Medienspiegel 17. November 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
„Wir alle sind Bern!“ – RaBe-Info 17.11.2020
Ein Viertel aller Berner*innen können bei den Gemeinde- und Regierungsratswahlen Ende November nicht wählen gehen, weil  sie keinen Schweizer Pass haben. In der heutigen Sendung besuchen wir das Wahlbüro im PROGR, das allen Menschen eine Stimme gibt. Zudem werfen wir einen Blick auf die Corona-Schutzmassnahmen in Rückkehrzentren für Asylsuchende – diese werden nämlich von Betroffenen und Asylorganisationen scharf kritisiert.
https://rabe.ch/2020/11/17/wir-sind-alle-bern/


+++AARGAU
Bis zu 230 männliche Asylsuchende werden im neuen Bundesasyl-Zentrum untergebracht
Um einen reibungslosen Betrieb zu gewährleisten und die Sorgen der Bevölkerung aufzufangen, wird eine Begleitgruppe für das Brugger Bundesasylzentrum in den militärischen Hallen eingesetzt. Und so setzt sich diese zusammen.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/brugg/bis-zu-230-maennliche-asylsuchende-werden-im-neuen-bundesasyl-zentrum-untergebracht-139892625


+++GENF
Incendie du foyer des Tattes, il y a six ans déjà…
Il y a six ans déjà, dans la nuit du 16 au 17 novembre 2014, un incendie se déclarait au foyer des Tattes, le plus grand lieu d’hébergement pour requérant.e.s d’asile de Suisse. Dans cet incendie, Fikre Seghid, un Érythréen de 29 ans, trouvait la mort par intoxication et des dizaines d’habitant.e.s étaient gravement blessé.e.s.
https://renverse.co/infos-locales/article/incendie-du-foyer-des-tattes-il-y-a-six-ans-deja-2822


+++ST. GALLEN
tagblatt.ch 17.11.2020

Ohne Angst zur Polizei: Während St.Gallen einen Ausweis für Sans-Papiers prüft, spurt die Stadt Zürich vor

Der Stadtrat muss ein Postulat beantworten, wie Personen ohne Aufenthaltsbewilligung Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen ermöglicht werden kann. Dabei kann er auf Vorarbeiten der Stadt Zürich aufbauen. Trotzdem gibt es Knacknüsse.

Johannes Wey-Eberle

Sie arbeiten in Restaurants, auf dem Bau oder in Privathaushalten und bleiben doch unsichtbar: Sans-Papiers, Menschen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten, sind eine schwer greifbare Realität, auch in St. Gallen.

250 bis 500 von ihnen leben hier, vermutet der Stadtrat. Dass die Verwaltung die Zahl nur sehr vage schätzen kann, liegt auf der Hand. Die meisten von ihnen gehen einer Arbeit nach. Schwarz, auch das liegt in der Natur der Sache. Sie können kein Konto eröffnen, keine Wohnung mieten und keinen Fahrausweis beantragen. Sie zahlen keine Steuern und keine Prämien und sind in Notlagen auf sich allein gestellt.

Bloss nicht zur Polizei

Die grösste Gruppe stammt aus Zentral- und Südamerika, gefolgt von Osteuropäerinnen und -europäern. Auch Asylsuchende mit Nichteintretensentscheid werden zu den Sans-Papiers gezählt.

Das Schicksal von Sans-Papiers hängt davon ab, bloss nicht in Kontakt mit den Behörden zu kommen. Werden sie Opfer einer Gewalttat, droht ihnen bei einer Strafanzeige selber die Abschiebung. Und bei gesundheitlichen Beschwerden gehen sie nicht ins Spital, aus Sorge um die Kosten.

Zürich macht es wie New York

Um solch prekäre Lagen zu mildern, führt die Stadt Zürich nun nach New Yorker Vorbild eine City Card ein: ein städtischer Identitätsnachweis, der unbesehen des Aufenthaltsstatus ausgestellt wird.

Der Stadtrat teilte das vergangene Woche mit und stellte einen Bericht zu Möglichkeiten und Grenzen einer solchen City Card vor – und zu den Fallstricken, die mit der Lancierung verbunden sind. Die Grundidee dahinter: Fragen städtische Stellen nicht nach dem Aufenthaltsstatus, sind sie auch nicht verpflichtet, illegale Aufenthalter anzuzeigen.

St. Gallen kann auf Vorarbeit aufbauen

Der Bericht wurde auch in St. Gallen mit Spannung erwartet. Auch hier trägt sich der Stadtrat mit der Frage, was es für die Einführung einer städtischen Identitätskarte bräuchte. Ein entsprechendes Postulat hat das Stadtparlament im September für erheblich erklärt.

Die Postulanten Jenny Heeb (SP) und Christian Huber (Junge Grüne) haben den Bericht der Stadt Zürich mit Interesse gelesen. «Es ist eine sehr komplexe Materie, die beleuchtet wird. Die Stadt St. Gallen kann darauf aufbauen», sagt Huber.

Allerdings macht der Zürcher Bericht auch ernüchternde Aussagen. Die Stadt könne die Akzeptanz des Ausweises nur bei städtischen Dienststellen und Unternehmen vorschreiben. Privatunternehmen müssten freiwillig mitmachen und sie akzeptieren. Auch von der Kantonspolizei könnte die Stadt nicht verlangen, eine City Card als Ausweisdokument zu akzeptieren.

Oft braucht es die Karte nicht – oder sie nützt nichts

Weiter sind Erleichterungen für Sans-Papiers in einigen Bereichen selbst mit einer City Card nicht möglich, in anderen hingegen auch ohne: So führt der Zürcher Bericht aus, dass das Mieten einer Wohnung, eine Heirat, der Bezug von Sozialhilfe oder der Antritt einer Lehrstelle Sans-Papiers auch künftig versperrt bleiben.

Der Zugang zu Prämienverbilligungen, subventionierten Krippenplätzen, städtischen Stipendien oder Notunterkünften wäre hingegen auch ohne City Card möglich. Weil das Überprüfen von Name und Wohnort – zumindest in Zürich – nicht durch übergeordnetes Recht verlangt wird, besteht Spielraum.
So oder so soll die Stadt ihren Spielraum nutzen

Und diesen Spielraum soll auch St. Gallen, wo möglich, so bald als möglich nutzen, findet Jenny Heeb: «Gerade die Coronakrise hat den Bedarf offengelegt.»

Und die Einführung einer City Card wäre ein langwieriges Unterfangen. In Zürich rechnet man mit vier bis fünf Jahren.

Sie hoffe zudem, dass sich durch das Engagement, das andere Schweizer Städte betreiben, auch auf Bundes- und Kantonsebene bald etwas tue. Für Christian Huber ist es unumgänglich, den Status von Sans-Papiers, wenn auch nicht zu legalisieren, wenigstens zu regulieren: «Sie gehören einfach zur Realität und dem muss man Rechnung tragen. Ihre Zahl wird sicher nicht abnehmen.»

City Card funktioniert nur, wenn nicht nur Sans-Papiers mitmachen

Das Konzept einer City Card birgt noch einen weiteren Stolperstein: Ein Ausweis, den nur Illegale verwenden, kann zu einem Anfangsverdacht beitragen, dem die Polizei zwingend nachgehen müsste.

Dem wollen die Postulanten entgegenwirken, indem sich der Ausweis an die ganze Bevölkerung richten soll. Dabei helfen sollen Vergünstigungen, etwa für öffentliche Bäder und andere Einrichtungen.

Vergünstigungen für zentralörtliche Leistungen

«Viele Gemeinden haben heute schon solche Vergünstigungen für ihre Bevölkerung, einfach ohne einen Ausweis», sagt Heeb. Und Huber pflichtet dem bei: Die City Card könnte auch ein Weg sein, die St. Galler Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bei den Kosten für zentralörtliche Angebote etwas zu entlasten:  «Wer in der Stadt wohnt, darf ja auch Vorteile daraus haben.»

