Medienspiegel 3. Dezember 2020

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+++SCHWEIZ
nzz.ch 03.05.2020

Der Schrecken der Migrationsämter – wie eine Gruppe von jungen Anwältinnen fünfzig Ausschaffungshäftlinge freibekam

Wegen der Corona-Pandemie mussten die Kantone die Ausschaffungsgefängnisse räumen. Hinter den juristischen Erfolgen steckt eine Vereinigung, die sich mit einem neuartigen Angebot für Asylbewerber engagiert.

Tobias Gafafer

Lea Hungerbühler ist Wirtschaftsanwältin und spezialisiert auf Finanzmarktrecht. Sie engagiert sich zudem für Asylbewerber – und spielte mit ihrer Organisation Asylex jüngst eine Schlüsselrolle. Dieser haben es rund fünfzig Ausschaffungshäftlinge zu verdanken, dass sie das Gefängnis verlassen konnten. Asylex setzte sich in der Corona-Krise in mehreren Fällen vor Bundesgericht durch. Die Lausanner Richter hiessen diverse Beschwerden gut. Sie kamen zum Schluss, dass abgewiesene Asylsuchende nicht länger inhaftiert werden dürfen, wenn sie wegen der Pandemie kaum in absehbarer Zeit ausreisen können.

Hungerbühler entspricht mit ihrem Engagement für Asylsuchende nicht dem Klischee der Wirtschaftsanwältin. Die Initialzündung seien ihre Ferien in Australien vor einigen Jahren gewesen, sagt sie. Die Baslerin lag am Strand, als ein Mann eine bewusstlose Frau herantrug. Ihre Kollegin, eine Ärztin, versuchte diese zu beatmen, bis die Ambulanz kam. Hungerbühler stand hilflos daneben – und begann sich zu fragen, was sie mit ihrer Ausbildung zur Gesellschaft beitragen könnte.

Sie ging auf eine griechische Insel und engagierte sich für eine Hilfsorganisation, die Flüchtlingen juristisch beisteht und dabei auf digitale Technologien setzt. Die Freiwilligenarbeit inspirierte sie, in der Schweiz selber eine NGO aufzubauen: 2016 gründete sie mit Gleichgesinnten die Vereinigung Asylex, die Asylbewerber rechtlich unterstützt. «Der Zugang zur Justiz ist nicht nur in den USA ein grosses Thema», sagt die Anwältin, die in Harvard studiert hat. Dieser sei vor allem für Personen mit Migrationshintergrund auch in der Schweiz ungenügend.

Bis zu achtzehn Monate in Haft

Im Vordergrund stand im laufenden Jahr die Ausschaffungs- und Administrativhaft. Die Behörden können diese anordnen, wenn ein weggewiesener Asylbewerber bei seiner Ausreise nicht oder zu wenig kooperiert. Die Inhaftierung hat nichts mit dem Strafrecht zu tun und soll die Betroffenen dazu bewegen, ihr Verhalten zu ändern. Zudem tauchen diese häufig ab, um ihrer Ausschaffung zu entgehen.

Doch gemäss Hungerbühler sind die Behörden immer wieder unverhältnismässig vorgegangen. «Ich habe in verschiedenen Fällen gesehen, dass Menschen inhaftiert wurden, ohne dass die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt waren.» Manche seien bis zu achtzehn Monate in Haft gesessen, ohne je einen Anwalt zu sehen.

Zwar erhalten Asylsuchende in der Schweiz eine unentgeltliche Rechtsberatung, seit die beschleunigten Verfahren in Kraft sind. Dies gilt aber lediglich für den Asylprozess. Die Wegweisungen vollziehen die Kantone, die auch die Ausschaffungshaft anordnen. Dabei gebe es zwar ein Anrecht auf eine rechtliche Vertretung, aber keine Pflicht, wie sie im Strafrecht existiere, sagt Hungerbühler.

Das Engagement gegen die Administrativhaft fokussierte sich zunächst auf den Kanton Zürich. Einige Kantone wie Genf entliessen ihre Ausschaffungshäftlinge wegen des Coronavirus freiwillig. Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr (sp.) verfolgt hingegen eine vergleichsweise restriktive Linie – und zieht damit regelmässig den Zorn der Linken auf sich. Asylex hat jedoch Ableger in der ganzen Schweiz. «In ländlichen Kantonen ist es für Ausschaffungshäftlinge noch schwieriger, eine Rechtsvertretung zu finden», sagt Hungerbühler. Für urbane Regionen sei das Angebot aber ebenfalls neu.

Neu ist für die Schweiz auch, dass die Beratung und Vertretung von Asylbewerbern ausschliesslich digital erfolgt, via Facebook und E-Mail. Die Vereinigung finanziert sich vor allem durch Spenden und arbeitet mit Freiwilligen, von Jusstudentinnen über Doktoranden und Anwältinnen bis zu Wissenschaftern. Angestellt sind eine Person für die Koordination sowie zwei Praktikanten. Für die Rechtsvertretung erhält Asylex eine Entschädigung, die Beratung erfolgt unentgeltlich.

Ein Patronatskomitee unterstützt die Organisation. Neben Politikerinnen der SP und der Grünen sitzen darin auch der ehemalige Tessiner FDP-Ständerat Dick Marty, der abtretende BDP-Präsident Martin Landolt und der Neuenburger FDP-Nationalrat Damien Cottier, der frühere Kabinettschef von Bundesrat Didier Burkhalter. Gemäss dem Sotomo-Ranking handelt es sich um jenen Parlamentarier, der innerhalb seiner Fraktion am weitesten links politisiert.

