antira-Wochenschau: Grenztote, DNA-Rassismus, StopIsolation-Proteste

Bild: Kein »Black Lives Matter« ohne »Defund the Police«. Eine Strassenbemalung in der Nähe des Weissen Hauses.

Antirassistischer Rückblick auf eine Woche voller Rassismus: Horst Seehofer verhindert eine Studie zu Racial Profiling | Erschossen an der bosnisch-kroatischen Grenze | Rassistische DNA-Gesetzesverschärfung | Rassismusbericht 2019: Strukturell-weisse Flecken im staatlich subventionierten Antirassismus | Kantonale Ungleichheiten bei rassistischen Doppelstrafen | Verurteilung wegen rassistischem Fasnachtswagen | Alarmphone-Bericht: Europäische Strategien, Gewalt und Tod auf dem Mittelmeer | Maltas Rolle bei der Abschottung Europas | 50 Migrant*innen können Frachtschiff verlassen | Notstand auf der «Ocean Viking» ausgerufen | Sea-Watch 3 erneut an die Kette gelegt | Marc Oser | Aufruf zu kritischem Umgang mit (strukturellem) Rassismus in der linken Szene | Widerstand gegen die Rückkehrzentren im Kanton Bern | Exit Racism Demo | Proteste gegen Unmenschlichkeit in Moria und Kos

Was ist neu?

Horst Seehofer verhindert eine Studie zu Racial Profiling
Als Begründung liess der Innenminister der deutschen Regierung verlauten, dass die Praxis ohnehin verboten sei. Dafür, dass diese Argumentation nicht schlüssig und die Entscheidung, die Studie abzusagen, ohnehin fragwürdig ist, hagelt es nun von allen Seiten Kritik. Sogar der Vorsitzende des Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) äusserte Kritik an Seehofers Entscheidung. Sein fehlendes Bewusstsein für Rassismus wurde allerdings in einem Interview deutlich, in dem er sagte, der polizeiintern verwendete Begriff ‚Nafri’ (Nordafrikanischer Intensivtäter) sei vorurteilsfrei. Genau, schliesslisch verwenden Polizeibeamt*innen auch regelmässig den Begriff Deui (Deutscher Intenisvtäter), nicht wahr? Diese Ungereimtheit scheint ihm nicht aufgefallen zu sein. Wenn wir uns anschauen, was bisher von öffentlicher Seite getan wurde, um Daten bezüglich Alltags- und institutionellem Rassismus in der Polizei zu sammeln, fällt das Ergebnis ziemlich dürftig aus. 2013 gab es eine lediglich qualitative Erhebung zu Racial Profiling von Hendrik Cremer am ‚Deutschen Institut für Menschenrechte‘, der daraufhin die Empfehlung gab, die Möglichkeit für verdachtsunabhängige Kontrollen aus dem Polizeigesetz zu streichen. Selbst der 2017 vom Bundeskabinett verabschiedete ‚Nationale Aktionsplan gegen Rassismus‘ geht davon aus, dass Racial Profiling im deutschen Polizeiapparat regelmässige Praxis ist und zuletzt liess die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) im Jahre 2019 vernehmen: “Auch wenn es hinreichende Beweise für ein extensives Racial Profiling gibt, sind sich viele Polizeidienste und -vertreter dessen nicht bewusst.“ Und empfahl eine Studie diesbezüglich. Und das sind nur Forderungen von offiziellen Stellen. Alle Forderungen von nicht-institutioneller Seite und von Einzelpersonen of Color, sich mit Rassismus in der Polizei auseinanderzusetzen, werden seit Jahren ignoriert. Dass dieser weiter reicht als Racial Profiling zeigen alleine diese Woche drei Fälle, die in den Medien zirkulieren. Einerseits der Suizid von Rooble Warsame, der sich angeblich in Polizeigewahrsam erhängt haben soll. Es gibt jedoch zahlreiche Ungereimtheiten und seine Angehörigen fordern eine unabhängige Untersuchung. Oder der Fall vom 19-jährigen Aman Alizada, der von einem Beamten erschossen wurde. Dass der Beamte sich anhand des Arguments, er habe aus Notwehr gehandelt, der Strafverfolgung entziehen konnte und keine Folgen für sein Handeln zu fürchten braucht, trägt dazu bei, dass regelmässig Schusswaffen eingesetzt werden. Und letztlich eine weitere Wendung im Fall Oury Jalloh, der 2005 unter ominösen Umständen in einer Dessauer Polizeizelle umkam. Die zwei letztes Jahr eingesetzten Sonderermittler werden nun vom Justizministerium in Sachsen-Anhalt daran gehindert, sieben Staatsanwält*innen und Richter*innen zu befragen, u.a. jenen Staatsanwalt, der 2017 ausgesagt hatte, es handle sich vermutlich um Totschlag durch Polizeibeamt*innen und er werde die Ermittlungen wieder aufnehmen. Der Fall wurde ihm daraufhin entzogen und seine Nachfolgerin stellte das Verfahren prompt wieder ein. Ihr steht nun eine Beförderung zur Generalstaatsanwältin von Sachsen-Anhalt bevor. Und diese Fälle stehen vor dem Hintergrund der aktuellen Dokumentation ‚Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen‘ der Antirassistischen Initiative. Derzufolge beträgt die Zahl geflüchteter Menschen, die in den letzten 27 Jahren durch Polizei- oder Sicherheitsbeamte verletzt wurden 1298 – 28 von ihnen tödlich. Zusätzlich sind 3375 Selbstverletzungen und Suizidversuche angesichts drohender Ausschaffungen verzeichnet – 309 Menschen begingen Suizid. 568 Menschen wurden durch Zwangsmassnahmen und Misshandlungen während ihrer Ausschaffung verletzt, 5 von ihnen tödlich. Und das sind nur die dokumentierten Fälle. Dass diese Übergriffe System haben, liegt daran, dass geflüchtete Menschen in den vorherrschenden Strukturen weitgehend entrechtet und isoliert werden und sie somit den Beamt*innen nahezu schutzlos ausgeliefert sind. Rassismus organisiert sich in den Regeln, Anordnungen und der geübten Praxis des Polizeiapparats systematisch.
https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-07/rassismus-polizei-racial-profiling-deutschland-analyse/komplettansicht
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/racial-profiling-studie-polizei-abgesagt-justizministerium-horst-seehofer
https://www.deutschlandfunk.de/bdk-zu-racial-profiling-studie-wir-muessen-vertrauen.694.de.html?dram:article_id=480051
https://www.jungewelt.de/artikel/381754.seehofer-sperrt-sich-gegen-studie-untersuchung-unerw%C3%BCnscht.html
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1138851.polizei-und-rassismus-seehofer-willrs-nicht-wissen.html
https://www.derstandard.at/story/2000118543227/innenminister-seehofer-glaubt-nicht-an-rassismus-bei-deutscher-polizei?ref=rss
https://taz.de/Abgesagte-Studie-zu-Racial-Profiling/!5694005/
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1138853.polizeigewalt-im-sitzen-selbst-erhaengt.html
https://www.jungewelt.de/artikel/381908.rassismus-licht-ins-dunkelfeld.html
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/fall-oury-jalloh-gescheiterte-aufklaerung-behinderung-justizministerium-polizeirevier-dessau
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1138854.oury-jalloh-sabotierte-sachverstaendige-im-fall-jalloh.html
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/oury-jalloh-warum-das-schweigen-a-b6aed5e1-1cde-4b1a-a5a0-a27a72bb73ad
https://taz.de/Wurde-Oury-Jalloh-ermordet/!5698603/

