Abhängigkeiten wegen Entwicklungsgelder in Afrika, Ansteckungsgefahr wegen Behörden in Bern, antimuslimisches Gesetz wegen Sicherheitsversprechen in Frankreich

antira-Wochenschau: Tripolis: Geflüchteter in Asyllager erschossen | Bern: Behörden und ORS setzen abgewiesene Geflüchtete bewusst der Gefahr einer COVID-Ansteckung aus | Frankreich: Macron schlägt antimuslimischen Gesetzesentwurf vor | SEM lehnte im August fast jedes dritte Asylgesuch ab | “Entwicklungsgelder” aus der Schweiz schaffen mehr Abhängigkeiten in Afrika | NGOs “ruhigstellen” in Griechenland | Grenzbeamt*innen aus Griechenland, Kroatien, Österreich und Italien an Push-backs beteiligt | 31 Menschen kentern vor Lampedusa | 8 Menschen in Lastwagen entdeckt | Polizei zerstört informelles Camp in Paris | Rassismus bei der Luzerner Polizei? Natürlich nicht! | Sea-Eye hat neues Rettungsschiff | Neues Bündnis setzt sich für Seenotrettung ein | Berlin klagt gegen Seehofer für Aufnahme aus Griechenland | Keine Ausschaffungen nach Äthiopien, jetzt | Tag der Sans-Papiers-Regularisierung in Basel | Koloniale Beutekunst in Frankreich | #Neokolonialismus #Eurozentrismus

Der Podcast dieser antira-Woschenschau und die Printversion als PDF.

Was ist neu?

COVID-19: Die ORS AG, das Amt für Bevölkerungsdienste ABEV und das Kantonsarztamt setzen abgewiesene Geflüchtete bewusst der Gefahr einer Ansteckung aus
In Institutionen, in denen viele Menschen leben, ist es an sich selbstverständlich, dass die Verantwortlichen alles unternehmen, um am Coronavirus erkrankte Menschen gut zu betreuen und nicht-erkrankte Personen vor der Krankheit zu schützen. Die Einhaltung der Vorschriften des Bundesamts für Gesundheit (BAG) ist dafür eine nicht zu unterschreitende Richtlinie. Die Art und Weise, wie Institutionen die Arbeit für die Einhaltung der Richtlinien angehen, zeigt jedoch, welcher Wert unterschiedlichen Gruppen von Menschen und ihrer Gesundheit zugeschrieben wird. Leider ziehen die Aktivist*innen von #StopIsolation, die in den Rückkehrzentren des Kantons Bern leben müssen, und das Migrant Solidarity Network eine verheerende Bilanz: Die Zustände in den Rückkehrcamps sind für die darin lebenden Menschen gefährdend und die Betreuung schlecht. Folgendes haben wir in den letzten Wochen festgestellt:
– In den Camps Gampelen und Aarwangen isolierte die ORS AG infizierte und erkrankte Personen sowie sich in Quarantäne befindende Menschen während Tagen, ohne ihnen Nahrungsmittel und saubere Kleider zu geben.
– Einige Personen, die engen Kontakt zu infizierten Personen hatten, wurden nicht isoliert, obwohl das BAG dies vorschreibt.
– Die Quarantäne-Pflicht lässt sich nicht umsetzen, da erkrankte Personen oft immer noch die Küche und das Badezimmer mit anderen Bewohnenden teilen müssen.
– In den Camps Worb und Gampelen sperrte die ORS AG infizierte und erkrankte Personen in einem Trakt ein. Das ist Freiheitsberaubung.
– Im Camp Aarwangen gab es lange nicht genügend Schutzmasken, Desinfektionsmittel und Seife. Menschen stand während Tagen nur eine Schutzmaske zur Verfügung.
– Unter anderem in Gampelen wurde während Tagen die Internetverbindung gekappt. Die Bewohnenden hatten so weder die Möglichkeit, die Öffentlichkeit über ihre Situation zu informieren, noch hatten sie Zugang zu Informationen über das Virus, was zusätzlichen Stress auslöste.
Dies sind nur einige Beispiele der Situation, die sich momentan in den Rückkehrzentren abspielt. Viele der Bewohnenden sind in grosser Angst um ihre Gesundheit und fürchten sich vor Ansteckungen. Die Menschen sind in den Camps zwangsuntergebracht. Sie haben meist keine Möglichkeit, diese zu verlassen und sich vor einer Ansteckung zu schützen und sind dadurch der Willkür der Behörden ausgeliefert. Verantwortlich für die Notlage sind die ORS AG, das Amt für Bevölkerungsdienste (ABEV) sowie das Kantonsarztamt. Und alle drei weigern sich, die Schutzmassnahmen des BAG in den Rückkehrzentren umzusetzen. Es scheint: (1) als wolle die ORS AG lieber Kosten einsparen als die BAG-Vorschriften einzuhalten; (2) als wolle das ABEV lieber die Arbeit der ORS schönreden als Verantwortung zu übernehmen; (3) als wolle das Kantonsarztamt seine Verantwortung lieber abgeben.
Als sich die Meldungen von geflüchteten Aktivist*innen über die unhaltbaren Zustände in den Camps häuften, wurde das ABEV in einem Schreiben zum Handeln aufgefordert. Dieses weist (wie bereits bei den Protesten und Forderungen von #StopIsolation) sämtliche Vorwürfe von sich, weicht Fragen aus, macht offensichtliche Falschaussagen und lobt sich selbst. Schwerwiegende Missstände und Fehlentscheide werden als “unbeabsichtigte Missverständnisse” dargestellt:
– Auf den Vorwurf der fehlenden Quarantänemöglichkeit meinte das ABEV: “Sämtliche nachweislich erkrankten Personen wurden in Isolation sowie Familienmitglieder und nahestehende Personen zwecks Quarantäne in Einzelzimmer verlegt. Erkrankte Personen oder solche mit ausstehendem Testergebnis werden nicht in denselben Zimmern wie gesunde Bewohnerinnen oder Bewohner untergebracht.” Mehrere Bewohnende des Camps haben jedoch unabhängig voneinander berichtet, dass infizierte und nicht infizierte Menschen im gleichen Zimmer waren. Erst durch Druck von aussen hat sich die Zentrumsleitung später für eine bessere Umsetzung der Quarantänepflicht entschieden und die Menschen separiert.
– Auch beim Zugang zum Internet steht die Aussage des ABEV, dass das Internet in den Aufenthaltsräumen zur Verfügung stehe, gegen dutzende Stimmen von Bewohnenden, die tagelang ohne Zugang zu Internet lebten.
– Auf die Vorwürfe, dass erkrankte und nicht erkrankte Personen Küche und WC teilen, schreibt das ABEV: „Für alle betroffenen Personen stellt die ORS separate Sanitäranlagen zur Verfügung. Die an COVID-19 erkrankten Personen dürfen die Isolationszimmer nur mit Mundschutz und Handschuhen verlassen, die Verpflegung muss im Zimmer und nicht in den Gemeinschaftsräumlichkeiten zubereitet werden. Die Verpflegung wird durch die ORS zur Verfügung gestellt und vor dem Isolationszimmer deponiert.” Viele Bewohnende berichten jedoch, dass positiv getestete Menschen auf dem Flur, in der Küche oder auf den Toiletten anzutreffen seien. In Gampelen erhielten die Menschen in Quarantäne während zwei Tagen kein Essen, bis Menschen aus der Zivilgesellschaft Essen vorbeibrachten.
Diese Feststellungen zeigen, dass die Gesundheit von Menschen in den Rückkehrcamps als weniger wichtig angesehen wird, als die Gesundheit anderer. Hier liegt Rassismus vor. Stop Isolation und Migrant Solidarity Network fordern, dass sich auch abgewiesene Geflüchtete gemäss der BAG-Massnahmen gegen das Coronavirus schützen können. Da dies in der institutionellen Einrichtung der Rückkehrzentren nicht Corona-konform umgesetzt werden kann, müssen die Rückkehrzentren geschlossen werden. Den Bewohnenden müssen dringend Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt werden, in denen sie sich und ihre Mitmenschen ausreichend vor dem Coronavirus schützen können.
https://migrant-solidarity-network.ch/2020/11/16/schlimme-covid-19-situation-in-berner-rueckkehrzentren/
https://rabe.ch/2020/11/17/wir-sind-alle-bern/

