Medienspiegel 9. November 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BASELLAND
Neu in der Nordwestschweiz: Jobvermittlung für Menschen mit Flüchtlingshintergrund
Ein neues, regionales Onlineportal vermittelt Jobs für Menschen mit Flüchtlingshintergrund. Leicht ist das nicht.
https://www.bzbasel.ch/basel/baselbiet/neu-in-der-nordwestschweiz-jobvermittlung-fuer-menschen-mit-fluechtlingshintergrund-139810065


Corona und Asyl – Baselland schliesst Asylzentrum trotz Engpass wegen Corona
Wegen Corona dürfen Asylzentren nur zur Hälfte belegt sein. Der Platz wird knapp. Trotzdem schliesst ein Zentrum in Baselland.
https://www.srf.ch/news/schweiz/corona-und-asyl-baselland-schliesst-asylzentrum-trotz-engpass-wegen-corona


+++GRIECHENLAND
Neu, neuer, uralt
Nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria sprechen die griechische Regierung und die EU-Kommission von „neuen Ansätzen“ in der Flüchtlingspolitik. Wer genau hinsieht, entdeckt etwas anderes.
https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/griechenland-neu-neuer-uralt


Flüchtlinge auf Lesbos: „Das Lager macht krank“
Kein warmes Wasser, keine Heizung, kein Strom – die Bewohner des Flüchtlingslagers Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos haben Angst vor dem Winter.
https://www.tagesschau.de/ausland/lesbos-lager-karatepe-101.html


+++MITTELMEER
Bootsunglück im Mittelmeer: Kind ertrunken
Zahl der Geflüchteten, die aus der Türkei zu den griechischen Inseln übersetzen, dieses Jahr deutlich zurückgegangen
Ein sechs Jahre altes Kind ist ertrunken, als am Sonntag vor der griechischen Insel Samos ein Boot mit Migranten verunglückte. An Bord waren Menschen, die von der türkischen Ägäisküste gestartet waren, um in die EU zu kommen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1144156.samos-bootsunglueck-im-mittelmeer-kind-ertrunken.html


+++EUROPA
Illegale Rücküberweisung von Migranten – Tagesschau
Die EU-Kommission wird sich am Dienstag mit der illegalen Rücküberweisung von Menschen auf offenem Meer befassen. Es geht um Menschen, die von der Türkei aus nach Griechenland fliehen wollen.
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/illegale-rueckueberweisung-von-migranten?urn=urn:srf:video:b660fde7-1a15-4bfa-a374-9aa773d99e90
-> https://www.srf.ch/news/international/migrationspakt-illegale-push-backs-von-migranten-in-bruessel-am-pranger


„Navi e aerei davanti la Tunisia per fermare le barche dei migranti“
Bei einem Zwischenstopp in Rom hat die italienische Innenministerin Luciana Lamorgeseihrem französischen Kollegen den Vorschlag unterbreitet, dass Italien Schiffe und Flugzeuge vor der tunesischen Küste positioniert, um der tunesischen Küstenwache Boote mit Migrant*innen zu signalisieren. Deren Aufgabe wäre es dann, die Boote zu stoppen und die Boat-people nach Tunesien zurückzubringen. So setzt sich Italien nicht dem Vorwurf rechtswidriger Push-Backs aus. Den neuen Vorschlag rechtfertigt Lamorgese vor dem Hintergrund des Anschlags von Nizza mit der Notwendigkeit, potentiellen Terroristen die Einreise nach Europa zu verwehren.
https://ffm-online.org/navi-e-aerei-davanti-la-tunisia-per-fermare-le-barche-dei-migranti/


+++ATLANTIK
Mehr als 2.000 Geflüchtete erreichen Kanarische Inseln
Die Migrantinnen und Migranten sind in Holzbooten auf Gran Canaria angekommen. Seit Januar flüchten wieder mehr Menschen über den Atlantik auf die Kanaren.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-11/migration-kanarische-inseln-gefluechtete-afrika-spanien


+++GASSE
Immer mehr Menschen nutzen Essenshilfen
https://www.tele1.ch/nachrichten/immer-mehr-menschen-nutzen-essenshilfen-139809220


+++DROGENPOLITIK
Regierungsratsantwort auf Interpellation 208-2020 Geissbühler-Strupler (Herrenschwanden, SVP) Menschenversuche mit dem Rauschgift Cannabis.
https://www.gr.be.ch/gr/de/index/geschaefte/geschaefte/suche/geschaeft.gid-0cacdfcce99043cb91affcd4a48cfb6c.html


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Statement der RJG Bern zur Auflösung der Gruppe
Nach mehr als 12 Jahren müssen wir unseren Weg neu definieren – die RJG Bern löst sich auf.
Nach dem Statement der RJG Frauen, Lesben, inter-, nonbinären- und trans Personen (FLINT Personen) folgt hiermit das Statement der gesamten Gruppe zur Auflösung der Revolutionären Jugend Gruppe (RJG).
https://revolutionär.ch/?p=5497
-> Statement der RJG FLINT Personen zur Auflösung der RJG Bern: https://revolutionär.ch/?p=5493


