Neuer Wind beim Benennen von Wetterphänomenen | Bern: Kundgebung fordert Freiheit für Hüseyin Şahin und Alican Albayra | Göttingen: Staatsschutz ermittelt wegen Protestgraffiti | Gedenkveranstaltungen an Oury Jalloh in 12 deutschen Städte | Polizei wird Zürcher City-Card nicht anerkennen | Firma benennt Pasta nach ehemaligen italienischen Kolonien | Pushbacks und Tote auf den Fluchtrouten nach Europa | Coronaimpfungen gibt es bisher nur im globalen Norden
Podcast: https://www.megahex.fm/archive/antira-wochenschau-vom-11-januar-2021
Was war eher gut?
Neuer Wind beim Benennen von Wetterphänomenen
Zusammen mit Journalist*innen aus Österreich haben die Neuen deutschen Medienmacher*innen und die Neuen Schweizer Medienmacher*innen 14 Patenschaften für Hoch- und Tiefdruckgebiete gekauft und sie mit nicht-nordischen Namen benannt.
Diese Netzwerke von Journalist*innen, die sich „für eine reflektierte, antirassistische Berichterstattung und für mehr Medienschaffende mit Migrationsgeschichte“ einsetzen, haben sich für diese symbolische Aktion zusammengeschlossen, damit „gesellschaftliche Vielfalt endlich Normalität wird, überall.“
Seit 2002 kann mensch ein Hoch- oder Tiefdruckgebiet für 240 bis 360 Euro kaufen; Geld, auf das das Institut für Meteorologie für die „Fortführung der vollständigen Klimabeobachtung“ angewiesen ist.
Zur Aktion schreiben die Neuen Schweizer Medienmacher*innen: „Namen, das ist unsere Überzeugung, sind mehr als nur Zeichen, und das Fehlen von bestimmten Namen bedeutet viel – auch, wenn es «nur» um Wetterphänomene geht. Tatsächlich ist nicht einsichtig, warum Tiefs und Hochs bisher nur «Willi» oder «Johanna» hiessen, wenn doch in der meteorologisch überaus interessierten Schweiz 38 Prozent eine Migrationsgeschichte haben, in Deutschland sind es rund 26 Prozent. In Österreich machen Menschen mit Migrationsgeschichte rund 23 Prozent der Bevölkerung aus.“
https://neuemedienmacherinnen.ch/wenn-ahmet-sturm-bringt/
https://taz.de/Wetternamen-als-Teilhabekaempfe/!5738073/
Wo gabs Widerstand?
Bern: Kundgebung fordert Freiheit für Hüseyin Şahin und Alican Albayrak
Vor der griechischen Botschaft protestierten Mitglieder*innen des Schweizerischen Wanderarbeiterverbandes (IGIF) und der Sozialistischen Frauenunion (SKB) für die Freilassung von Hüseyin Şahin und Alican Albayrak, die in Chios, Griechenland, inhaftiert sind.
Die beiden Männer, die selbst aus politischen Gründen aus der Türkei fliehen mussten, waren am 17. November 2020 auf Lesbos festgenommen worden, weil sie zwei politischen Geflüchteten aus der Türkei bei ihrer Ankunft auf der Insel geholfen haben sollen. Der türkische Staat hat aufgrund seiner Verhaftungswellen gegen alle gesellschaftlichen Gruppen, die sich ihm widersetzen (insbesondere gegen Sozialist*innen und Kurd*innen), tausende Menschen gezwungen die Türkei zu verlassen, um im Ausland ein Leben als politische Geflüchtete zu führen. Die griechischen Behörden geben sich gleichzeitig grösste Mühe, so viele Ankünfte wie möglich zu verhindern. Dazu gehören immer wieder Festnahmen von Menschen, denen die Rolle des „Schmugglers“ zugeschrieben wird oder von solidarischen Menschen, die ankommende Geflüchtete unterstützen. Ebenfalls im November wurde beispielsweise ein Kanadier angeklagt, weil er einem mit einem Boot ankommenden Menschen eine Flasche Wasser gereicht hatte. Die Richter bewerteten dies als Schleusertätigkeit, da die Tat darauf abgezielt hätte „den Aufenthalt von Ausländern ohne Dokumente zu erleichtern“.