SEM lehnte im Oktober fast jedes dritte Asylgesuch ab
Die Asylstatistik vom Oktober 2020 gibt Aufschluss über die Brutalität, die sich hinter meist verschlossenen Bürotüren des Staatssekretariats für Migration (SEM) oder hinter den Mauern und Gittern der Ausschaffungsstrukturen der Schweiz abspielt. Es sind dutzende Tabellen abstrakter Zahlen, die vergessen lassen, dass es sich bei jeder dieser Zahlen um einen Menschen und eine Biografie handelt, die durch das schweizer Asylregime massgeblich durchkreuzt wird.
Der Statistik sind folgende Punkte zu entnehmen: Das SEM behandelte im Oktober 2020 insgesamt 1.772 Asylgesuche in erster Instanz. Auf 15.9% dieser Gesuche ging das SEM gar nicht erst ein, grösstenteils wegen fehlender Zuständigkeit aufgrund des Dublin-Abkommens. 34.6% der Gesuche endeten in einer Asylgewährung und 21% in einer vorläufigen Aufnahme. 28.5% der Gesuche wurden abgelehnt, was bedeutet, dass die Personen die Schweiz wieder verlassen müssen.
Die Anerkennungsquote der wichtigsten Herkunftsländer der Personen, die im Oktober ein Asylgesuch in der Schweiz eingereicht haben, ist teilweise enorm tief.
So wurden nur 81% der Gesuche von Menschen aus Afghanistan anerkannt. Für Menschen aus Syrien sind es 56%, 3% der Gesuche von Menschen aus Algerien, 70% für Menschen aus Eritrea, 74% für Menschen aus der Türkei.
Insgesamt haben im Oktober 2020 618 Personen aus dem Asylprozess die Schweiz wieder verlassen oder sind untergetaucht. Auffällig dabei ist, dass der Anteil der Untergetauchten mit Abstand der grösste ist. 52% der Menschen sind untergetaucht oder «unkontrolliert abgereist», 12% wurden ausgeschafft und 13% verliessen die Schweiz «selbstständig». Dies verdeutlicht einmal mehr die krassen Konsequenzen, die ein negativer Asylentscheid und die Aufforderung zur Ausreise für eine Person haben. Lieber tauchen Menschen unter und führen ein Leben in der Illegalisierung, als in Staaten zurückzukehren, die sie bewusst verlassen haben. Das schweizer Asylregime scheint sich wenig darum zu scheren, wohin die Menschen ausgeschafft werden, solange es seine Ausschaffungspolitik «effizient und glaubwürdig» durchsetzen kann. So wurden auch diesen Monat beispielsweise Menschen nach Äthiophien ausgeschafft, obwohl dort im Moment erneut bewaffnete Konflikte ausgebrochen sind (s. Artikel «Schweizer Behörden sollen Ausschaffungen nach Äthiopien sofort stoppen»).
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-81134.html

