Kundgebung fordert Evakuierung, Gericht verbietet “Goldene Morgenröte”, Schweiz unterstützt EU-Migrationspakt

Bild: Redner*Innen an der Evakuieren-Jetzt Kundgebung in Bern

antira-Wochenschau: 5 Jahre Haft für Widerstand gegen Administrativhaft auf Malta I Salvini-Dekrete gekippt: Seenotrettung kostet wieder 50.000 € | Tod nach medizinischer Vernachlässigung auf italienischem Quarantäneschiff | Faschistische “Goldene Morgenröte” wird verboten | Gewalt gegen Migrant*innen auf Fluchtrouten. Woche für Woche. Tag für Tag | Schweiz unterstützt EU-Pläne zur Sicherung der Grenzen vor Menschen auf der Flucht | Stark eingeschränkter Rechtsschutz durch die beschleunigten Asylverfahren | Die Stadt Zürich und die Versklavung | Eine Praxis der Schikane: Das BAMF prüft bewilligte Asylanträge erneut | Folgen der EU-Migrationspolitik: Lager in Kara Tepe überschwemmt, ALAN KURDI festgesetzt | Covid im Urdorf-Bunker und die Häme von Sicherheitsdirektor Fehr | Bundesgerichtsurteil: Keine Administrativhaft ohne Aussicht auf durchsetzbare Abschiebungen | Kundgebung fordert Schliessung des Bunkers in Urdorf | Evakuieren Jetzt – Demo

Was ist neu?

5 Jahre Haft für Widerstand gegen Administrativhaft auf Malta
Auf Malta wurden nach einem Ausbruchversuch aus der Administrativhaft fünf Männer zu einer Haftstrafe von 30 Monaten verurteilt. Sie wurden nach den Protesten vor drei Wochen im Geflüchtetenlager Safi festgenommen und angeklagt. An den Protesten hatten sich knapp 30 inhaftierte Migranten beteiligt. Es kam zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften, wobei ein Mitarbeiter der Sicherheitsfirma mit der Schrotflinte auf einen Migranten schoss und ihn verletzte. Das Urteil gegen ihn ist noch ausstehend.
Die Bedingungen in den Haftanstalten für Geflüchtete auf Malta stehen seit Jahren in der Kritik und lösen immer wieder Proteste aus. Zu den grössten Problemen gehören aktuell die starke Überbelegung, kaum Sonnenlicht, fehlendes sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen, fehlende Privatsphäre, ungenügende rechtliche und medizinische Beratung, Isolation von der Aussenwelt und mangelhafte Informationen über die Länge der Haftdauer. Asylsuchende werden in Malta während des laufenden Asylverfahrens systematisch in geschlossenen Lagern inhaftiert. Sie bleiben bis zum Entscheid über ihr Asylgesuch beziehungsweise bis zum Ablauf der Maximalfrist von zwölf Monaten in Haft. Bei abgewiesenen Asylsuchenden und illegalisierten Geflüchteten dauert die Haft bis zu 18 Monate. Das ist eine lange willkürliche Inhaftierung von Menschen, die kein Verbrechen begangen haben. Das ist eine grosse Belastung für Menschen, die bereits in ihren Herkunftsländern oder spätestens auf ihrer Flucht über Libyen und das Mittelmeer traumatisiert wurden. Statt einer angemessenen medizinischen, psychologischen und rechtlichen Betreuung, gehört Gewalt durch Mitarbeitende zum Alltag der Geflüchteten.
https://timesofmalta.com/articles/view/five-jailed-for-30-months-after-admitting-to-safi-detention-cente-riot.821908
https://www.tagesschau.de/ausland/un-fluechtlinge-kritik-101.html
https://www.asylumineurope.org/reports/country/malta/detention-asylum-seekers/detention-conditions/conditions-detention-facilities
https://www.ecoi.net/en/file/local/1025590/1930_1320246879_bericht-malta-september-final.pdf

Salvini-Dekrete gekippt: Seenotrettung kostet wieder 50.000 €
In Rom wurden neue Sicherheitsgesetze verabschiedet. Sie nehmen die wesentlichen Bestimmungen der Salvini-Dekrete von 2018 und 2019 zurück: Die Sperrung aller Häfen des Landes für Schiffe mit Migrant*innen an Bord, die Beschlagnahmung der trotz Verbots in italienische Häfen eingelaufenen privaten Rettungsschiffe sowie die Verhängung drakonischer Geldstrafen von bis zu einer Million Euro gegen die Retter*innen. Es gilt nun wieder das alte Strafmass von maximal 50.000 €.
Gute Nachrichten? Nur auf dem Papier. Weiterhin antworten europäische MRCCs, auch die italienische Seenotleitstelle, nicht auf Notrufe. Dadurch starben 2020 laut IOM bereits 178 Menschen auf der zentralen Mittelmeerroute, die von Libyen nach Italien und Malta führt. Weitere 222 Menschen werden vermisst. Zusätzlich wird ein Menschenrechtsmonitoring verhindert, zum Beipsiel durch die Festsetzung des Aufklärungsflugzeugs Moonbird von Sea Watch. Weiterhin werden Menschen von keiner staatlichen Marinemission gerettet. Zivile Rettungsschiffe wie die Mare Jonio und die Alan Kurdi werden durch vorgeschobene technische Kontrollen in italienischen Häfen blockiert. Können Menschen trotzdem aus Seenot geholt werden, wird die Zuweisung eines Hafens über Wochen verzögert, sodass die Menschen nicht die medizinische und psychologische Betreuung an Land erhalten können, die ihre physischen und psychischen Verletzungen erfordern. Weiterhin stehen in Europa alle Signale auf Abschottung.
https://www.tagesschau.de/ausland/italien-dekret-salvini-101.html
https://www.infomigrants.net/en/post/27719/rescue-ngos-urge-italy-to-stop-blocking-their-vessels-at-sea
https://sea-eye.org/category/news/

Tod nach medizinischer Vernachlässigung auf italienischem Quarantäneschiff

Bild: Quarantäneschiffe wie die Allegra sind eine Black Box. Die Menschen erhalten keine Informationen über ihre Möglichkeiten und ihnen wird der Zugang zu Asyl und anderen grundlegenden Menschenrechten verwehrt!