St. Gallen hat andere Voraussetzungen als Zürich

Auch für Stadträtin Sonja Lüthi sind der Bericht und insbesondere zwei Rechtsgutachten der Stadt Zürich eine wertvolle Vorarbeit. «Auf diesen Resultaten können wir aufbauen. Aber der Teufel steckt im Detail.»

Beispielsweise sei die Kriminalpolizei in Zürich bei der Stadt, in St. Gallen beim Kanton angesiedelt. Für sie sei klar, dass in grösseren Städten die Zahl der Sans-Papiers und damit der Bedarf nach einem Angebot wie beispielsweise der City Card wesentlich grösser sei als in St. Gallen. Bislang habe man den Bedarf auf einem sehr tiefen Niveau eingeschätzt, auch wenn verlässliche Zahlen fehlten. «Mit Corona hat sich die Situation für die Bevölkerungsgruppe der Sans-Papiers aber sehr ungünstig entwickelt.»

In diesem Zusammenhang seien die Erfahrungen der IG Sans-Papiers äusserst wertvoll.



IG Sans-Papiers begrüsst St. Galler City Card

Seit zwei Jahren setzt sich die IG Sans-Papiers St.Gallen für Personen ohne Aufenthaltserlaubnis im Kanton St.Gallen ein. Gianluca Cavelti von der IG begrüsst die Bestrebungen für eine St.Galler City Card. «Wir erhoffen uns einen diskriminierungsfreien Zugang zu städtischen Dienstleistungen und zu Bibliotheken, Prämienverbilligungen oder zur Grundversicherung.» Bei einer Einführung wäre wichtig, dass sich möglichst viele Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner solidarisch zeigen und den neuen Ausweis nutzen würden.

Den Start ihrer Beratungsstelle hatte sich die IG anders vorgestellt. Just im März eröffnet, standen im Lockdown Nothilfe und nicht Beratung im Vordergrund. «Die meisten Sans-Papiers arbeiten im Stundenlohn und waren sehr schnell betroffen vom Lockdown», sagt Cavelti. Die IG Sans-Papiers habe Mieten übernommen oder Lebensmittelpakete bereitgestellt. Über 100 Personen hätten sich im Lockdown gemeldet, die meisten davon Frauen. (jw)
(https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgallen/ohne-angst-zur-polizei-waehrend-stgallen-einen-ausweis-fuer-sans-papiers-prueft-spurt-die-stadt-zuerich-vor-ld.1280162)
-> Postulat: https://www.stadt.sg.ch/home/verwaltung-politik/demokratie-politik/stadtparlament/geschaefte.geschaeftDetail.html?geschaeftGUID=88d9cdbae1ea4af49ffbac50d59367a5


+++ZÜRICH
Ein Jahr BAZ Duttweilerareal
Seit einem Jahr ist das Bundesasylzentrum auf dem Zürcher Duttweilerareal in Betrieb. Zeit, wieder einmal hinzusehen.
https://daslamm.ch/ein-jahr-baz-duttweilerareal/


+++SCHWEIZ
Entscheid des Europäischen Gerichtshofs: Homosexueller weggewiesen – Schweiz verstösst gegen Folterverbot
Die Schweiz wird nach der Rückweisung eines homosexuellen Gambiers gerügt. Sie habe nicht genügend abgeklärt, was dem Mann in seinem Heimatland drohe.
https://www.derbund.ch/homosexueller-weggewiesen-schweiz-verstoesst-gegen-folterverbot-932448154023
-> Urteil EGMR: https://hudoc.echr.coe.int/app/conversion/pdf?library=ECHR&id=003-6855350-9186720&filename=Judgment%20B%20and%20C%20v.%20Switzerland%20-%20failure%20to%20assess%20risks%20for%20gay%20man%u2019s%20return%20to%20the%20Gambia%20.pdf


+++DEUTSCHLAND
Staatsanwaltschaft akzeptiert Scheitern ihrer Klage gegen Bamf-Stelle
In der Bremer Außenstelle des Bamf sollen massenhaft Asylanträge unberechtigt bewilligt worden sein. Diese Vorwürfe lassen sich aber nicht mehr halten.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-11/bremen-staatsanwaltschaft-bamf-anklage-scheitern-akzeptanz-asylbescheide-missstaende


Das Ende des angeblichen »BAMF-Skandals«
Über den Verdacht auf systematischen Betrug bei Asylbescheiden in Bremen berichtete der Rechercheverbund der SZ, NDR und Radio Bremen im April 2018. Der angebliche »Bremer BAMF-Skandal« bracht sich daraufhin Bahn und beherrschte monatelang die Schlagzeilen. Nach mehr als zwei Jahren zeigt sich: Die Vorwürfe waren haltlos.
https://www.proasyl.de/news/das-ende-des-angeblichen-bamf-skandals/


+++FRANKREICH
Flüchtlinge in Frankreich: Polizei räumt Elendscamp in Banlieue
In Paris sind Tausende obdachlos, die meisten von ihnen sind Migranten. Einigen Afghanen ermöglicht Frankreich nun eine Pause vom Leben auf der Strasse. Gelöst ist das Problem aber nicht.
https://www.derbund.ch/polizei-raeumt-elendscamp-in-banlieue-848674701810


+++GROSSBRITANNIEN
UK asylum translators are so anti-LGBT+ that even Home Office staff are worried
Official report reveals that interpreters let their anti-LGBT+ views affect their work, harming asylum fairness.
https://www.gaystarnews.com/article/uk-asylum-translators-are-so-anti-lgbt-that-even-home-office-staff-are-worried/


+++ATLANTIK
Dramatische Situation auf den Kanaren – Rendez-vous
Nicht Touristen kommen in diesen Tagen auf den Kanarischen Inseln an, sondern Tausende von Bootsflüchtlingen – in überfüllten, see-untauglichen Booten. Die Behörden sind überfordert, die Einheimischen fühlen sich im Stich gelassen. Die Journalistin Christina Teuthorn-Mohr schildert die momentane Lage.
https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/dramatische-situation-auf-den-kanaren?id=f016bfbc-7806-4b4c-8a3f-eda3bb15913c


+++FREIRÄUME
derbund.ch 17.11.2020

Nach Angriffen in der Berner Lorraine: Take-away zieht ins Hassobjekt der Gentrifizierungsgegner

Der  vorherigen Mieterin wurden die Vandalenakte zu viel. Nun übernimmt ein  indisches Restaurant das Lokal an der Lorrainestrasse 25.

Sven Niederhäuser

Eingeschlagene  Scheiben und verschmierte Glasfassaden durch ein Teergemisch: Damit  erreichen die, die militante Gentrifizierungskritik üben, einen  Mieterwechsel in der Berner Lorraine. Der früheren Mieterin und  Geschäftsführerin von Bestswiss Anita Di Domenico wurde der Vandalismus  zu viel, wie «Der Bund» berichtete. Nun übernimmt ein indisches Restaurant die Räumlichkeiten an der  Lorrainestrasse 25. Ist das neue Take-away sicher vor solchen Attacken?

Die  Liegenschaftsverwaltung Von Graffenried sowie der Eigentümer Stefan  Berger hoffen jedenfalls dank dem Geschäftswechsel auf eine Beruhigung  der Situation. Berger bedauert, dass die Personen hinter Bestswiss  dermassen leiden mussten. «Hinter jeder Attacke sind immer auch  persönliche Schicksale.» Zum Mietpreis halten sich beide bedeckt. Von  Graffenried richtet nur aus, dass es keine Anpassung gegeben habe.