Frankreich: Macron schlägt antimuslimischen Gesetzesentwurf vor
Letzte Woche wurde in Frankreich ein Gesetz für die „Globale Sicherheit“ verabschiedet, der unter Strafe stellen kann, Videomaterial mit Polizist*innen zu veröffentlichen und zu verbreiten (s. antira-Wochenschau von letzter Woche). Als nächstes entscheiden die französischen Abgeordneten über einen Entwurf, der unter dem Namen „Gesetz gegen den Separatismus“ bekannt wurde. Dieser Vorschlag, über den in Frankreich am 9. Dezember beraten werden soll, trägt schlussendlich den unspektakulären Namen “Gesetz zur Bestätigung republikanischer Prinzipien”. Faktisch geht es aber trotzdem darum, was frankreichs Präsident Emanuel Macron nach den islamistischen Morden versprochen hatte: Um die Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten im Namen der Sicherheit. Insbesondere zielt das Gesetz auf Personen, die von antimuslimischem Rassismus diskriminiert werden.
Der Gesetzesentwurf schafft einen neuen Online-Hass-Artikel, der Personen kriminalisiert, die sich im Internet gegen die Werte der Republik äussern. Vorgesehen sind auch spezifische Strafen für die Ausübung von Druck auf Behörden, Polizei oder gewählte Personen. Zudem sind Moscheen künftig verpflichtet, sich bei Spenden aus dem Ausland, die 10.000 Euro übersteigen, gegenüber dem Staat zu rechtfertigen. Dies sei ein wirksames Mittel, um einen Putsch zu verhindern, der durch die Übernahme einer Moschee durch Islamist*innen erfolgen könne, versprechen die Schaffer*innen des Gesetzesentwurfs. Ein anderer Artikel ermöglicht es, dass Richter*innen problemlos veranlassen können, dass verurteilte Personen sich nicht mehr in Moscheen begeben dürfen.
Der Gesetzesentwurf geht so weit, dass er auch von Politiker*innen kritisiert wird, die Macron 2017 zur  Macht verholfen hatten. In einem erfrischend aufrichtigen Tonfall fordern z.B. 33 in Frankreich bekannte Exponent*innen dieser Fraktion, dass Macron seinen Gesetzesentwurf zurückzieht. In einem offenen Brief halten sie fest: „Den Angriff auf unsere Freiheiten und Rechte zuzulassen, bedeutet das einzuführen, wovon die neofaschistische extreme Rechte träumt: einen autoritären Staat, in dem der Rechtsstaat zu einem Polizeistaat wird, der die Mobilisierungen der Bevölkerung und bestimmte Forderungen kriminalisiert. Wenn Sie diesen Niedergang nicht verhindern, werden Sie die schreckliche historische Verantwortung tragen, der Wegbereiter der tödlichen Ideologien zu sein, gegen die Sie gewählt wurden. Auch Sie werden von ihnen mitgerissen werden und nichts mehr verhindern können“.
https://blogs.mediapart.fr/les-invites-de-mediapart/blog/221120/monsieur-le-president-nous-n-avons-pas-vote-pour-ca?utm_source=twitter&utm_medium=social&utm_campaign=Sharing&xtor=CS3-67

https://www.lemonde.fr/politique/article/2020/11/18/le-projet-de-loi-contre-l-islam-radical-et-les-separatismes-finalise-et-transmis-aux-deputes-et-senateurs_6060131_823448.html

NGOs “ruhigstellen” in Griechenland
Bereits vor einigen Wochen kündigten griechische Behörden an, gegen 33 Personen aus verschiedenen NGOs zu ermitteln. Lange war unklar, gegen wen genau ermittelt wird: Der SPIEGEL konnte nun Polizeiakten einsehen. Betroffen sind Aktivist*innen von Mare Liberum, Sea Watch, FFM e.V. (Forschungsgesellschaft Flucht & Migration e.V)., Josoor und Alarm Phone/Watch the Med. Die Ermittlungsgrundlage: Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, welche Menschenschmuggel und Spionage betreibt. Die Beschuldigten bestreiten, bei den Einsätzen in Griechenland Gesetze gebrochen zu haben. Sie halten das Verfahren für politisch motiviert. «Wir haben uns mit unseren Berichten über mutmassliche Pushbacks sicher nicht nur Freunde gemacht», so Philipp Hahn von Mare Liberum. Im September führten griechische Polizeieinheiten eine Razzia auf deren NGO-Boot durch und beschlagnahmten Handys und Laptops.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/verfahren-gegen-ngos-in-griechenland-man-will-uns-ruhig-stellen-a-6dcab115-2f50-45ef-ac8c-4d036d8bfe5c

Geflüchteter in Asyllager in Tripolis erschossen
Letzten Dienstag verschafften sich sechs Bewaffnete Zutritt zu einem der Gefangenenlager in Tripolis, Libyen, in denen Menschen auf der Flucht unter Horrorbedingungen festgehalten werden. Sie eröffneten das Feuer und töteten einen 15-jährigen Jungen aus Eritrea und verletzten zwei weitere schwer. Die Situation für geflüchtete Menschen in Libyen ist äusserst prekär. Mindestens 5.600 befinden sich zurzeit in den Gefangenenlagern des Landes – und das sind nur jene, die registriert sind. Wiederholt wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Zustände in den Lagern katastrophal sind. Alleine zwischen August 2018 und Mai 2019 starben 22 Menschen an Tuberkulose oder anderen Krankheiten. Im Januar war der 16-jährige Adal Depretsion gestorben, nachdem ihm medizinische Versorgung verwehrt worden war. Zwei Wochen lang schlief er nur noch. Die Zuständigen im Lager verabreichten ihm Schmerzmittel, ohne jegliche medizinische Konsultation. Auch Angriffe, ähnlich dem von letzter Woche, sind kein Einzelfall. Ebenfalls im Januar wurden zwei Menschen in einem Lager in Tripolis erschossen. Im Mai wurden 30 flüchtende Menschen in einer Lagerhalle in Mizdah erschossen und 11 weitere verletzt. Zudem sind Menschen auf der Flucht in Libyen erhöht der Gefahr von Zwangsarbeit, Menschenhandel, Folter und sexualisierten Übergriffen ausgesetzt. Trotz dieses Wissens über die herrschenden Verhältnisse hat die EU eine Absprache mit der sogenannten libyschen Küstenwache getroffen. Diese fängt täglich Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ab und schleppt sie zurück in die Gefangenenlager – von EU-Geldern finanziert. Insgesamt über 90 Millionen Euro wurden unter dem Namen “Integrated Border Management Programme“ aus dem EU‑Treuhandfonds für Afrika bisher an die libysche Küstenwache gezahlt.
https://www.infomigrants.net/en/post/28504/libya-un-condemns-killing-of-asylum-seeker-in-tripoli

https://taz.de/Friedensgespraeche-fuer-Libyen/!5729244/

https://www.theguardian.com/global-development/2020/jan/21/teenage-boy-the-latest-to-die-in-libyan-refugee-detention-centre

https://www.msf.org/arbitrary-detention-libya-must-end-asylum-seeker-dies-detention-centre-fire

Was geht ab beim Staat?