“Abdou war 15 Jahre alt, mit Folterspuren auf der Haut, vermutlich aus Libyen, er war allein, wurde gerettet und auf das GNV-Quarantäneschiff Allegra, das vor Palermo liegt, umgeladen. 12 Tage lang, vom 18. bis 30. September, war er auf diesem Schiff: Nach den medizinischen Untersuchungen vom 28. und 29. September wurde er ins Krankenhaus verlegt. Er ist zu diesem Zeitpunkt dehydriert, kooperiert nicht, spricht nicht, und am nächsten Tag fällt er ins Koma, er wird ins Krankenhaus Ingrassia verlegt. Dann stirbt er. Gestern, am 5. Oktober, fünfzehn Jahre alt. Alleine.” So fasst das Forum Antirazzista Palermo die Ereignisse zusammen. Nachdem der Geflüchtete vom NGO-Schiff Open Arms aus Seenot geholt und medizinisch versorgt worden war, erhielt er nach dem Transfer auf das italienische Quarantäneschiff keine angemessene medizinische Betreuung mehr und starb vermutlich an den Folgen der erlebten Folter und Dehydrierung.
Die italienische Regierung betreibt fünf Schiffe für die Quarantäne von Geflüchteten: die Snav Adriatico und die Rhapsodie vor Lampedusa sowie die Allegra, die Aurelia und die Azzurra vor den sizilianischen Häfen Palermo, Trapani und Augusta. Hinzu kommen die Fähren, die anfangs im Einsatz waren, wie die Moby Zaza, von der am 20. Mai der tunesische Junge Bilal sprang und beim Versuch, an Land zu schwimmen, ertrank. Die Situation auf den Schiffen ist angespannt. Es kommt zu Protesten und Fluchtversuchen, von denen jetzt immer mehr Fälle bekannt werden. Zuletzt sprangen am 1. Oktober sechs und am 4. Oktober drei Menschen von Bord. Einer der Jungen wird vermisst und ist möglicherweise ertrunken. Wir kritisieren den Einsatz von Quarantäneschiffen als Mittel der unberechtigten Freiheitsberaubung, das die Flüchtenden selbst nicht vor einer Corona-Infektion schützt und eine unzumutbare psychische Belastung darstellt. Die Schiffe dienen allein dem rassistischen und nationalistischen Narrativ, die “italienische Bevölkerung” vor einer vermeintlichen Einschleppung des Coronavirus durch geflüchtete Menschen zu schützen.
https://www.ilsicilia.it/migranti-muore-a-palermo-il-quindicenne-sbarcato-dalla-nave-quarantena/?fbclid=IwAR0ojFiq–YUPZJo-4qSSNFvGoCOnbrftMtM_viUIBUBNPbBI5lGMxKS7-c
http://www.vita.it/it/article/2020/10/07/i-migranti-invisibili-sulle-navi-quarantena-tenuti-lontani-da-noi/156901/
https://palermo.repubblica.it/cronaca/2020/10/06/news/palermo_il_migrante_quindicenne_morto_in_ospedale_la_procura_apre_un_inchiesta-269684447/?refresh_ce#gallery-slider=269710014
https://sicilianews24.it/fiaccolata-per-abou-manifestazione-a-palermo-in-memoria-del-migrante-morto-a-15-anni-623780.html?refresh_ce
Bild:
https://www.instagram.com/p/CFkN38kqAgs/

Faschistische “Goldene Morgenröte” wird verboten

Bild: Nach der Urteilsverkündung greift die Polizei in Athen Demonstrierende an

Am 18. September 2013 ermordeten Faschist*innen der Partei Goldene Morgenröte den antifaschistischen Rapper Pavlos Fyssas. Immer wieder übten diese Faschist*innen aus diesem Umfeld in Griechenland auch Gewalttaten gegen Migrant*innen und ihre politischen Gegner*innen aus. Immer wieder entkamen sie straffrei. Nicht zuletzt, weil ihre Positionen und Ideen von vielen Polizist*innen und Behörden geteilt werden. Nun hat der oberste Gerichtshof die Partei als »kriminelle Organisation« eingestuft und die gesamte Parteiführung verurteilt. Während der Urteilsverkündung demonstrierten vor dem Gerichtsgebäude 20’000 Personen. Wenig später wurden sie von der Polizei mit Wasserwerfern, Tränengas und Knüppeln angegriffen.
Zwischen 2012 und 2019 politisierte die Goldene Morgenröte mit 17 Sitzen im griechischen Parlament. Dabei genoss sie die politische Anerkennung rechtsbürgerlicher Parteien. Doch anlässlich der letzten Wahlen implodierte sie. Die ultrarechte rassistische Néa Dimokratía setzte sich damals gegen das Linksbündnis Syriza durch. Seither scheint im bürgerlichen Lager niemand mehr auf das Flirten mit der faschistischen Truppe zu setzen. Zumindest trauert ihnen derzeit niemand offen nach.
https://www.jungewelt.de/artikel/387896.griechenland-faschisten-verurteilt.html
https://forensic-architecture.org/investigation/the-murder-of-pavlos-fyssas

