Hungerstreik im Camp Lipa, Tote im Jahr 2020, untergetauchte Neonazis in Deutschland

antira-Wochenschau – Antirassismus und Rassismus im Rückblick

Hungersteik: Im vereisten Camp Lipa brodelt es
Medienkritik: Nachdem ein Geflüchtetenlager im Libanon komplett niedergebrannt ist
Mittelmeer im Jahr 2020: Mehr als 1000 Tote, aber die Schweiz übernimmt keine Verantwortung
Untersucht: Neue Studie über die Corona-Skeptiker*innen
Atlantik: Todesfälle nahmen 2020 zu
Genf: Arbeitsgericht meldet den Aufenthaltsstatus nicht dem Migrationsamt
Deutschland: Immer mehr Neonazis per Haftbefehl gesucht
Fast: Noch 7000 Unterschriften bis zum Antiterrorgesetz-Referendum


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Wo gabs Widerstand?

Hungersteik: im vereisten Camp Lipa brodelt es

Im Camp Lipa an der bosnischen Grenze zu Kroatien sind zahlreiche (geflüchtete) Migrant *innen seit Neujahr in einen Hungerstreik getreten. Auf Schildern halten sie Forderungen und Kritikpunkte fest: „We want help from the EU“ „Where are the human rights organizations? Help!“ „We are immigrants but we are not criminals“ „We are not animals We are human beeings“.

https://web.facebook.com/migrantsolidaritynetwork/videos/258175825729501

Im Camp Lipa, wo der Hungerstreik stattfindet, lebten bis zum 23. Dezember rund 1500 Personen. Dann ist das ungeheizte Zeltcamp niedergebrannt. An diesem Tag wollte die IOM (Internationale Organisation für Migration) die Menschen ins Camp Bira transferieren, weil die Bedingungen in Lipa nicht mehr tragbar waren und die bosnischen Behörden keine Hilfe leisteten. Das Camp begann zu brennen als alle das mit Stacheldraht umzäunte Gelände des Camps unter Zwang der Polizei verlassen hatten. Niemand wurde verletzt, doch die allermeisten verbrachten die Folgenächte ohne Obdach in eisiger Kälte. Sieben Tage nach dem Brand steckten die verantwortlichen Akteur*innen dann fast 1000 Menschen in insgesamt 19 Busse. Die Menschen hofften, man würde sie nun an einen sicheren Ort bringen. Eingesperrt in den Bussen warteten sie fast 30 Stunden. Während der gesamten Zeit durften die Busse nur kurz für Toilette und Rauchpause verlassen werden. Informationen gab es nicht. Eine betroffene Person sagte: „Die Polizei und die IOM, sie sprechen nicht mit uns. Wir wissen nicht, was mit uns geschieht.“ Nach über einem Tag mussten sie die Busse wieder verlassen und zurück ins ehemalige Camp Lipa gehen, wo sie die restlichen beiden noch bestehenden Zelte ebenfalls zerstört vorfanden. Erst vor Neujahr hat die bosnische Armee in Lipa neue Zelte errichtet. Nahrung gab es die ganze Zeit über – und bis heute – zu wenig. Das Rote Kreuz kann oder will vor Ort nicht genügend Mittel zur Verfügung zu stellen. Die Rationen sind zu klein, um davon satt zu werden, berichten die Menschen im Camp.
Nicht nur in Lipa ist Lage extrem prekär. Nach wie vor starten in Bosnien täglich Menschen, um über die Grenze nach Kroatien Richtung EU zu gelangen. Im Namen des europäischen Grenzregimes kommt es täglich zu Pushbacks durch die kroatische Grenzpolizei. Diese nimmt den Menschen systematisch Handies, Schuhe und Jacken ab und drängt sie – meist mit Schlägen – zurück nach Bosnien. Im total militarisierten und überwachten Grenzgebiet sind deshalb Tausende blockiert. Nur ein Teil befindet sich in den menschenunwürdigen und überfüllten Camps wie jenem in Lipa. Da es an Platz mangelt und die Behörden nicht alle aufnehmen, schlagen sich tausende auf eigene Faust in Ruinen oder verlassenen Gebäuden durch. Solidarität ist dringend gefragt.
https://www.bonvalot.net/menschen-werden-sterben-wenn-nicht-schnell-etwas-passiert-892/
https://www.srf.ch/news/international/bosnien-herzegowina-verlegung-der-obdachlosen-fluechtlinge-in-bosnien-gescheitert
https://www.infomigrants.net/en/post/29331/hundreds-stranded-in-heavy-snow-and-sub-zero-temperatures-in-bosnia
https://www.tagesanzeiger.ch/ohne-dach-im-schnee-899855761141

Was ist neu?