Erschossen an der bosnisch-kroatischen Grenze
Im Grenzgebiet zwischen Bosnien-Herzegowina und Kroatien wurde eine Person beim Versuch, die Grenze zu überqueren, erschossen. Der Mann soll aus einem Jagdgewehr in den Rücken getroffen worden sein und erlag seinen Verletzungen. Der mutmassliche Täter stellte sich später der Polizei. Er gab an, in den Wäldern gewildert zu haben und dass es sich bei dem tödlichen Schuss um einen Unfall gehandelt habe. Die Umstände, unter denen dieser Mann starb, können hingegen nicht als Unfall bezeichnet werden. Warum sind Menschen in diesen Wäldern, in unwegsamem Gelände, zu jeder Jahreszeit? Aktuell bis zu 7.000 wählen diese gefährliche und oftmals tödliche Fluchtroute, weil es keinen legalen und sicheren Weg gibt, in Europa Asyl zu beantragen. Stattdessen gibt es seit Jahren geschlossene Grenzen,  Milliardeninvestitionen in die Kontrolle dieser und Gewalt gegen Menschen auf der Flucht. Die kroatische Grenze ist in diesem Gebiet eine grüne Grenze. Es gibt keinen meterhohen Zaun mit Stacheldraht. Dennoch ist das Gebiet bestens überwacht, mehrfach technisch aufgerüstet und zuletzt auf einem kilometerlangen Streifen für eine bessere Sichtbarkeit der Menschen auf der Flucht entwaldet worden. Gewaltsame Push-backs sind an der Tagesordnung. Das Border Violence Monitoring Network, das auf der Balkanroute  ein Monitoring betreibt, spricht von sechs Toten Menschen allein im Juni und jährlich zehntausenden Push-backs auf der Balkanroute.
https://deutsch.rt.com/europa/104139-bosnien-herzegowina-wilderer-erschiesst-migranten/
https://kroatien-nachrichten.de/fluchtling-auf-dem-weg-nach-kroatien-erschossen/
https://thefirethisti.me/2020/07/06/35-the-european-unions-violence-against-asylum-seekers/


Was geht ab beim Staat?

Rassistische DNA-Gesetzesverschärfung
Momentan steht in der Schweiz eine Gesetzesänderung kurz vor der Annahme, die die weiter greifende Erfassung von DNA-Daten beinhaltet. Bisher durften nur x- und y-Chromosomen angeschaut werden, die die Ermittler*innen mit Geschlecht in Verbindung bringen, sowie ein genetischer Abgleich von zwei unterschiedlichen Spuren stattfinden. Nun dürfen auch Informationen über Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie die sogenannte biogeographische Herkunft erfasst werden. Die Verschärfung ist eine Reaktion auf die Motion des FDP-Politikers Albert Vitali aus dem Jahre 2015. Jede Kritik an der erweiterten DNA-Analyse aufgrund des erheblichen Eingriffs in Persönlichkeitsrechte tut er als “Täterschutz für Vergewaltiger und Mörder” ab. Beim damaligen Einreichen der Motion instrumentalisierte die SVP einen Fall von sexualisierter Gewalt, um Täter*innenschaft rassistisch zu verallgemeinern und daraufhin rechte Hetze zu betreiben.
Drei weitere rassistische Annahmen liegen dem Vorstoss zu Grunde:
1. Die komplette DNA-Analysemethode, die äusserliche Merkmale feststellt – die sogenannte Phänotypisierung – greift auf Schemata zurück, die auf der rassistischen Forschung des 19. Jahrhunderts basieren und davon ausgeht, Menschen anhand körperlicher Merkmale einer spezifischen Gruppe zuordnen zu können.
2. Sichtbare Merkmale einer Person werden mit deren Herkunft in Verbindung gebracht.
3. Wenn bei der DNA-Analyse herauskommt, dass es sich um eine weisse Person mit braunen Haaren handelt, sind die Daten aufgrund der hohen Dichte dieser Körpermerkmale in der Schweiz nicht von Belang, sodass die Analyse nur benutzt werden kann, wenn eine Abweichung von der weissen Norm vorliegt. Die Gefahr liegt also in einer zusätzlichen Stigmatisierung aller Menschen, die ausserhalb der weissen Norm verortet werden, indem sie einem Generalverdacht durch die Ermittlungsbehörden ausgesetzt werden können.
https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/juli-2020/erweiterte-dna-analysen-der-schweiz

