Medienspiegel 17. Mai 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++SCHWEIZ
23 minderjährige Asylsuchende aus Griechenland in der Schweiz angekommen
Die Schweiz hat sich gegenüber den griechischen Behörden bereit erklärt, unbegleitete minderjährige Asylsuchende aus Griechenland aufzunehmen, die einen familiären Bezug zur Schweiz haben. Heute ist in Zürich ein Flugzeug aus Athen mit 23 Kindern und Jugendlichen an Bord gelandet.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-79142.html
-> Tagesschau 16.03.2020: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/tagesschau-vom-16-05-2020-hauptausgabe?id=70d615c6-14e7-4988-97f6-c197cb792b15


+++GRIECHENLAND
Journée de soutien aux personnes LGBTQIA+ dans le camp de réfugié.e.x.s de Moria.
Le 23 mai 2020, le CRAQ débarque sur les réseaux sociaux (instagram et facebook) pour une journée de performances queers en soutien aux personnes LGBTQIA+ actuellement enfermé.e.x.s dans le camp de Moria, en Grèce.
https://renverse.co/infos-locales/article/journee-de-soutien-aux-personnes-lgbtqia-dans-le-camp-de-refugie-e-x-s-de-moria-2598


+++GASSE
Fast 1000 Essenspakete mehr an Bedürftige in Genf verteilt
Am Samstag sind in Genf 2600 Essenspakete abgegeben worden. Es bildete sich eine Schlange von mehr als einem Kilometer, die Menschen standen mehrere Stunden an.
https://www.20min.ch/story/fast-1000-essenspakete-mehr-an-beduerftige-in-genf-verteilt-391239183173
-> https://www.20min.ch/fr/story/je-me-sens-concerne-cela-pourrait-aussi-marriver-273421261975


Ein Franken für einen Sack voll Essen
Beim Dienst am Nächsten wird wöchentlich Essen für einen Franken verteilt. Die Nahrungsmittel kommen von der Schweizer Tafel und werden an Bedürftige verteilt.
https://telebasel.ch/2020/05/17/ein-franken-fuer-einen-sack-voll-essen


+++POLIZEI DE
Oury Jalloh und die Toten des Polizeireviers Dessau
Ein Asylbewerber aus Afrika verbrennt 2005 im Polizeigewahrsam. Der an Händen und Füßen Gefesselte habe sich selbst angezündet, behaupten die Beamte. 15 Jahre lang scheitert die Justiz trotz mehrfacher Anläufe daran, den Fall aufzuklären – und macht ihn damit zum Politikum.
https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/tiefenblick/polizei-dessau-oury-jalloh-100.html


+++HOMOHASS
Gewalt gegen Schwule und Lesben: Attacken werden oft nicht angezeigt
Die Zahl der Übergriffe auf sexuelle Minderheiten ist im Jahr 2019 gestiegen. Meist schlagen die Täter auf der Strasse zu – vor aller Augen.
https://www.blick.ch/news/gewalt-gegen-schwule-und-lesben-die-attacken-werden-oft-nicht-angezeigt-id15895062.html
-> https://www.srf.ch/radio-srf-virus/aktuell/tag-gegen-homophobie-es-ist-traurig-dass-es-den-tag-gegen-homophobie-noch-braucht
-> https://www.srf.ch/news/panorama/tag-gegen-homophobie-prominente-sprechen-ueber-ihr-coming-out
-> https://www.tagesanzeiger.ch/uebergriffe-auf-sexuelle-minderheiten-nehmen-zu-538275658482?utm_source=twitter&utm_campaign=Ed_Social_Post_&utm_medium=Ed_Post_TA


+++HISTORY
Fremdenhass in der Schweiz – «Für Hunde und Italiener verboten»
Die Diskriminierung italienischer Migranten war Ende der 1960er-Jahre in der Schweiz weit verbreitet. Historiker Angelo Maiolino analysiert den Zeitgeist, als Italiener noch «Tschinggen» waren, und James Schwarzenbach seine Initiative gegen «Überfremdung» lancierte.
https://www.srf.ch/kultur/gesellschaft-religion/wochenende-gesellschaft/fremdenhass-in-der-schweiz-fuer-hunde-und-italiener-verboten


+++RECHTSEXTREMISMUS
Der Aufstieg des Ökofaschismus
Wenn unter der grünen Patina braunes Gedankengut lauert.
„…kommt die Überzeugung zum Ausdruck, dass die Natur einen höheren moralischen Status als manche Menschen hat – und dass die Natur nur dann wirksam geschützt werden kann, wenn die menschliche Bevölkerung gezielt kontrolliert und reduziert wird. Diese Überzeugung bildet den ideologischen Kern des Ökofaschismus.“
https://www.watson.ch/!488656839