Medienkritik: Nach dem Brand eines Geflüchtetenlagers im Libanon

In einem Lager im Norden Libanons wurden bei einem Brand vier Menschen verletzt. Auslöser war ein Streit zwischen Geflüchteten aus Syrien und einer lokalen Familie. Mehrere Medien berichteten darüber. Auf die aussergewöhnliche und schwierige Lage im Libanon wird in der Berichterstattung aber kaum eingegangen. Europa könnte dabei einiges an Selbstreflexion erlangen.

Bild: Das abgebrannte Camp im Lebanon lässt über 100 Menschen obdachlos zurück:

Im Zeltlager in der Ortschaft Al-Minije im Norden Libanons lebten 375 geflüchtete Menschen aus Syrien. Nach Angaben der libanesischen Armee sei es zu einem Streit zwischen syrischen Arbeitern, welche im Lager lebten, und deren Arbeitgeber*in, einer lokalen Familie gekommen. Dabei soll es um den Lohn der Arbeiter gegangen sein. Das Portal infomigrants.net beruft sich in seinem Bericht auf ein offizielles Statement der libanesischen Armee. Gemäss diesem hätten am 27. Dezember 2020 einzelne libanesische Personen („lebanese individuals“) Schüsse in die Luft abgegeben und Zelte in Brand gesteckt.
Das Camp brannte anschliessend komplett nieder. Die vier verletzten Personen wurden in Krankenhäuser gebracht. Die syrische Armee nahm Ermittlungen auf und verhaftete insgesamt acht Menschen. Gemäss dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR im Libanon fanden die Bewohner*innen des Camps Zuflucht in anderen inoffiziellen Geflüchtetenlagern oder bei Anwohner*innen, welche Hilfe angeboten hätten.
Eine kleine Medienanalyse In den deutschsprachigen online-Medien berichteten unter anderem derstandard.at, zeit.de und tagesschau.de über den Brand. Die Berichte enthielten alle mehr oder weniger die gleichen Informationen und Quellenverweise. Am Ende der Artikel folgte dann immer noch der Hinweis, dass im Libanon rund 1,5 Millionen Syrer*innen leben, darunter eine Million von der UNO als Geflüchtete anerkannte Menschen. Dies entspricht fast einem Viertel der Einwohner*innenzahl, welche der Libanon vor dem Ausbruch des Krieges in Syrien hatte. Auch auf die zunehmenden Spannungen zwischen syrischen Geflüchteten und libanesischen Anwohner*innen wird in fast allen Artikeln hingewiesen.
Ein grösserer Bogen wird aber leider von keinem der erwähnten Medien geschlagen. Dabei sollte sich bei den oben erwähnten Zahlen Europa einfach nur mal die Frage stellen: Und wo ist bei uns jetzt eigentlich genau das Problem? Der Libanon hat seit Beginn des Krieges in Syrien so viele geflüchtete Menschen aufgenommen, wie kein anderes Land. Laut UNHCR hat der Libanon in den vergangenen zehn Jahren 930‘200 anerkannten Geflüchteten Schutzgewährung geleistet (https://www.unhcr.org/refugee-statistic, Stand Mitte 2019). Das sind 13.57% im Verhältnis zur Bevölkerung. Und dies trotz der katastrophalen wirtschaftlichen Lage im eigenen Land und dem historisch belasteten Verhältnis zwischen den beiden Staaten (Stationierung syrischer Soldaten im Libanon, Zedernrevolution, etc.).
Europa hat Platz: Zum Vergleich: Schweden ist das EU-Land in der erwähnten Statistik welches mit 2.46% am weitesten vorne liegt. Die Schweiz wird mit 1.24% aufgeführt. Doch sind es genau die reichen westeuropäischen Staaten, in welchen sich in einer Art Endlosschlaufe die „Wir können doch aber nicht alle aufnehmen“-Diskussion dreht. Stattdessen werden wie nach dem Brand des Lagers im griechischen Moria absurd tiefe Kontingente in Aussicht gestellt. Natürlich zeigen diese Zahlen das Versagen der europäischen Geflüchteten-Politik nur zu einem ganz kleinen Teil. Aber zumindest sollten sie uns ins Gedächtnis rufen, von welchen Relationen wir hier eigentlich reden. Die EU wendet Milliarden von Euros auf, um die europäischen Aussengrenzen dicht zu machen. Aber es fliesst kaum Geld zur Unterstützung in Länder wie den Libanon oder Jordanien, in welchen Millionen geflüchteter Menschen Zuflucht gefunden haben.
Worte haben Macht: Leider sind weder das Ereignis des Brandes selbst, noch die Art der medialen Berichterstattung in diesen Zeiten aussergewöhnlich. Doch es schadet sicher nicht, sich beim Lesen solcher Nachrichten daran zu erinnern, welche Macht ein immer wiederholtes Narrativ haben kann. Dazu ein letztes Beispiel: Während infomigrants.com wie oben zitiert von „lebanese individuals“ schreibt, berichtet tagesschau.de von „einer Gruppe junger Libanesen“, welche die Zelte in Brand gesteckt hätten. Nun bräuchte es natürlich eine umfassendere Quellenrecherche und Analyse aller Übersetzungsschritte, um der Tagesschau eine gezielte Fehlinformation vorzuwerfen, was darum an dieser Stelle auch nicht geschehen soll. Aber das Narrativ der „Gruppe junger Männer“ kommt uns doch nur allzu gut bekannt vor und lässt einen Teil der Leser*innen leider zu oft in stereotype Betrachtungsweisen gleiten.
https://www.facebook.com/theSyriainsider/photos/pcb.2505816346390848/2505816129724203
https://www.infomigrants.net/en/post/29318/syrian-refugee-camp-burned-to-ground-in-northern-lebanon