“Entwicklungsgelder” aus der Schweiz schaffen mehr Abhängigkeiten in Afrika
Der Bundesrat hat im September zugestimmt, 297 Millionen Franken in Kapitalerhöhungen an die Weltbankgruppe (WBG) und die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) einzuzahlen. Hiermit solle sich deren Stellung am Weltmarkt stärken. Konkret kauft die Schweiz von 2021 bis 2024 jährlich Aktien im Wert von 50 Millionen Dollar bei der Weltbank und von 2021 bis 2028 jährlich Aktien im Wert von 12.5 Millionen Dollar bei der Afrikanischen Entwicklungsbank. Letztlich sind die Gelder also eine Investition. Die Kapitalerhöhung der „Entwicklunsbanken“, welche deren Stärkung am globalen Finanzmarkt fördern soll, bedeutet letztlich auch nur, dass sie einfacher weitere Kredite aufnehmen können, da sie als kreditwürdiger gelten. Auch die Einflussnahme auf politische und wirtschaftliche Entscheidungen kann durch die Geldvergabe weiterhin gewährleistet bzw. zusätzlich verstärkt werden. Die Organisation oder der Aufbau von Systemen wie dem Finanzmarkt oder dem Staat geschehen nach eurozentistischem (s. Glossar) Vorbild. Die ausbeuterische Abhängigkeitsbeziehung zwischen Afrika und Europa wird durch die getätigten Investitionen keinesfalls abgeschafft, sondern unter dem Deckmantel von vermeintlicher Unterstützung weitergeführt. Die nigerianische Forscherin Lynda Iroulo vom GIGA-Institut für Afrika-Studien benennt es folgendermassen: “Die Beziehungen zwischen Europa und Afrika waren niemals fair. Trotz Begriffen wie ‘internationaler Zusammenarbeit’ ist es ein ungleiches Verhältnis, bei dem Europa die Rolle des Mentors und Afrika die des Schülers einnimmt.“ So ist u.a. das Import-Export-Verhältnis extrem ungleich: Die europäischen Staaten importieren aus Afrika überwiegend Rohstoffe und exportieren hochwertige Güter wie Industrieprodukte. Auf Rohstoffe wird an der Börse spekuliert. Tatsache ist, dass einige Spekulant*innen reich werden, wenn steigende Getreidepreise für Millionen Familien Hunger und Armut bedeuten. Zusätzlich versorgt die EU jene afrikanischen Länder mit Geld und Ausrüstung, welche Europa in ihrer Migrationsabwehr unterstützen. Nur hoch qualifizierte Fachkräfte sollen es aus afrikanischen Ländern nach Europa schaffen können. Diese braucht es jedoch vor Ort. Die 297 Millionen Franken, die die Schweiz investieren möchte, werden also 1. nicht nur überhaupt nichts bringen, wenn unfaire Handelsbedingungen und desaströse Machtverhältnisse bestehen bleiben, sondern 2. diese Ungleichheit und Abhängigkeit sogar noch begünstigen.
https://www.parlament.ch/centers/documents/de/vorschau-wintersession-2020-nr.pdf#WS%20NR%202020.indd%3A.385688%3A14243
https://www.dw.com/de/eu-afrika-beziehungen-das-verlorene-jahr/a-55595282

Was ist aufgefallen?

Rassismus bei der Luzerner Polizei? Natürlich nicht!
Der Regierungsrat befindet, dass die Luzerner Polizei regelmässig zu dem Thema Racial Profiling und Ethnic Profiling geschult werde, darum brauche es keine externe Beschwerdestelle.
Die Aussage, dass Polizist*innen regelmässig geschult werden, und darum auch keine Beschwerdestelle nötig sei, tut einfach ein bisschen weh. Dabei ist nämlich klar, dass es keine unabhängige Stelle gibt, an die sich von Rassismus betroffene Menschen wenden können. Fühle sich jemand diskriminiert, könne man sich direkt an die Polizei oder das Justiz-und Sicherheitsdepartement wenden, meint der Regierungsrat. Wieviele Menschen sich bis anhin schon getraut haben, sich direkt bei der Polizei zu melden, wird nicht erfasst.
Statt eine unabhängige Stelle zu schaffen, wird nun eine weitere interne Stelle ausgeschrieben für einen sogenannten „Brückenbauer“, der ab dem 1.11. im Einsatz ist. Wer diese Person ist, wird frühestens Ende November bekannt gegeben. „Der Brückenbauer ist eine Verbindungsperson zwischen der Luzerner Polizei und ausländisch stämmigen, im Kanton Luzern ansässigen Personen“, so Erwin Gräni, Chef Prävention der Luzerner Polizei. Somit eine weitere Kontrollperson. Weit weg von Antirassimus innerhalb der Polizei. Weit weg von unabhängigen Beschwerdestellen. Tiefer hinein in eine rassistische Polizeipraxis, die, obwohl sie verleugnet wird, dennoch klar ersichtlich tagtäglich auf den Strassen, an den Grenzen, in den Lagern passiert.
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/rassismus-bei-der-luzerner-polizei-regierungsrat-wiegelt-ab-ld.1278884
https://www.luzernerzeitung.ch/zentralschweiz/luzern/neuer-brueckenbauer-mischt-sich-unter-die-auslaendische-wohnbevoelkerung-ld.1248570
https://www.lu.ch/kr/mitglieder_und_organe/mitglieder/mitglieder_detail/Geschaeft_Detail?ges=eca8f9d1442b4eaf814d38d27a6d17fe