Rassismusbericht 2019: Strukturell-weisse Flecken im staatlich subventionierten Antirassismus
An den aktuellen «Exit Racism»-Demonstrationen wird gefordert, dass in den staatlichen und quasi-staatlichen Antirassismusstellen BIPoC-Personen (Pblack, Indigenous, People of Color) angestellt werden sollen. Die angesprochenen Beratungsstellen sind seit einer Initiative der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus EKR und humanrights.ch 2005 als «Beratungsnetze für Rassismusopfer» organisiert. Trotz oder eventuell genau wegen des stärker werdenden Rassismus ist das Netzwerk letztes Jahr von 24 auf 22 Beratungsstellen geschrumpft. Somit gibt es weniger als eine Beratungsstelle pro Kanton. Jedes Jahr veröffentlicht dieses Netzwerk einen Bericht über Rassismusvorfälle aus ihrer Beratungspraxis. «Im Berichtsjahr 2019 wurden 352 Beratungsfälle zu rassistischer Diskriminierung registriert, so viele wie noch nie,» heisst es. Doch das sind gerade mal 16 Fälle pro Beratungsstelle während eines gesamten Jahres. Es scheint also, als würden sich rassismusdiskriminierte Personen nur in den seltensten Fällen an eine solche Beratungsstelle wenden. Trotz der tiefen Fallzahlen seien die Daten des Berichts «von grosser Bedeutung», heisst es weiter, denn sie würden den Kantonen «massgeschneiderte statistische Auswertungsmöglichkeiten» zum Thema Rassismus bieten. Dass die Einschätzung zur zweifelsohne sehr wichtigen Arbeit der Beratungsstellen nicht etwas selbstkritischer bzw. bescheidener ausfällt, liegt wohl an den Interessen ihrer Geldgeber*innen, die an nicht-signifikanten Daten zum Rassismus Freude haben dürften: «Die Mehrheit der Kantone unterstützt das Beratungsnetz finanziell. Sie sind die wichtigsten Geldgeber des Projektes. Diese Strukturfinanzierung ist für das Projekt unerlässlich. Dem Bund dienen der vorliegende Bericht und die strukturierte Datenbasis einerseits dem nationalen Monitoring, andererseits der Berichterstattung an internationale Organe. Hierzu gehören unter anderem die Staatenberichte an den UNO-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD) und an die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) des Europarats».
Angesichts des Zielpublikums des Berichts erstaunt es also nicht, dass vergebens nach einer kritischen Analyse zu strukturellem Rassismus – u.a. der Behörden und in Gesetzen – gesucht wird. Und dass die Einschätzungen zum Rassismus gegen Nicht-Schweizer*innen, BIPoC, Migrant*innen, Geflüchtete, Muslim*innen, Sinti, Roma, Jenische sehr milde ausfallen. Hier das Fazit der Medienmitteilung zum Bericht: «Ein bedeutender Teil der gemeldeten Fälle rassistischer Diskriminierung fanden im öffentlichen Raum und am Arbeitsplatz statt. Die am häufigsten gemeldeten Formen rassistischer Diskriminierung waren Benachteiligungen und Beschimpfungen. Das häufigste Motiv war die Ausländerfeindlichkeit/ Fremdenfeindlichkeit, gefolgt vom Rassismus gegen Schwarze und von Muslimfeindlichkeit. Erkennbar ist ausserdem eine Zunahme von Fällen mit rechtsextremem Hintergrund.» Übrigens: Über die gelesene Hautfarbe der Vorstände, Mitarbeitenden oder der Geldgeber*innen der Beratungsstellen finden sich im Bericht keine Informationen.
https://www.humanrights.ch/de/fachstellen/fachstelle-diskriminierung-rassismus/news-rassismusbericht-2019
http://network-racism.ch/cms/upload/200421_Rassismusbericht_19_D.pdf


Was ist aufgefallen?

Kantonale Ungleichheiten bei rassistischen Doppelstrafen
Werden Nicht-Schweizer*innen verurteilt, so müssen sie – wie Schweizer*innen auch – eine Strafe verbüssen. Doch bei gewissen Verurteilungen sind die Nicht-Schweizer*innen nach abgesessener Haftstrafe nicht frei, sondern werden ein zweites Mal durch «Landesverweis» – sprich Ausschaffung – bestraft. Die Verurteilungen, die zu einer solchen Ausschaffung führen können, finden sich im Artikel 66a des Strafgesetzbuches. Die Liste ist lang und umfasst nebst Taten gegen Menschen auch Taten wie qualifizierter Diebstahl, Betrug, unrechtmässiger Bezug von Sozialleistungen sowie qualifizierte Störung des öffentlichen Verkehrs oder Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz. In der Schweiz besitzen rund 20% der Bevölkerung keinen Schweizer Pass. Die rassistische Doppelbestrafung droht also jeder fünften Person. Sie betrifft auch Personen, die keinen oder kaum Bezug zum Land haben, in das sie ausgeschafft würden. Besonders in solchen Fällen können Richter*innen «ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde» heisst es im gleichen Artikel 66a. Die Limmatthaler Zeitung hat nun eine Rangordnung der Kantone erstellt, die extrem hart auf die rassistische Doppelbestrafung durch Landesverweis zurückgreifen:

Tabelle: Anwendungsrate der obligatorischen Landesverweisung

https://www.limmattalerzeitung.ch/limmattal/grosse-unterschiede-bei-ausschaffungen-luzern-weist-neun-von-zehn-kriminellen-auslaendern-aus-zuerich-nur-jeden-zweiten-138358422
https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19370083/index.html#a66a

Verurteilung wegen rassistischem Fasnachtswagen

An den Fasnachtsumzug in Wangs wollte Walter Brandstetter – ehemaliges SVP Mitglied – dieses Jahr mit einem Wagen, auf dem die Frage “Wie viele ‹N****› brauchen wir in St.Gallen?” unter dem Bild des Schwarzen damaligen Kantonsratskandidaten Nirosh Manoranjithan prangte. Als der Urheber des Wagens zum Umzug in Wangs eintraf, machten ihn die Vertreter*innen der Fasnachtsgesellschaft darauf aufmerksam, dass er mit dieser Wortwahl nicht teilnehmen dürfe, woraufhin er das Wort mit Klebeband abdeckte. Gegenüber der Presse gab Brandstetter dann an, dass das N-Wort für ihn keine negative Bedeutung hätte und es sich bei seinem Satz keinesfalls um eine abwertende Darstellung handle. Jetzt wurde Walter Brandstetter aber wegen Rassendiskriminierung zu einer Busse von 3.100 Franken und einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 350 Franken verurteilt.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/das-wort-neger-hat-folgen-urheber-des-fasnachtswagens-in-wangs-muss-3100-franken-busse-bezahlen-ld.1236209
Weitere Artikel zur Fasnachtszeit, wo Rassimus als Tradition weiterhin gang und gäbe ist:

– #StoppFasnachtsrassismus: https://antira.org/2020/02/24/stoppfasnachtsrassismus/
– Drei Fragen zum Fasnachtsrassismus in Basel: https://antira.org/2019/04/08/drei-fragen-zum-fasnachtsrassismus-in-basel/
– Fasnacht: Rassismus als Tradition: https://antira.org/2019/03/03/bundeslager-fasnacht-keine-asylknaeste-in-nordafrika/
– Update: Juristische Aufarbeitung des Fasnachts-Rassismus? https://antira.org/antischwarzer-rassismus/
– Update: Juristische Aufarbeitung des Fasnachts-Rassismus? https://antira.org/antischwarzer-rassismus/


Was passiert auf Flucht- und Migrationsrouten?

