es hat alles nichts gebracht.

Denn die Asylbehörden glauben ihm nicht, dass sein Leben in Afghanistan in Gefahr sei. Eine Rückkehr halten sie deshalb für zumutbar. Die Aufforderung, die Schweiz zu verlassen, ging einher mit einem sofortigen Beschäftigungsverbot.

Angst vor den Taliban

Für den jungen Mann, der Ende 2016 in die Schweiz kam, ist das ein schwerer Schlag. «Es ist sehr stressig. Ich habe keine Ahnung, wie es nun weitergehen soll», sagt er. Habibi gehört zu der Volksgruppe der Hazara. Die Ethnie ist in Afghanistan eine stark diskriminierte Minderheit. Aus Angst vor den Taliban und aus Sorge um seine Familie, bittet er darum, nicht bei seinem echten Namen genannt zu werden.

In seinem Lehrbetrieb, der KG Gastrokultur, stösst der erzwungene Lehrabbruch auf Unverständnis, ja Wut: «Diese unmenschliche Vorgehensweise befremdet uns zutiefst», sagt Geschäftsführer Michel Gygax. Die Schweiz habe mit ihrer humanitären Tradition und mit ihrem grossen Reichtum ein solch menschenverachtendes Vorgehen nicht nötig.

Gastrokultur betreibt in Bern insgesamt sechs Betriebe, darunter das Restaurant Du Nord in der Lorraine und das Le Beizli in den Vidmarhallen im Liebefeld. In Letzterem begann Habibi im Corona-Sommer mit seiner Kochlehre.

Lehrabschluss zugetraut

«Diese Lehre jetzt abzubrechen, widerspricht allen Gesetzen einer Nachhaltigkeit», sagt Gygax. Aber hat der Betrieb denn nicht auch mit einem Negativentscheid rechnen müssen? «Ja», sagt Gygax. «Trotzdem glaubten wir an unser humanitäres System und daran, dass die Behörden Omar nicht zurück in höchste Gefahr schicken.»

Bei der Gewerbeschule heisst es, Omar sei stets pünktlich, respektvoll und bei seinen Kolleginnen und Kollegen geschätzt. Er habe sich überdurchschnittlich ins Zeug gelegt. Man traute ihm den Lehrabschluss deshalb klar zu und teilte ihm das auch so mit.

Beim zuständigen Amt für Bevölkerungsdienste (ABEV) will man sich nicht zu Einzelfällen äussern. Das Amt weise die Arbeitgeber von Personen mit einem hängigen Asylverfahren aber ausdrücklich auf die Risiken eines solchen Lehrantritts hin. «Es liegt im Ermessen der Arbeitgeber, die gängige Praxis zu kritisieren, seinen Informationspflichten kommt das ABEV nichtsdestotrotz umfassend nach», schreibt das Amt auf Anfrage.

Aktuell befinden sich laut Kanton rund 30 Personen in hängigen Verfahren in einer Vor- oder Berufslehre. Ein Teil der betroffenen Personen wird einen positiven, ein anderer einen allfälligen Negativentscheid erhalten. Nur auf Bundesebene könnte allenfalls die Ausreisefrist und damit die Bewilligung zur Erwerbstätigkeit verlängert werden.

Lösung auf Bundesebene

Dass junge Flüchtlinge nach einem Negativbescheid des SEM ihre Lehre abbrechen müssen, ist seit einiger Zeit ein Politikum. Auf Kantonsebene hat der Grosse Rat kürzlich und gegen den Willen des zuständigen Sicherheitsdirektors Philippe Müller (FDP) eine entsprechende Härtefallklausel für Lehrlinge im neuen Asylgesetz verankert.

Auf Bundesebene hat im Dezember eine deutliche Mehrheit im Nationalrat dafür gestimmt, dass asylsuchende Lehrlinge mit einem negativen Asylentscheid ihre Ausbildung künftig beenden dürfen. Selbst FDP-Politiker stimmten für die Gesetzesänderung und gegen Bundesrätin Karin Keller Sutter (FDP), welche die Vorlage ablehnt.

Voraussichtlich im März wird auch der Ständerat über die Motion entscheiden. Dass Habibi dann schon via Flugzeug ausgeschafft sein könnte, wäre theoretisch möglich: Im Gegensatz zum Iran oder zu Eritrea existiert mit Afghanistan ein Rückübernahmeabkommen. Laut dem SEM kam es 2019 zu fünf solcher Zwangsrückführungen nach Afghanistan. 2020 wurde – wohl auch wegen Corona – niemand dorthin ausgeschafft.

40 Jahre Krieg und Gewalt

Im vergangenen Jahr kam es in der Hauptstadt Kabul zu zahlreichen Bombenanschlägen und Angriffen, unter anderem auf eine Entbindungsstation eines Spitals. Trotzdem hält das SEM eine Rückkehr von afghanischen Asylsuchenden in die Städte Kabul, Herat und Mazar-i-Sharif für zumutbar. Das wird von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe kritisiert: «Aus unserer Sicht ist diese Praxis angesichts der Realität vor Ort unhaltbar», sagt Mediensprecherin Eliane Engeler auf Anfrage. Nach über 40 Jahren Krieg und Gewalt bleibe die Situation laut Engeler für die Zivilbevölkerung vielerorts in Afghanistan lebensgefährlich.

Rückkehrer besonders bedroht

Eine Studie aus Deutschland kam 2019 zum Schluss, dass insbesondere aus Europa zurückgeschaffte Flüchtlinge in Afghanistan einem grossen Risiko ausgesetzt seien. «Der Status als Abgeschobener aus Europa ist neben den allgemeinen Sicherheitsrisiken ursächlich für eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit von Gewalterfahrungen», so das Fazit der Studie.

Auch das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) rät von Reisen nach Afghanistan ab: «Die Sicherheit ist nicht gewährleistet: Es besteht das Risiko von schweren Gefechten, Raketeneinschlägen, Minen, Terroranschlägen, Entführungen und gewalttätigen kriminellen Angriffen einschliesslich Vergewaltigungen und bewaffnete Raubüberfälle.» Wiederholt komme es zudem zu Anschlägen auf schiitische und andere religiöse Minderheiten sowie auf deren Kultstätten und Wohnorte.
(https://www.derbund.ch/le-beizli-kochlehrling-soll-nach-afghanistan-ausgeschafft-werden-344306005839)


+++BALKANROUTE
Flüchtlingscamp Lipa als Symptom bosnischer Politik – Echo der Zeit
Im Flüchtlingslager Lipa in Bosnien-Herzegowina hausen Flüchtlinge bei Kälte in feuchten Zelten und im Dreck. Das Lager sollte geschlossen werden, weil es nicht winterhart ist. Doch die Verlegung der Menschen scheiterte am Widerstand der bosnischen Bevölkerung. Der Nordwesten Bosniens ist auf der Flucht nach Westeuropa oftmals die letzte Station vor der EU-Grenze.
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/fluechtlingscamp-lipa-als-symptom-bosnischer-politik?id=e4578195-4e23-4320-8ce8-bfb46ad8d5c4


+++EUROPA
EuGH stärkt die Rechte von unbegleiteten Minderjährigen!
In einer Entscheidung gegen die Niederlande stellte der EuGH am 14. Januar 2021 fest, dass gegenüber unbegleiteten Minderjährigen keine Rückkehrentscheidung getroffen werden darf, wenn ihre Abschiebung nicht möglich wäre. Auch die deutsche Praxis muss sich jetzt ändern.
https://www.proasyl.de/news/eugh-staerkt-die-rechte-von-unbegleiteten-minderjaehrigen/


