Widerständiger Rückblick auf eine Woche voller Rassismus:
- Rassistischer Mob greift in Guben Asylsuchende an
- Haftlager Röszke in Ungarn wird geschlossen
- Asylrechtsverschärfung und Push-Backs in Griechenland
- Malta und die Unmenschlichkeit gegenüber geflüchteten Menschen
- Mann stirbt durch Sprung vom Quarantäneschiff vor Sizilien
- Parlamentarische Feinschliffe am präventiveren und repressiveren Strafrecht
- Militarisierung der Grenzen konstruiert Bild einer Gefährdung durch Menschen auf der Flucht
- Haftbedingungen in libyschen Lagern fordern weiteres Todesopfer
- 600 Millionen „Entwicklungsgelder“ fliessen direkt an Multis und Konzerne
- Fluchtroute verschiebt sich in den Atlantik
- Kopf der Woche Ignaz Bearth Holdener
- Spargelhof Ritter bezahlt wegen Streik von migrantischen Landarbeitenden
- Freispruch für das Verbrechen der Solidarität in Frankreich
- Mit Nationalfahne zur Mahnwache: Verschwörungsmythen und Anti-Lockdown Proteste in schweizer Städten
- 23 UMAs aus Griechenland in der Schweiz angekommen
- Streik der migrantischen Landarbeiter*innen in Italien
- Hunderte Menschen in Melilla im Hungerstreik
- Europaweiter Aktionstag fordert: „Evakuiert alle Lager!“
- Räumung des Juch-Areals in Zürich
Was ist neu?
Rassistischer Mob greift in Guben Asylsuchende an
In der brandenburgischen Stadt Guben wurden vier Asylsuchende im Stadtpark angegriffen. Sie wurden geschlagen und rassistisch beleidigt. Während zwei von ihnen fliehen konnten, mussten ein 16- und ein 19-Jähriger mit Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden. Die Angreifenden: Eine Gruppe aus 15-20 Personen. Den Medien ist das eine kurze Notiz wert. Die Medien sprechen von „Jugendlichen“, was den Fokus von rechter Gewalt ablenkt und auf eine Streitigkeit zwischen Heranwachsenden verschiebt. Über die Nationalität der Angegriffenen wird ausführlich berichtet, zu der der Angreifer*innen sowie ihrer Motivation fällt kein Wort. Niemand hat etwas gesehen, nicht einmal die genaue Zahl der Angreifer*innen ist klar. Hingegen erscheinen in der Lokalzeitung Reportagen zum „Brennpunkt Deulowitzer Strasse“, der Adresse des Asylheims.
Für einige Locals ist das nicht überraschend. So heisst es in einem Kommentar in der Regionalzeitung: „Meine Mutter wohnt in der Nähe des Stadtparks in Guben. Sie hat mehrmals nachts Gruppen von Menschen vor ihrem Wohnhaus gesehen, die den Hitlergruss gezeigt und rassistische Parolen gerufen haben. Sie hatte die Polizei gerufen, die allerdings erst eine Stunde später vor Ort war und niemanden mehr antraf.“
142 rechte Gewaltdelikte registrierte die Opferperspektive, eine Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt 2019 in Brandenburg. 39% der Betroffenen waren minderjährig, 75% der rechten Gewalttaten rassistisch motiviert. In Brandenburg berichten Betroffene rechter Gewalt immer wieder davon, beim Versuch der Anzeigestellung bei Polizeidienststellen abgewiesen zu werden oder über Monate auf eine Vorladung zu warten. Die Schaffung einer unabhängigen Polizeibeschwerdestelle wird seit Jahren aufgeschoben. Es werden immer wieder Verstrickungen der Polizei mit der organisierten Rechten bekannt. Rechtsterroristische Gruppierungen wie Combat 18 haben Verbindungen nach Brandenburg. In ihrem Jahresbericht fasst die Opferperspektive zusammen: „Zugleich war das Jahr durch die rechten Morde in Halle und Kassel sowie die Aufdeckung rechtsterroristischer Netzwerke und ihrer „Feindeslisten“ gekennzeichnet. Diese Nachrichten, verstärkt durch den rassistischen Terroranschlag in Hanau im Februar dieses Jahres, erzeug(t)en bei Migrant*innen, People of Color, muslimischen und jüdischen Menschen das Gefühl, in diesem Land nicht mehr sicher zu sein.“
Bei den Landtagswahlen 2019 wählte ein Viertel der brandenburgischen Bevölkerung die rechtsextreme AfD, in Guben waren es sogar ein Drittel. Der Fraktionsvorsitzende im Landtag, Höcke-Kumpel und „Flügel“-Führungsfigur Andreas Kalbitz wurde vergangene Woche wegen Verflechtungen in die rechtsextreme Szene aus der Partei geschmissen – um den Schein zu wahren und die Beobachtung der gesamten Partei durch den Verfassungsschutz zu verhindern. Kalbitz‘ Vergangenheit war schon vor den Wahlen bekannt und brachte ihm möglicherweise mehr Stimmen ein, als sie ihn kostete. Alle Faktoren zusammen bilden einen hervorragenden Nährboden für rassistische Gewalt.
https://www.tagesspiegel.de/berlin/polizei-justiz/rassistische-attacke-in-guben-bis-zu-20-jugendliche-in-brandenburg-greifen-fluechtlinge-an/25840676.html?fbclid=IwAR1QqYyBX7W260LzEymEzivZvBj4MjZpcQvybnQPJcS36UZlVnMBGgKDm4I
https://www.rbb24.de/studiocottbus/panorama/2020/05/angriff-asylbewerber-jugendliche-guben-staatsschutz.html
https://www.opferperspektive.de/category/rechte-angriffe/chronologie-rechter-angriffe
https://www.opferperspektive.de/wp-content/uploads/2020/03/hintergrundpapier_2019_final.pdf
https://interaktiv.tagesspiegel.de/lab/landtagswahl-brandenburg-2019/https://taz.de/Nach-Rausschmiss-aus-der-AfD/!5686040/
Haftlager Röszke in Ungarn wird geschlossen
Seit 2015 inhaftiert die ungarische Regierung Geflüchtete im Lager Röszke im ungarisch-serbischen Grenzgebiet. Menschen, die von Serbien kommend ein Asylgesuch in Ungarn stellen wollen, werden in dieses Lager gebracht. Sie können das Lager weder in Richtung Ungarn verlassen, weil Stacheldrahtzaun sie daran hindert, noch zurück nach Serbien, weil Serbien nicht bereit ist, die Menschen wieder aufzunehmen. Nach vier Jahren hat nun auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gecheckt, dass es sich beim Lager Röszke um eine Haftanstalt handelt und diese als rechtswidrig eingestuft. EU-Länder dürfen zwar gemäss ihrer Gesetze Geflüchtete in Grenzregionen inhaftieren, dies jedoch nur während der Bearbeitung der Asylanträge und für maximal vier Wochen. Ungarn hat angekündigt, das Urteil zu akzeptieren, weil es sich wohl nicht allzu gut macht, offensichtlich gegen europäisches Recht zu verstossen. Die ungarische Regierung beharrt aber auf den Standpunkt, dass nicht ihre Praxis, sondern diejenige der geflüchteten Menschen illegal sei. Denn diese würden schliesslich über einen sicheren Drittstaat einreisen (Serbien), weshalb es illegal sei, nach Ungarn weiterzureisen.