Alarmphone-Bericht: Europäische Strategien, Gewalt und Tod auf dem Mittelmeer
“In den vergangenen sechs Monaten, Januar bis Juni 2020, war das zentrale Mittelmeer weiterhin eine Zone der Gewalt, des Verschwindens und des Todes sowie eine Bühne für Kämpfe um Bewegungsfreiheit, sowohl von Menschen, die aus Libyen fliehen, als auch von der zivilen Flotte,” heisst es im aktuellen Report des Alarmphones. Der Bericht fasst unter anderem die Erfahrungen des Alarmphones und wichtige Entwicklungen auf dem zentralen Mittelmeer zusammen, stellt die eskalierende Gewalt an Maltas Grenzen dar und gibt eine erste Einschätzung zur neuen EU-Mission Irini ab.
Im Jahr 2020 stand das Alarmphone bisher mit 77 Booten in Seenot im zentralen Mittelmeer und damit mit etwa 4.500 Menschen in Kontakt. Nicht einberechnet sind die Dutzenden Boote, die zwar anriefen, aber keine ausreichende Verbindung hatten und somit wichtige Daten wie ihre Position nicht mitteilen konnten. 1.100 der Personen, die das Alarmphone anriefen, wurden abgefangen und durch die so genannte libysche Küstenwache oder durch Handels- oder Privatschiffe zur Rückkehr nach Libyen gezwungen. Das Alarmphone berichtet auch von mehreren Tragödien auf See, bei denen Hunderte von Menschen starben oder verschwanden. Die amtliche Statistik verzeichnet für das Jahr 2020 bisher 377 Todesfälle. Die tatsächlichen Zahlen liegen sicherlich wesentlich höher, da selbst bei bekannten Seenotvorfällen, von denen es allein im Juni drei im zentralen Mittelmeer gab, die Zahl der Menschen an Bord oft unbekannt bleibt.Am 1. April löste die neue Mittelmeeroperation Irini die Mission Sophia ab. Die Operation behauptet, das UN-Waffenembargo gegen Libyen mit Luft-, See- und Satellitenkapazitäten durchsetzen zu wollen. Darüber hinaus unterstützt sie die Ausbildung der sogenannten libyschen Küstenwache und Marine zur Bekämpfung von “Menschenschmuggel und Menschenhandelsnetzwerken”. Gleichzeitig hat sie explizit ausgeschlossen, Seenotrettungen vorzunehmen und bewegt sich nur vor dem östlichen Teil der libyschen Küste, wo es selten zu Abfahrten nach Europa kommt. Erste Erfahrungen zeigen, dass die Schiffe der Operation Irini sich tatsächlich weigern, Rettungsaktionen einzuleiten, was gegen das Seerecht verstösst. Am 12. Juni wurde eine Rettung von einem Militärschiff der Irini-Operation verweigert. Am 26. Juni wurde das Alarmphone von einem Boot in Seenot im Herzen von Irini’s Einsatzgebiet kontaktiert: Es stand kein EU-Militärschiff zur Rettung zur Verfügung. Stattdessen wurden die in Not geratenen Menschen von der so genannten libyschen Küstenwache abgefangen und zurück nach Libyen deportiert. Das Rettungsschiff Mare Jonio war zum Zeitpunkt des Abfangens vor Ort angekommen und bot an, die Menschen umzuladen, aber die sogenannte libysche Küstenwache lehnte dies ab.
Das Alarmphone weist immer wieder darauf hin, dass das Mittelmeer zu den am besten überwachten Regionen der Welt gehört. “Während es das Mittelmeers umfassend überwacht, versucht Europa, die dramatischen Auswirkungen seiner Politik des Sterbenlassens unsichtbar zu machen, indem es das Mittelmeer aktiv in ein schwarzes Loch verwandelt hat, in dem Schwarze Menschen auf der Flucht systematisch dem Tod überlassen, illegal zurückgedrängt oder tagelang ohne Hilfe auf See gehalten werden.”
https://alarmphone.org/en/2020/07/06/also-in-the-central-mediterranean-sea-black-lives-matter/
https://theconversation.com/black-lives-are-being-lost-in-the-mediterranean-but-the-world-remains-silent-141822

Maltas Rolle bei der Abschottung Europas
Als staatlicher Akteur der Abschottung fiel im vergangenen Halbjahr besonders Malta auf: Geschlossene Häfen, Geisterschiffe, neue Hotspots auf See, Zusammenarbeit mit Libyen.
Zuerst erklärte es im April ebenso wie Italien seine Häfen aufgrund der Covid-19-Pandemie als unsicher für Migrant*innen. Auch stellte es seine (Rettungs-) Operationen in der SAR-Zone ein. Die bereits bestehende Rettungslücke im zentralen Mittelmeerraum wurde erweitert, es kam zu Verzögerungen bei der Seenotrettung oder zu gar keiner Unterstützung. Gleichzeitig konnten über Wochen aufgrund der europaweiten Reisebeschränkungen und behördlicher Erschwernisse keine zivilen Rettungsschiffe im Einsatz sein. 
Des weiteren hat die maltesische Regierung mehrere private “Fischereifahrzeuge” angemietet, einschliesslich der Dar al Salam 1 und der Tremar, die unter libyscher Flagge fahren und unter maltesischer Anleitung Push-backs durchführen. An die Öffentlichkeit gelangten die illegalen Push-backs von 63 Personen nach Libyen während des Osterwochenendes. Durch den Einsatz dieser privaten Schiffe versucht Malta, seine Rolle bei den Push-backs zu verschleiern und sich der Verantwortung zu entziehen. Gestützt wird die maltesische Regierung dabei von der eigenen Justiz. Nach Maltas Taktiken der Verzögerung, der Nichtunterstützung und Sabotage sowie der Organisation von illegalen und privatisierten Push-backs, die allein am Osterwochenende zwölf Todesopfer gefordert hatten, klagte die maltesische GO Repubblika gegen den maltesischen Premierminister und gegen zwölf Mitglieder der Küstenwache. Das Gericht sah erstaunlich schnell und mit juristischen Unzulänglichkeiten keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten des Premierministers oder die Pflichtverletzung Maltas.
Das dritte grosse Thema der maltesischen Abschottung ist die Einrichtung schwimmender Hotspots in internationalen Gewässern. Ab dem 30. April hielt Malta 425 Menschen auf vier Kreuzfahrtschiffen fest. In Malta wurde die Schaffung von schwimmenden Gefängnissen nicht nur als Quarantänemassnahme gerechtfertigt, sondern durch fehlende Kapazitäten in den Asyllagern an Land. Die Menschen konnten nicht nur kein maltesisches Territorium betreten, sie wurden auch an der Stellung eines Asylantrags in Europa gehindert. Einige der Inhaftierten traten in den Hungerstreik und protestierten gegen die unmenschlichen Haftbedingungen an Bord, was die maltesische Regierung im Juni zwang, sie an Land zu lassen. Bezeichnenderweise wurden in den Medien die protestierenden Geflüchteten als gewalttätig dargestellt, nicht aber die brutalen physischen und psychischen Bedingungen ihrer Behandlung durch den maltesischen Staat.
Ende Mai unterzeichnete der maltesische Premierminister ein neues Abkommen mit Fayez al-Sarraj, dem Premierminister der libyschen Regierung, um zu verhindern, dass Menschen Malta erreichen. Seit dem 1. Juli arbeiten die beiden Länder durch die Schaffung zweier “Interception Coordination Centers” noch enger zusammen. Finanziert werden sie von Malta. Die maltesische Regierung stationiert in dieser Einrichtung auf Malta drei libysche Offiziere, die die Grenzkontrolle und die Rückführung von Booten in das libysche Kriegsgebiet unterstützen und koordinieren sollen. Im libyschen Center werden drei maltesische Offiziere eingesetzt, um Push-backs zu arrangieren.
https://alarmphone.org/en/2020/07/06/also-in-the-central-mediterranean-sea-black-lives-matter/

