Medienspiegel 2. Juli 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
„STOPP ISOLATION“-PROTESTAKTIONEN IN DEN BERNER RÜCKKEHRCAMPS IN BÖZINGEN UND GAMPELEN
Gegen Rückkehrzentren | Alle haben ein Recht auf Leben und Freiheit
„Die Gruppe „Stopp Isolation“ fordert Aufenthaltsbewilligungen für ein Leben in Respekt und Würde. Rückkehrzentren sind offene Gefängnisse am Rande der Gesellschaft. Wir werden dort isoliert. Es gibt dort: Freiheitsbeschränkungen wegen Anwesenheitspflicht, Arbeit ohne Mindestentschädigung, krankmachende Lebensbedingungen und Stress wegen Polizei, Securitas oder ORS AG. Viele Menschen, die nicht in Zentren lebenmüssen, denken wir sind kriminell. Aber wir sind nicht zum Spass in der Schweiz, sondern weil wir nicht anders können. Wir sind seit Jahren hier – einige schon seit Jahrzehnten. Wir haben viel Zeit unseres Lebens verloren. Hört auf uns zu diskriminieren. Hört auf uns ausschaffen zu wollen. Wir brauchen Respekt und Gleichberechtigung im Zugang zu Arbeit, Wohnungen, Gesundheit und Bildung. Wir sind auch Menschen!“ „Stopp Isolation“ – Geflüchtete Migrant*innen mit Negativentscheid im Kanton Bern
https://migrant-solidarity-network.ch/2020/07/02/2-7-2020-stopp-isolation-protestaktionen-in-den-berner-rueckkehrcamps-in-boezingen-und-gampelen


+++TESSIN
«Meinen Kindern wird die Zukunft gestohlen»
Im Kampf um Gerechtigkeit wandert Lokman Kadak von Locarno nach Bern. Er will seinen Kindern ein Leben in Sicherheit ermöglichen.
https://www.infosperber.ch/Artikel/Gesellschaft/Meinen-Kindern-wird-die-Zukunft-gestohlen


+++ZÜRICH
Zürcher Asylpolitik: Mario Fehr und die «Fake News»
Zürichs Umgang mit Asylsuchenden während der Coronakrise ist Gegenstand einer Strafanzeige. Statt die Antwort der Justiz abzuwarten, greift Sicherheitsdirektor Mario Fehr seine KritikerInnen an. Nun haben sich diese beim Regierungsrat beschwert.
https://www.woz.ch/2027/zuercher-asylpolitik/mario-fehr-und-die-fake-news


+++SCHWEIZ
Zehnjähriges Jubiläum: Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter zieht positive Bilanz
Vor 10 Jahren wurde die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) geschaffen. In ihrem diesjährigen Tätigkeitsbericht zieht sie eine positive Bilanz über ihre Kontrollarbeit im Bereich von freiheitsentziehenden und freiheitsbeschränkenden Massnahmen. Der Bericht bietet zudem einen Überblick über die Tätigkeiten der Kommission im Jahr 2019. Dazu gehörte vor allem die Überprüfung der Gesundheitsversorgung in Justizvollzugseinrichtungen.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-79687.html
-> Tätigkeitsbericht 2019: https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/61971.pdf
-> https://www.luzernerzeitung.ch/news-service/inland-schweiz/anti-folter-kommission-kritisiert-haftbedingungen-in-bezirksgefaengnissen-ld.1234660
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/anti-folter-kommission-kritisiert-haftbedingungen-in-schweizer-gefaengnissen-138336215


+++FRANKREICH
Menschenrechte: Gericht verurteilt Frankreich für unwürdigen Umgang mit Asylsuchenden
Der Europäische Gerichtshof für Menschrechte spricht von einem „Mangel an Respekt für ihre Würde“: Drei Flüchtlingen steht nun Schadenersatz zu.
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-07/menschenrechte-migranten-frankreich-urteil-europaeischer-gerichtshof-fuer-menschenrechte
-> https://www.nzz.ch/international/gericht-verurteilt-frankreich-fuer-unwuerdigen-umgang-mit-migranten-ld.1564380


+++MITTELMEER
Rettungsschiff Ocean Viking mit 180 Migranten wartet weiter auf Hafen
Appelle an Italien und Malta blieben ungehört, beklagt SOS Méditerranée. Mehrere Migranten drohten damit, ins Meer zu springen
https://www.derstandard.at/story/2000118456622/rettungsschiff-ocean-viking-mit-180-migranten-wartet-weiter-auf-hafen?ref=rss


+++FREIRÄUME
Die Jungen feiern ohne Schutz – So will die Stadt Bern künftig illegale Partys verhindern
Die Polizei soll in der Stadt Bern illegale Partys frühzeitig unterbinden. Sicherheitsdirektor Reto Nause erklärt, wie.
https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/die-jungen-feiern-ohne-schutz-so-will-die-stadt-bern-kuenftig-illegale-partys-verhindern
-> https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/illegale-partys-im-oeffentlichen-raum-sollen-unterbunden-werden
-> https://www.bernerzeitung.ch/stadt-beauftragt-polizei-unbewilligte-partys-aufzuloesen-143550630996
-> https://www.20min.ch/story/stadt-bern-will-von-jetzt-an-illegale-partys-unterbinden-382723719486
-> https://www.nau.ch/ort/bern/stadt-bern-will-illegale-partys-unterbinden-65735879


«Doch eigentlich geht es beim Besetzen nicht um Utopien, sondern um konkreten Widerstand»
Die Besetzer*innen des Juch-Areals sind nach der Räumung in vier Abbruchhäuser in Altstetten weitergezogen. Medienanfragen wurden bislang ignoriert – Tsüri.ch konnte jedoch mit einer der Besetzer*innen sprechen.
https://tsri.ch/zh/wenn-man-uns-einen-raum-nimmt-heisst-das-nicht-dass-wir-oder-unsere-idee-dann-einfach-weg-sind/


+++GASSE
bernerzeitung.ch 02.07.2020

Problemhäuser in der Altstadt: Jetzt werden die vermüllten Wohnungen geräumt

Die Zustände in zwei Wohnhäusern an der Berner Gerechtigkeitsgasse sind desolat. Die Stadt hat nun verfügt, dass sie bis Ende Woche geräumt werden.