Mit dem Urteil wurden zwar in der Nacht auf Donnerstag endlich die ca. 300 inhaftierten Geflüchteten ins Landesinnere in «normale» Asyllager transferiert. Doch die Situation für Geflüchtete, die durch Ungarn reisen wollen, wird sich dadurch kaum verbessern. Denn die einzige Möglichkeit über die Balkanroute nach Ungarn zu flüchten/migrieren oder ein Asylgesuch in Ungarn zu stellen, befindet sich in der Transitzone, in der das Haftlager Röszke ist. Die ungarische Regierung hat angekündigt, dass es seine Grenzen nun komplett schliessen wird und es nicht mehr möglich sein wird, Asylanträge auf ungarischem Territorium zu stellen, sondern allenfalls in ungarischen Vertretungen im Ausland. Die Regierung betonte zudem, dass das Zugeständnis keine Liberalisierung ihrer harten Asylpolitik bedeute. «Der Schutz der Aussengrenze ist ein Anliegen, bei dem Ungarn keine Kompromisse eingeht», meinte ein Regierungssprecher am Donnerstag. Faktisch war es auch schon vor der Schliessung der Transitzone fast unmöglich, als geflüchtete Person durch Ungarn zu reisen oder ein Asylgesuch zu stellen. Seit Januar 2018 waren jeweils gerade einmal zwei Personen pro Tag in die Zonen vorgelassen worden, ab März dieses Jahres wegen der Corona-Pandemie gar keine mehr.
https://www.pbs.org/newshour/world/hungary-closes-border-transit-zones-for-asylum-seekers
https://taz.de/Gefluechtete-in-Ungarn/!5687377/
https://taz.de/Ungarn-schliesst-Transitlager/!5687360/
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-05/europaeischer-gerichtshof-ungarn-fluechtlingsunterkuenfte-containerlager-eu-rech
Asylrechtsverschärfung und Push-Backs in Griechenland
Am Donnerstag wurden zuletzt auch die Quarantänebestimmungen der Asyllager in Griechenland aufgehoben – nachdem Schulen, Geschäfte, Einkaufszentren und Strände bereits wieder geöffnet waren. Zudem hat der griechische Ministerpräsident Mitsotakis der Partei Nea Demokratia eine weitere Asylrechtsverschärfung angekündigt – die zweite seit seinem Amtsantritt im Juli 2019.
Das neue Asylrecht in Griechenland bedeutet, Menschen in geschlossenen Lagern mit haftähnlichen Bedingungen unterzubringen. Die ungarischen Lager in den sogenannten Transitzonen, die als Vorbild gelten, wurden gerade vorletzte Woche vom Europäischen Gerichtshof als ‚unzulässige Inhaftierungen‘ eingestuft. Asylverfahren sollen beschleunigt werden. Damit gehen viele Pauschalisierungen einher. Am Beispiel der Schweiz sehen wir, dass die Asylgesetzrevision die Bedingungen der Menschen in den Lagern und die Chance auf einen positiven Asylbescheid nicht verbessert hat. In Griechenland können Asylgesuche nun alleine aufgrund des Herkunftslands der Asylsuchenden abgelehnt werden. Solange dort kein offizieller Kriegszustand vorherrscht, werden alle Asylgesuche pauschal abgelehnt. Jegliche Fluchtursachen, die z.B. mit Unterdrückung religiöser Minderheiten, politischer Verfolgung oder sexueller Orientierung zusammen hängen, werden somit ignoriert. Wir von antira.org sind zwar ohnehin der Meinung, dass Menschen ein Recht auf Bewegungsfreiheit und Migration haben sollten, gleich welche Gründe dafür vorliegen, aber selbst innerhalb der Logik des momentan vorherrschenden Asylregimes sind die Einschränkungen der Asylrechtsverschärfung in Griechenland horrend. Zusätzlich wird auch die Arbeit von NGOs eingeschränkt und ihre Mitarbeiter*innen müssen sich in einem Register der Regierung eintragen, d.h. sie werden vom Staat gemonitort. Neben der offiziellen rassistischen Politik der griechischen Regierung gibt es weiterhin mehr oder weniger heimliche Push-Backs durch die griechische Küstenwache. Mittlerweile wird von mindestens einem Fall berichtet, bei dem Menschen, die bereits die griechischen Inseln betreten hatten, in Booten oder auf aufblasbaren Plattformen von der griechischen Küstenwache zurück aufs offene Meer geschleppt wurden, ohne dass diese Menschen offiziell registriert wurden. Somit erreicht die Push-Back-Praxis ein neues Level. Mehrere Augenzeug*innen-Berichte, sowie die Dokumentation eines Vorfalls vom 30. April durch eine lokale Zeitung, die NGO Mare Liberum, einige facebook-Posts und die türkische Küstenwache liegen vor. Nach diesen Angaben kamen 14 Menschen, darunter 3 Kinder, auf Chios an, wurden von der griechischen Küstenwache in ein verlassenes Gebäude gebracht und Stunden später zurück aufs Meer geschleppt. Eine offizielle Registrierung als Asylsuchende fand nicht statt. Am nächsten Tag fand die türkische Küstenwache die Menschen auf der unbewohnten Insel Boğaz, nur einige Kilometer von Chios entfernt. Die Hafenpolizei auf Chios forderte unterdessen Menschen dazu auf, ihre facebook-Posts zu löschen. Auch ein Artikel auf einer lokalen Website wurde gelöscht, vermutlich nach Drohungen durch die Hafenpolizei.
https://jungle.world/artikel/2020/21/mitsotakis-macht-dicht
https://taz.de/Push-backs-von-Gefluechteten/!5687089/
Malta und die Unmenschlichkeit gegenüber geflüchteten Menschen
In den letzten drei Wochen sind aus Seenot geholte Menschen von den maltesischen Behörden auf «Captain Morgan»-Ausflugsschiffe zur Quarantäne verfrachtet worden. Sie werden zum Teil über die Quarantänefrist von 14 Tagen hinaus dort festgehalten. Diese Ausflugsschiffe sind weder für schwere See noch zur Versorgung kranker und traumatisierter Menschen ausgelegt. An Bord kommt es zu Hungerstreiks und Suizidversuchen. Frankreich ist bisher das einzige EU-Land, welches sich zur Aufnahme von 30 der 162 Menschen bereit erklärte. Letzte Woche wurden wiederum 74 Menschen in der maltesischen SAR-Zone von der Besatzung eines Fischkutters aus Seenot geholt. Malta lehnt jegliche Verantwortung, diese Menschen an Land zu nehmen, ab. Das Fischerboot kreuzt seither 18 Seemeilen vor Lampedusa, denn auch von Italien bekommet das Schiff keine Einlaufgenehmigung.
Derweil kommen immer mehr Details zu den Vorkommnissen um den 9. April zutage (vgl. antira Wochenschau vom 13. April und 20. April . Alarmphone veröffentlichte ein Video (https://alarmphone.org/en/2020/05/20/maltas-dangerous-manoeuvres-at-sea/), das zeigt, wie ein maltesisches Küstenwachschiff lebensbedrohliche Manöver um im Wasser schwimmende Menschen fährt. Journalist*innen konnten zudem Informationen zu geheimen Absprachen zwischen maltesischen Behörden und libyschen Fischereiunternehmen aufdecken. Dabei geht es um die Rückführung von Geflüchteten zurück nach Libyen durch Fischer*innen. Ein ehemaliger maltesischer Beamter sagte bei der maltesischen Staatsanwaltschaft aus, er sei von der Regierung angeheuert worden, um Rückführungen nach Libyen zu koordinieren.
