antira-Wochenschau: Proteste gegen Nationalismus und Kolonialismus, Behörden gegen Solidarität und Bewegungsfreiheit, völkisch-autoritäre Indoktrinierung


Der antirassistische Rückblick auf eine Woche voller Rassismus: Militär schottet italienischen Hotspot ab, Innenministerin schliesst Fluchtrouten mit weiterer Finanzierung Tunesiens | Libysche Behörden erschiessen nach einem Pushback drei Menschen aus dem Sudan | Unterricht zu Rassismus in der medizinischen Praxis | Weiterhin kein Ausschaffungsdeal mit dem eritreischen Regime in Sicht | Völkisch-autoritäre Indoktrinierung von Jugendlichen in faschistischen Sommercamps | Was die EU mit der Gewalt auf den afrikanischen Landrouten zu tun hat | Weitere Campräumung in Paris | Horst Seehofer verbietet Berlin Aufnahme von Geflüchteten | Griechische Behörden unterbinden Arbeit von Ärzte ohne Grenzen in Moria | Philippe Müller | Spenden für verurteilte Antifaschist*innen in Florenz | We‘ll Come United ruft auf und lädt ein zu Antirassismus-Tagen vom 2. bis 5. September 2020 | Antinationale Proteste am 1. August | 4000 Unterschriften gesammelt: Referendum gegen Nationalitäten-Nennung kommt zustande | Kampf um Gerechtigkeit für Mike Ben Peter geht weiter | SEM verbietet Geflüchteten Teilnahme an solidarischem Programm | “Demo gegen die totale Verwaltung” in Luzern | Proteste in slowenischen Ausschaffungsgefängnissen | Demonstration gegen italienische Migrationspolitik


Was ist neu?

Militär schottet italienischen Hotspot ab, Innenministerin schliesst Fluchtrouten mit weiterer Finanzierung Tunesiens
Die Abfahrten aus Tunesien und Libyen haben in den letzten Wochen wieder zugenommen. Das Auffanglager auf Lampedusa ist um das Zehnfache überfüllt. Der örtliche Bürgermeister verurteilt den Umgang der Regierung mit der Situation: Im Jahr 2011 wurde der Notstand ausgerufen, nachdem das Lager nicht annähernd so überfüllt war wie heute. Die Regierungsverantwortlichen Italiens reagierten sogleich: “Es handelt sich effektiv um einen schwierigen Moment. Diese ständigen Neuankünfte sind inakzeptabel, wir machen alles mögliche.” Dass es nicht die Neuankünfte sind, die inakzeptabel sind, sondern die europäische Migrationspolitik, scheint erwähnenswert. Aussenminister Luigi Di Maio greift die EU an: “Ich fordere von der EU eine Antwort: In einer solchen Situation, in der ein hohes Gesundheitsrisiko herrscht, erwarten wir eine sofortige Verteilung der angekommenen Geflüchteten auf alle europäischen Länder. In Italien steht die soziale Kohäsion auf dem Spiel.” Die Rechten nutzen die Situation wieder einmal aus, um ihrer Hetze gegen Geflüchtete freien Lauf zu lassen.
Nicht nur der Überfüllungsgrad des Auffanglagers ist im Vergleich zu 2011 problematisch. Corona-Massnahmen und -Quarantäne schaffen knastähnliche Bedingungen. Um sich diesen Umständen zu entziehen, verliessen mehrere hundert Menschen die Lager auf Sizilien. Die Regierung in Rom entsandte 300 Soldat*innen, um die Lage «in den Griff» zu bekommen. Lager sollen zukünftig militärisch bewacht werden. «Das war alles vorhersehbar», sagt Ida Carmina, die Bürgermeisterin von Porto Empedocle, einer Stadt im Südwesten Siziliens. Die Politikerin der Cinque Stelle hatte schon früh vor diesem Szenario gewarnt, jedoch ohne gehört zu werden.
Italiens Innenministerin Luciana Lamorgese reiste letzte Woche nach Tunesien und forderte die dortige Regierung auf, ihre Küsten besser zu kontrollieren und die Fluchtroute wieder zu schliessen. Von Tunesien aus starten Migrant*innen in Booten in Richtung Lampedusa und Sizilien. Italien sei «bereit, Tunesien dabei zu unterstützen», so die Innenministerin zu Kaies Saied, dem tunesischen Präsidenten.
Auch Libyen sagte sie Unterstützung bei der Schliessung der Fluchtrouten zu. Mitte Juli war Lamorgese in Tripolis und hatte dem international anerkannten libyschen Präsidenten Al-Serraj versichert, dass die Abkommen zur Migrationsabwehr zwischen der EU und der Türkei auch für das zentrale Mittelmeer gelten könnten.
Vergessen geht, dass es sich nicht um eine “neue Notlage” handelt. Der Zustand der überfüllten Empfangseinrichtungen besteht seit Jahren und ist nicht das Resultat der Zunahme der Ankünfte aus Tunesien und Libyen, sondern das einer politischen Entscheidung: die Einrichtungen unterzufinanzieren und infrastrukturell schlecht auszustatten sowie der generellen Gestalung des europäischen Migrationsregimes. Anstatt also von einem Tag auf den anderen dem tunesischen Staat 30 Millionen Euro zu überweisen, so wie es Innenministerin Lamorgese an diesem Treffen in Tunis am Montag gemacht hat, um die Abfahrten von Geflüchteten zu stoppen, könnte auch die europäische Migrationspolitik überdacht werden. Von dieser Regierung ist das jedoch kaum zu erwarten.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139686.gefluechtete-im-mittelmeer-fortgesetzte-tragoedie-auf-lampedusa.html
https://www.srf.ch/news/international/asylpolitik-in-coronazeiten-zu-wenig-quarantaeneplaetze-fuer-fluechtlinge-in-italien
https://www.infomigrants.net/en/post/26296/italian-interior-minister-urges-tunisia-to-act-on-migration
https://ffm-online.org/neuauflage-des-eu-tuerkei-deals-mit-libyen/