Gewalt gegen Migrant*innen auf Fluchtrouten. Woche für Woche. Tag für Tag
In Libyen – nach wie vor eines der bedeutsamsten Transitstaaten Richtung Europa, wurde ein junger Mann aus Nigeria lebendig verbrannt. Ein klares Motiv für diese Tat fehlt bisher. Klar ist jedoch, dass Migrant*innen in Libyen tödlicher Gewalt schutzlos ausgeliefert sind.
Auch in Bosnien, einem anderen wichtigen Transitstaat Richtung Europa, sind Migrant*innen Gewalt ausgesetzt. Bei einem Zusammenstoss zwischen Migrant*innen im Nordwesten Bosniens sind am Mittwoch zwei Menschen gestorben und fast 20 weitere verletzt worden. Die Gewalt ereignete sich in der Stadt Bihac. Als die Behörden ein Camp räumen liessen, kam es zu einem gewaltvollen Konflikt zwischen den Migrant*innen.
Ebenfalls vergangene Woche meldete das Alarm Phone Sahara, dass es seit der schrittweisen Lockerung der Covid-Massnahmen zu einer Intensivierung der Ausweisungen und Abschiebungen in das westafrikanische Transitland Niger kommt: Von Ende September bis Anfang Oktober 2020 seien über 1500 Migrant*innen aus verschiedenen Ländern Subsahara-Afrikas nach Niger abgeschoben worden.
Nicht nur Personen, die nordwärts migrieren, sondern auch Migrant*innen, die innerhalb des afrikanischen Kontinents nach Sicherheit suchen, sind ständiger Gefahr ausgesetzt. Die IOM twitterte am Sonntag, es gebe mindestens 8 Tote und 12 Vermisste vor der Küste Dschibutis. Die Migrant*innen seien aus dem Jemen zurück in Richtung Horn von Afrika migriert, weil der Krieg und die Unruhen das Leben in Jemen unmöglich gemacht haben. Ihr Boot ist vermutlich gesunken. https://www.infomigrants.net/en/post/27811/nigerian-migrant-burned-alive-in-libya
https://www.infomigrants.net/en/post/27704/two-migrants-killed-in-brawl-in-bosnia
https://www.infomigrants.net/en/post/27744/iom-at-least-8-migrants-dead-12-missing-off-djibouti
https://alarmephonesahara.info/en/reports/new-wave-of-deportations-more-than-2500-citizens-from-sub-saharan-countries-deported-from-algeria-and-morocco-on-a-large-scale

Was geht ab beim Staat?

Schweiz unterstützt EU-Pläne zur Sicherung der Grenzen vor Menschen auf der Flucht
Das neue, zweifelhafte EU-Migrationspaket, das letzten Monat von Ursula von der Leyen vorgestellt wurde (s. antira-wochenschau vom 29. September) wird nun auch von der Schweizer Regierung gutgeheissen. Auf der Internetseite der Regierung heisst es: ‚Die Schweiz begrüsst ausdrücklich den gemeinsamen Effort zur Sicherung der Aussengrenzen, bei der Bekämpfung von Menschenschmuggel und im Bereich der Rückkehr.‘ Die sog. ‚Sicherung‘ von Grenzen macht Fluchtrouten gefährlicher und setzt Menschen auf der Flucht Gewalt und Lebensgefahr aus. Die Bekämpfung von sog. ‚Menschenschmuggel‘ in den Fokus der Asylpolitik zu stellen verschleiert, dass die Abschottungspolitik Europas das eigentliche Problem ist. Und der Euphemismus ‚Bereich der Rückkehr‘ bedeutet Administrativhaft und gewaltvolle Ausschaffungen. Dass diese Massnahmen öffentlich und ohne Scham als Asylpolitik Europas vorgestellt werden können zeigt, an welchem Tiefpunkt sich der momentane Diskurs befindet. Karin Keller-Sutter (KKS) nannte auch ‚schnelle und faire Verfahren vor Ort‘ als Ziel. Dass sich schnell und fair schon gegenseitig ausschliessen, wird noch dadurch verstärkt, dass diese Verfahren ‚vor Ort‘ stattfinden sollen. Dieses Verschieben der Aussengrenzen Europas erschwert Menschen den Zugang zu Asyl erheblich bzw. macht ihn unmöglich. Die ‚Verfahren vor Ort‘ sollen übrigens in Internierungslagern an der Grenze stattfinden, in denen Menschen bis zu 24 Wochen eingesperrt werden können und die PRO ASYL passend als ‚Vorsortieranlage an der EU-Grenze‘ bezeichnet.
Hinzu kommen neue Regulierungen, welche die Kriterien drastisch senken, wann ein Staat als sicher im Sinne des Flüchtlingsrechts gilt. So sollen in Zukunft auch Staaten, die nur sog. ‚ausreichenden Schutz‘ gewährleisten können, als sicher eingestuft werden. Dazu gehören u.a. die Türkei. So wird letztlich der EU-Türkei-Deal ausgeweitet und Europa schottet sich weiter ab.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-80639.html
https://www.srf.ch/news/schweiz/nach-treffen-mit-eu-ministern-keller-sutter-schutz-der-aussengrenzen-ist-wichtig
https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/eu-innenminister-beraten-ueber-neue-asylpolitik?urn=urn:srf:video:3508257e-c199-41a9-a06a-70d190573d13
https://www.nzz.ch/international/eu-innenminister-vor-differenzen-in-der-migrationspolitik-ld.1580688
https://www.proasyl.de/pressemitteilung/pakt-oeffnet-tuer-und-tor-fuer-zurueckweisung-an-europas-grenzen/

Was ist aufgefallen?