Maltas Politik in Sachen Seenotrettung ist somit am Tiefpunkt der Menschlichkeit angekommen. Die Mehrheit der maltesischen Bevölkerung hingegen ist laut einer Umfrage von der Agentur ESPRIMI für die Wiederaufnahme von Rettungsmassnahmen in Seenot geratener Menschen.
https://ffm-online.org/malta-hungerstreiks-und-selbstmordversuche-von-boat-people-auf-gefaengnisschiffen/
https://www.infomigrants.net/fr/post/24797/mer-mediterranee-la-crainte-des-naufrages-invisibles
https://www.facebook.com/NewsfromtheMed/posts/948525445601052
https://timesofmalta.com/articles/view/fresh-standoff-betwen-malta-and-italy-over-rescued-migrants.792851
https://www.theguardian.com/global-development/2020/may/19/exclusive-12-die-as-malta-uses-private-ships-to-push-migrants-back-to-libya?utm_term=Autofeed&CMP=twt_gu&utm_medium&utm_source=Twitter#Echobox=1589869573
https://twitter.com/alarm_phone/status/1262993717117452288
https://alarmphone.org/en/2020/05/20/maltas-dangerous-manoeuvres-at-sea/
https://www.theguardian.com/global-development/2020/may/20/we-give-you-30-minutes-malta-turns-migrant-boat-away-with-directions-to-italy
https://www.avvenire.it/attualita/pagine/cosi-malta-respinge-i-migranti-e-li-dirotta-verso-libia-e-italia
https://lovinmalta.com/news/most-maltese-people-believe-we-should-reopen-borders-to-asylum-seekers-when-the-covid-19-pandemic-is-over/?fbclid=IwAR0eopPsIuq-Ua2g-1hxt7v5hmmZu3gSqmgbrofX4pyI_-QhwFSr6y5UeyM
Mann stirbt durch Sprung vom Quarantäneschiff vor Sizilien
Dass die Unterbringung Geflüchteter auf einem Schiff keine Option ist, zeigen die Geschehnisse auf der Moby Zaza, die vor der Küste Siziliens als Quarantäneschiff im Einsatz ist. Am Mittwoch starb ein Mann, der an diesem Abend mit einer Rettungsweste, aus 15 Metern Höhe in die raue See von Bord gesprungen war. Ob er vom Schiff fliehen oder an Land schwimmen wollte, kann man nur vermuten.
Es folgten Proteste an Bord, mit denen 14 Geflüchtete ihre Ausschiffung erreichen konnten. Die Behörden begründeten die Zusage mit Sicherheitsbefürchtungen. Sie wurden in das Auffangzentrum Villa Sikania auf Sizilien gebracht, von wo aus einige versuchten zu fliehen. Die italienischen Behörden sahen am Donnerstag auch davon ab, neu Angekommene auf der Fähre unterzubringen. Sie kamen ins gleiche Lager wie die Menschen von Bord der Moby Zaza.
https://www.nau.ch/news/europa/migrant-stirbt-nach-sprung-von-quarantane-fahre-65711349
https://volksblatt.at/nach-protesten-14-migranten-verliessen-quarantaeneschiff/
https://www.agrigentonotizie.it/cronaca/lampedusa-migranti-imbarcati-nave-quarantena-no-tunisini-trasferiti-motovedette.html
Was geht ab beim Staat?
Parlamentarische Feinschliffe am präventiveren und repressiveren Strafrecht
Nicht verurteilte Menschen, die die Behörden aber als „Gefährder*innen“ lesen, sollen «präventiv» eingesperrt werden. Auch dann, wenn «die Hinweise zur Eröffnung eines Strafverfahrens nicht ausreichen». Das sagt die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates (SiK-N) und schickt mit diesem Hinweis zwei Gesetzesvorlagen zur «verstärkten Terrorismusbekämpfung» zur Annahme in den Nationalrat. Im März wurde das vom Bundesrat – unterer SP-Sommaruga-Leitung – ausgearbeitete Entrechtungspaket im Ständerat abgesegnet. Nun wird der Nationalrat das Geschäft in der Sommersession behandeln. Das verschärfte Strafrecht und das Gesetz über polizeilich-präventive Massnahmen schaffen die Grundlage für eine qualitativ neue Dimension staatlicher Repression.
Die Diskussion zur Verschärfung des Strafrechts zielt rhetorisch stark auf djihadistischen Terrorismus ab. Die Artikel schliessen jedoch alle sogenannte «gewaltextremen» Organisationen mit ein. Gemäss dem Nachrichtendienst des Bundes (NBD) sind das Organisationen, «welche die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen ablehnen und zum Erreichen ihrer Ziele Gewalttaten verüben, fördern oder befürworten». Wem nun die Behörden Handlungen nachweisen – auch nicht strafbare – die solche Organisationen unterstützen, drohen neu bis zu 10 Jahre Haft. Ebenfalls härter bestraft wird das konkrete Anwerben, die Ausbildung, das Reisen, sowie Finanzierungshandlungen für solche Organisationen. Und zudem wird auch akzeptiert, dass kantonale Strafverfolgungsbehörden und Bundesbehörden mit nichtschweizerischen Ermittlungsbehörden Gruppen bilden, um zu ermitteln und gewaltextreme oder terroristische Straftaten irgendwo auf der Welt zu verfolgen.
Nebst der Strafrechtverschärfung geht es um das neue Gesetz über „polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus“. Dieses fordert, dass Behörden auch hart gegen jene vorgehen, die sie als «Gefährder» einstufen. Gemäss einem fedpol-Bericht reichen dazu Anhaltspunkte aus wie «die Kontaktpflege zu Personen, die zu terroristischer Gewalt aufrufen; das Erstellen von Social-Media-Profilen und das Weiterverbreiten (durch das «Befürworten» (z.B. auf Facebook liken) oder das «Verlinken») terroristischer Inhalte und Äusserungen; erste Abklärungen oder anderweitige Vorkehrungen, die auf eine Reise in Konfliktgebiete (z.B. das Austesten von Sicherheitsvorkehrungen an einem Flughafen) oder den Anschluss an ein terroristisches Netzwerk schliessen lassen.» Der Bundesrat und der Ständerat haben gutgeheissen, dass sich solche «Gefährder*innen» regelmässig bei den Behörden melden müssen, dass ihnen die Ausreise verweigert, sowie ein Hausarrest oder ein Rayonverbot verhängt werden kann. Der SiK-N ist das zu lasch. Sie schlägt dem Nationalrat vor, „Gefährder*innen“ in eine „gesicherte Unterbringung von Gefährdern (GUG)“ präventiv wegzusperren. Diese Massnahmen gelten ab dem zwölften Lebensjahr oder nachdem eine Strafe abgesessen wurde, die Person aber immer noch als Gefährder*in eingestuft wird.
Das Thema ist antirassistisch bedeutsam. Erstens schürt die Debatte den antimuslimischen Rassismus. Denn sie überfokussiert auf den Djihad, lässt den rechten Gewaltextremismus untererwähnt und äussert sich nicht transparent zur beabsichtigten Kriminalisierung gewisser linken und antirassistischen Widerstandskämpfe. Zweitens gilt für Migrant*innen einmal mehr die Doppelbestrafung, denn werden sie verurteilt oder als Gefährder*innen eingestuft, droht nebst der Repression, die Schweizer*innen erfahren würden, auch die Abschiebung. Drittens rahmt es den Widerstand neu, denn durch die (drohende) Repression steigt der Preis, um sich nicht spalten lassen bzw. der Druck sich von Organisationen zu distanzieren, «welche die demokratischen und rechtsstaatlichen Grundlagen ablehnen und zum Erreichen ihrer Ziele Gewalttaten verüben, fördern oder befürworten».
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-sik-n-2020-05-19.aspx?lang=1031
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20190032
https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20180071
https://www.ejpd.admin.ch/dam/data/fedpol/terrorismus/terrorismus/berichte/erlaeuternder-bericht-d.pdf
Was ist aufgefallen?
Militarisierung der Grenzen konstruiert Bild einer Gefährdung durch Menschen auf der Flucht
Die Militarisierung und Abschottung der europäischen Grenzen nimmt weiter zu. An drei Orten ist das diese Woche besonders aufgefallen:
– Rund um drei Asylcamps in Serbien wird nun das Militär stationiert. Dies soll die lokale Bevölkerung vor den Migrant*innen schützen, da diese seit Corona anscheinend Delikte wie Ladendiebstähle verübt hätten.