+++VERSCHWÖRUNGSTHEORIEN
ALUHUT-WATCH:
-> https://twitter.com/IRebellen
-> https://twitter.com/__investigate__
-> https://twitter.com/Megafon_RS_Bern
-> https://twitter.com/edi_schwarz


„Ein Mitglied des Telegram-Chats ‚Aktionsraum Bern‘ konnte offenbar sein Handy in eine Festnahmezelle der
@PoliceBern schmuggeln. In zwei Sprachnachrichten die dem Megafon vorliegen berichtet er, festgenommen und knapp 7 Stunden im Neufeld festgehalten worden zu sein.“
Mehr dazu: https://twitter.com/Megafon_RS_Bern/status/1262022933679149056


„In Krisen werden Mythen mächtiger“
Regiert Bill Gates die Welt, wer hat Angst vorm Impfen? Die Psychologin Pia Lamberty erklärt, wo Verschwörungserzählungen anfangen
https://www.freitag.de/autoren/elsa-koester/in-krisen-werden-mythen-maechtiger
-> https://de.euronews.com/2020/05/17/corona-proteste-unterwanderung-durch-rechtsextreme


Wächst die Anhängerschaft? – «Man darf Verschwörungstheoretiker nicht als irre abtun»
Wenn jeder Dritte empfänglich sei, stimmten Begriffe wie Paranoia nicht mehr, sagt der Wissenschaftler Michael Butter.
https://www.srf.ch/news/international/waechst-die-anhaengerschaft-man-darf-verschwoerungstheoretiker-nicht-als-irre-abtun


Demos gegen Corona-Massnahmen – Die Stunde der Verschwörer?
Noch ist die Stimmung in Deutschland nicht gekippt. Eine Wirtschaftskrise könnte den Unmut zum Massenphänomen machen.
https://www.srf.ch/news/international/demos-gegen-corona-massnahmen-die-stunde-der-verschwoerer


Bericht von der Mahnwache gegen COVID-19 Massnahmen in Luzern
Erneut besammelten sich COVID-19 LeugnerInnen auf dem Bahnhofplatz in Luzern. Sie wurden von einigen Aktivist*innen zum Nachdenken aufgefordert. Dass dies dringend nötig ist belegen Aussagen von Teilnehmenden der Mahnwache gegenüber den Aktivist*innen
https://barrikade.info/article/3520


Fanatiker heizen Demos an: Das radikale Netzwerk hinter den Corona-Protesten
Über verschlüsselte Online-Chats heizen Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker die Proteste an. Wer die virtuellen Anführer sind, wie sie vorgehen und warum sie gefährlich sind.
https://www.blick.ch/news/schweiz/fanatiker-heizen-demos-an-das-radikale-netzwerk-hinter-den-corona-protesten-id15894719.html
-> https://www.nau.ch/news/schweiz/corona-rassismus-rechtsextreme-mischen-sich-unter-corona-demos-65709283



NZZ am Sonntag 17.05.2020

Polizei ermittelt gegen Corona-Demonstranten wegen Rassismus

Rund um die Kundgebungen tummeln sich Personen aus dem rechtsextremen Milieu.

Lukas Häuptli, Andreas Schmid

Die Ersten demonstrieren gegen das Zwangsimpfen, die Zweiten für ein Leben ohne Laster, die Dritten gegen Strahlen von 5G, die Vierten für esoterische Therapien, die Fünften gegen Bill Gates. Fast allen aber ist gemein: Sie sind überzeugt davon, dass der Staat allmächtig wird und ihnen ihre Freiheit raubt.

Demonstrationen gegen staatliche Anti-Corona-Massnahmen gibt es in der Schweiz seit drei Wochen. Gestern gingen in Zürich, Basel, Bern und anderen Städten mehrere hundert Personen auf die Strasse. Auf ihren Transparenten stand: «Schluss mit Manipulation» oder «Gib Gates keine Chance». Der amerikanische Microsoft-Gründer ist Zielscheibe zahlreicher Verschwörungstheoretiker.

Die Demonstrationen sind allerdings gar nicht erlaubt; so will es die Covid-19-Verordnung des Bundesrats. Deshalb büsste und verzeigte die Polizei gestern zahlreiche Demonstrationsteilnehmer und -teilnehmerinnen.

So auch die Berner Kantonspolizei. Im Zusammenhang mit den Corona-Demonstrationen ermittelt diese aber nicht nur wegen Verstössen gegen die Covid-19-Verordnung, sondern auch wegen Rassendiskriminierung. Das bestätigt Polizei-Sprecherin Jolanda Egger.