Schwierige Fälle

Hinter den Fällen von inhaftierten weggewiesenen Asylbewerbern, die bis vor Bundesgericht gelangen, stehen meist schwierige Biografien. Mehrere Personen, die Asylex vertrat, sind wiederholt straffällig geworden, teilweise wegen versuchter schwerer Körperverletzung. Das Engagement stösst deshalb auf Kritik. Hungerbühler kann diese nicht nachvollziehen: «Die Betroffenen haben ihre Strafe verbüsst.» Bevor die Kantone die Administrativhaft anordneten, müssten sie andere Möglichkeiten wie eine Meldepflicht oder eine Eingrenzung ausschöpfen. «Leider beachten die Behörden das Prinzip der Verhältnismässigkeit zu wenig.» Diese betonen, sie würden jeden Einzelfall prüfen.

Asylbewerber, die eine rechtskräftige Wegweisung haben, sind illegal in der Schweiz und müssten das Land verlassen. Ihre Ausreise gilt als möglich und zumutbar, wenngleich die Pandemie diese vorderhand erschwert oder gar verunmöglicht hat. Die Inhaftierung dürfen die Behörden nur anordnen, wenn sich die Betroffenen ihren Pflichten widersetzen.

Hungerbühler sagt, die Frage nach der Ausreisepflicht sei von jener nach der Administrativhaft zu trennen. «Wir setzen uns dafür ein, dass auch weggewiesene Asylbewerber Zugang zu einer Rechtsberatung erhalten und ihre Grundrechte durchsetzen können.» Ob ein Wegweisungsentscheid korrekt sei, entscheide das Gericht. Die Administrativhaft aber erscheine in vielen Fällen willkürlich und menschenrechtlich fragwürdig.

Asylex hat vor dem Bundesgericht recht erhalten. Trotzdem sind Hungerbühler und ihre Kolleginnen überzeugt, dass der Instanzenzug in der Schweiz in Asylfragen oft nicht ausreicht. Sie haben mehrere Fälle von Rückführungen vor Uno-Ausschüsse gebracht. Die Vereinigung dürfte weiterhin von sich reden machen, auch wenn sich die Ausschaffungsgefängnisse geleert haben – zumindest vorläufig.
(https://www.nzz.ch/schweiz/wie-junge-anwaeltinnen-fuenfzig-ausschaffungshaeftlinge-freibekamen-ld.1589889?mktcid=smch&mktcval=twpost_2020-12-03)


+++DEUTSCHLAND
Verwaltungsgerichte: Tausende abgelehnte Asylbescheide aufgehoben
Deutsche Gerichte haben einem Medienbericht zufolge mehrere Tausend abgelehnte Asylentscheidungen wieder kassiert. Dabei handelte es sich ausschließlich um Beschwerden von Flüchtlingen aus Afghanistan.
https://www.tagesschau.de/inland/asyl-fluechtlinge-gericht-101.html


+++GRIECHENLAND
Lesbos bekommt ein neues dauerhaftes Flüchtlingslager
Die Zustände in Moria waren verheerend, im Ersatzcamp sind sie es auch. Die EU und Griechenland planen nun ein Lager mit Wohn- und Erholungsbereich sowie Asylzentrum.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-12/lesbos-fluechtlingszentrum-griechenland-moria-eu
-> https://www.spiegel.de/politik/ausland/lesbos-eu-und-griechenland-wollen-neues-fluechtlingszentrum-errichten-a-6f84d460-f3ec-4194-9cc4-29972a70cd4d
-> https://www.derstandard.at/story/2000122210315/lesbos-eu-und-griechenland-wollen-neues-fluechtlingszentrum-bauen?ref=rss


+++MITTELMEER
Luzerner Pilot vor der lybischen Küste – Ein Flug übers Mittelmeer und die Schweizer Flüchtlingspolitik
Ein Luzerner Pilot fliegt regelmässig vor der lybischen Küste und erlebt dabei oft dramatische Szenen. Er fliegt mit dem Ziel, die Tragödien zu verhindern, aber auch um die Folgen der verantwortungslosen europäischen Politik zu dokumentieren. Der Luzerner Kantonsrat David Roth war auf einem Fug mit dabei und schildert seine Erlebnisse.
https://www.zentralplus.ch/blog/politblog/ein-flug-uebers-mittelmeer-und-die-schweizer-fluechtlingspolitik/


+++ATLANTIK
1600 Kilometer in alten Fischerbooten
Immer mehr Menschen flüchten von Afrika aus über die gefährliche Atlantik-Route auf die Kanaren. Die zivile Seenotrettungs-Organisation Mission Lifeline will bald mit eigenem Schiff vor den Kanaren im Einsatz sein. Hannes Neubauer bereitet diese Mission vor und erklärt die Gefahren einer solchen Überfahrt.
https://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/int/202012/03/lifeline-kanaren-fluechtlinge-neubauer-seenotrettung.html


+++ALGERIEN
Algerien als Partner Deutschlands: Entwicklungshilfe gegen Migration
Algerien gilt jetzt als privilegierter Partner Deutschlands – trotz der Menschenrechtslage. Ein „verheerendes Signal“, kritisiert die Opposition.
https://taz.de/Algerien-als-Partner-Deutschlands/!5729221/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Brand am Wohlensee: Linke Aktivisten wollen Polizei-Bootshaus angezündet haben
Letzte Woche musste die Feuerwehr mitten in der Nacht nach Hinterkappelen ausrücken. Im Internet ist nun ein Bekennerschreiben aufgetaucht.
https://www.bernerzeitung.ch/linksaktivisten-wollen-das-polizeibootshaus-angezuendet-haben-967934057558
-> Bekenner*innen-Schreiben: https://barrikade.info/article/4062