Stark eingeschränkter Rechtsschutz durch die beschleunigten Asylverfahren
Das Asylsystem der Schweiz wurde am 1. März 2019 mit der Neustrukturierung wesentlich verändert und im Zuge dessen vor allem verschärft. Das Hauptziel der Neuerungen war die Beschleunigung der Verfahren, welche durch die zentralisierte Unterbringung der asylsuchenden Personen in Bundesasylcamps und der Verkürzung sämtlicher Fristen erreicht werden sollte. Um trotz der enorm kurzen Fristen den Schein der Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten, wurden zudem staatlich finanzierte Rechtsvertreter*innen eingeführt, welche die rechtliche Vertretung aller Asylsuchenden sicherstellen sollten.
Dass die Beschleunigung der Asylverfahren in den meisten Fällen eine Verschlechterung der Situation der betroffenen Personen bedeutet, wurde bereits mehrfach festgestellt. Nun hat auch das «Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich» basierend auf einer qualitativen und quantitativen Auswertung eigener sowie öffentlich zugänglicher Daten Bilanz gezogen. Die zentralen Erkenntnisse sind die Folgenden:
Das Tempo im erstinstanzlichen Verfahren ist zu hoch. Dies führt dazu, dass die Asylgründe seitens des Staatssekretariats für Migration (SEM) oft nur ungenügend abgeklärt werden, was durch die hohe Rückweisungsquote des Bundesverwaltungsgerichts belegt ist (Erfolgsquote von 24% im beschleunigten Verfahren). Teil dieses Problems ist, dass das SEM lediglich 18% der Verfahren vom beschleunigten ins erweiterte Verfahren überführt, statt wie ursprünglich vorgesehen 40%.
– Die Mandatsniederlegung durch den staatlich finanzierten Rechtsschutz erfolgt zu häufig und oft zu Unrecht. Dies zeigt sich zum einen an den tiefen Beschwerdequoten in den Bundesasylzentren (12.5%), verbunden mit den zahlreichen erfolgreich geführten Beschwerden von unabhängigen Rechtsvertretungen (Erfolgsquote von 23%). Zum anderen ist zu beachten, dass ein hoher Anteil an Beschwerden vom Bundesverwaltungsgericht selber als «nicht aussichtslos» beurteilt wurden und folglich vom staatlichen Rechtsschutz hätten geführt werden müssen (59% bei den vom Bündnis geführten Beschwerden). Die Mandatsniederlegung ergibt sich unter anderem aus der pauschalen Bezahlung der Rechtsvertreter*innen pro Fall, wodurch sich lange Verfahren finanziell nicht lohnen.
– Dies führt in Kombination mit den kurzen Beschwerdefristen und der oft peripheren Lage der Bundesasylzentren dazu, dass Betroffene ihre ohnehin übereilt getroffenen Entscheide mangels Zugangs zu externer Rechtsberatung nicht weiterziehen können. Obwohl staatliche Mittel für eine lückenlose Rechtsvertretung bestimmt wären, müssen häufig andere Organisationen einspringen und die zu Unrecht niedergelegten Mandate übernehmen – konkret erfolgen über 50% der eingereichten Beschwerden nicht durch den staatlichen Rechtsschutz.
– Ob der staatlich mandatierte Rechtsschutz eine Beschwerde vor dem Bundesverwaltungsgericht erhebt, variiert regional äusserst stark. Die Aussicht einer asylsuchenden Person auf eine Beschwerde ist bspw. in der Romandie rund viermal höher als in der Ostschweiz.
Kritisiert wurde die Neustrukturierung des Asylbereichs bisher vor allem aufgrund der verschärften Unterbringungssituation. Die Menschen im Asylverfahren werden in grossen, meist von der privaten Firma ORS AG geführten Bundesasylcamps isoliert. Die Camps sind meist sehr abgelegen und es gelten strenge Regeln. Vor allem der Zwang zur ständigen Anwesenheit und Verfügbarkeit im Camp, welcher oft mit einer zweimal täglichen Unterschriftspflicht durchgesetzt wird, macht ein Leben ausserhalb des Camps fast unmöglich. Hinzu kommen die gewalttätigen Übergriffe durch die Securitas AG, welche in den meisten Bundesasylcamps für die «Sicherheit» sorgen sollte. Von den Übergriffen gibt es aus mehreren Camps ausführliche Dokumentationen (https://3rgg.ch/securitas-gewalt-im-lager-basel/)
Der Bericht des «Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich» zeigt, dass sich nebst der Unterbringung auch die rechtliche Situation der Menschen im Asylverfahren stark verschlechtert hat. Beschwerden sind aufgrund der kurzen Fristen und der Isolation der Menschen fast nicht mehr möglich, obwohl gerade diese ein wichtiges Mittel wären, um sich wenigstens bis zu einem gewissen Grad gegen die willkürlich gefällten Entscheide des SEMs wehren zu können.
https://beobachtungsstelle.ch/news/bilanz-zur-neustrukturierung-des-asylbereichs/

Die Stadt Zürich und die Versklavung
Eine von der Universität Zürich veröffentlichte Studie zeigt auf, wie die Stadt Zürich und in der Stadt ansässige Firmen im 18. und 19. Jahrhundert am Handel von versklavten Menschen in der neuen Welt beteiligt waren. So hat einerseits die Stadt Zürich selbst ab 1727 bis mindestens 1798 nach Berner Vorbild in den Handel mit versklavten Menschen investiert und unter anderem Anteile der britischen South Sea Company gekauft. Genannt wird auch die halbstaatliche Zinskommission Leu & Co, die private und öffentliche Gelder in den Handel mit versklavten Menschen (insbesonders in den dänischen Überseegebieten) investierte. Laut den Autoren sei die Stadt Zürich an der Verschleppung von insgesamt 36’494 versklavten Menschen finanziell beteiligt gewesen.

Bild: Die Fabrik Hofmeister an der Limmat bei Wipkingen um 1809, die Indienne-Stoffe herstellte. Die Baumwolle dafür stammte zum Grossteil aus der Arbeitskraft versklavter Menschen

Neben den öffentlichen Institutionen waren auch viele Einzelpersonen und Familien finanziell in den Handel mit versklavten Menschen involviert. Die Studie beleuchtet unter anderem die Machenschaften der Familie Escher, deren Mitglieder in mindestens ein Schiff sowie in verschiedenste Geschäfte bezüglich Kolonialwarenhandel und Sklaverei investierten. Ausserdem waren sie zeitweise im Besitz einer Kaffeeplantage in Kuba mit über 80 versklavten Menschen.
Indirekt war auch die schweizer Textilindustrie an der Sklaverei beteiligt, die eine tragende Rolle in der Industrialisierung der Schweiz spielte und das Land zu einem der grössten Exporteure von Baumwollprodukten der Welt machte. Der Grossteil der dafür verwendeten Baumwolle stammte aus den Südstaaten der USA und somit direkt aus der Arbeitskraft versklavter Menschen. Der ernorme Wohlstand der Schweiz und vieler in der Schweiz lebenden Menschen wäre ohne die Ausbeutung der versklavten Menschen nicht möglich, denn erst durch die Ausbeutung der versklavten Menschen konnte sich die Schweiz zu einem so mächtigen Wirtschaftsstandort entwickeln, wie sie es heute ist.
https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/013824/2015-02-11/
https://www.media.uzh.ch/de/medienmitteilungen/2020/Sklaverei.html
Bild:
https://www.media.uzh.ch/dam/jcr:b8a9b154-a0ef-436b-ad6b-bb2aeb272bf8/Fabrik.jpg