Rahel Guggisberg

Bei den Problemhäusern an der Gerechtigkeitsgasse 15 und 21 in der Berner Altstadt herrscht in diesen Tagen reges Treiben. Den ganzen Tag lang wurden am Dienstag Kühlschränke, Matratzen und Möbel aus den Wohnungen gebracht. Mehrere Anwohner beobachten schon seit mehreren Tagen, wie Abfall aus den beiden Häusern abtransportiert wird. Auch Zügelwagen fahren immer wieder vor und fahren den Müll weg.

Léa Zürcher vom Bauinspektorat der Stadt bestätigt: «Es ist korrekt, zurzeit werden diese Liegenschaften geräumt. Die Räumungsarbeiten werden voraussichtlich Ende dieser Woche abgeschlossen sein.»

Die Stadtbehörden haben in den vergangenen Wochen den Druck auf den Besitzer der Liegenschaften erhöht. So hat das Bauinspektorat dem Eigentümer per Verfügung mitgeteilt, dass erst wieder Mieter in die Häuser einziehen dürfen, wenn diese saniert sind. Die Verfügung ist jetzt rechtskräftig.

Das baupolizeiliche Verfahren wurde in Gang gesetzt, weil das Haus Sicherheits- und andere technische Mängel aufweist. Ein Brand hätte sich in den maroden und zum Teil überfüllten Räumen rasch ausgebreitet.

Der Eigentümer der Wohnungen geniesst einen zweifelhaften Ruf. Er besitzt mehrere Liegenschaften in der Region Bern. In der Vergangenheit hielt er verschiedene Gemeindebehörden auf Trab, etwa wegen zonenwidriger Bordelle. Er war gestern für diese Zeitung nicht erreichbar.

Zustände wie in einem Entwicklungsland

Vor einem Jahr sorgte eine Recherche dieser Zeitung für Aufsehen. Fotos zeigten, wie desolat die Zustände in diesen Häusern waren. Der Boden war voller Abfall. Es hatte ungeöffnete Briefe, Alkoholflaschen, Zigarettenstummel und Essensreste. Ein Raum war gefüllt mit Dutzenden von Abfallsäcken. «Der Gestank ist fürchterlich», sagten Anwohner. Hinter dem Geländer der Wendeltreppe hatte es kaputte Stühle und Müll. Auch die Terrasse war überfüllt mit Abfall. «Dieses Haus killt mich!», hatte jemand auf Englisch an die Wand geschrieben.

Die meisten Mieterinnen und Mieter bewegen sind am Rand der Gesellschaft. Einige von ihnen sind drogenabhängig, andere arbeiten als Dealer oder Prostituierte. Zuhälter sollen in den Häusern ein und aus gehen. Auch Sozialhilfebezüger waren vor einem Jahr unter den Mietern. Einer von ihnen hatte seine Wohnung untervermietet, wie die Recherchen dieser Zeitung damals zeigten.

Den Behörden der Stadt seien die Missstände bekannt, hiess es vor einem Jahr. Das Sozialamt der Stadt Bern hat nach einer Sozialinspektion beschlossen, keine Mietverhältnisse von Sozialhilfebezügern mehr zu akzeptieren.

Ein Teil der Mieter sind Ausländer, die jedoch nicht über gültige Aufenthaltspapiere verfügen. Das hat die Fremdenpolizei der Stadt Bern bei Kontrollen immer wieder festgestellt, wie Alexander Ott, Leiter des Polizeiinspektorats und der Fremdenpolizei der Stadt Bern, bestätigt.
Spuren von Kokain

Auch jetzt berichten mehrere Personen, die anonym bleiben wollen, dass in diesen Häusern nach wie vor viel Kokain konsumiert werde und dass die Räume nach wie vor stark verschmutzt seien. Darin lägen zahlreiche Utensilien, die beweisen, dass Drogen konsumiert werden. Die Eingangstür der Liegenschaft mit der Hausnummer 21 stand gestern offen. Immer noch gehen immer wieder Menschen ein und aus.

Anfang Mai dieses Jahres hat ein Raubüberfall für die Anwohner das Fass zum Überlaufen gebracht. Eine 83-jährige Ladenbesitzerin wurde von einem Unbekannten in der Gerechtigkeitsgasse überfallen und ausgeraubt. Der Täter soll in einer der beiden Liegenschaften Dauergast sein.

«Regelmässige Polizeieinsätze»

Die desolaten Zustände in den Häusern sind Stephan Minder ein Dorn im Auge. Er betreibt in der Gerechtigkeitsgasse das Lokal Cave Alpin. «Wegen Junkies und Prostituierten gibt es hier regelmässige Polizeieinsätze», sagt er. Auch für seine Gäste, die oft draussen sitzen, sei dies unangenehm. Er hat das Lokal vor sechzehn Jahren eröffnet. Vor vier Jahren sei er selbst angegriffen und dabei verletzt worden, sagt er.