http://etha15.com/haberdetay/igif-ve-skbden-albayrak-ve-sahin-icin-bernde-eylem-133645https://enough-is-enough14.org/2020/12/27/griechenland-solidaritaet-mit-gefluechteten-ist-kein-verbrechen-freiheit-fuer-alican-albayrak-und-hueseyin-sahin/https://jungle.world/artikel/2020/50/unerbittlich-auf-lesbos
Göttingen: Staatsschutz ermittelt wegen Protestgraffitis
Mehr als ein dutzend grossformatige Bilder zieren seit Dezember den Rand der Göttinger Innenstadt. Mehrere Motive thematisieren die elende Situation von geflüchteten Menschen an den europäischen Aussengrenzen und die Seenotrettung, andere die Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen. Da die Inhalte auf eine „politisch motivierte Straftat“ hindeuten würden, ermittelt nun der Staatsschutz. Dass solidarische Schriftzüge und Zeichnungen in der gleichen Behörde wie Terrorismus behandelt werden, zeigt mal wieder auf welchem Auge die Beamt*innen besonders gut sehen, um in der jährlichen Statistik der „extremistischen Straftaten“ den rechten Morden und Gewalttaten auf der sogenannten „linksextremen“ Seite etwas entgegensetzen zu können.
https://www.goettinger-tageblatt.de/Die-Region/Goettingen/Goettingen-Graffiti-an-mehreren-Stellen-angebracht
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146632.goettingen-staatsschutz-gegen-graffiti-maler.html
Gedenkveranstaltungen an Oury Jalloh in 12 deutschen Städten
„Am 7. Januar jährt sich der grausame Tod von Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle zum 16. Mal. Von Aktivistinnen und Aktivisten in Auftrag gegebene unabhängige Gutachten legen nahe, dass Dessauer Polizisten den Geflüchteten aus Sierra Leone zu Tode prügelten und dann seine Leiche verbrannten, um den Mord zu vertuschen. Doch von offizieller Seite wird nach wie vor behauptet, Oury Jalloh habe sich selbst angezündet. Der mangelnde Wille der Behörden zu Aufklärung und Verantwortungsübernahme ist ein fortgesetzter Skandal.
Der Tod von Oury Jalloh ist leider kein Einzelfall. Am selben Tag starb Laye-Alama Condé an den Folgen von Brechmittelfolter durch die Polizei in Bremen. Am 23. Juli 2020 starb Ferhat Mayouf in der JVA Moabit durch einen Zellenbrand, ebenso wie Amed Ahmad am 17. September 2018 in der JVA Kleve. Die Kampagne »Death in Custody« hat für den Zeitraum 1990 bis 2020 insgesamt 180 Todesfälle von Schwarzen Menschen und People of Color in Gewahrsam und durch Polizeigewalt recherchiert. Mit wenigen Ausnahmen haben diese Todesfälle keinerlei Konsequenzen für die Verantwortlichen. Dass der Name Oury Jalloh und die Zweifel an der Suizidthese einer breiteren Öffentlichkeit bekannt sind, ist allein der unermüdlichen Arbeit der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh zu verdanken“, fasst Ulla Jelpke, Bundestagessprecherin der Linken, zusammen.
„Wir wollen auch all unseren Geschwistern gedenken, die in Deutschland, Europa und auf der ganzen Welt durch rassistisch motivierte Gewalt von Polizei und Nazis umgebracht worden, von Justiz und Staat entehrt und unterdrückt und von einer schweigenden Masse an Zivilbürger:innen in Deutschland vergessen werden“, hiess es im Aufruf der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh. Die Initiative kämpft seit 16 Jahren für Aufmerksamkeit auf rassistische (Polizei-) Gewalt und hat dafür gesorgt, dass der Name Oury Jalloh nicht als Einzelschicksal in Vergessenheit geriet.
https://www.jungewelt.de/artikel/393847.gedenken-an-oury-jalloh.html
https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/
Wo gabs Rassismus?
Polizei wird Zürcher City-Card nicht anerkennen
Die Stadt Zürich will einen städtischen Ausweis für Sans-Papiers einführen. Auf Intervention der SVP bekräftigt der kantonale Regierungsrat, dass die Polizei diesen nicht als offizielles Dokument akzeptieren darf.