Polizei zerstört informelles Camp in Paris

Bild: Camp unter der Autobahn beim Stade de France

In Paris spielt sich seit mehreren Jahren das gleiche Szenario ab: Seit der Räumung des “Dschungels von Calais” ist die Zahl der Asylsuchenden, die in und rund um Paris verharren, enorm gestiegen. Wie es auch in Calais noch immer der Fall ist, nehmen sich die französischen und lokalen Behörden dieser Sache nicht an und versorgen die Geflüchteten nicht einmal mit den elementarsten Grundrechten und – bedürfnissen. So leben in der Hauptstadt Frankreichs mehrere tausend Asylsuchende auf der Strasse, oft in informellen Camps, die sich immer weiter weg von der Stadt, den öffentlichen Duschen, Essensausgaben und Behörden befinden. Seit 2016 hat die Polizeipräfektur von Paris 65 Camps dieser Grösse zerstört. So war es auch am letzten Dienstag, als die Polizei 2’800 Personen von einem grossen Camp geräumt hat. Das Camp war seit August unter der Autobahn neben dem berühmten Stade de France (grösstes Fussballstadion Frankreichs) angesiedelt. Im Camp lebten laut der Vereine vor Ort mehrheitlich Asylsuchende aus Afghanistan, Somalia, Äthiopien und Sudan. Während die offiziellen Stellungsnahmen der Behörden angeben, dass die Räumung ein “Erfolg” war und dass 3’000 Personen “in Sicherheit” gebracht worden seien, beweisen Videos und Zeug*innenaussagen aber, dass zwischen 500 und 1000 Personen in keinem der 70 für dieses Vorgehen vorgesehenen Busse in Notunterkünfte gebracht worden sind. Im Gegenteil: sie wurden mit Tränengas aus dem Camp gejagt.

Diese politischen Manöver der französischen Behörden müssen im gegenwärtigen faschistoiden französischen Kontext analysiert werden. Bei den kommenden Präsidentschaftswahlen 2022 besteht eine echte Möglichkeit, dass die rechtsextreme Partei Rassemblement National (ehemalig Front National) gewinnen wird. Die jetzige Regierung versucht, durch eine harsche Migrationspolitik dieser von Marine Le Pen geführten Partei rechte Stimmen abzuringen.
https://www.infomigrants.net/en/post/28578/french-police-clear-makeshift-migrant-camp-in-paris
https://www.infomigrants.net/fr/post/28599/demantelement-du-camp-de-saint-denis-entre-500-et-1-000-migrants-violentes-et-laisses-a-la-rue
https://www.infomigrants.net/fr/post/28574/camp-de-saint-denis-des-associations-denoncent-des-violences-policieres-lors-du-demantelement

Grenzbeamt*innen aus Griechenland, Kroatien, Österreich und Italien an Push-backs beteiligt
Seit Jahren berichten Menschen auf der Flucht und Menschenrechtsbeobachter*innen vor Ort von der Gewalt, die sie auf der Flucht über die Balkanroute erfahren. Dazu gehören illegale Rückführungen von Kroatien nach Bosnien, oder über mehrere Etappen beispielsweise von Italien nach Slowenien, Kroatien und schliesslich nach Bosnien. Diese Rückführungen hindern Menschen auf der Flucht daran, ein Asylgesuch in der EU zu stellen. In den vergangenen Monaten sind immer wieder Vorwürfe gegen europäische Behörden laut geworden, daran beteiligt zu sein.
Griechische Grenzbeamt*innen weisen illegal Menschen ab: In der Ägais kommt es seit Monaten zu illegalen Pushbacks von Booten mit flüchtenden Menschen. Die Boote werden in türkische Gewässer zurückgedrängt, angegriffen und beschädigt. Vor drei Wochen wurde die Beteiligung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex an einem illegalen Pushback im März belegt. Die Vorwürfe wollten sie bereits im März (selbstverständlich nur nach eigenen Angaben) schnell aufklären. Was Frontex darunter verstand: Nach kürzester Zeit zu der Einschätzung kommen, dass es ein Einzelfall war, keinen Bericht darüber schreiben, den Vorfall weder intern noch extern kommunizieren. Das geht aus einem Frontex-internen E-Mail-Verlauf hervor, den die Grenzschutzagentur durch eine Informationsfreiheitsanfrage von FragDenStaat herausgeben musste. Dieser Emailverlauf bringt nun auch die griechischen Behörden in Erklärungsnot. Das Email-Dokument belegt, dass es eine offizielle Anweisung zu dem Pushback gab. Jegliches Abstreiten der Vorfälle durch die griechischen Behörden ist damit absolut unglaubwürdig geworden. Es geht hierbei nicht um das eigenmächtige Handeln einzelner Grenzbeamt*innen, sondern um offizielle Aufträge. Die ausbleibenden Konsequenzen für die ausführenden Beamt*innen bestätigen das umso mehr.
Kroatische Grenzbeamt*innen weisen illegal Menschen ab: Beginnen wir mit Kroatien. Erstmals belegt ein Video, wie kroatische Grenzbeamt*innen, uniformiert und vermummt, Menschen mit Gewalt über die kroatisch-bosnische Grenze drängen. Das Video wurde ausführlich analysiert und ist glaubwürdig. Die dargestellte Gewalt ist massiv. Und sie ist kein Einzelfall, wie die Berichte von Menschenrechtsbeobachter*innen seit Jahren zeigen. Das kroatische Innenministerium dementiert. Es beschuldigt gar die Migrant*innen, sich die dokumentierten Verletzungen gegenseitig zugefügt zu haben. Das kennen wir von Behörden als übliche Reaktion, wenn sie mit Vorwürfen konfrontiert werden. Die EU-Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, wird ebenfalls mit dem Bildmaterial konfrontiert. Sie sei “besorgt” und “beunruhigt”. Es sei nicht das erste Mal, dass sie solche Berichte höre. Man müsse aber natürlich auch die europäischen Grenzen und Werte schützen. Zudem habe “die EU-Kommission […] keine Möglichkeit, angemessen zu untersuchen, was in einem Mitgliedsstaat geschieht.” Deshalb habe sie einen Brief an die kroatischen Behörden geschrieben und bessere Monitoring-Mechanismen gefordert. Was soll das bringen? Es erscheint wenig verhältnismässig, wenn eine der wohl mächtigsten EU-Politiker*innen als Reaktion auf schwere Menschenrechtsverletzungen einen läppischen Brief schreibt.
Österreichische Grenzbeamt*innen weisen illegal Menschen ab
Bereits seit Monaten gibt es Berichte über illegale Kettenabschiebungen von Migrant*innen auf der Balkanroute, von Slowenien nach Kroatien und von dort weiter über die europäische Aussengrenze nach Bosnien-Herzegowina. Im September sollen nun auch die österreichischen Behörden in zwei Fällen an solchen illegalen Pushbacks beteiligt gewesen sein. Zwei Gruppen von Migrant*innen wurden von der österreichischen Polizei aufgegriffen und ohne die Möglichkeit, ein Asylgesuch zu stellen, an die slowenischen Behörden übergeben. Von diesen daraufhin an die kroatischen Behörden und von diesen wiederum wurden sie an der bosnischen Grenze ausgesetzt und über die EU-Grenze gezwungen. Das österreichische Innenministerium dementiert. Die Polizist*innen streiten ab, dass das Wort Asyl gefallen sei. Grundsätzlich dürfe die Polizei Menschen ohne Papier zurückweisen, solange sie keinen Asylantrag gestellt haben. Ein Wiener Anwalt hat in einem der Fälle eine Massnahmenbeschwerde gegen die Polizei eingebracht. Was bei Ermittlungen gegen die Polizei üblicherweise herauskommt, kennen wir ja gut.
Italienische Grenzbeamt*innen weisen illegal Menschen ab: Bereits im Sommer stand die italienische Regierung in der Kritik illegaler Pushbacks nach Slowenien. Im Juli teilte das italienische Innenministerium dem italienischen Parlament in einem Brief mit, dass die Rückführungen im Rahmen eines langjährigen Abkommens zwischen Italien und Slowenien erfolgen und sich im Rahmen des Gesetzes bewegen, da Slowenien ebenfalls ein EU-Mitgliedstaat sei. Die italienische Innenministerin Luciana Lamorgese machte später einen Rückzieher und sagte, dass nur irreguläre Migrant*innen zurückgeschickt würden – keine Asylbewerber*innen. In diesem Jahr wurden bereits 1.321 Menschen aus der italienischen Grenzregion nach Slowenien – und von dort aus möglicherweise über die EU-Grenze hinaus – zurückgezwungen. Dass sie in Europa kein Asylgesuch stellen wollten, ist mehr als fraglich.
Die Dichte der Fälle illegaler Push-backs und die Vielfalt an Beweisen lassen Rückschlüsse auf das tatsächliche Ausmass der Rückschiebungen innerhalb der EU zu. Es sind zahlreiche Länder darin verstrickt, es handelt sich nirgends um Einzelfälle, die Zustände bestehen ohne politische Intervention der Herrschenden seit längerem. Man kann somit durchaus annehmen, dass sie gewollt sind.