+++MITTELMEER
A Struggle for Every Single Boat
Alarm Phone: Central Mediterranean Analysis, July – December 2020
Over the past six months, from July to December 2020, we witnessed a continuity in the Central Mediterranean Sea, with Italian and Maltese state actors withdrawing from their rescue obligations, the administrative detention of the civil fleet and the unresponsiveness of the so-called Libyan Coast Guard in situations where people were in extreme distress off the Libyan shores. The combination of these elements has inevitably led to an increasing rescue gap, more suffering and many shipwrecks at sea.
https://alarmphone.org/en/2021/01/14/a-struggle-for-every-single-boat


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Basel Nazifrei: Angriff gegen die Justiz in Zürich
Nachdem im Herbst die Serie von unzähligen Prozessen gegen Teilnehmer_Innen der Basel Nazifrei-Proteste begann, folgen nun seit Anfang Januar bis in den Februar mindestens fünf weitere Gerichtsverhandlungen. Für uns Grund genug, unsere Komplizenschaft mit Basel Nazifrei und Solidarität mit den einzelnen Angeklagten militant zum Ausdruck zu bringen. Stellvertretend für alle Institutionen des Justizapparates wählten wir das Bezirksgericht Wengihof in Zürich, welches gestern Abend (13. Januar 21) einen neuen Anstrich erhielt.
https://barrikade.info/article/4142


+++BIG BROTHER
bielertagblatt.ch 15.01.2021

Das Seeland ist nicht videoüberwacht

Kameras zur Überwachung des öffentlichen Raums will auch nach zehn Jahren kaum eine Gemeinde. Einzig bei Schularealen sind sie da und dort die Ultima Ratio.

Beat Kuhn

Seit zehn Jahren dürfen bernische Städte und Gemeinden im öffentlichen Raum Überwachungskameras installieren. Die neue Möglichkeit war damals sehr umstritten. Und in der Region machte anfangs einzig Studen davon Gebrauch.

Auch schon bei Suizid

Laut Gemeindeschreiber Oliver Jäggi hat die Gemeinde Studen am Bahnhof und beim Feuerwehrmagazin entsprechende Kameras montieren lassen – für insgesamt knapp 46000 Franken. Drei Jahre später kam eine Kamera bei der Abfallsammelstelle hinzu, die etwas mehr als 20000 Franken kostete. Die jährlichen Kosten für den Unterhalt belaufen sich heute auf rund 7000 Franken.

«Am häufigsten bestellt die Kantonspolizei Kameraaufnahmen vom Bahnhof», berichtet Jäggi. Grund dafür seien Velo- und sonstige Diebstähle, Vandalismus, Belästigungen «und leider auch schon einmal ein Suizid». An diesem Standort seien die Kameras «wirklich wertvoll». Sie würden der Polizei bei den Ermittlungen helfen – jedenfalls dann, wenn sich eine Tat im Erfassungsbereich der Kameras abspiele, der leider nicht allzu gross sei.

Bei Feuerwehr «relativ ruhig»

Beim Feuerwehrmagazin sei es heute dagegen «relativ ruhig», bilanziert Jäggi weiter. Denn: «Die ‹Drögeler› und ‹Nachtbuebe› von damals sind dem Flegelalter entwachsen, und ihre Nachfolger treffen sich woanders.» Folglich müssten diese Aufnahmen nur sehr selten eingesehen werden.

Die Kameras bei der Abfallsammelstelle sollen laut Jäggi Vandalismus verhindern und den Benutzerinnen und Benutzern «ein Sicherheitsgefühl vermitteln.» Die Müll-Anlage sei etwas abgelegen und von aussen schlecht einsehbar. Da seien Kameras hilfreich und würden ihren abschreckenden Zweck auch mit Sicherheit erfüllen. «Abfallsünder lassen sich damit hingegen kaum entlarven.»

«Repressive Massnahme»

Mit dieser Strategie ist Studen allerdings bis heute ziemlich allein auf weiter Flur. Hinzugekommen sind nur ganz wenige weitere Gemeinden: In Mörigen sind vier benachbarte Liegenschaften von Gemeinde und Schule im Eingangsbereich videoüberwacht, und zwar «zum Schutz vor Vandalismus, Littering und Einbruch», so Gemeindeschreiber Frank Herren. Auch in Schwadernau ist das Schulareal Standort von Überwachungskameras.

Just diese Woche ist nun auf dem Schulareal von Ipsach eine Überwachungsanlage in Betrieb genommen worden. «Grund dafür waren regelmässige Beschädigungen an und in Gebäuden sowie verschiedene Vandalenakte», sagt Hans Klöti, Leiter der Bauabteitung. Wiederholt seien Anzeigen gegen Unbekannt gemacht worden. Auch habe man die Aufsichtskontrollen verstärkt. «Doch schliesslich haben die Vorfälle zum Entscheid geführt, diese repressive Massnahme auf dem ganzen Schulhausareal einzuführen.»

Damit hat es sich dann aber auch schon. Zwar gibt es durchaus noch weitere Standorte, an denen mit Kameras öffentlicher Raum überwacht wird. Aber dort ist dann nicht die Gemeinde die Auftraggeberin, sondern der Kanton: In Biel existiert Videoüberwachung beim Kantonspolizeiposten, bei der Berner Fachhochschule sowie im Veloraum des Seeland-Gymnasiums. Und auf dem Gemeindegebiet von Gampelen wird das Gefängnisareal der Anstalten Witzwil auf diese Weise überwacht.

Prävention durch Patrouillen

In Brügg habe sich der Bedarf nach Videoüberwachung bisher nicht gezeigt, sagt Gemeindeschreiber Beat Heuer. Seine Gemeinde setzt auf eine andere karte: «Mit der Präsenz der Kantonspolizei sowie des Sicherheitsdienstes, der im Auftrag der Gemeinde patrouilliert, haben Auswüchse bisher vermieden werden können.»

David Löffel, Leiter Präsidiales in Pieterlen, konstatiert: «Leider haben auch bei uns in den letzten Jahren Vandalismusschäden im öffentlichen Raum zugenommen.» Dennoch setze die Gemeinde momentan noch keine Videoüberwachung ein. Dafür gibt es im Gemeindepolizeireglement auch noch keine rechtliche Grundlage, wie Löffel einräumt. «Bei einer Totalrevision unseres Reglements werden wir aber sicher auch die Möglichkeit der Videoüberwachung diskutieren müssen.»


«Problemorte wechseln»

In Vinelz habe der Gemeinderat die Videoüberwachung schon mehrmals diskutiert, sagt Gemeindeschreiber Stephan Spycher, «aber schliesslich immer wieder verworfen». Dies insbesondere auch deshalb, weil «die Problemstandorte» immer wieder gewechselt hätten: Mal sei es ein Entsorgungsplatz, mal der Sportplatz oder mal ein Buswartehäuschen gewesen.

In Müntschemier habe der Gemeinderat Videoüberwachung nie erwogen, sagt Gemeindepräsident Raynald Richard (SVP). Vor drei Jahren seien «ein paar unschöne Nachtaktionen» vorgekommen, aber die hätten sich seither nie mehr wiederholt. «Wir dürfen mit Genugtuung feststellen, dass Müntschemier ein sehr friedliches Dorf ist.»