Kleine Anfrage Simone Machado (GaP), Eva Gammenthaler (AL), Zora Schneider (PdA): Freie politische Meinungs- und Willensbildung auch unter dem Baldachin
https://ris.bern.ch/Geschaeft.aspx?obj_guid=4cf2ba1e6d2046afb759825f9fcfa3be


+++REPRESSION DE
Rondenbarg-Verfahren beginnen
Am heutigen Donnerstag, dem 03.12.2020, beginnt in Hamburg die Hauptverhandlung gegen fünf Teilnehmer_innen eines Aufzugs, der anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg am 07.07.17 stattfand. Den Angeklagten, die zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Taten alle minderjährig waren, wird schwerer Landfriedensbruch in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall, sowie gefährliche Körperverletzung, Bildung bewaffneter Gruppen und Sachbeschädigung.
https://amnesty-polizei.de/rondenbarg-verfahren-beginnen/


Angeklagt fürs Mitlaufen bei G 20-Protest
In Hamburg stehen erneut fünf junge Menschen vor Gericht. Sie sollen durch Demo-Teilnahme Gewalttaten »geistig« gebilligt haben.
Seit Donnerstag wird vor dem Hamburger Landgericht gegen fünf Personen verhandelt, die 2017 in einer Demo gegen die G 20 mitliefen. Aus dem Zug heraus war es offenbar zu Gewalttaten gekommen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1145272.g-prozess-angeklagt-fuers-mitlaufen-bei-g-protest.html


+++BIG BROTHER
Biometrie-Studie: Mundschutz hilft nicht mehr gegen Gesichtserkennung
Die Entwickler von biometrischer Gesichtserkennung haben ihre Software an die Pandemie angepasst. Während die Algorithmen im Sommer noch große Schwierigkeiten mit maskierten Gesichtern hatten, sieht es fünf Monate später ganz anders aus, zeigt eine neue Untersuchung.
https://netzpolitik.org/2020/biometrie-studie-mundschutz-hilft-nicht-mehr-gegen-gesichtserkennung/


+++POLICE BE
Grosser Rat: Neues Geld für die Polizeiinformatik wird «knurrend» genehmigt
Das Informatikprojekt, das die Zusammenarbeit zwischen bernischer Polizei und Justiz verbessern soll, kostet vorläufig vor allem Geld. Bereits wurde der dritte Zusatzkredit fällig.
https://www.derbund.ch/neues-geld-fuer-die-polizeiinformatik-wird-knurrend-genehmigt-815558783561


+++RASSISMUS
«Migrant*innen werden wieder mal zu Sündenböcken gemacht»
Auf dieses Framing haben wir gerade noch gewartet: Es gäbe einen Zusammenhang zwischen Corona und Migration, heisst es von Seiten der SVP. Stimmt das? Soziologin Sarah Schilliger hat Antworten.
https://bajour.ch/a/8LySeWZpfFrsA7fN/migrantinnen-werden-wieder-mal-zu-sundenbocken-gemacht
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/spitaler-konnen-migranten-angriff-der-svp-nicht-nachvollziehen-65829872
-> https://www.nau.ch/politik/bundeshaus/migranten-in-corona-betten-erregen-gemuter-im-parlament-65829551


+++RECHTSPOPULISMUS
Ehemaliger AfD-Landeschef packt aus
Über Spenden aus der Schweiz
Marcus Pretzell, ehemaliger AfD-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen, spricht zum ersten Mal über seine Kontakte zur Schweizer Werbeagentur Goal AG. Die umstrittene Firma habe einen von Pretzell veranstalteten Kongress finanziert.
https://www.zdf.de/politik/frontal-21/afd-spendenaffaere-ehemaliger-spitzenfunktionaer-packt-aus-100.html


Satiremagazin wird verkauft: Markus Somm wird Chefredaktor beim «Nebelspalter»
Der «Nebelspalter» wird künftig von der Winterthurer Klarsicht AG herausgegeben. Ab dem Frühjahr 2021 soll das Satiremagazin auch online verfügbar sein.
https://www.derbund.ch/markus-somm-wird-chefredaktor-beim-nebelspalter-453958854496


+++RECHTSEXTREMISMUS
Sur le fascisme : récap des articles du mois
En souvenir des 13 militants antifascistes abattus le 9 novembre 1932 par l’armée à Genève, Renversé a proposé durant le mois de novembre une sélection de textes sur le fascisme et, surtout, sur celles et ceux qui s’y sont opposé.es de tout temps et qui continuent à le faire aujourd’hui.
https://renverse.co/analyses/article/sur-le-fascisme-recap-des-articles-du-mois-2830


Wie extreme Rechte die Pressefreiheit in Österreich angreifen
Körperliche Übergriffe, Handy-Diebstahl, Verfolgungen, Klagen und Drohungen zur Ansteckung mit COVID-19. Und das sind nur die letzten Wochen.
https://www.bonvalot.net/extreme-rechte-greifen-die-pressefreiheit-in-oesterreich-an-483/