Aktivist*innen beflaggen Syngenta
Am frühen Montagmorgen kam es zu einer symbolischen Guerilla-Aktion von Aktivist*innen für die Konzernverantwortungsinitiative. Nach zwei Stunden waren alle Verdachtsmomente wieder beseitigt.
https://bajour.ch/a/COClJK1cXwEoFk9X/aktivistinnen-beflaggen-syngenta


Briefkasten von Thales Defence gesprengt
In der Nacht auf den 6.November haben wir an der Binzstrasse 18 in Zürich den Briefkasten der hiesigen Defence-Abteilung der Thales Gruppe, dem 8. grössten Rüstungskonzern der Welt, gesprengt.
https://barrikade.info/article/3989
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/hintergruende-zum-anschlag-auf-thales-noch-ungeklaert-00144635/


+++AUSLÄNDER*INNEN-RECHT
Kantonsrat will mehr Klarheit bei Ausschaffungen
Zürcher Richter seien zu nachlässig bei Ausschaffungen von straffällig gewordenen Ausländern: Das kritisierten SVP und andere Parteien heute im Zürcher Kantonsrat. Die Regierung soll jetzt mit einem Bericht für mehr Übersicht sorgen.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-zuerich-schaffhausen/kantonsrat-will-mehr-klarheit-bei-ausschaffungen?id=11872740
-> https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/kantonsrat-will-wissen-wie-haertefallklausel-angewendet-wird-verlangt-bericht-von-regierungsrat-139805705
-> https://www.zsz.ch/anwendung-der-haertefallklausel-wird-analysiert-166533208194
-> https://www.landbote.ch/anwendung-der-haertefallklausel-wird-analysiert-166533208194



tagesanzeiger.ch 09.11.2020

Härtefallklausel im VisierAL unterstützt Zürcher SVP-Vorstoss zu kriminellen Ausländern

Die Mehrheit der delinquierenden Ausländer wird nicht ausgewiesen. Die Zürcher SVP macht Druck auf die Gerichte und verlangt eine Analyse – mit Erfolg.

Pascal Unternährer

Seit dem Ja zur SVP-Ausschaffungsinitiative vor zehn Jahren tobt der Streit um Härtefälle. Seit 2016 gilt: Kriminelle Ausländerinnen und Ausländer müssen nicht zwingend des Landes verwiesen werden, wenn dies einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und das private Interesse am Verbleib das öffentliche Interesse an der Ausschaffung überwiegt.

Zuvor hatte der damalige FDP-Präsident Philipp Müller angekündigt, die Initiative «pfefferscharf» umzusetzen. Damals war von maximal 5 Prozent Ausnahmefällen die Rede.

Nun haben Zahlen des Bundesamts für Statistik die SVP auf den Plan gerufen. 2018 sind im Kanton Zürich 29 Prozent der Delinquenten ohne Schweizer Pass trotz Katalogtat nicht ausgeschafft worden, 2019 55 Prozent. Auch wenn es hinter diesen Zahlen Fragezeichen gebe, sei die Tendenz klar, sagte René Truninger (SVP) am Montag im Kantonsrat. Er verlangt zusammen mit der FDP und der EDU vom Regierungsrat eine Berichterstattung und Analyse über die Anwendung der Härtefallklausel. «Die Klausel soll nur in absoluten Ausnahmefällen zum Tragen kommen», so Truninger.

Linda Camenisch (FDP) meinte, die Initiative werde nicht einmal ansatzweise pfefferscharf umgesetzt. «Die Gerichte müssen ihre Praxis ändern», forderte sie. Andrea Gisler (GLP) sagte, der Gesetzgeber habe eine harte Umsetzung gefordert.

Deliktkatalog als untauglich outen

Support für den Vorstoss gab es überraschend auch von der AL. Anne-Claude Hensch Frei sagte: «Wir vertrauen darauf, dass unsere politisch gerecht zusammengesetzten Gerichte angemessen urteilen.»

Am Rande der Sitzung erklärte AL-Fraktionschef Markus Bischoff den Hintergrund der Zustimmung. Er will den Deliktkatalog als untauglich outen, und dafür brauche es Transparenz. Heute müsse ein ausländischer Sozialhilfebezüger ausgewiesen werden, der den Behörden einen Nebenverdienst von 600 Franken in drei Monaten nicht angegeben hat. Gemäss Bischoff gebe es zahlreiche weitere Beispiele für Katalogdelikte, welche mit weniger als sechs Monaten Gefängnis bestraft werden. «Liegen die Zahlen und die Begründungen der Staatsanwaltschaften und Gerichte auf dem Tisch, diskutiere ich gerne mit der SVP über Sinn und Unsinn des Katalogs.»

SP, Grüne, CVP und EVP wehrten sich gegen den Vorstoss. Janine Vannaz (CVP) sah keinen Bedarf an genaueren Zahlen, ausserdem seien unter den 547 Straftaten im Jahr 2019 viele Bagatelldelikte. Davide Loss (SP) sagte, das Problem sei der Katalog und sprach von Verhältnismässigkeit: «Es gibt nun einmal viele Härtefälle.» Und wenn jedes Mal die genauen Gründe rapportiert werden müssten, entstehe ein Bürokratiemonster. «Hören Sie auf, Richter spielen zu wollen», rief Loss in den Saal. «Lassen Sie die Gerichte entscheiden», forderte auch Tobias Mani (EVP).