– Die europäische Grenzschutzagentur ist eigentlich seit längerem keine ausschliesslich europäisch agierende Institution mehr. Gerade mit Staaten, die sich in Beitrittsverhandlungen mit der EU befinden, hat Frontex Abkommen geschlossen, die es Frontex erlauben, auf ihrem Staatsgebiet aktiv zu werden. Solche Abkommen gibt es mit Albanien (Oktober 2018), Mazedonien (Juli 2018), Serbien (September 2018), Bosnien und Herzegowina (Januar 2019) und Montenegro (Februar 2019). Nun hat auch das europäische Parlament über einzelne dieser Einsatzgebiete diskutiert und erlaubt Frontex auf dem Gebiet zwischen Serbien und der EU sowie zwischen Montenegro und der EU aktiv zu werden.
– Griechenland rüstet seine Grenze zur Türkei entlang des Grenzflusses Evros auf, für den Fall, dass die Türkei ihre Grenzen wieder öffnen wird. Die Aufrüstung beinhaltet einen kilometerlangen NATO-Zaun mit 50m Masthöhe, die Rodung der Vegetation im Grenzgebiet, Bereitstellung von gepanzerten Militärfahrzeugen, sowie 400 zusätzliche Grenzsoldat*innen. Das entspricht fast einer Verdoppelung der momentan eingesetzten Soldat*innen. Die Grenzmasten werden ausserdem mit Kameras, Tag- und Nachtüberwachungssystemen und Kommunikationsmöglichkeit ausgestattet sein.
Was bezweckt diese Militarisierung? Offensichtlich ist es komplett unsinnig, mit dem Militär gegen Ladendiebstahl vorzugehen. Oder einen Zaun 50 Meter hoch zu bauen. Vielmehr erfüllt das Militär die Funktion, das Feindbild der Person auf der Flucht aufrechtzuerhalten und zu stärken. Wenn vor einem Asylcamp plötzlich schwer bewaffnete Soldat*innen patrouillieren oder am Grenzfluss Militärpanzer rumstehen, entsteht in vielen Köpfen die Vorstellung, dass es sich hierbei um die Abwehr und Bekämpfung von etwas Gefährlichem handeln muss. Und damit lassen sich dann wiederum weitreichendere repressive Massnahmen gegenüber geflüchteten Menschen durchsetzen.
https://www.rferl.org/a/serbia-deploys-army-migrant-camps/30615755.html
http://statewatch.org/news/2020/may/ep-frontex-agreements-vote.htm
https://www.keeptalkinggreece.com/2020/05/17/greece-shields-evros-border-blades-wire-400-border-guards/
Haftbedingungen in libyschen Lagern fordern weiteres Todesopfer
Von einem weiteren Todesfall im libyschen Lager Zintan berichtet die Anwältin Giulia Tranchina: „Ein eritreischer Mann starb heute im „offiziellen“ Gefangenenlager Zintan. Er war der Vater von 3 Kindern. Dies ist der 25. Todesfall in Zintan. Etwa 500 eritreische und äthiopische Geflüchtete, darunter viele unbegleitete Minderjährige, werden unter unmenschlichen Bedingungen ohne Zugang zu ausreichend Trinkwasser festgehalten. Das Wetter ist in dieser Zeit sehr heiss und die Menschen bekommen in über 24 Stunden jeweils weniger als 1 Liter Wasser. Während die Menschen nicht genug Wasser zum Trinken haben, finanziert die EU UN-Organisationen, um inhaftierten Geflüchteten beizubringen, „wie man sich die Hände wäscht“, um Covid 19 zu vermeiden. 23 Menschen in Zintan starben an Hunger, Dehydrierung und Tuberkulose. Ein 24. starb bei einem Brand vor 3 Monaten. Alle diese Menschen werden vom UNHCR in Zintan seit Jahren im Stich gelassen und diskriminiert, viele seit 2017 inhaftiert. Die Menschen im Lager berichten, dass sie seit 6 Monaten keine UNHCR-Mitarbeitende mehr gesehen hätten. Selbst wenn sie zu „Besuch“ kommen, bringen sie nie Lebensmittel oder Wasser mit und machen keine Anstalten, die Lager zu evakuieren. Heute starb ein weiterer Mensch nach Jahren der europäisch gewollten Folter, Inhaftierung und des Leidens. #CriminalEurope #EvacuateRefugeesFromLibya
Offiziell unterstehen die libyschen Internierungslager, so auch Zintan, dem libyschen Innenministerium. In der Praxis wird das Lager jedoch von libyschen Milizen verwaltet, die ihre Macht missbrauchen. In Zintan leben mehr als 900 Geflüchtete. Ihnen stehen vier Toiletten zur Verfügung, von denen einige kaum funktionieren, zudem gibt es keine Dusche und nur unregelmässigen Zugang zu nicht trinkbarem Wasser. Offiziell hat auch das UNHCR Zugang zum Camp. Es soll sicherstellen, dass das Migrationsmanagement- und Asylsystem in Libyen mit den wichtigsten internationalen Normen und Menschenrechten vereinbar ist. Dafür erhält das UNHCR unter anderem Gelder vom EU-Treuhandfonds für Afrika und dadurch auch von der Schweiz (41 Mio. Franken im Jahr 2018). Die Situation der Geflüchteten verbessert sie durch diese Gelder offensichtlich nicht: „Die Arbeit, die wir in Haftanstalten verrichten können, ist begrenzt, da diese von den libyschen Behörden verwaltet werden. Unser Zugang ist eingeschränkt und wir beschränken uns auf die Durchführung von Registrierungen, Schutzbewertungen, medizinische Überweisungen/Behandlungen und die Bereitstellung von grundlegenden Hilfsgütern. Besuche in Haftanstalten werden im Voraus koordiniert, Besuche werden nie unangekündigt durchgeführt. Der UNHCR hält die Haftanstalten für nicht sicher für Flüchtlinge.“, sagt Charlie Yaxley, Pressesprecher des UNHCR. Es wird klar, dass auch europäische Gelder, die offiziell zur „Wahrung der Menschenrechte“ nach Libyen fliessen, nur ein weiterer Baustein europäischer Grenzpolitik sind, die Menschen von Europa fernhalten sollen.
https://www.facebook.com/NewsfromtheMed/posts/945847015868895
https://www.infomigrants.net/en/post/15815/warning-strong-images-in-libya-s-zintan-center-migrants-starve-to-death
https://de.euronews.com/2019/10/03/wem-hilft-das-unhcr-in-libyen-fluchtlingen-oder-staaten
600 Millionen „Entwicklungsgelder“ fliessen direkt an Multis und Konzerne
Unter dem FDP-Bundesrat Ignazio Cassis ist die offizielle Schweiz damit beschäftigt, ihren Neokolonialismus im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit neu auszurichten (vgl. https://antira.org/2020/02/25/antira-wochenschau-unglaubliche-morde-in-hanau-unsolidarische-entwicklungszusammenarbeit-der-schweiz-unlust-auf-seenotrettung/). In der «Strategie internationale Zusammenarbeit 2021-2024» (IZA-Strategie) wird deshalb nicht vorgeschlagen, Kapitalismus und Rassismus als Ursachen für weltweite Ungleichheit und Armut im Globalen Süden zu überwinden. Stattdessen beruht die Zielvorstellung von «Entwicklung» darin, dass Nationalstaaten, Unternehmen oder die Bevölkerung möglichst fit und konkurrenzfähig werden, um in der kapitalistischen Verwertungslogik zu bestehen. Da die offizielle Schweiz in diesem globalen Wettbewerb die Nase vorne behalten will, soll der Entwicklungsfranken nicht nur den Bedürfnissen der Staaten oder Menschen dienen, die ihn benötigen. Er soll gleichermassen auch den Interessen der offiziellen Schweiz dienen. Diese neokoloniale Politik findet ihren konkreten Ausdruck darin, dass die steuerfinanzierten Hilfsgelder weniger in den NGO/QGO-Sektor und mehr in den Privatsektor fliessen. Die NGO Public Eye gab diese Woche einen interessanten Bericht heraus. Dieser zeigt auf, dass jährlich 400-600 Millionen steuerfinanzierte Hilfsgelder an private Unternehmen fliessen, während alle NGO/QGOs zusammen jährlich noch rund 118 Millionen Franken erhalten. Public Eye hat zudem erfahren, welche privaten Unternehmen Geld erhalten. Im Bereich «Verantwortungsvoller Umgang mit Wasser» investiert die DEZA in drei Jahren 5,6 Millionen Franken in vier illustre «Partner»: «(1) Die «Water Resources Group 2030», ein Zusammenschluss von Nestlé, Pespico und Coca Cola, der von sich selber sagt, er wolle die Lücke zwischen globaler Wassernachfrage und Angebot (Stichwort Flaschenwasser) schliessen; (2) Die «Alliance for Water Stewardship», ein Label mit höchst zweifelhaftem Ruf, wie der Beobachter jüngst aufdeckte; (3) Die «WEF Water Initiative», welche Teil von Klaus Schwabs Bemühungen ist, den Sektor der globalen öffentlichen Güter zu privatisieren; (4) Das «CEO Water Mandate», welches 2010 einen Public Eye Award für das unglaubwürdigste Sozial- oder Öko-Label erhalten hat».