Libysche Behörden erschiessen nach einem Pushback drei Menschen aus dem Sudan
Die drei Getöteten wurden zuvor im Mittelmeer von der sogenannten libyschen Küstenwache gewaltsam an der Überfahrt nach Europa gehindert. Als die rund 70 gestoppten Migrant*innen im Hafen von al-Khums von Bord gehen mussten, versuchten einige zu fliehen. Skrupellos und vor den Augen der IOM eröffneten die libyschen Behörden das Feuer.
Die IOM, die nach Pushbacks im Hafen Nothilfe leistet, twitterte nach der Tötung der drei Männer, was alle bereits wissen: «We maintain that Libya is not a safe port» (“Wir sind der Auffassung, dass #Libyen kein sicherer Hafen ist”). Der EU ist das ganz offensichtlich egal oder sogar recht. Immer mehr Berichte zeigen, wie Frontex und andere Instanzen Europas mit der mörderischen Küstenwache und den libyschen Behörden an Land Hand in Hand zusammenarbeiten, um koordinierte Pushbacks durchzuführen. So spielt es für die europäischen Verantwortlichen auch keine Rolle, dass die Überlebenden nach der Schiesserei nicht in Freiheit leben, sondern in einem der viel kritisierten Gefangenencamps interniert wurden.
Während derzeit auf dem Mittelmeer kein einziges ziviles Seenotrettungsschiff mehr im Einsatz ist, trat diese Woche die US-Africom, ein Schiff des US-Afrikakommando, in Erscheinung. Die US-Regierung signalisiert damit, dass sie den Mittelmeerraum mitüberwachen will und eingreifen könnte. Diese Botschaft richtet sich nicht zuletzt an die türkischen Truppen, die mit der sogenannten libyschen Einheitsregierung (GNA) zusammenarbeiten und diese mit Waffen beliefern – bzw. scheinen die US-Regierenden die Allianz bisher gutzuheissen.
https://www.heise.de/tp/features/US-Africom-schaltet-sich-in-Seenotrettung-vor-Libyen-ein-4858253.html
https://www.infomigrants.net/en/post/26286/3-migrants-killed-in-libya-after-being-intercepted-in-the-mediterranean-and-returned
https://www.vice.com/en_us/article/889dmb/libya-eu-refugees-loophole?fbclid=IwAR1Uwb_ynZddcjLvqzrnON-sOxdfG7axeo7OdIIqhiJlONW29H1Q2UvRlvk

Unterricht zu Rassismus in der medizinischen Praxis
Neu gibt es ab Herbst an der biologischen und medizinischen Fakultät an der Universität Lausanne einen Kurs zu Rassismus in der medizinischen Praxis. In einem Interview mit der Zeitung Le Temps erklärt Patrick Bodenmann, Medizinprofessor und Chef der sozialmedizinischen Abteilung des Universitätsspitals Lausanne, weshalb dieser Unterricht heute für zukünftige Ärzt*innen unentbehrlich ist: Vorurteile wie der Glaube, dass Schwarze sich schlecht um ihre Gesundheit kümmerten, dass nicht-weisse Ärzt*innen weniger qualifiziert als weisse wären oder dass Menschen aus der Mittelmeerregion schmerzliche Empfindungen übertrieben, sind laut dem Medizinprofessor beruflicher Alltag.
Nebst diesen Stereotypen sind aber auch jene Diskriminierungen und Voruteile, die in der breiteren weissen Gesellschaft vorliegen, in diesem Berufsstand gegenwärtig; mensch erinnert sich namentlich an die Student*innen der Universität Lausanne, die im April 2019 zu ihrem letzten universitären Schultag zum Thema “Was wären wir, wenn wir nicht Medizin studiert hätten?” als “Afrikaner*innen” verkleidet kamen.
Ziel des Unterrichts wäre es also, Student*innen dazu zu bringen, sich mit ihren verinnerlichten Rassismen auseinanderzusetzen, sich zwischenmenschliche, kommunikative, sozialanalytische und transkulturelle Kompetenzen anzueignen, um verschiedenen Patient*innenprofilen mit gleicher Aufmerksamkeit zu begegnen.
Patrick Bodenmann plädiert auch dafür, dass die Variabel Rassismus in der Forschung einen wichtigeren Platz einnehmen sollte. “Die Abwesenheit jeglicher Daten zu den ethnischen Herkünften der Patient*innen in den Forschungsprotokollen verhindert präzise Informationen zu Rassimus und dessen Konsequenzen im Zugang zu Gesundheit allgemein zu erfassen. Dieser blind spot, oder color blindness, ist kontraproduktiv oder sogar schädlich, denn er verunmöglicht, Rassimus, der höchstwahrscheinlich in einer Form präsent ist, nachzuweisen. Auch erschwert dies die Einführung von Massnahmen oder Reformen, um gegen die rassistischen Diskriminierungen zu kämpfen.”
https://www.letemps.ch/sciences/soignants-ne-labri-prejuges?fbclid=IwAR0F-pm-8aoZkwY0bxjvTo3E83DIzwmwWdOmYpwSQMTBDfejT6tenBZS85A
https://www.20min.ch/fr/story/blackface-plus-que-maladroit-c-est-stupide-630430018008


Was geht ab beim Staat?

Weiterhin kein Ausschaffungsdeal mit dem eritreischen Regime in Sicht
Die schweizer Behörden betreiben grossen Aufwand, um mit dem Regime in Eritrea einen Deal abzuschliessen, der systematische Zwangsausschaffungen dorthin ermöglichen würde. Die Bemühungen scheinen weiterhin ins Leeren zu laufen. In den letzten Jahren platzten bereits zwei Treffen. Dieses Jahr fiel ein weiteres wegen Corona aus.
Das eritreische Regime scheint nicht ausreichend Interesse an einem solchen Deal zu haben. Denn die Diaspora gibt mehr Geld in die Staatskassen, als die zusätzlichen Entwicklungsgelder, die dem Regime im Falle eines abgeschlossenen Ausschaffungsabkommens in Aussicht gestellt werden. Dieses Jahr bezahlte die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) sechs Millionen Franken für «Kooperationsprojekte in Eritrea». Dieser Betrag ist dem Regime offenbar zu tief, denn auch ein 200 Millionen Euro-‘Entwicklungs’paket der EU vermochte es nicht, das Regime zu Verhandlungen über ein Rücknahmeabkommen zu bewegen.
https://www.watson.ch/schweiz/bundesrat/519824071-bundesrat-cassis-wartet-auf-den-besuch-aus-eritrea


Was ist aufgefallen?