https://www.infomigrants.net/en/post/29329/eight-people-arrested-after-fire-at-lebanon-refugee-camp
https://www.tagesschau.de/ausland/brand-fluechtlingslager-libanon-101.html

Was geht ab beim Staat?

Mittelmeer im Jahr 2020: Mehr als 1000 Tote, aber die Schweiz übernimmt keine Verantwortung 
Bild Ursula Markus *** Local Caption *** Andreas Nufer 07979771283 andrea.nufer@refbern.ch

2020 starben 1111 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer. Der Schweizer Nationalrat lehnte dennoch im Dezember die Motion «Das Sterben auf dem Mittelmeer stoppen» und damit ein europäisches Seenotrettungssystem, einen Verteilungsmechanismus sowie die Unterstützung von Gemeinden zur Aufnahme von Menschen auf der Flucht ab.
Die Motion „Das Sterben auf dem Mittelmeer stoppen“ formulierte vier konkrete Möglichkeiten, wie die Schweiz auf die humanitäre Notsituation auf dem Mittelmeer reagieren kann: Mit dem Aufbau eines europäisch organisierten und finanzierten zivilen Seenotrettungssystems, der Schaffung eines an humanitären Grundsätzen orientierten Verteilmechanismus von Menschen, die aus Seenot gerettet werden, mit der Unterstützung von Gemeinden, die sich zur Aufnahme bereit erklären sowie mit ihrem Einsatz für die unverzügliche Freilassung aller internierten  Schutzsuchenden in Libyen sowie deren Aufnahme durch ein Resettlement-Programm.
Der Bundesrat empfahl bereits die Ablehnung der Motion. In seiner Begründung spricht er davon, dass ja schon Gespräche auf EU-Ebene laufen, dass die vorhandenen Lösungsvorschläge aber nicht ausreichend seien. Dass man finanzielle Unterstützung durch die IOM (International Organization for Migration) und die UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees) vor Ort leiste. Und: Man nehme ja bereits Menschen auf. Das ist alles wahnsinnig unkonkret und für die Menschen, die sich bei der Flucht über das Mittelmeer in Lebensgefahr begeben in keiner Weise hilfreich. Seit Jahren gibt es keine staatlichen Seenotrettungsprogramme auf dem Mittelmeer mehr. Im Jahr 2020 wurden insgesamt 3500 Menschen durch zivile Rettungsschiffe aus Seenot geholt. Aber bei weitem können nicht alle Menschen auf der Flucht übers Mittelmeer entdeckt werden. Für das Jahr 2020 hat die IOM 1111 Todesfälle im gesamten Mittelmeer und 739 Todesfälle im zentralen Mittelmeer registriert. Damit ist das  Mittelmeer ein Massengrab, dem die leeren Worte von Politiker*innen nichts entgegensetzen.
Dabei  ist die Thematik lange nicht allen egal. Der Motion stimmten 90 Nationalrät*innen zu (gegenüber 100 Neinstimmen und bei 4 Enthaltungen). Neben der Motion wurde auch die gleichnamige Petition, die ein breites Bündnis an Unterstützer*innen im Januar  2020 eingereicht hatte, abgelehnt. Sie hatten 25’000 Stimmen gesammelt und aufgezeigt, wie wichtig das Anliegen auch von der Bevölkerung bewertet wird.
Was also tut die Schweiz bisher? Seit 2019 gibt es ein Kontingent für sogenannte „Resettlement-Flüchtlinge“ von 800 Personen pro Jahr. 2019 wurde dies nahezu ausgeschöpft. Für 2020 hat die Schweiz wieder das gleiche Kontingent gesprochen. Lange wurde das Programm jedoch aufgrund der Coronapandemie pausiert. Mehr als 11’000 Menschen wurden 2020 von der libyschen Küstenwache abgefangen und zurück in die libyschen Lager gebracht. 82’704 Menschen haben das europäische Festland erreicht und brauchen einen Ort zum Ankommen. Viele Städte in der Schweiz sind bereit, ein solches Ankommen zu ermöglichen. Nach dem Brand im Lager Moria auf Lesbos im September 2020 erklärte sich beispielsweise die Stadt Zürich bereit, allein 800 Personen aufzunehmen.  Das lässt die Zahlen des Bundes direkt lächerlich gering und weit unter den vorhandenen Möglichkeiten erscheinen. Es ist eine starke Bereitschaft zur Aufnahme vorhanden, sie wird auf Bundesebene jedoch aktiv überhört. Auf die Forderung der Motion, die Schweiz solle „Gemeinden, die sich bereiterklären, Bootsflüchtlinge aufzunehmen, in geeigneter Form unterstützen“ wird wenig überraschend auch überhaupt nicht eingegangen.
Es bleibt weiterhin inakzeptabel, dass die Schweiz dem Sterben an den europäischen Aussengrenzen zusieht. Was wir im Jahr 2021 wollen ist Bewegungsfreiheit für alle, sichere Fluchtwege, solidarische Strukturen und Orte zum Ankommen und Bleiben.
https://www.migrationscharta.ch/wp-content/uploads/2020/01/ADG_4550-2-768×512.jpg
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/keine-aktive-rolle-der-schweiz-gegen-das-sterben-auf-dem-mittelmeerhttps://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20193479https://www.vorwaerts.ch/inland/das-sterben-auf-dem-mittelmeer-beenden/https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/asyl/resettlement/programme.html

Was ist aufgefallen?