https://www.publiceye.ch/de/themen/deza-hilfsgelder-fuer-multinationale-konzerne
Fluchtroute verschiebt sich in den Atlantik
Am vergangenen Wochenende wurden Menschen von zwei Booten vor den kanarischen Inseln aus Seenot gerettet. 49 befanden sich vor Gran Canaria, 38 vor Fuerteventura. Sie werden die nächsten zwei Wochen in Quarantäne verbringen. Eines der Schiffe war vermutlich in der südmarokkanischen Hafenstadt Tarfaya gestartet, etwa 100 km Luftlinie von Fuerteventura entfernt. Aber auch aus dem Senegal reisen Menschen über den Seeweg auf die zu Spanien gehörenden Inseln – allein per Luftlinie 1.000 km. Die Flucht über den Atlantik gilt als gefährlicher und länger als über das Mittelmeer. Mindestens 200 Menschen sind im vergangenen Jahr auf dieser Fluchtroute ertrunken. 2020 gab es bisher 8 dokumentierte Todesfälle und etwa 80 Menschen werden vermisst. Dennoch ist sie in den vergangenen Monaten wieder verstärkt genutzt worden. Seit Jahresbeginn bis zum 15. April erreichten 1.781 Menschen auf dieser Route die Kanaren (gegenüber 1.500 im gesamten Vorjahr).
Die Frequenzen auf den verschiedenen Fluchtrouten verschieben sich immer wieder. Sowohl die Routen nach Nordmarokko zu den spanischen Enklaven Melilla und Ceuta, als auch die Bootsrouten über Algerien oder Libyen über das Mittelmeer sind aufgrund der europäischen Migrationsabwehr schwieriger geworden, weshalb viele sich gezwungen sehen, neue (meist noch gefährlichere) Fluchtrouten auf sich zu nehmen.
https://www.infomigrants.net/en/post/24816/87-migrants-rescued-off-the-canary-islands
https://www.nau.ch/news/europa/50-migranten-aus-boot-vor-den-kanaren-gerettet-65709313
https://www.srf.ch/news/international/tote-vor-kanarischen-inseln-der-atlantik-ist-viel-gefaehrlicher-als-das-mittelmeer
Kopf der Woche Ignaz Bearth Holdener
Mit den Mahnwachen um die Verschwörungsmythen kommt auch Ignaz Bearth Holdener wieder aus der Versenkung. Der 36-jährige Neonazi wurde mehrfach auf den Mahnwachen in Bern gesichtet, am 16.05. wurde er dort verhaftet. Er treibt derzeit als selbsternannter Journalist sein Unwesen und interviewt Teilnehmende der Mahnwachen für seinen Youtube-Kanal. Im rechtsextremen Telegram-Kanal „Corona-Rebellen“ wird er als Ehrenmitglied betitelt. Anfang März reiste er in die griechisch-türkische Grenzregion um über die „Flüchtlingskrise vor Ort“ zu berichten.
Bearth hat eine einschlägige politische Karriere durchgemacht: als ehemaliges Mitglied der PNOS war er Mitbegründer der DPS (Direktdemokratische Partei Schweiz). Verbindungen zu Blood&Honour konnten ihm nachgewiesen werden, ebenso zu führenden Persönlichkeiten der Identitären Bewegung. Als Sprecher von PEGIDA Schweiz/ PEGIDA Dreiländereck trat er oft als Redner u.a. in Weil am Rhein, Wien und Dresden auf. Nach Machtkämpfen mit PEGIDA-Vorstehern bekam er Redeverbot auf allen PEGIDA-Veranstaltungen. Somit ist nicht verwunderlich, dass der Egomane Bearth die Gunst der Stunde nutzt, um mit seinen Hetzen und „kritischen Berichterstattungen“ wieder in die Öffentlichkeit zu gelangen.
https://www.blick.ch/news/schweiz/anti-lockdown-demo-in-bern-polizei-riegelt-bundesplatz-wegen-demo-aufruf-ab-id15894053.html
https://www.20min.ch/story/schweizer-ignaz-bearth-in-der-tuerkei-verhaftet-200255426393
Was war eher gut?
Spargelhof Ritter bezahlt wegen Streik von migrantischen Landarbeitenden
Streiken kann sich lohnen. Nachdem sich rund 150 Erntehelfende, die mehrheitlich für die Erntezeit aus Rumänien nach Deutschland kamen, dazu entschlossen, Nein zu sagen und aufzustehen, bezahlte Spargelhof Ritter diese Woche plötzlich die geschuldeten Löhne aus. Ritter wollte ursprünglich nur 100 bis 250 statt der versprochenen 1500 bis 2000 Euro auszahlen und liess die Arbeitenden zudem auf unmenschliche Weise in einem Containerlager leben, welches zwischen Friedhof und Kläranlage liegt. Deshalb traten die Arbeitenden am Freitag, 15. Mai, in einen Streik (vgl. antira-Wochenschau vom 18. Mai: https://antira.org/2020/05/18/antira-wochenschau-securitas-gewalt-im-bundesasyllager-juedinnen-liste-wegen-polizei-migrantinnen-streik-gegen-spargelhof-ritter/). Am Montag spitzte sich die Situation zu. Wegen des Streiks drohte der Arbeitgeber mit der sofortigen Kündigung und dem Rauswurf aus den Unterkünften. Auch die Polizei liess er zur Einschüchterung der Arbeitenden aufkreuzen. Trotz langer Verhandlungen und einer grossen medialen Aufmerksamkeit bezahlte Ritter auch am Montag nicht alle Löhne aus. Da der Druck jedoch nicht nachliess, folgte die Auszahlung dann am Mittwoch. Unterstützt wurde der wilde Streik von der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU. Lesenswert ist folgender AK-Artikel:
https://wirkommen.akweb.de/bewegung/der-streik-bei-spargel-ritter/?fbclid=IwAR1jlLAK9QGUphtFf9I19M4gesEWg8c8d7EfHR__72yH0QjZjo6eX0rwab4
https://www.express.de/bonn/spargel-ritter-in-bornheim-erntehelfer-bezahlt–insolvenzverwalter-weist-kritik-zurueck-36711658
Freispruch für das Verbrechen der Solidarität in Frankreich
Cédric Herrou, einem französischen Olivenbauern, wurde im August 2018 vorgeworfen, über 200 Migrant*innen bei der sog. illegalen Einreise geholfen zu haben. Ein französisches Gericht hat nun aber alle Anklagepunkte gegen den zu einem Symbol des „Verbrechens der Solidarität“ [délit de solidarité] gewordenen Bauern fallen gelassen. Dies geschah, obwohl der Staatsanwalt im März meinte, dass Herrou sich „entschieden hatte, im wahrsten Sinne des Wortes ein Gesetzloser zu sein“ und „nicht nur humanitäre Motive, aber auch politische und ideologische Forderungen hatte.“ Den Entscheid, Cédric Herrou für straflos zu erklären, begründete das Berufungsgericht damit, dass sich sein Handeln vom verfassungsmässigen Brüderschaftsprinzip [principe de fraternité] ableiten lässt, nämlich von der „Freiheit, anderen zu humanitären Zwecken zu helfen, unabhängig von der Rechtmässigkeit seines oder ihres Aufenthalts im Staatsgebiet“
https://www.infomigrants.net/fr/post/24730/la-justice-relaxe-cedric-herrou-symbole-de-l-aide-citoyenne-aux-migrants
https://www.lemonde.fr/immigration-et-diversite/article/2018/07/06/aide-aux-migrants-le-conseil-constitutionnel-consacre-le-principe-de-fraternite_5326929_1654200.html
https://www.theguardian.com/…/french-court-scraps-olive-far…
Was nun?