«Das Restaurant hat bessere Chancen»

SP-Stadtrat  und Quartierbewohner Johannes Wartenweiler glaubt ohnehin, dass die  Phase mit den Attacken vorbei ist. «Ich habe schon länger nichts mehr  gehört oder gesehen.» Der Vandalismus sei ja auch nicht gegen das  Geschäft per se gewesen, sondern gegen das Haus als Ganzes. Und  trotzdem: «Das indische Restaurant hat in der Lorraine bessere Chancen,  nicht angegriffen zu werden.»

Den  freien Platz mietet Indiankitchen. Nach dem Restaurant in Köniz eröffnet  das Familienunternehmen eine zweite Filiale in der Lorraine. Derzeit  findet allerdings ein Umbau statt. Es ist noch unklar, wann das  Restaurant seinen Betrieb aufnimmt. Die Geschäftsführerin ist  hochschwanger, sagt ihr Mann. Deswegen stand sie für eine kurzfristige  Auskunft nicht zur Verfügung.

Der  Neubau in der Lorraine gilt bei militanten Gentrifizierungsgegnern als  Hassobjekt. Mehrmals wurde es bereits als Symbol für steigende Mieten  und Verdrängung der alteingesessenen Quartierbevölkerung attackiert.  Neben der Gewerbefläche werden auf dem ehemaligen Serini-Areal ein  Dutzend Wohnungen im Hochpreissegment vermietet.
(https://www.derbund.ch/take-away-zieht-ins-hassobjekt-der-gentrifizierungsgegner-445958793449)


+++SEXWORK
Corona erschwert Sexarbeit
Die Corona-Pandemie sorgt bei vielen Menschen und Branchen für Existenzängste. Stark betroffen ist auch das Sexgewerbe. Viele Frauen versuchen der Armut zu entfliehen und suchen einen Job als Putzfrau.
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/corona-erschwert-sexarbeit-00145201/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Nazifrei-Demo: Mitgegangen, mitgehangen?
Knapp zwei Jahre nach der Basel «Nazifrei-Demo» stand am Dienstag ein weitere Teilnehmer vor Gericht. Die Strafverfolgung ist weiterhin umstritten.
https://telebasel.ch/2020/11/17/nazifrei-demo-mitgegangen-mitgehangen
-> https://www.bzbasel.ch/basel/basel-stadt/mit-megaphon-an-vorderster-front-der-basel-nazifrei-demo-28-jaehriger-wird-verurteilt-139901000


+++REPRESSION DE
»Ein Bedrohungsszenario wird aufgebaut«
Rote-Hilfe-Bundesvorstandsmitglied Anja Sommerfeld zum 129er-Verfahren gegen die Antifaschistin Lina E.
»Hier wird mal wieder ein Bedrohungsszenario von links aufgebaut, indem schwere Tatvorwürfe erhoben werden«. Rote-Hilfe-Bundesvorstandsmitglied Anja Sommerfeld zum 129er-Verfahren gegen die Antifaschistin Lina E.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1144570.antifaschismus-ein-bedrohungsszenario-wird-aufgebaut.html


++++KNAST
Obergericht entscheidet: Psychisch Kranker erhält 35’000 Franken Genugtuung
Das Zürcher Obergericht hat einem psychisch schwer kranken Mann 35’000 Franken Genugtuung für 487 Tage in Gefängnissen und psychiatrischen Kliniken zugesprochen. Weil das Opfer seinen Strafantrag gegen den Mann nach anderthalb Jahren zurückgezogen hatte, löste sich der Grund für dessen Inhaftierung in Luft auf.
https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/zuerich/obergericht-entscheidet-psychisch-kranker-erhaelt-35000-franken-genugtuung-139902350


+++ANTITERRORSTAAT
Sollen Geheimdienste bei WhatsApp mitlesen dürfen? – Echo der Zeit
Nach dem Terroranschlag in Wien wurde einmal mehr offenbar: Der Täter nutzte zur Kommunikation mit seinen extremistischen Kollegen Nachrichten-Apps mit Verschlüsselungstechnologie. Behörden fordern deshalb immer wieder, die Verschlüsselung von Anbietern wie WhatsApp oder Threema zu schwächen. Der tatsächlich mögliche Nutzen für die Terrorermittlung ist jedoch fragwürdig.
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/sollen-geheimdienste-bei-whatsapp-mitlesen-duerfen?id=4dda928c-5b33-44e4-9e77-84e80d38da45


+++BIG BROTHER
Schweiz soll bei Vernetzung von Schengen-Datenbank mitmachen
Die Behörden sollen künftig mit einem Mausklick alle Schengen- und Dublin-Datenbanken gleichzeitig abfragen können – auch in der Schweiz. Die vorberatende Kommission des Nationalrats trat einstimmig auf die Vorlage des Bundesrats ein.
https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2020/20201117184932827194158159041_bsd183.aspx
-> https://www.parlament.ch/de/services/news/Seiten/2020/20201117175644037194158159041_bsd172.aspx
-> https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-sik-n-2020-11-17.aspx


+++POLIZEI AG
68-Jähriger bei Polizeieinsatz erschossen – Anwohnerin: «Er sagte zum Polizisten, er werde ihn umbringen»
Mit fünf Schüssen tötete ein Polizist in einer Wohnsiedlung am Montagabend in Suhr einen 68-jährigen Mann. Die Anwohner sind erschüttert.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/aarau/68-jaehriger-bei-polizeieinsatz-erschossen-anwohnerin-er-sagte-zum-polizisten-er-werde-ihn-umbringen-139900639
-> https://www.tagesanzeiger.ch/polizei-erschiesst-mit-messer-bewaffneten-mann-780444211696
-> https://www.20min.ch/story/polizei-muss-schuesse-abgeben-mit-messer-bewaffneter-mann-stirbt-481930738192
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/suhr-ag-polizist-erschiesst-bewaffneten-mann?urn=urn:srf:video:972af9a3-6e10-423a-bf42-eceb9018b3ab
-> https://www.telezueri.ch/zuerinews/mit-messer-auf-polizisten-gestuermt-68-jaehriger-stirbt-nach-fuenf-schuessen-139904486
-> https://www.telebaern.tv/telebaern-news/mit-messer-bewaffneter-mann-verstirbt-nach-polizeieinsatz-in-suhr-ag-139903389
-> https://www.telem1.ch/aktuell/suhr-polizist-erschiesst-mit-messer-bewaffneten-senior-139904667
-> https://www.telem1.ch/aktuell/toedlicher-polizeieinsatz-suhr-war-beamten-schussabgabe-verhaeltnismaessig-139904640
https://www.telem1.ch/aktuell/svp-grossrat-roland-vogt-im-interview-zu-toedlicher-schussabgabe-in-suhr-139904692
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/polizei-erschiesst-in-suhr-einen-68-jaehrigen-mann?id=11877174
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/warum-schoss-ein-polizist-fuenf-mal?id=11877423
-> https://www.20min.ch/story/sondereinheit-nimmt-partnerin-von-erschossenem-c-t-68-fest-704103459917
-> https://www.derbund.ch/polizei-erschiesst-mit-messer-bewaffneten-mann-780444211696
-> https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/aarau/erneuter-polizeieinsatz-nach-amokdrohungen-sondereinheit-argus-ausgerueckt-139905322
-> https://www.aargauerzeitung.ch/blaulicht/mit-messer-gedroht-68-jaehriger-bei-polizeieinsatz-erschossen-verfahren-gegen-polizisten-eroeffnet-139894337
-> https://www.aargauerzeitung.ch/blaulicht/svp-grossrat-und-polizist-roland-vogt-jeder-polizist-hofft-dass-er-nie-auf-jemanden-schiessen-muss-139901711
-> https://www.20min.ch/story/sondereinheit-nimmt-partnerin-von-erschossenem-c-t-68-fest-704103459917
-> https://www.20min.ch/story/die-polizei-kam-regelmaessig-vorbei-wir-hatten-angst-419016799136
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/erschossener-von-suhr-ag-war-schwangeren-attackierer-65821109
-> https://www.blick.ch/schweiz/mittelland/er-war-mit-einem-messer-bewaffnet-polizisten-erschiessen-mann-in-suhr-ag-id16198687.html


