Medienspiegel 19. Mai 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Container ersetzen AsylzentrumWegen Bauarbeiten und Vandalen-Akten
In Kappelen sollen Container die Kapazität des Bundesasylzentrums auf 270 Plätze erhöhen. Dies ist unter anderem notwendig, weil Aktivisten im Februar das Gebäude beschädigten.
https://www.derbund.ch/containerprovisorium-fuer-bundesasylzentrum-kappelen-be-689230723270
-> https://www.bernerzeitung.ch/containerprovisorium-fuer-bundesasylzentrum-kappelen-801538999560
-> https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/seeland/containerprovisorium-im-bundesasylzentrum-kappelen


+++SOLOTHURN
Erfolgreich integriert: Behörden erklären negativen Asylentscheid von Mahmood
Ein Asylsuchender, der sich im solothurnischen Zuchwil bestens integriert hat, muss die Schweiz verlassen. Nun nehmen die Behörden Stellung.
https://www.20min.ch/story/fuer-den-entscheid-spielt-die-integration-keine-rolle-246995901926


+++MITTELMEER
Malta: Hungerstreiks und Selbstmordversuche von Boat-people auf Gefängnisschiffen
Seit zwei Wochen setzt die Regierung von Malta kleine Fährenschiffe ein, um übernommene Boat-people vor der Küste Maltas festzuhalten. Diese kleinen Fährenschiffe sind weder für Schlechtwetter noch für die Versorgung zahlreicher,  häufig kranker, verletzter und traumatisierter Boat-people geeignet. Die EU finanziert diese Abschreckungsmassnahme. Boat-people auf diesen Ferries begannen Hungerstreiks, es kam zu Selbstmordversuchen.
https://ffm-online.org/malta-hungerstreiks-und-selbstmordversuche-von-boat-people-auf-gefaengnisschiffen/


+++FREIRÄUME
Aufruf des Juch-Kollektiv gegen Entmündigung und Repression
Aufgrund der Räumungsandrohung und der Bekanntgabe der geplanten Abriss-auf-Vorrat Nachnutzung des Juch-Areals im März, hat das Juch am 8.5. 2020 eine Petition gestartet. Die Petition wird bereits von über 1500 Menschen und dazu auch von Politiker*innen aus AL, Grüne und SP unterstützt. Zudem wurden die Bewohner*innen der Stadt Zürich mit einem Plakat dazu aufgerufen ihre Ablehnung dieser Pläne den zuständigen Departementen und Politiker*innen telefonisch mitzuteilen. Diese Formen des Protests wurde aufgrund der herrschenden Corona-Massnahmen und den damit verbundenen massiven Einschränkungen der Meinungsäusserungs- und Versammlungsfreiheit gewählt.
https://juch.zureich.rip/petition-und-aktionswoche/


+++GASSE
Waren von Schweizer Grossverteilern: Mehr Menschen auf Lebensmittelspenden angewiesen
Die Corona-Krise hat die finanzielle Lage vieler auch hierzulande verschlechtert. Die Schweizer Tafel sammelt deshalb Waren von Schweizer Grossverteilern.
https://www.bernerzeitung.ch/mehr-menschen-auf-lebensmittelspenden-angewiesen-375009594698


Sozialarbeit in der Coronakrise: Street Worker und Programmierer werden erfinderisch
Um die Bedürfnisse von Obdachlosen auf der Straße besser zu erfassen, entwickelt ein Software-Anbieter eine neue App. Da die Berliner Verwaltung angesichts der Krise ohnehin überfordert ist, zögern die Sozialarbeiter*innen nicht lange und wagen das Experiment. Ein Bericht über die Digitalisierung von sozialer Arbeit.
https://netzpolitik.org/2020/street-worker-und-programmierer-werden-erfinderisch/


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Universität Zürich führt Geldstrafen für politischen Aktivismus ein
Der Universitätsrat will am 25. Mai eine Änderung der Disziplinarordnung absegnen. Neu können «Störungen des universitären Betriebs» mit Geldstrafen von bis zu 5’000 Franken sanktioniert werden. Das feministische Hochschulkollektiv ruft zur Telefon-Demo auf und auch der Verband der Studierenden kritisiert die Revision.
https://tsri.ch/zh/universitat-zurich-fuhrt-geldstrafen-fur-politischen-aktivismus-ein/


«Liebe Frau Keller-Sutter, lassen Sie die Leute gegen Bill Gates demonstrieren …»
Woche für Woche versammeln sich Lockdown-Gegner, um gegen einen Lockdown zu demonstrieren, den es gar nie gegeben hat. Das Demonstrationsverbot spielt diesen Leuten in die Hände.
https://www.watson.ch/schweiz/wirtschaft/242464608-coronavirus-schweiz-demonstration-gegen-bill-gates-soll-erlaubt-sein


Challenge for Future
There is no Planet B (13): Aktionen Klimastreik 15. Mai 2020 Bern.
https://youtu.be/nL-vDEvL0bI


Bäszlergut Einreiszen ! Diese Gewalt hat System
In der Nacht auf Dienstag wurde auf der Mittleren Brücke ein Transparent mit der aufschrift: Bäszlergut Einreiszen ! Diese Gewalt hat System aufgehängt.
https://barrikade.info/article/3530


Kunstinstallation vor Luzerner Kantonsratssitzung
Ein schmutziges WC, ein einsames Waschbecken und ein Zelt wurden zu einer Kunstinstallation und untermauerten die Dringlichkeit der Evakuierung griechischer Lager.
https://barrikade.info/article/3524



«Polizisten können mit den Leuten auf der Strasse nicht jedes Mal ein juristisches Seminar abhalten»
Die Stadtzürcher Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (gp.) sieht sich wegen Aussagen zu Polizeieinsätzen und verwirrender Kommunikation harscher Kritik ausgesetzt. Nun nimmt sie Stellung zu den Vorwürfen.
https://www.nzz.ch/zuerich/coronavirus-in-zuerich-karin-rykart-widerspricht-harscher-kritik-ld.1557092
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/sicherheitsvorsteherin-karin-rykart-kritisiert-demonstrationsverbot-00134558/



tagesanzeiger.ch 19.05.2020

Zürichs Polizeichefin in Bedrängnis«Ich war überrascht, wie schnell und heftig das Dementi kam»

Die Zürcher Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart (Grüne) wehrt sich gegen Zickzackkurs-Vorwürfe bei Demos. Trotzdem räumt sie Versäumnisse ein.