Bild: Migrationsroute nach Italien und Weg der Ketten-Pushbacks

https://www.thenewhumanitarian.org/news-feature/2020/11/17/europe-italy-bosnia-slovenia-migration-pushbacks-expulsion
https://www.spiegel.de/international/europe/croatia-video-documents-illegal-refugee-pushbacks-a-294b128d-4840-4d6b-9e96-3f879b0e69af
https://euobserver.com/migration/150099
https://fragdenstaat.de/blog/2020/11/18/frontex-pushbacks-denmark/
https://www.derstandard.at/story/2000121752241/berichte-ueber-illegale-pushbacks-von-migranten-an-oesterreichischer-grenze
https://www.vice.com/de/article/bvxnk5/osterreich-soll-gefluchtete-illegal-abgeschoben-haben
https://www.thenewhumanitarian.org/news-feature/2020/11/17/europe-italy-bosnia-slovenia-migration-pushbacks-expulsion

Fluchtrouten: 31 Menschen kentern vor Lampedusa, 8 Menschen in Lastwagen entdeckt
In ganz Europa sind Geflüchtete auf den verschiedenen Etappen der Fluchtrouten alltäglich erniedrigenden und gefährlichen Lebensbedingungen ausgesetzt. In der Nacht des 14. Novembers ist ein Boot mit 31 Menschen an Bord rund vier Seemeilen vor Lampedusa gekentert. Laut den italienischen Behörden hat die italienische Küstenwache alle Personen geborgen. Die Situation im Mittelmeer bleibt aber höchst alarmierend. In den letzten Wochen sind über hundert Personen ertrunken. Die Seenotrettungsorganisation Sea-Eye gab diese Woche an, ein weiteres hochseetüchtiges Boot neben der Alan-Kurdi einsetzen zu wollen.
In der italienischen Region Campania, nahe der Stadt Neapel, hat die Polizei letzte Woche acht flüchtende Personen, darunter drei Minderjährige, aus Afghanistan, Iran und Somalia im Kühlabteil eines Lastwagens entdeckt. Sie sind den Umständen entsprechend bei guter Gesundheit. Der Lastwagen war von Bulgarien über Griechenland nach Italien gelangt. In letzter Zeit sind mehrere solche Vorfälle in der Region bekannt geworden. So hatte sich ein vor Erschöpfung entkräfteter afghanischer Mann, der sich mehrere Stunden in grösster Kälte unter einem fahrenden Lastwagen versteckt hatte, dem Fahrer des Lastwagens bemerkbar gemacht. Der flüchtende Mann hatte sich während der Fahrt am Motor und an Kabeln festgehalten. Er wurde danach von den Carabinieri mitgenommen.
https://www.infomigrants.net/en/post/28556/italy-migrants-including-teens-found-in-refrigerated-truck

Was war eher gut?