«Vor ein paar Tagen sind einige Bewohner der Liegenschaft nun ausgezogen», sagt Minder. Sie hätten ihm erzählt, sie seien momentan in einer anderen Liegenschaft des Eigentümers in Ostermundigen untergebracht. Nun sei es hier in der Altstadt etwas ruhiger geworden. «Doch das Problem ist dadurch einfach verlagert worden», ist Minder überzeugt.
(https://www.bernerzeitung.ch/jetzt-werden-die-vermuellten-wohnungen-geraeumt-150462401202)
-> https://www.20min.ch/story/berner-problemhaeuser-in-der-altstadt-werden-geraeumt-488209414102



Platzspitz: Digitaler «Drogenparcours» veranschaulicht damaliges Elend
Hinter dem Landesmuseum, wo heute Einheimische und Touristen friedlich flanieren, herrschten vor 30 Jahren Drogen, Dreck und Kriminalität. Ehemalige Süchtige gehen auf die digitale Reise in die Vergangenheit.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/platzspitz-digitaler-drogenparcours-veranschaulicht-damaliges-elend-138341283


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Auftakt zum Prozessmarathon – Dutzende von Anti-PNOS-Demonstranten stehen ab Juli vor Gericht
Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten unter anderem Landfriedensbruch und Gewalt und Drohung gegen Beamte vor.
https://www.srf.ch/news/regional/basel-baselland/auftakt-zum-prozessmarathon-dutzende-von-anti-pnos-demonstranten-stehen-ab-juli-vor-gericht


+++BIG BROTHER
Contact-Tracing vor Clubs und Bars: «Die Leute haben keine Lust auf Stift und Papier»
Die neusten Vorfälle in Klubs zeigen, dass das Contact-Tracing schnell an seine Grenzen stösst, wenn die Menschen nicht mitmachen. Ein Zürcher Unternehmen hat eine App entwickelt, die eine mögliche Alternative zu handschriftlichen Kontaktlisten bietet.
https://www.nzz.ch/technologie/die-leute-haben-keine-grosse-lust-auf-stift-und-papier-ld.1564195


+++POLIZEI DE
Kein bedauerlicher Ausrutscher
DER FEIND STEHT RECHTS: Die Polizeigewerkschaft verhamlost Rechtsextremismus in den eigenen Reihen. Um jeden Preis.
Während die ganze Welt über Rassismus in der Polizei diskutiert, macht die größte deutsche Polizeigewerkschaft den »Linksextremismus« zum Titel ihres aktuellen Magazins – und verhamlost damit bewusst Rechtsextremismus in den eigenen Reihen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1138621.polizei-und-linksextremismus-kein-bedauerlicher-ausrutscher.html


Straflosigkeit mit System
Die Kampagnengruppe »Death in Custody« zeigt: Oury Jalloh war kein Einzelfall.
Schwarze Menschen und Personen of Color sind laut der Kampagnengruppe »Death in Custody« seit 1990 in Deutschland in Gewahrsam gestorben. Die Recherche soll zeigen, dass es sich dabei nicht um Einzelfälle handelt – und so Veränderung herbeiführen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1138614.death-in-custody-straflosigkeit-mit-system.html


Aufklärung auf sachsen-anhaltisch
Bericht von Sonderberatern zu mutmaßlichen Morden in Polizeirevier Dessau droht Geheimhaltung
https://www.jungewelt.de/artikel/381431.tod-in-der-polizeizelle-aufkl%C3%A4rung-auf-sachsen-anhaltisch.html


+++RASSISMUS
Rassismus und Sexismus – Vorbildlich leben, um Vorurteile zu entkräften
Rassismus und Sexismus stehen in der Schweiz auf der Tagesordnung. Ein Buch versammelt die Erfahrungen schwarzer Frauen aus Biel.
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/rassismus-und-sexismus-vorbildlich-leben-um-vorurteile-zu-entkraeften


Armut in der Schweiz: Kollateralschaden mit Ansage
In der aktuellen Wirtschaftskrise wird auch die breite Armut sichtbar, in die hierzulande nun weitere Zehntausende Menschen zu fallen drohen. Rassismus und Diskriminierung, über die derzeit debattiert wird, sind mit ein Grund.
https://www.woz.ch/2027/armut-in-der-schweiz/kollateralschaden-mit-ansage



tagesanzeiger.ch 02.07.2020

Umfrage zu AntisemitismusJudenhass: Studie bringt die hässliche Seite der Schweiz an den Tag

Abschätzige Kommentare, Drohungen, blöde Sprüche: Jede zweite Jüdin, jeder zweite Jude wurde schon verbal angegangen. Die Diskriminierung kommt aus der Mitte der Gesellschaft.

Luca De Carli

Im Zug nach Zürich und an der Universität trägt er die Kippa nicht, auch im Ausgang legt er sie ab. «Ich will an bestimmten Orten nicht auffallen und nicht riskieren, angegangen zu werden», sagt der Student aus Basel. Er bezeichnet sich als modern-orthodox. Das heisst, er befolgt zwar die meisten Ge- und Verbote des jüdischen Glaubens, aber kleidet sich ansonst wie alle anderen – mit Ausnahme der speziellen Kopfbedeckung.

Der Student ist einer von rund 500 Teilnehmern einer nationalen Umfrage der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Die Forscher wollten herausfinden, wie Jüdinnen und Juden Antisemitismus in der Schweiz erleben. Das Ergebnis zeigt eine hässliche Seite der Schweiz:

– Jeder zweite Teilnehmer hat in den letzten fünf Jahren antisemitische Belästigungen erlebt. Dieser Wert ist höher als das Ergebnis einer Umfrage in zwölf EU-Staaten, an der sich die Schweizer Forscher orientiert haben.
– Am verbreitetsten sind in der Schweiz «beleidigende oder bedrohliche Kommentare». Tatorte sind am häufigsten öffentliche Orte wie Strassen oder Parks, der Arbeitsplatz und Schulen beziehungsweise Hochschulen.
– Etwas öfter als in der EU-Umfrage geben Schweizer Juden an, antisemitisch motivierte Sachbeschädigungen erlebt zu haben. Gut 6 Prozent waren es in den letzten fünf Jahren.
– Am seltensten ist physische Gewalt gegen Juden. 3,5 Prozent der Befragten haben in den letzten fünf Jahren Tätlichkeiten oder Körperverletzung erlebt. Die Werte sind in der EU ähnlich.