Trotz des Widerstands wurde das dringliche Postulat mit 99:67 Stimmen überwiesen. Der Regierungsrat hatte sich nicht gewehrt und muss nun innerhalb eines Jahres einen Bericht liefern.
(https://www.tagesanzeiger.ch/al-unterstuetzt-zuercher-svp-vorstoss-zu-kriminellen-auslaendern-671932505277)


+++JUSTIZ
StPO-Gebastel
Die Schweizerische Strafprozessordnung ist noch keine zehn Jahr in Kraft und wurde bereits in ca. 75 Bestimmungen geändert. Für weitere Anpassungen (Sicherheitshaft, Übernahme der EMRK- und gesetzwidrigen bundesgerichtlichen Praxis) läuft zurzeit noch eine Referendumsfrist.
https://www.strafprozess.ch/stpo-gebastel/


+++POLIZEI SO
Mehr Sicherheit zu welchem Preis?
In etwa drei Wochen stimmen die Solothurnerinnen und Solothurner über das neue Polizeigesetz ab. Das Gesetz ist stark umstritten. Für die einen bringt es mehr Sicherheit. Für die anderen schränkt es die persönliche Freiheit zu stark ein. Pro und Contra.
https://www.srf.ch/audio/regionaljournal-aargau-solothurn/mehr-sicherheit-zu-welchem-preis?id=11872965


Verdeckte Fahndung: Unverzichtbar oder unzulässig? – das Pro und Contra zum Polizeigesetz
Wer ist für, wer gegen das neue Polizeigesetz, über das am 29. November abgestimmt wird? Teil zwei der kontradiktorischen Beiträge.
https://www.solothurnerzeitung.ch/solothurn/kanton-solothurn/verdeckte-fahndung-unverzichtbar-oder-unzulaessig-das-pro-und-contra-zum-polizeigesetz-139774075


+++POLIZEI DE
Wie vom Blitz getroffen
Die Bundespolizei setzt seit Montag probeweise sogenannte Taser als Waffe ein
Die offizielle Bezeichnung klingt harmlos: Distanz-Elektroimpulsgerät. Doch Organisationen wie Amnesty International halten Taser für lebensgefährlich. Dennoch testet die Bundespolizei ihren Einsatz jetzt an drei Orten in der Praxis.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1144188.taser-wie-vom-blitz-getroffen.html


Polizeigewalt als kleines Geheimnis: Aufnahmen unerwünscht
Polizei geht mit kreativen Argumenten gegen Dokumentation von Einsätzen vor. Juristische Klärung steht noch aus
https://www.jungewelt.de/artikel/390149.polizeigewalt-als-kleines-geheimnis-aufnahmen-unerw%C3%BCnscht.html


+++POLICE FR
Frankreich: „Keine Bilder mehr von Polizisten und Gendarmen auf sozialen Netzwerken“
Ein neuer Gesetzesvorschlag droht Filmern von Polizeigewalt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr, wenn sie das Filmmaterial „böswillig nutzen“
https://www.heise.de/tp/features/Frankreich-Keine-Bilder-mehr-von-Polizisten-und-Gendarmen-auf-sozialen-Netzwerken-4952312.html


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Tumulte in Leipzig: Polizei lässt «Corona-Rebellen» freie Hand
Mitten in der Pandemie haben in Leipzig 45’000 Menschen ohne Masken und Abstand demonstriert. Neonazis griffen Polizisten, Linke und Journalisten an.
https://www.derbund.ch/polizei-laesst-corona-rebellen-freie-hand-298092014668
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1144154.leipzig-aufarbeitung-nach-querdenken-demo-in-leipzig-gefordert.html
-> https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-11/querdenken-demo-bundesinnenminister-horst-seehofer-polzei
-> https://taz.de/Demo-von-Corona-Skeptikerinnen/!5726919/
-> https://taz.de/Corona-Protest-nach-Leipzig-Demo/!5724075/
-> https://taz.de/Corona-Demo-in-Leipzig/!5724035/
-> https://taz.de/Gewalt-gegen-JournalistInnen/!5724074/
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1144160.querdenken-leipzig-vier-minuten-schiere-fassungslosigkeit.html
-> https://www.jungewelt.de/artikel/390142.coronaleugner-in-sachsen-sie-wollte-vom-eigenen-versagen-ablenken.html
-> https://www.deutschlandfunk.de/querdenken-bewegung-kritik-und-konsequenzen-nach-leipziger.1766.de.html?dram:article_id=487215
-> https://www.zdf.de/nachrichten/politik/coronavirus-leipzig-querdenken-demonstration-reaktionen-100.html
-> https://mmm.verdi.de/beruf/corona-proteste-erschreckende-bilanz-69477
-> https://www.deutschlandfunk.de/nach-ausschreitungen-in-leipzig-langsam-wird-es-eng-fuer.720.de.html?dram:article_id=487258



nzz.ch 09.11.2020

Biedermann und Brandstifter: Der «Querdenker» Michael Ballweg will Oberbürgermeister von Stuttgart werden

Geschickt  wie kein Zweiter kanalisiert der 46-Jährige den Unmut gegen das  Pandemie-Management in Deutschland. Ein ungeklärtes Verhältnis zu  Antisemitismus und Rechtsextremismus bestreitet er vehement. Seine  Financiers will Ballweg nicht namhaft machen – trotz der Transparenz,  die er selbst stets vom Staat einfordert. Ein Porträt.