Völkisch-autoritäre Indoktrinierung von Jugendlichen in faschistischen Sommercamps

In Dresden sowie im obersächsischen Rathen sind Gruppen von jungen Frauen* öffentlich aufgetreten, deren völkisch-nationalistisch markierten Uniformen auf die Teilnahme an einem faschistischen Sommercamp schliessen lassen. Solche Camps sind auch aus Frankreich bekannt, wo sie schon seit über zehn Jahren unter der autoritären Führung von Yvan Benedetti veranstaltet werden. Benedetti ist Sprecher der faschistischen Parti nationaliste francais und steht der identitären Gruppierung Jeune Nation vor. Diese wurde 2013 verboten, nachdem Faschos den 18-jährigen Antifaschisten Clément Méric zu Tode geprügelt haben. Jeden Sommer versammeln sich mehrere dutzend Jugendliche und Erwachsene, um sich auf einen faschistischen Umsturz vorzubereiten. Gemäss einem Bericht von 2018 beschwört Benedetti entlang faschistischer, rassistischer und antisemitischer Wahnvorstellungen ein Bedrohungsszenario herauf, mit dem er Kriegsspiele – wie das Bewachen des Lagerplatzes oder nächtliche Orientierungsläufe – zur Selbstverteidigung stilisiert. Neben der Flagge Parti nationaliste francais finden sich auf dem Lagerplatz auch keltische Kreuze und Symbole. Nach autoritären Idealen wird militärische Disziplinierung geübt; das Individuum soll sich der Sache der Nation und der ‘weissen Rasse’ im völkischen Kollektiv unterordnen. Benedetti wurde 2019 für die Wiederaufnahme der Gruppenaktivitäten der Jeune Nation verurteilt. Dennoch wird das Camp auch 2020 organisiert.
https://dresden-nazifrei.com/2020/07/22/anscheinend-nazi-sommercamp-in-ostsachsen/
http://www.slate.fr/story/193080/antisemtisme-infiltration-camp-d-ete-fasciste-morts-aux-juifs
http://www.slate.fr/story/193086/infiltration-camp-d-ete-fasciste-dictateur-bon-pere-famille-paranoia-lecons-benedetti?utm_source=ownpage&utm_medium=newsletter&utm_campaign=daily_20200730&_ope=eyJndWlkIjoiZTI4MzMxYjlmODdkNzllYzNkYzA1Zjg1ZTc4NjZhMmIifQ%3D%3D

Was die EU mit der Gewalt auf den afrikanischen Landrouten zu tun hat
Menschen auf der Flucht erleben nicht erst auf dem Mittelmeer oder an den europäischen Aussengrenzen die brutale Gewalt von Migrationsregimes, sondern bereits viel früher, zum Beispiel auf den Landrouten auf dem afrikanischen Kontinent Richtung Libyen. Die Landrouten sind in den vergangenen Jahren zu extrem gefährlichen und mitunter tödlichen Korridoren geworden, unter anderem weil die EU ihre Aussengrenzen kontinuierlich nach aussen verschiebt und mittlerweile viele Grenzpassagen in Nordafrika kontrolliert. Somit gibt es für Menschen auf der Flucht bereits auf diesen Landrouten fast kein (legales) Durchkommen mehr, weshalb vielen nichts anderes übrig bleibt, als sehr gefährliche Routen einzuschlagen oder sehr viel Geld zu bezahlen.

Eine eben erschienene Studie berichtet von dieser Gewalt gegen Migrant*innen auf den Landrouten über den afrikanischen Kontinent (https://unhcrsharedmedia.s3.amazonaws.com/2020/Central_Med_Route_report/UNHCR_report-On_this_journey%2C_no_one_cares_if_you_live_or_die.pdf):
– Für die Studie hat das Mixed Migration Centre zwischen 2018 und 2019 Migrant*innen auf den Fluchtrouten zwischen Ost-Sudan, der Sahara-Wüste und Libyen befragt. Die Menschen berichten von Mord, sexueller und geschlechterspezifischer Gewalt, physischer Gewalt und Kidnapping. An der Tagesordnung liegen für die Migrant*innen und Geflüchteten auf diesen Routen laut der Studie brutalste Gewalt wie Verbrennungen mit heissem Öl oder heissen Metallgegenständen, Elektroschocks, Fesselung in Stresspositionen und sexuelle Gewalt.
– 2018 und 2019 sind mindestens 1.750 Menschen auf den Routen gestorben. Hinzu kommen diejenigen, die auf dem Weg über das Mittelmeer nach Europa sterben: Auf der zentralen Mittelmeerroute, vor allem von Libyen aus, waren das mehr als 2.500 Menschen in den beiden vergangenen Jahren. Ausserdem gibt eine hohe Dunkelziffer, weil viele Menschen unbemerkt in den Wüsten sterben.
– An Durchgangsstationen in der Wüste und an Grenzposten ist sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen, aber auch Jungen und Männer, an der Tagesordnung. Rund 31 Prozent der befragten Menschen, die 2018 oder 2019 sexuelle Gewalt erlebten, waren ihr an mehr als einem Ort ausgesetzt. In Nord- und Ostafrika waren Menschenhändler die Haupttäter, sie machten 60 und 90 Prozent der gemeldeten Übergriffe auf den jeweiligen Routen aus. In Westafrika werden Sicherheitskräfte, Militär- und Polizeibeamte als Haupttäter genannt.
– Hauptverantwortlich für die Gewalt sind laut der Studie Regierungsangestellte wie die Grenzwache, Polizei oder das Militär. Nicht selten sind diese von der EU bezahlte Jobs zur Migrationsabwehr.
– Die Menschen, die überleben, leiden oft unter Traumata. Für viele ist die Ankunft in Libyen die letzte Station einer Reise, die von Misshandlungen wie Folter, Zwangsarbeit und Schlägen geprägt war – sowie von willkürlichen Morden. Gemeinsam mit den Menschen, die die libysche Küstenwache auf dem Mittelmeer festgenommen hat – in diesem Jahr bereits mehr als 6.200 – werden sie meist unter menschenverachtenden Umständen in libyschen Lagern eingesperrt. Einigen gelingt die Flucht aus diesen Lagern. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden sie aber auf dem Mittelmeer wiederum von der libyschen oder einer europäischen Küstenwache abgefangen und zurück nach Libyen gebracht. Einige Wenige schaffen es zu einem europäischen Hafen. Dann beginnt für sie die Tortur der europäischen Asylregimes.
All dies ist seit Jahren bekannt. Es sind keine erfundenen Geschichten oder kleine Unregelmässigkeiten im System. Es ist die tägliche Realität tausender von Menschen. Diese Realität ist nicht zufällig entstanden. Sie wurde bewusst durch ein undurchlässiges, brutales Migrationskontrollsystem geschaffen, das grösstenteils von der EU finanziert wird. Mit «Migrationspartnerschaften», Rückübernahmeabkommen, finanzieller, logistischer, personeller und materieller Unterstützung.
https://www.zeit.de/gesellschaft/2020-07/migration-vereinte-nationen-afrika-gewalt-fluechtlinge-routen
https://ffm-online.org/on-this-journey-no-one-cares-if-you-live-or-die-abuse-protection-and-justice-along-routes-between-east-and-west-africa-and-africas-mediterranean-coast/
https://www.infomigrants.net/en/post/26305/death-and-atrocities-constant-companions-for-migrants-on-african-land-routes-report