INFOBOX 1:

Überwachte Standorte in der Region

Videoüberwachung im öffentlichen Raum existiert in der Region heute an den folgenden Standorten:
Biel (alle kantonal): Kantonspolizeiposten, Berner Fachhochschule, Veloraum Seeland-Gymnasium
Gampelen (kantonal): Anstalten Witzwil
Ipsach: Schulhausareal
Mörigen: Eingangsbereich der Liegenschaften Schulstrasse 19, 21, 23 und 25 von Gemeinde und Schule
Studen: Bahnhof, Feuerwehrmagazin und Abfallsammelstelle
Schwadernau: Schulhausareal



INFOBOX 2:

Auch im Kanton Solothurn ein Thema

Im solothurnischen Grenchen hat man sich auch schon Gedanken zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum gemacht, konkret im Bereich Marktplatz oder in den Parks. Von einem entsprechenden Projekt sei bis jetzt aber abgesehen worden, sagt Christian Ambühl, der Kommandant der Stadtpolizei. «Die Kontroversen zu diesem Thema sind sehr emotional», sagt er: Was die einen nützlich fänden, sei für die anderen eine Verletzung der Privatsphäre. «Man sollte sich dieser Technik als Stadt nicht verschliessen», ist Ambühls eigene Meinung, «aber sie überlegt einsetzen.» bk
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/seeland/das-seeland-ist-nicht-videoueberwacht)


+++RASSISMUS
«Feministischer Salon» in der Kaserne: Was heisst es, als schwarze Frau in der Schweiz zu leben
Die Kaserne Basel ist mit dem «Feministischen Salon» in die Saison gestartet – als Streaming. Ein Lehrstück darüber, was es heisst, als schwarze Schweizerin in der Schweiz zu leben.
https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/feministischer-salon-in-der-kaserne-was-heisst-es-als-schwarze-frau-in-der-schweiz-zu-leben-140470512


+++RECHTSEXTREMISMUS
Telegram geht gegen Rechtsextreme vor
Telegram galt bislang als Plattform mit sehr laxen Moderationsregeln. Nun hat der Messenger-Dienst Kanäle gesperrt, in denen zu Gewalt aufgerufen wird.
https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/telegram-geht-gegen-rechtsextreme-vor,SMAVMf9


Re: Hass im Netz: Wenn anonyme Täter zur Bedrohung werden
Hass im Netz: Die Zahl der digital angegriffenen Personen steigt. Menschen werden offen beleidigt, verleumdet, angefeindet. Ziel der Hetze sind Politiker, Feministinnen, Menschen, die sich gegen Rassismus engagieren.Das Repertoire der oft rechtsextremen Hetzer reicht von organisierten Shitstorms bis hin zu Morddrohungen.
https://www.arte.tv/de/videos/090637-021-A/re-hass-im-netz/


USA vor der Amtseinführung Bidens: Höchste heimische Terrordrohung
Das FBI und das Ministerium für Heimatsicherheit warnen vor weiteren Angriffen im ganzen Land. Rechtsradikale fühlten sich ermutigt wie nie.
https://taz.de/USA-vor-der-Amtseinfuehrung-Bidens/!5741466/
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1147020.usa-mehr-rechtsextreme-in-der-us-armee.html


How the antifa conspiracy theory traveled from the fringe to the floor of Congress
Rampant on fringe platforms, the claim that “anti-fascists” were inciting violence at the Capitol spread fast through right-wing media to Congress
https://eu.usatoday.com/in-depth/news/2021/01/12/how-antifa-conspiracy-theory-traveled-fringe-floor-congress/6620908002/


What happens after the Capitol attacks? | Alexandria Ocasio-Cortez
https://www.youtube.com/watch?v=PBC8LeXb_6s


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Die Alterszentren fürchten sich vor Dieben und demonstrierenden Impfgegnern
Wann sie impfen, sollen die Zürcher Heime für sich behalten. Das empfehlen Behörden und Heimverband zum Schutz vor unangenehmen Überraschungen.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/die-alterszentren-fuerchten-sich-vor-dieben-und-demonstrierenden-impfgegnern-140484317


Falsche Prognosen am laufenden Band – Die lausige Trefferquote der Verschwörungsideologen
QAnon, Attila Hildmann und Querdenker sind es gewohnt, mit ihren Voraussagen drastisch daneben zu liegen. Der nächste Realitätsschock steht nun bevor.
https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/falsche-prognosen-am-laufenden-band-die-lausige-trefferquote-der-verschwoerungsideologen/26822244.html


Corona-Leugnerin: Impfung als Rassenfrage
Einer der rührigsten Trommlerinnen gegen die Corona-Maßnahmen ist Jennifer Klauninger. Die Unbekümmertheit, mit der sie rassistischen Unsinn absondert, ist beeindruckend
https://www.derstandard.at/story/2000122378389/corona-demos-impfung-als-rassenfrage?ref=rss


Die Köpfe hinter den „Querdenker“-Demos
Am Samstag rufen Gegner der Corona-Maßnahmen zum „Tag der Befreiung“ auf. Zwölf angemeldete Demozüge halten die Polizei in Wien in Atem. DER STANDARD stellt das Netzwerk der Szene vor
https://www.derstandard.at/story/2000123339446/die-koepfe-hinter-den-querdenker-demos?ref=rss


Parler: Die App, die User, der Gründer und das Geld
Die Randalierer, die das Capitol stürmten, nutzten eine Kommunikationsplattform namens Parler. Wer zieht dort die Fäden?
https://www.infosperber.ch/politik/welt/parler-die-app-die-user-der-gruender-und-das-geld/


+++HISTORY
Was Christoph Blocher mit dem Mord an Rosa Luxemburg zu tun hat. Eine deutsch-schweizerische Zeitreise
Vor hundert Jahren ermordeten rechtsextreme Freikorps – mit Zustimmung von SPD-Reichswehrminister Gustav Noske – die spartakistischen Führungspersonen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Waldemar Pabst, der Organisator des Doppelmords, lebte von 1943 bis 1955 in der Schweiz. Von hier aus versorgte er die Wehrmacht mit Kriegsmaterial, betrieb Spionage und wirkte nach 1945 massgeblich am Aufbau einer faschistischen Internationale mit. Dabei wurde Pabst von einem mächtigen Netzwerk aus dem Schweizer Herrschaftsapparat gedeckt und unterstützt. Noch heute leben die Strukturen fort, die den Nazi-Verbrecher protegierten. Höchste Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen.
https://www.ajourmag.ch/waldemar_pabst_in_der_schweiz-2/


Luzerner war höchster Schweizer bei der Waffen-SS: Franz Riedweg – Ein Unbelehrbarer aus Luzern im Dienst der Nazis
In Luzern waren die sogenannten Fröntler aktiv, hier gab es eine Ortspartei der NSDAP und aus Luzern stammte der höchste Schweizer im Dienste der Waffen-SS: Franz Riedweg. Er machte in Deutschland Karriere und schaffte es bis zum Obersturmbannführer. Für seine Taten wurde er aber nie zur Rechenschaft gezogen – aus einem wenig ruhmreichen Grund.
https://www.zentralplus.ch/blog/damals-blog/franz-riedweg-ein-unbelehrbarer
-aus-luzern-im-dienst-der-nazis/