Der Basler Student berichtet ziemlich abgeklärt von den Beschimpfungen, die er bislang erlebt hat. «So oft war das glücklicherweise gar nicht der Fall», sagt er. Es sei aber durchaus schon vorgekommen, dass ihm jemand aus dem fahrenden Auto oder vom Velo aus «Heil Hitler» zugerufen habe. Heftig seien teilweise auch die Sprüche auf dem Fussballplatz gewesen. Der junge Mann spielte früher in einer jüdischen Mannschaft. Trotzdem: Auswirkungen auf sein Verhalten hatten die Sprüche. Als Schüler trug er die Kippa noch häufiger.

Er sei nicht überrascht vom Ergebnis seiner Umfrage, sagt Dirk Baier, Professor am Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW. Gemäss einer Erhebung des Bundesamts für Statistik hat jeder Zehnte in der Schweiz eine negative Meinung über Juden. Die Werte für Muslime und Schwarze sind etwa gleich hoch. Diese Zahlen bestätige jetzt die Befragung der Opferseite, sagt Baier. «Wenn Sie 500 Schwarze in der Schweiz zu ihren Erfahrungen befragen würden, kämen wohl ähnliche Ergebnisse heraus wie jetzt bei der jüdischen Bevölkerung.»

Wer ist antisemitisch in der Schweiz? Nicht immer ist für die Opfer der Täter erkennbar, zum Beispiel bei Sachbeschädigungen. Ist er aber erkennbar, zeigt sich gemäss der Umfrage: Keine Tätergruppe dominiert. «Der Antisemitismus kommt offenbar aus der Mitte der Gesellschaft», sagt Kriminologe Baier. Das sei anders als in Deutschland oder Frankreich, wo viele Täter einen muslimischen beziehungsweise rechts- oder linksextremen Hintergrund hätten.

Diese Einschätzung bestätigt Dominic Pugatsch, Leiter der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, die den jährlichen Antisemitismusbericht für die Deutschschweiz mitherausgibt. Pugatsch spricht von einem «Alltagsantisemitismus», der in der Schweiz präsent sei. «Auf der Strasse, am Arbeitsplatz oder in der Schule sind verbale Belästigungen leider weitverbreitet», so Pugatsch. Dies habe neben der Hassrede im Internet durchaus auch direkte Auswirkungen auf das Sicherheitsbefinden von Jüdinnen und Juden – obwohl physische Gewalt gegen sie zum Glück in der Schweiz selten sei.

Das zeigt sich auch in der Umfrage. So wie der Student aus Basel vermeiden es zwei Drittel oft oder manchmal Dinge zu tragen, die sie als Juden erkennbar machen. Dieser Wert ist nur leicht tiefer als in der EU-Umfrage. Viel seltener als Juden aus Ländern wie Frankreich oder Deutschland äussern Schweizer Juden die Absicht, ihr Heimatland zu verlassen.

Deshalb aus der Schweiz auszuwandern, kann sich der Student nicht vorstellen. In seinem Bekanntenkreis sei das ebenfalls kein Thema. Auch wenn er und seine Freunde bei jedem antisemitischen Vorfall, der bekannt werde, aufschreckten.



So ist die Umfrage entstanden

Etwa 18’000 Jüdinnen und Juden leben geschätzt in der Schweiz. Zentral erfasst sind sie nirgends. Zu dieser Bevölkerungsgruppe eine repräsentative Umfrage durchzuführen, ist deshalb unmöglich. Dirk Baier und sein Team von der ZHAW haben via Inserate in jüdischen Medien und mit Unterstützung jüdischer Gemeinden und Vereine zur Teilnahme an ihrer Onlineumfrage aufgerufen. Sie zeichne ein äusserst realistisches Bild der jüdischen Bevölkerung der Schweiz, bewertet Dominic Pugatsch von der GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus das Ergebnis. Es sei so nahe an einer repräsentativen Umfrage wie möglich. (ldc)
(https://www.tagesanzeiger.ch/judenhass-kommt-in-der-schweiz-aus-der-mitte-der-gesellschaft-846570400090)
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/antisemitismus-in-der-schweiz-schweizer-juden-fuehlen-sich-zunehmend-diskriminiert
-> https://www.srf.ch/news/schweiz/antisemitismus-in-der-schweiz-schweizer-juden-fuehlen-sich-zunehmend-diskriminiert
-> https://www.nzz.ch/schweiz/antisemitismus-schweizer-juden-erfahren-haeufiger-diskriminierung-ld.1564320
-> https://www.tachles.ch/artikel/news/so-nehmen-schweizer-juden-antisemitismus-wahr
-> https://www.tachles.ch/artikel/news/zahlen-und-fakten-zur-studie



Der Kanton St.Gallen gegen Rassismus im Alltag
Im März 2020 hätten in St.Gallen eine Reihe von Aktionstage zum Thema Rassismus stattfinden sollen. Wegen dem Coronavirus wurden diese jedoch abgesagt. Der Kanton stattdessen das Projekt «Kanton St.Gallen gegen Rassismus» lanciert. Am Mittwoch hat der erste Anlass stattgefunden.
https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/der-kanton-stgallen-gegen-rassismus-im-alltag-00137408/


Der Kanton St.Gallen gegen Rassismus im Alltag
Im März 2020 hätten in St.Gallen eine Reihe von Aktionstage zum Thema Rassismus stattfinden sollen. Wegen dem Coronavirus wurden diese jedoch abgesagt. Der Kanton stattdessen das Projekt «Kanton St.Gallen gegen Rassismus» lanciert. Am Mittwoch hat der erste Anlass stattgefunden.
https://www.toponline.ch/news/stgallen/detail/news/der-kanton-stgallen-gegen-rassismus-im-alltag-00137408/