In der Stadt Zürich leben rund 10‘000 Sans-Papiers. Die geplante City-Card soll Menschen ohne Papiere den Zugang zu städtischen Dienstleistungen ermöglichen. Der Hoffnung, dass die Karte auch bei Polizeikontrollen als Ausweis verwendet werden kann, wurde vom Regierungsrat des Kantons Zürich nun eine Absage erteilt. Die City-Card könne nicht einem amtlichen Ausweis gleich gestellt werden. Ende November 2020 hatten 43 Kantonsräte eine Interpellation eingereicht, um rechtliche Fragen zu klären. In seiner Antwort hält der Regierungsrat nun fest, dass sich die kontrollierende Person der Begünstigung strafbar machen würde, sollte sie die City-Card als Ausweis akzeptieren.
Dass es den Interpellant*innen keineswegs nur um die Klärung rechtlicher Fragen ging, zeigen Zitate aus den Reihen von SVP-Politiker*innen. Kantonsrat René Isler sagt in einem Interview auf Tele Top: „Es gibt überhaupt keine Gründe, wieso sich eine Person ohne Ausweis in unserem Land aufhält.“ Sein Parteikollege und Erstunterzeichner Ulrich Pfister setzt dann noch einen drauf und warnt in der Limmattaler Zeitung vor einer Sogwirkung. Die City-Card dürfe nicht zu einer „schleichenden Legalisierung unbewilligter Aufenthalte“ führen, denn diese würde „neue Sans-Papiers nach Zürich locken.“ Selbst der Zugang zu Freizeitaktivitäten und kulturellen Einrichtungen soll Sans-Papiers nicht ermöglicht werden. Die Limmattaler Zeitung zitiert Pfister folgendermassen: „Wenn er selbst in seiner Gemeinde eine Jahreskarte für die Badi wolle, müsse er schliesslich auch belegen, dass er dort wohne. Zudem finanziere er das Angebot als Steuerzahler mit. Bei Sans-Papiers sei dies nicht der Fall.“
Rechte Stimmungsmache
Abgesehen von den klar rassistischen Komponenten dieser Aussagen, hier zu den Fakten: Wie eine Studie des Staatssekretariats für Migration (SEM) aufzeigt sind rund 90% der erwachsenen Sans-Papiers in der Schweiz erwerbstätig und finanziell unabhängig (https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-61488.html). Dies müssen sie aus der Not heraus auch sein, denn als Sans-Papiers haben sie keinerlei Möglichkeit, Sozialhilfe oder andere stattlichen Unterstützungen anzufordern. Studien belegen auch, dass die Anzahl der Arbeitsplätze die Anzahl der anwesenden Sans-Papiers steuert. Die City-Card würde ausserdem ja gerade belegen, dass ein Mensch in einer Gemeinde wohnt und ihm darum der Zugang zu allen öffentlichen Einrichtungen offen stehen soll. Pfister widerspricht sich in seiner Aussage somit mehrmals selbst.
Doch wichtiger als die fadenscheinigen Argumente, welche von rechts ins Feld geführt und direkt gegen die Interpellant*innen verwendet werden können, ist der Blick auf die angeschlagene Rhetorik. Die Gesellschaft soll bewusst gespalten werden. Sans-Papiers werden stigmatisiert und ausgegrenzt. Dabei sind sie allermeistens wegen ihres Status bereits gezwungen, sich im Alltag möglichst unauffällig zu verhalten, um nicht in eine Polizeikontrolle zu geraten. In Zürich betrifft dies fast jede 30. Person in der Stadt. Wir begegnen jeden Tag Menschen, welche Teil dieser Gesellschaft sind, aber nur wegen fehlender Papiere von dieser nicht als solche anerkannt werden. Und genau diese Nicht-Anerkennung, rechtlich wie in den Köpfen der Bevölkerung, soll wenn es nach dem rechtsbürgerlichen Lager geht auf keinen Fall aufgeweicht werden. Denn mit dem jetzigen Status sind Sans-Papiers billige Arbeitskräfte ohne jegliche Rechte, welche sich entgegen jeder Faktenlage perfekt zur rechten Stimmungsmache eignen.