Martin Huber

Frau Rykart, laut dem Bund sind politische Kundgebungen mit bis zu fünf Personen ab sofort wieder möglich, wenn die Abstandsregeln eingehalten werden. Ist der Konflikt mit dem Kanton um Corona-Demonstrationen damit vom Tisch?

Ich bin erleichtert über diese Klärung. Kleine Kundgebungen und Mahnwachen dürfen wieder stattfinden, die Bewilligung ist Sache der Stadt. Allerdings: Wenn am Helvetiaplatz an jeder Ecke fünf Leute stehen und für dasselbe demonstrieren, wäre das gemäss Bundesrat als Einheit anzusehen und also weiterhin nicht erlaubt.

Das tönt nach einer Farce.

So sind im Moment die Regeln. Sie leuchten vielleicht nicht allen ein, das mag sein. Vor allem, wenn man sieht, wie die Stadt am Wochenende wieder auflebte, wie voll die Cafés und die Strassen wieder sind. Aber so ist es nun mal. Ohne Widersprüche sind diese Lockerungen nicht zu haben.

Sie und Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP) sind am Donnerstag hart aneinandergeraten. «Demonstrationen können unter Bedingungen in Zürich möglich werden», liessen Sie per Medienmitteilung verlauten. Worauf Sie der Kanton öffentlich zurückpfiff: Die Medienmitteilung sei «falsch». Wieso haben Sie sich nicht vorab mit Mario Fehr abgesprochen?

Im Nachhinein muss ich sagen: Das wäre vielleicht nicht schlecht gewesen. Aber wir wollten mit der Medienmitteilung nur aufzeigen, dass es Handlungsspielraum gibt bei der Frage, ob man kleine Kundgebungen bewilligen kann. Unglücklich war wohl das Wort «Demonstrationen» im Titel, das weckte falsche Vorstellungen von Tausenden von Leuten.

Was sagen Sie zur öffentlichen Zurechtweisung durch den Kanton?

Ich war schon überrascht, wie schnell und heftig das Dementi gekommen ist.

Linke sprachen von einer übertriebenen Machtdemonstration des Kantons.

Das habe ich nicht so empfunden.

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Mario Fehr beschreiben?

Als kollegial und gut. Wenn es Differenzen gibt: Wir haben beide die Telefonnummer des andern. Am Montagmittag haben wir telefoniert, wegen der neuen Regeln für Kundgebungen.

Ein solcher Machtkampf mitten in der Corona-Krise fördert nicht gerade das Vertrauen in die Politik.

Ach, das sollte man nicht überinterpretieren. Mario Fehr und ich haben vielleicht nicht immer die gleiche Meinung, aber es ist nicht so, dass wir permanent Krach hätten. Er macht seinen Job, ich mache meinen. Wir beide machen Politik, da gehört es nun mal dazu, dass man nicht immer die gleiche Meinung vertritt. Ist doch kein Drama, wenn das mal an die Öffentlichkeit dringt.

Kritik gibt es auch an Ihrem Kurs bei Demonstrationen. Am 1. Mai griff die Stadtpolizei rigoros durch, eine Woche später tolerierte sie eine Kundgebung von Corona-Skeptikern auf dem Sechseläutenplatz. Ein solches Schwanken zwischen Repression und Toleranz wirkt wenig souverän.

Leider gibt es immer noch viele Leute, die nicht wissen, was meine Rolle als Stadträtin ist. Ich mache nicht die Einsatzleitung bei der Stadtpolizei. Ich plane keine Einsätze, ich mache auch keine Vorgaben, wie ein Einsatz abzulaufen hat.

Aber Sie sind die politisch Verantwortliche.

Stimmt. Aber ich bin nicht Fachfrau für Polizeitaktik. Von Gesundheitsvorsteher Andreas Hauri verlangt man auch nicht, dass er für jede Operation im Triemli, die schiefgeht, geradesteht. Wenn es nach einem Polizeieinsatz Kritik gibt, prüfe ich diese mit allen Mitteln, das ist meine Aufgabe. Aber einen einzelnen Polizeieinsatz verantwortet die Polizei. Erst wenn systematisch Fehler gemacht werden, trete ich als politisch Verantwortliche in Erscheinung. Den Vorwurf eines Schlingerkurses der Stadtpolizei weise ich zurück. Die Stadtpolizei geht bei Demonstrationen immer gleich vor. Mit einer Ausnahme, der Demonstration der Corona-Skeptiker. Da war die Stapo zu spät vor Ort, hat einen Fehler gemacht und ihn auch sofort eingeräumt.

Indem Sie den Einsatzleiter öffentlich gemassregelt haben. Das dürfte Ihre Akzeptanz im Korps nicht gesteigert haben.

Es ist ein Fehler passiert, der Einsatzleiter hat es ebenfalls eingesehen, damit war die Sache erledigt. Das sollte man nicht aufbauschen. Bei der Vereidigung junger Polizistinnen und Polizisten sage ich jeweils: Fehler dürfen passieren, wichtig ist, dass man daraus lernt.