+++POLIZEI SG
St. Galler SVP will Polizeikosten bei unbewilligten Demonstrationen auf die Verursacher abwälzen – die Regierung hat Einwände
Im Coronajahr 2020 wird in der Schweiz mehr demonstriert denn je – und die Kosten für die Polizeieinsätze geben zu reden. Die St. Galler SVP fordert, dass auch Veranstalter illegaler Proteste zur Kasse gebeten werden. Die Regierung hält das für kaum möglich.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/stgaller-svp-will-polizeikosten-bei-unbewilligten-demonstrationen-auf-die-verursacher-abwaelzen-die-regierung-hat-einwaende-ld.1280521


+++POLIZEI FR
Polizei in Frankreich: Keine Fotos, keine Beweise?
Er sorgt bereits im Vorfeld für Kontroversen: Der Gesetzentwurf zur allgemeinen Sicherheit, mit dem sich die französische Nationalversammlung ab dem 17. November beschäftigen wird. Besonders umstritten ist Artikel 24: Das Verbreiten von Bildmaterial von Polizeibeamten soll verboten werden, wenn es ihre physische und psychische Integrität verletzen könnte. Eine Behinderung der Pressefreiheit? Einschätzungen von Rechtsanwalt Raphaël Kempf.
https://www.arte.tv/de/videos/094279-008-A/polizei-in-frankreich-keine-fotos-keine-beweise/


+++RECHTSEXTREMISMUs
«Junge Tat»: Rechtsextreme trainieren und posieren vermummt in Luzern
In einem Video sind Vermummte im Raum Luzern zu sehen, die gemeinsam trainieren und mit Pyros posieren. Ein Experte ordnet sie rechtsextremen Kreisen zu.
https://www.20min.ch/story/rechtsextreme-trainieren-und-posieren-vermummt-in-luzern-592796758826


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
«Wie kann so ein Arzt noch arbeiten?»: St.Galler Amtsarzt und Coronaskeptiker Rainer Schregel verbreitet auf Facebook weiterhin fragwürdige Inhalte
Gegen den Amtsarzt Rainer Schregel läuft beim Kanton St.Gallen ein Verfahren, weil er die Pandemie in den sozialen Medien verharmlost und eine Journalistin beleidigt hat. Jetzt macht er sich über den Tod eines 101-jährigen Coronapatienten lustig – und erntet heftige Kritik.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/wie-kann-so-ein-arzt-noch-arbeiten-stgaller-amtsarzt-und-coronaskeptiker-rainer-schregel-verbreitet-auf-facebook-weiterhin-fragwuerdige-inhalte-ld.1297646
-> https://www.tagblatt.ch/meinung/kommentare/rainer-schregels-absetzung-war-und-ist-richtig-ld.1319407
-> https://twitter.com/Blocher_Perlen/status/1328276602749399040


Extremismusexpertin: Verschwörungstheorien seit Corona “wirklich virulent”
Man braucht Strategien gegen die exponentielle Steigerung von Verschwörungserzählungen, sagt Verena Fabris, Leiterin der Beratungsstelle Extremismus
https://www.derstandard.at/story/2000121405130/extremismusexpertin-verschwoerungstheorien-seit-corona-wirklich-virulent?ref=rss


Villa von Attila Hildmann durchsucht
Die Polizei beschlagnahmt mehrere Laptops, Handys und Speichermedien. Die Durchsuchung ist laut eines Polizeisprechers zur Gefahrenabwehr erfolgt – nicht auf Initiative der Staatsanwaltschaft.
https://www.sueddeutsche.de/politik/hildmann-coronavirus-durchsuchung-brandenburg-1.5118817
-> https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/vor-geplanten-corona-protesten-durchsuchung-bei-verschwoerungstheoretiker-attila-hildmann/26633498.html
-> https://twitter.com/affeu2/status/1328738422769455104
-> https://www.morgenpost.de/berlin/polizeibericht/article230936524/Staatsschutz-durchsucht-Wohnung-von-Attila-Hildmann.html
-> https://www.spiegel.de/panorama/justiz/attila-hildmann-staatsschutz-durchsucht-wohnung-von-vegan-koch-und-verschwoerungsideologe-a-d4504ad3-3768-4510-8977-a5a3bf950eac


„Berlin muss brennen“: Querdenker & Nazis möchten Bundestag stürmen, Regierung töten
In den letzten Wochen und Monaten kommen wir aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus und es wird schlimmer. Und tatsächlich auch dramatischer. Als Attila Hildmann in seinem Telegram-Kanal mit Waffen posierte und sich als möglichen Märtyrer aufspielte, beobachteten wir das mit zunächst etwas belustigt, aber dann auch mit Sorge um seinen psychischen Zustand. Das war im Frühjahr.
https://www.volksverpetzer.de/social-media/berlin-demo-querdenker-18-11/
-> https://www.badische-zeitung.de/deutschland-1/corona-kritiker-und-radikale-gruppen-rufen-zur-blockade-des-bundestags-auf
-> https://www.spiegel.de/politik/deutschland/berlin-dutzend-demos-gegen-infektionsschutzgesetz-direkt-vor-bundestag-verboten-a-844c50f4-8d5f-4769-a71d-31872f69f196
-> https://www.jungewelt.de/artikel/390629.rechte-mobilisierung-voller-posteingang.html


Holocaustrelativierungen tolerieren – Gegenproteste kriminalisieren
Proteste gegen Corona-Massnahmen in St. Gallen
Am Samstag, 14. November nahmen rund 150 Menschen an einer Demonstration namens „«Stiller Protest» teil, der sich gegen die COVID19-Verordnungen richtete, die zum Schutz unserer Gesellschaft vor den schlimmsten Folgen der aktuellen Pandemie eingeführt wurden.
https://barrikade.info/article/4013


Jetzt radikalisieren sich die Impfgegner
Die großen Fortschritte bei der Entwicklung von Corona-Impfstoffen mobilisieren die Impfgegner in Deutschland. Jetzt mehren sich in der Szene Zweifel an der grundsätzlichen Glaubwürdigkeit des Staats. Auch die AfD mischt munter mit.
https://www.welt.de/politik/deutschland/article220259232/Verschwoerungsideologien-Jetzt-radikalisieren-sich-die-Impfgegner.html


Soziale Netzwerke wie „Parler: “Neue digitale Heimat für Trump-Anhänger
Tweets mit Warnhinweisen, gelöschte Profile oder gesperrte Gruppen – seit der US-Wahl gehen Facebook und Twitter massiv gegen Falschinformationen vor. Die Anhänger von Wahlverlierer Trump wechseln deshalb zu alternativen Sozialen Netzwerken. Experten warnen vor neuen Gefahren.
https://www.deutschlandfunk.de/soziale-netzwerke-wie-parler-neue-digitale-heimat-fuer.2907.de.html?dram:article_id=487638