Carlo Tresca & die erste Antifa
Während die KPD den Begriff „Antifaschistische Aktion“ prägte, gab es die erste tatsächliche Antifa als Reaktion auf Mussolini. Das Buch „Carlo Tresca: Portrait of a Rebel“ von Nunzio Pernicone beschäftigt sich mit dem Leben Carlo Trescas und seinen Bemühungen gegen den Faschismus. Nachfolgend übersetzen wir eine kurze Rezension des Buches und die Entstehungsgeschichte der ersten Antifa von Jeff Stein, erschienen in der Anarcho-Syndicalist Review #78.
https://schwarzerpfeil.de/2021/01/15/carlo-tresca-die-erste-antifa/


Arditi del Popolo
Arditi del Popolo (von ital. ardito, dt. „kühn“, „mutig“, Popolo dt. Volk) war die Bezeichnung einer antifaschistischen italienischen Organisation, die zwischen 1921 und 1924 bestand. Viele ihrer Mitglieder hatten im Ersten Weltkrieg der Sturmtruppe Arditi angehört. Sie vereinte Syndikalisten, Sozialisten, Kommunisten, Anarchisten, Republikaner und andere als auch einige frühere Militäroffiziere.
https://de.wikipedia.org/wiki/Arditi_del_Popolo


+++GASSE
bielertagblatt.ch 15.01.2021

Sans-Papiers haben keine Kurzarbeit

Sie putzen, hüten Kinder, transportieren Möbel oder  schneiden Haare. Sogenannte Sans-Papiers leben unter und mit uns. Sie  haben dabei fast keine rechtlichen Sicherheiten. Die Coronakrise trifft  deshalb viele von ihnen noch härter als andere Menschen am Rande der  Gesellschaft.

Mengia Spahr

Das Asylgesuch ist abgewiesen worden, die rechtlichen Mittel sind  ausgeschöpft. Also taucht der junge Mann aus einem afrikanischen Land  unter und lebt von nun an illegal in der Schweiz. Ungefähr so stellen  sich wohl die meisten einen Sans-Papiers vor.
Eine Studie aus dem Jahr 2015, die vom Staatssekretariat für  Migration (SEM) in Auftrag gegeben wurde, zeigt ein diverseres Bild.  Tatsächlich ist unter den sogenannten Sans-Papiers der Anteil an Frauen  und Männern gesamtschweizerisch ausgeglichen. Man geht davon aus, dass  die meisten aus Zentral- oder Südamerika stammen, darauf folgen Personen  aus osteuropäischen Staaten, Afrika und Asien. Geschätzte 86 Prozent  der erwachsenen Sans-Papiers arbeiten schwarz und verdienen sich so  ihren Lebensunterhalt. Arbeit finden sie etwa in Privathaushalten, auf  dem Bau, in Coiffeursalons, in Autowerkstätten, in der Landwirtschaft,  in der Zügelbranche, im Gast- oder im Sexgewerbe.

Die Bezeichnung Sans-Papiers ist eigentlich irreführend, denn die  Betroffenen haben Papiere. Sie haben nur keine Aufenthaltsbewilligung  für die Schweiz. Die SEM-Studie unterscheidet zwischen drei Gruppen: Die  erste umfasst Personen, die nach einem negativen Asylentscheid in der  Schweiz geblieben sind, die zweite solche, die früher mal eine  Aufenthaltsbewilligung hatten, die nun ausgelaufen ist, und die dritte  diejenigen, die mit oder ohne Visum in die Schweiz eingereist und  geblieben sind. Zu dieser Gruppe gehören fast zwei Drittel der  Sans-Papiers.

Niemand weiss genau, wie viele es sind. Die SEM-Studie geht davon  aus, «dass die Zahl mit hoher Wahrscheinlichkeit zwischen 50 000 und 99  000 liegt». Die meisten Sans-Papiers leben in Städten. In der Region  Bern gibt es schätzungsweise 3000; wie viele in Biel leben, ist  unbekannt. Aus Angst aufzufliegen, leben Sans-Papiers im Versteckten,  sind für die Öffentlichkeit nicht sichtbar.

«Immerhin bin ich lebendig»

Einer von ihnen ist X. Nach einem negativen Entscheid ist er  untergetaucht. Zu seinem Schutz wird im Folgenden auf sämtliche Angaben,  die auf seine Identität schliessen lassen verzichtet. X hat sein  Heimatland verlassen, weil er ein politisches Problem mit der dortigen  Regierung hat: «Wer in meiner Heimat regierungskritisch ist, begibt sich  automatisch in Gefahr», sagt er. Seit 2012 lebt er nun in der Schweiz –  davon die meiste Zeit in Biel. Im Gespräch mit dem «Bieler Tagblatt»  gibt X nur wenig von sich preis. Es lässt sich deshalb nur erahnen, wie  er lebt.

So bleibt im Dunkeln, wie er seinen Lebensunterhalt bestreitet. X  sagt dazu nur: «Mit der Lebensmittelversorgung hatte ich bisher nie  Probleme.» Darauf angesprochen, ob es durch die Coronapandemie  schwieriger geworden sei, Arbeit zu finden, ringt er um Worte: «Wie soll  ich das beantworten? Ich denke, bei offiziellen Arbeiten ändert sich  nichts. Aber für alle, die keiner regulären Arbeit nachgehen, die  überall ein bisschen etwas verdienen, ist es schlimm.»

Für ihn habe sich jedenfalls durch Corona sehr viel verändert – und  «nicht im Guten». Vorher sei er freier gewesen, habe weniger Angst  gehabt. «Jetzt gibt es zahlreiche Regeln, es läuft nichts mehr, alles  ist blockiert. Ich habe auch weniger Kontakte», sagt er. X erzählt, dass  das unsichtbare Virus grossen Stress auslöse und er um seine Gesundheit  fürchte: «Ich meine, ich führe nicht wirklich ein Leben, aber immerhin  bin ich lebendig. Es ist schwierig in Worten auszudrücken, was ich  meine.»

Schwarzarbeit ist nicht versichert

Vera Fabbri, langjährige Mitarbeiterin der Bieler Notschlafstelle  Sleep-In, hat immer wieder mit Sans-Papiers zu tun. Aufgrund ihrer  Tätigkeit weiss sie: Wer schwarz arbeitet und sich mit Gelegenheitsjobs  über Wasser hält, gerät schnell in eine prekäre Situation.

Für Sans-Papiers gibt es keinen Schutz vor Ausbeutung bei der  Arbeit; sie haben keine Kurzarbeit und keine Sozialversicherung. Und:  Wer im Niedriglohnsektor arbeitet, kann kein Polster für schwierige  Zeiten anlegen. Kommt hinzu, dass viele Bereiche, in denen Sans-Papiers  arbeiten, stark krisenanfällig sind. «Corona trifft Sans-Papiers ganz  besonders» titelte der «Tagesanzeiger» im März; Swissinfo berichtete von  der «prekären Lage» der Sans-Papiers, und die «Berner Zeitung» schrieb  im Mai: «Durch die Coronakrise verloren viele Sans-Papiers ihre Arbeit.  Jetzt fehlt ihnen Geld für Essen und Miete».