Im Stadtparlament haben Sie den 1.-Mai-Einsatz der Polizei als «hart an der Grenze» tituliert. Ein Vertrauensbeweis tönt anders.

Das ist nur die halbe Aussage. Ich sagte, die Polizei sei korrekt gewesen, wenn auch hart an der Grenze. Diese Aussage hatte ich zuvor mit dem Kommandanten abgesprochen. Ich gehe mit so etwas nicht an die Öffentlichkeit, ohne das zuerst intern besprochen zu haben.

Steht das Polizeikorps eigentlich noch hinter Ihnen?

Ich denke schon.

Politisch sind Sie angezählt. «Eine Chance hat sie noch verdient, aber viel mehr liegt nicht drin», meinte der Stadtzürcher FDP-Präsident in der NZZ. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?

Das ist Politik. Der FDP-Präsident weiss genau, dass ich nicht Einsatzleiterin der Stadtpolizei bin und er mit seinen Aussagen weit übers Ziel hinausschiesst. Der Wahlkampf für 2022 hat offensichtlich bereits begonnen.

Und wie stark ist der Rückhalt aus Ihrer Partei? Auch von dort hagelte es ja Kritik wegen des Vorgehens der Polizei am 1. Mai.

Ich fühle mich von den Grünen getragen. Die Rollen sind klar. Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Grünen den Polizeivorsteher stellen.

Fühlen Sie sich manchmal an das Drama Ihrer Vorgängerinnen erinnert? Claudia Nielsen, Ruth Genner und Monika Stocker gerieten ebenfalls massiv unter Beschuss und gaben irgendwann auf. Warum trifft es immer linke Frauen im Stadtrat?

Eine interessante Frage. Vielleicht weil Frauen immer noch eine Minderheit sind im Stadtrat und deshalb unter verstärkter Beobachtung stehen? Aber ich sehe mich nicht in dieser Tradition, ich sehe mich nicht als Opfer. Zudem gab es bei den erwähnten Stadträtinnen teils monatelange Negativkampagnen. Jetzt hat es einmal Kritik am Umgang mit Demonstrationen gegeben, das ist nicht zu vergleichen. Damit muss ich leben.

Sind Sie im richtigen Departement?

Es mögen es zwar immer noch nicht alle glauben, aber: Ja, es ist super. Ich fühle mich wohl.

Wie wollen Sie die Corona-Regeln in den Zürcher Ausgangsvierteln künftig durchsetzen? Dort sind bereits wieder Partygänger in Scharen unterwegs.

Die Stadtpolizei prüft, wie sie auf diese Herausforderung reagieren soll. Bilder wie in Basel, wo es am letzten Wochenende zu einem Massenauflauf von Partygängern gekommen ist, wollen wir in Zürich nicht sehen. Klar: Die Leute haben ein Nachholbedürfnis. Aber wir haben immer noch die Distanzregeln, die man einhalten muss. Und das Versammlungsverbot ab fünf Personen. Die Stadtpolizei hat den Auftrag, das umzusetzen. Sie wird deshalb weiter vor Ort sein, schauen, ob es zu viele Leute hat, und einschreiten, wenn es überbordet. Vielleicht sind auch temporäre Sperrungen nötig.

Wann werden die Seeanlagen und das Utoquai wieder geöffnet?

Der Druck aus der Bevölkerung ist sehr gross. Aber leider ist eine Prognose schwierig, der Bundesrat muss erst mal über die weiteren Lockerungsschritte entscheiden. Ich denke, die Öffnung wird kaum vor dem 8. Juni kommen.



Grüne Polizeivorsteherin

Karin Rykart sitzt seit 2018 im Züricher Stadtrat. Die 49-jährige Soziologin ist nach Robert Neukomm (SP), Esther Maurer (SP), Daniel Leupi (Grüne) und Richard Wolff (AL) die fünfte linke Politikerin in Folge an der Spitze des städtischen Sicherheitsdepartements. (red)
(https://www.tagesanzeiger.ch/ich-war-ueberrascht-wie-schnell-und-heftig-das-dementi-kam-599734197703)


+++KNAST
-> https://www.20min.ch/story/haeftlinge-gehen-aufeinander-los-insasse-am-hals-verletzt-806043187590
-> https://www.landbote.ch/schlaegerei-unter-gefangenen-728381528874
-> https://www.toponline.ch/news/zuerich/detail/news/haeftling-in-jva-poeschwies-niedergestochen-00134602/
-> https://www.nzz.ch/zuerich/gefaengnis-poeschwies-verletzter-bei-streit-unter-gefangenen-ld.1557392


+++ANTITERRORSTAAT
Klares Ja zu einer verstärkten Terrorismusbekämpfung
Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates (SiK-N) empfiehlt die beiden Vorlagen des Bundesrates zur Terrorismusbekämpfung zur Annahme (18.071 und 19.032). Verschärfend beantragt die Kommission, das Instrument der präventiven Haft einzuführen.
https://www.parlament.ch/press-releases/Pages/mm-sik-n-2020-05-19.aspx
-> https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/kritik-an-geplanter-praeventivhaft-mit-diesem-gesetz-koennte-man-auch-extreme-corona-verschwoerer-einsperren-137904126


+++BIG BROTHER
Corona-App: Weder Albtraum noch Zaubermittel
Im Kampf gegen das Coronavirus will der Bundesrat künftig auf die Unterstützung der sogenannten Contact-Tracing-App setzen. Diese App soll dazu beitragen eine erneute Epidemie so gut wie möglich einzudämmen. Ist die App einmal installiert, zeichnet sie all unsere Bewegungen auf und warnt uns, sofern es zu einer Begegnung mit einer infizierten Person kam. Dabei wird auch registriert, wie lange und wie nahe sich die Personen kamen. Derzeit befindet sich die App noch im Testbetrieb, doch bereits am 20. Mai will der Bundesrat nun die gesetzlichen Grundlagen für den ordentlichen Betrieb der App zu Handen des Paralements verabschieden. Das Parlament selbst wird dann vermutlich im Juni definitiv über die Zukunft der App befinden.
https://rabe.ch/2020/05/19/contact-tracing-app-was-bringts/



derbund.ch 19.05.2020

Namenslisten in den Restaurants bleiben leer

Die Gäste haben keine Lust, ihre Daten anzugeben – viele Lokale fragen gar nicht erst danach: Das Schutzkonzept der Gastrobranche macht Probleme.