50 Migrant*innen können Frachtschiff verlassen
Nachdem ein in Seenot befindliches Boot mit den 52 Flüchtenden vom Aufklärungs- und Suchflugzeug «Moonbird» gesichtet und gemeldet wurde, bekam der Kapitän des Viehtransportschiffes «TALIA» von der Rettungs- und Koordinierungsstelle in Malta den Auftrag, die Menschen in Seenot aufzunehmen. Danach brachen die Behörden den Kontakt ab. Die Geretteten mussten in den verdreckten Viehstallungen untergebracht werden, behördlich behandelt wie Tiere. Nachdem zwei medizinische Notfälle von den maltesischen Behörden evakuiert worden waren, verweigerte Malta das Anlanden der Menschen. Auch Italien verweigerte dem Frachter die Evakuierung. Auf der “TALIA” waren zuletzt die Vorräte ausgegangen, um die Menschen zu versorgen. Ausserdem verschlechterte sich die medizinische Lage an Bord von Tag zu Tag. Nach tagelangem Schweigen und Absagen wurden die 50 Menschen nun von der maltesischen Küstenwache übernommen und an Land gebracht.
https://anfdeutsch.com/aktuelles/viehfrachter-mit-52-geretteten-darf-nicht-anlanden-20241
https://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-auf-viehfrachter-vor-malta-heute-ist-der-letzte-tag-an-dem-ich-sie-versorgen-kann-a-9c6dd4dc-814f-4ec8-8a16-9a49b34ed8fa
https://www.spiegel.de/politik/ausland/malta-50-fluechtlinge-von-viehfrachter-mv-talia-abgeborgen-a-0abaa12b-1533-4776-9a0d-db0c7eaeae95

Bild: «Der libanesische Viehtransporter TALIA mit dem in Seenot befindlichen Schlauchboot»

Notstand auf der «Ocean Viking» ausgerufen
Auch auf dem Seenotrettungsschiff von SOS Mediteranee spielten sich letzte Woche unvorstellbare Szenen ab. Insgesamt rettetet die Crew der «Ocean Viking» 180 Menschen aus Seenot, versorgte sie medizinisch und brachte sie auf ihrem Schiff unter. Da weder Italien noch Malta auf die Anfrage nach einem sicheren Hafen reagierten, sprangen nach tagelanger Irrfahrt zwei Männer über Bord ins Meer und mussten vom Rettungsteam geborgen werden. Ein Mensch versuchte, sich zu erhängen. Weitere haben Selbstmordgedanken geäussert. Viele der Geretteten sind schwer traumatisiert und und zeigten Anzeichen von Depressionen. In einer Pressemitteilung schrieb SOS Mediteranee: «Das besorgniserregende Verhalten und der schlimme psychische Zustand vieler Überlebender an Bord des Schiffes sind eine direkte Folge der unnötig langen Verzögerung und der fehlenden Lösung für ihre Ausschiffung an einem sicheren Ort.»
Insgesamt sieben Malwurden die zuständigen Behörden um die Zuweisung eines sicheren Hafens angefragt, es kamen lediglich zwei negative Antworten zurück. Dabei ist das Seerecht ganz klar: Eine Rettung ist erst dann abgeschlossen, wenn die Überlebenden einen sicheren Ort erreicht haben, und ein solcher Ort ist von den zuständigen Seebehörden schnellstmöglich bereitzustellen.
Nachdem der Notstand an Bord ausgerufen wurde, schickten die italienischen Behörden ein medizinisches Team an Bord, um Abstriche für Covid-19-Tests von den Migrant*innen zu nehmen. Ein beteiligter Psychiater habe enorme psychische Belastungen bei den Geflüchteten auf dem Schiff festgestellt. Nach weiteren Tagen auf See konnte die «Ocean Viking» schlussendlich in den Hafen von Porto Empedocle auf Sizilien eingelaufen, die 180 Menschen sind nun auf der Fähre «Moby Zaza» in Corona-Quarantäne.
https://ffm-online.org/notstand-an-bord-der-ocean-viking-ausgerufen/
https://www.tagesschau.de/thema/ocean_viking/
https://www.infomigrants.net/en/post/25835/ocean-viking-nearly-200-migrants-disembark-from-rescue-ship-in-italy

Sea-Watch 3 erneut an die Kette gelegt
Italienische Behörden haben am Mittwochabend ein Fahrverbot für das deutsche Rettungsschiff «Sea-Watch 3» verhängt. Das Schiff ankert derzeit vor dem sizilianischen Porto Empedocle. Die Küstenwache habe bei einer Inspektion technische und operative Mängel festgestellt, welche die Sicherheit des Schiffs sowie der Besatzung und geretteter Migrant*innen beeinträchtigten, teilte das Innenministerium in Rom mit. Zudem würde es gegen Umweltschutzbestimmungen verstossen. Bereits drei Minuten nachdem die Behörden von Bord der «Sea-Watch 3» gingen, veröffentlichte die italienische Küstenwache eine Pressemitteilung zu den angeblichen Mängeln und den folgenden Massnahmen. Dies beweist einmal mehr, dass die Anschuldigungen zu den Mängeln vorbereitet sind und zum abgekarteten Spiel der Behörden Europas gehören. Das Schiff bleibe bis zur nachgewiesenen Beseitigung der Mängel mit einem Fahrverbot belegt, so die Mitteilung des Innenministeriums. Während die Behörden aufgrund angeblicher technischer Mängel die Sicherheit an Bord hinterfragen, sind sie es selbst, die durch ihre Beteiligung an illegalen Pull-Backs nach Libyen und die Verweigerung der Anlandung in sicheren Häfen Menschen gefährden.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/seenotrettung-sea-watch-3-rettungsschiff-fahrverbot-porto-empedocle-sizilien
https://www.tagesschau.de/ausland/seawatch-sizilien-festgesetzt-101.html