„NSU 2.0“: Drei Frauen erheben schwere Vorwürfe gegen Polizei Frankfurt und Innenminister Beuth
Idil Baydar, Seda Basay-Yildiz und Janine Wissler werden vom „NSU 2.0“ bedroht. Im Interview werfen sie der Polizei und ihrem Chef Peter Beuth Versagen vor.
https://www.fr.de/politik/nsu-20-frankfurt-polizei-drohmail-beuth-innenminister-baydar-basay-yildiz-wissler-anwaeltin-linke-90119387.html


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Regierungsräte haben Coronaskeptiker zum Gespräch empfangen – die Differenzen seien auch danach noch «signifikant»
Kantonsvertreter haben eine Delegation des Aktionsbündnisses Urkanton empfangen. Die Regierung habe sich dabei «volksnah» gezeigt, finden die Gegner der Maskenpflicht.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/uri/kanton-uri-regierungsraete-haben-coronaskeptiker-zum-gespraech-empfangen-die-differenzen-seien-auch-danach-noch-signifikant-ld.2071526


Pandemie-Leugner: Die Spur des Geldes
Eine Initiative sammelt Spenden, um gegen Corona-Maßnahmen zu klagen. netzpolitik.org und das ZDF-Format Frontal_ sind ihrer Spur zu einer Briefkastenfirma in den Niederlanden und einem mutmaßlichen Reichsbürger im Odenwald gefolgt. Ein „Querdenken“-Anwalt spielt dabei eine undurchsichtige Rolle.
https://netzpolitik.org/2020/pandemie-leugner-die-spur-des-geldes/


Corona-Proteste: Wer profitiert von den Spenden? I frontal
Bei den Corona-Protesten und Querdenken geht es um die Kritik an der Regierung – aber offenbar auch um viel Geld. Initiativen wie „Das Volk gegen Corona“ bitten um Spenden, um „die größte Klage“ in der deutschen Geschichte vorzubereiten. Doch wo landen die Spenden, die im Umfeld von Querdenken eingeworben werden? Unsere frontal_ Recherche gemeinsam mit Netzpolitik.org verfolgt die Spur von “Das Volk gegen Corona” – und findet ein Geflecht aus Auslandsbüros und -konten. Mittendrin: Prominente Szene-Figuren wie Ralf Ludwig und Bodo Schiffmann.
https://www.youtube.com/watch?v=TMC2beRXghM


Blume: „Querdenker“ greifen Demokratie an
„Die Bewegung ist gefährlich“, so Michael Blume, Antisemitismusbeauftragter in Baden-Württemberg, zu den „Querdenkern“, die gegen die Corona-Maßnahmen demonstrieren.
https://www.zdf.de/nachrichten/zdf-morgenmagazin/blume-querdenker-greifen-demokratie-an-100.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/zdfheute-live/corona-querdenker-rechtsextremismus-quent-video-100.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/zdfheute-live/corona-querdenken-chronologie-pfanzelt-video-100.html
-> https://www.zdf.de/nachrichten/zdfheute-live/corona-querdenker-rechtsextremismus-schiller-video-100.html


Corona-Proteste: Ein neuer Extremismus?
Der Verfassungsschutz hat die Corona-Proteste analysiert. Nach Informationen von WDR, NDR und SZ warnt der Inlandsgeheimdienst vor der Entstehung einer neuen Form des Extremismus.
https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/corona-proteste-extremismus-101.html
-> https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/corona-impfung-gegner-angriffe-bka-101.html
-> https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/corona-verschwoerungsmythen-sachsen-101.html
-> https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/bautzen-108.html


Kramer: »Querdenken«-Bewegung könnte Verdachtsfall werden
Thüringer Verfassungsschutzpräsident sieht eine weitere Radikalisierung der »Querdenken«-Bewegung
Der Thüringer Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer sieht eine weitere Radikalisierung der »Querdenken«-Bewegung. Es lägen inzwischen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die bundesweite »Querdenken«-Bewegung als Verdachtsfall eingestuft werden könnte.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1145267.querdenken-kramer-querdenken-bewegung-koennte-verdachtsfall-werden.html



bielertagblatt.ch 03.12.2020

Wie Verschwörungstheorien in die Schweiz gelangen

Mit der Coronapandemie haben die Mythen um den  Mobilfunkstandard 5G nochmals zugelegt. Auch in der Schweiz. Ein Blick  in die Anti-5G-Szene – und auf ihr Abrutschen in dubiose Milieus.

Katrin Schregenberger

An einem Sonntagabend, 18.34 Uhr, tippt einer der ersten User aus der  Schweiz auf der Chat-Website 4Chan einen Kommentar ein, der die  Krankheit Covid-19 mit dem Mobilfunkstandard 5G in Verbindung bringt:  «5G bringt nicht nur uns mit Corona um, sondern auch die süssen Vögel.»  Es ist der 8. März 2020, die «besondere Lage» ist ausgerufen, und  spätestens jetzt mischen auch Personen in der Schweiz bei der neusten  Verschwörungstheorie zu 5G mit. Damit ist die Schweiz Teil einer  Maschinerie geworden, die weltweit immer wildere Verschwörungstheorien  zu aktuellen Themen ausspuckt.

Die genaue Anatomie dieser Theorien muss hier nicht wiederholt werden,  sie wurden unzählige Male in Fact-Checks als falsch entlarvt (siehe  Fussnote). Stattdessen soll es um die Brutstätten der  Verschwörungstheorien gehen – am Beispiel 5G. Es geht hier um die  undurchsichtigen Tiefen des Internets, um Profiteure, die sich als  Experten ausgeben – und um besorgte Bürgerinnen und Bürger, die dem  geschickten Marketing dieser Maschinerie auf den Leim kriechen.