Weitere Campräumung in Paris
Im nördlich von Paris gelegenen Aubervilliers haben Polizeibeamt*innen erneut ein Camp geräumt: Laut Präfektur waren es 2.114 Menschen, die am Ufer des Kanals Saint-Denis lebten. Die Polizeikräfte holten die Menschen aus ihren Zelten und brachten sie in Turnhallen der Gegend, die als provisorische Unterkünfte benutzt werden.

Vor Ort aktive Vereine erklärten der Lokalzeitung Le Parisien, dass das grösste Problem darin liegt, dass die Menschen nicht wüssten, wohin und in welche Art von Unterkunft sie gebracht würden. Nach dieser kurzen und provisorischen Unterbringung würden die meisten wieder auf der Strasse enden. Bestürzend ist aber auch das Bild jener Vereine, die nach der Räumung so viele wie möglich der 600 verbliebenen Zelte abmontieren und sie in dafür organisierte Kleintransporter laden, um sie für das nächste Camp, das sicherlich in den nächsten Wochen errichtet wird, bereit zu halten.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/frankreich-paris-migrantencamp-raeumung-polizei-fluechtlinge-unterbringung-turnhallen
https://www.leparisien.fr/seine-saint-denis-93/l-evacuation-du-camp-de-migrants-d-aubervilliers-est-en-cours-29-07-2020-8360226.php

Horst Seehofer verbietet Berlin Aufnahme von Geflüchteten
«Aus rechtlichen Gründen»…, so begründet der deutsche Innenminister Seehofer in einem Brief an den Berliner Innensenator Andreas Geisel das Verbot, eigenverantwortlich Migrant*innen aufzunehmen. Mehrmals hatte Berlin die Aufnahmebereitschaft klar und deutlich kommuniziert. Der Stadtstaat hatte zugesichert, 300 Menschen Schutz und Wohnraum zu bieten. Nun hat Seehofer zum ersten mal schriftlich reagiert, und zwar mit einem deutlichen NEIN. Wie Berlin hat auch das Bundesland Thüringen immer wieder die Aufnahmebereitschaft bekundet.
Die Initiative Seebrücke Berlin forderte den Senat am Donnerstag auf, rechtliche Schritte gegen Seehofers Veto zu prüfen. «Die Ablehnung widerspricht mehreren juristischen Gutachten», sagt ein Sprecher. «Seehofer bricht damit nicht nur Aufenthaltsrecht, sondern verweigert auch dringend benötigte Hilfe.» Im Gegensatz dazu sind im Jahre 2019 31.220 Menschen mit einer EU-Blue-Card aus Nicht-EU Ländern aufgrund ihrer beruflichen Qualifikationen nach Deutschland migriert. Hier wird wieder ganz klar zwischen «guten» und «schlechten» Migrant*innen unterschieden.
https://www.tagesspiegel.de/berlin/brief-an-innensenator-geisel-horst-seehofer-verbietet-berlin-aufnahme-von-fluechtlingen/26048558.html
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139844.horst-seehofer-unmenschliches-veto.html
https://www.infomigrants.net/en/post/26251/eu-blue-card-immigration-of-highly-skilled-workers-to-germany-reaches-new-high-in-2019