Untersucht: Neue Studie über die Corona-Skeptiker*innen

Forschende der Universität Basel haben die Soziologie der Corona-Skeptiker*innen unter die Lupe genommen. Ihr Fazit: Die Bewegung entwickelt sich in Deutschland von eher links nach rechts und in der Schweiz von mitte-rechts nach rechts. Dies ohne bereits eine durch und durch autoritäre rassistische Bewegung zu sein.
Corona-Skeptiker*innen hegen Misstrauen gegenüber den Kerninstitutionen des Staates und der liberalen Demokratie. „Der normative Gehalt der Moderne, der durch ihre zentralen Versprechen – Aufstieg durch Leistung, Freiheit durch Demokratie, Gleichheit durch Rechtssicherheit, Wahrheit durch Wissenschaft, steigende Lebenserwartungen durch die Errungenschaften der modernen Schulmedizin oder ganz allgemein: Die Menschheitsgeschichte als Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit – gekennzeichnet war, hat  seine Glaubwürdigkeit verloren. “ So analysieren die Autor*innen der Studie die Aussagen der 1.150 Menschen, die den Online-Fragebogen, der in die einschlägigen Telegramchats der Corona-Skeptiker*innen geschickt wurde, ausgefüllt haben.
Das Durchschnittsalter der Befragten liegt bei 47 Jahren. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung haben überdurchschnittlich viele einen Uniabschluss und arbeiten als Selbstständig-Erwerbende.
In der Schweiz wählten 38% der befragten Corona-Skeptiker*innen bei den letzten Wahlen SVP, 16% die SP und 16% kleinere Parteien. Würden die Wahlen heute stattfinden, so sagen 43% der Teilnehmenden, sie würden SVP wählen. Nur noch 5% wollen z.B. weiterhin die SP wählen. Bei der letzten Bundestagswahl in Deutschland haben 18% die Linke und 23% die Grünen gewählt. Der AfD haben 15% ihre Stimme gegeben, bei der nächsten Bundestagswahl wären es allerdings rund 27%, die die AfD wählen möchten.
Die Corona-Skeptiker*innen geben auch an, dass sie vor den Corona-Protesten nie oder nur 1-5 Mal auf Demos gegangen seien. Aktuell sind die allermeisten von ihnen unzufrieden mit der Demokratie. In Deutschland ist die Unzufriedenheit ausgeprägter als in der Schweiz. Die Politiker*innen würden einfach zu viele Versprechungen machen, dann aber nichts tun. Uneins sind sich die Befragten darüber, ob sie mit ihrem Engagement „die Politik“ verändern können.