Christoph Prantner, Berlin

Im  März hat sich Michael Ballweg noch vor dem Coronavirus gefürchtet.  Statt wie geplant auf Weltreise zu gehen, erzählt er, habe er sich zu  Hause in Stuttgart mit seiner Familie zwei Wochen lang eingeschlossen.  In dieser Quarantäne habe er zu zweifeln begonnen – am Umgang mit dem  Virus und vor allem daran, ob dieser rechtmässig sei. Heute sagt der  46-Jährige Sätze wie diesen: «Die Pandemie ist dann vorbei, wenn die  Bevölkerung entscheidet, dass sie vorbei ist.»

Die  Wandlung des Michael Ballweg vom IT- zum Protestunternehmer, vom Bürger  zum Demagogen, dauerte nur wenige Monate. Er ist der Kopf hinter der  Plattform «Querdenken», die Unzufriedene aller Couleur,  Verschwörungstheoretiker und mitunter auch rabiate Reichsbürger auf  ihren Demos versammelt. Ballweg kanalisiert geschickt wie kein Zweiter  den wachsenden Unmut gegen das Pandemie-Management in Deutschland.  Dieser Groll soll ausgerechnet ihn, der dauernd über  ausserparlamentarische Opposition spricht, nun auch in die Politik  tragen. Am Sonntag trat er als parteiloser Kandidat für das Amt des  Oberbürgermeisters in Stuttgart an. Er erreichte 2,6 Prozent der  Stimmen.

Grundgesetz, Tempo 50, Tierliebhaber

Auf  seinen Wahlplakaten ist er als Verteidiger des Grundgesetzes, als  Hundefreund oder als Befürworter von Tempo 50 (statt 40) zu sehen. Bei  Wahlversammlungen spricht er über Radwege, das Tiny-House-Konzept oder  Bürgerbeteiligung. Es ist ein wildes Sammelsurium von Sachverhalten. Er  und seine Mitarbeiter, erklärt Ballweg im Gespräch mit der NZZ, hätten  diese aus Diskussionen mit Teilnehmern von Querdenken-Demos  herausdestilliert. Dass sie kaum zusammenhängen, stört ihn wenig. Sein  alles überstrahlendes Thema ist ohnehin Corona.

Noch  vor wenigen Wochen fragte er in einer Rede: «Wo ist die Pandemie?» Er  sehe nachweislich keine steigende Infektionsrate, keine sich füllenden  Intensivbetten und keine zunehmende Zahl von Corona-Toten. Schon damals  stellte sich die Faktenlage für die meisten Menschen anders dar. Auf die  derzeit tatsächlich exponentiell wachsenden Zahlen angesprochen,  erwidert Ballweg, positive Tests bedeuteten noch keine Infektionen. Er  glaube eher den Zahlen der Helios-Kliniken (86 Standorte in Deutschland)  als jenen des Registers der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung  für Intensiv- und Notfallmedizin, dem 1286 Krankenhäuser Daten über die  intensivmedizinische Versorgung von Covid-19-Patienten melden.

An der Quelle nachfragen

Warum?  Erstere seien transparent, sagt Ballweg. Bei Letzteren müsse «man erst  mal gucken, wer das finanziert». Ausserdem habe es da ja immer wieder  einmal Probleme mit Meldungen gegeben. Und ganz grundsätzlich:  Querdenken habe es sich zur Aufgabe gemacht, «an der Quelle  nachzufragen». Das Ergebnis solcher «Nachforschungen» ist in den meisten  Fällen eine Mischung aus Mutmassungen, Unterstellungen und einem  scheinbar eingeweihten Raunen. Aber das bleibt das alleinige Problem der  Gegner der «Querdenker».

Ballweg  ficht Kritik wenig an. Er tritt mit dem Habitus des sanften, zuweilen  biederen Rebellen auf. Zum mitreissenden Volkstribunen fehlt ihm Verve,  rhetorische Kadenzen hat er nicht im Repertoire. Stattdessen hat er eine  adrette Frisur, ein Querdenken-T-Shirt, Jeans und Turnschuhe zu bieten.  Würde der Prototyp des netten Kumpeltyps unter den  Verschwörungsmystikern gesucht, die Wahl fiele auf den 46-Jährigen. In  seinem weissen Kapuzenpulli wirkt er beinahe so, als wäre er noch immer  der computerbegeisterte Student, der vor 25 Jahren «vom Dorf» (Ballweg)  nach Stuttgart kam, um BWL zu studieren.