+++HISTORY
Emil Bührle: Enge Verflechtung zwischen Kunst und Geschäft – Rendez-vous
Das Zürcher Kunsthaus erhält mit den Bildern von Emil Bührle eine Sammlung von Weltrang. Weil Bührle aber sein Geld mit Waffengeschäften verdiente, haben Stadt und Kanton Zürich einen Bericht über Bührle in Auftrag gegeben. Doch um das Papier entstand eine Polemik. Von Einflussnahme der Auftraggeber war die Rede. Heute wurde der Bericht vorgestellt.
https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/emil-buehrle-enge-verflechtung-zwischen-kunst-und-geschaeft?id=0e48eb72-033c-40eb-bcf9-c28f82119671
-> Echo der Zeit: https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/die-dunkle-vergangenheit-der-buehrle-kunstsammlung?id=0171bc13-153d-4c6e-bbba-97a12a880903
-> Schweiz Aktuell: https://www.srf.ch/play/tv/schweiz-aktuell/video/studie-enthuellt-geschichte-von-kunstsammler-emil-buehrle?urn=urn:srf:video:a961bdb5-e943-4a1c-9c3c-a43762dc59f5
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/nazi-gelder-und-die-buehrle-sammlung?id=11877390
-> https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/kanon-und-kunsthaus-studie-zur-buehrle-sammlung?id=11877819
-> https://www.srf.ch/kultur/kunst/kunsthaus-zuerich-die-buehrle-sammlung-unter-der-lupe-was-man-wissen-muss
https://www.srf.ch/kultur/kunst/problematische-geschichte-studie-deckt-auf-wie-emil-buehrle-seine-kunstsammlung-finanzierte


tagesanzeiger.ch 17.11.2020

Zürcher Sammlung von Emil Bührle – Waffen, Geld und Kunst: Der umstrittene Bührle-Bericht ist da

Eine  Studie über den Waffenfabrikanten hat für Aufsehen gesorgt. Heute wird  sie mit zwei externen Gutachten veröffentlicht. Wie unabhängig war sie?

Annik Hosmann

Gut zwei Jahre hat es gedauert, bis die rund 200-seitige Studie über den Industriellen Emil Georg Bührle und seine Kunstsammlung veröffentlicht wurde. Historiker der Universität Zürich untersuchten erstmals die Verflechtungen zwischen Bührles Waffengeschäften, dem daraus gewonnenen Geld und der damit erworbenen Kunst. Die Studie geht somit über die bisherige Provenienzforschung, also die  Besitzerwechsel der Kunstwerke, hinaus. Am Dienstag wurde nun der  Forschungsbericht veröffentlicht – zusammen mit zwei externen Gutachten,  die ihn untersuchten.

Relevante Ergebnisse und eine fundierte Grundlage zu einem umfassenden Werk Bührles liefere die Studie, schreibt Esther Tisa Francini, Historikerin und Leiterin der Provenienzforschung des Museums Rietberg. «Der vorliegende Bericht ist inhaltlich substanziell und insgesamt gelungen», schreibt auch der emeritierte Geschichtsprofessor Jakob Tanner in einem 24-seitigen Gutachten über die Untersuchung «Kriegsgeschäfte, Kapital und Kunsthaus – Die Entstehung der Sammlung Bührle im historischen Kontext».

Tanner schreibt allerdings auch: «Es war zu erwarten und hat sich längst angekündigt,  dass sich der chronische Konflikt um die Sammlung Bührle mit der  Eröffnung des Kunsthaus-Annexbaus nochmals zuspitzt. Unter solchen  Bedingungen muss ein Forschungsprojekt, das zur Klärung wichtiger und  heikler Fragen beitragen soll, institutionell unabhängig durchgeführt  werden können. Das war hier nicht der Fall.»

Kritik am Bericht schon vor der Veröffentlichung

Dass es überhaupt so weit kam, dass Tanner und Tisa Francini als externe Gutachter die Qualität und die Forschungsfreiheit der 2017 von Stadt und Kanton Zürich in Auftrag gegebenen Studie untersuchen mussten, hat auch mit dem Historiker Erich Keller zu tun. Keller war als Forscher und Autor ebenfalls an der Studie beteiligt, hat sich aber aufgrund eines Konflikts mit Matthieu Leimgruber, Studienleiter und Professor für Geschichte der Neuzeit, vorzeitig zurückgezogen. Keller hatte sich bereits im Januar aus dem Projekt zurückgezogen,  nachdem es zu Meinungsverschiedenheiten bezüglich Autorenschaft und  Abgabeterminen mit Leimgruber gekommen war, wie dieser an einer  Medienkonferenz am Dienstag sagte.

Im Sommer, also noch vor der Veröffentlichung, berichtete die Wochenzeitung WOZ über das Forschungsprojekt. Sie schrieb, der Steuerungsausschuss, der  das Projekt begleitete, habe «zahlreiche Änderungsvorschläge»  angebracht. Die WOZ warf in ihrem Artikel die Frage auf, wie unabhängig die Untersuchungen seien. Es ging unter  anderem um eine Stelle, an der Lukas Gloor, Steuerungsausschussmitglied  und Direktor der Bührle-Sammlung, das Forschungsteam bat, das Wort «Freicorps» wegzulassen, da es «ein zutiefst belasteter Begriff» sei und Emil Bührle in die Nähe der äussersten Rechten rücke.

Zudem wollte Gloor auf den Ausdruck «antisemitischer Ausfall» verzichten, den die Historiker für eine Beschreibung Bührles einer Karikatur in der Satirezeitschrft «Nebelspalter» verwendeten. Das Forschungsteam um Leimgruber war den Anmerkungen des Steuerungsausschusses teilweise nachgekommen. Erich Keller sagte im Sommer gegenüber der WOZ, er wolle nicht an einer Studie mitarbeiten, «die nicht Ergebnis einer freien und offenen Forschung ist». (Lesen Sie hier mehr dazu.)

Nach den Vorwürfen, die Anpassungen würden die Vergangenheit Bührles und damit den Bericht beschönigen, gab die Universität Zürich zwei externe Gutachten bei Tanner und Tisa Francini in Auftrag.

Politisch belastete Sammlung

Anlass für eine erneute und vertiefte Aufarbeitung von Emil Bührles Vergangenheit ist der Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses. Denn in diesem wird  die Bührle-Sammlung mit einem geschätzten Wert zwischen zwei und drei  Milliarden Franken ab Ende 2021 hängen. Das Problem: Die Sammlung gilt  als politisch belastet.

Bührle war ein Waffenfabrikant und hat ab 1924 einen grossen Teil seines Vermögen mit dem Verkauf von Waffen und der verdeckten Aufrüstung des nationalsozialistischen Deutschland gemacht. Er wurde so zum reichsten Mann in der Schweiz, kaufte ab 1936 über 600 Kunstwerke, für die er rund 39 Millionen Franken aufwendete. Zur Sammlung gehören Gemälde von Monet, van Gogh, Gaugin, Degas und Renoir. Die rund 200 Werke, die  ab kommendem Jahr im neuen Kunsthaus zu sehen sein werden, machen das  Museum zu einem internationalen Zentrum für impressionistische Kunst aus  Frankreich.

Der 200-seitige Forschungsbericht beleuchtet nun erstmals  detailliert und mit neu erschlossenen Quellen besagte Verflechtung von  Waffen, Geld und Kunst. In drei Hauptteilen beschreiben Leimgruber und  sein Team Bührles Werdegang vom jungen Fabrikdirektor zum Unternehmer  der bedeutendsten Schweizer Rüstungsfirma, den damit einhergehenden  gesellschaftlichen Aufstieg und die Entstehung seiner Sammlung.

Bis heute ist Emil Bührle umstritten, auch weil ihm Antisemitismus vorgeworfen wird. Davon, schreibt Matthieu Leimgruber im Bericht, «kann man Bührle nicht reinwaschen, auch wenn die bisher erschlossenen Dokumente nur eine belastende Äusserung enthalten». Bührle habe aber die Lage der flüchtenden und verfolgten Juden opportunistisch ausgenutzt, schreibt Leimgruber. Der Unternehmer soll unter anderem von der Zwangsarbeit profitiert  haben; ins Konzentrationslager Ravensbrück deportierte Jüdinnen haben  Waffen für Bührles Unternehmen gefertigt.