Wenn Rat nicht mehr ausreicht

Die Berner Beratungsstelle für Sans-Papiers ist seit 16 Jahren eine  Anlaufstelle für Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung. 2020 haben sie  etwa gleich viele Menschen aufgesucht wie im Vorjahr – neu waren jedoch  die zahlreichen Anfragen für finanzielle Überbrückungshilfe. Im Frühling  hat die Beratungsstelle deshalb einen Corona-Nothilfe-Fonds geschaffen.  Co-Leiterin Karin Jenni sagt am Telefon, dass bis jetzt über 100  Haushalte diese Überbrückungshilfe in Anspruch genommen haben.

«Viele Sans-Papiers arbeiten in Privathaushalten. Dort verzichten  zahlreiche Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber im Moment auf Hilfe von  ausserhalb», erzählt Jenni. Auch eine grosse Anzahl jener, die im  Gastronomiebereich tätig waren, hätten ihre Arbeit zumindest  vorübergehend verloren. «Die Gründe für den Aufenthalt in der Schweiz  sind vielfältig», sagt Jenni. Zur ökonomischen Not komme oft eine  persönliche Geschichte im Heimatland dazu. Jenni zufolge verlassen  beispielsweise manchmal Frauen, die aus sehr armen Verhältnissen kommen  und keinen Ausweg mehr sehen, ihr Herkunftsland und ihre Familien, um  anderswo ein Einkommen zu finden, mit dem sie und ihre Angehörigen  überleben können.

Alleine die Tatsache, dass die Berner Beratungsstelle für  Sans-Papiers Hilfsgelder verteilt, offenbart die Notlage. Denn  eigentlich hilft der Verein Betroffenen nicht mit finanziellen Mitteln,  sondern will ihre rechtliche und soziale Situation durch Beratung und  Rechtsschriften verbessern. Seit 2009 ist die Berner Beratungsstelle für  Sans-Papiers auch in Biel tätig. Zusammen mit der Sozialberatung der  Heilsarmee organisiert sie einen wöchentlichen Zvieri-Treff. Zweimal im  Monat finden zur selben Zeit Beratungen für Sans-Papiers und abgewiesene  Asylsuchende statt (siehe Infobox).

Die Beraterinnen und Berater helfen den Sans-Papiers etwa, ihren  Aufenthalt zu regeln, eine Krankenversicherung abzuschliessen, zu  heiraten oder ein Kind anzuerkennen. Denn Sans-Papiers haben zwar keine  Aufenthaltsbewilligung, Menschen- und Grundrechte erstrecken sich aber  auch auf sie. Nur wissen viele von ihnen nicht, dass sie zum Beispiel  ein Anrecht auf eine Krankenversicherung inklusive Prämienverbilligungen  haben und ihre Kinder eine obligatorische Schule besuchen können.
Während der ersten Coronawelle mussten das Zvieri und die Beratung  vorübergehend schliessen. Auch jetzt kann der Treff nicht stattfinden,  Beratungen werden aber nach wie vor angeboten.

«Manche hungern»

Geraten Sans-Papiers in Notlagen, können sie sich an dieselben  Stellen wenden wie andere bedürftige Menschen. Die kirchlich getragene  Gassenarbeit in Biel bietet etwa einen offenen Treff und Kurzberatungen  an (siehe Infobox). Zweimal wöchentlich ist während zwei Stunden der  Treffpunkt offen und eine Gassenarbeiterin oder ein Gassenarbeiter  anwesend. Computer und Telefon können benutzt werden, es gibt Essen und  einen Stock an Kleidern. Im Frühling musste auch dieser Treff  schliessen, jetzt aber findet er statt.

Gelbe Klebstreifen markieren vor dem Eingang die Distanzen für die  Warteschlange, und im behaglich eingerichteten Raum kennzeichnen Kreuze  die Stellen, an denen die Stühle in genügendem Abstand voneinander  aufgestellt sind. Die Niederschwelligkeit des Angebots sei enorm  wichtig, sagt Gassenarbeiterin Désirée Kozma. Sie und ihr Kollege  Benjamin Scotoni sind einfach erreichbar. Wer das Angebot wahrnimmt,  geht bei ihnen keine Verpflichtungen ein – niemand müsse einen Ausweis  vorzeigen, um sich zu registrieren.

Doch die Coronamassnahmen vertragen sich schlecht mit den  Prinzipien der Gassenarbeit: «Die Unverbindlichkeit ist nicht mehr  gegeben, und die Kontrollmechanismen widersprechen der  Niederschwelligkeit und der Freiwilligkeit des Angebots», so Kozma.  Gemäss Scotoni besuchen derzeit deutlich weniger Personen den Treffpunkt  als im Normalfall: «Vor Corona kamen in den zwei Stunden jeweils um die  30 vorbei, jetzt sind es 10 bis 15.» Wegen der beschränkten Platzzahl  müssen sie gestaffelt eingelassen werden. Das schrecke ab: «Wer zehn  Minuten draussen wartet, kommt vielleicht das nächste Mal nicht mehr»,  so Scotoni. Ausserdem gestalte sich der Kontakt wegen der Regelungen oft  schwierig: «Wenn wir jemanden als erstes auf die Maskenpflicht  hinweisen müssen, beginnt die Interaktion nicht besonders gut. Die  gemütliche Atmosphäre leidet.» Kozma zufolge hält auch die Angst vor  einer Ansteckung die Leute davon ab, den Treff aufzusuchen. «Vielen geht  es ohnehin körperlich und psychisch nicht gut – und dann kommt dieses  Virus.»

Die Lebensmittelabgaben der Gassenarbeit sind gefragt. Davon zeugt  der enorme Andrang bei der Verteilaktion, die Schülerinnen der FMS  Biel-Seeland mit Beteiligung der Gassenarbeit im Frühling organisierten  (das BT berichtete). Es gebe wirklich Menschen, die hungern, sagt Kozma:  «Manchmal essen sie nur einmal pro Tag eine Suppe in der Gassenküche.  Bei einzelnen sehen wir, dass sie abgenommen haben.» Hinzu kämen die  Einsamkeit und Sorgen.

Zu den Personen, die den Treffpunkt aufsuchen, gehören auch  Sans-Papiers. Zwar ist die Gassenarbeit keine offizielle Anlaufstelle –  die Gassenarbeiter weisen sie etwa an die Beratungsstelle weiter –, doch  Scotoni und Kozma kriegen mit, wie die Coronakrise einige in ihrer  existenziellen Grundlage trifft. Kozma vermutet aber, dass nur ein  kleiner Prozentsatz der Sans-Papiers überhaupt Hilfe in Anspruch nimmt.  Sie geht davon aus, dass die meisten aus Angst vor dem Auffliegen keine  Anlaufstellen aufsuchen. «Die betroffenen Personen sind unsichtbar. Das  Leben im Versteckten ist ihnen in Fleisch und Blut übergegangen», sagt  sie. Und Scotoni weiss von Sans-Papiers, die aus Stolz keine Hilfe  annehmen: «Nach Unterstützung zu fragen, ist entwürdigend, verursacht  Stress und braucht Energie.»

Frauen sind noch weniger sichtbar

«Rund zwei Drittel der Personen, welche die Gassenarbeit aufsuchen,  sind Männer», sagt Kozma. Sie vermutet, dass Frauen andere  Anlaufstellen haben. Was die Sans-Papiers betrifft, so seien sie noch  weniger sichtbar als die Männer: «Das ist sicher auch Job-bedingt, die  Rollenteilung kommt hier besonders gut zum Vorschein», so Kozma. «Beim  Putzen, Kinderhüten und in der Pflege von behinderten oder alten  Menschen haben Aussenstehende keinen Einblick. Da gibt es ein grosses  Ausbeutungspotenzial.»