1996  hat er dort seine Firma, die Media Access GmbH, gegründet. Sie bietet  Software an und hat sich auch an einer App zur Überwachung von Kindern  versucht. Ein paar Tage vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie hat Ballweg  sein Hauptprodukt, ein Programm zum Projektmanagement mit pensionierten  Experten, verkauft. Auf der Website des Unternehmens ist er noch in  Anzug, Hemd mit Manschettenknöpfen und mit dicker Uhr zu sehen. Heute  steht er den neuen Eigentümern noch einige Zeit für die Übergabe zur  Verfügung, muss aber nicht mehr für Geld arbeiten.

Inzwischen  interessiert er sich mehr für die spirituelle Seite des Lebens. Den  Eindruck zu erwecken, er ruhe in sich und müsse niemandem mehr etwas  beweisen, ist ihm wichtig. Er sei gern in der Natur und brauche weder  ein grosses Auto noch ein Boot, sagt Ballweg über sich. Religiös sei er  nicht. Aber er meditiere viel, trinke keinen Alkohol und lebe sehr  gesund. Bis vor wenigen Monaten sei er ausserdem völlig unpolitisch  gewesen. Auch das hat sich geändert. Neben den Querdenken-Hoodies trägt  er heute ganz leger Polohemden mit seinem Wahlkampf-Logo – MB20, Michael  Ballweg 2020.

Klage um den «Goldenen Aluhut»

Eine  besondere Art von Entspanntheit manifestiert sich auch inhaltlich:  Ballweg fordert die Abdankung der Bundesregierung so ruhig, als würde er  Apfelschorle bestellen. Ganz nebenbei lädt er Donald Trump und Wladimir  Putin zu Demos nach Deutschland ein, damit diese den Europäern  Friedenspolitik erklären. Dann will er unbedingt seinen angeblichen Sieg  bei der Verleihung des Negativpreises «Der goldene Aluhut» einklagen.  Und schliesslich wundert er sich, dass sich niemand darüber Gedanken  mache, ob achtlos weggeworfene Mundschutzmasken für ausgeführte Hunde  gefährlich sein könnten.

Mögen  seine Themen auch variieren, die Redefiguren sind immer die gleichen.  Es geht stets um die Andeutung einer grossen Verschwörung. Um  Hintermänner, die den Menschen ihr selbstverantwortliches Leben und die  Demokratie wegnehmen wollen. Wenn Ballweg so raunt, scheint hinter dem  Biedermann auch der Brandstifter durch.

Den  ruhigen, kontrollierten Chef-Querdenker bringt erst aus der Ruhe, wer  ihn unnachgiebig «an der Quelle» befragt, wie er es selbst gerne  propagiert. Wer etwa seinen OB-Wahlkampf mit finanziellen Zuwendungen in  Form von Schenkungen unterstützt, will Ballweg partout nicht sagen.  Seine Bewegung unterliege ja auch nicht dem Parteiengesetz. Hat die  Öffentlichkeit im Sinne seiner Forderung nach Transparenz nicht dennoch  das Recht, das zu wissen? Nein, man gebe nur das bekannt, wozu man auch  verpflichtet sei.

Antisemitismus- und Rechtsextremismusvorwürfe

Seinem  Pressesprecher Stephan Bergmann, der Mitbegründer eines vom  Landesverfassungsschutz Baden-Württemberg als rechtsextrem eingestuften  Vereins ist, attestiert Ballweg, «ein herzensguter Mensch» zu sein.  Antisemitische Tendenzen, die der baden-württembergische  Antisemitismusbeauftragte Michael Blume bei Querdenken feststellt, führt  Ballweg auf dessen «Wahrnehmungsschwäche» zurück. Auch über den  umstürzlerischen Verschwörungsapostel Ken Jebsen, der wegen  Antisemitismusvorwürfen aus dem öffentlichrechtlichen Rundfunk entfernt  wurde, lässt er nichts kommen. Schliesslich war Jebsen im Mai einer der  prominentesten Redner bei einer Querdenken-Demo in Stuttgart und bietet  dem OB-Kandidaten heute über seine Online-Kanäle grosse Publizität.

Auch  über seine genaue Herkunft hält sich Ballweg bedeckt: Er sei aus  Wertheim am Main, der nördlichsten Stadt in Baden-Württemberg. In  welchem Dorf genau er mit seinen vier Brüdern aufgewachsen ist, will er  nicht sagen. Denn dann müssten sich die Leute dort von neugierigen  Reportern bedrängen lassen. Die Mainstream-Medien liessen ja  üblicherweise kein gutes Haar an seiner Bewegung. Bis vor kurzem wollte  Querdenken deshalb Journalisten vor Interviews eine «Erklärung zur  journalistischen Arbeit» unterzeichnen lassen. Inzwischen ist Ballweg  davon abgerückt. In Wahlkämpfen, so scheint es, ist schlechte  Mainstream-Presse immer noch besser als keine Mainstream-Presse.
(https://www.nzz.ch/international/querdenker-michael-ballweg-will-ob-in-stuttgart-werden-ld.1585590)