Dafür hat «Higgs» in Internetforen und auf dem Messenger-Dienst  Telegram recherchiert, Zeitabläufe rekonstruiert und über 400 Personen,  die sich in der Schweiz öffentlich gegen 5G positionieren,  datenjournalistisch charakterisiert. So begannen wir zu verstehen, wie  5G-Gegner sich informieren, auf welche Experten sie sich beziehen und  wie sie mit dem globalen Verschwörungsnetzwerk verbunden sind. Unser  Ziel ist nicht, 5G-Gegner an den Pranger zu stellen, sondern  nachzuzeichnen, wie sich die Zweifel an einer neuen Technologie entgegen  dem Konsens der Forschung so erfolgreich streuen liessen.

Wie kam es dazu, dass die 5G-Verschwörungstheoretiker im April dieses  Jahres einen ihrer grössten Erfolge feiern konnten, als in  Grossbritannien mindestens zwanzig 5G-Sendemasten angezündet wurden? Und  dass mittlerweile acht Prozent der Amerikaner glauben, dass Covid-19  durch den Mobilfunkstandard 5G ausgelöst werde? Wie kam es, dass am 4.  März ein User aus der Schweiz auf Reddit schrieb: «Wenn sie in meiner  Umgebung eine 5G-Antenne aufstellen, werde ich sie sabotieren»?

Eine Verschwörungstheorie entsteht

Seit die Mobilfunktechnologie in den 90er-Jahren ihren Siegeszug  angetreten hat, hat sie auch ihre Gegner – genauso wie durch das ganze  20.Jahrhundert das Kabeltelefon, die Stromleitungen und der  Mikrowellenherde ihre Gegner hatten. Als aber um die Jahrtausendwende in  der Schweiz der Mobilfunkmarkt liberalisiert und der Mobilfunkstandard  der dritten Generation (UMTS) eingeführt wurden, gewann die Gegnerschaft  an Vehemenz: «Wir wurden damals mit Tomaten beworfen», erinnert sich  Gregor Dürrenberger, Forscher am ETH-Institut für Elektromagnetische  Felder und Geschäftsleiter der Stiftung Strom und Mobilkommunikation.  Danach wurde es allerdings wieder ruhiger um den Mobilfunk.

Das Revival kam mit 5G. Weltweit koordiniert wurde der Widerstand  erstmals im Jahr 2015, als eine Gruppe von rund 190 Wissenschaftlern  einen Appell an die Vereinten Nationen sandte: Sie verlangte, dass die  Grenzwerte für Mobilfunk verschärft werden sollten.

Unter den Unterzeichnenden war ein einziger Schweizer: der Biologe  Daniel Favre. Er ist ehemaliger Vize-Präsident der Westschweizer  Anti-5G-Vereinigung ARA (Association Romande Alerte aux ondes  électromagnétiques) und hat als Molekularbiologe zu Hepatitis B und C  geforscht – hat also keine Expertise im Bereich Mobilfunkwellen.  Trotzdem führte er 2011 als «unabhängiger Forscher» eine ziemlich  handgestrickte Feldstudie zu den Auswirkungen von Mobilfunkstrahlung auf  Bienen durch. Sein Befund: Bienen reagieren auf Handystrahlung  empfindlich.

Im Jahr 2016 traten dann die ersten Verschwörungstheorien zu 5G ihren  Siegeszug an: Am 26. Juli 2016 lud die US-amerikanische christliche  Bewegung InPower Movement ein Video auf Youtube hoch. Ihr Kanal zählte  zum jenem Zeitpunkt etwas über 9000 Abonnenten. Das Video mit dem Titel  «Die Wahrheit über 5G» stellt die Frage: «Arbeiten in den USA hinter den  Kulissen geheime Kräfte, die die Wahrheit über die 5G-Implementierung  zensieren?». Es ist eines der ersten Videos zum Thema 5G, das viral  ging.

Bei der Schaffung neuer Verschwörungstheorien spielen immer  verschiedenste Player mit: Es können Grassroot-Trolls sein, Profiteure,  aber auch Organisationen mit bestimmten politischen Interessen. Oder  staatliche Akteure, wie Ben Decker schreibt, Spezialist für  Desinformations-Kampagnen und Autor der britischen  Nichtregierungsorganisation Global Desinformation Index. Er hat einen  Bericht zu 5G und den ersten globalen Verschwörungstheorien dazu  verfasst.

Er sagt, die für diese Theorien verantwortlichen Akteure führten im  Netz einen permanenten Informationskrieg, der stetig neue Themen  integriere. Decker bezieht sich auf einen Bericht, den der pensionierte  Air Force Colonel Richard Szapranski  bereits 1995 geschrieben hat.  Darin sagte der Autor voraus, dass die Abhängigkeit von Informationen  dazu führen würde, dass Glaubens- und Wissenssysteme der Gesellschaft  attackiert werden – namentlich die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit  würde leiden. Wir stecken laut Decker also in einem digitalen Krieg, in  dem die Akteure die Dynamiken und Algorithmen der Netzwerke ausnützen,  um ihre von eigenen Ideologien geprägte Deutung der Wirklichkeit  permanent in die Welt zu posaunen und Mitglieder zu rekrutieren  beziehungsweise zu radikalisieren.

