Medienspiegel 12. September 2020

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+++BERN
bernerzeitung.ch 12.09.2020

Stimme der Migranten: In den Rückkehrzentren brodelt es

Abgewiesene Asylsuchende, die teils seit Jahren in Asylunterkünften ausharren, organisieren sich. Ihre Forderungen werden nicht gehört, doch die Bewegung wächst.

Chantal Desbiolles

Der Druck steigt. Seit der Kanton Bern seine Asylunterkünfte unter neuen Vorzeichen als Rückkehrzentren betreibt, haben sich die Lebensbedingungen der dort Untergebrachten deutlich verschlechtert.

Dahinter steckt politisches Kalkül, denn Leute wie Amar Salim sollen hier nicht bleiben. Der 26-jährige Kurde aus dem Irak, der seit fünf Jahren in der Schweiz lebt und zwei negative Asylbescheide vorweisen kann, ist seit drei Jahren in der Einrichtung in Biel-Bözingen in einer Baracke, in der bis zu 20 Personen auf engstem Raum leben.

Bilder von verschmutzten und beschädigten Toiletten und Duschen wurden öffentlich, neben Entsetzen war auch für Hohn und Spott gesorgt. Salim windet sich, wird nicht mehr gerne darauf angesprochen. «Wir haben kein Problem mit dem Putzen», stellt er klar. Das sei aber offensichtlich nicht ganz einfach, wenn fast zwei Dutzend Frauen wie Männer dieselbe Dusche nutzten. Die zweite sei längere Zeit über kaputt gewesen, ebenso die Beleuchtung in einem der Container während etwa zweier Monate. Beides sei von der neuen Betreiberin nicht repariert worden.

Disziplin und Kontrolle

Seit die ORS AG diese und die Unterkünfte in Aarwangen, Gampelen und Konolfingen im Auftrag des Kantons seit Juli zu unwirtlicheren Orten für die Bewohnerinnen und Bewohner gemacht hat, müssen die abgewiesenen Asylsuchenden hier täglich während mindestens zweier Stunden anwesend sein, um nicht Gefahr zu laufen, die Nothilfe im Umfang von 8 Franken pro Tag und ihren missliebigen Platz zu verlieren. «Wer nicht unterschreibt, erhält kein Geld, und wer mehrmals fehlt, muss gehen», erzählen Asylsuchende aus dem Rückkehrzentrum Aarwangen. Diese Disziplinierung und Kontrolle, sie mache krank.

«Alles hat sich geändert», sagt Salim, der von «offenen Gefängnissen» spricht oder Begriffe wie «Isolationshaft» als Vergleich herbeizieht. «Wir haben gar keine Rechte mehr.» Selbst Besuch ist verboten, begründet wird das mit der Corona-Pandemie. Medienschaffende werden überdies mit der Begründung abgespeist, dass sich das neue Regime erst einspielen müsse. Deswegen sind Reportagen aus den Rückkehrzentren derzeit nicht erwünscht.

Eine Frage der Deutungshoheit

Die Deutungshoheit über die Zustände vor Ort haben daher erst recht gut organisierte und sendungsbewusste Direktbetroffene wie Salim übernommen. Er ist einer von zwei Sprechern von «Stop Isolation», unter diesem Namen haben sich abgewiesene Asylsuchende zusammengetan und Forderungen aufgestellt. Rund 700 abgewiesene Asylsuchende gibt es im Kanton Bern, davon haben sich Salim zufolge fast 200 der politischen Bewegung angeschlossen.

Dass es nicht mehr seien, liege daran, dass viele Geflüchtete Angst davor hätten, zu demonstrieren. Angst vor der Polizei. Amar Salim nicht. Er habe nichts mehr zu verlieren, sagt der 26-Jährige.

«Niemand führt so ein Leben in einem Rückkehrzentrum freiwillig.» Hätte er eine Wahl, beteuert Salim, er würde sie treffen. In den Irak zurückzukehren, stellt für ihn als Kurde keine dar.

Spätestens seit sich im Juli ein 34-jähriger Iraner während einer Demonstration auf dem Bundesplatz in Brand setzte, ist die Not der abschlägig Beurteilten in ein öffentlich breiteres Bewusstsein gerückt. Es ist der verzweifelte Höhepunkt eines Protests, der in Bern und anderswo kein richtiges Gehör findet.

«Unsolidarische» Forderungen

Als «organisierte Show» bezeichnete Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) den Vorfall. Gleichzeitig verurteilte er «Stop Isolation» als Lobbyorganisation, vor deren Karren sich die Medien hätten spannen lassen. Die Geringschätzung ihrer Anliegen: für die Abgewiesenen ein Affront, Müller seither Synonym für die Ignoranz eines Asylsystems, das sie auf der ganzen Linie hängen lässt. «Unsolidarisch» und «undemokratisch» seien die Forderungen, die nach Aufenthaltsbewilligungen verlangen, sich gegen die Isolation in Rückkehrzentren und ständige Kontrollen, Bussen und Haftstrafen wegen illegalisierten Aufenthalts wehren und Respekt und Würde einfordern.

In den Rückkehrzentren brodelt es, erzählen Beobachtende wie Bewohnende. Salim sagt: «Es werden schlimmere Sachen passieren.» Was, will er sich nicht ausmalen. Die Menschen um ihn seien verzweifelt.

Und sie sind offensichtlich immer besser organisiert. Unterstützt durch das Migrant Solidarity Network, das Geflüchtete, Migrantinnen und solidarische Menschen zusammenbringt, fanden seit Juli acht Kundgebungen und Protestaktionen statt. Erst manifestierte sich der Protest vor Ort in Bözingen und Gampelen, dann verlagerte er sich in den öffentlichen Raum und damit auch in das Bewusstsein der Öffentlichkeit: Abgewiesene flüchteten in die Reitschule, stellten sich vor das Staatssekretariat für Migration, riefen auf zur Solidarität. Organisationen und Gruppierungen aus dem links-grünen und humanitären Spektrum bekennen sich, die Bewegung zu unterstützen.