Mit Nationalfahne zur Mahnwache: Verschwörungsmythen und Anti-Lockdown Proteste in schweizer Städten
Seit nunmehr vier Wochen versammeln sich grösstenteils weisse, mittelständische Menschen unter anderem in schweizer Städten, um gegen den staatlich verordneten Lockdown zu demonstrieren. Eine Mischung von grün bis braun trifft sich auf öffentlichen Plätzen, um Schilder oder Nationalfahnen zu zeigen. Ansprachen gibt es nicht, mensch trifft sich eher zum Austausch und gemeinsamen Schimpfen. „Wie im 3. Reich“ kommen sich einige Teilnehmende von den Regierenden behandelt vor. Solche Aussagen sind nicht sehr weit von Holocaustvergleichen entfernt. Die Initiator*innen aus einigen Städten sind bekannt, darunter Esoteriker*innen und das ehemalige ECOPOP-Vorstandsmitglied Alec Gagneux (ECOPOP versteckt Rassismus in Umweltschutz, zum Beispiel mit der Volksinitiative „Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen“). Neben der Corona-Lüge existieren auch Annahmen, das Virus sei eine Rache der Natur: der Mensch sei das Virus und die Erde versuche sich zu befreien. Eine weitere Erzählung ist, Bill Gates möchte mit Zwangsimpfungen die Menschheit unterjochen. In der Facebook-Gruppe «Corona Rebellen Helvetia» und dem Telegram Kanal «Corona-Rebellen» wird das ganze dann konkreter: rechtsradikales, antisemitisches und rassistisches Gedankengut wird geteilt und bejubelt. Fanatiker*innen, Rechtsextreme und Verschwörungserzähler*innen heizen Demos und potenzielle Demonstrant*innen über Online-Chats an. Der rechtsradikale Ignaz Bearth, PNOS Mitglied und früherer Kopf von PEGIDA Schweiz, wurde bereits auf Mahnwachen gesichtet. Im Telegram-Kanal «Corona-Rebellen» wird er als Ehrenmitglied gefeiert. Auf der Homepage der rechtsextremen Partei PNOS propagiert man die COVID-19 Lüge, G5-Verstrahlung und andere Verschwörungsmythen. Bei der Versammlung in Bern soll am letzten Samstag von einer Person der Hitlergruss gezeigt worden sein. Das Magazin «Zeitpunkt» unter Leitung von Christoph Pfluger berichtet fleissig und positiv eingestellt von den Anti-Lockdown-Protesten. Linke Gegenproteste oder sonstige Reaktionen bleiben in den schweizer Städten bislang so gut wie aus. Einzig in Luzern begaben sich Aktivist*innen zur Mahnwache und erklärten den dort versammelten Menschen, wie gefährlich und unsolidarisch ihre verkürzten Theorien und Mythen sind. Ein Blick nach Deutschland zeigt die immer wiederkehrenden Muster: Prominente wie Xavier Naidoo, Attila Hildmann und Ken Jebsen (KenFM) nutzen ihre öffentliche Reichweite für die Verschwörungs-Erzählungen. Genau wie AfD-Politiker*innen und Neonazis, unter anderem von der Identitären Bewegung, treten sie in die Öffentlichkeit und verbreiten schreiend ihre Verschwörungserzählungen. Judensterne auf Armbinden und T-Shirts werden als Zeichen der Unterdrückung und der drohenden Dezimierung der Menschheit zur Schau getragen. An Geschmacklosigkeit und Hohn wohl kaum zu übertreffen ist das T-Shirt-Motiv des Neonazis Sven Liebich aus Halle: „Anne Frank wäre mit uns! Weg mit den Ausgangssperren!“ Umfragen und Interviews zeigen auf, dass ein Grossteil der Teilnehmenden vorher nie an Demonstrationen oder Protesten teilnahm und sich entsprechend unpolitisch definiert, was den Rechten zugute kommen mag, die somit auf den Protesten toleriert werden. Wie hierzulande wurde die Bewegung der Corona-Leugner*innen in Deutschland wochenlang vom Grossteil der Linken und Antifa als «Ansammlung von Idioten» verniedlicht und ignoriert. Seit letzten Samstag gibt es jedoch offensiven Gegenprotest in deutschen Städten, nachdem sich die Teilnahme von Neonazis und Rechtsextremist*innen an den Anti-Corona-Demonstrationen verstärkt hatte. Die Zeit läuft und vielleicht sollten sich rasch linke antirassistische Bündnisse bilden oder reaktivieren. Denn die Auswirkungen der Krise auf die Wirtschaft wird die Gesellschaft tragen müssen. Wie darauf reagiert wird, sollten wir nicht Verschwörungserzähler*innen überlassen.
https://www.woz.ch/2021/anti-lockdown-proteste/herzerwaermende-verschwoerungstheorien
https://www.derbund.ch/der-mann-hinter-den-schweizer-corona-gegnern-709881054296
https://www.zdf.de/politik/frontal-21/rechte-kapern-hygiene-demos-100.html
https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/corona-proteste-wie-die-neue-rechte-den-verschwoerern-hinterherlaeuft-a-3e47452e-0eb7-442d-bda0-967b9461021b
https://www.blick.ch/news/schweiz/fanatiker-heizen-demos-an-das-radikale-netzwerk-hinter-den-corona-protesten-id15894719.html
https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/corona-polizei-ermittelt-gegen-demonstranten-wegen-rassismus-ld.1556940
https://barrikade.info/article/3520
Diese Links führen zu den kritisierten Personen und Gruppen:
https://www.facebook.com/Corona-Rebellen-Helvetia-112153873820830/
https://www.buergerforum-schweiz.comhttps://www.orwell-news.chhttp://www.pablo-hess.chhttps://www.youtube.com/watch?v=Ukt3tovbgM8
https://uncut-news.ch/
https://www.fairch.com/
23 UMAs aus Griechenland in der Schweiz angekommen
Die Schweiz hat nach monatelangen Verzögerungen 23 unbegleitete minderjährige Asylsuchende aus Griechenland aufgenommen. Sie haben Verwandte in der Schweiz und damit nach der Dublin-III-Verordnung das Recht, als Familiennachzug in die Schweiz zu kommen. Damit kommt die Schweiz ihren internationalen Verpflichtungen im Mindestmass nach. Fast 40.000 Menschen, darunter rund 5.600 unbegleitete Minderjährige, bleiben auf den griechischen Inseln zurück. Eine Aufnahme über die gegeben Verpflichtungen hinaus, ist aktuell nicht in Sicht. Der Bund verweist auf seine „umfangreichen Bemühungen“ vor Ort.