Die grosse Mehrheit der Befragten findet, in der Pandemie „geben die falschen Expert*innen den Ton an“ und, dass die Mainstreammedien ihre Proteste und Kritik falsch oder zu wenig wiedergeben. Die Massnahmen der Regierungen seien „willkürlich“ und würden die „Meinungsfreiheit und die Demokratie“ bedrohen. Die Regierungen „übertreiben und dramatisieren“ und würden so „unnötig Angst“ schüren. 75% sind der Meinung, die Regierenden verschweigen die Wahrheit. 80% sagen: „Die regierenden Parteien hintergehen das Volk.“ Fast alle gehen davon aus, dass sie Ärger kriegen, wenn sie ihre Meinung frei äussern und dass sie vom Staat bevormundet würden. Knapp die Hälfte meint, dass geheime Organisationen Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Tendenziell seien Politiker*innen nur „Marionetten der dahinterstehenden Mächte“. Über 70% denken, Politiker*innen und die Medien stecken unter einer Decke und 60% denken die „Bill und Melinda Gates“ Stiftung wolle eine Zwangsimpfung für die gesamte Welt. Hingegen glaubt nur eine Minderheit, dass mit der Impfung ein Mikrochip zwecks Überwachung implantiert würde. Fast 90% finden eine Maskenpflicht sei Kindesmissbrauch und die Massnahmen allgemein für Kinder eine „unzumutbare Belastung“. Masken seien „kein Schutz für Mitmenschen“.
Der Impfzwang beschäftigt fast alle sehr stark. Sogar wenn eine Impfung nachweislich gegen Corona schützen würde, würden sich die Befragten nicht impfen lassen wollen. Die Mehrheit ist sich sicher, dass die Selbstheilungskräfte ausreichen, um dem Virus zu trotzen. Und: „Mehr spirituelles und ganzheitliches Denken würde der Gesellschaft gut tun.“ Mehr als die Hälfte möchte, dass die Alternativmedizin mit der Schulmedizin gleichgestellt wird und findet die Krise zeige, wie weit sich die Menschen von der Natur entfernt hätten.
Die Annahme, die Bewegung sei als Ganzes in die braune Ecke zu stellen, ist gemäss dieser Studie nicht bestätigt. So gehen 85% nicht davon aus, dass derzeit zu viel Rücksicht auf Minderheiten gegeben wird und stimmen Aussagen wie: „Durch die vielen Muslime hier, fühle ich mich langsam wie ein Fremder im eigenen Land“ oder „Wenn die Arbeitsplätze knapp werden, sollen Ausländer wieder in ihre Heimat zurück“ nicht zu. Weniger als 10% der Befragten sind dafür, dass Frauen, „sich wieder mehr auf die Rolle der Ehefrau und Mutter besinnen“ und weniger als 5% wünschen sich einen „starken Führer, wie Putin, der zum Wohle aller regiert“ oder unterscheiden zwischen „wertvollem und unwertem Leben“. Hingegen findet über die Hälfte: „Auch heute noch ist der Einfluss der Juden auf die Politik zu gross“, um gleichzeitig mit über 70% dem Satz „Die Verbrechen des Nazionalsozialismus werden in der Geschichtsschreibung übertrieben dargestellt“ zu widersprechen.
https://www.unibas.ch/de/Aktuell/News/Uni-Research/Corona-Protestbewegung-steht-dem-etablierten-politischen-System-fern.html