Auf nationalem Parkett

«Wir organisieren uns alle», sagt Salim. Zu Beginn der Session haben sich Vertreter von «Stop Isolation» und vergleichbaren Bündnissen aus anderen Kantonen wie «Nothilfe ohne Zwang» (Zürich), «Drei Rosen gegen Grenzen» (Basel) oder «Poya solidaire» (Freiburg) mit Nationalrätinnen und Nationalräten vor dem Bundeshaus getroffen. Übergeben worden seien Berichte und Forderungen

Bis jetzt sei noch nie eine Forderung durchgesetzt worden, stellt Salim fest. «Aber wir kämpfen bis zum Ende.» Noch in diesem Monat ist eine schweizweite Aktion geplant. Erst gestern fand in Bern eine Gedenkkundgebung statt: für einen geflüchteten Kurden aus dem Iran, der sich am 22. August das Leben nahm.
(https://www.bernerzeitung.ch/in-den-rueckkehrzentren-brodelt-es-703869157832)



bernerzeitung.ch 12.09.2020

Ihr Bruder ist in Moria: «Ich habe das Gefühl, langsam kaputtzugehen»

Rahima Nadri kämpfte bisher vergebens dafür, dass ihr Bruder Mustafa aus Griechenland in die Schweiz kommen kann. Nun kam er bei den Bränden im Flüchtlingslager Moria fast ums Leben.

Dominik Galliker

Mustafa Nadri hat jetzt Wasser, etwas zu essen, und er hat Kleider. Seiner Schwester Rahima schickt er ein Foto: Er steht mit zwei Mitarbeitern der Schweizer SAO Association am Strassenrand. «Schau mal, wie müde und gebrochen er aussieht», sagt Rahima Nadri. Sie ist hier, im Asylzentrum Zollikofen, ihr Bruder 1700 Kilometer entfernt auf der Insel Lesbos. Die letzten Tage waren eine Belastung für die beiden. Das Flüchtlingslager Moria, wo Mustafa Nadri ein Zelt hatte, ist abgebrannt. Er kam mit einer Verbrennung am Arm davon.

Rahima Nadri kam im Mai 2019 mit ihren Eltern in die Schweiz, sie teilen sich im Asylzentrum ein Zimmer. Ihre beiden Schwestern leben schon seit vier Jahren in Bern. Rahima Nadri sagt: «Ich fühle mich nicht als Ausländerin. Ich will ein wertvoller Mensch für dieses Land sein.» Deutsch ist für sie kein Problem, sie besucht das Schuljahr «Praxis und Integration» der BFF Bern und ist Gasthörerin an der Uni. Trotzdem sagt sie: «Ich habe das Gefühl, langsam kaputtzugehen.»

Auf dem Meer getrennt

Auf der Flucht aus Afghanistan wurde Familie Nadri getrennt, erzählt Rahima Nadri. Mustafa sass bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland in einem anderen Boot. Ihre Eltern und sie landeten auf der Insel Samos, er nicht. «Sein Boot ist gesunken. Das sagten uns die Schlepper. Wir dachten, er sei tot.» Familie Nadri konnte in die Schweiz weiterreisen, weil die minderjährige Tochter bereits hier war. Sie wurden vorläufig aufgenommen. «Ein Jahr nach der Trennung hat er uns gefunden. Er rief an und sagte: ‹Hier ist Mustafa.› Ich konnte es nicht glauben und fragte: ‹Welcher Mustafa?›»

Seither sind die beiden permanent in Kontakt. «Wenn ich frage, wie es ihm geht, sagt er immer, alles sei sehr gut, super. Er möchte nicht, dass ich mir Sorgen mache.» Doch Sorgen mache sie sich jeden Tag. «Ich glaube, Moria ist gefährlicher als Afghanistan.» Mustafa hatte anfangs kein Zelt. Er habe von Vergewaltigungen und Schlägereien erzählt. «Einmal schickte er ein Foto von abgetrennten Fingern, die im Dreck lagen. Es habe Streit gegeben. Ich sagte: ‹Die Polizei muss doch helfen.› Er lachte und sagte: ‹Ach, Rahima, du bist naiv.›» Innert vier Monaten habe Mustafa zwölf Kilo Körpergewicht verloren.

Schweiz lehnt Einreise ab

Seit einem Jahr versucht Rahima Nadri, ihren Bruder in die Schweiz zu holen. Sie hat in Bern an jede Tür geklopft. Sogar der UN hat sie geschrieben. Unterstützt wird sie nun von Amnesty International. Zunächst beantragte Familie Nadri beim Staatssekretariat für Migration SEM eine Familienzusammenführung. Abgelehnt. Mustafa ist volljährig und gehört damit nicht zur Kernfamilie. Die Familie machte den psychischen Zustand von Mustafa und den Eltern geltend. Wieder abgelehnt.

Und nun das Feuer. In der Nacht auf Mittwoch brachen im Flüchtlingslager Moria die Brände aus. Mustafa Nadri rief seine Schwester um 1.30 Uhr an: Es gehe ihm gut, aber Moria brenne. «Ich konnte nicht viel sagen, weil ich meine Eltern nicht wecken wollte.» Sie habe Facebook und Google nach News durchsucht. «Es kamen viele Gedanken hoch: Mustafa hat so lange auf meine Hilfe gewartet, aber ich habe nichts geschafft.» Um 4 Uhr habe sie verzweifelt versucht, einzuschlafen; am nächsten Tag war Schule. «Ich sass im Mathematikunterricht und wollte nur noch den Kopf auf den Tisch legen, ich war so erschöpft.»

Ihren Eltern möchte Rahima Nadri möglichst wenig sagen. Sie seien psychisch belastet. «Wenn ich zu Hause bin, muss ich lachen, damit es ihnen gut geht. Ich darf nicht müde sein», sagt sie. Auch die ältere Schwester, die ihre beiden Kinder alleine aufzieht, hat gesundheitliche Probleme. «Ich habe immer viel im Kopf. Ich denke an meine Familie und auch an mich selber», sagt Rahima Nadri, deren Alter vom SEM auf 29 Jahre geschätzt wurde. «Ich bin nicht mehr ganz jung. Ich habe Stress, dass ich schnell eine Ausbildung finden muss.» Sie wolle studieren, weil ihr als Frau dies in Afghanistan nicht möglich gewesen sei. «Aber es ist einfach alles zu viel.»