Kein Mensch ist illegal
Einen anderen Weg hat der Kanton Genf mit seinem im Jahr 2017 gestarteten Projekt „Papyrus“ gewählt. Dort haben mehrere tausend schon lange in der Schweiz lebende Menschen Aufenthaltspapiere erhalten. Es ist also keineswegs ein „übergeordnetes Recht“ welches den Städten oder Kantonen im Wege stehen würde, die Situation von Sans-Papiers zu verbessern. Allerdings hat auch Genf bisher nur die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten genutzt, welche die Regularisierung von Sans-Papiers an diverse Bedingungen knüpft. Von einer Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig ihrer Herkunft kann noch keine Rede sein. Fakt ist, dass sich wegen des Ausländerrechtes Schweizer Städte nicht zu „sanctuary cities“ erklären können, wie dies zum Beispiel New York getan hat. Dort können alle Einwohner*innen unabhängig des Aufenthaltsstatus einen Stadtausweis (IDNYC) beantragen, welcher auch von der New Yorker Polizei als offizielles Ausweisdokument akzeptiert werden muss. Doch vernebelt die Debatte um Zuständigkeiten und Rechtsgrundlagen ohnehin den eigentlichen Punkt: Dass in der Schweiz zehntausende Menschen leben, welche bewusst illegalisiert und entrechtet werden. Diesen Zustand gilt es sofort zu ändern.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/nach-intervention-der-svp-polizei-darf-zuercher-city-card-nicht-anerkennen-140405258
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/zueri-city-card-stoesst-im-kantonsrat-auf-kritik-00146343/
Firma benennt Pasta nach ehemaligen italienischen Kolonien
Die italienische Firma La Molisana hat vor einer Woche verschiedenen Pastasorten den Namen ehemaliger italienischer Kolonien gegeben, z.B. „Abissine rigate“ (ehemaliger Namen Äthiopiens) oder „Tripoline lunghe“ (Libyen). Im Werbetext für diese Pasta stand, dass diese „ferne exotische Orte hervorrufen und ein koloniales Aroma haben“. Nach Protesten in verschiedenen italienischen Medien und auf sozialen Netzwerken, hat die Firma die Namen der Pasta und den Werbetext geändert. Nebst einer Firma, die rassistische Reflexe nicht dekonstruiert hat, hat dieser Skandal auch gezeigt, wie wenig die italienische (Post-)Kolonialgeschichte, die tausende von Todesopfern forderte, problematisiert und verarbeitet ist.
https://taz.de/Pasta-entfacht-postkoloniale-Debatte/!5738262/
https://resistenzeincirenaica.com/2021/01/05/pasta-balilla/
Was ist aufgefallen?
Coronaimpfungen gibt es bisher nur im globalen Norden
Während das Coronavirus sich weltweit verbreitet hat, stehen die Möglichkeiten, sich vor der Pandemie und ihren Folgen zu schützen, nicht allen gleichermassen zur Verfügung. So stammen die ersten Bilder von Menschen, die sich impfen lassen, nicht von überall her. Getreu der neokolonialen Matrix des Weltsystems haben bisher nur Bevölkerungen aus dem Globalen Norden die Freiheit über einen drohenden Impfzwang zu diskutieren. Menschen im Globalen Süden werden noch lange nicht über die Freiheit verfügen, sich impfen zu lassen.
Um sich im Gerangel um Impfstoffe durchzusetzen, braucht es politische Macht, finanzielle Kaufkraft sowie Kontrolle über das Know-How (Patente) und die Produktion. All dies besitzen die Staaten des Globalen Nordens seit Jahrhunderten auf Kosten des Globalen Südens. So werden einmal mehr im Norden Reserven gebildet – diesmal um die Bevölkerung mehrmals impfen zu können – während im Süden für die Mehrheit nicht einmal die Grundversorgung sichergestellt ist. Dort, wo die Gesundheitssysteme vielerorts an die Grenzen geraten sind, mangelt es an Geld für gute Verträge mit Pharmakonzernen aus dem Norden. Nur dies kann im Moment den Zugang zu den Impfstoffen sicherstellen. Die Weltbank – aus dem Norden kontrolliert – würde zwar Geld zur Verfügung stellen, aber nur in Form von Krediten, die wieder zurückbezahlt werden müssen.