Griechische Behörden unterbinden Arbeit von Ärzte ohne Grenzen in Moria
Im Camp Moria auf Lesbos werden weiterhin mehr als 17.000 Menschen eingesperrt. Die Ausgangssperre wurde zuletzt ein sechstes Mal verlängert, vorerst bis zum 2. August. Aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen auf engstem Raum kommt es immer wieder zu Konflikten und Spannungen. Letzte Woche wurde ein 21-Jähriger erstochen. Im Jahr 2020 starben bereits sieben Menschen in Moria durch Messerangriffe, darunter ein Minderjähriger, zwölf weitere wurden verletzt. Die lokalen Behörden ändern nichts an der Situation, vielmehr erschweren sie zusätzlich die Arbeit von z.B. Médicins Sans Frontières (MSF), deren Covid-19-Station am Lager Moria nun geschlossen wird. MSF sah sich aufgrund von Bussgeldern und drohender Rechtsverfolgung dazu gezwungen, die einzige Möglichkeit, positiv getestete Personen zu isolieren, zu schliessen. Die Begründung der Behörden lautet, dass bestimmte Raumplanungsvorschriften nicht eingehalten worden seien. Ein weiteres Beispiel dafür, wie fadenscheinige Bürokratie missbraucht wird, um das Wohlergehen von Menschen zu verhindern.
https://www.aerzte-ohne-grenzen.de/presse/griechenland-lesbos-schliessung-covid-19-zentrum
https://www.tagblatt.ch/newsticker/international/covid-anlage-auf-lesbos-schliesst-msf-protestieren-ld.1242718
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139816.lesbos-und-moria-aerzte-ohne-grenzen-muss-corona-zentrum-auf-lesbos-schliessen.html
https://www.infomigrants.net/en/post/26272/afghan-stabbed-to-death-in-greek-migrant-camp-1
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/moria-fluechtlingslager-lesbos-erstochen-toter-griechenland-krise


Kopf der Woche Philippe Müller

Er ist Berner Regierungsrat und nutzt diese strukturelle Macht, um seinen rassistischen Kurs mit harter Hand durchzusetzen. Besonders gegenüber geflüchteten Personen mit Negativentscheid zeigt er sich skrupellos. Zuerst setzte er alles daran, alle abgewiesenen Personen des Kantons zusammen am Ende der Welt – hoch oben auf einem Hügel über dem Bielersee – in einem riesigen ehemaligen Jugendgefängnis zu isolieren. Als seine Pläne im Parlament von links – das Camp sei zu isolierend – wie von rechts – das Camp sei zu teuer – bachab geschickt wurden, eröffnete er kurzerhand mehrere kleinere, billigere Rückkehrcamps, die aber nicht minder entrechtend und isolierend sind. Das passte der parlamentarischen Rechten und wurde von der Linken nicht mehr gross thematisiert.
Seitdem diese Rückkehrcamps im Juni respektive Juli ihren Betrieb aufgenommen haben, organisieren sich dort isolierte Aktivist*innen als Gruppe «Stopp Isolation». Gegenüber ihnen findet Müller kein gutes Wort. Zuerst bezeichnete er die Forderungen als «undemokratisch», da die Mehrheit der Stimmberechtigten dieser Unterdrückung ja zugestimmt hätte und «unsolidarisch» gegenüber anerkannten Geflüchteten, da die abgewiesenen Geflüchtete eine Gleichbehandlung und Aufenthaltsbewilligungen für alle einfordern würden, obwohl es ihnen gemäss müllerschen Umkehrschluss schlechter gehen sollte als anerkannten Geflüchteten. Nun legte Müller noch einen drauf. Nachdem sich ein Aktivist der Gruppe während einer Demo vor dem Bundeshaus selbst angezündet hatte, sprach Philippe Müller in den Medien nur von einer «organisierten Show». Die Gruppe «Stopp Isolation» bezeichnet er abschätzig als «Lobbyorganisation» bei deren «Propaganda die Medien schön mitgemacht haben».
Gemäss Müller wären abgewiesene Geflüchtete also vor allem dann solidarisch und demokratisch, wenn sie sich still unterdrücken, entrechten und isolieren lassen. Ihre Politik wäre vor allem dann gerechtfertigt, wenn sie unorganisiert und spontan wirken würde und keinen klar erkennbaren Interessen folgen würde. Die Medien würden vor allem dann gut arbeiten, wenn sie nicht berichten würden. Müllers Aussagen und Verhalten zeigen wie masslos einfach es für Rassist*innen ist, die Körper, Ideen und Kämpfe von Rassismusdiskriminierten als wertlos darzustellen. Ausser etwas Empörung aus der linken Ecke kriegt er für seinen Krieg keinen Krieg dafür ab.
https://www.blick.ch/news/schweiz/bern/habe-genug-von-diesem-leben-jetzt-spricht-der-fluechtling-der-sich-in-bern-angezuendet-hat-id16016534.html?utm_source=twitter&utm_medium=social_page&utm_campaign=bli
https://www.derbund.ch/mueller-schockiert-die-linke-405305911676
https://www.derbund.ch/das-war-eine-organisierte-show-464848414935


Was nun?

Spenden für verurteilte Antifaschist*innen in Florenz
Vor sieben Jahren, im November 2013, gingen zwei junge Personen an einer Bar im Zentrum von Florenz vorbei. Dort trafen sich Anhänger*innen der neofaschistischen Gruppe Casapound. Die beiden Jungen wurden von den Faschos als antifaschistisch gelesen und angegriffen. Die Polizei schaute zu, wie die beiden niedergeprügelt wurden. In der folgenden Woche gingen fast tausend Antifaschist*innen auf die Strasse, um angesichts dieser Aggression nicht passiv zu bleiben. Eine Demonstration voller Zorn und Entschlossenheit.
Im Juni dieses Jahres wurden nun 15 Teilnehmende vom Obersten Gerichtshof “schuldig” gesprochen und zu Geld- und Haftstrafen verurteilt. Für sie werden nun Spenden gesammelt: «Solidarität ist die einzige Waffe, die wir im Moment haben. Mit dieser Spendenaktion bitten wir um einen Beitrag, weil – wie uns die Geschichte lehrt – der Kampf gegen den Faschismus nicht den Institutionen und der Polizei überlassen werden kann», schreiben die Personen, die folgendes Crowdfunding gestartet haben.
https://www.gofundme.com/f/45000-buoni-motivi-per-essere-antifascisti?utm_source=customer&utm_campaign=p_cp+share-sheet&utm_medium=copy_link-tip