Wie Jenni von der Beratungsstelle erzählt Scotoni von Frauen, die  mit ihren Kindern für eine Anstellung in die Schweiz kamen und wegen der  Pandemie nicht mehr gebraucht wurden, weil ihre Arbeitgeber aus Angst  vor einer Ansteckung keine fremden Personen im Haushalt wollten oder  weil sie selber im Homeoffice waren – «die standen dann hier bei uns».

Die Gassenarbeit hat zwar Spenden erhalten und kann kurzfristig bei  der Bezahlung der Miete und der Versorgung mit Lebensmitteln aushelfen,  doch wer von einem Tag auf den anderen keine Stelle mehr hat oder wer  sich normalerweise mit saisonalen Jobs durchschlägt und nun keine Arbeit  mehr findet, brauche sehr schnell sehr viel Geld, sagt Kozma weiter –  «da reicht ein Bon für die Gassenküche bei Weitem nicht». Im Moment gebe  es viele, die von einer Organisation zur nächsten geschickt werden, da  keine allein die Mieten, Krankenkassen und Lebenshaltungskosten für  mehrere Monate übernehmen könne. Scotoni befürchtet, dass es in den  kommenden Monaten noch schwieriger als im vergangenen Frühling wird:  «Erneut fällt ein grosses Angebot weg, und im Winter sind die  Rückzugsmöglichkeiten ohnehin beschränkter.»

Keinen Anker

«Jetzt im Winter ist es besonders hart für alle, die auf der  Strasse leben», sagt auch Vera Fabbri von der Notschlafstelle Sleep-In.  Dies ist keine neue Erkenntnis, und dass die Coronapandemie die  Situation zusätzlich verschärft, liegt auf der Hand. Vera Fabbri zufolge  geht es im Moment vielen Betroffenen psychisch schlecht. Sie erzählt  von Panik- oder Angstzuständen unter den Gästen des Sleep-In. Und:  «Sans-Papiers stehen wirklich zuunterst auf der Liste.» Vera Fabbri  kennt einige, die seit Ewigkeiten ohne Aufenthaltsbewilligung in Biel  leben. Es sei zum Teil erstaunlich, was diese durchmachten: «Sie haben  keinen Anker und stecken in der Illegalität fest – aus Not fahren sie  schwarz Bus, können sich nicht ausweisen und werden kriminalisiert.»

Das Sleep-In bietet eine befristete Übernachtungsmöglichkeit,  Verpflegung, eine Waschgelegenheit und Ersatzkleidung (siehe Infobox).  Zusammen mit der Stadt hat die Notschlafstelle eine Lösung gefunden, für  den Fall, dass sich Gäste in Quarantäne begeben müssen: Es gibt einen  Quarantäneort im ehemaligen Zollhaus Bözingen (siehe BT vom 21.  Dezember).

Im Winter koordiniert die Notschlafstelle das Angebot jeweils mit  der Gassenküche Vagos und führt eine spätere Austrittszeit ein, sodass  obdachlose Personen am Vormittag direkt dort an die Wärme gehen können.

Rechnet mit einem Ansturm

Anfangs Dezember in der Gassenküche Vagos. Ab der Eingangstür gilt  eine Maskenpflicht. Die Tische stehen vereinzelt im Raum und sind nur  von wenigen Stühlen umgeben. Die Platzzahl wurde um die Hälfte  reduziert. Am Zeitungsständer ist ein Zettel befestigt mit der  Aufschrift «Bitte vor dem Lesen Hände desinfizieren, danke».

Im Frühling, während des Lockdowns, durften die Gäste den Raum  nicht betreten. Es gab ein Take-away-Angebot vor dem Eingang. Ein  Besucher sagt, dass ihm das gefallen habe, da er so am See habe essen  können. Ein anderer Gast war hingegen überhaupt nicht begeistert. Für  das Take-away sei er nicht gekommen, sagt er: «Ich will mich hinsetzen  und einen Kaffee trinken.» Er fände es gar nicht gut, wenn die  Gassenküche schliessen müsste.

Eine Schliessung wolle der Verein unbedingt verhindern, sagt  Mathias von der Gassenküche, der beim Vornamen genannt werden will. Sie  seien schliesslich kein Restaurant. Durch Staffelungen soll gewährt  werden, dass trotz der Personenbeschränkung alle essen können. Beim  Besuch des BT sind aber nicht einmal alle verbliebenen Plätze besetzt.  «Sonst war es hier immer voll», sagt eine Besucherin. «Corona macht  alles kaputt», fügt ein anderer an.

Zwei Wochen später muss die Gassenküche wieder auf  Take-away-Betrieb umstellen. Statt der traditionellen Weihnachtsfeier  gibt es ein Menü zum Mitnehmen und ein Chlousersäckli mit gespendeten  Geschenken. «Die Gäste hatten riesige Freude an den selbstgestrickten  Socken», so Mathias. Anders als im Frühling kann der Gastraum nun für  eine begrenzte Zeit benutzt werden. Nachmittags hat die Suppenstube  geöffnet –«Dann können sich unsere Gäste austauschen und ihrer  Einsamkeit für ein paar unbeschwerte Augenblicke entfliehen», sagt  Mathias.
Laut ihm hat die Gassenküche viele Stammgäste. Seit Beginn der  Pandemie hat er aber einige neue Gesichter gesehen. Weil die aktuelle  Situation viele Menschen in Not bringt, rechnet er mit einem Ansturm:  «Ich weiss nicht, wann er kommt, bin mir aber sicher, dass er kommen  wird.»

Wie die Gassenarbeit und das Sleep-In ist die Gassenküche ein  niederschwelliges Angebot, das Mathias zufolge auch manche Sans-Papiers  wahrnehmen: Ein Menü, die Möglichkeit Kleider zu waschen und gemäss  Mathias die einzige Gratisdusche der Stadt. «Vielen bedürftigen Menschen  fehlen jetzt sämtliche strukturierenden Elemente», sagt er – «die  grosse Leere hat Auswirkungen auf die Psyche.» Hinzu komme, dass  zahlreiche Trefforte geschlossen sind.

«Gift für Begegnungsorte»

Gassenarbeiterin Kozma betrübt es, dass die Bibliothek ihre  Lesesäle und Arbeitsplätze schliessen musste. Der Aufenthalt dort sei  für viele enorm wichtig: «In der Bibliothek kann man sich unter Leute  begeben ohne Konsumzwang. Es ist ein guter Ort gegen die Einsamkeit,  gegen die Isolation.» Auch in Läden könne man nicht mehr verweilen. Der  Wartsaal des Bahnhofs Biel darf bereits seit einigen Jahren nur noch mit  einer gültigen Fahrkarte benutzt werden, und seit Ausbruch der Pandemie  sind die geheizten Glashäuschen auf den Perrons ebenfalls geschlossen.  Scotoni hat von Personen gehört, die vom Bahnhofsplatz verwiesen wurden,  weil der Platz auf den Bänken aufgrund der Abstandsregeln beschränkt  und für Fahrgäste bestimmt sei. «Die Rückzugsorte verschwinden, es gibt  weniger Schutz», sagt er. «Die Stadt sollte Aufenthaltsmöglichkeiten im  öffentlichen Raum schaffen», finden er und seine Kollegin. Es brauche  Plätze, an denen Personen, die sich nicht im Café, in einem Verein oder  in einem Club treffen können, Geselligkeit erleben.