Aktiv geworden ist auch der Schweizer Geheimdienst. «Der Nachrichtendienst des Bundes steht mit den kantonalen Sicherheitsbehörden in Kontakt», sagt Sprecherin Isabelle Graber. In der Vergangenheit hätten gewalttätige Rechts- und Linksextreme wiederholt versucht, friedliche Protestbewegungen zu unterwandern, zu radikalisieren und als Plattformen für Gewaltanwendung zu missbrauchen. «Der Nachrichtendienst des Bundes schliesst nicht aus, dass es auch im Zusammenhang mit der Corona-Krise solche Szenarien geben kann», sagt Graber.

Fest steht: Rund um die Demonstrationen tummeln sich etliche Personen aus dem rechtsextremen Milieu. Das zeigt unter anderem ein Gruppen-Chat, in dem sich Teilnehmer der Kundgebungen austauschten. Beiträge daraus hat die Berner Zeitschrift «Megafon» öffentlich gemacht.

Im Chat ging es bei weitem nicht nur um den Protest gegen die staatlichen Corona-Massnahmen, sondern auch um rechtsextremes Gedankengut. So schrieb einer von «QAnon», einer teils rechtsextremen, teils antisemitischen Verschwörungstheorie. Ein anderer postete ein Titelbild der nationalsozialistischen Zeitschrift «Der Stürmer». Darauf stand der Satz: «Die Juden sind unser Unglück». Und ein Dritter schrieb: «Im Zweiten Weltkrieg wurden nicht sechs Millionen Juden vergast. Nicht eine Person wurde von Deutschen vergast.» Diese Aussage ist nichts anderes als die Leugnung des Holocausts.

An der Demonstration vom vorletzten Samstag in Bern nahm auch Ignaz Bearth teil, ein ehemaliges Mitglied der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos). Vier Tage später schwärmte der 36-jährige St. Galler in einem Interview auf Youtube vom Anlass. In Bern habe «ein Feeling wie 2015 bei Pegida in Dresden» geherrscht. Pegida ist eine islam- und fremdenfeindliche Gruppierung aus Deutschland.

Daneben ermittelt die Polizei auch gegen die Organisatoren der verbotenen Demonstrationen. «Die Abklärungen sind am Laufen», sagt Dionys Widmer, Sprecher der Stadtpolizei St. Gallen. Und auch Jolanda Egger, Sprecherin der Kantonspolizei Bern, bestätigt entsprechende Ermittlungen.

Wer die Demonstrationen organisiert, ist noch immer nicht bekannt. Allerdings: Auf der Website www.zeitpunkt.ch kündigte der 61-jährige Aargauer Alec Gagneux am 23. April 2020 erstmals an, er werde am Samstag darauf in Bern eine «Mahnwache» für Grundrechte abhalten. Er lade Gleichgesinnte ein, schrieb Gagneux. Seither ist die Bewegung gegen die Pandemie-Massnahmen des Bundesrats kontinuierlich gewachsen.

Die Idee der «Mahnwache» bekannt gemacht hat der Verleger und Journalist Christoph Pfluger, der die Website www.zeitpunkt.ch betreibt und ein gleichnamiges Magazin in einer Auflage von 10 000 Exemplaren herausgibt. Der 65-jährige Solothurner schreibt seit Ende März Texte gegen den Lockdown. In einem Sonderheft mit dem Titel «Corona – das riesige Nichts» bezweifelt er, dass das Virus überhaupt einmal da war.

Mit Gagneux sei er befreundet, sagt Pfluger am Telefon. Nachdem er von dessen Vorhaben erfahren habe, sei der Plan gereift, die Idee zu verbreiten. Pfluger betont, die regelmässigen Ankündigungen auf seiner Website seien kein Aufruf. Es handle sich nicht um organisierte Aktionen. Pfluger räumt aber ein, man könne sagen, dass er die Leute abgeholt und die Bewegung angeschoben habe. «Ich habe die Volksseele angesprochen, die Unzufriedenheit in der Bevölkerung gegenüber dem Bundesrat ist spürbar.»

Dass auch Rechtsextreme die Mahnwachen für ihre Zwecke nutzten, sei verwerflich. «Ich kann das nicht verhindern», sagt Pfluger. Es sei aber üblich, dass nicht die gemässigten Gruppen auf die Strasse gingen.

Pfluger begab sich aber mehrmals selbst in den Dunstkreis von Rechtsaussen: So liess er sich im Internetfernsehen www.alpenparlament.tv zu Corona befragen. Der Kanal wird von Martin Frischknecht betrieben; er gilt als Verschwörungstheoretiker mit Hang zu Esoterik und rechtsradikalen Positionen.