We‘ll Come United ruft auf und lädt ein zu Antirassismus-Tagen
2. bis 5. September 2020
“Nach der Ermordung von George Floyd durch einen Polizeibeamten in Minneapolis hat die Black Lives Matter-Bewegung die Strassen erobert und allen gezeigt, dass Rassismus ein weltweites System ist – und dass antirassistische Kämpfe im Mittelpunkt sozialer Aufbrüche stehen. In einer eindrucksvollen Welle globaler Demonstrationen wurde deutlich, dass es unzählige Querverbindungen zwischen unseren Kämpfen gibt. Wir glauben, dass es neuer, großer Koalitionen für Gerechtigkeit, für soziale und politische Rechte und für ein anderes Gemeinsames bedarf – über verschiedene Bewegungen hinaus und transnational”, so heisst es im Aufruf von We’ll come united.
In ganz Europa finden vom 02. – 05. September Aktionstage zu den Themen March of Hope, #LeaveNoOneBehind, vom Meer in die Städte, rassistische Terroranschläge und Morde, Migrantifa und Anti-Abschiebung statt. In der Schweiz wollen wir diese Tage für Vernetzung, gemeinsame Aktionen und eine solidarische Demonstration am 05.09.20 in Zürich nutzen. Es werden noch interessierte Menschen und Gruppen für die Organisation und Unterstützung gesucht. Bitte schreibt uns, ob ihr mitorganisieren und/ oder als Unterstützer*innen auftreten möchtet: schweiz@seebruecke.org.
https://seebruecke.ch/aktionstage


Wo gabs Widerstand?

Antinationale Proteste am 1. August
Am 1. August gingen in Bern, Basel und Luzern Menschen auf die Strasse, um gegen den Mythos zu demonstrieren, die Schweiz sei etwas, was gefeiert werden solle. In Bern waren es rund 300 Menschen, die sich am Nachmittag in der Innenstadt die Strasse nahmen. Ziel war es u. A. Raum zu schaffen, um die Verantwortung der offiziellen Schweiz betreffend Sklaverei, Antisemitismus, Antiziganisimus und Verdingung sowie Hexenverfolgung zu thematisieren.
In Basel führte ein solidarischer Knastspaziergang zum Ausschaffungsknast Bässlergut. Gefangene Menschen wurden mit Parolen gegrüsst. Diese erwiderten die Grüsse aus den Fenstern. «Wir finden es absolut widerlich und ironisch, dass Menschen in dieser Nacht die ach-so-grossartige Nation Schweiz feiern, ungeachtet der Tatsache, dass dieser durch Grenzen definierte Nationalstaat durch eine rigide Abschottungs- und Migrationspolitik mordet» heisst es im Communiqué zur Aktion.
In Luzern brachten Aktivist*innen in der Nacht auf den ersten August mehrere Transparente an und färbten das Herz beim Chateau Gütsch schwarz ein, da dieser bis vor kurzem für alle zugängliche Aussichtsort neu nur noch gegen Bezahlung zu besuchen ist.
https://barrikade.info/article/3749
https://barrikade.info/article/3747
https://barrikade.info/article/3748

4000 Unterschriften gesammelt: Referendum gegen Nationalitäten-Nennung kommt zustande
In Zürich werden bald wahlberechtigte Menschen darüber abstimmen können, ob die Polizei die Nationalität von Tatverdächtigen angeben soll oder nicht. Die SVP hatte eine Initiative gestartet, in der die Polizei sowohl die Nationalität, als auch den Migrationshintergrund von tatverdächtigen Personen angeben muss. Der Kantonsrat hatte einen Gegenvorschlag eingereicht, in dem nur die Nationalität, nicht aber der Migrationshintergrund angegeben werden soll. Jusos und Junge Grüne haben nun genug Unterschriften gesammelt, um eine Abstimmung zu ermöglichen. Sie wollen somit gegen beide Vorschläge vorgehen. Die SVP versucht fortlaufend ein Feindbild von kriminellen Ausländer*innen zu konstruieren und ein rassistisches Klima zu verbreiten. Da Schweizer Staatsbürger*innenschaft als Norm erachtet wird, werden häufig nur Abweichungen von der Norm benannt. Dies führt zu einem verzerrten Bild in den Medien. Wie diese zu einer rassistischen Berichterstattung beitragen, konntet ihr in der antira-Wochenschau vom 20. Juli 2020 lesen.
https://www.zsz.ch/referendum-gegen-nationalitaeten-nennung-kommt-zustande-557843043884

Kampf um Gerechtigkeit für Mike Ben Peter geht weiter

Mike Ben Peter starb vor zweieinhalb Jahren, einen Tag nachdem Polizist*innen ihn auf dem Boden mit dem Gesicht nach unten festhielten, seine Hände hinter dem Rücken und seine Beine nach oben verschränkten, bis er das Bewusstsein verlor und hospitalisiert werden musste. Seither kämpfen in der Romandie die Kollektive Kiboko, Jean DuToit, St.Martin, Le Sleep-in, Outrage, A qui le tour?, Afro-Swiss, Droit de rester, Allianz against racial Profiling sowie POP-Vaud, Solidarités-Vaud, der Klimastreik Waadt oder Frauen*streik-Waadt, damit dieser Mord von der Justiz nicht totgeschwiegen wird.
Vor einigen Tagen mobilisierten sie sich erneut. An diesem Tag standen – die für den Prozess bedeutsamen – Befragungen von medizinische Expert*innen an. Auf Transparenten war zu lesen: «Gerechtigkeit Mike» oder «Suspendierung der sechs Polizeibeamten». Den Behörden stellten die Kollektive am selben Tag einen Brief mit Forderungen zu. Und am Abend führten sie eine Demonstration durch, an der sich über hundert Personen beteiligten. Die nächste Demo soll im September stattfinden. Eventuell wird dann der Prozess beginnen. Eventuell aber auch nicht, denn im Moment ist noch nicht einmal die Anklage bekannt und die Polizist*innen, die Mike getötet haben, sind nach wie vor frei.
https://lecourrier.ch/2020/07/23/coup-de-pression-des-collectifs/
https://www.letemps.ch/suisse/violences-policieres-laffaire-mike-seternise