Atlantik: Todesfälle nahmen 2020 zu

Fast 2.200 Menschen starben auf dem Seeweg nach Spanien im Jahr 2020. Mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Dies ist auch auf das Ausweichen auf gefährlichere Routen, sowie auf die Blockierung von ziviler Seenotrettung zurückzuführen.
Im Jahr 2020 nahmen die Überfahrten von Marokko oder Senegal über den Atlantik auf die mehrere hundert Kilometer entfernten Kanarischen Inseln stark zu. Und das, obwohl die Strömungen im Atlantik äusserst stark sind. Das liegt daran, dass die Route von Marokko über das Mittelmeer auf das spanische Festland, welche nur zwanzig Kilometer lang ist, stark überwacht und patrouilliert wird. So sind flüchtende Menschen dazu gezwungen, nach Alternativen zu suchen, auch wenn diese gefährlich sind. Das hat Folgen: Im Jahr 2020 sind 2.170 Menschen bei dem Versuch ertrunken, Spanien auf dem Seeweg zu erreichen. 85% davon bei insgesamt 45 Schiffsunglücken auf dem Weg zu den Kanarischen Inseln. Im Vorjahr waren es 893 Menschen, die auf dem Seeweg nach Spanien starben. Die Zahl der Todesfälle hat sich fast verdreifacht. Dies ist auf die gefährlicheren Routen zurückzuführen und auch auf die gezielte Festsetzung der zivilen Seenotrettungsschiffe, sowie auf schwierige und langsame Koordination zwischen den verschiedenen Küstenwachen von Spanien, Mauretanien, Senegal und Marokko. Das liess eine Aktivistin der spanischen Organisation Caminando Fronteras vernehmen, welche auch den Bericht zu Ankünften und Todesfällen herausgab.

Bild: Fluchtrouten über den Atlantik:

https://taz.de/picture/4560189/948/grafik-online-taz-201211-Kanarische-Inseln-5.jpeg
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-12/seenotrettung-kanaren-gran-canaria-fluechtlinge-afrika-migration
https://www.nau.ch/politik/international/2200-migranten-starben-dieses-jahr-auf-seeweg-nach-spanien-65843951
https://www.infomigrants.net/en/post/29366/our-most-tragic-year-2-170-people-die-trying-to-reach-spain-ngo
https://www.facebook.com/NewsfromtheMed/posts/1121286158324979

Deutschland: Immer mehr Neonazis per Haftbefehl gesucht

Zurzeit werden 475 untergetauchte Neonazis per Haftbefehl von den deutschen Behörden gesucht. Zumeist geht es um Delikte wie Körperverletzung, Volksverhetzung, Beleidigung oder Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Das ergab eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag. Seit 2014 hat sich die Zahl der gesuchten Neonazis fast verdoppelt. Angesichts der wiederholt aufgedeckten Verstrickungen der sogenannten Sicherheitsbehörden in Deutschland mit der rechtsextremen Szene, verwundert es kaum, dass die Fahndungen keine Ergebnisse liefern.

Bild: „Die neuen Zahlen – das alte Problem. Dezember 2020, nunmehr 475 untergetauchte Nazis verteilen unter sich 627 Haftbefehle ‚wegen zahlreichen Gewalttaten‘, aber das BKA sieht in Deutschland nur 70 Nazis, die sie als Gefährder zählt. Kein Wunder. Den Rest sehen sie einfach nicht.“ (Tweet von Bildwerk Rostock)

https://twitter.com/bildwerkrostock/status/1344238055096545282/photo/1
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1146403.rechtsextremismus-polizei-sucht-nach-untergetauchten-nazis.html

Was nun?

Genf: Arbeitsgericht meldet den Aufenthaltsstatus nicht dem Migrationsamt
Bild: Für eine andere Asylpolitik wird in Genf seit Jahren gekämpft. Immer wieder mit Erfolgen, die Signalwirkung in die ganze Schweiz haben können.