Sea-Eye hat neues Rettungsschiff, neues Bündnis setzt sich für Seenotrettung ein, Berlin klagt gegen Seehofer für Aufnahme aus Griechenland
Die zivile Seenotrettungsflotte bekommt ein neues Schiff. Die Sea-Eye 4 soll möglichst schnell in den Einsatz gehen. Durch die Blockadepolitik der europäischen Behörden ist aktuell nur ein ziviles Schiff im Rettungseinsatz, die Open Arms. Dabei werden die Schiffe dringend gebraucht. 
Für ein Ende dieser Blockadepolitik setzt sich auch das neue Bündnis “Komitee zur Verteidigung des Rechts auf Seenotrettung” ein. Acht Nichtregierungsorganisationen, darunter Sea Watch, Proactiva Open Arms und Ärzte ohne Grenzen sowie auch Jurist*innen und Universitätsdozent*innen aus Italien beteiligen sich daran. Die beiden zentralen Ziele des Komitees sind die Wiederherstellung der Kommunikation mit den italienischen, aber auch mit den europäischen Behörden sowie die Unterstützung der zivilen Seenotrettung, um wieder ein öffentliches Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Rettung von Menschen in Seenot nicht nur eine Pflicht, sondern auch ein Recht ist.
Ebenfalls blockiert wird in Deutschland die Aufnahme von geflüchteten Menschen aus den griechischen Lagern und zwar von Innenminister Horst Seehofer. Gegen ihn klagt nun das Bundesland Berlin. Berlin hatte schon vor Monaten angeboten, 300 Menschen aufzunehmen. Das wäre im Rahmen eines Landesaufnahmeprogramms rechtlich möglich. Seehofer verweigerte dieses jedoch Berlin sowie zahlreichen weiteren aufnahmebereiten Städten und Ländern. Die Klage soll nun klären, unter welchen Voraussetzungen das Bundesinnenministerium seine Zustimmung für Aufnahmeprogramme der Länder überhaupt verweigern darf. Dass eine Klage gegen das Innenministerium zustande kommt, ist auch eine Folge der monatelangen politischen Arbeit verschiedener Gruppen, die sich für die Aufnahme geflüchteter Menschen einsetzen.
https://www.heise.de/tp/features/Sea-Eye-Wir-brauchen-einfach-viel-mehr-Rettungsschiffe-4960696.html?wt_mc=rss.red.tp.tp.atom.beitrag.beitrag
https://ffm-online.org/komitee-zur-verteidigung-des-rechts-auf-seenotrettung-gegruendet/
https://www.sueddeutsche.de/politik/migration-berlin-berlin-klagt-gegen-seehofer-im-streit-um-fluechtlingsaufnahme-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-201117-99-366791

Was nun?

Behörden sollen Ausschaffungen nach Äthiopien sofort stoppen
In Äthiopien ist seit dem 4. November 2020 ein bewaffneter Konflikt zwischen der Regierung von Abiy Ahmed und der Tigray Peoples Liberation Front (TPLF) ausgebrochen. Die Spannungen bestehen seit der Machtübernahme von Regierungspräsident Abiy im Jahr 2018. Seit dem Ausbruch des Konflikts sind über 100.000 Menschen auf der Flucht, über 20.000 Menschen sind bereits in den Sudan geflohen. Amnesty International spricht von Massakern, die in der äthiopischen Stadt Mai-Kadra an der Zivilbevölkerung verübt wurden. Zudem dehnt sich der Konflikt auf Eritrea aus. Die TPLF haben Raketen Richtung Flughafen von Asmara geschossen. So droht sich nun auch Eritrea in den Konflikt einzumischen. Die UNO warnt vor einer Ausweitung des Konflikts in weitere Länder und vor einer ethnischen Säuberung und vor Völkermord.
Gemäss der Statistik des Staatssekretariats für Migration (SEM) gab es 2020 vier und 2019 drei Zwangsausschaffungen nach Äthiopien. Zwangsausschaffungen sind immer ein Akt enormer psychischer und physischer Gewalt. Sie bringen Menschen unter Anwendung von Zwang und Gewalt in genau die Situation zurück, vor welcher sie geflohen sind. Wir stehen deshalb dafür ein, dass dies keinem Menschen angetan wird, egal welcher Herkunft diese Person ist. Und speziell sollen spätestens jetzt sämtliche Ausschaffungen nach Äthiopien gestoppt werden, weil sich die Sicherheitslage mit jedem weiteren Tag zusätzlich verschlechtert.
https://www.fluechtlingshilfe.ch/publikationen/news-und-stories/aethiopien-am-rande-eines-buergerkrieges
https://www.infomigrants.net/en/post/28612/unprecedented-pace-of-ethiopian-refugee-arrivals-in-sudan

Wo gabs Widerstand?

Tag der Sans-Papiers-Regularisierung in Basel
Am Samstag, den 14. November, ist in Basel jeweils Tag der Regularisierung. Den Tag haben sich die Sans-Papiers-Kollektive Basel vor einigen Jahren angeeignet. Dieses Jahr haben sie sich mit einem offenen Brief an die Einwohner*innen von Basel und der Schweiz gewendet und an verschiedenen Orten in der Innenstadt Ballone und Transparente aufgehängt. Es sei “wichtig, dass wir an diesem Tag und an allen anderen nicht alleine bleiben und wir alle gemeinsam das Ziel der Regularisierung aller Sans-Papiers erreichen,” schreiben die Kollektive in ihrer Mitteilung zum Tag. Hier einige Ausschnitte aus dem Brief: “Am 14. November 2018 haben die Anlaufstelle für Sans-Papiers und die Sans-Papiers-Kollektive Basel mit einer Demonstration 10 Härtefallgesuche beim Migrationsamt Basel-Stadt eingereicht. (…) Nachdem ein Jahr später noch keine Antworten auf die Gesuche da waren, haben die Sans-Papiers-Kollektive entschieden, am 14. November 2019 mit einer Demonstration mit der Parole “Warten ist schmerzhaft” auf diese Tatsache aufmerksam zu machen. Das Migrationsamt hat darauf reagiert und direkt sechs, und kurz danach ein weiteres Gesuch gutgeheissen. Ein toller Erfolg! Nun, zum 14. November 2020, stehen noch drei Antworten aus (eine beim Kanton und zwei beim Staatssekretariat für Migration). Die Regularisierung bleibt aber ein drängendes Thema – für alle Sans-Papiers und gerade während Corona!”
https://sans-papiers-basel.ch/14-november-tag-der-regularisierung/