Kopf der Woche Marc Oser

Der baselstädtische SVP-Strafgerichtspräsident Marc Oser hat am letzten Dienstag einen 25-Jährigen Aktivisten zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten und einer Busse von 200 Franken verurteilt. Der Grund dafür? Der Mann hatte am 24. November 2018 an der unbewilligten antifaschistischen Basel Nazifrei Demonstration gegen eine Kundgebung der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) teilgenommen und dabei ein Transparent gehalten. An dieser Demonstration waren Polizist*innen so gewalttätig gegen Demonstrant*innen vorgegangen, dass eine Person schwere bleibende Schäden am Auge erlitten hat und ins Spital gebracht werden musste, woraufhin Steine in Richtung der Polizist*innen flogen. Der junge Mann wurde in Basel aber nicht wegen seiner aktiven Teilnahme an diesen Handlungen, sondern wegen seiner blossen passiven Präsenz an der Demonstration für Landfriedensbruch und Gewalt und Drohung gegen Beamte schuldig gesprochen. Das Bündnis “Basel Nazifrei” reagierte auf das Urteil und spricht von einem “gezielten Angriff auf politisch aktive Menschen”. Das Urteil berücksichtige weder die von der Polizei ausgegange Gewalt, noch die Tatsache, dass an diesem Tag Neonazis, “deren Politik auf die Unterwerfung und Vernichtung von nicht-weissen Menschen, Jüd*Innen und Linken hinausläuft” Basel als Bühne zu nutzen versuchten. Für das Bündnis ist klar, dass diese “Strafverfolgung einen politischen Charakter hat und damit zu der weltweiten Tendenz einer zunehmend autoritären Staatsgewalt passt”. Weitere mindestens 20 Personen sind für die gleiche Demonstration angeklagt, deren Verturteilungen werden laut Daniel Wagner, dem Anwalt des Angeklagten, wohl in die gleiche Richtung gehen. Dieser hat bereits Berufung gegen das Urteil angemeldet.
https://www.20min.ch/story/svp-richter-setzt-zeichen-gegen-antifa-demonstranten-605788574023
https://barrikade.info/article/3668


Was nun?

Educate! Aufruf zu kritischem Umgang mit (strukturellem) Rassismus in der linken Szene
Die politische Gruppe Linke PoC und Migrantifa Zürich engagiert sich neben ihren Kämpfen gegen Rassismus, Patriarchat und Kolonialismus für eine Sensibilisierung zu diesen Themen in der linken Szene. Die aktuelle konstruktive Kritik an den Organisator*innen einer Demonstration am 11. Juli ist für alle weiss-dominierten linken Gruppen und Organisationen relevant, sodass wir sie nachfolgend wortgetreu widergeben möchten:
“Die Black Power-Fist Was ist ein Symbol des schwarzen Widerstands. Sie ist in den Sechzigern entstanden als Symbol des selbstorganisierten Antirassismus. Als Symbol des selbstorganisierten Antirassismus wird sie auch von der Migrantifa verwendet. Migrantifa sind selbstorganisierte antirassistische Strukturen als Reaktion auf (von  weissen weitgehend unbemerkten) steigenden Rassismus. Dieses Logo wird verschieden eingefärbt von einem Bündnis in Zürich verwendet, um am 11. Juli für einen Aktionstag zu mobilisieren.
1. Black Lives Matter, Migrantifa und BPoC-Organisationen bilden nicht Teil des Bündnisses und wurden gemäßss momentanen Wissensstand auch nicht angefragt .
2. Hingegen bilden Organisationen sichtbaren Teil des Bündnisses, welchen wiederholt (struktureller) Rassismus vorgeworfen wurde. Zuletzt an der BLM-Demo in Winti, wo diese versuchten, vorne zu laufen, Parolen anzureissen und damit die Demo zu vereinnahmen. Eine Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus seither war nicht wahrnehmbar.
3. Das Logo – und damit unsere antirassistischen Kämpfe – werden sich von einem wahrscheinlich mehrheitlich weissen Bündnis angeeignet. Dies ist eine rassistische Praxis.
4. Es besteht kein thematischer Zusammenhang des Aktionstages zu Black Lives Matter und Migrantifa. Nur bei der Rojava-Veranstaltung liegt eine Berechtigung vor, das BLM/Migrantifa-Logo zu verwenden .
5. Dieser Aktionstag wurde parallel von einem schon seit längerer Zeit angekündigten mehrheitlich von Geflüchteten-Organisation organisierten Aktionstag ausgerufen. Zu diesem wurde keine Koordination versucht herzustellen. Damit wird den ausgehenden Kämpfen von Geflüchteten in den Notunterkünften das Wasser abgegraben.
Liebe Organisator*innen: Das gleiche strukturell rassistische Verhalten, nämlich dass ihr unsere Demos versucht zu vereinnahmen, wird hier nochmals reproduziert.
1. Macht weiss-sein sichtbar (nur eine Teilaktion macht dies momentan)!
2. Löscht das Black Lives Matter/ Migrantifa-Logo (ausser bei der Rojava-Veranstaltung)!”Die Organisator*innen haben das Logo als Reaktion auf diese Kritik geändert. Neben der Aneignung von Symbolen und der Vereinnahmung von Kämpfen gibt es eine Reihe weiterer häufiger rassistischer Formen, die auch innerhalb der Linken auftreten. Linke POC/ Migrantifa fasst folgende zusammen:
Paternalismus: Die Haltung, dass Schwarze Menschen und People of Color die Sympathie und “Hilfe” der Weissen benötigen. Sie findet von oben nach unten statt. Dabei wird für uns entschieden und gesprochen, statt dass wir BIPoC selbst Reden und Entscheiden. Die vorherrschende Form des Rassismus in der linken Bewegung.
Gaslighting: Rassismus-Erfahrungen von BIPoC nicht anerkennen und in Frage stellen. Reicht bis zu psychischem Missbrauch. “Du bildet dir alles ein”, “Du übertreibst und bist emotional”, “Du missverstehst mich”.Pathologisierung: Druck ausüben, dass die Person selbst glaubt, sie sei krank und bilde sich alles ein.
White Saviorism: Weisse, die BIPoC “Retten” wollen, ihnen aber schaden und sich selbst in den Mittelpunkt stellen. Dies in der Annahme, dass Weisse Schwarzen Menschen und PoC überlegen sind. Z. B.: Entwicklungshilfe, “Hilfs”-Reisen in Kriegsgebiete, Anmassung von Fähigkeiten, unkritische Adoptionen.
Tokenismus: Man nimmt eine Schwarze Person oder PoC als Alibi, um eigenen Rassismus zu rechtfertigen oder Diversität vorzutäuschen. Z. B. Schwarze SVP-Politikerin in Podiumsdiskussion, “Mein Schwarzer Freund sagt, dies sei nicht rassistisch”, “Unser Unternehmen beschäftigt auch Ausländer*innen”.
Fetischisierung: Aneignung und Instrumentalisierung von Körpern, Gesichtern und Kämpfen von BIPoC für eigene politische Zwecke. Häufig stereotypische Darstellung.
Weisse Komplizenschaft: “Ich werde deinen Rassismus nicht kritisieren, damit du meinen nicht kritisierst.” Ignorieren und Tolerieren, wenn man Rassismus wahrnimmt oder wenn BIPoC Rassismus-Vorwürfe erheben. Kann aus verschiedenen Gründen geschehen: Unterordnung unter Strukturen oder höheren Zielen, Gleichgültigkeit oder Angst.
Offener Rassismus: Weigerung, die Leitung von BIPoC zu akzeptieren (z. B. Schwarze Leitung bei Schwarzen Protesten), Eliminierung von BIPoC, die Rassismus ansprechen, offener Ausdruck rassistischer Stereotype, rassistische Witze, implizite “whites only”-Policy
Richtige Solidarität: Richtige Solidarität findet auf Augenhöhe statt. Sie respektiert das Gegenüber und hört ihm zu. Reflektiere, wann du dich (oft unbewusst) rassistisch verhalten hast, und versuche es zu ändern. Höre uns BIPoC zu, bilde dich zum Thema Rassismus, unterstütze uns.”
https://www.facebook.com/LinkePoC/posts/560680017932588https://barrikade.info/article/3640

Bild: Die Aktionskarte mit eingefärbten Black Power-Fäusten steht in der Kritik.