+++HOMOHASS
Reggae-Sänger Buju Banton: Noch nicht bereit
Nach verbüßter Haft veröffentlicht Dancehall-Sänger Buju Banton ein neues Album. Von einem homophoben alten Song distanziert er sich allerdings nicht.
https://taz.de/Reggae-Saenger-Buju-Banton/!5693628/


+++RECHTSEXTREMISMUS
So sind die Grauen Wölfe in Österreich organisiert
Die Grauen Wölfe organisieren in Österreich tausende Menschen. Doch wo sind diese Strukturen? Welche Vereine und Moscheen gehören zu den Faschisten? Und wie könnt ihr sie erkennen? Teil 3 der Serie.
https://www.bonvalot.net/so-sind-die-grauen-woelfe-in-oesterreich-organisiert-894/


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Whatsapp-Nachrichten schüren Panik: Plant Bern wirklich den Corona-Impfzwang? BLICK klärt auf
Die Gerüchteküche brodelt: Angeblich will der Bundesrat durch die Hintertür einen Impfzwang einführen. Doch im Epidemiengesetz ist diese Frage schon längst geklärt. Möglich ist nur ein Obligatorium ohne Sanktionen.
https://www.blick.ch/news/politik/whatsapp-nachrichten-schueren-panik-plant-bern-wirklich-den-corona-impfzwang-blick-klaert-auf-id15965815.html
-> https://www.watson.ch/!558261033
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/wieso-die-impfzwang-panik-immer-noch-unbegrundet-ist-65736160


+++HISTORY
Maaza Mengiste: «Erschreckend viele Leute sind stolz auf Mussolini, aber niemand redet über Äthiopien»
Das koloniale Erbe wirkt überall dort weiter, wo Geschichte verdrängt wird: Die Schriftstellerin Maaza Mengiste über die Rolle der Frauen im Kampf gegen den Faschismus und über falsche Denkmäler.
https://www.woz.ch/2027/maaza-mengiste/erschreckend-viele-leute-sind-stolz-auf-mussolini-aber-niemand-redet-ueber



Basler Zeitung 02.07.2020

Diese Basler handelten mit Sklaven

Nur wenige waren direkt in den Kauf und Verkauf von Menschen involviert gewesen. Doch es ist Teil der Geschichte, dass Geschäftsleute aus der Stadt am Oberrhein in den Sklavenhandel verwickelt waren.

Mischa Hauswirth

Globale Vernetzung ist keine Erfindung der heutigen Zeit. Basler Textil- und Seidenbandhersteller im 17. und 18. Jahrhundert waren bis in entlegene Erdteile vernetzt. Basler Handelsfamilien schickten Sprösslinge aus ihren Reihen in diese exotische Welt, und das nicht nur, um einzigartige Spinnen, Pflanzen oder Tiere zu entdecken und zu beschreiben.

Vor allem ging es darum, Handelsverbindungen zu knüpfen und zu festigen sowie Textilien aus der Region Basel als Zahlungsmittel im Sklavenhandel zu verwenden, wie Jörg Becher, Publizist und Mitarbeiter beim Projekt der neuen Basler Stadtgeschichte, schreibt. Martin Lengwiler, Professor für Geschichte an der Uni Basel, weist zudem darauf hin, dass Basel vor der Industrialisierung «auch eine Handelsstadt» gewesen sei. «Sowohl beim Import von Rohwaren als auch beim Export ihrer Produkte waren die Basler Kaufleute vom Fernhandel abhängig», so Lengwiler. «Sie engagierten sich stark im Handel mit Baumwolle und mit sogenannten Kolonialwaren.» Dieser Handel mit Erzeugnissen aus fernen, oft tropischen Ländern «war bis 1850 aufs Engste mit der Sklaverei auf Plantagen und dem Sklavenhandel zwischen Afrika und Amerika verknüpft», hielt Hans Debrunner 1993 in einem historischen Aufsatz für das Basler Stadtbuch fest.

Von den europäischen Häfen aus fuhren Schiffe mit Textilien, Gewehren, Eisenwaren und Schnaps nach Westafrika, um dann Sklaven in die Karibik, nach Amerika oder Südamerika zu bringen. Basler investierten meist indirekt in solche Unternehmen und erhofften sich Profit.

Wie sehr Sklavenhandel damals in der Basler Gesellschaft akzeptiert gewesen sein muss, zeigt Debrunner und stützt sich dabei auf Akten aus dem Staatsarchiv: «Als um 1750 von Amsterdam aus Basler Siedler für Surinam angeworben wurden, bekam jede ‹Familie› zehn Sklaven versprochen, was der Rat offenbar in Ordnung fand. Damals zweifelte man in Basel auch von der Kanzel herab nicht an der Berechtigung der Sklaverei und des Sklavenhandels.»

1 Isaac Miville (genaue Lebensdaten unbekannt, 17. Jahrhundert)

Er war ein Basler in schwedischen Diensten. Für die «Schwedische Afrikagesellschaft» errichtete Miville 1652 das für das Verschiffen von Sklaven bedeutende Fort Cape Coast in Ghana (früher Goldküste), das sich zu einem wichtigen Umschlagplatz von Afrikanern entwickelte. Miville leitete dieses Fort als erster Europäer und amtete gewissermassen als Kolonialbeamter. Von Ghana aus wurden Sklaven in die Karibik verkauft, wo sie als Arbeiter in den Zuckerrohr-, Kaffee-, Tabak- oder Baumwollplantagen arbeiten mussten.