23 Kinder aufzunehmen ist kein „humanitärer Akt“, wie es die offizielle Schweiz gerne nennt. Die Initiative „evakuieren-jetzt“ ruft deshalb zusammen mit den Organisationen Seebrücke Schweiz und Switzerland must act dazu auf, Leerstand auf https://evakuieren-jetzt.ch/wehavespace/ zu melden. „Wir glauben daran, dass es genug Platz hat, um mehr Menschen aus den griechischen Camps bei uns aufzunehmen. Letztes Jahr standen in der Schweiz über 75.000 Wohnungen leer, ausserdem gibt es genug ungenutzte Liegenschaften und immer wieder erklären sich Menschen dazu bereit, Geflüchtete bei sich auf zu nehmen.“ Zudem werden die 30 grössten Schweizer Städte aufgefordert, sich zur Aufnahme geflüchteter Menschen zu positionieren. Nach ihrer Ankunft in der Schweiz bleiben die 23 UMAs in zweiwöchiger Quarantäne, bevor sie in Bundesasyllager transferiert werden.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-79142.html
Wo gabs Widerstand?
Streik der migrantischen Landarbeiter*innen in Italien
Am 21. Mai traten die migrantischen Landarbeiter*innen Italiens in den Streik. Die bei der Basisgewerkschaft USB organisierten Migrant*innen reagierten auf das Regularisierungsprogramm der Regierung. Nach wochenlanger Auseinandersetzung wurde innerhalb der Regierungsmehrheit ein Kompromiss gefunden. Die politische Debatte verlief entlang zweier gesellschaftspolitischer Trennlinien:
Die Unternehmensverbände des Sektors sprachen sich gegen die Regularisierung der irregulären Landarbeiter*innen aus, da die Zeit dränge und das Gemüse auf den Feldern aufgrund des Arbeitskräftemangels zu verrotten beginne. Sie forderten den Einsatz arbeitsloser Italiener*innen auf den Feldern (workfare) und den Rückgriff auf den „grünen Korridor“ für die Rekrutierung osteuropäischer Saisoniers, ganz nach dem deutschen Vorbild.
Die Exponent*innen der Mitte-Links-Parteien hingegen machten sich für die Regularisierung der irregulären migrantischen Land- und Care-Arbeiter*innen stark, jedoch nicht für all die irregulären Migrant*innen des Bausektors, der Gastronomie, des Tourismus etc.
Schliesslich wurde ein Kompromiss gefunden, der alle zufrieden stellte – ausser die irregulären Migrant*innen selbst. Das Regularisierungsprogramm wurde in 21 Absätzen in Artikel 103 des über 400 Seiten zählenden Regierungsdekrets „Decreto Rilancio“ integriert. Ziel dieses Dekrets sei, „die italienische Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen“: Es sollten also nur diejenigen Migrant*innen regularisiert werden, die im Kontext der Corona-Krise einen ökonomischen Nutzen für den kriselnden kapitalistischen Markt haben.
Von den Migrant*innen-Organisationen, Basisgewerkschaften und linken politischen Organisationen werden in erster Linie drei Punkte dieser Regularisierung kritisiert:
– Es handelt sich um eine 6-monatige Regularisierung, die ausschliesslich für die aktuelle Krisenzeit gilt; sobald diese Zeit vorbei ist, fallen die Migrant*innen wieder in die Irregularität.
– Die Regularisierung beschränkt sich auf zwei ökonomische Sektoren, nämlich auf die Landwirtschaft und auf die privaten Haushalte; alle anderen Sektoren bleiben von der Massnahme ausgeschlossen.
– Die Regularisierung beschränkt sich ausschliesslich auf die Vergabe einer Aufenthaltsbewilligung; Fragen des gerechten Lohnes, des Zugangs zu menschenwürdigen Wohnbedingungen und zum Gesundheitssystems bleiben aus dem Dekret ausgeschlossen.
Man kann es also auch so auf den Punkt bringen: Die Regierung regularisiert die migrantische Arbeitskraft, jedoch nicht die Migrant*innen als Menschen.
Der Streik der migrantischen Landarbeiter*innen war ein Erfolg. In gewissen Regionen des Landes wie beispielsweise in Foggia (Apulien) und in der Piana di Gioia Tauro (Kalabrien) erreichte die Beteiligung fast 100%. Die Bilder der Demonstrationen waren eindrücklich und bestätigen, was die Migrant*innen seit Wochen wiederholen: Auf den Feldern fehlen nicht die Arbeitskräfte, sondern die sozialen Rechte.
Die Streikbewegung wurde von politischen Organisationen (allen voran Potere al Popolo) unterstützt, so dass die Forderungen der Landarbeiter*innen über die Grenzen der Anbaugebiete hinaus in die Städte getragen und auf andere Klassensektoren ausgeweitet wurden. Thematisiert wurden die Ausbeutungsmechanismen in der gesamten Wertschöpfungskette der Lebensmittelproduktion. Denn gerade während des zweimonatigen Lockdowns schossen die Preise von Früchten und Gemüse in die Höhe – und somit auch die Profite der Unternehmen des Grosshandels. Doch die Arbeits- und Lohnbedingungen von Verkäufer*innen, Kassierer*innen, Lager- und Transportarbeiter*innen bleiben weiterhin prekär. Oft waren sie gezwungen, ohne gesundheitlichen Schutz trotz Covid-19-Gefahren weiterzuarbeiten.
Der Streik der migrantischen Landarbeiter*innen deckt diese Ausbeutungsmechanismen auf und stellt eine Verbindung zwischen den Ausgebeuteten in den Feldern und denjenigen in den Städten her – eine zentrale Verbindung, um in Zukunft die Rechte aller Arbeiter*innen zu verteidigen
https://www.usb.it/
https://www.facebook.com/Rota.migrant/posts/137914157832933?__tn__=K-R
https://www.usb.it/
Hunderte Menschen in Melilla im Hungerstreik
Derzeit sind im Lager von Melilla knapp 1.700 Menschen untergebracht. Von den knapp 700 Tunesier*innen, darunter etwa 50 Frauen und 20 Kinder, befindet sich ein Grossteil seit Ende April im Hungerstreik, um gegen die geplante Abschiebung zu protestieren. Mindestens sieben von ihnen nähten sich die Lippen zu. Die Tunesier*innen sitzen mehrheitlich seit August 2019 in Melilla fest. Sie fordern, auf das europäische Festland Spaniens überstellt zu werden. Über 50 NGOs haben sich in einem Kommuniqué an das Innenministerium gegen die geplante Abschiebung ausgesprochen. Neben der ständigen Angst vor der Abschiebung ist die Bedrohung durch Corona sehr real. In Ceuta und Melilla wurden bislang insgesamt rund 350 Infektionen gemeldet. Sechs Personen starben an Covid-19. Die Lebensbedingungen in den Lagern sind menschenunwürdig. Der Weg nach Europa ist versperrt.
https://jungle.world/artikel/2020/20/lost-melilla
Europaweiter Aktionstag fordert: „Evakuiert alle Lager!“
Am Samstag gingen in 38 deutschen Städten, sowie in sieben weiteren Ländern, jeweils mehrere hundert Menschen auf die Strasse. Mit kreativen Aktionsposten, Redebeiträgen und Demonstrationen wurde informiert und Druck auf die Politik aufgebaut. Die Forderung #LeaveNoOneBehind schaffte es auf unzählige öffentliche Plätze und in die Zeitungen. Es zeigt sich ein breiter zivilgesellschaftlicher Widerstand. An diesen muss weiterhin angeknüpft werden. In der Schweiz beispielsweise mit der Kampagne #WeHaveSpace, die Unterbringungsmöglichkeiten für Geflüchtete sammelt und aufzeigen will. Für weitere Kundgebungen auch vom Balkon aus kann der Stream „Raise the voices for human rights!“ der Seebrücke Dresden genutzt werden. Er gibt Stimmen von Geflüchteten wieder, die zur Zeit auf den ägäischen Inseln festsitzen, und die ihre Lebenssituation, ihre Wünsche und Hoffnungen beschreiben und ihre Appelle formulieren. Er sammelt auch Statements von Aktivist*innen z.B. der Sea Watch Crew, der Alan Kurdi, und anderen politischen und gesellschaftlichen Akteur*innen, die zur Situation Stellung beziehen und ihre Forderungen formulieren.