Luca De Carli, Fabian Fellmann

In einem Zürcher Restaurant am letzten Freitag: Der Gast möchte seinen Namen angeben und bittet den Kellner um die entsprechende Liste. Eine solche werde nicht mehr geführt, bekommt er zur Antwort. Das ist kein Einzelfall, wie Besuche von Redaktorinnen und Redaktoren dieser Zeitung in Schweizer Restaurants zeigen: In mehreren Lokalen fanden Gäste weder Namenslisten auf den Tischen, noch wurden sie vom Personal um ihre Namen gebeten.

Dabei steht im verbindlichen Schutzkonzept der Gastronomiebranche, dank dem Restaurants und Bars trotz der Corona-Pandemie seit einer Woche wieder geöffnet haben dürfen, etwas anderes: Für die Gäste ist das Angeben von Kontaktdaten zwar freiwillig. Doch für die Betriebe ist es Pflicht, danach zu fragen. Kurz vor den Wiederöffnungen erinnerte Bundesrat Alain Berset an einer Pressekonferenz daran: Damit allfällige Infektionsketten nachverfolgt werden könnten, müssten die Restaurants wissen, wer bei ihnen eingekehrt sei. «Contact-Tracing soll auch in Restaurants möglich sein», sagte Berset.

Frustriertes Personal

Das stellt sich als schwieriger heraus, als die Behörden hofften. Die Gewerkschaften Unia und Syna haben letzte Woche einen Aufruf an ihre Mitglieder aus der Gastrobranche lanciert. Diese sollten melden, wie gut sie am Arbeitsplatz geschützt werden. «Wir haben punktuell die Rückmeldung erhalten, dass die Gästedaten nicht erhoben werden, vor allem aus dem Kanton Zürich», sagt Mauro Moretto, zuständig für den Gastrobereich bei der Unia, die mehr als 500 Eingaben erhielt. Syna entnimmt den über 100 Antworten von Angestellten, dass vor allem die Gäste das Problem sind.

Wie Bereichsleiterin Claudia Stöckli sagt, stossen die Corona-Schutzmassnahmen bei vielen Gästen auf Unverständnis, insbesondere die Namenslisten. Sie würden «wenig bis gar nicht genutzt». Für das Personal sei das extrem frustrierend. «Dadurch, dass die Angabe des Namens freiwillig ist, wurde dem Personal die undankbare Aufgabe übertragen, die Gäste davon zu überzeugen», sagt Stöckli. Das sei der falsche Weg. Das Ausfüllen der Namenslisten sei wichtig – zum Schutz von Gästen und Personal – und müsste daher obligatorisch sein.

Bund droht mit dem Pranger

Mithilfe der Liste sollen die Kantonsärzte mögliche Infizierte aufspüren. Der Zuger Kantonsarzt Rudolf Hauri sagt: «Geben die Restaurantbesucher ihren Namen nicht an, erschwert das die Arbeit der Contact-Tracer, es verunmöglicht sie jedoch nicht.» Es sei ein Vorteil, schnell zu wissen, wer mit einer infizierten Person in einer Wirtschaft in nahem Kontakt gestanden sei, sagt der Präsident der Vereinigung der Kantonsärzte. Die Tracer würden das auch ohne Namenslisten herausfinden – nur steige damit der Aufwand.

Das Bundesamt für Gesundheit drohte den Wirten am Montag mit dem Pranger. Die Wirte müssten sich «wirklich ganz gut überlegen», ob sie die Kundendaten nicht erfassen, sagte der Corona-Delegierte Daniel Koch. «Es könnte zum eigenen Schaden sein.» Stecke sich ein Kellner an, müsse der Betrieb Auskunft geben können darüber, wen der Kellner bedient habe. Sonst könnten die Behörden eine öffentliche Fahndung starten. «Wenn man ausrufen muss, in diesem und jenem Betrieb und an diesem und jenem Tag müssen sich alle Gäste melden, ist das nicht sehr erfreulich für den Gastrobetrieb und für alle anderen», sagte Koch.

Kantonsarzt Hauri bestätigt, dass öffentliche Aufrufe als letztes Mittel zum Auffinden von engen Kontakten denkbar seien. Das gelte namentlich für Situationen, in denen mehrere unbekannte Personen gleichzeitig ausfindig gemacht werden müssten.

Kontrolleure sehen kein Problem

Den Kontrollbehörden sind die Probleme mit der Erfassung von Gästedaten bisher indes nicht aufgefallen. In Basel heisst es, man könnte nicht beurteilen, wie gut sie funktioniere. Inspiziert wurden dort 51 Betriebe. Im Kanton Zürich hat das Arbeitsinspektorat letzte Woche 16 Gastronomiebetriebe kontrolliert. Dort sei das Formular «mehrheitlich gut sichtbar» gewesen, und die Betreiber hätten versichert, die Gäste würden auf die Möglichkeit hingewiesen, die Kontaktdaten anzugeben. In der Stadt Bern hat das Polizeiinspektorat 100 von 600 Gastrobetrieben besucht. «Das Formular zur Erfassung der Gästekontakte liegt auf vielen Tischen auf, zusammen mit einem Kugelschreiber oder auch einem QR-Code für das Mobiltelefon», sagt Marc Heeb.