Zahnpasta als Salbe

Am Mittwochnachmittag, Rahima Nadri wartete im RBS-Bahnhof Bern auf ihren Zug, kam ein Anruf von Mustafa: Es habe in Moria ein zweites Feuer gegeben. «Er sprach ganz schnell: ‹Ich bin fast gestorben, ich bin gerannt, ich habe nichts mehr, Kinder sind verbrannt, alle sind verbrannt, ich bin gerannt.›» Ihr Bruder habe geschlafen, als sein Zelt Feuer fing. Erwacht sei er, als die Flammen seinen Arm erreichten. «Ich wusste nicht, was ich machen soll», sagt Rahima Nadri. «Ich konnte nicht nach Hause und es meinen Eltern sagen.» Schliesslich entschied sie sich, zur Demonstration auf den Bundesplatz zu gehen. «Das war das Einzige, was ich machen konnte. Ich konnte nicht ruhig bleiben.»

Alle Dokumente von Mustafa, sein Geld und seine Kleider seien verbrannt, erzählt Rahima Nadri. «Er rannte in Unterhose und Leibchen aus dem Lager, nur den Pass und das Handy hat er noch.» Er befinde sich nun an einer Strasse nahe dem Meer; die Polizei hindere die Menschen daran, sich frei zu bewegen, weil es in Moria Corona-Fälle gab. Rahima Nadri hat mit der Schweizer SAO Association für Frauen auf der Flucht Kontakt aufgenommen. «Eine Mitarbeiterin erklärte sich bereit, Mustafa etwas Geld von uns und Kleider zu bringen, zudem Wasser und Essen.» Salbe sei nicht erhältlich gewesen, ihr Bruder habe nun Zahnpasta auf die Wunde gestrichen.

In der Schweiz hat sich Rahima Nadri erneut an Amnesty International gewandt. Doch die rechtlichen Mittel sind fast ausgeschöpft. Mustafa Nadri hat keinen Anspruch darauf, dass die Schweiz sein Asylgesuch prüft. Die Hoffnung, die der Familie bleibt, ist, dass die Schweiz aufgrund der humanitären Katastrophe freiwillig Asylsuchende aufnimmt.

«Ich kann gar nicht darüber nachdenken, was passiert, wenn ich scheitere», sagt Rahima Nadri. «Ich kann das nicht akzeptieren. Erst wenn ich eine Lösung finde, kann ich ruhig sein und wieder an meine eigenen Ziele denken.»
(https://www.bernerzeitung.ch/ich-habe-das-gefuehl-langsam-kaputtzugehen-390528273801)



Michael Grossenbacher – Moderator, Lehrer und Protagonist
Aus 2,5 Wochen wurden 5 Jahre. Seit 2016 ist Michael „Grosi“ Grossenbacher in Griechenland unterwegs und unterstützt dort die Menschen in den Flüchtlingslagern. Neben seiner Arbeit an einer Berufsschule und als Moderator ist er nun auch Protagonist im Dokumentarfilm „Volunteer“, in dem es um die Flüchtlingskrise in Griechenland geht.
https://www.neo1.ch/news/news/newsansicht/datum/2020/09/12/michael-grossenbacher-moderator-lehrer-und-protagonist.html


+++BASEL
Basel rennt für Flüchtende
«Sofortige Evakuierung der Lager in Griechenland», so die Forderung am «Lauf gegen Grenzen» in Basel. Auch Basler Politiker äusserten sich bereits dazu.
https://telebasel.ch/2020/09/12/basel-rennt-fuer-fluechtende


Basler Juso fordert Regularisierung von Sans-Papiers
Die Jungpartei fordert die Regierung zum Handeln auf. Der Status von Menschen ohne Aufenthalts¬recht soll geregelt werden.
https://primenews.ch/news/2020/09/basler-juso-fordert-regularisierung-von-sans-papiers


+++ÖSTERREICH
Österreichs Kanzler unter Druck – Kurz: Aufnahme von Menschen aus Moria «wäre Fehler wie 2015»
Sebastian Kurz verteidigt das Nein seiner Regierung zu einer Aufnahme von Flüchtlingen. Doch der Koalitionspartner stellt sich gegen den Entscheid
https://www.tagesanzeiger.ch/kurz-aufnahme-von-menschen-aus-moria-waere-fehler-wie-2015-788785292530


+++GRIECHENLAND
Flüchtlings-Katastrophe auf Lesbos: „Wir haben gesehen, dass die Leute das Abwasser trinken“
Die Lage der Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos ist nach den Bränden im Lager Moria katastrophal. Tausende Menschen campieren unter freiem Himmel. WDR-Reporter sind vor Ort.
https://www1.wdr.de/nachrichten/moria-lagebericht-wdr-reporter-100.html


Flüchtlingslager auf Lesbos: Griechische Polizei setzt Tränengas gegen Migranten ein
Wenige Tage nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria geraten Polizisten und Migranten aneinander. Beamte setzten offenbar Tränengas ein, nachdem sie mit Steinen beworfen wurden.
https://www.spiegel.de/politik/ausland/lesbos-griechische-polizei-setzt-traenengas-gegen-migranten-ein-a-aab73d96-6301-40d7-90ea-96be43cd3a38
-> https://www.nzz.ch/international/das-fluechtlingslager-moria-steht-in-flammen-was-wir-wissen-und-was-noch-unklar-ist-ld.1575717
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-09/fluechtlingslager-moria-polizei-traenengas-migranten-lesbos-brand
-> https://www.tagesschau.de/ausland/moria-191.html
-> https://taz.de/Obdachlose-Fluechtlinge-in-Moria-auf-Lesbos/!5713812/
-> https://taz.de/Nach-dem-Brand-im-Lager-von-Moria/!5713806/


Flüchtlingslager Moria – Rechtsexperte: «Geflüchteten wird das Recht auf Leben verwehrt»
Die Geflüchteten in Moria haben keinen Zugang zum Rechtssystem. Das ist besonders während einer Pandemie verheerend.
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/fluechtlingslager-moria-rechtsexperte-gefluechteten-wird-das-recht-auf-leben-verwehrt


+++MITTELMEER
Rettungsschiff „Alan Kurdi“ wieder im Mittelmeer unterwegs
Das Rettungsschiff „Alan Kurdi“ der Regensburger Hilfsorganisation Sea-Eye ist wieder im Mittelmeer unterwegs. Wie die Organisation mitteilte, habe das Schiff am Freitagabend nach vier Monaten den Hafen der spanischen Stadt Burriana verlassen.
https://www.br.de/nachrichten/bayern/rettungsschiff-alan-kurdi-wieder-im-mittelmeer-unterwegs,SAM25eA


+++JENISCHE/SINTI/ROMA
bielertagblatt.ch 11.09.2020

Fahrende: Wieder mehr Wagen auf Abwegen

Seit der provisorische Transitplatz in Brügg zu ist, rückt die Polizei wieder vermehrt zu Vorfällen mit Fahrenden aus. Auch Biel, Nidau und Orpund verzeichnen mehr illegale Landbesetzungen.