Bührle gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zu Zürichs Elite. 1953 wurde der Industrielle Vizepräsident  der Zürcher Kunstgesellschaft und Hauptmäzen des Kunsthauses. 1954  übernahm er die Kosten für einen Kunsthaus-Erweiterungsbau, der 6 Millionen Franken kostete. Die Eröffnung erlebte Bührle selber nicht mehr, er verstarb 1956. Auch diese Verflechtungen sind im neuen Bericht detailliert aufgearbeitet.

Überschattet  wird nun die Arbeit des Forschungsteams der Universität Zürich vom  Konflikt zwischen Erich Keller und Matthieu Leimgruber. Das schreiben  Jakob Tanner wie auch Esther Tisa Francini in ihren Gutachten. Tisa  Francini hält fest: «Der Forschungsauftrag zur Kontextualisierung der Sammlung Bührle endete in einem Zerwürfnis, das auch dem Bericht geschadet hat.»

Anpassungen nach externen Gutachten

Die  Gutachten von Tanner und Tisa Francini beruhen auf einem Entwurf des  Forschungsberichts. Nach den Empfehlungen der beiden Fachpersonen wurden  zwei auf Anregung des Steuerungsrates geänderte Stellen erneut  angepasst und umformuliert – unter anderem die Passage über den «antisemitischen Ausfall» Bührles, der nun im abschliessenden Bericht als «antisemitische Spitze» bezeichnet wird.

Erich  Keller schreibt dazu auf Anfrage des Tages-Anzeigers, dass aufgrund der  externen Gutachten die Abschwächungen weitgehend wiederhergestellt  wurden. Dies zeige, dass er sich zu Recht  gewehrt habe. Sein Pauschalvorwurf, Leimgruber habe «die  wissenschaftlich unhaltbaren, politisch teilweise brisanten Kommentare  und Sprachregelungen willfährig übernommen», lässt sich laut Tanners Einschätzungen aber nicht erhärten.
(https://www.tagesanzeiger.ch/waffen-geld-und-kunst-der-bericht-ueber-emil-buehrle-ist-da-310762235626)



nzz.ch 17.11.2020

Forschung mit Störfeuer – die Universität Zürich legt den umstrittenen Bührle-Bericht vor

Die  Geschichte des Waffenfabrikanten und Kunstsammlers Emil Georg Bührle  sollte neu aufgearbeitet werden. Doch das Projekt geriet selbst in  Turbulenzen. Nun zeigt sich, was an der Kritik dran war.

Marc Tribelhorn, Fabian Baumgartner

Vor  64 Jahren starb Emil Georg Bührle an Herzversagen. Doch noch immer  sorgen seine Persönlichkeit und sein Erbe für Kontroversen. Der  gebürtige Deutsche war Waffenfabrikant, Multimillionär und Kunstmäzen,  ein begnadeter Netzwerker und eiskalter Opportunist. Seine  Rüstungsgeschäfte insbesondere mit Nazi-Deutschland gaben schon zu  Lebzeiten Anlass zu scharfer Kritik.

Weil  ab nächstem Jahr im Kunsthaus-Erweiterungsbau des Stararchitekten David  Chipperfield die Schätze der Sammlung Bührle ausgestellt werden,  wollten Stadt und Kanton Zürich Klarheit schaffen über deren  Entstehungskontext. Das ambitionierte Ziel der historischen  Aufarbeitung: ein «international vorbildhaftes Projekt zum Umgang mit  einer politisch belasteten Kunstsammlung zu präsentieren». Tabus sollte  es keine geben. Doch kurz vor Abschluss kam es wegen des Inhalts des  Forschungsberichts zum Eklat; der wichtigste Mitarbeiter überwarf sich  mit dem Projektleiter. Aus dem Prestigeprojekt drohte ein Scherbenhaufen  zu werden.

Am  Dienstagmorgen haben nun die Zürcher Stadtpräsidentin Corine Mauch und  Regierungsrätin Jacqueline Fehr den Bericht mit dem Titel  «Kriegsgeschäfte, Kapital und Kunsthaus» sowie zwei Gutachten den Medien  vorgestellt.

1) Worum geht es in der Kontroverse?

Emil  Georg Bührle (1890–1956) stieg mit Waffengeschäften zum reichsten Mann  der Schweiz auf. Ein beträchtlicher Teil der Erträge erwirtschaftete  seine Firma, die Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon, mit Lieferungen an  das Nazi-Regime während des Zweiten Weltkriegs.

Mit  einem Forschungsprojekt sollten die Geschäfte des Industriellen, aber  auch seine Tätigkeit als Kunstsammler und Mäzen aufgearbeitet werden. So  lautete ein Mandat, das Stadt und Kanton Zürich im Sommer 2017 Matthieu  Leimgruber, Geschichtsprofessor an der Universität Zürich, übertrugen.

Doch  das Projekt ist in diesem Jahr selbst Teil einer Kontroverse geworden.  Der Historiker Erich Keller, der einen Grossteil der Forschungsarbeit zu  Bührle leistete, stieg im Frühjahr vorzeitig aus. Er übte scharfe  Kritik und tat diese auch in den Medien kund. Als Erste berichtete die «Wochenzeitung» («WOZ») über den Fall. Keller kritisierte, durch die Eingriffe des Steuerungsausschusses werde die Forschungsfreiheit missachtet.

Es  seien vonseiten der Stadt und der Bührle-Stiftung «verharmlosende»  Änderungsvorschläge eingebracht worden, die Leimgruber übernommen habe.  Schlüsselbegriffe wie Zwangsarbeit, Antisemitismus oder Freikorps seien  dem Rotstift zum Opfer gefallen. Eingebracht hatten die Anpassungen  Peter Haerle, der Kulturdirektor der Stadt Zürich, und Lukas Gloor, der  Direktor der Stiftung Bührle. Keller erklärte daraufhin, er könne und  wolle nicht mit seinem Namen für eine Studie stehen, die nicht Ergebnis  einer offenen Forschung sei.

Als  Folge des Streits zogen sich das Kunsthaus, die Zürcher  Kunstgesellschaft und die Stiftung Sammlung Emil Bührle, die allesamt im  Steuerungsausschuss des Forschungsprojekts vertreten waren, aus dem  Gremium zurück. Dieses bestand danach noch aus den Vertretungen der  Stadt und des Kantons. Das Rektorat der Universität Zürich gab zudem  zwei Gutachten in Auftrag, welche die Vorwürfe abklären sollten. Sie  liegen seit Ende September vor.

2) Was steht in dem neu erschienenen Bericht?

Der  228-seitige Forschungsbericht ist wissenschaftlich fundiert und auch  für ein breites Publikum gut lesbar. Er gliedert sich in drei Teile und  beschreibt die eng verzahnte Geschichte von Emil Bührles Aufstieg als  Industrieller, Zürcher Grossbürger und Kunstsammler.

Im  ersten Kapitel «Transformationen» wird gezeigt, wie der Deutsche Emil  Georg Bührle von der Magdeburger Werkzeug- und Maschinenfabrik nach  Zürich geschickt wurde, um die Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon (WO) zu  reorganisieren. In der Folge konzentrierte sich Bührle auf die  Entwicklung und den Export von 20-mm-Flugabwehrkanonen und stand mit der  WO im Dienste der verdeckten Aufrüstung Deutschlands. Als  Offshore-Produktionsstandort eignete sich die Schweiz besonders, da die  Ausfuhr von Kriegsmaterial lange Zeit nicht behördlich kontrolliert  wurde.