Wo gabs Widerstand?

Widerstand gegen die Rückkehrzentren im Kanton Bern: Die Gruppe „Stop Isolation“ protestiert vor dem SEM
Über 100 abgewiesene geflüchtete Migrant*innen protestierten letzte Woche unter Anderem vor dem Staatssekretariat für Migration (SEM) gegen das unmenschliche Leben in den Rückkehrzentren und für Respekt, Würde und Aufenthaltsbewilligungen. Der Protest dauerte zwei Tage und starteten mit der Übernachtung und Protestplanung in der Grossen Halle in Bern. An der Medienkonferenz am darauffolgenden Tag sprachen die Menschen über ihre schwierigen Lebensumstände in den neu eröffneten Rückkehrzentren und erläuterten ihre Forderungen, die sie per Brief dem SEM und dem Kanton Bern stellen: Bewilligungen statt Illegalisierung, kein Leben in den Rückkehrzentren, die wie offene Gefängnisse sind, keine dauernden Polizeikontrollen aufgrund „illegalisierten“ Aufenthalts und keine Ausschaffungen, die ein Leben in dauernder Angst bedeuten.
Im Anschluss begab sich die Gruppe zum SEM. Dort übergaben sie den Behörden den Brief, den 124 Personen aus den Rückkehrzentren in Aarwangen, Bözingen und Gampelen unterschrieben hatten. Vertreter*innen der Gruppe sprachen einige der Probleme an, welche die Menschen in den Rückkehrzentren erfahren, weil sie vom SEM illegalisiert werden:
– Keine Bewegungsfreiheit: Durch die tägliche Unterschriftspflicht in den Camps und die ständigen Polizeikontrollen können sich die Menschen kaum bewegen und haben keinen Zugang zum Leben ausserhalb des Camps. Insbesondere auch Kinder leiden unter diesen Bestimmungen. Sie können nicht wie andere Kinder spielen gehen und müssen Hobbies aufgeben.
– Kein Recht auf Arbeit: Ohne das Recht auf Arbeit haben die Menschen keine Perspektive. “Obwohl ich eine Lehrstelle bei der SBB gefunden hatte, durfte ich dort nicht arbeiten. Wir haben keine Menschenrechte”.
– Coronasituation: In den Camps leben sechs Personen zusammen in einem Zimmer. Zehn Personen teilen sich eine Toilette. «Abstand gibt es da nicht, Corona gibt es da nicht.» Das jedenfalls lassen uns die Zustände glauben. Weil die ORS AG den Menschen nicht einmal mehr die zwei Franken fürs Putzen geben will, putzt kein Mensch mehr. Daher ist alles schmutzig. Bakterien und Viren sind überall. “Und dies sind nicht einmal die Hälfte der Probleme, welche wir erfahren, weil wir vom SEM illegalisiert werden. Die Rückkehrzentren sind wie offene Gefängnisse! Menschenrechte kennen wir nicht. Wir werden behandelt, wie Tiere und nicht wie Menschen. Die Verantwortung für diese Probleme tragen das SEM und der Kanton Bern. Sie müssen handeln…”
Nach 30 Minuten kamen die delegierten Personen der Gruppe vom Gespräch mit dem SEM zurück. Resultat: Das SEM schiebt die Verantwortung an den Kanton Bern ab, macht aber die Versprechung, mit dem Kanton das Gespräch zu suchen. Nachdem die Gruppe diese Antwort besprochen hatte, verkündete sie folgendes Statement: “Wir werden das Gespräch mit dem Kanton Bern führen. Falls sich nichts ändert, protestieren wir erneut. Klar ist: Wir kämpfen weiter, bis unsere Forderungen erfüllt werden.”Bild: https://migrant-solidarity-network.ch/en/2020/07/07/die-gruppe-stop-isolation-protestiert-vor-dem-sem/

Auch in Zürich wehren sich geflüchtete Menschen gegen die Isolation in den Nothilfecamps. Die 132 Unterzeichnenden fordern in einem offenen Brief an das Sozialamt des Kantons Zürich, dass dieses auf den täglichen Unterschriftenzwang verzichten soll. Denn das Unterschreiben bestimmt die ganze Tagesstruktur und ist stark freiheitsberaubend: “Wir können nicht mehr weg. Hinzu kommt der finanzielle Schaden. Denn die Nothilfe wird nur dann ausbezahlt, wenn das Zeitfenster für die Unterschrift strikt eingehalten wird. An vielen Orten muss sie zwischen halb neun und halb elf hinterlassen werden. Wenn du einmal zu spät kommst, musst du den ganzen Tag ohne Geld auskommen“, sagt ein Bewohner.
https://daslamm.ch/zuercher-asylregime-widerstand-von-ganz-unten/
http://www.journal-b.ch/de/082013/politik/3647/Protest-gegen-R%C3%BCckkehrzentren.htm
https://www.derbund.ch/abgewiesene-asylsuchende-protestieren-gegen-berner-rueckkehrzentren-888083041534
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/die-hygienischen-zustaende-sind-unmenschlich-fluechtlinge-prangern-rueckkehrzentren-an-138391167
https://www.nau.ch/news/schweiz/abgewiesene-asylsuchende-demonstrieren-beim-sem-gegen-folter-65739367
https://migrant-solidarity-network.ch/

Exit Racsism Demo Bern
“Am Samstag, 11. Juli haben sich über 100 Menschen an einer Kundgebung in Form eines Flashmobs auf dem Bundesplatz in Bern beteiligt. Sie wurde von BIPOC organisiert und durch viele weisse Allies unterstützt.”
https://barrikade.info/article/3676

Proteste gegen Unmenschlichkeit in Moria und Kos
In ganz Griechenland bringen die Menschen ihre Wut über die Unterdrückung durch die Regierung zum Ausdruck. In der Stadt Kos auf der gleichnamigen Insel traten Migrant*innen in den Hungerstreik. In einem Video skandieren die Menschen “Wir wollen Freiheit!”. Die Menschen protestieren nicht nur gegen die nationale Politik, sondern auch gegen die oft willkürlichen Restriktionen, die von Leiter*innen und Mitarbeitenden der Asyllager eingeführt wurden. So hat zum Beispiel der Verwalter des Zentrums in Kos kürzlich Kindern den Schulbesuch untersagt, insbesondere unbegleiteten Minderjährigen. Der Grund für diese drakonischen Massnahmen der Lagerverwaltung: Einige Kinder hatten angeblich das Lager ohne Erlaubnis verlassen.
In Moria trauerten Menschen vor dem Asylbüro des Lagers um den Tod eines Teenagers. Der Junge wurde am Wochenende getötet und ist das jüngste Opfer der zunehmenden Spannungen im Lager, die durch den psychologischen Stress der Abriegelung und die strenge griechische Einwanderungspolitik noch verschärft wurden. Sein Blut klebt an den Händen gleichgültiger politischer Entscheidungsträger, die die Menschen in diesen Lagern auf unbestimmte Zeit festhalten, ohne dass es Massnahmen zum Schutz der Gesundheit oder Sicherheit der Migrant*innen gibt. Wir solidarisieren uns mit den Menschen, die in den Lagern eingesperrt sind und für ihre Rechte kämpfen!
https://medium.com/are-you-syrious/ays-daily-digest-8-7-2020-protests-in-camps-across-greece-8db3c76c434d


Was steht an?