Mengia Spahr

Fahrende parkieren ihre Wohnwagen dieses Jahr wieder vermehrt widerrechtlich. André Glauser, Sicherheitsdelegierter der Stadt Biel, bestätigt diesbezügliche Beobachtungen aus der Bevölkerung. Auch die Gemeindepräsidenten der an Biel grenzenden Gemeinden Orpund und Brügg sowie die Nidauer Gemeinderätin Sandra Friedli (SP) stellen eine Zunahme der illegalen Landbesetzungen fest. Den Grund dafür sehen sie in der Schliessung des provisorischen Transitplatzes in Brügg. «Jetzt haben wir wieder die gleiche Sauerei wie zuvor», ereifert sich Marc Meichtry (Brügg for you), Gemeindepräsident von Brügg.

Jüngstes «Ärgernis» ist eine Gruppe Fahrender mit rund 60 Wohnwagen, die in kleinerer Formation seit dem Frühling dieses Jahres in der Region unterwegs ist und sich zu Beginn der Woche in Brügg ungefragt auf dem Gelände der Sacom AG niedergelassen hat. Eine Sprecherin sagt, es würden derzeit Gespräche mit den Fahrenden geführt. Für die Sacom handelt es sich um eine neue Erfahrung – bislang haben noch nie Fahrende auf ihrem Gelände Halt gemacht.

Geräumt, aber nicht gesäubert

Zuvor waren die rund 60 Wohnwagen während zwei Wochen auf dem grossen Kiesplatz neben dem Bieler Werkhof stationiert. Beim «Bieler Tagblatt» gingen in diesem Zeitraum Meldungen zu Exkrementen und Abfällen in der Velo-
unterführung ein; Passanten ärgerten sich über zugestellte Velowege. Nach Angaben von Glauser gingen beim Polizeiinspektorat drei bis vier Beschwerden aus der Bevölkerung ein. Die Stadt setzte den Fahrenden Ende August ein Ultimatum (das BT berichtete), dann wurde den Besitzern der Wohnwagen bei einer Intervention eine Wegweisungsverfügung mit Frist bis am Sonntag, 6. September, ausgehändigt.

Am Einsatz waren rund 20 Personen aus dem Polizeiinspektorat Biel, der Einwohner- und Spezialdienste der Stadt und der Kantonspolizei beteiligt. Das Grossaufgebot begründet Glauser damit, dass die Angelegenheit «in administrativer Hinsicht ziemlich aufwendig» war. Die Fahrenden hielten sich an die Abmachung, verliessen den Platz zum vereinbarten Zeitpunkt und zogen weiter – nach Brügg. Zurück blieben viele Abfälle und ein ungelöstes Problem.

Ein Déjà-vu

«Zwei Jahre lang gab es keine Probleme», sagt Meichtry, der die widrigen Zustände beim Bieler Werkhof bestätigt: «Das war grausig bei den Unterführungen.» Während des Betriebs des befristeten Transitplatzes in Brügg habe es eine Kontrolle gegeben, man habe die Probleme mit Fahrenden in den Griff bekommen. Das Provisorium, das im Mai 2018 als erstes seiner Art im Kanton Bern eröffnet wurde, war finanziell selbsttragend und hat die Situation in der Region beruhigt. «Man kannte die Leute», das Zusammenleben habe gut funktioniert.

Meichtry, der von sich sagt, über 300 Fahrende zu kennen, ist vom Erfolg des Modells «befristeter Transitplatz» überzeugt: Die beschränkte Zeitspanne sei das Argument, mit dem die Bevölkerung gewonnen werden könne. Seine Idee wäre gewesen, dass sich nach einem Rotationsprinzip alle zwei Jahre eine andere Gemeinde für den Betrieb eines Transitplatzes Verfügung stellt. Man merkt Meichtry die Enttäuschung darüber an, dass keine andere Gemeinde davon überzeugt werden konnte, in einen Turnus einzusteigen – jetzt gebe es wieder dieselbe Situation wie vor dem Mai 2018.

Eine leidige Angelegenheit

Tatsächlich ist die Suche nach Transitplätzen für ausländische Fahrende im Kanton Bern eine leidige Angelegenheit. Vor vier Jahren wurde ein Projekt für einen definitiven Standort in Meinisberg vom Grossen Rat versenkt: Zu teuer und kein optimaler Standort, lautete das Urteil. In der Folge übertrug Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) die Aufgabe, für 2018 zwei Provisorien zu finden, an die Regierungsstatthalter. 2018 eröffnete der Transitplatz in Brügg als einziger Standort. Seit dem Frühling 2019 wird nun auch einer in Gampelen betrieben. Doch in Biel und den umliegenden Gemeinden scheint er keine Abhilfe zu schaffen, wie die Situation in diesem Sommer zeigt. Ein Grund dafür könnte mitunter sein, dass es die französischen Fahrenden wegen der Sprache nach Biel zieht.

Darauf verwies jedenfalls Neuhaus in einem BT-Interview im Herbst 2016. Bereits damals war ausserdem Peter Dietrich, Gemeindepräsident von Gampelen, der Ansicht, ein Transitplatz in der Randgemeine löse das Problem nicht, da die Fahrenden in die Region Biel wollten. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob der für 2024 geplante feste Transitplatz in Wileroltigen überhaupt eine Auswirkung auf die Situation in Biel haben wird.

Weniger problematisch sieht die Angelegenheit Neuhaus‘ Nachfolgerin, Evi Allemann, Vorsteherin der Direktion für Inneres und Justiz. Sie verweist darauf, dass der Platz in Wileroltigen an einer wichtigen Transitroute liegt und schon heute viele ausländische Fahrende dort Halt machen; auf den konkreten Nutzen für die Region Biel geht sie in ihrer schriftlichen Stellungnahme jedoch nicht ein. Der Kanton sei bereit, bis zur Eröffnung des festen Transitplatzes Gemeinden beim Betrieb provisorischer Transitplätze zu unterstützen. Voraussetzung sei allerdings, dass die Gemeinden freiwillig solche anbieten. Allemann räumt weiter ein, dass der Kanton auch nach der Eröffnung des definitiven Transitplatzes auf private Landbesitzer angewiesen sein werde, die geordnete Halte auf ihrem Terrain ermöglichen.