In Frischknechts Organisation «Alpenparlament» wirkt auch ein Mann mit, der im letzten Februar wegen Rassendiskriminierung verurteilt worden ist. Er hatte antisemitische Verschwörungstheorien verbreitet. Der entsprechende Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Berner Oberland ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

In die Nähe von Rechtsextremen begab sich Pfluger auch, als er in Sendungen des deutschen Videoproduzenten Ken Jebsen auftrat. Dem ehemaligen Radiomoderator des Senders Berlin-Brandenburg waren 2011 antisemitische Äusserungen vorgeworfen worden. Heute verbreitet er als Betreiber einer Website und eines Youtube-Kanals Verschwörungstheorien. Er gilt als einer der Drahtzieher der Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen in Deutschland.

Christoph Pfluger und Alec Gagneux sind zu den Gesichtern des Corona-Protests in der Schweiz geworden. Gagneux selbst war Mitinitiant der Ecopop-Initiative, die sich aus Umweltschutz-Gründen gegen eine Überbevölkerung der Schweiz richtete. Die Initiative wurde 2014 deutlich abgelehnt.

Gagneux sieht sich als Friedensaktivist, der sich nicht in einer politischen Ecke verorten lassen will. Er schliesst sich in Beiträgen im Internet der These an, Bill Gates sei für die unbegründete Panik rund um die Pandemie verantwortlich.

Daneben verweist Gagneux auf den Rat von Arzt Andres Bircher, der heisse Bäder als wirksames Mittel gegen das Corona-Virus bezeichnet. Mit solchen Bekundungen verärgerte Gagneux den Vorstand des Vereins Ecopop, der sich von den Äusserungen des Aktivisten öffentlich distanzierte.

Angesprochen auf rechtsradikale Teilnehmer an den «Mahnwachen», sagt Gagneux: «Schubladen wie links und rechts werden gerne benutzt, um Menschen zu spalten. Da mache ich nicht mit.» Er stört sich selbst an Teilnehmern wie Ignaz Bearth kaum. Gagneux sagt: «Ich kenne diesen Menschen nicht. Aber was ich weiss, hat er niemanden umgebracht und keine Kriege angezettelt.»
(https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/corona-polizei-ermittelt-gegen-demonstranten-wegen-rassismus-ld.1556940)



Sonntagszeitung 17.05.2020

Der Mann hinter den Schweizer Corona-Gegnern

Christoph Pfluger und sein Magazin «Zeitpunkt» bilden das Epizentrum der Proteste gegen die Corona-Massnahmen. Ein Besuch im Hauptquartier des Widerstandes.

Rico Bandle

Die Genugtuung ist in jeder Zeile spürbar. «Jetzt muss man von einer Volksbewegung sprechen», schrieb Christoph Pfluger nach den Protesten gegen die Corona-Massnahmen vom letzten Wochenende und listete triumphal die Teilnehmerzahlen auf: «Über 1000 Menschen in Bern, 400 in Zürich, 200 in Luzern, 100 in Basel und ein paar Dutzend in St. Gallen, Thun und Kreuzlingen.» Diese Woche waren es etwas weniger, die Polizei liess die Demonstranten in einigen Städten nicht mehr gewähren.

Dass in der ganzen Schweiz viele Leute ihren Missmut auf der Strasse kundtun, daran hat Pfluger gewichtigen Anteil. In seinem Magazin «Zeitpunkt» schreibt er seit Wochen gegen den «Corona-Hype» an, veröffentlicht vermeintliche Belege, wonach die Krise bewusst aufgebauscht wird, und ruft zum friedlichen Widerstand auf. Neben den sozialen Medien ist sein Onlineportal die wichtigste Plattform der sogenannten Corona-Skeptiker in der Schweiz geworden.

Aufstand gegen den Bundesrat: Kundgebung in Bern, 9. Mai 2020.

Nicht nur Pfluger war von der Menge an Demonstranten überrascht worden. Die Zeitungen rätselten in Dutzenden von Artikeln, was das für Menschen sind, die wie aus dem Nichts aufgetaucht sind und mit oft skurriler Aufmachung gegen die Anordnungen des Bundesrats aufbegehren. Von «Verschwörungstheoretikern» war die Rede, von «Esoterikern», «Linken», «Nazis», «Impfgegnern», «Aluhüten», «Globalisierungskritikern», «Freikirchlern», «Antisemiten» und so fort.