Dass überproportional viele Menschen aus dem Globalen Süden ihre Körper hergaben, um den Impfstoff zu entwickeln und zu testen, schein t keine Rolle zu spielen. Für den Impfstoff von Pfizer brauchte es beispielsweise offenbar 44’000 Testpersonen, die Mehrheit davon stammt aus Argentinien, Südafrika, Brasilien und der Türkei. Warum? Weil in Staaten des Südens aufgrund von Rassismus und Neokolonialismus der Wert des Lebens anders gewichtet wird als im Globalen Norden. Das zeigt sich daran, dass mehr Menschen wegen Armut dermassen verzweifelt sind, bei solchen Studien mitzumachen. Die Überwachung des Gesundheitssystems ist in diesen Ländern schlechter und daher ist es für Pharmakonzerne attraktiver, unsichere Studien am Menschen dort durchzuführen. Ausserdem sind die Löhne und somit die Betriebskosten niedriger. Wären Körper im Norden und im Süden gleichwertig, gäbe es wohl noch keinen Impfstoff. Doch so ist es derzeit nicht. Daher tragen die einen das Risiko der Impfstoffentwicklung und die anderen profitieren vom Schutz des entwickelten Impfstoffs.
Kenia, Indien und Südafrika haben im Oktober 2020 bei der Welthandelsorganisation (WTO) beantragt, bei Impfstoffen und anderen Produkten, die gegen das Coronavirus helfen, auf Patentrechte bzw. geistiges Eigentumsrecht zu verzichten. Laut Ärzte ohne Grenzen wäre dadurch vieles leichter: (1) Engpässe bei medizinischem Material, Medikamenten und Impfstoffen könnten vermieden werden und weltweit könnten schnellstmöglich ausreichende Mengen produziert werden; (2) Medikamente, Impfstoffe oder sogenannte Generika könnten mehr Menschen weltweit zur Verfügung stehen; (3) länderübergreifende Zusammenarbeit in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Herstellung und Bereitstellung von Covid-19-Instrumenten wären realistischer; (4) eine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen medizinischen Instrumenten würde nicht von Pharmaunternehmen, sondern demokratisch kontrolliert.
Etwa rund 100 Staaten sind in der WTO für den oben erwähnten Antrag. Die USA, die EU, Grossbritannien, Norwegen, Japan, Kanada, Australien und die Schweiz stimmten im Oktober dagegen. Im November und Anfang Dezember kam es zu weiteren Abstimmungen. Auch da stimmten sie gegen den Antrag. Nach den Abstimmungsregularien der WTO konnten die Länder des Globalen Nordens sich mit ihrer menschenfeindlichen Haltung bisher durchsetzten. Die Corona-Pandemie zeigt exemplarisch, wie politische Macht und finanzielle Kaufkraft die Gesundheitsversorgung steuert. Auch mit Hilfe von Patenten wird verhindert, dass die Produktion und Verteilung von Impfstoff solidarisch und gleichberechtigt erfolgen kann.
https://alencontre.org/societe/covid-19-le-monde-face-a-un-apartheid-vaccinal.html
https://www.msf.ch/de/neueste-beitraege/artikel/keine-patente-pandemiezeiten-die-wichtigsten-fragen-und-antworten
https://www.ipg-journal.de/regionen/global/artikel/patente-4867/
Neues Jahr, altes Verhalten: Pushbacks und Tote auf den Fluchtrouten nach Europa
Zahlreiche Todesfälle und Pushbacks begleiten den Jahresbeginn 2021 und machen verstärkte Kämpfe gegen die europäische Abschottungspolitik dringlich.
Was bedeutet ein Jahreswechsel für Menschen auf der Flucht? Liest man die Nachrichten der ersten Woche des frisch angebrochenen Jahres, hat sich nichts verändert:
- In der Ägäis finden weiterhin Pushbacks mit Rettungsinseln statt. So beispielsweise am Sonntag, als die türkische Küstenwache 28 Personen von zwei Rettungsinseln aufnahm, auf denen die Menschen von der griechische Küstenwache – business as usual – ausgesetzt worden waren, nachdem sie nach eigenen Angaben Lesbos bereits erreicht hatten. Letztes Jahr konnten 103 solcher Fälle dokumentiert werden.