SEM verbietet Geflüchteten Teilnahme an solidarischem Programm
„Die Isolation durchbrechen – das Motto der Velotour d’Horizon erhielt am drittletzten Tag unserer dreiwöchigen Reise durch die Schweiz nochmals eine ganz neue Bedeutung. Nachdem wir Asyllager in verschiedenen Regionen besucht und uns mit geflüchteten Menschen und solidarischen Gruppen vernetzt hatten, stand am 27. Juli die Etappe auf den Glaubenberg auf dem Programm. Das Ziel: ein Besuch des wohl abgelegensten Asylzentrums der Schweiz. Das sogenannte „Bundesasylzentrum ohne Verfahrensfunktion“ liegt auf ca. 1530 m.ü.M., rund einen halben Kilometer von der Passhöhe entfernt, mitten im Tourismusgebiet. Erreichbar ist es fast ausschliesslich mit dem Privatauto. Maximal vier mal täglich fährt ein Postauto nach Sarnen, ausserhalb der Hauptsaison gibt es gar keinen öffentlichen Verkehr zwischen Sarnen und Glaubenberg. Ein Fussmarsch von Sarnen auf den Glaubenberg dauert mindestens fünf Stunden. Darüber hinaus dürfen die Bewohner*innen das Lager nur eingeschränkt verlassen. Um 17:00 Uhr müssen sie zurück im Lager sein. Wer zu spät kommt erhält eine Geldstrafe.Nach der strapaziösen Fahrt bei strahlendem Sonnenschein trafen wir auf dem Glaubenberg eine Gruppe von solidarischen Menschen aus der Region, welche sich seit Jahren für die Bewohner*innen des Lagers engagiert. Beim Lager angekommen standen wir – wie erwartet – vor verschlossenen Türen: In die neuen Asylzentren des Bundes kommt grundsätzlich nur, wer eine spezielle Bewilligung beantragt. Unerwartet war jedoch, dass die Türen auch von innen verschlossen blieben. Vergeblich warteten wir darauf, dass sich Bewohner*innen aus dem Lager uns zum gemeinsamen Mittagessen anschlossen.Die Mitarbeitenden der Sicherheitsfirma Securitas liessen die geflüchteten Menschen auf Anweisung der Migrationsbehörden an diesem Nachmittag nicht aus dem Zentrum. Diese Massnahme stand offenbar in Zusammenhang mit unserem letztjährigen Besuch auf dem Glaubenberg und dem Vorwurf, dass damals zu viel Lärm gemacht wurde. Dabei versuchten Menschen einzig durch den Zaun hindurch mit den Bewohner*innen zu sprechen.Das Fazit des gestrigen Tages bleibt somit, dass die Situation im Lager auf dem Glaubenberg sinnbildlich ist, für die Entrechtung, Verwaltung und Isolierung von Geflüchteten. Die Ausgangssperren, Lagerregeln und die Erschwerung der Kontaktaufnahme zu solidarischen Gruppen verunmöglicht den Zugang zu ihren elementaren Grundrechten,” heisst es im Blog der Velotour d’Horizon.
https://antira.org/blog/

“Demo gegen die totale Verwaltung” in Luzern

Bei einer Demo in Luzern im Rahmen der Velotour d’Horizon forderten über 200 Aktivist*innen mehr Selbstbestimmung für geflüchtete Menschen und kritisierten das durch Fremdbestimmung geprägte Schweizer Asylsystem, welches mit der Inbetriebnahme der Bundesasyllager im März 2019 noch schlimmer geworden sei. Diese Bundeslager seien wie etwa in der Zentralschweiz auf dem Glaubenberg oft weit abgelegen. Strenge Präsenzzeiten würden die IIsolation zusätzlich verstärken und an der psychischen Verfassung der so Untergebrachten nagen.
https://resolut.noblogs.org/post/2020/07/28/erfolgreiche-demo-fuer-die-selbstbestimmung-gefluechteter-menschen/

Proteste in slowenischen Ausschaffungsgefängnissen
Die Menschen, welche in Ausschaffungsgefängnissen in Slowenien interniert werden, haben letzte Woche einen Protest gestartet.

Dieser richtet sich gegen die geplanten Push-backs nach Kroatien, welche ihnen von den slowenischen Behörden angekündigt wurden. In den letzten Wochen gab es vermehrt Fälle, in welchen Menschen aus staatlichen Asylcamps heraus nach Kroatien zurückgeschoben wurden, von wo aus sie weiter nach Bosnien ausgeschafft wurden. All dies ohne Chance auf ein Asylverfahren in einem dieser Länder. Diese regelmässig von europäischen Staaten durchgeführten Prozesse sind nach europäischem Recht illegal. Trotzdem liegen sie an der Tagesordnung. Die Praxis der Push-backs ist enorm bedrohlich für die betroffenen Menschen, weil sie noch mehr Willkür in das europäische Asylregime bringt und den Menschen die Sicherheit nimmt, sich wenigstens auf gewisse Grundrechte verlassen zu können.
Die momentane Praxis zeigt auch auf, dass es wenig Unterschied macht, ob diese Praxis nun legal oder illegal ist. Denn offensichtlich ist dies den Regierenden und Behörden schlicht egal. Während dieser neuen Welle an Push-backs hat das Verwaltungsgericht in Ljubljana nämlich in einem wichtigen Urteil festgehalten, dass ein letztes Jahr durchgeführter Push-back von Slowenien über Kroatien nach Bosnien gegen die Grundrechte verstosse. Trotzdem halten die Behörden an ihrer Praxis fest, als wäre nichts geschehen. Ein weiteres Problem besteht darin, dass die Vorfälle durch solche Gerichtsentscheide als individuelle Probleme dargestellt werden, obwohl es sich um strukturelle Probleme handelt. Nebst diesem bekannten Fall gab es tausende von Push-backs, die alle individuell angeklagt werden müssten, was oft schlicht nicht möglich ist.
https://www.facebook.com/NoNameKitchenBelgrade/posts/103550944351400
https://balkaninsight.com/2020/07/28/slovenian-court-ruling-a-boost-in-battle-against-refugee-pushbacks/