Eine Praxis der Schikane: Das BAMF prüft bewilligte Asylanträge erneut
In Deutschland kommt es immer wieder zu sog. ‚Wiederrufs- bzw. Rücknahmeverfahren‘, die Menschen mit positivem Asylbescheid ihren Ausweis erneut streitig machen können. Die Begründungen dafür könnten z.B. lauten, dass die Bedingungen im Herkunftsland besser geworden seien oder falsche Angaben zur Person gemacht wurden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat im Jahr 2019 205’285 solcher Verfahren eingeleitet und scheint damit eine politische Botschaft zu senden. Denn 2017 waren es erst 3’170. Durch diese Verfahren wurde knapp 3 Prozent der Betroffenen der Asylstatus wieder aberkannt. Das sind im Jahr 2019 6’158 Menschen, deren aufgebautes Leben zunichte gemacht wurde. Und für die restlichen 199’172 Menschen bedeutete es monatelange Angst davor, den Asylstatus wieder verlieren zu können, sowie Retraumatisierung durch die erneuten Befragungen. 700 Beamt*innen des Bamfs arbeiten ausschliesslich an diesen Verfahren.
https://taz.de/Gefluechtete-bangen-um-Schutzstatus/!5718882/

Folgen der EU-Migrationspolitik: Lager in Kara Tepe überschwemmt, ALAN KURDI festgesetzt
Ein weiteres Mal werden politische Entscheidungen in Griechenland und Italien über humanitäre Möglichkeiten gestellt. Das hat schwerwiegende Folgen.
1. Ein von der NGO ‚Let’s Bring Them Here‘ organisiertes und von zivilen Spenden finanziertes Flugzeug aus den Niederlanden, welches zunächst einmal 189 Menschen auf der Flucht aus Lesbos an Bord nehmen wollte, wurde im griechischen Luftraum gestoppt und zur Landung in Athen gezwungen.
2. Die ALAN KURDI wurde zum zweiten Mal in diesem Jahr festgesetzt. Obwohl die Anwält*innen von Sea-Eye bereits Beschwerde eingereicht haben, wird erneut zivile Seenotrettung verhindert. Ein krankes Spiel, das sich die italienischen Behörden da leisten, und welches Menschenleben fordert.
3. Das Lager in Kara Tepe, Nachfolgelager von Moria, auf der griechischen Insel Lesbos ist überschwemmt. Was bereits seit Beginn des Baus abzusehen war, ist nun eingetroffen. Nach nur einigen Stunden Regen war alles durchnässt und viele Zelte unbewohnbar. Denn es wurde kein Entwässerungssystem installiert, die Zelte stehen nicht erhöht, sondern direkt auf der Erde, zumeist ohne Zeltboden. Was im Winter mit dem Lager passieren wird, wenn der Regen zunimmt, die Temperaturen sinken, der Wind stärker wird, lässt sich bereits erahnen. Zudem ist auch die Nahrungsmittel- und Wasserversorgung nach wie vor katastrophal. Es gibt kein fliessend Wasser und nur einmal am Tag eine Essensausgabe. Wenn das Essen für den Tag verbraucht ist, gibt es für die Übrigen nichts mehr und es ist schwierig, an eine Alternative zu kommen. In den meisten Supermärkten herrscht unvorstellbare Segregation: getrennte Schlangen für geflüchtete Menschen, Inselbewohner*innen und Tourist*innen. Im Lager gibt es keine Elektrizität, d.h. Menschen müssen auf Feuer kochen, was aus gegebenen Umständen ungünstig ist. So kehren täglich Menschen in das abgebrannte Lager zurück, um dort in den nicht zerstörten Öfen Brot zu backen. Das Lager ist menschenunwürdig und muss dringend evakuiert werden.
https://ffm-online.org/flugzeug-nach-lesbos-lets-bring-them-here/
https://www.facebook.com/NewsfromtheMed/posts/1052912805162315
https://www.theguardian.com/global-development/2020/oct/07/moria-20-refugees-who-escaped-fire-now-living-in-worse-conditions
https://www.facebook.com/AegeanBoatReport/posts/939869009869537
https://www.infomigrants.net/en/post/27753/ngo-s-join-fight-to-keep-lesbos-migrant-camps-open

Kopf der Woche

Die Häme von Sicherheitsdirektor Fehr
16 Personen haben sich im Rückkehrbunker in Urdorf mit Covid angesteckt. Sie wurden dann in Quarantäne in das ehemalige Pflegezentrum Erlenhof gebracht.

Bild: Das ehemalige Pflegezentrum Erlenhof in Zürich, bewacht von uniformierten und zivilen Sicherheitskräften

Schon lange haben Aktivist*innen und Solidarische des Bündnisses «Wo Unrecht zu Recht wird» vor einem Ausbruch von Covid in dem Bunker gewarnt. Zu eng. Zu viele Personen. Zu wenig Schutzvorkehrungen sind in der unterirdischen Zivilschutzanlage möglich. Doch niemand machte etwas. Und nun der Ausbruch der Krankheit. Bisher scheinen es keine schlimmeren Krankheitsverläufe zu sein. Im Erlenhof jedoch sind am Mittwochmorgen zwei der sich in Quarantäne befindenden Personen aus dem dritten Stock gestürzt. Einer hat sich dabei schwer verletzt. Es war Verzweiflung, der diese zwei Menschen springen liess. So sieht es ein abgewiesener Geflüchteter, der sich im Erlenhof in Quarantäne befindet und auch in Urdorf war. So seien «die beiden Kollegen freiwillig aus dem dritten Stock gesprungen, weil sie Angst hatten, wieder nach Urdorf zu kommen. Die Zustände dort sind menschenunwürdig». So steht es in der Zeitung «20 Minuten». In anderen Medien wird von einem Sturz gesprochen. Die Polizei untersuche den Vorfall. Mario Fehr, Vorsteher der Sicherheitsdirektion, sieht auf jeden Fall keinen Handlungs- oder Änderungsbedarf. Stattdessen beschimpft er die zwei Verzweifelten: Die abgewiesenen Geflüchteten in Urdorf seien straffällig und würden sich um Sicherheitsmassnahmen foutieren. Zudem würden sie «sich und andere mit ihrem Verhalten in Gefahr bringen». Fehr ist Vorsteher der Direktion, die den Bunker nicht schliessen liess, die sich bis anhin um das Wohl der Menschen darin foutierte und die nach einer solchen Verzweiflungstat von zwei Menschen nichts Besseres zu tun hat, als diese zu beschimpfen. Heute Nacht wurden zudem die Leute in Quarantäne wieder in den Bunker in Urdorf zurück verfrachtet: Wo Unrecht zu Recht wird!
https://www.tagesanzeiger.ch/im-erlenhof-sind-zwei-personen-aus-dem-fenster-gestuerzt-641650264880
https://www.20min.ch/story/zwei-personen-stuerzen-aus-fenster-polizei-ermittelt-393036826453
https://www.zh.ch/de/news-uebersicht/medienmitteilungen/2020/10/erlenhof-polizeipraesenz-noetig-damit-sich-straffaellige-asylbewerber-an-schutzmassnahmen-halten.html
https://www.zsz.ch/polizeieinsatz-in-zuerich-wegen-fenstersturz-von-asylbewerbern-444879866589
https://www.telezueri.ch/zuerinews/asylbewerber-stuerzen-bei-flucht-aus-quarantaene-aus-dem-fenster-139421192
https://twitter.com/crls__/status/1313821076296790017
https://www.republik.ch/2020/10/08/nieder-niederer-mario-fehr
https://www.nzz.ch/zuerich/nach-kritik-an-asylpolitik-buergerliche-staerken-mario-fehr-den-ruecken-ld.1580705
https://www.tagesanzeiger.ch/betreiberfirma-des-notspitals-dementiert-chaotische-zustaende-363979442705
Lesenswerte Artikel dazu im Ajour Magazin und in der WOZ:
https://www.ajourmag.ch/corona-im-bunker/
https://www.woz.ch/2041/corona-im-bunker/das-risiko-war-bekannt
Bild: https://www.ajourmag.ch/corona-im-bunker/