Neue Verschwörungstheorien entstehen häufig nicht in den leicht  auffindbaren Teilen des Internets, sondern in dessen Tiefen –  beispielsweise in anonymen Foren wie 4Chan. «Leute, die auf solchen  Kanälen neue Theorien kreieren, glauben selber gar nicht unbedingt  daran», sagt Marc Tuters. Er ist Assistenzprofessor an der Abteilung New  Media & Digital Culture der Universität Amsterdam. «Diese Leute  sehen es aber sehr gerne, wenn sich ihre Theorien weiterverbreiten. Sie  erfreuen sich an gesellschaftlichem Chaos.»

Tuters hat zu Foren wie 4Chan und Reddit geforscht und das Open  Intelligence Lab gegründet, das ein Analysetool für diese Plattformen  entwickelt hat. Das Tool wurde auch für diese Recherche verwendet. Wie  Tuters sagt, hat sich vor allem 4Chan zu einer Brutstätte für  Verschwörungstheorien entwickelt – besonders beliebt in rechten Kreisen.  Hier ist zum Beispiel auch die QAnon-Bewegung entstanden, die krude  Theorien verbreitet und aktuell in der Coronapandemie federführend ist.  Von den eher obskuren Kanälen schwappen die Theorien dann auf Reddit  über – und schliesslich auf Youtube.

Dort wählen dann grössere Akteure aus einem grossen Strauss an diversen  Verschwörungstheorien die für sie geeignetsten aus, um damit ihren  eigenen Propaganda-Krieg weiterzuführen. Die Themen mögen noch so weit  auseinander liegen, sie werden zu einer neuen einheitlichen Geschichte  gestrickt und über unzählige Kanäle gestreut. Das war auch bei 5G so.

Spenden für Verbreitung gesammelt

Silvester, 31. Dezember 2019: Ein User aus der Schweiz schreibt auf  4Chan: «5G ist ein weiteres Instrument für die Neue Welt Ordnung.» So  nennen Verschwörungstheoretiker das System, das korrupte Eliten  angeblich errichten wollen. Es sind drei Jahre vergangen, seit die  ersten Verschwörungstheorien zu 5G aufgetaucht sind.

In der Schweiz sind zu diesem Zeitpunkt zehn Anti-5G-Websites und vier  Facebook-Seiten mit insgesamt rund 17000 Abonnentinnen oder Mitgliedern  registriert. Zudem wurde ein Verein gegründet, eine Standesinitiative  eingereicht, drei Moratorien in den Kantonen Genf, Waadt und Jura  durchgesetzt – und fünf Volksinitiativen sind in Planung oder bereits am  Unterschriften sammeln. Eine öffentliche Petition an Bundesrätin  Sommaruga haben fast 40000 Personen unterzeichnet.

Rund 44 Prozent der Bevölkerung sollen in der Schweiz 5G-kritisch  eingestellt sein, wie eine Umfrage des Vergleichsportals bonus.ch ergab.  Was ist passiert?

Entscheidend für den weltweiten Erfolg der Verschwörungstheorien um 5G  war laut Ben Decker das Jahr 2018. Und der Treiber dieser Entwicklung  war auch Profitgier. So sprang der Verschwörungstheoretiker John Kuhles  auf und verbreitete die Botschaft über eigene Youtube-Videos unter  Zehntausenden von Followern. Er kreierte Stopp-5G-Plattformen und  generierte auf diesem Weg Spenden – «Donations» wie Decker schreibt.

Dann stiegen weitere Top-Shots der Szene ein, unter ihnen einer der  mächtigsten Verschwörungstheoretiker der USA, der rechtsaussen  politisierende Alex Jones. Auf seinem Portal Infowars publizierte er ab  Mai 2018 einen stetigen Strom an kruden 5G-Verschwörungstheorien. So  hiess es etwa, 5G sei dazu da, die Bevölkerung zu dezimieren. Ebenfalls  im Mai 2018 nahm die Bewegung QAnon die Theorien auf, ebenso wie der  russische Propagandasender RT America. Damit war das Thema auf der  höchsten Ebene der digitalen Kriegsführung angekommen.

Als Nachzügler kamen dann im Februar 2019 auch noch radikal christliche  Kanäle auf den Geschmack: Der religiöse Youtube-Kanal TruNews mit über  170 000 Abonnenten lud ein eigenes Video hoch, das die  5G-Verschwörungstheorie mit Antisemitismus und apokalyptischen Tönen  anreicherte. Doch wer vertritt in der Schweiz eigentlich die 5G-Gegner?

Die Berufe analysiert

Da sind einerseits jene, welche in Vereinen gegen hohe  Strahlenbelastung tätig sind, Initiativen organisieren, Anti-5G-Websiten  gegründet oder als «Organisation» einen internationalen Anti-5G-Appell  unterzeichnet haben. Die Spannbreite der Gegner reicht von radikalen  Verschwörungstheoretikern bis zu moderaten Kritikern, lange nicht alle  sind Verschwörungstheoretiker.
Nicht zu finden sind darunter allerdings Forschende, die in universitärem Kontext zu 5G forschen oder geforscht haben.

Das ist zum Beispiel die Grenchnerin Rebekka Meier, Präsidentin des  Vereins Schutz vor Strahlung, Uhrmacherin und Hobbyfunkerin. Oder:  Richard Koller, Krankenpfleger und Initiant der Volksinitiative  5G-Experiment Nein, der nach einem Streit bei der SVP Luzern die  «Freiheitliche Bewegung Schweiz» gründete.