Sind sie unerwünscht, können Fahrende nicht ohne Weiteres weggewiesen werden, da der Wegweisungsartikel im neuen Berner Polizeigesetz als widerrechtlich eingestuft wurde. In Brügg werden derweil als Prävention gegen illegale Landbesetzungen «gerichtliche Verbote» aufgestellt, wie Meichtry berichtet. Laut dem Gemeindepräsidenten greifen viele Privatgrundbesitzer auf diese Methode zurück, um zu verhindern, dass ihr Boden den Transitplatz ersetzt. Die Sacom AG hatte jedoch kein solches Verbot angebracht.

Es gibt auch gute Referenzen

Das wilde Campieren der rund 60 Wohnwagen, die aktuell auf dem Gelände der Sacom stehen, hätte auch der Transitplatz in Brügg nicht auffangen können. Wie der Gemeindepräsident von Orpund, Jürg Räber (SP plus), feststellt, hätte eine solch grosse Gruppe in Brügg gar keinen Platz gefunden. Der provisorische Transitplatz war nämlich für 20 bis 25 Wohnwagen ausgelegt. Meichtry gibt denn auch an, dass ihm die Fahrenden unbekannt seien.

Der Brügger Gemeindepräsident schlägt vor, Fahrenden ähnlich wie bei der Wohnungssuche Referenzen auszustellen. Denn er warnt davor, «alle in denselben Topf zu werfen»: Die Gruppe, die zurzeit auf dem ehemaligen Expo-Gelände Halt macht, verhalte sich beispielsweise vorbildlich. Derselben Meinung ist Sandra Friedli. Auch die Nidauer Gemeinderätin beteuert, dass sich die Leute korrekt verhalten, und bei der Vorgängergruppe habe es ebenfalls keine Zwischenfälle gegeben.

Wie in Nidau kam es auch in Orpund dieses Jahr bisher zu zwei illegalen Landbesetzungen. Räber zufolge gab es keine problematischen Vorfälle, was damit zusammenhängen dürfte, dass sich die Fahrenden nicht auf privaten Grundstücken niederliessen, sondern auf Kantonsboden in unmittelbarer Nähe der Autobahn. Nach seinen Angaben verweilte im Sommer ein Teil der «Werkhof-Sacom-Gruppe» in Orpund. Im Herbst sei dann eine Gruppe aufgekreuzt, welche die letzten zwei Jahre auf dem provisorischen Transitplatz in Brügg stationiert war. Dass diese heuer illegal Land besetzt, zeigt erneut: Das Brügger Provisorium fehlt.


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Polizei kam mit Wasserwerfern: Illegale Strassenparty zieht durch Bern
Etwas ausserhalb der Stadt Bern hat sich am Samstagabend eine illegale Party auf der Strasse gebildet. Augenzeugen berichten von mehreren Musikwagen und gut 800 Personen.
https://www.20min.ch/story/illegale-strassenparty-zieht-durch-bern-271851807397



bernerzeitung.ch 12.09.2020

Feministische Sondersession: Hier werden die Stimmen der Frauen gehört

Zwei Tage lang diskutieren in Bern Frauen über Themen, die sie beschäftigen und die, wie die Veranstalterinnen sagen, in der Politik oft vergessen werden.

Lea Stuber

Wer hier drin gehört werden will, muss die Stimme erheben. Nebenan rattern von Zeit zu Zeit Züge Richtung Bahnhof Bern, in einer Ecke toben die Kinder, Stühle rücken. Die Stimmen hallen an diesem Samstagmorgen nur so durch die Grosse Halle der Berner Reitschule.

Grosse Halle statt Bundeshaus, zwei Tage statt drei Wochen: Die Feministische Sondersession ist deutlich kleiner als die Herbstsession des National- und Ständerates. Und doch ist sie ziemlich gross. Dafür, dass eine kleine Gruppe von Frauen aus dem Berner Frauenstreikkollektiv und der Eidgenössischen Kommission dini Mueter (EKdM) in kurzer Zeit über 20 Workshops für dieses Wochenende auf die Beine gestellt hat – plus Ansprachen, Filme und einen eigenen Chor.

Das Ziel der Organisatorinnen, die dafür via Crowdfunding über 10’000 Franken sammelten: Anliegen von Frauen sollen nicht vergessen werden. Ihre Kritik: Genau das sei während des Corona-Lockdown passiert.

Während an anderen Orten in der Halle (und zum Teil online) über Mutterschaft und Mutterschutz, über politische Partizipation oder Migration und Rassismus diskutiert wird, über Kinderbetreuung, Gesundheit oder Gewalt gegen Frauen, spricht der eine Workshop ganz hinten in der Halle über Geld – und die Frauen merken rasch: über all die anderen Themen im Grunde auch.

Über die Zahlen reden

Frauen arbeiten viel und verdienen im Vergleich zu Männern wenig. Was heisst das? Gut ein Dutzend Frauen sitzt im Kreis, junge und ältere, aus Bern, auch aus dem Aargau, Luzern oder Zug, eine Psychologin, eine Kinderbetreuerin oder eine Frau aus dem Literaturbereich. Sie hören Zita Küng und Claudia Kaiser vom Verein Feministische Fakultät zu, die ausholen und verständlich machen, was so abstrakt ist.

Erstens: Jahr für Jahr haben Frauen in der Schweiz 100 Milliarden Franken weniger Einkommen als Männer. Und das, obwohl Frauen gleich viele Stunden arbeiten wie Männer. Kopfschütteln, leises Gemurmel, manche notieren mit.

Zweitens: Die unbezahlte Arbeit – also Kinder betreuen, kochen oder putzen –, die Frauen in einem Jahr erledigen, hat einen Wert von 248 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Das ist mehr Geld, als Bund, Kantone und Gemeinden in einem Jahr ausgeben.

Drittens: Frauen arbeiten jährlich allein für die direkte Betreuung von Kindern 1 Milliarde Stunden. Das sind beinahe doppelt so viele Stunden, wie Männer auf dem Bau arbeiten. Diese drei Zahlen hat Ökonomin Mascha Madörin berechnet.