Film: No Apologies
16.07.2020 I 20:00 I Bahnhöfli Biel | 17.07.2020 I Neues Kino Basel, in Zusammenarbeit mit der Velotour d’Horizon
No Apologies beschreibt den physischen und psychischen Belagerungszustand, welchem schwarze Männer in prekären Verhältnissen in Lausanne ausgesetzt sind, sowie den Widerstand, welchen sie dieser Belagerung entgegenhalten. Sie erzählen – mit oder ohne Maske – von ihrer persönlichen Reise, vom täglichen Überleben und der Polizeigewalt. Dabei hinterfragen sie ihren Platz in der schweizerischen Gesellschaft, welche sie als Aussenseiter betrachtet.
Jeweils in Anwesenheit des Filmkollektivs mit Diskussion. Sprache: en/fr mit dt Untertiteln.
https://barrikade.info/article/3646

Velotour d’Horizon | 10.07. – 02.08.2020
Die Velotour d‘Horizon 2020 thematisiert, welches Ausmass die Einschränkung im Lageralltag angenommen hat. Wir besuchen verschiedene Lager, dokumentieren die Situation und machen mit Aktionstagen auf die Missstände aufmerksam. Während drei Wochen sind wir (in der Schweiz lebende Menschen aus der ganzen Welt) selbstorganisiert mit den Velos unterwegs, stärken bestehende Initiativen und vernetzen uns untereinander.
www.antira.org/velotour

Demo: Suruç – Kein Vergeben, Kein Vergessen | 18.07.2020 I 17:00 I Barfüsserplatz Basel
Demo in Gedenken an das Suruç-Attentat vor 5 Jahren.
https://barrikade.info/event/1332


Lesens -/Hörens -/Sehenswert

Podcast: The European Union’s Violence Against Asylum Seekers
An Interview with Jack Sapoch, coordinator of No Name Kitchen‘s border violence reporting, itself part of the Border Violence Monitoring Network (BVMN) about the EU’s policy of violence against asylum seekers on the so-called ‘Balkan Route’ and how BVMN partners have been trying to document it and support those being victimised by it.
https://thefirethisti.me/2020/07/06/35-the-european-unions-violence-against-asylum-seekers/

Video: 1 out of 40,000: Karox
The Hungarian Helsinki Committee works towards providing effective assistance to those fleeing to Hungary. This film is about a young client of them who came to Hungary alone as a child, but the Hungarian state simply threw him out into Serbia.
https://vimeo.com/431039382

Die Toten von Zarzis
Die Abschottungspolitik der EU und der Krieg in Libyen führen dazu, dass immer mehr Menschen versuchen, über Tunesien nach Europa zu gelangen. Auch dies ein gefährlicher Weg. Die Fischer von Zarzis sind jetzt auch Totengräber für die Ertrunkenen.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/gefluechtete-in-tunesien-die-toten-von-zarzis.979.de.html?dram%3Aarticle_id=479778

Migrationspolitik
Das Echo der Zeit feiert dieses Jahr sein 75jähriges Jubiläum. Die erste Sendung wurde am 17. September 1945 ausgestrahlt. Deshalb schaut das «Echo» zurück: Auf die ganz grossen Themen, die in der Berichterstattung eine Konstante waren. Zum Beispiel die Migrationspolitik.
https://www.srf.ch/play/radio/echo-der-zeit/audio/echo-sommerserie-teil-1-migrationspolitik?id=ac3b809b-9bec-47b3-8b08-e25c82c361c3

Die Menschen erheben sich gegen Rassismus und Diskriminierung
Die Ermordung von George Floyd durch die Polizei in den USA hat dort und auf der ganzen Welt eine Welle der Empörung von unten ausgelöst. Massendemonstrationen und direkte Aktionen gegen die Polizei als Reaktion auf Repressionen waren in den letzten Wochen an der Tagesordnung. Dieser Mord, neben Tausenden von anderen, lässt die weit verbreiteten Proteste von 2014 in den USA wieder aufleben, die als Folge der vielen Morde an, insbesondere jungen, Schwarzen entbrannten.
https://barrikade.info/article/3678

How the legacy of colonialism built a palm oil empire
Due to the legacy of decades of colonial rule and the subsequent lack of local expertise and capital needed to meet the requirements of the World Bank’s economic incentive programs, newly independent governments drew on foreign capital during decolonization in the mid-20th to keep businesses and exports running. As a result, some of the biggest tropical commodity companies were founded during colonial times and still operate in countries once occupied by colonial powers. One of these is Société Financière des Caoutchoucs (Socfin), a Belgian holding company that operates palm oil and rubber plantations through dozens of subsidiaries across Africa and Southeast Asia.
https://news.mongabay.com/2020/06/how-the-legacy-of-colonialism-built-a-palm-oil-empire/?fbclid=IwAR2kWy2R2LfzUOs4i-32Msj8TAQMxSwWGJ2saDvHhuV0gF7YWwwK97SHO4M

Vom »radikal Bösen«
»Das KZ-Universum« von David Rousset war eines der ersten Bücher eines KZ-Überlebenden. 1946 erschienen, schilderte es den Horror der Lager. Warum es im Land der Täter erst jetzt erscheint, ist rätselhaft.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1138794.ns-gedenken-vom-radikal-boesen.html

Vortrag: Aufklärung im Verschwörungsdickicht | Von Antisemitismus bis Alternativmedizin – Aufklärung im Verschwörungsdickicht
Verschwörungsideologien, rechtes Gedankengut und Antisemitismus gehen Hand in Hand. Doch nicht immer ist der Hass auf Jüd*innen offen als solcher erkennbar und verbirgt sich nicht selten hinter alternativmedizinischen Angeboten. Ob Impfgegner*innen, Homöopath*innen oder Anhänger*innen der Germanischen Heilkunde – sie alle eint der Glaube an Geheimbünde und eine jüdische Weltverschwörung, die die Politik und die Pharmakonzerne beherrscht.
https://youtu.be/qgeBfdZi7EA