+++KNAST
Kinder von Eltern im Freiheitsentzug: Das Schweigen der Schweizer Behörden
Wenn Eltern strafrechtlich verfolgt werden, sind die sozialen und menschlichen Folgen für ihre Kinder meist gravierend. Von offizieller Seite wird von diesem Umstand jedoch keine Notiz genommen: Von der Verhaftung eines Elternteils bis zur Vollstreckung der Strafe werden betroffene Kinder von der Politik marginalisiert und ihre Rechte von den Strafverfolgungsbehörden missachtet. Bereits 2015 schlug der UNO-Ausschuss für Kinderrechte Alarm. Fünf Jahre später hat sich die Situation immer noch nicht verbessert, obwohl Kinder durch die Inhaftierung ihrer Eltern besonderen Risiken ausgesetzt sind.
https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/kinder/kinder-eltern-freiheitsentzug-schweizer-schweigen



tagesanzeiger.ch 09.11.2020

TV abgestellt, Arrest im Bunker: So werden Häftlinge im Gefängnis schikaniert

Viele Gefangene erleben Machtspiele und Gewalt durch Aufseher. Bankräuber Hugo Portmann sagt: «Damit macht man die Leute kaputt.» Fachleute fordern mehr Rechtsschutz.

Liliane Minor

Der dunkelhäutige Gefangene A. kommt fünf Minuten zu spät aus dem Ausgang zurück. Der Bus sei verspätet gewesen, gibt er an. Doch der Aufseher glaubt Alkohol zu riechen. «Lügen Sie nicht», sagt er zu A., «wir sind hier nicht in Afrika!» Als sich A. beschwert, kassiert er drei Tage Arrest im sogenannten Bunker. Begründung: Er habe einen Aufseher zu Unrecht beschuldigt.

Der Gefangene B. wird in der Werkstatt immer wieder von einem Mitgefangenen beleidigt. Schliesslich schmeisst B. seinem Peiniger verärgert einen Schraubenschlüssel vor die Füsse. Der Vorfall wird in der Akte von B vermerkt – ohne Vorgeschichte, angehört wird B. nicht. Die Akte dient später als Grundlage, um die Rückfallgefahr des Gefangenen zu beurteilen.

Extremes Machtgefälle im Vollzug

Das sind zwei leicht verfremdete Beispiele aus dem Alltag in hiesigen Gefängnissen. Zwei Beispiele, die für ein Grundproblem im Strafvollzug stehen, das Stephan Bernard so umschreibt: «Im Vollzug herrscht ein extremes Machtgefälle. Die Gefahr, dass diese Macht missbraucht wird, ist sehr gross.» Stephan Bernard ist einer der wenigen Anwälte, die auch verurteilte Straftäter vertreten. Und er ist ein pointierter Kritiker des Vollzugs, den er als «Blackbox» bezeichnet: «Die öffentliche Kontrolle ist absolut ungenügend.»

Zum Gespräch in seinem Büro in Zürich hat Bernard auch David Mühlemann von der Menschenrechtsorganisation Humanrights.ch zugezogen, die eine Beratungsstelle für Gefangene betreibt. Mühlemann hat wie nur wenige Aussenstehende Einblick in den Vollzugsalltag. Er sagt: «Wir hören von unzähligen Formen des Machtmissbrauchs, von blöden Sprüchen über verweigerte Literatur bis zum Arrest.» Disziplinierung mit Gewalt sei nach wie vor ein zentrales Element im Strafvollzug.

Der harsche Umgang mit dem junge Straftäter Brian alias Carlos hat in den vergangenen Monaten ein grelles Schlaglicht auf solche Praktiken geworfen (lesen Sie hier mehr dazu). Und so extrem der Einzelfall Brian ist: Für seine Anwälte ebenso wie für Bernard und Mühlemann ist der 25-Jährige auch ein Beispiel für das, was im Kleinen und unbeobachtet von der Öffentlichkeit tagtäglich in Zürcher Gefängnissen passiert.

Sicherheit über allem

Einer, der all diese Spielarten aus eigener Anschauung kennt, ist Hugo Portmann. Portmann, einst einer der bekanntesten Bankräuber der Schweiz, hat sich immer wieder gegen Missstände hinter Gittern aufgelehnt. Er lebt heute in Freiheit. Portmann sagt: «Der Vollzug ist in den letzten Jahren repressiver geworden. Damit macht man die Leute kaputt.» Vor lauter Bemühen, die Sicherheit zu wahren, werde jede Individualität unterdrückt. Fairer werde der Vollzug so nicht.

Eigenständiges Denken sei nicht gefragt, es zähle nur eins: gutes Benehmen gleich Unterordnung. «Und was das ist, definieren die Aufseher.» Zwar seien die meisten Aufseher korrekt. «Aber einige sind es nicht. Und diese haben x Möglichkeiten, die Gefangenen zu schikanieren: TV wegnehmen, Zellen durchsuchen, das Joghurt zum Frühstück ‹vergessen›, einen beim Zellaufschluss warten lassen, und und und.»

Andere Gefangene, mit denen diese Zeitung gesprochen hat, bestätigen Portmanns Einschätzung. Einer sagt es so: «Da reden sie gross davon, dass wir auf das Leben draussen vorbereitet werden sollen, aber die rigiden Regeln führen genau zum Gegenteil.» Ständig stehe man unter Beobachtung, alles werde notiert. Freundschaften seien suspekt. Nur schon wer einem anderen eine Tasse Kaffee spendiere, werde bestraft, weil so etwas als unerlaubtes Rechtsgeschäft gilt.