Was nun?

Bundesgerichtsurteil: Keine Administrativhaft ohne Aussicht auf durchsetzbare Abschiebungen
Das Bundesgericht musste die Freilassung eines Geflüchteten aus der Durchsetzungshaft anordnen. Aufgrund der Corona-Pandemie sei weder die Abschiebung noch die sogenannte “freiwillige Rückreise” in absehbarer Zeit möglich. Es finden aktuell praktisch keine Flüge nach Mali statt, wohin das Migrationsamt des Kantons Zürich den Mann abschieben will. Somit sei auch die vorbereitende Administrativhaft hinfällig. Uns ist aber wichtig, diese Zwangsmassnahme nicht nur während Corona, sondern allgemein zu kritisieren. “Der Freiheitsentzug ist der stärkste staatliche Grundrechtseingriff überhaupt und darf aus menschenrechtlicher Sicht nur als ultima ratio angewendet werden. Anstatt Haftalternativen systematisch einzusetzen, verfolgt die Schweiz aber im Bereich der Administrativhaft eine uneinheitliche und willkürliche Inhaftierungspraxis, welche das rechtsstaatliche Verhältnismässigkeitsprinzip zu grossen Teilen ignoriert,” heisst es in einem Bericht von AsyLex.
Lasst uns diese Nachricht verbreiten, damit niemensch unnötig in Durchsetzungshaft sitzen bleibt. Denn diese wird nicht automatisch auf ihre “Rechtsmässigkeit” überprüft, sondern muss in einem individuellen Verfahren überprüft werden.
https://www.bger.ch/files/live/sites/bger/files/pdf/de/2C_408_2020_2020_10_08_T_d_11_14_30.pdf
https://www.tagesanzeiger.ch/abgewiesener-asylsuchender-muss-aus-haft-entlassen-werden-670984470059
https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/migration-asyl/administrativhaft-kritik-alternativen

Wo gabs Widerstand?

Kundgebung fordert Schliessung des Bunkers in Urdorf
Gegen hundert Personen haben sich am Donnerstagnachmittag um 16 Uhr an der Langstrasse und der Lagerstrasse zu einer unbewilligten Kundgebung zusammengefunden. Sie solidarisierten sich mit den abgewiesenen Asylbewerbern, die der Kanton im ehemaligen Pflegezentrum Erlenhof an der Lagerstrasse untergebracht hat. Die Demonstranten forderten, dass die Asylbewerber nicht mehr in den Bunker Urdorf zurückkehren müssen. Dort waren die 36 Personen untergebracht, bis ein Teil von ihnen an Corona erkrankte. Eine Sprecherin sagte an der Kundgebung, der Kanton sei genau vor dieser Situation gewarnt worden, habe aber nie reagiert. Nachdem die geflüchteten Menschen am Sonntag Abend wieder zurück in den Bunker transportiert wurden, veröffentlichte die Gruppe ‘Urdorf schliessen’ folgende Mitteilung: “Sonntag Abend haben sich die die Zürcher Behörden still und heimlich daran gemacht, die rund 36 geflüchteten Menschen aus dem Notspital Erlenhof gegen ihren Willen in den Bunker Urdorf zurück zu transportieren. An genau jenen Ort also, wo zuvor eine grosse Anzahl an Geflüchteten sich mit dem Coronavirus infiziert hatte.
Obwohl auf die Gefahr einer Massenansteckung mehrfach, intensiv und von vielen Seiten her aufmerksam gemacht wurde – unter den miserablen Lebensbedingungen im Bunker sind weder Social Distancing noch das Einhalten der einfachsten hygienischen Regeln möglich – hat der Kanton den Bunker offen gelassen, und damit die Erkrankung der geflüchteten Menschen bewusst in Kauf genommen. So verbrachten diese Personen die letzten 10 Tage in Quarantäne im ehemaligen Pflegezentrum Erlenhof an der Zürcher Lagerstrasse. Nun wurden die geflüchteten Menschen in den Bunker zurückgebracht, obwohl die Behörden sich der Gefahr einer erneuten Ansteckung durchaus bewusst sind!
Wie gross die Verzweiflung der Bewohner*innen ist, wurde letzte Woche sichtbar, als zwei der Betroffenen, deren Coronatests negativ zurückkamen, bei einem Fluchtversuch aus dem Fenster sprangen und sich dabei ernsthaft verletzten. Die Reaktion von Sicherheitsdirektor Mario Fehr auf diesen Vorfall – er beschimpfte die verletzten Geflüchteten als unsolidarisch und kriminell – veranschaulicht den menschenverachtenden Charakter des Schweizer Asylsystems exemplarisch. In diesem System werden Menschen nicht als Menschen wahrgenommen, sondern als Problem, das es zu beseitigen gilt. Dagegen kämpfen wir an!
Wir zeigen uns solidarisch mit den Menschen, deren Schicksal immer und immer wieder von den Behörden über ihre Köpfe hinweg besiegelt wird. Wir verurteilen diesen diskriminierenden Umgang mit geflüchteten Personen aufs schärfste und fordern eine angemessene Unterbringung.
Wir fordern, dass Kanton und Regierung die körperliche wie auch psychische Unversehrtheit und Würde aller Menschen wahrt. Wir zeigen uns solidarisch mit Menschen mit Fluchterfahrung überall, sei es in Moria, Urdorf oder an der Lagerstrasse in Zürich. Leisten wir gemeinsam Widerstand gegen das menschenverachtende Schweizer Migrationsregime, das mithilfe rassistischer Abschottungs- und Lagerpolitik bereits mehrfach diskriminierte Personen daran hindert, in Würde und Sicherheit zu leben.”
https://www.tagesanzeiger.ch/damit-ueberschreitet-mario-fehr-grenzen-335817411740
https://www.zsz.ch/kundgebung-in-zuerich-fordert-schliessung-von-rueckkehrzentrum-788064269607
https://www.tagesanzeiger.ch/bankraeuber-hat-gleich-drei-filialen-ueberfallen-mann-mit-messer-verletzt-polizisten-in-winterthur-490756580416
https://www.landbote.ch/kundgebung-in-zuerich-fordert-schliessung-von-rueckkehrzentrum-788064269607
https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/kundgebung-in-zuerich-fordert-schliessung-von-rueckkehrzentrum-00143106/
https://www.telezueri.ch/zuerinews/fenstersturz-im-kreis-4-entfacht-streit-um-asylunterbringung-in-zuerich-139432642