Abgesehen von den Problemen mit den Namenslisten erhalten die Gastronomen Lob: Die Schutzkonzepte würden bisher ziemlich gut umgesetzt, wie Besuche vor Ort gezeigt hätten, heisst es bei der Gewerkschaft Unia. Ähnlich ist der Tenor bei den staatlichen Kontrolleuren in Basel, Bern und Zürich.

Es fehlt die Zeit

Der Gewerkschaft Syna meldeten die meisten Angestellten, dass sie von ihren Arbeitgebern vor der Wiederöffnung geschult wurden. Die Mitarbeiter würden die Umsetzung der Schutzkonzepte aber sehr unterschiedlich beurteilen. «Ein Teil der Angestellten fühlt sich gut geschützt, ein Teil gar nicht», sagt Gewerkschafterin Stöckli. Im Alltag seien die Konzepte vielfach nicht umsetzbar. «Es fehlt die Zeit für die vielen zusätzlichen Säuberungsmassnahmen, zum Beispiel dem Desinfizieren der Tische und Stühle, oder die Abstandsregeln können nicht eingehalten werden.»

Der Branchenverband Gastrosuisse beantwortete Fragen dazu am Montag nicht: Es sei noch zu früh für eine Zwischenbilanz.



Diese Regeln gelten in Restaurants

Restaurants und Bars dürfen den Betrieb nur aufnehmen, wenn sie eine Reihe von Vorschriften einhalten.

Der Bundesrat verlangt:

– maximal 4 Personen pro Tisch, mit Ausnahme von (Patchwork-)Familien
– alle Gäste müssen sitzen
– Öffnungszeiten 6 bis 24 Uhr
– keine Unterhaltungsangebote wie Spiele oder Konzerte
– Einhaltung des Branchen-Schutzkonzepts

Zusätzlich macht der Branchenverband Gastrosuisse weitere Vorgaben. Die wichtigsten sind:

– 2 Meter Abstand zwischen Tischen oder Trennung durch Schutzwand
– kann das Personal zu den Gästen einen Mindestabstand von 2 Metern nicht einhalten, sind ihm Hygienemasken dringend empfohlen
– Gäste werden aufgefordert, die Kontaktdaten von einer Person pro Tisch zu hinterlassen. Für die Gäste ist die Angabe aber freiwillig.
– Personal muss regelmässig die Hände waschen, Oberflächen und Gegenstände werden regelmässig gereinigt.

Zuständig für die Kontrolle sind die Kantone. Je nach Kanton ist die Polizei, das Arbeitsinspektorat oder eine andere Stelle damit betraut. (ffe)
(https://www.derbund.ch/namenslisten-in-den-restaurants-bleiben-leer-988305712710)


+++POLICE BE
derbund.ch 19.05.2020

Polizei setzt Abstandsregeln durch: Wenn das «Geburifestli» illegal ist

Weil sich Menschen in grösseren Gruppen nach draussen wagen, verstärken Berns Behörden die Polizeipräsenz. Ihr striktes Vorgehen erntet Kritik.

Selina Grossrieder, Calum MacKenzie

Bald ist Sommer, die Beizen sind offen, und die Zahl der Neuansteckungen geht zurück: Bei vielen ist derzeit die Versuchung gross, es mit den Massnahmen gegen das Coronavirus nicht mehr ganz so streng zu nehmen. Wie das im Extremfall aussieht, zeigten Zecher in Basel am vergangenen Wochenende: In der Steinenvorstadt versammelten sich so viele Menschen, dass die gebotenen zwei Meter Abstand unmöglich einzuhalten waren. Der Aufschrei war gross, beruht doch die Verhinderung einer zweiten Welle der Pandemie wesentlich auf Social Distancing.

Auch in Bern meldet die Kantonspolizei, dass «die Regeln bezüglich Distanzen und Gruppengrössen weniger konsequent eingehalten werden». Mit Blick auf die Wiederöffnung von Geschäften und Gastrobetrieben seien mehr Leute draussen unterwegs als während der vorherigen Wochen, so Sprecher Dominik Jäggi. Obwohl sich der Grossteil der Bevölkerung an die Vorgaben halte, seien am Wochenende Bussen verteilt worden. Wie viele, werde nicht laufend erfasst.

Spürhunde gegen Lockdown-Sünder

Doch das Vorgehen der Polizei bei der Durchsetzung der Regeln irritiert einige Betroffene. So wurden vor einigen Tagen sämtliche Gäste eines «Geburifestli» in einem Berner Park gebüsst. Zwar hatten diese sich auf drei Sitzbänke verteilt und sich so an die Abstandsregeln gehalten.

Weil sie aber zu siebt waren statt nur zu fünft, schritt die Polizei ein. Sie seien sich des Fehlers bewusst, sagt eine Beteiligte dem «Bund», und mit einer Busse grundsätzlich einverstanden. Dass nun jeder Einzelne 100 Franken zahlen müsse, sei aber unverhältnismässig.

Bei einem ähnlichen Vorfall einige Wochen zuvor flüchteten Jugendliche in ein Waldstück, als die Polizei ihre Siebnergruppe entdeckte. «Es war ein Reflex», sagt eine anwesende 18-Jährige. «Uns war klar, dass wir etwas falsch gemacht hatten.» Der Grossteil der Gruppe habe den Wald aber verlassen, als klar geworden sei, dass sie von mehreren Polizisten umzingelt waren.