Debatte um koloniale Beutekunst in Frankreich geht weiter
Mwazulu Diyabanza, ein panafrikanischer Aktivist aus Kongo, hat diesen Sommer an zwei Anlässen die französische Kulturpolitik zum Zittern gebracht: aus dem Musée Quai Branly in Paris entnahm er zusammen mit anderen Aktivist*innen einen tschadischen Begräbnispfosten und aus dem Musée des arts africains, océaniens et amérindiens in Marseille einen Degen aus Elfenbein. Beide Male wurde er vom Museumspersonal aufgehalten. Es ging dem Aktivist nicht darum, die Objekte zu stehlen, aber auf die Problematik der kolonialen kulturellen Enteignung aufmerksam zu machen. Mwazulu Diyabanza erklärte: “Einen Dieb muss ich nicht um Erlaubnis bitten, einen gestohlenen Gegenstand zurückzuholen”. Im September fand das Gerichtsverfahren gegen den Aktivisten statt: er wurde wegen versuchten gemeinschaftlichen Diebstahls eines Kulturgutes zu einer Geldstrafe von 2000 Euros verurteilt.
In Frankreich ist die Debatte rund um die Restitution der Beutekunst aus kolonialen Kontexten seit mehreren Jahren ein brennendes Politikum: Emmanuel Macron hatte im April 2018 versprochen, innerhalb seiner Amtszeit geraubte Kunstobjekte zurückzugeben. Zwei Jahre später ist aber von den 27 angekündigten Rückgaben nur ein Gegenstand wirklich restituiert worden.
Ein längerer Artikel zum Thema hat Eric Otieno, Politikwissenschaftler und Soziologe, für analyse & kritik geschrieben: https://www.akweb.de/gesellschaft/pariser-beutekunstdieb-angriff-auf-eurozentrische-realitaet/ In seiner Konklusion schreibt er: “Zu sehen, wie ein Gegenstand aus einem europäischen Museum von einem Afrikaner hinausgetragen wird, irritiert Wahrnehmungsgewohnheiten und löst eine unbegründete, aber existenzielle Angst aus: Allein die Vorstellung eines leeren Museums scheint ausreichend, um das kulturelle Selbstverständnis Europas fundamental infrage zu stellen. Diyabanza und Kollegen verkörpern Restitutionsforderungen in einer Weise, wie wir sie noch nie gesehen haben, und bringen damit den Diskurs um koloniale Beutekunst weiter, als es Feuilletons und Fachkonferenzen tun können.
https://www.akweb.de/gesellschaft/pariser-beutekunstdieb-angriff-auf-eurozentrische-realitaet/

Glossar

Neokolonialismus
1963 benannte der erste Ministerpräsident Ghanas, Kwame Nkrumah, Neokolonialismus, indem er »vor den sehr realen Gefahren einer Rückkehr des Kolonialismus in versteckter Form« warnte.
„Unter dem Terminus ›Neokolonialismus‹ sind zwei Ebenen zu unterscheiden: ein Zustand, der von massiver Benachteiligung einheimischer Bevölkerungen zugunsten ausländischer Investoren gekennzeichnet ist, und eine Politik, die auf die Aufrechterhaltung von Abhängigkeitsverhältnissen abzielt. Im ersten Fall geht es um die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen, im zweiten darüber hinaus um die Kontrolle über die politischen Entwicklungen und die Machtpositionen im internationalen Kontext.“
(aus D. Göttsche et al. (Hrsg.), Handbuch Postkolonialismus und Literatur)

Eurozentrismus
Der Begriff des Eurozentrismus stützt sich auf eine Weltsicht, die weitestgehend durch europäische Werte und Traditionen geprägt ist und wurde. Er steht für eine Einstellung, die Europa unhinterfragt in den Mittelpunkt des Denkens und Handelns stellt. Ausgehend von der Annahme, dass die kulturellen und politischen Systeme Europas das ideale Modell darstellen, wird Europa als Maßstab gesellschaftlicher Analysen und politischer Praxis betrachtet. Die europäische Geschichte und Gesellschaftsentwicklung wird als Norm verstanden, die erfüllt oder von der abgewichen wird. Die westlichen Kulturen dienen als Bewertungsmaßstab und haben im Laufe der Kolonialisierung ihre Wertvorstellungen global durchgesetzt und expandiert.
Im eurozentristischen Denken, bleiben die Denkweisen und Philosophien der nicht europäischen Kulturen häufig unbeachtet und werden abgewertet oder negiert.
https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/eurozentrismus/2242 http://wikifarm.phil.hhu.de/transkulturalitaet/index.php/Eurozentrismus

Was steht an?

Basel Nazifrei: Demo!
28.11.20 I 16.00 Uhr I Theaterplatz Basel
Genau zwei Jahre ist es her, dass die Neonazis von der PNOS aus Basel verjagt wurden – durch eine riesige Gegendemonstration mit rund 2‘000 Menschen. Im Nachgang der Basel Nazifrei Demo rollte eine riesige Repressionswelle an: über 60 Strafverfahren wurden eröffnet und etliche Hausdurchsuchungen durchgeführt. Seit Juli 2020 laufen die Prozesse und Demonstrierende wurden – teilweise aufgrund der schlichten Anwesenheit an der Demo – zu mehrmonatige Gefängnisstrafen verurteilt.Wir sehen die laufenden Prozesse als massiven politischen Angriff, als autoritären Einschüchterungsversuch. Dagegen wollen wir uns jetzt wehren – und zwar alle gemeinsam! Es gilt zu verhindern, dass sich neue Repressions-Standards durchsetzen und damit Protest auf der Strasse erschwert wird. Lassen wir die Kriminalisierung von sozialen Bewegungen nicht zu!
https://barrikade.info/article/3918

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Augenauf Bulletin Nr. 106
Das sind die Themen:
– Das Basler Straf-gericht spricht Recht(s)
– Solidarität per Velo!
– Weniger Kontrollen – weniger Treffer, keine Quittung
– Lingua-Tests in der Kritik
– Verklausulierte Pro-tokolle der Gewalt
– Mit dem Wasser-werfer auf Menschenjagd
– Corona-Hotspot im Zürcher Asylbunker
– Der alltägliche Horror im Bundes-asylzentrum
https://www.augenauf.ch/images/BulletinProv/Bulletin_106_Nov2020.pdf

EU-Grenzpolizei Frontex: Keine Untersuchung zu Verstößen gegen Menschenrechte
Im März war die EU-Grenzpolizei Frontex in einen versuchten Verstoß gegen Menschenrechte verwickelt. Wie von uns veröffentlichte Akten zeigen, untersuchte Frontex den Vorfall aber nicht, sondern kehrte ihn unter den Teppich.
https://fragdenstaat.de/blog/2020/11/18/frontex-pushbacks-denmark/