Demonstration gegen italienische Migrationspolitik
In Rom gingen Demonstrant*innen auf die Strasse, um für eine Änderung der Migrationspolitik zu protestieren. Ihre Kernforderungen sind die Beendigung der Zusammenarbeit mit der sogenannten libyschen Küstenwache (in der vergangenen Woche hatte das Parlament einer weiteren Finanzierung zugestimmt) und eine Schliessung der Lager. Nicht ganz Italien stehe hinter der gescheiterten Migrationspolitik – diese sei komplett zu ändern.
Proteste gegen die Abschottung Europas, die für Menschen auf der Flucht vor allem Gewalt bis hin zum Tod bedeutet, sind in ganz Europa notwendig. Es darf nicht ruhig bleiben für die Politiker*innen, die so handeln. Das bekommt nun hoffentlich auch der frühere italienische Minister Salvini zu spüren. Das Parlament hob zum zweiten Mal in diesem Jahr seine Immunität auf, sodass ihm der Prozess gemacht werden kann. Im aktuellen Fall geht es um seine Politik der geschlossenen Häfen, die im August 2019 mehr als 80 Menschen auf der Open Arms festhielt. Ihm wird Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauch vorgeworfen. Er könnte dafür zu bis zu 15 Jahren Haft verurteilt werden.
https://www.infomigrants.net/en/post/26298/dozens-protest-in-rome-against-italy-s-funding-of-libyan-coast-guards
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-07/italien-matteo-salvini-immunitaet-aufgehoben-prozess


Was steht an? Sende deinen Veranstaltungshinweis an antira@immerda.ch.

Gemeinsamer Diskussionsabend zu rassistischen Strukturen in der Antifa
05.08.20 I 19.00 Uhr I Infoladen Magazin, Basel
Das Offene Antifaschistische Treffen (OAT) lädt ein zu einem Workshop zum Thema Rassismus in der Antifa-Bewegung. Zweifelsohne ist die Antifa sehr stark dominiert von Weissen. Dies mag verschiedene Gründe haben, einige sind aber besonders kritisch. So ist auch die Antifa-Szene nicht frei von Rassismus und weisser Vorherrschaft. Beispiele sind paternalistisches Verhalten oder das Fetischisieren von Schwarzen Körpern. Weiter sind gewisse antifaschistische Gruppen elitäre, schwer zugängliche Kreise. All dies ist besonders absurd, zumal migrantische Menschen und/oder Persons of Color (PoC) ohne weisse Privilegien die Hauptzielscheiben von Faschist*innen sind.Die weisse Bewegung scheint dies nicht zu kratzen, und scheitert folglich daran, gemeinsam mit von Rassismus Betroffenen zu kämpfen. Die Gründung von Migrantifa und emanzipatorischen PoC-Strukturen im deutschsprachigen Raum zeigt, dass diese Personen sich gezwungen sehen, sich selbst in eigenen, sichereren Räumen zu organisieren.
https://barrikade.info/event/1345

Enough. Aktionstage zu Migrationskämpfen und antirassistischem Widerstand
29. – 30.08.20 I Park Platz Zürich
Wir schaffen Raum, um antirassistische Intitativen und den Widerstand gegen das Migrationssystem sichtbar zu machen. Migration und Rassismus sind nicht dasselbe: es sind zwei Phänomene mit unterschiedlichen Auswirkungen, die sich aber vielfach überschneiden. Beide beruhen auf post- und neokolonialen Denkmustern, die reale Auswirkungen haben: im europäischen Grenzregime, genauso wie im Alltagsrassismus in der Schweiz oder bei rassistischer Polizeigewalt weltweit. Antirassistischer Widerstand und Migrationskämpfe haben viele Gesichter. Diese wollen wir zeigen: verschiedene Themen neben sich stehen lassen und unterschiedliche Ansätze einzelner Initiativen und Netzwerke für sich sprechen lassen.
https://www.facebook.com/events/712876382845381/?notif_t=plan_user_joined&notif_id=1594210510777155
www.park-platz.org


Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Securitas-Gewalt in Basler Asyllager: Was seit den Medienberichten geschah
Mitte Mai brachten die WOZ und das SRF die brutalen und systematischen Übergriffe von Securitas-Angestellten an Asylsuchenden im Basler Bundesasyllager Bässlergut an die Öffentlichkeit. Seither hat sich einiges bewegt, aber nicht nur im guten Sinn. Basler No-Lager-Aktivist*innen ziehen Zwischenbilanz.
https://www.ajourmag.ch/securitas-gewalt-basler-asyllager/

Knäste abschaffen jetzt
Der ehemalige Gefängnisdirektor, der die Gefängnisse abschaffen will: Thomas Galli lässt sich durch Empörung und Widerspruch nicht beirren bei seiner Forderung nach einem menschenwürdigen Strafsystem.
https://www.republik.ch/2020/07/29/die-leute-kommen-nicht-besser-aus-den-gefaengnissen-raus-sondern-eher-schlechter-und-geschwaecht?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=republik%2Fnewsletter-editorial-nl-mi-2907

„Rassismus hat übrigens nichts mit der Hautfarbe zu tun.“
In einer rassistischen Welt gilt: Je heller die Haut, desto besser. Colorism schürt auch in Schwarzen Communities Konkurrenz, sagt Wissenschaftlerin Maisha-Maureen Auma.
https://www.zeit.de/campus/2020-07/maureen-maisha-auma-erziehungswissenschaftlerin-colorism-schwarze-community-rassismus/komplettansicht

Senzala or Quilombo (english)
The piece “Senzala or Quilombo” was in it’s time a scathing indictment against certain quarters of criticism inside the wider U.S. anarchist movement around the formation of Anarchist People of Color (APOC). First began as a website and list serve that linked various self-identified anarchists of color, the effort blossomed into a 2003 conference in Detroit and was followed up by regional and national conferences and attempts to form local groups. At the time of the writing of this piece in 2005 Pedro Ribeiro was a member of the Furious Five Revolutionary Collective in San Jose, CA which later merged into the California based Amanecer. This piece was published as part of the Black Anarchism reader.
https://blackrosefed.org/senzala-or-quilombo-black-anarchism/