Während sie sich den Beamten stellten, hätten diese diskutiert, sogar Spürhunde aufzubieten, um die restlichen Versteckten auszuschnüffeln. Schliesslich kamen jedoch auch die letzten Jugendlichen hervor, alle erhielten eine Busse und wurden zudem wegen Hinderung einer Amtshandlung angezeigt.

Kollektivstrafe kritisiert

Experten sehen solche Fälle kritisch. «Eine polizeiliche Massnahme muss immer verhältnismässig, das heisst sowohl geeignet als auch erforderlich sein, um einen legalen Zweck zu erfüllen», sagt Jörg Paul Müller, emeritierter Rechtsprofessor an der Universität Bern. Wenn eine Warnung diesen Zweck bereits erfülle, sei eine hohe Busse unverhältnismässig. Das gelte etwa für die 700 Franken Busse, mit denen die Gäste des Geburtstagsfests belegt wurden – «wenn es keine erschwerenden Umstände gab».

Müller schlägt vor: «Anstatt gleich hohe Bussen auszusprechen, hätte die Polizei sie zunächst anweisen sollen, auseinanderzugehen.» Problematisch sei der Fall auch, weil die Polizei alle ohne weitere Abklärung gebüsst habe – Kollektivstrafen seien laut Verfassung nicht erlaubt. «Ohne individuelle Schuld darf keine Strafe ausgesprochen werden», sagt Müller

Nicole Joerg Ratter vom Trägerverein für offene Jugendarbeit Bern hinterfragt einen weiteren Aspekt der Umsetzung der Massnahmen. «Viele Jugendliche melden uns, sie hätten den Eindruck, sie würden eher gebüsst als Erwachsene.» Dabei sei es gerade für Junge seit der Lockerung weniger klar geworden, wann welche Regeln gelten. «In der Schule müssen sie zueinander keinen Abstand halten, ausserhalb schon.»

Im öffentlichen Raum müsse die Polizei fair und vor allem altersgerecht vorgehen. «Eine Erstverwarnung wäre teils sinnvoller, als direkt jemanden zu büssen.» Die Kantonspolizei gibt an, bei der Schwerpunktsetzung seien Altersgruppen kein Kriterium.

Mehr Polizei an Auffahrt

Für den Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) gilt Folgendes: «Die Polizisten versuchen, mit den betroffenen Personen zu sprechen. Nur wer sich auch nach dem Gespräch renitent zeigt, soll auch gebüsst werden.» Dieses Vorgehen können die Anwesenden des Geburtstagsfestes aber nicht bestätigen. Mit der Begründung, die Regeln seien mittlerweile bekannt, hätten die Polizisten statt nur einer Verwarnung die Busse ausgesprochen.

Polizei-Sprecher Dominik Jäggi macht hingegen geltend, die Vorgehensweise der Polizei habe sich im Laufe der Epidemie nicht verändert. «Es kann aber sein, dass die Richtlinien in der Anfangsphase noch vermehrt bekannt gemacht werden mussten, während inzwischen mit Gesprächen weniger erreicht werden kann.» Hier könne es durchaus sein, dass es eher eine Busse brauche, um die Regeln durchzusetzen.

Ob strikt oder nicht: Am kommenden verlängerten Wochenende werden in Bern mehr Polizisten unterwegs sein, sagt Reto Nause. Trotz «Ermüdungserscheinungen» bei der Bevölkerung und schönem Wetter ist er zuversichtlich: «Die Bernerinnen und Berner haben in den letzten Wochen mehr als bewiesen, dass sie die notwendigen Massnahmen einhalten können und wollen.»
(https://www.derbund.ch/wenn-das-geburifestli-illegal-ist-644731803225)


+++ANTIRA
antira-Wochenschau: Securitas-Gewalt im Bundesasyllager, Jüd*innen-Liste wegen Polizei, Migrant*innen-Streik gegen Spargelhof Ritter
https://antira.org/2020/05/18/antira-wochenschau-securitas-gewalt-im-bundesasyllager-juedinnen-liste-wegen-polizei-migrantinnen-streik-gegen-spargelhof-ritter/


+++RECHTSEXTREMISMUS
Kommen die Neonazis damit davon?
Der Pnos-Vorsitzende Tobias Steiger hat in einem Basler Telegram-Chat gegen jüdische Mitmenschen gehetzt. Was sagen die Behörden?
https://bajour.ch/a/q6ApjgvWVfQurb6m/kommen-die-neonazis-damit-davon


+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
ALUHUT-WATCH:
-> https://twitter.com/IRebellen
-> https://twitter.com/__investigate__
-> https://twitter.com/Megafon_RS_Bern


Pfluger, der nette Rattenfänger
Heute hab ich den Herrn Pfluger getroffen, den Christoph. Der Christoph gibt sich gerne intellektuell, aber behäbig.
https://fadegrad.co/2020/05/18/pfluger-der-nette-rattenfaenger/
-> Streitgespräch RaBe-Info: https://rabe.ch/2020/05/18/streitgespraech-ueber-coronaproteste/


Neues Video zu Corona: Karl Klammer konnte kein Zufall sein
Gut für die Psychohygiene: SRF-Comedian Stefan Büsser stellt seine eigene Verschwörungstheorie ins Netz.
https://www.bernerzeitung.ch/karl-klammer-konnte-kein-zufall-sein-399793759991?fbclid=IwAR3FIgxogyRHjjlXSK3MvY85Rp4YkQGXySBIrHIsiJkP-NgjygeFsLy3R58