Evakuieren Jetzt – Demo
Am Samstag fand in Bern eine Demo für die sofortige Aufnahme der Menschen aus dem Lager Moria und ein Ende der menschenverachtenden Situation an den EU-Aussengrenzen statt. Rund 4.000 Menschen nahmen am Protest gegen die europäische Asylpolitik teil. Es gab zahlreiche Reden und musikalische Beiträge, unter anderem von ROTA – Migrantische Selbstorganisation, Watch The Med – Alarmphone, Exit Racism Now, Migrant Solidarity Network und Aziz.
Anbei die an der Kundgebung gehaltene Rede von Amar Salim, Aktivist bei Stop Isolation:
“Evakuieren Jetzt! Die Forderung der Demonstration in Bern ist richtig und wichtig. Zu viele von uns (geflüchteten) Migrantinnen und Migranten mussten am eigenen Leibe erfahren, wie entwürdigend und entrechtend das Camp Moria auf Lesbos ist. Dieser Ort bietet keine Sicherheit. Wir übertreiben nicht. Europa schafft aktuell an seinen Aussengrenzen das Recht auf Asyl ab.
Es macht Hoffnung, da nun Menschen, NGOs, Kirchen und sogar Städte die Kälte des Bundesrats kritisieren und die Aufnahme von Geflüchteten fordern. Wer sich aber über Moria empört, soll zur Isolation in den Asylcamps der Schweiz nicht schweigen. Wer Moria entkommt, landet hier leider in offenen Gefängnissen.
Die Freiheitsbeschränkungen in den Bundesasylzentren gehen soweit, dass sie sogar von der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter überwacht werden müssen. Sind dies für potentiell traumatisierte Folteropfer gute Bedingungen? Auch wer in einen Kanton transferiert wird, erlebt Isolation. Im Kanton Bern z.B. dürfen Geflüchtete mit einer vorläufigen Aufnahme erst in eine Wohnung ziehen, wenn sie eine 60%-Stelle und zertifizierte Deutschkenntnisse vorweisen können. Schaffen sie es nicht, bleiben sie im Asylcamp stecken. Ist das eine ernsthafte Perspektive, um hier Fuss zu fassen? Isolation macht etwas mit uns. Wir sind geflohen, um zu leben, aber hier werden viele von uns müde. Diesen Sommer hat sich ein Freund an einer Demonstration selbst angezündet. Es war ein Hilfeschrei. Andere gehen im Stillen. Selbsttötungen gehören zum traurigen Alltag in Asylcamps. Warum interessiert dies nicht?
Am untersten Ende dieses Asylsystems regt sich nun aber organisierter Widerstand. Immer mehr von uns wollen das Leben mit den acht Franken pro Tag, die Isolation und die Angst abgeschoben zu werden, nicht mehr hinnehmen. Mit unseren Forderungen haben wir uns an das Staatssekretariat für Migration gewandt. Dieses hat uns zu den kantonalen Behörden geschickt. Diese haben uns ans Parlament verwiesen. Dort heisst es, das Volk entscheidet über unsere Lebensperspektiven. Aber wir können nicht mehr warten.
Wir leben jetzt. Statt diskriminierende Nothilfe brauchen wir Gleichstellung. Warum werden wir anders behandelt als Europäerinnen und Europäer? Sie erhalten Aufenthaltsbewilligungen, sobald sie einen Job finden. Warum werden wir wegen „illegalen Aufenthalts“ wiederholt gebüsst oder in Haft genommen, während Schweizerinnen und Schweizer für ein Delikt nur einmal bestraft werden dürfen? Warum haben Härtefallgesuche für ein Bleiberecht in der Praxis erst nach zehn Jahren eine Chance, obwohl gesetzlich fünf Jahre Aufenthalt verlangt wären?
Unsere Bewegung #StopIsolation ist nicht „undemokratisch und unsolidarisch“, wie uns das der Berner Regierungsrat Philippe Müller vorwirft. Wenn Unrecht zu Recht wird, müssen wir uns organisieren und protestieren. Es gibt immer Handlungsspielräume. Wir wollen alles unternehmen, dass sie für uns, statt gegen uns genutzt werden.”

Was steht an?