Radio SRF liess sich das Phänomen von einem deutsche Experten für Verschwörungstheorien erklären. Andernorts äusserten sich Psychologen, als analysierten sie eine Volkskrankheit. Im Internet etablierte sich der Hashtag #covidioten. So schwer fassbar die Bewegung auch ist, eines schien für die meisten Kommentatoren von Anfang an festzustehen: Mit diesen Leuten stimmt etwas nicht.
Plötzlich steht er im Zentrum einer ganzen Bewegung

Christoph Pfluger empfängt uns in einem Hinterhof in Solothurn, wo er in einer alten Schreinerei das Büro seiner Zeitschrift eingerichtet hat. Seit 28 Jahren bringt er vier- bis sechsmal pro Jahr den «Zeitpunkt» heraus, ein Heft im Taschenbuchformat, das sich mit dem Geldsystem, der globalen Wirtschaft, Friedensprojekten und elektromagnetischer Strahlung beschäftigt.

Der Kampf für ein gerechteres Wirtschaftssystem und gegen «den Wahn des Konsums» ist über die Jahrzehnte zu seiner Lebensaufgabe geworden. Immer mal wieder machte er in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam, sei es als Initiant der Vollgeldinitiative oder weil er vor der Gefährlichkeit der 5G-Handyantennen warnte. Politisch lässt er sich wie die ganze Szene kaum einordnen: Pfluger war schon Mitglied der FDP und der SP, hat auf der Liste der Grünen für den Solothurner Kantonsrat kandidiert und 2011 die Partei Parteifrei gegründet, die in mehreren Kantonen für den Nationalrat antrat.

Doch erst jetzt, mit 66 Jahren, ist seine grosse Stunde gekommen: Tausende von Menschen folgen seit Beginn der Corona-Krise seinen Ausführungen im Internet, täglich erhält er Hunderte von E-mails, plötzlich steht er im Zentrum einer ganzen Bewegung.

Sogar die Polizei liest meinen Newsletter», sagt Pfluger lachend. Vor den Kundgebungen von letzter Woche publizierte er Namen und Kontaktangaben von Verbindungsleuten in den verschiedenen Städten. «Mir ist wichtig, dass wir mit unserem Namen hinstehen und nicht anonym agieren», sagt er. Mit der Folge, dass mehrere der aufgelisteten Aktivisten von der Polizei kontaktiert, zum Teil auch angezeigt wurden. Schliesslich sind Ansammlungen von mehr als fünf Personen noch immer verboten. Auch Pfluger selber wurde verzeigt: Bei der allerersten Mahnwache auf dem Berner Bundesplatz, initiiert von Umweltaktivist Alec Gagneux, verweigerte er sich der Polizeianweisung, den Ort zu verlassen.

Ein sanftmütiger Rebell

Im Gespräch wirkt Pfluger sanftmütig, verströmt einen Hauch von gemütlicher Peter-Bichsel-Attitüde, nicht nur wegen des Solothurner Dialekts. Und doch wirkt er in seinen Aussagen stets entschlossen, nie ist auch nur ein Hauch von Zweifel spürbar. Seine Themen hat er verinnerlicht: Jede Argumentation ist durchdacht, ständig zitiert er Studien und nennt Zahlen, wodurch Widerspruch schwierig wird.

Für ihn steht fest: Nicht das Coronavirus ist gefährlich, sondern die Massnahmen dagegen. «Die wahren Folgen werden erst in ein paar Monaten sichtbar», sagt er. Wir seien an einem Punkt angelangt, wie ihn Star-Historiker Walter Scheidel in seinem Buch «Nach dem Krieg sind alle gleich» beschrieben habe. Laut dem Stanford-Professor ist die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft nur durch eines der folgenden Grossereignisse zu überwinden: Krieg, Staatskollaps, Revolution oder Pandemie. Pfluger ist überzeugt, dass es kein Zurück mehr gibt: «Entweder es kommt zu einem Aufstand oder zu Unterdrückung.»

«Gewisse Kreise nützen die Situation bewusst aus»

Entsprechend gehe es Demonstranten nicht darum, dass sie rascher wieder ins Restaurant gehen oder Kleider kaufen können. «Sie sorgen sich um Demokratie und Freiheitsrechte, diese sind echt in Gefahr.»

Pfluger geht nicht so weit, dass er behaupten würde, das Coronavirus sei gezielt ausgesetzt worden, um die Demokratie ausser Kraft zu setzen. «Aber gewisse Kreise waren vorbereitet auf die Situation und nützen sie bewusst aus», sagt er. Ein Indiz dafür sei die Angstmacherei durch gewisse Virologen, die ein Meinungsmonopol hätten. Etwa Neil Fergusen vom Imperial College in London, der für Grossbritannien 510’000 Corona-Tote vorausgesagt hat, sollte die Regierung nicht drastische Massnahmen ergreifen. «Wegen seiner Studie haben Staaten weltweit Lockdowns beschlossen. Dabei hat sie sich sein Modell mittlerweile als höchst fehlerhaft erwiesen, als wissenschaftlich unbrauchbar.»