Initiant der Anti-Corona-Bewegung gibt nicht auf

Alec Gagneux gilt als Kopf der Anti-Corona-Demos. An der letzten unbewilligten Demonstration wurde er von der Polizei abgeführt, gebüsst und darf nun vier Wochen nicht mehr nach Bern. Trotzdem kämpft er weiter für den Erhalt der Verfassung.
https://www.telebaern.tv/telebaern-news/initiant-der-anti-corona-bewegung-gibt-nicht-auf-137904933


Psychologin über Verschwörungsglauben: „Prototyp des Kontrollverlustes“
Bei den „Hygiene-Demos“ treffen unterschiedlichste Menschen aufeinander, die den Glauben an eine Verschwörung teilen. Pia Lamberty erklärt, warum.
https://taz.de/Psychologin-ueber-Verschwoerungsglauben/!5685695/
-> https://taz.de/Kritik-an-Corona-Massnahmen/!5686759/


Die unheimliche Corona-Verschwörung: Wie Telegram zur Fake-Schleuder der Aluhüte wurde
Verschwörungstheoretiker erhalten in Zeiten des Coronavirus Zulauf. Vor allem auf einer Plattform florieren Gerüchte, Fehlinformationen und Propaganda-Botschaften: Telegram. Experten beobachten den Trend schon länger und warnen vor gesellschaftlichen Folgen.
https://www.watson.ch/digital/coronavirus/618208398-unheimliche-corona-verschwoerung-wie-telegram-zur-heimat-der-aluhuete-wurde


Corona-Verschwörer und Corona-Trümmerfrauen
SPIEGEL TV vom 18.05.2020
https://www.spiegel.de/panorama/corona-verschwoerer-und-corona-truemmerfrauen-a-6a02c113-a8bb-41b7-9e4d-0a92c934ff6a

Mit Judenstern gegen Corona-Maßnahmen
Rechte kapern Hygiene-Demos
Auch am vergangenen Wochenende trugen Demonstranten wieder Judensterne. Impfgegner inszenieren sich so als Opfer einer vermeintlichen Diktatur, die alle Bürger und Bürgerinnen zwangsimpfen will.
https://www.zdf.de/politik/frontal-21/rechte-kapern-hygiene-demos-100.html#xtor=CS5-22


Warum Verschwörungstheoretiker nicht einfach nur Spinner sind
Der Glaube an finstere Mächte hinter der Coronakrise ist nicht bloß Unfug, sondern ein gefährliches Krisensymptom moderner Gesellschaften. Ein Essay.
https://www.tagesspiegel.de/kultur/ideologien-in-der-coronakrise-warum-verschwoerungstheoretiker-nicht-einfach-nur-spinner-sind/25844136.html


+++KUNST
tagesanzeiger.ch 19.05.2020

Zürichs Behörden verzweifeln: «KCBR ist wie ein Fisch, der uns durch die Finger rutscht»

Die Zürcher Strafverfolger sind KCBR auf den Fersen, einem der bekanntesten Graffiti-Kollektive der Schweiz. Ein Fall zeigt, wie abgeklärt die Gruppe vorgeht.

Thomas Hasler, Kevin Brühlmann

Ein Mann, 31 Jahre alt, sitzt in einem Saal im Bezirksgericht in Zürich und schweigt. Der Richter geht mit einem Foto in der Hand auf ihn zu. Das Bild ist ein Ausschnitt aus einem Überwachungsvideo der SBB, aufgenommen Ende März 2018. Es ist ziemlich gut aufgelöst und zeigt zwei Gestalten in SBB-Schutzwesten, wie sie um die Mittagszeit einen Bahnwagen entlanglaufen, der im Bahnhof Winterthur abgestellt wurde.

Der Richter zeigt aufs Foto und fragt den jungen Mann: «Sind Sie das?»

Hinter dem Foto verbirgt sich ein Vorwurf an den 31-Jährigen. Er habe dort, hält die Staatsanwaltschaft fest, zusammen mit weiteren Tätern, den Bahnwagen «mit Farbe besprüht und dadurch zum Nachteil der SBB einen Schaden von rund 7000 Franken verursacht».

Zwei weitere Sprayereien werden dem Mann angelastet: Zunächst habe er einen Bahnwagen in Zürich-Altstetten verunstaltet. Und dann habe er einen Schaden von 10’000 Franken verursacht, als er am 20. Januar 2019 beim Bahnhof Sennhof-Kyburg einen SBB-Waggon besprüht habe. Auf allen drei Waggons prangte der Slogan KCBR – es ist der Name des bekanntesten Graffiti-Kollektivs der Schweiz.

Einen Tag später verhaftete die Polizei den 31-Jährigen beim Bahnhof Sennhof-Kyburg. Bei der Hausdurchsuchung fand man ein KCBR-Magazin von 2018. So zogen die Behörden eine Verbindung zwischen den drei Sprayereien.

Doch als der Angeklagte nun das Foto sieht, das ihm der Richter hinhält, sagt er, was er heute immer sagt: «Ich möchte keine Aussage machen.»

Wie ein Bankraub ohne Raub

Wenn man von KCBR spricht, sollte man das wie über eine Firma tun. Und wenn man den englischen Begriff «firm» mitdenkt, so bezeichnen sich Hooligangruppen, kommt man dem Kern von KCBR relativ nahe.

Es geht um das Gewinnen, wo es nichts zu gewinnen gibt. Als würde man eine Bank überfallen und das Geld absichtlich liegen lassen.

Gegründet wurde das Kollektiv KCBR 2008. Der Name steht für King’s Club Be Retarded (zwei Jungs kamen darauf, als sie «endlos blau» nach Hause gelaufen seien, wie sie der WOZ erzählten). Bald stieg KCBR zum schlagkräftigsten Kollektiv der Schweiz auf. Seit Jahren versuchen die Behörden dieser Gruppe auf die Spur zu kommen – ohne Erfolg. Gemäss einer Auflistung der Stadtpolizei Zürich vom Oktober 2017 werden KCBR gegen 600 Sprayereien zugeschrieben, bei denen ein Schaden von 2,5 Millionen Franken entstanden sein soll.