Aktionstage gegen Asyllager
16. – 18.10.2020 I dezentral und selbstorganisiert
Im Mai 2020 sind verschiedene rassistische Gewalttaten gegen Menschen im Bundesasyllager in Basel an die Öffentlichkeit gelangt. Ausgeübt wird diese Gewalt von Mitarbeitenden der Firma Securitas AG, die mehrfach und gezielt Menschen schikanieren, misshandeln, verprügeln und teils schwer verletzen. Hinter den Securitas stecken die ORS (Lagerverwalterin) und das Staatssekretariat für Migration (SEM). Diese und weitere Verantwortliche ermöglichen erst diese Gewalt, denn sie ist notwendig für das reibungslose Funktionieren des gesamten perfiden Migrationsregimes. Mit den Gewalterlebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen war von den betroffenen Menschen ein kämpferischer und widerständiger Akt. Dafür werden sie aber mit Gegenanzeigen und Versetzungen in andere Lager bestraft. Diese Gewalt hat System. Sie kann erst aufhören, wenn es keine Lager mehr gibt und die verantwortlichen Institutionen abgeschafft wurden. Machen wir unseren gemeinsamen Widerstand und unsere Solidarität während den Aktionstagen erneut sichtbar! Lasst uns selbstorganisiert und dezentral durch verschiedenste Aktionsformen das Lagersystem untergraben, bis es zerbricht!
https://barrikade.info/article/3891

Geflüchtete haben das Wort
31.10.2020 I 14.00 Uhr I Münsterhof Zürich
Geflüchtete präsentieren ihre Erfahrungen und ihre Forderungen für einen gleichberechtigten Zugang zur Bildung.
https://bildung-jetzt.ch/agenda/event-five-ary37

Basel Nazifrei: Demo!
28.11.20 I 16.00 Uhr I Theaterplatz Basel
Genau zwei Jahre ist es her, dass die Neonazis von der PNOS aus Basel verjagt wurden – durch eine riesige Gegendemonstration mit rund 2‘000 Menschen. Im Nachgang der Basel Nazifrei Demo rollte eine riesige Repressionswelle an: über 60 Strafverfahren wurden eröffnet und etliche Hausdurchsuchungen durchgeführt. Seit Juli 2020 laufen die Prozesse und Demonstrierende wurden – teilweise aufgrund der schlichten Anwesenheit an der Demo – zu mehrmonatige Gefängnisstrafen verurteilt.Wir sehen die laufenden Prozesse als massiven politischen Angriff, als autoritären Einschüchterungsversuch. Dagegen müssen wir uns jetzt wehren – und zwar alle gemeinsam! Es gilt zu verhindern, dass sich neue Repressions-Standards durchsetzen und damit Protest auf der Strasse erschwert wird. Lassen wir die Kriminalisierung von sozialen Bewegungen nicht zu! Zeigen wir gemeinsam, dass diese Einschüchterung nicht funktioniert!
https://barrikade.info/article/3918

Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Die ausländerrechtliche Administrativhaft – Kritik und Alternativen
Die ausländerrechtliche Administrativhaft erlaubt es den Schweizer Behörden Ausländer*innen ohne Aufenthaltsbewilligung zur Sicherstellung ihrer Ausschaffung zu inhaftieren. Die oft willkürlich erscheinende Anordnung und die repressiven Haftbedingungen sind menschenrechtlich unhaltbar.
https://www.humanrights.ch/de/ipf/menschenrechte/migration-asyl/administrativhaft-kritik-alternativen

Pushbacks auf See, schwimmende Barrieren, Offshore-Internierung
Durch Recherchen der Zeitungen Guardian und Fiancial Times wurden in den vergangenen Tagen Details über Gedankenspiele und Testläufe eines radikalisierten britischen Grenzregimes bekannt. Im Mittelpunkt der Überlegungen stehen Pushbacks an der französisch-britischen Seegrenze in der Mitte des Ärmelkanals, die mögliche Errichtung einer schwimmenden Barriere und Offshore-Internierungen von Channel crossers nach australischem Vorbild.
https://calais.bordermonitoring.eu/2020/10/03/pushbacks-auf-see-schwimmende-barrieren-offshore-internierung/?fbclid=IwAR0s5QVUMAwhHeSi3w08e07xoiy_E0E5xkx1NvOsZYxL1HXxwYXzOPUoNB0

White Fragility – Warum Weisse Rassismus so leicht übersehen (Podcast)
Rassisten sind Nazis, denken wir. Was aber, wenn in jedem unabhängig von der politischen Gesinnung ein*e Rassist*in steckt? Wenn unsere Gesellschaft auf rassistischen Ideen beruht? Gerade Weisse wehren sich gegen diese Vorstellung. Das Konzept dahinter heißt: white fragility.
https://www.br.de/mediathek/podcast/zuendfunk-generator/white-fragility-warum-weisse-rassismus-so-leicht-uebersehen/1806480

Weisse Kultur? – Kulturplatz
Die Solidarität mit der «Black Lives Matter»-Bewegung war gross unter Schweizer Kulturinstitutionen. Doch haben «People of Colour» Zugang zur Kultur in der Schweiz? Wie stark sind sie vertreten an den grossen Häusern der Kunst? «Kulturplatz» über den Mangel an Diversität in der Kulturlandschaft.
https://www.srf.ch/play/tv/kulturplatz/video/weisse-kultur?urn=urn:srf:video:f122c18c-0108-4ed4-a4be-a9e1793e84f1

Was weiter geschah: Harsche Kritik am Basler Strafgericht
«Die ‹Basel Nazifrei›-Prozesse sind unfair», schreiben sechzehn AnwältInnen in der «Basler Zeitung» («BaZ») vom Samstag – als Replik auf ein Interview mit dem Gerichtspräsidenten René Ernst (SP). Dieser verurteilte jüngst eine Antifaschistin zu acht Monaten Gefängnis, weil sie sich 2018 der rechtsextremen Pnos-Kundgebung in den Weg gestellt haben soll. KritikerInnen wie der ehemalige Strafgerichtspräsident Peter Albrecht warfen Ernst daraufhin vor, ein politisches Urteil gefällt zu haben. Eine «faktenfreie Unterstellung», verteidigte sich dieser in einem Interview in der «BaZ». Die Pnos-Kundgebung sei bewilligt gewesen, und «am Ende ist Gewalt Gewalt und lässt sich nicht rechtfertigen durch eine politische Gesinnung».
https://www.woz.ch/2041/was-weiter-geschah/harsche-kritik-am-basler-strafgericht