Die  WO stieg unter Bührle innert weniger Jahre zum grössten Schweizer  Rüstungsbetrieb auf. Mithilfe seines vermögenden Schwiegervaters gelang  es Bührle 1938, das gesamte Aktienkapital zu übernehmen. Bei seinen  Kunden war er wenig wählerisch: Wer zahlte, dem wurde geliefert. Als die  Schweiz im Sommer 1940 von den Achsenmächten umzingelt war, bediente er  fast ausschliesslich Nazi-Deutschland und dessen Verbündete – mit dem  Segen der Bundesbehörden. Auch erhielt Bührle Lizenzzahlungen der  deutschen Firma Ikaria, die für ihre Produktion Zwangsarbeiter  einsetzte.

Als  sich Hitlers Niederlage abzeichnete, knüpfte Bührle rasch Kontakte zu  den Alliierten, und sein Unternehmen verschwand nach 1945 erstaunlich  schnell von der schwarzen Liste der USA. Doch erst der Koreakrieg  brachte Bührle wieder gross ins Geschäft. Sein Verkaufsschlager waren  neu Pulverraketen, die er im grossen Stil an die Amerikaner lieferte und  die «mit Leichtigkeit» Panzer durchlöchern konnten. Auch die Schweizer  Armee setzte bei ihrer Rüstungsoffensive in den 1950er Jahren auf die  Produkte Bührles.

Das  zweite Kapitel «Netzwerke» zeichnet anhand der wenigen überlieferten  biografischen Zeugnisse die Persönlichkeit Bührles sowie dessen  gesellschaftliche Kontakte nach. Bei seinem rasanten Aufstieg kamen dem  ehemaligen Frontsoldaten sein Opportunismus und seine  Anpassungsfähigkeit zugute. Er nutzte auch nach der Übersiedlung in die  Schweiz die «revanchistischen und militaristischen Netzwerke» aus der  Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.

In  seinem Betrieb beschäftigte er vor, während und nach dem Zweiten  Weltkrieg deutsche Kader und Waffentechniker und pflegte intensive  Kontakte zu Entscheidungsträgern im Ausland und Inland. Um an Aufträge  zu kommen, wurden nicht selten Provisionen und Schmiergelder gezahlt.  Bemerkenswert ist, wie Bührle, der 1937 in der Schweiz eingebürgerte  Parvenü aus Deutschland, durch seine Kunstsammlung und sein Mäzenatentum  Aufnahme in die Zürcher Elite fand, etwa als Mitglied der  altehrwürdigen Kunstgesellschaft. Sein immenser Reichtum – sein Vermögen  stieg von 8 Millionen im Jahr 1938 auf 162 Millionen 1945 – brachte ihm  beste Kontakte zum Bankenplatz. Später sah sich der Unternehmer Bührle  «in vorderster Front dieses Kalten Krieges» und seine Waffen als Beitrag  zur Verteidigung der freien Welt.

Das  dritte Kapitel beschreibt sodann die Entstehung der Sammlung Bührle.  Der Titel «Translokationen» verweist auf einen Schlüsselbegriff der  Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy. Damit soll die «territoriale  Verlagerung von Kulturgütern» aufgrund von «Gewalt oder asymmetrischen  Machtverhältnissen» umschrieben werden. Im Kontext von Bührle handelt es  sich um 633 hochwertige Werke, die der «Kanonenkönig» zwischen 1936 und  1956 für rund 39 Millionen Franken erwarb.

Der  Bericht beinhaltet keine eigene Provenienzforschung, listet aber auf,  wann und von welchen Händlern die Bilder in den Besitz Bührles  übergingen. Im Zuge der nationalsozialistischen Judenverfolgung kam es  zu Beschlagnahmungen, Enteignungen und Zwangsverkäufen. Die Schwemme von  Kunstwerken auf dem Markt half auch Bührle beim Aufbau seiner Sammlung.  Klar ist, dass Bührle bei seinen Ankäufen die Lage verfolgter und  geflüchteter Juden ausnutzte. Er «zögerte nicht, teilweise erhebliche  Risiken einzugehen», heisst es im Bericht. 13 Raubkunstwerke musste er  später zurückgeben. Drei Viertel seiner Sammlung erwarb Bührle indes  erst nach dem Zweiten Weltkrieg.

3) Welche neuen Erkenntnisse bringt der Bericht?

Der  Bericht ordnet die bisherige Forschung zum Thema souverän ein und  bietet eine neue wissenschaftliche Synthese zu Emil Georg Bührle und  seiner Sammlung. Diese Geschichte ist in den Grundzügen zwar seit  längerem bekannt, doch konnte sie durch die Erschliessung neuer Quellen  partiell erweitert und in eine kompakte Studie gepackt werden. Vor allem  sind in der Studie die Verflechtungen und Wechselwirkungen von Waffen,  Geld, Kunst und sozialem Prestige hervorragend herausgearbeitet worden.

Die  Analyse ist betont nüchtern gehalten, was dem politisch aufgeladenen  Gegenstand nur dienlich sein kann. Einen substanziellen Mehrwert bietet  der Bericht für den Zeitraum nach 1945: Bührle suchte in den  unmittelbaren Nachkriegsjahren fieberhaft nach neuen Absatzmärkten und  sie schliesslich im Koreakrieg. Auch werden wenig bekannte Aspekte  ausgeleuchtet, zum Beispiel die Streiks in der WO während des Zweiten  Weltkriegs oder die gescheiterte Expansion Bührles in die USA in den  1950er Jahren.

Wenig  nachvollziehbar ist hingegen, dass im Kapitel über die Sammeltätigkeit  Bührles der Begriff Fluchtgut zwar eingeführt wird, dann aber nicht  angewandt wird. So heisst es schliesslich nur: «Es ist durchaus  plausibel, dass einige von Bührles Erwerbungen in diese Kategorie fallen  würden. Im vorliegenden Bericht sehen wir aber davon ab, direkt in  diese Debatte einzugreifen, um stattdessen den Kontext dafür zu  schärfen.»

4) Zu welchem Schluss kommen die beiden Gutachter?

Mit  der Begutachtung beauftragt wurden die Historikerin und Leiterin der  Provenienzforschung im Museum Rietberg, Esther Tisa Francini, und der  emeritierte Zürcher Geschichtsprofessor Jakob Tanner. Ihnen wurden eine  noch nicht finale Version des Forschungsberichts, datiert auf den  20. Juli 2020, sowie vorangehende Berichte und weitere Dokumente zur  Begutachtung vorgelegt.

Tanner  und Tisa Francini kommen in ihren separat abgefassten Gutachten zu dem  Schluss, dass der Forschungsbericht insgesamt solide gearbeitet sei,  interessante neue Erkenntnisse präsentiere und alle heiklen Punkte von  Bührles Wirken thematisiere. Erich Kellers Kritik, der Projektleiter  Leimgruber habe wissenschaftlich unhaltbare, politisch teilweise  brisante Kommentare willfährig übernommen, lasse sich nicht erhärten,  schreibt Tanner in seinem 24-seitigen Gutachten.

Die  beiden Experten schreiben deshalb, der pauschale Vorwurf eines  beschönigten Forschungsberichts sei haltlos. Tisa Francini bilanziert:  «Die Studie leistet trotz einiger Versäumnisse eine sehr fundierte  Grundlage zu einem umfassenden Werk über Emil Georg Bührle als  Unternehmer und Sammler.»

Doch:  Einige Textstellen im jetzt publizierten Bericht hat Leimgruber erst  nach Kellers Kritik und der darauffolgenden öffentlichen Debatte  überarbeitet. Es sind Punkte, die auch Tanner und Tisa Francini  kritisieren. Sie empfahlen beispielsweise, zwei Umformulierungen, die  Leimgruber auf Anregung von Mitgliedern des Steuerungsausschusses  vorgenommen hatte, erneut abzuändern.