KCBR ist keine Schönheitskonkurrenz. Ein Freund der Gruppe sagte einmal: «Street-Art ist für sie schlimmer als Hitler. Die sehen sie als die Leute, die später Toyota-Werbungen designen.»

Im Zentrum steht die Aktion. Und je komplizierter es wird, einen Ort zum Sprayen zu erreichen, desto besser. Also hat sich das Kollektiv auf S-Bahnen spezialisiert. Die Sprayerinnen und Sprayer haben eine schnörkellose Logistik entwickelt, mit stundenlangem Auskundschaften, Funkgeräten, kleinen Kameras und verinnerlichten Fahrplänen. Sie tragen Leuchtwesten der SBB, und wenn sie Lokführerinnen und Gleisarbeitern begegnen, winken sie.

Ihr Lohn für tagelange Vorbereitungen ist ein Bild, das eine Sekunde lang existiert. Eine Wand mit dem Tag «Support Your» und ein vorbeirasender Zug, auf dem «Local Vandalism» steht.


Bei den SBB bevorzugt man, über KCBR zu schweigen. «Schmierereien», heisst es allgemein, «werden immer zum nächstmöglichen Zeitpunkt entfernt und Schäden repariert, um nicht Nachahmer auf den Plan zu rufen.»

2013 erschien ein halbstündiger Film über KCBR. Er wurde drei Millionen Mal angesehen. Darauf sieht man eine Szene, in der drei Typen, vermummt, die Gesichter verpixelt, eine S-Bahn besprühen. Sie tragen kleine Kameras, und man hört Zürcher Dialekt. Nach wenigen Minuten ist der Graffito fertig, zwei auf fünf Meter gross. Die Jungs hauen ab.

Einer verliert seine Kamera. Als die Sprüher später zurückkehren, liegt sie noch da. Die Polizei hatte sie übersehen. Auf Video ist ein Polizist zu hören, der ungläubig fragt: «In zehn Minuten haben sie das gemacht?» Dann noch ungläubiger, beinahe entsetzt: «In zehn Minuten haben sie das gemacht?»

Die KCBR-Crew schreibt dazu: «4,5 Minuten».

«Müsste sie auf frischer Tat ertappen»

Als man Staatsanwalt Edwin Lüscher vor der Verkündung des Urteils anruft und fragt, ob man über KCBR reden könne, sagt er: «Ach, Sie meinen den Freispruch?»

Seit den Achtzigerjahren ist Lüscher Staatsanwalt. Er ist Leiter der sogenannten Krawallgruppe. Sie ist zuständig für Gewalt im Umfeld von Sportveranstaltungen. Und «bei grösseren Fällen der Störung von Ruhe und Ordnung» in der Stadt Zürich.

Der KCBR-Fall sei zufällig auf seinem Tisch gelandet, erzählt Lüscher. Schon vor einigen Jahren verfolgte er die Spuren der Sprayerinnen und Sprayer. Die Polizei hatte etwa 80 Fälle aufgearbeitet, aber die Untersuchung musste eingestellt werden, es kam nicht einmal zu einer Anklage.

Jetzt ist er wieder einigen auf der Spur, sechs insgesamt. Die Anklage gegen den schweigsamen 31-Jährigen ist der erste Fall. An den anderen arbeitet er noch.

«KCBR ist wie ein Fisch», sagt Lüscher, «er rutscht uns immer durch die Finger.» Nur aufgrund der Tags könne man niemanden verurteilen, die könne ja jeder kopieren, und die Aufnahmen der Überwachungskameras seien meistens zu schlecht. Auch DNA-Spuren gebe es keine, da die Gruppe immer Handschuhe trage. Man müsste die Leute auf frischer Tat ertappen.

«Um beim Fischen zu bleiben», sagt Lüscher. «Du darfst die Angel nicht gleich einholen, wenn sich der Zapfen an der Oberfläche bewegt. Du musst geduldig sein. Warten. Bis der Fisch richtig anbeisst.» Er überlegt kurz und erzählt dann, dass er ja selber auch ein Fischerpatent besitze. Er lacht herzhaft. «Da bin ich ungefähr gleich erfolgreich wie bei KCBR.»

Und tatsächlich: Freispruch

Mit seiner Prognose liegt Lüscher richtig – wieder einmal. Das Bezirksgericht Zürich verurteilt den 31-Jährigen zwar kurz darauf. Aber bloss wegen unbefugten Betretens eines Bahnbetriebsgebiets, was zu einer Busse von 300 Franken führt. Von allen übrigen Anklagepunkten wird er freigesprochen.

Die Argumentation des Gerichts, und man hört Edwin Lüscher auf seinem Angelboot leise lachen: Das Video, das den 31-Jährigen am Bahnhof Winterthur in Schutzweste zeige, beweise zwar seine Anwesenheit auf dem Gelände. Man sieht ihn aber nicht beim Sprayen. Und daher sei das Video kein Beweis, dass er dort gesprayt habe (genauso wenig wie die Tatsache, dass er einen Tag nach dem Sprayen am Ort der Tat aufgetaucht war). Und andere Videos der Überwachungskameras, sagt der Anwalt des 31-Jährigen, seien von derart schlechter Qualität, «dass ich selbst meinen Bruder nicht erkennen würde».
(https://www.tagesanzeiger.ch/kcbr-ist-wie-ein-fisch-der-uns-durch-die-finger-rutscht-992496262525)