https://www.youtube.com/watch?v=mqehmEE7-ac
Räumung des Juch-Areals in Zürich
Am Samstag in den frühen Morgenstunden wurde das Juch-Areal in Zürich geräumt. Nach einigen dezentralen Aktionen von solidarischen Gruppierungen am Tag der angesetzten Räumung, mehreren politischen Statements, die veröffentlicht wurden, einem Live-Stream, der die politischen Hintergründe des Areals beleuchtete, sowie einer Spontan-Demo vor dem Juch-Areal in der Nacht auf Samstag, verliessen die Besetzer*innen das Gelände, bevor das aufgefahrene Grossaufgebot sie verhaften konnte. Bereits Freitag morgens ab 11h hatte die Zürcher Polizei weitläufig Menschen um das Areal weggewiesen, indem sie in ihrer Begründung den Verweis auf Covid-19-Schutzmassnahmen missbrauchten. Die Doppelmoral dieser Logik, nämlich Menschen während der Covid-19-Pandemie auf die Strasse zu setzen, entging den Polizeibeamt*innen wohl. Obwohl Räumungen generell nicht tolerierbar sind – nicht vor, nicht während und nicht nach Corona. Nachdem der ursprüngliche Räumungstermin im April verlängert worden war, folgte eine widerständige Kampagne inkl. Transpi-Aktionen, Telefon-Demos und Online-Petition. In der Woche vor dem angesetzten Räumungstermin wurden politische Details öffentlich, die darauf deuteten, dass die HRS Real Estate AG, die das Areal mietet, von Mitgliedern des Stadtrats dazu aufgefordert wurde, einen Nutzungsgrund anzugeben, um die Räumung voranzutreiben. So soll die HRS nun die Vordächer für das im Bau befindliche Eishockey-Stadion auf dem Areal bauen. Dass dieses erst im Jahr 2021 notwendig ist, zeigt einmal mehr, dass die Räumung des Juch-Areals ein Abriss auf Vorrat ist. Unabhängig davon ist es ohnehin äusserst fragwürdig und Symbol der kapitalistischen Logik, dass der selbst organisierte Lebensraum von Menschen weniger wichtig ist, als Vordächer für einen Ort des kommerziellen Konsums und der Massen-Unterhaltung. Das Juch-Areal stand in langer staatlicher, rassistischer Tradition. So waren die Baracken zuerst für sog. Gast-Arbeiter*innen gebaut worden, um anschliessend als Versuchsobjekt für die Verwaltung von Menschen im Asylverfahren zu dienen.
https://juch.zureich.rip/petition-und-aktionswoche/
https://www.woz.ch/2021/besetztes-juch-areal/dem-gegenentwurf-droht-die-raeumung
https://daslamm.ch/fotoreportage-geschichte-und-gegenwart-des-juch-areals/
https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10208175814949431&set=a.1169252007809&type=3&theater
https://twitter.com/JUCH_BLEIBT
https://www.megahex.fm/archive/helloworld
https://www.megahex.fm/archive/geschichte-und-gegenwart-des-migrationsregime-ein-gespraech-ueber-die-dauer-rassistischer-ausgrenzung
Was steht an?
Coronakrise: Analyse des ökonomischen Einbruchs
26.05.2020 – 19:30Während in vielen Ländern die erste Welle der Pandemie überstanden scheint, ist der ökonomische Einbruch bereits im vollen Gange. Im Workshop wollen wir die Dynamik des ökonomischen Einbruchs nachzeichnen und erklären, wie etwa das Finanzschlamassel und die sogenannte Realwirtschaft zusammenhängen. Die Krise soll zudem in einen historischen Kontext gestellt werden. Und schliesslich wollen wir die aktuellen Kämpfe beleuchten. Sie werden entscheidend sein, wie sich die Kosten der Krise verteilen.Livestream des Online-Workshops: https://www.youtube.com/watch?v=KNP8W6EhJeUhttps://barrikade.info/event/1318
Onlineveranstaltung: Ein Staat, drei Fronten: Kriege der Türkei in Kurdistan
28.05.2020 – 19:00
Wir wollen über die Kriege der Türkei in Kurdistan mit zwei Kennerinnen der Region sprechen.
https://barrikade.info/event/1319
Lesens -/Hörens -/Sehenswert
Wissen, was wirklich gespielt wird…
Krise, Corona und Verschwörungserzählungen. Argumentationshilfen:
https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2020/05/AAS_wissen_was_wirklich_WEB.pdf
3400 Franken, dann klappt die Adoption
Die Rede war von Kinderhandel und Babyfarmen: Bis 1997 wurden unter den Augen der Schweizer Behörden und unter fragwürdigen Umständen über 800 Kinder aus Sri Lanka an Schweizer Adoptiveltern vermittelt – nicht wenige gegen den Willen der leiblichen Eltern. Ein Skandal, der bis heute nicht aufgearbeitet worden ist. Ein Prozess am Kriminalgericht Luzern, den Gerichtsreporter Kilian Küttel für uns verfolgte, gibt einen seltenen Einblick in dieses fragwürdige Geschäft, das bis heute unter den strengen Auflagen des Bundesamts für Justiz weiterläuft.
https://www.republik.ch/2020/05/20/3400-franken-dann-klappt-die-adoption?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=republik%2Fnewsletter-editorial-nl-mi-2005
EU: Guns, guards and guidelines: reinforcement of Frontex runs into problems
An internal report circulated by Frontex to EU government delegations highlights a series of issues in implementing the agency’s new legislation. Despite the Covid-19 pandemic, the agency is urging swift action to implement the mandate and is pressing ahead with the recruitment of its new ‘standing corps’. However, there are legal problems with the acquisition, registration, storage and transport of weapons. The agency is also calling for derogations from EU rules on staff disciplinary measures in relation to the use of force; and wants an extended set of privileges and immunities. Furthermore, it is assisting with “voluntary return” despite this activity appearing to fall outside of its legal mandate.
http://www.statewatch.org/analyses/no-361-frontex-state-of-play.pdf
Coronavirus exposed the real reasons behind France’s ‚burqa ban‘
France has just made the wearing of masks compulsory in certain public spaces, but maintained the years-long ban on Muslim full-face veils. This suggests if an observant Muslim woman wanted to get on the Paris Metro, she would be required to remove her burqa and replace it with a mask.
https://www.aljazeera.com/indepth/opinion/coronavirus-exposed-real-reasons-france-burqa-ban-200514105218122.html
Antikurdischer Rassismus: Eine Praxis ohne Gehör
https://yeniozgurpolitika.net/antikurdischer-rassismus-eine-praxis-ohne-gehor/
Mitgehangen, Mitgefangen – Bern im kolonialen Netz
Die Schweiz besass keine eigenen Kolonien und hat somit keine unmittelbare koloniale Vergangenheit. Nichtsdestotrotz war sie in das koloniale System verwickelt. Die studizytig hat nachgeforscht, wo die Spuren des Kolonialismus in Bern zu finden sind.
https://www.studizytig.ch/ausgaben/ausgabe-20/mitgehangen-mitgefangen-bern-im-kolonialen-netz/
Oury Jalloh und die Toten des Polizeireviers Dessau
Ein Mensch verbrennt 2005 im Polizeigewahrsam. Der an Händen und Füßen Gefesselte habe sich selbst angezündet, behaupten die Beamte. 15 Jahre lang scheitert die Justiz trotz mehrfacher Anläufe daran, den Fall aufzuklären – und macht ihn damit zum Politikum.
https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/tiefenblick/polizei-dessau-oury-jalloh-100.html