Später, ab 1829, etablierte sich allmählich die Basler Mission (BM) in dem Gebiet der ehemaligen Goldküste. Die BM sah sich mit dem Problem konfrontiert, dass es noch um 1860 einheimische Assistenten der Basler Missionare gab, die Sklaven hielten. «Das Basler Mutterhaus war gegen die Sklaverei, hatte aber mit den vor Ort herrschenden sozialen Strukturen, welche die Sklaverei begünstigten, lange zu kämpfen», heisst es auf der Website cooperaxion.ch, welche die Geschäfte der verschiedenen Schweizer Akteure während des transatlantischen Sklavenhandels des 17. bis 19. Jahrhunderts dokumentiert.

2 Jeremias Müller (genaue Lebensdaten unbekannt, 17. Jahrhundert)

Über ihn ist wenig bekannt. Er war ein Arzt und Kolonialhändler aus Basel und besass im 17. Jahrhundert auf Jamaica eine Plantage. 1660 ging auch er in die Geschichtsbücher ein, weil er von einem seiner Sklaven offenbar aus Rache angegriffen und getötet wurde. Ein Chronist hielt fest, er sei «von einem seiner leibeigenen Moren/auf einem Sonntag abends in dem spatzier/gang hintrrugs angegriffen und ermördet» worden. Zuvor war Müller 14 Jahre lang in Virginia und Brasilien im Kolonialwarenhandel tätig gewesen.

3 Isaac Faesch (1687–1785)

Isaac Faesch stammte aus einer Basler Patrizierfamilie, war Söldneroffizier sowie Kaufmann und wurde 1735 zum Kommandanten der Insel St. Eustatius auf den holländischen Antillen. Danach ernannte man ihn zum Gouverneur der Inseln Curaçao, Bonaire und Arubavor Venezuela. Durch die Heirat der Tochter eines holländischen Kaufmanns erhielt er eine Plantage. Als Gouverneur war er für die Interessen der Holländer verantwortlich, musste aber auch dafür sorgen, dass sich die «Mulatten, Freineger und Kompaniesklaven» im Sinne des Systems verhielten und es zu keinem Streit oder Aufstand kam. Faesch selber besass eigene Sklaven, die auf seiner Plantage arbeiteten.

Ein Aufstand jedoch liess sich 1750 nicht verhindern. Faesch reagierte brutal und liess 47 Sklaven enthaupten. «Ihre Köpfe wurden auf Pfählen am Hafen zur Schau gestellt», schreibt Debrunner.

Faesch selbst verlor beim Aufstand 39 Sklaven und schrieb, man habe ihn finanziell ruiniert. Er beteiligte sich zusammen mit Johann Jakob Hoffmann am Handel mit Kolonialwaren wie Zucker, Kaffee, Tabak, Kakao, Silber und Gold. Bei seinem Tod hinterliess er ein grosses Vermögen.

4 Johann Jakob Hoffmann (genaue Lebensdaten unbekannt, 18. Jahrhundert)

Johann Jakob Hoffmann war der Mann der sogenannten Kleinen Fahrt, weil er keine Sklaven über den Ozean transportierte, stattdessen die Fahrten von den karibischen Inseln zum amerikanischen oder südamerikanischen Festland organisierte. Er kaufte die Sklaven auf St. Christopher in der Karibik direkt vom Schiff und verkaufte sie mit Gewinn auf dem südamerikanischen Festland – zum Beispiel in Venezuela. «Bitte kaufen Sie auf meine Rechnung etwa 30–35 Köpfe Sklaven im Alter von 15–16 Jahren», schrieb er an einen Geschäftspartner. Dann gab er noch Anweisungen an den Kapitän, die Sklaven sollen «gut versorgt und verpflegt werden» und dass nur bei «guten Winden» gefahren werden soll.

5 Christoph Burckhardt (1766–1815)

Der Sohn von Christoph Burckhardt-Merian gründete 1790 im französischen Nantes die Firma «Bourcard Fils & Cie.» und sorgte damit dafür, dass es zur wohl direktesten Beteiligung Basels am Sklavenhandel kam. Die Firma wurde dank Kapital von Familienmitgliedern und Bekannten, wie den Brüdern Jean-Jacques und Christoph Merian, ermöglicht und wirkte zwischen 1783 und 1818. Die Unterfirmen Christoph Burckhardt & Sohn, Christoph Burckhardt & Cie. sowie Bourcard Fils & Cie. beteiligten sich an insgesamt 21 Sklavenhandelsexpeditionen. Dabei sollen 7350 afrikanische Sklaven nach Amerika verschifft worden sein, etwa 1000 davon starben auf der Überfahrt.

Christoph Burkhardt beteiligte sich anteilsmässig auch an Sklavenexpeditionen. Das Schiff «L’Intrépide» wurde für den Investor aus Basel zu einem finanziellen Fiasko, weil ein Unwetter die Überfahrt heimsuchte, viele Afrikaner an Bord starben und der Sklavenpreis nach Aufständen wie in Haiti zusammenfiel. Der finanzielle Verlust machte die Firma abhängig von der Unterstützung der väterlichen Firma in Basel. Der Händler Christoph Burkhardt investierte noch zweimal in Sklaventransporte, was sich erneut nicht auszahlte, weshalb er – bankrott – im Oktober 1815 Suizid beging.

6 Christoph Merian senior (1769–1849)

Der Vater des späteren Mäzens und sozial engagierten Christoph Merian, hatte enge wirtschaftliche Verbindungen mit der Basler Handelsgesellschaft Christoph Burckhardt & Co. und Bourcard Fils & Cie. Burckhardt & Co. hatte sich zwischen 1783 und 1790 finanziell an insgesamt 21 Sklavenfahrten beteiligt, hinzu kamen Investitionen in den Verkauf von Indienne-Stoffen, mit denen Sklaven gekauft wurden.