Eine Frau, etwas älter schon, sagt: «Wenn es um finanzielle Zusammenhänge geht, hört man solche Zahlen selten. Dabei bilden diese haargenau meine Welt ab. Das ist erschreckend!» Ständig würden alle sagen, dass man es ja selber in der Hand habe. «Das stimmt einfach nicht, das macht mich wütend.» Als die Kinder geboren waren, habe sie mit ihrem Mann ausgerechnet, wer wie viel verdient. «Es war keine Wahl, dass ich die Kinder betreut habe.» Eine jüngere ergänzt: «Und man hat Mühe mit zwei Wochen Vaterschaftsurlaub! Das schockiert mich.»

Über Arbeit und Zeit reden

Die Frauen reden über Arbeit und Zeit, diskutieren über die Altersvorsorge und die Arbeitsbedingungen. Zita Küng sagt: «Die Frauen haben keine Zeit, mehr Geld zu verdienen.» Die Familie werde oft als Privatsache angeschaut, meint eine Frau. Das verunmögliche eine Diskussion darüber, wie die unbezahlte Arbeit zu Hause entschädigt werden könnte. Die Frauen sind sich einig: Dafür muss gesamtgesellschaftlich eine Lösung gefunden werden.

Und natürlich geht es auch um die Corona-Krise. Um die unbezahlte Arbeit, die mit dem Fernunterricht und den geschlossenen Kitas während des Lockdown zugenommen hat und auch jetzt zunimmt, wenn ein Schulkind in die Quarantäne muss. Um Berufe, die zwar als «systemrelevant» anerkannt wurden – die Pflege, die Kinderbetreuung, die Bildung –, die deswegen aber keine besseren Löhne haben. Es ist keine neue Diskussion, aber eine, die politisch noch nicht wirklich geführt wurde.

Eine Frau sagt: «Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir bewusst: Wir müssen mutig sein und die Machtfrage stellen. Früher hiess es, Frauen seien weniger gut ausgebildet als Männer, darum verdienten sie weniger. Dieses Argument gilt heute nicht mehr.» – «Wir empören uns – aber es passiert nichts», erwidert eine Frau und nennt als Beispiel den Appel an den Bundesrat und das Parlament, in dem über 70 Organisationen forderten, dass im Corona-Krisenstab mehr Frauen vertreten sind. Und dann sagt eine der Frauen: «Es ist schön zu sehen, dass ich nicht alleine bin.»

Und bevor die Frauen von ihren Stühlen aufstehen und sich aufmachen zum Mittagessen und zum nächsten Workshop, hat eine Frau einen Hinweis für die anderen. In einer anderen Ecke der Grossen Halle werde später an diesem Tag über einen möglichen Frauenstreik im nächsten Jahr diskutiert. «Dann werden wir sehen: Wie geht es weiter?»
(https://www.bernerzeitung.ch/hier-werden-die-stimmen-der-frauen-gehoert-564184074514)


+++ANTITERRORSTAAT
Unterdrückung politischer Opposition – UNO: Antiterrorgesetz verstösst gegen Menschenrechte
Experten der UNO kritisieren das geplante Antiterrorgesetz der Schweiz: Es wäre ein gefährlicher Präzedenzfall für die Unterdrückung politischer Opposition weltweit.
https://www.derbund.ch/uno-antiterrorgesetz-verstoesst-gegen-menschenrechte-312578710379


+++POLICE BE
derbund.ch 12.09.2020

Racial Profiling – «Diskriminierende» Kontrollen: Polizei und Betroffene im Dialog

Überprüft die Polizei grundlos Menschen wegen ihrer Hautfarbe? Die Berner Kantonspolizei und People of Color sprechen sich aus.

Sven Niederhäuser

Die Anspannung ist in der Luft zu spüren: An diesem Abend treffen sich im Berner Kornhausforum Menschen, die sonst nicht so offen miteinander kommunizieren. Polizistinnen und Polizisten sitzen mit People of Color zusammen. Gesprächsthema: Racial Profiling, also Personenkontrollen aufgrund der Hautfarbe.

Die betroffenen Personen kritisieren die Kantonspolizei. Oftmals werde für eine Kontrolle kein Grund genannt. Das wäre nicht korrekt, betont Manuel Willi, Chef der Regionalpolizei, und fügt an: «Erst bei Verdachtsgründen dürfen wir eine Person kontrollieren.» Der Grund der Kontrolle müsse kommuniziert werden. Damit geben sich die Anwesenden nicht zufrieden. Sie beanstanden vor allem die Willkür der Polizei. Diese könne ja als Grund angeben, was sie wolle, und es müsse akzeptiert werden.

Eine solche öffentliche Veranstaltung ist schweizweit einzigartig. Organisiert hat sie Anfang September die unabhängige Beratungsstelle Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus (gggfon). Die «Black Lives Matter»-Bewegung aus den USA gibt ihr eine zusätzliche Brisanz. Trotzdem nehmen nur rund 20 Personen teil. Gut die Hälfte davon sind People of Color, einige gehören zum Swiss African Forum. Dazu kommen drei Personen von der Kantonspolizei und ein Vertreter der städtischen Sicherheitsdirektion.

Probleme bei Kontrollen

Ein Mann erzählt, dass er sich bei Personenkontrollen unwohl fühle. Dadurch antworte er oft etwas respektlos. Im Nachhinein sei ihm das jedoch bewusst und es tue ihm leid. «Ich fühle mich anders, wenn ich diskriminiert werde.» Er ist einsichtig, findet aber, dass beide Seiten ihre Aggressivität etwas zügeln sollten.

Ein anderer wünscht sich, dass die Kontrollen diskreter durchgeführt würden. «Wenn ich mitten im Bahnhof kontrolliert werde, denken alle, der hat sicher etwas verbrochen.» Somit würden die Vorurteile nur verstärkt werden. «Ich möchte auf den Posten gehen, damit es niemand sieht.» Willi hat dafür Verständnis, sieht darin aber auch negative Seiten. «Wenn Sie durch den Bahnhof begleitet werden, sehen das auch alle.» Zudem gebe es Personen, die die Kontrolle möglichst schnell hinter sich bringen möchten.