Oder Guido Huwiler: Er ist laut Vereinswebsite im Vorstand des  Konsumentenschutzvereins Frequencia, der die Saferphone-Initiative für  eine minimale Strahlenbelastung der Umwelt plant. Huwiler ist  ausgebildeter Tiefbauzeichner, war als Baubiologe tätig und ist heute  pensioniert. Seine Website ist noch aktiv.

Huwiler berät unter anderem so genannt «strahlensensible Menschen», wie  sie ihr Haus gegen Strahlung abschirmen können. «Baubiologische  Arbeiten sind fast immer ein Verlustgeschäft, ich mache das aus  Überzeugung», sagt Huwiler.

Was viele dieser Personen verbindet, ist der Praxisbezug. Er ist der  gemeinsame Nenner, der Kinderärzte, Yogalehrerinnen, Heilpraktiker und  Ayurveda-Therapeutinnen mit Ingenieurinnen und Technikern aller Art  zusammenbringt. Eine «Higgs»-Datenanalyse der 129 wichtigsten Personen,  die sich öffentlich gegen 5G engagieren und nicht wissenschaftlich tätig  sind, zeigt: Ein Drittel von ihnen bekleiden technische Berufe wie  Ingenieur, IT-Spezialist oder Architekt. Ein Viertel wiederum übt Berufe  aus, die Heilung und Gesundheit versprechen, wie Heilpraktiker,  Homöopathinnen oder Yoga-Lehrer (siehe Grafiken rechts).

Was viele 5G-Gegner ausserdem eint: das Geschäft. Während  Heilpraktikerinnen die körperliche Reinigung versprechen, bieten  Elektroingenieure und Architekten strahlungssichere Gadgets und Anbauten  aller Art an. Die Liste «Organisationen» auf einem 5G-Appell erinnert  denn auch stark an eine Marketing-Börse, denn auf dieser Seite können  die Kunden erreicht werden. Also Personen, welche angeben,  strahlungssensibel zu sein und körperlich Schmerzen erleiden.

Eine Umfrage in der Schweiz im Jahr 2004 ergab, dass rund fünf Prozent  der Bevölkerung angaben, aufgrund von Strahlung an Beschwerden zu leiden  oder in Vergangenheit gelitten zu haben. Experimentell wissenschaftlich  nachweisbar ist eine solche Elektro- oder Strahlensensibilität nicht.

Bei der praxisorientierten Gruppe von 5G-Gegnern bestehen auch einige  Überschneidungen mit Impfgegnern und Coronaskeptikern. Bekanntestes  Beispiel: Christoph Pfluger, einer der Anführer der Coronaskeptiker in  der Schweiz und Verleger der Zeitschrift «Zeitpunkt» – ein wichtiger  hiesiger Treiber für Theorien, die sich gegen den wissenschaftlichen  Konsens stellen.

Den praxisorientierten Gegnern scheint oft ein anthroposophisches  Menschenbild gemein zu sein. Ebenfalls dabei sind religiöse  Gruppierungen wie The World Foundation of Natural Science. Und in deren  Schlepptau ein buddhistischer Mönch, ein Zauberer und ein Medium.

Viele Quellen, welche die Gegner auf ihren Websites und  Facebook-Gruppen verlinken, sind schwach, unzuverlässig und nicht  wissenschaftlich. Und erschreckend ist dabei vor allem, wie viele der  Verlinkungen auf sehr radikale verschwörungstheoretische Seiten oder  Youtube-Kanäle verweisen. Damit haben die Schweizer 5G-Seiten einen  eskalierenden Effekt.

Mögen viele Schweizer 5G-Gegnerinnen moderat sein – vielleicht sogar  die Gründer der einschlägigen Websites selbst: Ihre Websites führen  besorgte User auf der Suche nach Informationen in die höchst dubiosen  Gewässer von Rechtsradikalen oder Sekten. Ein Beispiel: Die  Anti-5G-Website levaudsansantennes will die Einführung von 5G im Kanton  Waadt verhindern und konnte bereits ein Moratorium durchsetzen. Klickt  man auf der Seite zu den empfohlenen Videos, stehen da Beiträge des  öffentlich rechtlichen Fernsehens SRF neben jenen von RT deutsch, einem  russischen Propagandasender, und neben jenen von kla.tv, dem Sender des  Schweizer Sektenpredigers Ivo Sasek.

Die Websitesbetreiber haben auf eine Kontaktaufnahme nicht reagiert.  Mit den dubiosen Verlinkungen sind sie aber nicht allein: Auch ARA, die  Anti-5G-Vereinigung in der Romandie, verlinkt zum Beispiel in der  Fussnote eines Artikels auf die Website des bekannten  Verschwörungstheoretikers David Icke. Nicht alle Websiten sind aber  problematisch: Positiv sticht hier zum Beispiel die Website des Vereins  Schutz vor Strahlung hervor, die auf solche Verlinkungen verzichtet.

Die Wissenschaftler dahinter

Weiter sind da die 5G-Gegner, die sich als Wissenschaftler  positionieren. Zum Beispiel haben 2019 sieben Personen aus der Schweiz  einen «Appell der Wissenschaftler» an die EU unterzeichnet. Niemand  davon hat in einem Forschungsgebiet geforscht, das mit  elektromagnetischen Wellen etwas zu tun hat. Neben dem Bienenforscher  Favre sind da eine Apothekerin, ein Anästhesist, eine anthroposophische  Kinderärztin, zwei Ärzte mit Fachgebiet Innere Medizin und eine  Kinderpsychiaterin.