- Am Montag ertrank eine 26-jährige Frau in der Ägäis.
- Das Mittelmeer bleibt auch 2021 eine tödliche Grenze. In den ersten 6 Tagen sind bereits 15 Menschen ertrunken und 265 Menschen konnte das spanische Rettungsschiff Open Arms retten. Andere Schiffe bleiben festgesetzt und staatliche Akteure ignorieren weiterhin Notrufe.
- Die Fluchtroute über den Atlantik ist weiter stark frequentiert und fordert Menschenleben. Am Dienstag erreichte ein Boot mit 47 Menschen Teneriffa. Vier Menschen waren bei der Ankunft tot. Drei weitere wurden mit Verbrennungen und anderen Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Am Mittwoch rettete Salvamento Marítimo auf hoher See südlich von Gran Canaria 125 Menschen in Not, die in drei Holzbooten unterwegs waren.
- Am Montag twitterte das IOM, dass innerhalb von 24 Stunden 160 Menschen auf der Flucht von der libyschen Küstenwache zurück nach Libyen gebracht wurden. Libyen ist kein Sicherer Hafen.
- Am vergangenen Wochenende wurden die Leichen von sieben Menschen an einem Strand im Nordwesten Algeriens gefunden, die wahrscheinlich bei ihrer Flucht ertrunken sind.
- Die marokkanische Marine rettete 21 Menschen subsaharischer Herkunft auf einem im Mittelmeer treibenden Boot, in dem sich auch die Leichen einer Frau und eines Babys befanden.
Diese Nachrichten haben sich zu einem scheinbaren „Normalzustand“ etabliert, als wären sie die Folgen einer Naturgewalt. Dabei sind sie alle auf das gleiche zentrale Problem zurückzuführen: Die Abschottung Europas mit allen Mitteln. Die fehlende Möglichkeit, bereits im Herkunftsland ein Asylgesuch in einer europäischen Botschaft zu stellen, zwingt die Menschen, die nicht bleiben können oder wollen, auf gefährliche Fluchtrouten. Die Überwachung und Blockade von Fluchtrouten führt zum Ausweichen auf noch gefährlichere Wege. Diejenigen, die das beinahe Unmögliche schaffen und auf europäischem Boden ankommen, werden in Lagern interniert. Wir brauchen auch 2021 Kämpfe für Bewegungsfreiheit unabhängig von der Farbe des Passes, Seenotrettungsmissionen und die Ausschiffung geretteter Menschen in sicheren Häfen, die Unterstützung statt die Kriminalisierung von NGOs und privaten Unterstützer*innen und ein Ende der Lagerpolitik von Libyen bis in die Schweiz.
Kopf der Woche: Barbara Steinemann
Die SVP-Politikerin machte Anfang Dezember mit rassistischen Aussagen in der Berner Zeitung von sich reden. Letzte Woche haben Aktivist*innen dem Parteibüro der SVP Basel-Stadt einen Besuch abgestattet.
„Nachdem eine Kampagne zur Bekämpfung von sexueller Belästigung vom Ständerat abgelehnt wurde, äusserte sich SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann mit rechter Hetze: In der Berner Zeitung sagt sie, Sexismus existiere nicht zwischen Mann und Frau, sondern sei ein Problem „zwischen Schweizern und Ausländern“. Nur Männer aus bestimmten Ländern würden Frauen belästigen. Mit solchen Aussagen benutzt die SVP-Politikerin patriarchale Strukturen für ihre rechte Politik und verdreht Zusammenhänge, damit sie in ihre rassistische Hetze passen.
Barbara, halts Maul!
Sexismus hat keine Herkunft!“
(gefunden auf https://barrikade.info/article/4117)
Dem können wir nur zustimmen. Leider steht Barbara Steinemann mit ihrer Haltung nicht alleine da. Immer wieder instrumentalisieren Politiker*innen Sexismus und sexuelle Übergriffe für rassistische Aussagen. Oder verfallen bei der (angeblichen) Bekämpfung von Sexismus in rassistische Stereotypen. Eines der krassesten Beispiele der letzten Jahre im deutschsprachigen Raum war die Silvesternacht 2015 in Köln, als es in der Stadt zu einer grossen Anzahl sexueller Übergriffe kam. In der Folge kam es in ganz Deutschland während Wochen zu einer Welle an rassistischer Hetze, auf der auch die grossen Medienhäuser gerne mitfuhren.