Im  einen Fall geht es um den Begriff «Freikorps», den Leimgruber im  Entwurf an mehreren Stellen ersetzte. So hiess es beispielsweise nicht  mehr, dass sich Bührle dem «Freikorps des Generals von Roeder»  angeschlossen habe, sondern dem «Freiwilligen Landschützenkorps». Für  Tanner steht fest, dass die Umformulierungen inhaltlich vertretbar  gewesen seien und sie nicht zu einer Beschönigung führten. Dennoch sei  in diesem Fall ein sensitives Wort aufgrund einer Aufforderung von  Seiten der Bührle-Stiftung aus dem Bericht entfernt worden. Das  widerspreche der best practice der historischen Auftragsforschung.

Im  anderen Fall geht es um das Thema Antisemitismus. Im Archiv für  Zeitgeschichte entdeckten die Forscher einen Brief, den Bührle der  Satirezeitschrift «Nebelspalter» gesandt hatte. Bührle beschwerte sich  darin, dass ihn ein Karikaturist schlafend zwischen Geldsäcken  gezeichnet habe. Er schrieb, die Zeichnung stamme aus der «Rumpelkammer  des Marxismus». Der «Nebelspalter» solle besser in Bührles Fabrik nach  Oerlikon kommen, «vielleicht vergeht dir dann die fratzenhafte jüdische  Vorstellung, die du von einem Industriellen zu haben scheinst».

Für  Keller war die Quelle eindeutig, weshalb er Bührles Wortwahl als  «antisemitischen Ausfall» bezeichnete. Auf Anregung von Lukas Gloor, dem  Direktor der Stiftung Bührle, wurde die Textstelle jedoch gestrichen.  Matthieu Leimgruber argumentierte, Bührle habe den «Nebelspalter» mit  seiner Ausdrucksweise auf die antisemitische Ikonografie der Karikatur  hinweisen wollen. Tanner hingegen kommt im Gutachten zu dem Schluss,  dass in diesem Fall tatsächlich von einem «antisemitischen Ausfall»  gesprochen werden müsse. Er empfahl deshalb, die Feststellung solle bei  der Überarbeitung des Berichts wieder eingefügt werden. Leimgruber kam  dem nach, allerdings ist nun abgeschwächt von einer «antisemitischen  Spitze» Bührles die Rede.

Tanner  stützt Erich Keller noch in einem anderen zentralen Kritikpunkt: der  Einmischung der Steuerungsgruppe an sensitiven Stellen des Berichts. Es  sei ein Fehler gewesen, für das Projekt eine Steuerungsgruppe  einzurichten. Ein Forschungsprojekt, das zur Klärung wichtiger und  heikler Fragen beitragen solle, müsse institutionell unabhängig  durchgeführt werden. «Das war hier nicht der Fall.»

5) Wie äussern sich die Beteiligten?

Bei  der Vorstellung des Forschungsberichts unterstrichen die Zürcher  Stadtpräsidentin Corine Mauch, Regierungsrätin Jacqueline Fehr und  Christian Schwarzenegger, Prorektor der Universität, am Dienstag dessen  Wert. Mauch sprach von einem «Meilenstein». Die beeindruckende Arbeit  sei zustande gekommen, obwohl es in den letzten Monaten öffentlich  ziemlich «gerumpelt» habe. Fehr ergänzte, der Bericht bringe zum  Ausdruck, dass sich die Behörden ihrer Verantwortung im Umgang mit der  Vergangenheit bewusst seien. «Die öffentliche Hand muss dafür bürgen,  dass eine fundierte und wissenschaftliche einwandfreie Aufarbeitung der  Geschichte stattfindet.»

Prorektor  Schwarzenegger wiederum ging auch auf die im Raum stehenden Vorwürfe  ein. «Aus der Sicht der Universität sind die Vorwürfe nicht haltbar.»  Die Gutachten zeigten, dass sehr sauber gearbeitet worden sei. «Der  Bericht bildet nun die Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung  mit der Sammlung Bührle.»

Auch  Projektleiter Matthieu Leimgruber nahm Stellung zum Streit. Für ihn sei  die Forschungsfreiheit immer gewährleistet gewesen. Die gegen ihn und  das Projekt erhobenen Vorwürfe seien durch die beiden Gutachter  entkräftet worden. Sie hätten die wissenschaftliche Integrität des  Berichts bestätigt. Leimgruber sagt: «Ich habe keine Zensur erlebt. Es  gab kritisches Feedback, aber gutes Feedback. Es ging darum, Fehler zu  vermeiden». Die inhaltlichen Vorwürfe Kellers seien erst im Mai 2020  erhoben worden, mehrere Monate nach dessen Ausstieg aus dem Projekt.

Ganz  anders sieht es Erich Keller. Er schreibt auf Anfrage der NZZ, auch die  Gutachter hätten festgestellt, dass es zur Einflussnahme beim  Forschungsbericht gekommen sei und dass das Forschungsprojekt nicht  institutionell unabhängig habe durchgeführt werden können. «Auch halten  die Gutachter fest, dass es richtig von mir war, mich gegen diese  Eingriffe zu wehren. Hätte ich dies nicht getan, würden wir im Bericht  die Begriffe Freikorps oder Antisemitismus nicht lesen.»

Keller  hält zwar fest, mit dem Forschungsbericht erfahre man einiges über den  Akteur Emil Bührle und über die Rolle der wirtschaftlich erfolgreichen  und politisch mächtigen Rüstungsindustrie während des Kalten Krieges.  Ungenügend herausgearbeitet sei der Bericht aber in der Frage der  Kunstsammlung. «Ohne den Zweiten Weltkrieg gäbe es keine Sammlung  Bührle. Der Krieg machte Bührle zum reichsten Schweizer – und er spülte  diejenigen Kunstwerke auf den Markt, die Bührle mit seinen unbegrenzten  Geldmitteln kaufen konnte.»

Auch  das Kunsthaus Zürich würde, schreibt Keller, in seiner heutigen Form  nicht existieren ohne die Profitmaschine Rüstungsindustrie. Hier müsse  endlich mehr als nur das Minimum getan werden. «Wer diese Kunstsammlung  übernimmt, übernimmt auch Verantwortung. Dieser müssen sich die Stadt  und das Kunsthaus viel deutlicher stellen, als dies bisher der Fall  gewesen ist.»

6) Wie geht es weiter?

Sowohl  die Universität als auch Stadtpräsidentin Corine Mauch und  Regierungsrätin Jacqueline Fehr haben an der Pressekonferenz erklärt,  dass der vorliegende Bericht die Grundlage für weitere  Forschungsarbeiten sein solle. Mauch umriss zudem auch die Erwartungen  an das Kunsthaus, in dem die Kunstsammlung zu sehen sein wird. «Wir  wollen, dass diese Sammlung in den Kontext ihrer Entstehung gesetzt  wird, wenn sie ins Kunsthaus kommt», sagte Mauch. Das sei nun aber  Aufgabe des Kunsthauses. «Wir haben die Erwartung klar formuliert und  werden sehr genau verfolgen, wie sie umgesetzt wird.»

Auch  Erich Keller bleibt nicht untätig. Im nächsten Frühjahr will er ein  Buch veröffentlichen, das sich ausgehend von der Geschichte der Sammlung  Bührle kritisch mit Themen wie Provenienz, Fluchtgut und  Erinnerungspolitik beschäftigt. Der Titel lautet: «Das kontaminierte  Museum».
(https://www.nzz.ch/zuerich/waffenhaendler-buehrle-uni-zuerich-legt-umstrittenen-bericht-vor-ld.1587259)