Hat Bill Gates einen geheimen Plan?

An den Demonstrationen werden oft der Milliardär und Impfförderer Bill Gates sowie die Strahlung durch 5G-Handyantennen als Treiber der Epidemie genannt. Auch Pfluger sieht einiges an Evidenz, dass dem so sein könnte. In der neuesten «Zeitpunkt»-Ausgabe ist beispielsweise ein Text des US-Anwalts Robert F. Kennedy Jr. abgedruckt unter dem Titel «Bill Gates’ globaler Impfstoff-Plan», in dem von «diktatorischen» Mitteln die Rede ist, um Impfungen weltweit durchzusetzen.

Im Gespräch sagt Pfluger allerdings, dass der Microsoft-Gründer für ihn nicht im Zentrum stehe. «Es geht mir ums grosse Ganze: dass Big Pharma und die Behörden vom neuen Krankheitserreger und seiner scheinbaren Gefährlichkeit profitieren.»

Als Alarmsignal wertet er den Beschluss des Bundesrats, das geltende Notrecht in dringliches Bundesrecht zu überführen. «Das Volk, der Souverän, wird entmachtet. Und dies aufgrund von wackligen epidemiologischen Befunden.»

Schon dreimal hat ihn Ken Jebsen interviewt

In Deutschland sind die Demonstrationen einiges grösser als in der Schweiz. In Stuttgart etwa versammelten sich letzte Woche rund 10’000 Personen. Pfluger kennt Ken Jebsen, den Einheizer der deutschen Bewegung, seit vielen Jahren. «Er hat mich dreimal für seinen Youtube-Kanal interviewt.» Trotzdem grenzt sich Pfluger von ihm ab. «Seine aggressive Rhetorik, das Aufbauen von Feindbildern, das ist sehr deutsch, das passt nicht zu uns.»

Pfluger ist ein harmoniebedürftiger Kämpfer. Er spricht nie von «Revolution», sondern von «friedlicher Umwälzung». Sein Mittel ist der bewährte Schweizer Konsens. Wie dieser funktioniert, zeigte sich exemplarisch nach der Demonstration von letzter Woche. Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause rief den Aktivisten Alec Gagneux an, ob er die nächste Mahnwache nicht auf der Allmend am Stadtrand anstatt auf dem Bundesplatz durchführen könne, dort sei mehr Platz, um die Abstandsregel einzuhalten. «Ich riet Alec, zuzustimmen. Wir wollen ja keinen Konflikt.»
(https://www.derbund.ch/der-mann-hinter-den-schweizer-corona-gegnern-709881054296)



NZZ am Sonntag 17.05.2020

Juden, Templer, Corona-Krise: Wieso sind Menschen anfällig für Verschwörungstheorien?

Juden, Tempelritter, Kommunisten und jetzt Pharmamanager, die sich dank dem Coronavirus bereichern: Ein Blick auf 900 Jahre Geschichte zeigt, Verschwörungstheorien sind eine Konstante der Menschheit.

Anja Burri

Das Coronavirus ist das Resultat einer Verschwörung zwischen der Pharmaindustrie, Bill Gates und der Weltgesundheitsorganisation. Deren Ziel: Die Welt regieren und Profite machen. So erzählt es eine 62-jährige Frau mit Hornbrille in einem Video. Ernst blickt sie in die Kamera, als sie ausführt, wie Konzerne und Politik das Gesundheitssystem schröpften. Wie Impfungen das Immunsystem schwächten. Dr. Judy Mikovits, so heisst die Frau, die unter anderem Autoimmunerkrankungen erforschte. Schon vor Jahren verlor sie ihre Stelle, nachdem ihre Studien über die Gefahr von Impfungen widerlegt wurden.

Doch jetzt haben ihre Behauptungen Hochkonjunktur. Der Ausbruch des Coronavirus nährt Verschwörungstheorien; sogenannte alternative Fakten über das Virus gehen viral. Judy Mikovits Video wurde diese Woche aufgeschaltet und über acht Millionen Mal angeschaut – als es die sozialen Netzwerke löschten, war es bereits zu spät. Impfgegner, Anhänger der Rechten und Lockdown-Kritiker hatten das Video gespeichert. In Sekunden verbreitete es sich in der ganzen Welt.