Ein solcher «Treffpunkt im Herzen Biels» ist das «Haus pour  Bienne». Im Rahmen des Projekts der Vereine «Fair» und «Stand up for  Refugees» werden unter anderem Sprachkurse angeboten, die wahrscheinlich  auch von manchen Sans-Papiers besucht werden. Seit Ende Oktober wurden  jedoch alle Veranstaltungen bis auf Weiteres annulliert. «Für Orte der  Begegnung ist die Pandemie pures Gift», sagt Titus Sprenger,  Vorstandsmitglied des Vereins «Fair».

Vor einigen Monaten, als die Kurse noch stattfanden, hatte das  «Haus pour Bienne» eine Kontaktdatenerhebung eingeführt. Ob die  Tatsache, dass man seine Kontaktangabe hinterlassen muss, einige von  einem Besuch abgehalten hat? Sprenger sagt, er sei sich der Sensibilität  von Personendaten bewusst. Deshalb habe er sich ein System ausgedacht  und einen Papierschredder gekauft. «Ich habe alle ausgefüllten Talons in  einem zugeklebten, beschrifteten Couvert in einem Tresor  eingeschlossen. Die Daten hätte ich nur hervorgeholt, wenn es die  Kantonsärztin gefordert hätte und nach Ablauf der Frist habe ich die  Couverts geschreddert.»

Sowohl Vera Fabbri als auch die Gassenarbeiter Kozma und Scotoni  gehen aber davon aus, dass selbst eine gut organisierte  Kontaktdatenerhebung viele Personen ohne Aufenthaltsbewilligung davon  abhält, einen Begegnungsort aufzusuchen.

Anonym Kontakte knüpfen

An einem anderen solchen Treffpunkt – der Autonomen Schule Biel  (ASB) – war es nie eine Option, Kontaktdaten aufzunehmen. Die ASB  organisiert nebst Deutsch- und Französischkursen gelegentlich  Freizeitaktivitäten und ist für viele vulnerable Menschen ein Ort des  Austauschs. Laut Lukas Moser, der seinen richtigen Namen nicht in der  Zeitung lesen will, wurde der Betrieb solange weitergeführt, wie es die  gesetzlichen Rahmenbedingungen zuliessen. Vor drei Monaten musste er  erneut eingestellt werden.

Die ASB ist dem Autonomen Jugendzentrum (AJZ) angegliedert und  nutzt dessen Räumlichkeiten. Sie sei mehr als eine Schule, sagt Moser:  «Die Kontakte gehen über die Kurse hinaus. Man kommt auch mal mit  Anliegen, hilft sich beim Zügeln.» Auch dieses Angebot ist  niederschwellig; es gibt keinerlei Verpflichtung zur regelmässigen  Teilnahme an den Kursen. Darunter leide zwar mitunter der  Lernfortschritt, so Moser. Aber die Grundhaltung, für alle offen zu sein  und niemanden auszuschliessen, gehe vor: «Für viele bietet die ASB eine  Ausflucht aus dem eintönigen Alltag und einen Anschluss an die  Gesellschaft.» Die Schule werde unter anderem von Geflüchteten und  Asylbewerberinnen besucht – und von Personen ohne gültige  Aufenthaltsbewilligung.

«Ich wüsste gerne, wo diejenigen, welche die Schule normalerweise  besuchen, jetzt sind und ob sie noch am öffentlichen Leben teilnehmen»,  sagt Moser. Zu einzelnen hat er Kontakt. Er weiss daher, dass einige  während des Lockdowns im Frühling aus Angst das Haus kaum mehr verlassen  haben. Die Anweisungen der Behörden seien ohnehin nicht einfach zu  verstehen, und wenn man sich in einer Fremdsprache informieren müsse,  sei es noch schwieriger.

Andere Bekannte aus den Kursen trifft Moser manchmal in der Stadt.  Dann sehe er etwa, wie es ihnen gehe. «Doch oft leben gerade die  Verletzlichsten am meisten zurückgezogen. Wer in einer prekären  Situation ist und nicht viel Energie hat, ist bei der Kontaktaufnahme  zurückhaltend», sagt er.

Link: sanspapiersbern.ch
Quelle: Studie Sans-Papiers in der Schweiz, 2015, B, S, S, Volkswirtschaftliche Beratung

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Stadtbürgerinnen werden

Werden sie ausgebeutet, gehen sie nicht zur Polizei. Das soll  sich ändern. Damit Sans-Papiers eine Rechtssicherheit haben, wird  vermehrt die Forderung nach einem Ausweis laut, den alle vorweisen  können, ohne ihren Aufenthaltsstatus preiszugeben. Auch in Biel.

An der Bieler Stadtratssitzung  vom 18.November hat die Fraktion Einfach Libres eine Motion eingereicht,  die vom Gemeinderat eine Umsetzungsstrategie für eine städtische  Identifikationskarte fordert. Diese sogenannte Citycard soll eine  soziale und rechtliche Teilhabe für alle gewähren und eine  «Aufenthaltssicherheit im städtischen Kontext» schaffen. Insbesondere  Sans-Papiers und abgewiesenen Asylsuchenden soll die Bieler Citycard als  Ausweis bei Vertragsabschlüssen dienen und etwa den Zugang zu einer  Gesundheitsversorgung ermöglichen.

Breit abgestützt

Erstunterzeichnerin der Motion ist Ruth Tennenbaum (Passerelle).  Sie verfolge die Idee einer Stadtbürgerschaft schon länger, sagt sie.  Der Einsatz für die Einführung einer Citycard ist ein Wahlversprechen  der Passerelle. Die Coronapandemie zeige in besonderer Weise die  Dringlichkeit des Anliegens, doch sie sei nicht der aktuelle Anlass für  die Motion: «In Zürich wird seit einiger Zeit an der Umsetzung einer  Citycard gearbeitet. Jetzt liegen Rechtsgutachten vor, welche die  juristische Basis als gegeben erklären. Deshalb haben wir die Motion in  Biel eingereicht», so Tennenbaum.

Wenn möglich soll die Stadt umliegende Gemeinden ins Boot holen  und auf diese Weise das Terrain, auf dem die Citycard gültig ist,  erweitern. Ausserdem müsse verhindert werden, dass das Vorweisen dieser  automatisch auf einen Status als Sans-Papier schliessen lässt. Die Stadt  soll deshalb Anreize schaffen, damit möglichst viele Bielerinnen und  Bieler die Karte besitzen und als Ausweis benutzen. Eine wichtige Frage  werde im Falle einer Einführung sein, wer die Karte herausgibt. Es wäre  beispielsweise unzulässig, wenn die Einwohnerdienste die Herausgeber  wären, da sie Meldepflichten gegenüber Bund und Kanton haben.

«Eine Citycard ist nicht das optimale Instrument, aber ich kenne  kein besseres», sagt Tennenbaum. Das Ziel wäre ihr zufolge eine  gesamtschweizerische Karte, aber solange ein Ausweis für alle auf  nationaler Ebene geringe Erfolgsaussichten habe, brauche es solche  Lösungen. Die Motion sei von links bis zur Grünliberalen Partei breit  abgestützt.