Im Kanton Genf können illegalisierte Menschen vor das Arbeitsgericht ziehen, ohne dass ihr Fall dem Migrationsamt gemeldet wird. Diese Praxis bildet eine schweizweite Ausnahme und ermöglicht es auch Menschen ohne die richtigen Papiere, sich gegen Arbeitsausbeutung zu wehren. Der Fall zeigt, dass die Behörden bei der Weitergabe der Personalien einen Handlungsspielraum haben. Dieser könnte auch in anderen Kantonen zugunsten statt gegen die Betroffenen genutzt werden.
Menschen ohne die richtigen Aufenthaltspapiere wird in der Regel der Zugang zum Schweizer Justizsystem verwehrt. Einerseits weil dafür meist die nötigen Papiere fehlen. Andererseits weil der Gang zu den Behörden ein immenses Risiko bedeutet. Im Falle einer Klage melden diese den Fall in aller Regel dem kantonalen Migrationsamt, was im schlimmsten Fall eine Ausschaffung zur Folge hat. Das ist ein grosses Problem, gerade weil Menschen ohne die richtigen Papiere oft in prekären Arbeitsverhältnissen ohne Vertrag angestellt sind. Dort findet oft Arbeitsausbeutung statt, gegen welche sich die Betroffenen aber nicht gerichtlich wehren können. Denn wer fordert schon einen nicht bezahlten Lohn vor Gericht ein, wenn einem anschliessend die Ausschaffung droht?
Eine Ausnahme bildet der Kanton Genf. Dort können grundsätzlich auch illegalisierte Menschen vom Arbeitsrecht Gebrauch machen, weil das Arbeitsgericht die betreffenden Fälle nicht dem Migrationsamt meldet. Das Genfer Arbeitsgericht geht bei einer Verhandlung einfach der Frage nach der Aufenthaltsbewilligung nicht nach. So gibt es der Migrationsbehörde auch nichts zu melden. Eigentlich sollte das Vorgehen der Genfer Behörden gängige Praxis sein. Denn warum werden zwei voneinander getrennte Rechtsbereiche (Arbeitsrecht und Asylrecht) stets aufeinander bezogen? In allen anderen strafrechtlich relevanten Bereichen ist dies schliesslich auch nicht der Fall. Wenn wer zu schnell am Steuer erwischt wird, dann werden die Daten auch nicht an die Steuerverwaltung weitergeleitet um zu kontrollieren, ob die Steuern bezahlt wurden. Wenn wer gegen die Arbeitgebenden vorgeht, dann muss also auch nicht der Polizei gemeldet werden, dass eventuell nicht die richtige Aufenthaltsbewilligung vorliegt. Die Genfer Ausnahme gilt aber nur für arbeitsrechtliche Verfahren. Wer vor die Strafjustiz kommt, wird der Migrationsbehörde gemeldet.
Der Zugang zum Arbeitsgericht in Genf ist eine Ausnahme in der Schweiz. In Kantonen wie Basel, Zürich oder Bern riskieren die Betroffenen eine Ausschaffung, wenn sie vor Gericht gehen. Dabei hätten die Behörden durchaus einen Spielraum bei der Bekanntgabe der Personalien in einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht. Es wäre also auch in diesen Kantonen durchaus möglich, die Genfer Praxis zu übernehmen, damit sich nicht nur Menschen mit dem richtigen Aufenthaltsstatus gegen Arbeitsausbeutung wehren können.
https://www.unia.ch/de/aktuell/aktuell/artikel/a/13444
https://www.srf.ch/news/schweiz/sans-papiers-im-kanton-genf-genf-arbeitsgericht-fragt-nicht-nach-aufenthaltsbewilligung