Nach heutigem Kenntnisstand waren die Gebrüder Merian, also eine Generation vor Stiftungsgründer Christoph Merian, an keiner Sklavenunternehmung finanziell beteiligt, weder in Form von Aktien oder Versicherungsanteilen noch von Warenlieferungen und Ausrüstungsgegenständen. Zu diesem Schluss kommt Robert Labhardt in seiner Biografie «Kapital und Moral» über Christoph Merian junior. «Das Vermögen Christoph Merians ist daher von keinen Gewinnen aus dem Sklavenhandel alimentiert», schreibt Labhardt. «Die Frères Merian waren aber keineswegs moralische Gegner des Sklavenhandels. Sie unterstützten finanziell die in Sklavengeschäfte involvierte Firma Bourcard Fils & Cie. und baten im Jahre 1814, als sich Kolonial- und Sklavenhandel wieder belebten, ihre Partner in Nantes um Informationen über alle Bewegungen im Sklavenhandel und über die zu erwartenden Profite daraus.» Zu einem finanziellen Engagement kam es aber nicht.
(https://www.bazonline.ch/diese-basler-handelten-mit-sklaven-760683655574)



derbund.ch 02.07.2020

Der Entstehungskontext des Wandbilds: «Die Zensur zeigt auf das, was sie verbergen will»

Im Schulhaus Wylergut übermalen Unbekannte ein «rassistisches» Wandbild von Eugen Jordi und Emil Zbinden. Was hätten die Künstler 1949 anders machen können? Zwei Mitglieder des Fördervereins Emil Zbinden nehmen Stellung.

Martin Bieri

Im Schulhaus Wylergut wurden Teile eines Wandbilds von Eugen Jordi und Emil Zbinden mit schwarzer Farbe übermalt, weil sie, laut Bekennerschreiben, «stereotypisiert, rassistisch und fremdbezeichnend» seien. In seiner Pressemitteilung teilt der Förderverein Emil Zbinden grundsätzlich diese Einschätzung, bedauert aber gleichzeitig «den zensurhaften Eingriff sehr». Sind Sie damit einverstanden, dass die Stadt juristisch nicht gegen die Täter vorgehen will?

Jürg Spichiger: Wir sind mit der Tat nicht einverstanden. Trotzdem finden wir, dass Repression nicht zu der Auseinandersetzung mit Zbindens Werk passen würde, wie wir sie uns vorstellen. Juristisch haben wir ohnehin keine Mittel in der Hand. Das Wandbild gehört der Stadt.
Etienne Wismer: Der Vorstand hat intensiv über die Haltung zu dem Vorfall diskutiert, es gab verschiedene Positionen. Unser Vereinszweck sieht die Bekanntmachung und den Erhalt von Emil Zbindens Werk vor. Erhalt ist ein sehr offener Begriff. Den von der Stadt initiierten, laufenden Wettbewerb für eine zeitgemässe Verhandlung des Wandbildes halten wir für den richtigen Weg. Wir plädieren aber für den Erhalt vor Ort.

Bei manchen Kunstwerken, die wir heute als rassistisch erkennen oder interpretieren, besteht das Problem, dass wir die Intention der Urheber nicht mehr genau eruieren können. Bei der Statue der Zunft zum Mohren lässt sich zum Beispiel nicht einmal genau sagen, was sie eigentlich darstellt. Ist das bei Zbinden und Jordi auch so?

Wismer: Über die Entstehungsbedingungen wissen wir nicht restlos Bescheid. Möglicherweise durch Vermittlung von Ernst Nobs, dem ersten sozialdemokratischen Bundesrat, erhielten Eugen Jordi, Rudolf Mumprecht und Emil Zbinden 1949 den Auftrag der Stadt, das Schulhaus der neu entstehenden Siedlung Wylergut zu gestalten. Die drei traten als Kollektiv auf. Mumprecht war für die Aussenwand verantwortlich, Jordi und Zbinden für das Treppenhaus. Ob inhaltliche Vorgaben gemacht wurden, lässt sich nicht mehr sagen. Für die Künstler war es nicht nur ihr erster öffentlicher Auftrag, sie waren, weil sie hauptsächlich als Grafiker arbeiteten, auch mit der Fresko-Technik nicht vertraut. Nach Abschluss fand Zbinden, die Arbeit sei kein «überraschendes Meisterwerk», sie könne aber bestehen. Bittere Ironie, dass wir heute ausgerechnet bei diesem Werk darüber sprechen, ob es weiter bestehen kann.

Jordi war Sozialist, der als junger Mann der «bourgeoisen Kunst» abschwor, in den späteren Jahren dann aber doch ein eigentlicher Arbeitermaler wurde und im Zug zwischen Bern und Kehrsatz die Pendler der dritten Klasse verewigte. Auch Zbindens politische Einstellung ist bekannt.

Spichiger: Er war mindestens gewerkschaftsnah. Zbinden gründete erst die Schweizer, dann die internationale Vereinigung der Holzschneider Xylon mit. In den 30er-Jahren lebte er in Deutschland, blieb aber nicht. Seine antifaschistische Einstellung drückte er zum Beispiel im Holzschnitt des angeklagten Dimitroff aus. Über die Büchergilde Gutenberg, für die Zbinden 17 Jahre lang illustrierte, sagte er später, sie habe «mit Gotthelf gegen Hitler gekämpft».

Das schützte Jordi und Zbinden nicht davor, rassistische Stereotypien abzurufen. In der Beurteilung des Werks sind sich Förderverein, Stadt und die anonymen Übermaler einig. Es entstand 1949. Was hätten die Künstler damals anders machen, was hätten sie wissen können?