Dass in Krisen Verschwörungstheorien aufpoppen, ist keine Überraschung, sondern eine historische Konstante. Jahrhundertelang galten sie als anerkanntes Wissen. Es war selbst für Eliten normal, an sie zu glauben. Geändert hat sich dies erst Mitte des 20. Jahrhunderts. Heute zielen die Verschwörungstheorien stärker auf die Mächtigen, früher hingegen richteten sie sich vor allem gegen Randgruppen.

Im christlich geprägten Mittelalter galten Juden, sogenannte Ketzer und später auch angebliche Hexen als Vorboten des Weltuntergangs. Sie wollten, so glaubte man, die christliche Weltordnung zerstören. Kriege, Epidemien und die sogenannte Kleine Eiszeit brachten Missernten, Hungersnöte und Revolten. «Die Menschen brauchten nachvollziehbare Gründe und auch Sündenböcke, um diese Katastrophen zu verstehen», sagt Marcel Bubert. Er ist Historiker an der Universität Münster und forscht über Verschwörungstheorien im Mittelalter.

Die erste grosse und folgenreiche habe es im 14. Jahrhundert gegeben, sagt er: «Zu Zeiten der Pest befriedigte es die Menschen nicht mehr, zu hören, dass diese brutale Krankheit eine Strafe Gottes sei.» Aber die Wissenschaft konnte allein nicht weiterhelfen, sie war damals nur eine Stimme unter vielen und führte den Ausbruch der Pest auf die Konstellation der Sterne zurück.

Die Juden waren ideale Opfer, sie galten als Diener des Teufels, die angeblich Knaben ermordeten und Hostien schändeten. Und so entstand das Gerücht, sie hätten sich mit dem Teufel verschworen, um Brunnen zu vergiften, und die Krankheit damit verursacht. Ihr Gift habe aus Menschenblut, Urin, dem Pulver entweihter Hostien und Zauberkräutern bestanden.

Dass selbst Kirchenvertreter diese Behauptungen widerlegten, konnte die Ausbreitung der Verschwörungstheorie nicht verhindern. Schliesslich wurden die kruden Anschuldigungen auch von wirtschaftlichen Interessen genährt. Viele hatten sich bei den jüdischen Geldleihern verschuldet. So wurden bereits Mitte des 14. Jahrhunderts allein in Deutschland zwei Drittel aller Juden ermordet. Das war erst der Anfang. Antisemitische Verschwörungstheorien ziehen sich wie ein roter Faden durch die letzten 900 Jahre.

Kruzifixe anspucken, Orgien feiern

Auch der Mönchsorden der Tempelritter geriet im Spätmittelalter in Verruf. Es hiess, diese seien prunksüchtig, machtgierig und ketzerisch. Zudem würden sie bei der Aufnahme in den Orden dreimal Christus verleugnen, dreimal auf das Kruzifix spucken und die Erlaubnis zu homosexuellen Handlungen erhalten. Man dichtete ihnen wilde Orgien an oder Schadenszauber mit schwarzen Katzen. Der französische König Philipp IV. der Schöne liess die Tempelritter verhaften. Unter Folter legten viele angebliche Geständnisse ab, manche starben an den Folgen, andere wurden verbrannt. Auch in anderen Ländern Europas gab es Prozesse gegen die Templer. Bis heute blühen die Verschwörungstheorien rund um den Orden und bieten Stoff für Filme und Bücher.

Anders als man vermuten könnte, verschwanden mit der Aufklärung Verschwörungstheorien keineswegs. «Die Denkmuster blieben, aber die Bedingungen änderten sich», sagt Historiker Bubert. Es ging nicht mehr primär um religiöse Abweichler, sondern häufiger um politische Akteure. «Die Erklärungen wurden säkularer und die Vorwürfe plastischer. Es war nun naheliegend, einen Menschen als politischen Verschwörer zu sehen statt als Diener des Teufels», sagt Bubert.

So wurden im 18. Jahrhundert Geheimbünde wie die Freimaurer verdächtigt, durch eine «Weltverschwörung» die Französische Revolution ausgelöst zu haben. Und auch später, nach dem Ersten Weltkrieg, suchten die deutschen Kriegsverlierer auf ähnliche Weise nach Schuldigen. Die militärische Führung propagierte die «Dolchstosslegende»: Sozialdemokraten, Liberale und andere seien dem Heer in den Rücken gefallen und schuld an der Niederlage. Aus dieser Zeit stammen auch die sogenannten Protokolle der Weisen von Zion, eine erfundene Schrift, die eine Verschwörung jüdisch-freimaurerischer Mächte belegen soll. Wer sie geschrieben hat, ist bis heute ungeklärt.