Die Folgen beschreiben vor allem langjährige Gefangene so: «Man fühlt sich ausgeliefert, wird extrem empfindlich auf Schikanen und Ungerechtigkeit. Ein angeblich vergessenes Joghurt mag draussen Kleinkram sein, hier drinnen aber ist das schlimm.»

Viele wehren sich nicht

Wehren könnten sich die Gefangenen kaum, kritisieren Bernard und Mühlemann. «Viele Schikanen sind subtil, kaum beweis- und schon gar nicht strafbar», sagt Mühlemann. Wohl können Gefangene, die sich nicht korrekt behandelt fühlen, per Hausbrief an die Direktion gelangen – aber davor schreckten viele aus Angst vor Vergeltung oder einem Eintrag in der Akte zurück. Denn die Einträge sind etwa für Vollzugslockerungen relevant. «Und wem glaubt man, wenn der Gefangene das eine sagt, zwei Aufseher aber das andere?», fragt Mühlemann lakonisch.

Gegen härtere Sanktionen wie Arreststrafen sind zwar formell Einsprachen möglich – nur haben diese keine aufschiebende Wirkung. «Es bringt wenig, sich zu wehren», sagt Bernard, «im Bunker sitzt man trotzdem.»

Kommt hinzu: Viele Gefangene kennen ihre Rechte kaum, und ist das Urteil einmal gefällt, steht ihnen auch kein Pflichtverteidiger mehr zur Seite. «Es ist absurd», sagt Bernard, «da treiben wir zu Recht einen riesigen Aufwand, dass Gerichtsverfahren fair sind – aber sobald das Urteil gefällt ist, ist der Rechtsschutz kaum mehr existent.» Mühlemann sieht das ähnlich: «Es gibt einen unendlichen Bedarf an Rechtsberatung im Gefängnis. Aber kaum jemand fühlt sich zuständig – obwohl es sich dabei um einen zentralen menschenrechtlichen Anspruch der Insassen handelt.»

Anwälte, die sich in der Materie auskennen, gibt es landesweit vielleicht ein Dutzend. Bernard sagt: «Die Materie ist extrem komplex. Es gibt unzählige Erlasse, Gesetze, Hausordnungen und so weiter, die eine Rolle spielen.» Wer sich wehre, verliere sich oft im Dickicht unklarer Kompetenzen und ewig langer Verfahren. So musste ein Gefangener bis vor Bundesgericht prozessieren, nur um die Frage zu klären, ob im Kanton Zürich das Verwaltungs- oder das Obergericht über sein Gesuch zu entscheiden hat, in eine andere Anstalt verlegt zu werden. Bis der Entscheid des höchsten Gerichts endlich vorlag, war das Verlegungsgesuch längst obsolet geworden.

Für Bernard und Mühlemann ist deshalb klar: Es braucht eine unabhängige, institutionalisierte Rechtsberatung, einen kostenlosen Rechtsbeistand sowie eine Ombudsstelle für Gefangene. Und es braucht eine öffentliche, unabhängige Kontrolle in den Gefängnissen. Zwar besuchen die nationale und die EU-Folterkommission die Gefängnisse alle paar Jahre. Ihre Beobachtungen und Empfehlungen werden in einem Bericht veröffentlicht, aber Verbesserungen durchsetzen können die Kommissionen nicht. «Das reicht nicht», sagen Mühlemann und Bernard.

Rigide Regeln haben guten Grund

Jérôme Endrass und Andreas Naegeli weisen die Kritik zurück. Naegeli ist Direktor der Zürcher Justizvollzugsanstalt Pöschwies, die unter Gefangenen in der Deutschschweiz als sehr streng gilt. Endrass ist Forensiker und stellvertretender Leiter des Zürcher Amts für Justizvollzug und Wiedereingliederung.

Die beiden Männer sind überzeugt, dass der Schweizer Justizvollzug im Allgemeinen und die Zürcher Gefängnisse im Speziellen hoch professionell arbeiten. Natürlich sei der Gefängnisalltag rigiden Regeln unterworfen: «Mit gutem Grund. Wir haben es mit teils gefährlichen Straftätern zu tun, viele sind psychisch angeschlagen.»

Sicherheit und Ordnung seien nicht verhandelbar – es gehe um den Schutz von weniger wehrhaften Gefangenen, aber auch um den Schutz der Angestellten. «Sie werden manchmal aufs Übelste beschimpft und bedroht», sagt der Direktor, «und müssen dennoch immer die Ruhe bewahren.» Von Schikanen seiner Mitarbeiter will er nichts wissen: «Das sind Profis.»