Spichiger: Diesbezüglich waren Jordi, Mumprecht und Zbinden nicht auf der Höhe der Zeit. 1951 kam James Baldwin nach Leukerbad, 1953 Vincent Carter, der Autor des «Bern Book», nach Bern. Zbinden stellte 1946 in Paris aus, wo Mumprecht ab 1949 sogar lebte und wohin viele schwarze amerikanische Schriftsteller gezogen waren, etwa Richard Wright. Dessen Autobiografie «Black Boy» erschien 1947 in einem Zürcher Verlag unter dem Titel «Ich Negerjunge» auf Deutsch. Zbinden gestaltet 1964 ein Cover für genau dieses Buch. Die dem Bild zugrunde liegende Grafik heisst «Coloured» und zeigt, dass sich Zbinden spätestens da der Problematik bewusst war. Aber er hätte es schon vorher wissen können. In den 30ern, als Zbinden in Leipzig lebte, hatte ihm der Künstler Alfred Frank, der 1945 von den Nazis ermordet wurde, eine «Negerstudie», ein sehr schönes, realistisches Porträt eines Schwarzen geschenkt.
Wismer: Man darf den pädagogischen Zusammenhang nicht vergessen: Das Bild befindet sich in einem Schulhaus. Möglicherweise orientierten sich Jordi und Zbinden auch an gängigen Kinderbüchern der Zeit. Wie an einem Bilder-ABC, das sich in Zbindens Bibliothek befand und das, wie das Wandbild, auf einer Doppelseite die Buchstaben M und N mit «Muschel» und «Neger» assoziiert. Dabei widerspricht das Alphabet im Wylergut eigentlich unserer Lesegewohnheit. Es befindet sich im Treppenhaus und muss von unten nach oben gelesen werden. Auf der Bildebene wirkt es aber unreflektiert und beliebig.

Unterstellt man Jordi und Zbinden eine humanistische, integrative Absicht, hätten sie trotzdem eine Jazzsängerin oder einen haitianischen Aufständischen malen können. Dennoch ist es schwer vorstellbar, dass sie sich gar nichts überlegten. Nach dem Wylergut-Auftrag fuhren sie in die Berge, wo sie selbstkritisch über Landschaftsmalerei nachdachten und das Entstehen der grossen Staumauern in den Alpen dokumentierten, wobei sie sich besonders für die ausländischen Arbeiter interessierten. Darstellung war bei ihnen mit Wertschätzung verbunden.

Wismer: Ja, aber es ist ein Unterschied, ob man auf der Baustelle arbeitet, mit den Arbeitern isst und in den gleichen Baracken schläft und sie dann zeichnet, oder ob man, in der trügerischen Hoffnung, leicht verständlich zu sein, einfach ein Klischee abruft. Jordi und Zbinden haben sich nicht mit den Realitäten von Schwarzen oder der indigenen Bevölkerung Amerikas auseinandergesetzt. Die Darstellungen wirken, als wären sie aus einem Buch an die Wand gesprungen. Der Humanismus der Künstler ist im vorliegenden Fall schemenhaft, paternalistisch und stellt eindeutige Hierarchien her.

Als würden sie, weil sie für Kinder malen, sich selbst einen angenommenen Kinderblick aneignen. Die Darstellung der Figuren wirkt allerdings nicht herablassend, sondern empathisch. Der Chinese hat einen offenen, einladenden Gesichtsausdruck, der Indianer wirkt ernst und melancholisch.

Wismer: Aber das liesse sich nur so sehen, wenn man die Porträts von der diskriminierenden Bezeichnung und dem Bildzusammenhang, der die Menschen mit Tieren und Objekten gleichsetzt, lösen würde.

Die Kinder hatten das Problem ja auf ihre eigene Weise gelöst: Jahrelang klebte über dem Bild für den Buchstaben N eine Zeichnung mit einem Nashorn.

Spichiger: Tatsächlich hat die Übermalung in eine soziale Praxis eingegriffen, die sich rund um das Bild entwickelt hatte. Über Jahre, wohl Jahrzehnte, haben sich Lehrer und Schüler auf der Treppe sitzend mit dem Bild und mit dem Thema Rassismus befasst.
Wismer: Durch die Übermalung sind die Bilder zudem noch sichtbarer geworden. Erstens, weil über sie gesprochen wird, was zu begrüssen ist. Zweitens aber, weil sie unter der schwarzen Farbe durchscheinen und dadurch optisch hervortreten. Das ist das Paradox der Zensur: Sie zeigt auf das, was sie verbergen will.



Warum die Stadt auf eine Strafanzeige verzichtet

Ende August letzten Jahres schrieb die Stadt Bern einen künstlerischen Wettbewerb zum Umgang mit dem Wandbild im Schulhaus Wylergut aus. Das Verfahren sollte «das implizit rassistisch geprägte Kunstwerk zeitgenössisch verorten und diskutieren». Die öffentliche Präsentation der fünf Vorschläge in der engeren Auswahl hätte im März stattfinden sollen, wurde aber, bedingt durch die Pandemie, auf Mitte August vertagt. Mitte Juni wurden Teile des Wandbilds schwarz übermalt. In einem Bekennerschreiben nannte die unbekannte Täterschaft die Auseinandersetzung mit dem Bild «heuchlerisch», weil «historische Relikte und Denkmalschutz mehr gewertet» würden als «institutionelle und alltägliche Rassismen». Der Gemeinderat verzichtet auf eine strafrechtliche Verfolgung, da er die «Ungeduld und die Wut» nachvollziehen könne, auch wenn er gleichzeitig kritisiert, wie sie zum Ausdruck gebracht würden. Das schreibt er in einer Pressemitteilung. Für Annina Zimmermann, die städtische Fachspezialistin Kunst, rechtfertigt die Übermalung «den Aufwand, den wir betreiben: Wir verstehen die Aufgabe, welche das Wandbild an uns stellt, als Anlass, etwas über unser koloniales Erbe zu lernen.» Mit der schwarzen Farbe hat die Problematik nun «eine Zeitschicht mehr». Die veränderte Ausgangslage stelle den Wettbewerb jedenfalls nicht grundsätzlich infrage. (mai)
(https://www.derbund.ch/die-zensur-zeigt-auf-das-was-sie-verbergen-will-266717581945)