Während der Fasnacht 2016 fiel der Luzerner Regierungsrat mit einer Anti-Grapsch-Kampagne für Geflüchtete auf. Unter der Regie von Gesundheits- und Sozialdirektor Guido Graf (CVP) wurden in Luzerner Asylzentren Flyer verteilt, um die Asylsuchende darüber aufzuklären, dass es in der Schweiz „bezüglich sexueller Belästigung beziehungsweise sexueller Übergriffe in unserer Gesellschaft eine Null-Toleranz gibt.“
Die Liste könnte noch lange weiter geführt werden.
https://www.bernerzeitung.ch/kampagne-gegen-sexismus-wichtig-oder-geldverschwendung-823780845347
Was steht an?
Black History Month 2021
Das Deutsch Amerikanische Institut in Tübingen macht im Februar verschiedene (Online-) Veranstaltungen zum „Black History Month 2021″, darunter Lesung und Vortrag mit Alice Hasters z uihrem Buch “ Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ sowie Online-Diskussion mit Dr. Nicole Hirschfelder, Tübingen, und Esther Earbin, J.D., Indianapolis, zu “ Anti-Schwarzer Rassismus und Polizeigewalt in Deutschland und den USA“.
https://www.dai-tuebingen.de/sites/default/files/uploads/events/kp_1_21_web.pdf
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Die Schweiz im Visier: „Bewaffnete Neutralität“
Arte-Doku: Erst 2002 offenbarten die Archive der Banken und großen Firmen, dass die Schweiz – bewusst oder unbeabsichtigt – die Kriegsanstrengungen der Nazis kräftig unterstützt hatte.
https://www.arte.tv/de/videos/090598-000-A/geschehen-neu-gesehen-wahre-geschichte/
«Gibt es etwas Schlimmeres als die Abschaffung der Unschuldsvermutung?»
Es wurde bereits totgeschrieben, doch im letzten Moment scheint das Referendum gegen die neuen «Antiterrorgesetze» zustande zu kommen. Ein Treffen mit der 27-jährigen Juristin Sanija Ameti, die den Widerstand gegen das Gesetz anführt.
https://www.republik.ch/2021/01/07/mit-diesem-gesetz-weiss-man-nicht-mehr-wann-der-staat-eingreifen-kann-und-wann-nicht
Ein Schädel in Seronera. Myles Turner und das kolonialmilitärische Erbe des Naturschutzes in Ostafrika
Was lässt sich gegen Tier- und Naturschutz in Afrika einwenden? Und müssen nicht die letzten ihrer Art, etwa Nashörner, mit allen Mitteln gegen Wilderer verteidigt werden? Die Militanz der sogenannten „grünen Armeen“ blickt allerdings auf ein interessantes kolonialgeschichtliches Erbe zurück.
https://geschichtedergegenwart.ch/ein-schaedel-in-seronera-myles-turner-und-das-kolonialmilitaerische-erbe-des-naturschutzes-in-ostafrika/
Moderne Sklaverei in Italien
Trotz eines neuen Gesetzes hat sich die Lage der illegalen Landarbeiter in diesem Jahr verschlechtert
Viele Tagelöhner in der italienischen Landwirtschaft werden brutal ausgebeutet. Die Legalisierung der Arbeitsmigranten stockt, die Corona-Pandemie trifft sie besonders hart.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146516.landarbeiter-in-italien-moderne-sklaverei-in-italien.html
Seehofers Anti-Migrationspolitik tötet
Seit 2018 will der Innenminister Einwanderung »reduzieren« – und greift zu rechtlich fragwürdigen Mitteln.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146345.einwanderung-seehofers-anti-migrationspolitik-toetet.html
Glossar
Intersektionalität
Der Begriff Intersektionalität (1989 von Kimberlé Crenshaw eingeführt) veranschaulicht, dass sich Formen der Unterdrückung und Benachteiligung nicht einfach aneinanderreihen lassen, sondern in ihren Verschränkungen und Wechselwirkungen Bedeutung bekommen. Kategorien wie Geschlecht, ‚Rasse‘, Alter, Klasse, Ability oder Sexualität wirken nicht allein, sondern vor allem im Zusammenspiel mit den anderen. Die intersektionale Perspektive erlaubt, vielfältige Ungleichheits- und Unterdrückungsverhältnisse miteinzubeziehen, die über eine Kategorie allein nicht erklärt werden können.