«Auch wir machen Fehler»

Was an diesem Abend immer wieder zur Sprache kommt, sind die Gründe für eine Personenkontrolle. Diese seien oft vorgeschoben, so der Vorwurf. Ganz kann die Polizei diesen nicht ausräumen. Selbst Philippe Michelfelder von der stationierten Polizei Bern sagt: «Man findet theoretisch immer einen Grund für eine Kontrolle.»

Fest steht: Wer von der Polizei nach Name oder Ausweis gefragt wird, muss Auskunft geben. Wer dies nicht mache, riskiere eine Anzeige wegen Namensverweigerung, so Michelfelder. «Du zeigst besser zuerst deinen Ausweis und beschwerst dich danach.»

Bei einer ungerechten oder diskriminierenden Personenkontrolle kann dagegen mittels Beschwerde bei der Polizei vorgegangen werden. Personen können sich aber auch bei einer unabhängigen Beratungsstelle wie dem gggfon melden. Seit über einem Jahr seien bei ihnen bereits 18 Meldungen zur Thematik Racial Profiling eingegangen, sagt Giorgio Andreoli von gggfon. «Sie betreffen allerdings nicht nur die Kantonspolizei, sondern auch Grenzwache und Transportpolizei.»

Dagegen seien bei der Kantonspolizei selbst nur eine Handvoll Beschwerden eingegangen, sagt Willi. Er verstehe auch, dass Angst ein Grund dafür sein könne. «Deshalb ist es gut, dass es unabhängige Zwischenstellen gibt.» Selbst der Chef der Regionalpolizei gibt zu, dass nicht immer alles sauber abläuft. «Auch wir machen Fehler.» Zudem könne er seine Hand nicht für alle ins Feuer legen. «Ich kann nicht sicher sagen, dass es niemals zu Racial Profiling gekommen ist.» Jedoch sei der Kantonspolizei bisher kein Fall bekannt.

Hilft eine Beschwerde?

Beschwerden sind für Willi der zielführende Weg, um allfällige Probleme mit Racial Profiling zu erkennen. «Wenn sich jeder beschwert, der sich nicht korrekt behandelt fühlt, sehen wir auch, wenn sich Mitarbeitende nicht korrekt verhalten.» Wichtig dabei ist, dass der Name des Polizisten sowie Ort und Datum des Vorfalls bekannt sind.

Die Meldungen nehme man sehr ernst, sagt der Chef der Regionalpolizei. Darauf folge eine interne Abklärung. Je nach Schwere des Vergehens würde diese auch extern weitergeführt werden. «Die Konsequenzen können von einem Verweis bis zu einer Entlassung führen.» Zum Projekt Dialog III (siehe Box) gehört zudem, dass die Polizei den Beschwerdeführerinnen ein Gespräch anbietet. Allenfalls kann jemand der unabhängigen Beratungsstelle daran teilnehmen. Auch wenn sich Meldungen wegen Racial Profiling bisher nicht erhärteten, seien solche Gespräche wichtig, sagt Willi. «Durch den Austausch steigt das gegenseitige Verständnis.»

Kritik aus dem Stadtrat

Dass die Polizei solche Beschwerden selbst abklärt, kritisiert Stadtrat Mohamed Abdirahim (Juso) auf Anfrage scharf. Er forderte bereits mittels eines Vorstosses Massnahmen zur Vermeidung von Racial Profiling bei der Kantonspolizei. Dies zusammen mit den anderen People of Color im Stadtrat, wie der «Bund» berichtete. «Es sollte unbedingt eine unabhängige Stelle geben, um die Fälle zu prüfen» sagt Abdirahim. Dabei schwebt ihm eine städtische und kantonale Ombudsstelle vor, wo man sich über Polizisten beschweren kann. Zudem solle in der internen Aus- und Weiterbildung der Polizei kontinuierlicher und spezifischer auf Racial Profiling eingegangen werden. «Rassismus soll als Problem erkannt werden.»

Der Dialog sei dafür ein guter Lösungsansatz, sagt Abdirahim. «Auch wenn es nur ein kleiner Schritt ist, können sich so verschiedene Welten kennen lernen, die sonst im Stress aufeinandertreffen.» Jedoch gebe es auch dort Hindernisse. «Es braucht extrem viel Überwindung, direkt mit der Polizei zu sprechen.» Zu einer solchen Veranstaltung gehe sicher nicht jede betroffene Person hin.



Wie entstand der Dialog?

Als es am meisten Meldungen bezüglich Personenkontrollen gab, die als rassistisch erlebt wurden, hat man reagiert. Dies sei vor sieben Jahren gewesen, und damals habe man ein Projekt initiiert, sagt Giorgio Andreoli von Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus. Inzwischen folgten zwei weitere. In den ersten beiden sei es hauptsächlich darum gegangen, Kontakte zu knüpfen und Sensibilisierungsarbeit zu leisten. «Mittlerweile ist eine Vertrauensbasis vorhanden», so Andreoli. Nun läuft der Dialog III seit über einem Jahr, unter anderem mit öffentlichen Veranstaltungen. «Die Herausforderung ist, dass die betroffenen Personen vom Projekt erfahren und daran teilnehmen.» Finanziell unterstützt wird der Dialog von der Stadt sowie der Kantonspolizei. (svn)
(https://www.derbund.ch/diskriminierende-kontrollen-polizei-und-betroffene-im-dialog-739073523574)


+++POLIZEI SG
Verhält sich die St.Galler Polizei bei Personenkontrollen korrekt? — Es gebe keine Anzeigen oder Beschwerden wegen rassistischen Vorgehens, hält die Regierung in der Antwort auf einen Vorstoss fest
Über 1000 Personen demonstrierten im Juni in St.Gallen gegen Rassismus. Es wurde der Opfer rassistisch motivierter Polizeigewalt in den USA gedacht und dazu aufgerufen worden, versteckten Rassismus auch in der Schweiz zu bekämpfen. Die Polizei stand nach den Ereignissen in den USA plötzlich im Fokus, auch die St.Galler.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/verhaelt-sich-die-stgaller-polizei-bei-personenkontrollen-korrekt-es-gebe-keine-anzeigen-oder-beschwerden-wegen-rassistischen-vorgehens-haelt-die-regierung-in-der-antwort-auf-einen-politischen-vorstoss-fest-ld.1256640
-> Einfache Anfrage: https://www.ratsinfo.sg.ch/geschaefte/4884#documents