Auf 60 bis 80 Seiten hält ein anonymer Jude eine Rede. Er spricht über eine angeblich jahrhundertealte jüdische Verschwörung gegen die Welt: Völker sollen durch Kriege und Revolutionen, Glaubens- und Rassenhass zermürbt, ruiniert und moralisch zersetzt werden. Zum ersten Mal wurden die Protokolle 1903 in einer rechtsextremen Petersburger Zeitung veröffentlicht, für Aufsehen sorgten sie aber erst nach dem Ersten Weltkrieg. In Grossbritannien, Frankreich oder den USA kursierte die Schrift unter Politikern oder Unternehmern, in Deutschland wurde sie von nationalsozialistischen Kreisen verbreitet. Auch Adolf Hitler erwähnte die «Weisen von Zion» in Reden.

In der Sowjetunion und im Dritten Reich hatten Verschwörungstheorien eine besondere Bedeutung. «Als Propagandamittel legitimierten sie die Unterdrückung und Verfolgung vermeintlicher Feinde», sagt Ingo Grabowsky, Museumsdirektor im Kloster Dalheim in Westfalen, Deutschland. Er hat sich für eine Ausstellung mit 900 Jahren verschwörungstheoretischem Denken beschäftigt und weiss: Auch während des Kalten Krieges liessen sich westliche Demokratien wie auch die kommunistischen Diktaturen von einer «regelrechten Verschwörungshysterie» leiten.

In den USA etwa verbreitete der republikanische Politiker Joseph McCarthy die Ansicht, das US-Aussenministerium sei von Kommunisten unterwandert. In der DDR glaubte man, die Amerikaner hätten Schädlinge, sogenannte «Amikäfer», aus der Luft abgeworfen, um die Ernten zu vernichten.

9/11, Chemtrails und Impfgift

Mit dem Internet erlebten Verschwörungstheorien eine Demokratisierung: Plötzlich konnte jeder seine Thesen aufstellen und verbreiten. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 spekulierten Zweifler weltweit über die «wahren Drahtzieher».

Unter Verdacht stehen zum Beispiel auch die Teilnehmer der Bilderbergkonferenz, führende Köpfe aus Wirtschaft, Politik oder Militär, die sich zum Austausch treffen. Sie sollen eine geheime «Weltregierung» sein. Die Pharmaindustrie, so wird weiter vermutet, schlage aus in Wahrheit schädlichen Impfungen Profite.

Die sogenannte Chemtrail-Bewegung glaubt, dass Kondensstreifen am Himmel von Regierungen versprühtes Gift seien. Und auch die Corona-Pandemie ist ein Nährboden für Verschwörungstheoretiker: Die amerikanische Forscherin Judy Mikovits sieht sich als Sprachrohr all jener, die der angeblichen Corona-Propaganda von Pharmaindustrie und Regierung misstrauen. Ihrem Millionenpublikum erzählt sie, wie sie sogar vom obersten Corona-Berater der USA mundtot gemacht werde. Die Brüche in ihrem Lebenslauf – ihre Entlassung als Forscherin oder ihre Verhaftung wegen geklauter Festplatten – betrachtet sie als Beweis dafür, wie die korrupte Elite sie zum Schweigen bringen will.

Sie bedient sich der Erzählung von Donald Trump, dass eine gierige politische Klasse in Washington die Demokratie ausheble und das Land regiere. Er hat damit immerhin die US-Präsidentschaftswahlen gewonnen. Und auch Judy Mikovits ist erfolgreich. Soeben ist ihr impfkritisches Buch auf den ersten Platz der US-Bestsellerlisten geschnellt. Verschwörungstheorien sind auch ein Geschäftsmodell.



Sie kennen die Schuldigen

Judy Mikovits ist eine amerikanische Forscherin. Sie glaubt, die Corona-Krise gehe auf eine Verschwörung zurück. In den sozialen Netzwerken hat sie ein Millionenpublikum.

Joseph McCarthy war ein Republikanischer Politiker in den USA. Er verbreitete in den 1950er Jahren die These, das US-Aussenministerium werde von Kommunisten unterwandert.
(https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/geschichte-von-verschwoerungstheorien-ld.1556926)



Corona-Proteste: Wie die Neue Rechte den Verschwörern hinterherläuft
Hildmann, Naidoo, Jebsen – die Corona-Proteste haben schrille Wortführer. AfD und Identitäre versuchen nun, sich wie bei Pegida an die Spitze zu setzen.
https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/corona-proteste-wie-die-neue-rechte-den-verschwoerern-hinterherlaeuft-a-3e47452e-0eb7-442d-bda0-967b9461021b