Zuflucht in der Stadt

Laut Jahresbericht verfolgt die Berner Beratungsstelle für  Sans-Papiers die Idee einer Citycard seit 2016. Co-Leiterin Karin Jenni  erklärt: «Es geht um die rechtliche, soziale, politische und kulturelle  Teilhabe aller Bewohner und Bewohnerinnen der Stadt – unabhängig vom  Aufenthaltsstatus.» Abgesehen davon, dass die Citycard Zugang zu  städtischen Dienstleistungen ermöglichen soll, müsste Jenni zufolge auch  angestrebt werden, dass gewisse private Dienstleister die Karte als  Identifikationsmittel akzeptieren. «Es wäre beispielsweise  wünschenswert, dass Sans-Papiers Bankkonten eröffnen können, damit sie  den Lohn nicht bar herumtragen müssen.»

Hilfreich wäre es laut Désirée Kozma von der kirchlichen  Gassenarbeit in Biel ferner, wenn eine Citycard beim Abschluss von  Handyabonnements zum Einsatz kommen könnte. Sie führt aus: «Ein Handy  und Internetzugang bringen viele Vorteile. Zahlreiche Vergünstigungen,  beispielsweise Sparbillets, gibt es nur online.»

Tennenbaum kennt die Hoffnungen, die in eine Citycard gesetzt  werden. Ihr ist vor allem der Zugang zu Rechtshilfe ein Anliegen: «Die  Ausbeutung mancher Sans-Papiers erinnert zuweilen an Sklaverei», so die  Stadträtin. Überdies nennt sie die Möglichkeit, dass die Karte bei der  Unterzeichnung von Mietverträgen zum Einsatz kommen wird. Tennenbaum  sagt aber auch klar, was eine Citycard nicht kann: «Arbeitsverträge  damit abzuschliessen, wird für Sans-Papiers in absehbarer Zukunft nicht  möglich sein.»
Die Beratungsstelle für Sans-Papiers gelangt im Jahresbericht zur  Einsicht, dass «so einfach die Idee der Citycard auch ist», sich «die  Umsetzung (…) sehr komplex» gestaltet. Jenni sagt, die Grenzen der  Möglichkeiten lägen unter anderem in den beschränkten Kompetenzen der  Stadt. Es stelle sich die Frage: «Was darf die Stadt und wo geht das
 kantonale oder nationale Recht vor?»

Die Idee einer Stadtbürgerschaft ist dabei keineswegs neu. Sie ist  sogar antik, wie ein «Magazin»-Artikel vom Mai 2019 aufzeigt. Städte  als Zufluchtsorte spielten schon bei Aristoteles eine Rolle. Bei der  Stadtbürgerschaft ist nicht die Nationalität, sondern der  Lebensmittelpunkt einer Person das Identifikationsmerkmal. Eine Citycard  stellt demnach «nicht weniger als die Hoheit des Nationalstaates bei  der Vergabe von Bürgerschaften infrage». Das gegenwärtig prominenteste  Beispiel dafür ist New York. Dort führte Bürgermeister Bill De Blasio  2014 eine städtische Identitätskarte ein, die heute weit mehr als eine  Million New Yorkerinnen und New Yorker besitzen. Daneben ist auch  Palermo berühmt für Formen der Stadtbürgerschaft. Bürgermeister Leoluca  Orlando fordert gar die Abschaffung der Aufenthaltsgenehmigung.

Keine eigene Polizei

In Zürich leben schweizweit mit Abstand die meisten Sans-Papiers.  2015 entstand der Verein Züri Citycard, der sich für die Einführung  eines städtischen Ausweises für die Wohnbevölkerung des Grossraum  Zürichs einsetzt. Im November 2020 war es schliesslich so weit: Der  Zürcher Stadtrat hat die Einführung der Züri Citycard bekanntgegeben.  Nun liegt es am Gemeinderat, die Umsetzung voranzutreiben. Die erste  Züri Citycard wird frühestens 2024 ausgegeben. Tennenbaum geht davon  aus, dass die rechtliche Situation in Biel «nicht gross anders sein  wird». Doch ein Blick nach Bern zeigt: Es dürfte komplizierter werden.

Gemeinsam mit dem Kollektiv «Wir alle sind Bern» trieb die Berner  Beratungsstelle für Sans-Papiers dort die Einführung einer Citycard  voran. Und anfangs schien die Möglichkeit, sich mit einem städtischen  Ausweis zu identifizieren, in der Bundesstadt sogar greifbarer als in  Zürich. Bereits im Dezember 2017 beschloss die Stadtregierung die  Einführung und die Ausarbeitung begann: Es wurden Abklärungen getroffen,  ob die Kehrichtverbrennung, das Sport-, das Alters- und das  Versicherungsamt bereit wären, eine solche Karte als Ausweis zu  akzeptieren. Man wollte auch nichtstädtische Anbieter wie Bahnbetriebe  oder Telefongesellschaften mit ins Boot holen, und die Stadt überlegte  sich, wie man Anreize für Bernerinnen und Berner mit einer gültigen  Aufenthaltsbewilligung schaffen könnte.

Kürzlich folgte die grosse Ernüchterung. Der «Bund» titelte am 26.  November: «Ein städtischer Ausweis hilft Sans-Papiers bei  Polizeikontrollen nicht». Der Grund dafür ist, dass in Bern der Kanton  für Justiz und Polizei zuständig ist. Unter seine Zuständigkeit fallen  ausserdem Gesundheitseinrichtungen und öffentliche Schulen. Deshalb  lassen sich «mit einer Citycard in diesen Bereichen kaum Verbesserungen  erzielen». Das heisst, ein städtischer Ausweis schafft gerade bei einem  der Hauptprobleme von Sans-Papiers – der Angst vor Polizeikontrollen und  der damit einhergehenden Vermeidung von Meldungen bei Missbräuchen –  keine Besserung.

Auch Zürich wird bei der Einführung einer Citycard nicht an das  New Yorker-Vorbild herankommen, wo der Ausweis breit akzeptiert ist.  Doch gegenüber Bern hat die Stadt den Vorteil, über eigene Polizei zu  verfügen. Der städtische Ausweis wird von ihr bei Kontrollen als Ausweis  akzeptiert werden.

Die nächsten Schritte

Die Nachricht aus Bern ist für eine mögliche Bieler Citycard ein  Dämpfer, denn die Stadt wird wie Bern von der Kantonspolizei abgedeckt.  Bevor es aber überhaupt um die Umsetzung geht, müssen politische  Schritte abgewartet werden.

Ab der Einreichung der Motion im November hat der Gemeinderat  sechs Monate Zeit für seine Antwort. Danach folgen Diskussionen im  Stadtrat und gegebenenfalls die Überweisung des Anliegens an den  Gemeinderat. Falls der Gemeinderat mit der Ausarbeitung einer Citycard  beauftragt wird, hat er zwei Jahre Zeit, um dem Stadtrat einen  Umsetzungsvorschlag zu unterbreiten. Bis in Biel ein städtischer Ausweis  eingeführt werden könnte, vergehen also mindestens zweieinhalb Jahre –  im besten Fall. Denn der Prozess könnte sich verzögern, wenn die Stadt  beispielsweise ergänzende Rechtsgutachten einholen will.
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/biel/sans-papiers-haben-keine-kurzarbeit)