Auf einem anderen Appell, den – neben anderen Berufsgruppen – 232  Personen aus der Schweiz als «Wissenschaftler» unterzeichnet haben, wird  ein Trend sichtbar: ein Drittel hat Biologie studiert.

Allerdings wird auch hier «Wissenschaftler» sehr grosszügig  interpretiert. ETH-Professoren stehen ebenso auf der Liste wie eine  Kaninchenzüchterin oder Studierende. Auch einige Politiker der Grünen  und der SP haben unterzeichnet, am bekanntesten darunter der Grüne  Michael Wüthrich, ehemaliger Präsident der Umwelt-, Verkehrs- und  Energiekommission des Basler Grossen Rates. «Ich habe den Appell  unterschrieben, weil ich hoffe, dass man dadurch weltweit sensibler  umgeht mit Mikrowellen – und zwar nicht nur spezifisch bezüglich 5G»,  sagt Wüthrich. Er ist Mit-Initiant einer Volksinitiative für niedrigere  Strahlenbelastung in der Schweiz.

Er ist Klimatologe und verweist auf Anfrage auf seine Forschung im  Bereich der Mikrowellenausbreitung, die er im Rahmen verschiedener  Klimaprojekte in den 90er-Jahren durchführte. Seine Forschung sei zwar  schon eine Weile her, räumt er ein, aber «die physikalischen  Eigenschaften von Mikrowellen haben sich nicht geändert». Zuletzt  forschte er laut eigenen Angaben beim European Microwave Signature  Laboratory in Ispra.

Immerhin verfügen gut 30 dieser 5G-Gegnerinnen und Gegner, die als  Wissenschaftler unterzeichnet haben, nicht nur über einen  Hochschulabschluss, sondern tatsächlich auch über Forschungserfahrung  und haben Studien publiziert. Aber Wissenschaftler, deren  Forschungsgebiet auch nur annähernd etwas mit elektromagnetischen Wellen  zu tun haben, sind darunter kaum zu finden. Aktuell in universitärem  Kontext explizit zu Mobilfunkstrahlung und ihren Auswirkungen auf den  Menschen forscht keiner der Unterzeichnenden.

Die Frage nach der Kompetenz

Doch, wer ist überhaupt «kompetent», wissenschaftliche Fakten zu diesem  Thema zu bewerten? In der Antwort auf diese Frage liegt die Krux, die  heute bei verschiedensten Themen dazu führt, dass Wissenschaftsleugner  und Scharlatane ein leichtes Spiel haben: «Forschung ist heute  interdisziplinär und international», sagt Gregor Dürrenberger von der  Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation.

Das heisst: Es gibt keine einzelne Person, welche alle Fragen zu 5G  alleine beantworten kann. Geht es darum, ob elektromagnetische Wellen  Krebs verursachen, braucht es Krebsepidemiologen oder Onkologinnen.  Dreht es sich um die Schmerzen, welche Leute fühlen, die sich als  strahlensensibel bezeichnen, braucht es hingegen eher  Placebo-Forschende, Psychologen oder Ärztinnen.

Gerade wegen dieser enormen Komplexität treffen sich Wissenschaftler  aus verschiedensten Bereichen jeweils an der BioEM, der wichtigsten  Fachtagung, die sich den biologischen Auswirkungen elektromagnetischer  Felder widmet. Hier treffen Elektroingenieure auf Biologinnen,  Toxikologen, Epidemiologinnen und viele weitere. Denn die faktische  Wirklichkeit kann erst durch viele Forschende zusammen erarbeitet  werden. Diese müssen einen wissenschaftlichen Konsens finden. Das  heisst, je mehr Forschende zu den gleichen Resultaten kommen, desto  erhärteter sind die Fakten.

Die Theorien mischen sich

Während die Forschung also immer komplexer wird, mischen sich in den  Diskurs immer mehr Akteure ein, die einfache Antworten bereit haben. Und  diese selbsternannten Fachleute treten mit immer seriöserem Anstrich  auf.

«Die Radikalität der Gegner hat sich in den letzten 20 Jahren nicht  gemindert», sagt Gregor Dürrenberger von der Forschungsstiftung für  Strom und Mobilkommunikation, «aber ihr Auftreten hat sich  professionalisiert».

Dem stimmt auch Martin Röösli zu, der als Professor am Swiss Tropical  and Public Health Institute in Basel seit Jahren zu elektromagnetischen  Wellen forscht. Zugenommen habe auch, dass sich sektenähnliche  Gruppierungen das Thema aneigneten.

Dieses Phänomen spiegelt einen generellen Trend wider.  Verschwörungstheoretische Gruppen pflegen zunehmend ein «Branding»,  treten also als Marke auf, die verschiedene Theorien anbietet. Das zeigt  sich auch in der gegenwärtigen Coronapandemie: In einem  Anti-5G-Telegram-Chat geht es derzeit fast ausschliesslich um  Verschwörungstheorien zu Corona. Geteilt werden dort Beiträge von  QAnon-Schweiz oder der rechtspopulistischen deutschen  Verschwörungstheoretikerin Eva Hermann – und es wird um Spenden gebeten.  Eine Userin schreibt: «Die Schweiz ist ein tiefer Sumpf … WEF, Davos,  Luzern, Genf WHO Sitz etc Vatikan-Beziehung.» 5G ist da nur noch ein  weiteres Requisit in der Geschichte um die Neue Weltordnung – und deren  Vermarktung.
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/schweiz/wie-verschwoerungstheorien-die-schweiz-gelangen)