(von: https://www.gwi-boell.de/de/intersektionalitaet)
Heteronormativität
„Der Begriff benennt Heterosexualität als Norm der Geschlechterverhältnisse. (…) Die Heteronormativität drängt die Menschen in die Form zweier körperlich und sozial klar voneinander unterschiedener Geschlechter, deren sexuelles Verlangen ausschließlich auf das jeweils andere gerichtet ist. (…) Was ihr nicht entspricht, wird diskriminiert, verfolgt oder ausgelöscht (…) Heteronormativität (erzeugt) den Druck, sich selbst über eine geschlechtlich und sexuell bestimmte Identität zu verstehen, wobei die Vielfalt möglicher Identitäten hierarchisch angeordnet ist und im Zentrum der Norm die kohärenten heterosexuellen Geschlechter Mann und Frau stehen. Zugleich reguliert Heteronormativität die Wissensproduktion, strukturiert Diskurse, leitet politisches Handeln, bestimmt über die Verteilung von Ressourcen und fungiert als Zuweisungsmodus in der Arbeitsteilung. “
(zitiert nach Peter Wagenknecht auf: https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-531-90274-6_2)
„Analysiert wird, wie Heterosexualität in die soziale Textur unserer Gesellschaft, in Geschlechterkonzeptionen und in kulturelle Vorstellungen von Körper, Familie, Individualität, Nation, in die Trennung von privat/öffentlich eingewoben ist, ohne selbst als soziale Textur bzw. als produktive Matrix von Geschlechterverhältnissen, Körper, Familie, Nation sichtbar zu sein.“
(zitiert nach Sabine Hark auf: https://gender-glossar.de/h/item/55-heteronormativitaet)
Neokolonialismus
1963 benannte der erste Ministerpräsident Ghanas, Kwame Nkrumah, Neokolonialismus, indem er »vor den sehr realen Gefahren einer Rückkehr des Kolonialismus in versteckter Form« warnte.
„Unter dem Terminus ›Neokolonialismus‹ sind zwei Ebenen zu unterscheiden: ein Zustand, der von massiver Benachteiligung einheimischer Bevölkerungen zugunsten ausländischer Investoren gekennzeichnet ist, und eine Politik, die auf die Aufrechterhaltung von Abhängigkeitsverhältnissen abzielt. Im ersten Fall geht es um die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, im zweiten darüber hinaus um die Kontrolle über die politischen Entwicklungen und die Machtpositionen im internationalen Kontext.“
(aus D. Göttsche et al. (Hrsg.), Handbuch Postkolonialismus und Literatur)
Eurozentrismus
Der Begriff des Eurozentrismus stützt sich auf eine Weltsicht, die weitestgehend durch europäische Werte und Traditionen geprägt ist und wurde. Er steht für eine Einstellung, die Europa unhinterfragt in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt. Ausgehend von der Annahme, dass die kulturellen und politischen Systeme Europas das ideale Modell darstellen, wird Europa als Maßstab gesellschaftlicher Analysen und politischer Praxis betrachtet. Die europäische Geschichte und Gesellschaftsentwicklung wird als Norm verstanden, die erfüllt oder von der abgewichen wird. Die westlichen Kulturen dienen als Bewertungsmaßstab und haben im Laufe der Kolonialisierung ihre Wertvorstellungen global durchgesetzt und expandiert.
Im eurozentristischen Denken, bleiben die Denkweisen und Philosophien der nicht europäischen Kulturen häufig unbeachtet und werden abgewertet oder negiert.
(von https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/eurozentrismus/2242 und http://wikifarm.phil.hhu.de/transkulturalitaet/index.php/Eurozentrismus)