Das Beschwerdesystem für Gefangene funktioniere und werde rege genutzt. Eine Rechtsberatung könne zwar aus verschiedenen Gründen sinnvoll sein, sagt Jérôme Endrass: «Wenn es allerdings nur darum geht, dass die Gefangenen ihre Anliegen besser vertreten können, bringt eine weitere Formalisierung der Abläufe keinen zusätzlichen Gewinn. Wir behandeln jede Beschwerde, es reicht, wenn erkennbar ist, was der Betroffene meint.» Natürlich gebe es immer Ansätze für Verbesserungen, «diese wollen wir dort einleiten, wo sie konkreten Nutzen haben.» Als Beispiel nennt er das, was die Gefangenen als Gleichmacherei kritisieren: «Es ist erwiesen, dass die Zufriedenheit höher ist, wenn man das Zusammenleben natürlicher und individueller gestaltet.» Die Pöschwies versuche, in diese Richtung zu gehen.

Erfolgreiches Justizsystem – aber nicht ohne Mängel

Eine etwas andere Sicht vertritt Thomas Manhart, bis vor einem Jahr Leiter des Zürcher Amtes für Justizvollzug. Er hat unlängst einen bemerkenswerten Aufsatz über das Verhältnis zwischen Justizvollzug und Gefängnisseelsorge geschrieben. Darin kritisiert er, dass der Sicherheitsanspruch im Vollzug heute zu hoch gewichtet werde (eine Sichtweise, die er als Amtschef nicht vertreten habe, wie er einräumt).

Im Gespräch weist auch er auf die Erfolge des Schweizer Justizsystems hin. Der steigende Anspruch an die Sicherheit führe aber dazu, dass gerade unbequeme Gefangene öfter disziplinarische Probleme bekämen – mit Folgen für die Haftdauer. Das geht zulasten einer wichtigen Errungenschaft, nämlich dass Gefangene abschätzen können, wann sie mit Vollzugslockerungen und der Freilassung rechnen können.

Dennoch: Der Umgang mit den Gefangenen sei im Grossen und Ganzen respektvoller als früher. «An systematische Schikanen glaube ich nicht – aber zu behaupten, dass nie etwas Derartiges passiert, widerspräche jeder Menschenkenntnis.» Es liege in der Natur des Strafvollzugs, dass sich Gefangene machtlos fühlten: «Umso mehr muss sichergestellt werden, dass diese Ohnmächtigen korrekt behandelt werden. Da hilft vor allem eines: Ausbildung, Ausbildung, Ausbildung.»

Die Kritik am Rechtsschutz für Gefangene und den Ruf nach mehr öffentlicher Kontrolle kann er nachvollziehen: «Das Justizsystem hat eine Tendenz zur Abschottung. Vollzugsinstitutionen empfinden es nicht selten als Desavouierung oder persönliche Niederlage, wenn ein Rechtsmittel gegen ihre Entscheide gutgeheissen wird.» Dass dieselbe Justizdirektion, welche die Gefängnisse betreibt, auch über Beschwerden entscheide, sei im Lichte der Gewaltentrennung nicht optimal. Eine unabhängige Ombudsstelle für den Strafvollzug hält er deshalb für eine gute Idee, ebenso eine ausgebaute Aufsicht. «Hier bräuchte es mehr Ressourcen.».

Für die Gefangenen sind solche Diskussionen letztlich abgehoben. «Alles, was wir verlangen», sagt einer, «ist, dass man uns anständig behandelt. Wir sind nicht alle einfach nur Lügner, Betrüger und Gewalttäter. Wir sind Menschen.»
(https://www.tagesanzeiger.ch/wir-sind-nicht-alle-einfach-nur-luegner-betrueger-und-gewalttaeter-362753202671)


+++HISTORY
Die Buchenwald-Kinder – Eine Schweizer Hilfsaktion
Diese Dokumentation begleitet die fiktionale SRG-Serie «Frieden» mit historischen Fakten. Im Fokus steht eine Schweizer Hilfsaktion für Opfer des Nazi-Regimes, die sogenannte Buchenwald-Aktion. Eine gut gemeinte Hilfsaktion der Schweiz, die aber mangelhaft geplant und umgesetzt wurde.
https://www.srf.ch/play/tv/dok/video/die-buchenwald-kinder—eine-schweizer-hilfsaktion?urn=urn:srf:video:2b4e3ccf-3ba1-4ad7-83da-261a39ea29fd&aspectRatio=16_9


Zeichnungen aus dem 2. Weltkrieg – 10vor10
Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kamen Kinder und Jugendliche aus dem befreiten Konzentrationslager Buchenwald in die Schweiz. Einige unter ihnen drückten ihre Erlebnisse in Zeichnungen aus. Diese lagern heute im ETH-Archiv für Zeitgeschichte.
https://www.srf.ch/play/tv/10vor10/video/zeichnungen-aus-dem-2–weltkrieg?urn=urn:srf:video:747bc981-4f46-4cec-88cc-50a5ddcec504


Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen: Die umfassende Aufarbeitung staatlichen Unrechts
Die fürsorgerischen Zwangsmassnahmen sind eines der dunkelsten Kapitel der Schweizer Sozialgeschichte. Die nun beschlossenen Wiedergutmachungsmassnahmen sind aus menschenrechtlicher Sicht nicht ausreichend. Auch auf der politischen Bühne haben sie grosse Diskussionen ausgelöst.
https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/zugang-zum-recht/opfer-fuersorgerische-zwangsmassnahmen-wiedergutmachung