Noch 7000 Unterschriften bis zum Antiterrorgesetz-Referendum

Die im neuen Antiterrorgesetz beschlossenen Massnahmen beschränken unsere Rechte und geben der Polizei weitreichende Repressionsmöglichkeiten. Dafür ist nichts weiter als die Annahme nötig, dass jemand „gefährlich“ sei. Es bleiben noch  wenige Tage, um die benötigten Unterschriften für das Referendum zu sammeln.
Das Referendum gegen das neue Polizeigesetz zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) ist aus antirassistischer Perspektive bedeutsam. Es kriminalisiert nicht alle Menschen gleichermassen, sondern entlang von rassistischen Trennlinien. Es richtet sich gezielt gegen Menschen, die Staaten, ihre Grenzen sowie die Diskurse, Ideologien und Herrschaftsverhältnisse, die sie hervorbringen, radikal ablehnen und bekämpfen. Öffentlich ist meist von Djihadist*innen und Terrorist*innen die Rede, doch auch antirassistisch Aktive könnten als sogenannte „Gefährder*innen“ der weissen, nationalen Ordnung eingestuft werden.
Neu kann die Polizei OHNE richterliche Verfügung, rein aufgrund eines Verdachts (der nicht für ein Strafverfahren reicht), Menschen überwachen, Kontakt zu Einzelpersonen oder Gruppen verbieten, Zugang zu Gebieten (z.B. der Innenstadt) verbieten und eine regelmässige Meldepflicht bei der Polizei verordnen. Per richterlicher Verfügung kann auch Hausarrest von bis zu 9 Monaten angeordnet werden, begleitet von Handyortung oder Fussfesseln.
Alle Massnahmen gelten schon für Kinder ab 12 Jahren, beim Hausarrest ab 15 Jahren. Unter Terrorverdacht stehen explizit auch „Linksextreme“ und deren Gedankengut. Dies bedeutet, dass auch Systemkritiker*innen, Antifaschist*innen oder beispielsweise Anarchist*innen solchen Massnahmen ausgeliefert sein können.
Das Referendum wurde ergriffen, bis Mitte Januar fehlen noch knapp 7000 Unterschriften – nicht wenige, aber mit einem aktiven Endspurt durchaus erreichbar. Ob mit deiner Unterschrift, deinem Balkontranspi oder einer anderen Aktion, FIGHT Against It! In seiner aktuellen Form erlaubt das Gesetz eine willkürliche Überwachung dieser «Gefährder*innen». Der Unterschriftenbogen ist in wenigen Minuten ausgedruckt und unterschrieben: wecollect.ch/media/Unterschriftbogen-Willkuerparagraph-5er-DE.pdf
https://willkuerparagraph.ch/
https://www.tagblatt.ch/schweiz/demokratie-da-staunen-die-etablierten-parteien-die-bewegung-freunde-der-verfassung-wird-zur-referendumskraft-ld.2081610

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

»Das schafft nur schizophrene Museen«

Anette Hoffmann, Kulturwissenschaftlerin und Afrikanistin, über die Eröffnung des Berliner Humboldt-Forums und die Restitution kolonialer Raubkunst
https://jungle.world/artikel/2020/52/das-schafft-nur-schizophrene-museen

Sprache dekolonisieren – „In rassistischen Wörtern steckt sehr viel Gewalt“

Es gibt eindeutig kolonial grundierte Begriffe wie das N-Wort. Und es gibt subtilere wie etwa „Dschungel“ oder „Tropenmedizin“. Im Dlf erklärte die Sprachkritikerin Susan Arndt, wann ein Wort rassistisch ist – und was man stattdessen sagt.
https://www.deutschlandfunk.de/sprache-dekolonisieren-in-rassistischen-woertern-steckt.911.de.html?dram:article_id=482811

Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen

Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt KviAPol. Der Vortrag präsentiert Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt KviAPol, das erstmals für Deutschland systematisch übermässige polizeiliche Gewaltanwendungen untersucht. Welche Personen sind in welchen Situationen auf welche Weise von übermässiger polizeilicher Gewalt betroffen? Warum entscheiden sie sich für oder gegen eine Anzeige? Wie kommt es zu der hohen Einstellungsquote? Wie wird in der Polizei mit derartigen Verfahren umgegangen? Welche Rolle spielen Rassismus und Diskriminierungserfahrungen?
https://media.ccc.de/v/rc3-11562-korperverletzung_im_amt_durch_polizeibeamt_innen

Das gesamte Neonazi-Netzwerk hinter der AfD: Verbindungen zu NSU, NPD & dem Lübcke-Mörder

Vielfach sieht sich die AfD selbst gerne als bürgerliche Partei, aber davon ist sie weit entfernt. Von Anfang an war diese Partei dominiert von rechtsextremen Kräften. Auch wenn sich dieses Netzwerk in der AfD, am Anfang eher zurückgehalten hat, so haben sie nur die Zeit genutzt, um ihre Positionen zu kräftigen.
https://www.volksverpetzer.de/recherche-afd/afd-neonazi-netzwerke-1985-2020/