+++RASSISMUS
«Wir müssen beim Rassismus zwingend beim Bildungssystem ansetzen»
Wegen ihrer Herkunft und ihrer Hautfarbe muss die Musikerin KT Gorique immer wieder Rassismus am eigenen Leib erfahren. Wie sie damit umgeht und was sich ihrer Meinung nach ändern muss, erzählt sie bei «Helvetia».
https://www.srf.ch/radio-srf-virus/helvetia/helvetia-wir-muessen-beim-rassismus-zwingend-beim-bildungssystem-ansetzen


+++RECHTSPOPULISMUS
Cancel-Gott am Werk
Das Kesseltreiben gegen die «Cancel Culture» geht weiter. Und was hat die Verschwörerplattform KenFM mit der NZZ zu tun?
https://www.woz.ch/2037/auf-allen-kanaelen/cancel-gott-am-werk


SVP beschuldigt BGI-Gegner, massenhaft Plakate zu zerstören
Hunderte Plakate für die Begrenzungsinitiative der SVP wurden schon zerstört oder verschandelt. Für die Befürworter ist klar: Die Gegner haben das orchestriert. Diese bezeichnen die Vorwürfe als haltlos.
https://www.20min.ch/story/svp-beschuldigt-bgi-gegner-massenhaft-plakate-zu-zerstoeren-158510857109


Schweizer Sängerin Lea Lu auf Flyer für Begrenzungsinitiative
Gestern erhielten viele Schweizer Haushalte einen Flyer mit Werbung für die Begrenzungsinitiative. Darauf zu sehen ist die Schweizer Sängerin Lea Lu.
https://www.nau.ch/news/schweiz/zurcher-sangerin-lea-lu-auf-flyer-fur-begrenzungsinitiative-65779958


+++RECHTSEXTREMISMUS
Deplatforming: Wo Rechtsextreme neue Anhänger rekrutieren
Löschen, sperren, bannen: Facebook, YouTube und Twitter gehen energisch gegen rechtsextreme Accounts vor. Auf welche Alternativplattformen die extreme Rechte nun ausweicht und mit welchen Strategien sie dort versuchen, neue Anhänger zu rekrutieren.
https://www.br.de/nachrichten/netzwelt/deplatforming-wo-rechtsextreme-neue-anhaenger-rekrutieren,SAHV84e


‚Anti-Arab Group La Familia Is Only as Violent as Israel’s Leaders Allow It to Be‘
The militant La Familia organization of Beitar Jerusalem soccer fans has been the subject of study by Ben-Gurion University doctoral student Sophia Solomon. Her conclusion: The group’s violence benefits both the team and the politicians
https://www.haaretz.com/israel-news/.premium.MAGAZINE-anti-arab-group-la-familia-is-only-as-violent-as-israel-s-leaders-allow-it-to-be-1.9146308


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Tausend Menschen protestieren in Genf gegen Covid-Massnahmen
In Genf haben sich am Samstagnachmittag rund tausend Menschen auf der Place des Nations versammelt und gegen Corona-Schutzmassnahmen protestiert. Die Demonstration war von der Stadt genehmigt worden.
https://www.20min.ch/story/tausend-menschen-protestieren-in-genf-gegen-covid-massnahmen-613619965044


Das glaube ich auch
Über einen Mann, der sehr gut von Verschwörungstheorien lebt
https://www.dummy-magazin.de/issues/68-unten-oben/articles/1212


Die braunen Wurzeln der Grünen: Wo Esoterik und Corona-Protest zusammenfinden
Die Schnittmenge zwischen grünem Stammpublikum und anthroposophisch bewegten Corona-Leugnern ist größer, als viele denken. Der Parteispitze ist der Esoterik-Klüngel peinlich. Aber verärgern will sie ihn auch nicht.
https://www.focus.de/politik/deutschland/schwarzer-kanal/die-focus-kolumne-von-jan-fleischhauer-mit-corona-leugnern-ins-kanzleramt-wenn-der-esoteriker-am-gruenen-kabinettstisch-sitzt_id_12421865.html
-> Aufstand der Esoteriker (ab 4.41): https://www.servustv.com/videos/aa-235hga1r52113/


BLICK entlarvt Corona-Skeptiker in Weiss: So schummeln Ärzte bei der Masken-Dispens
Corona-Skeptiker sträuben sich gegen die Maskenpflicht. Und bekommen selbst von Ärzten und Therapeuten Unterstützung, die ihnen eine Maskendispens ausstellen. Ohne Beschwerden. Am Laufband. Die Behörden sind ahnungslos.
https://www.blick.ch/news/blick-entlarvt-corona-skeptiker-in-weiss-so-schummeln-aerzte-bei-der-masken-dispens-id16089680.html


So gehen Ärzte mit falschen Masken-Dispensen um
Nicht nur Deutsche, auch Schweizer Ärzte stellen falsche Masken-Dispensen aus. Dies wird nicht nur von Kollegen scharf verurteilt, es ist auch illegal.
https://www.nau.ch/news/schweiz/so-gehen-arzte-mit-falschen-masken-dispensen-um-65776368


Qanon: Massive Fake-News-Welle macht „Antifa“ für Brände in Oregon verantwortlich
Die örtliche Polizei und die FBI warnen vor Falschinformationen, die auf sozialen Medien verbreitet werden
https://www.derstandard.at/story/2000119962072/massive-fake-news-welle-macht-antifa-fuer-oregon-braende-verantwortlich?ref=rss


Matthias Pöhlmann: „QAnon wächst in Deutschland rasant“
Sie halten Corona für eine Biowaffe und Trump für einen Erlöser: Die Anhänger von QAnon gewinnen auch hierzulande Einfluss. Ein Gespräch mit dem Sektenexperten Matthias Pöhlmann über die religiösen Bezüge der Bewegung und ihre Radikalisierung
https://www.zeit.de/2020/38/matthias-poehlmann-qanon-bewegung-radikalisierung-corona


+++FUNDIS
Polizei verhindert Protestaktion: Scientology-Gegner kamen nach Luzern – und wurden verscheucht
Die Basler Aktivisten Yolanda Sandoval Künzi und Beat Künzi kämpfen seit Jahren in verschiedenen Schweizer Städten gegen die Scientology-Kirche und deren Organisationen. Am Samstag waren sie in Luzern – vielleicht zum letzten Mal.
https://www.zentralplus.ch/scientology-gegner-kamen-nach-luzern-und-wurden-verscheucht-1888957/