Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel
+++AARGAU
Social Distancing ist in Asylunterkünften unmöglich: zwei Geflüchtete berichten über ihre Sorgen
Bis jetzt wurde noch keine Person positiv auf das Corona-Virus getestet.
Es habe aber bereits Verdachtsfälle gegeben. Rfaat Abdul Daiem und
Rahim Mohammadzadeh erzählen wie das Leben derzeit in einer
Asylunterkunft ist.
https://www.aargauerzeitung.ch/aargau/aarau/social-distancing-ist-in-asylunterkuenften-unmoeglich-zwei-gefluechtete-berichten-ueber-ihre-sorgen-137357722
+++SCHWEIZ
Die Schweiz muss dringend Flüchtlinge aufnehmen
Die Corona-Krise hat die humanitäre Tragödie in den Flüchtlingslagern
auf den griechischen Inseln noch verschärft. Tausende Flüchtlinge sitzen
dort unter prekären Bedingungen fest und werden an der Weiterreise nach
Europa gehindert. Griechenland hat beschlossen, keine Asylgesuche von
irregulär Eingereisten mehr anzunehmen, was einen eklatanten Bruch des
internationalen Rechts darstellt. Es ist nicht auszudenken, welche
Folgen die Verbreitung des Virus in den überfüllten Flüchtlingslagern
haben wird!
Die Schweiz und Europa müssen dringend handeln, indem sie Flüchtlinge
aufnehmen und eine solidarische gesamteuropäische Lösung umsetzen. Die
Schweizer Behörden sind aufgerufen, jetzt die nötigen Vorkehrungen zu
treffen, damit so rasch als möglich ein umfangreiches Kontingent von
Schutzsuchenden aufgenommen werden kann.
https://www.amnesty.ch/de/laender/europa-zentralasien/griechenland/dok/2020/fluechtlinge-griechenland/online
+++GRIECHENLAND
Hass statt Hilfe
Griechische Regierung verfrachtet Flüchtlinge aufs Festland. Asyl und ärztliche Versorgung gestoppt
https://www.jungewelt.de/artikel/375473.fl%C3%BCchtlinge-in-griechenland-hass-statt-hilfe.html
+++FLUCHT
NZZ am Sonntag 29.03.2020
IKRK-Chef: «Wenn das Virus in Flüchtlingslagern nicht eingedämmt wird, verbreitet es sich überall»
Die Bekämpfung des Coronavirus werde in kriegsversehrten Gebieten extrem schwierig, sagt IKRK-Präsident Peter Maurer.
Gordana Mijuk
NZZ am Sonntag: Die Corona-Pandemie hat bisher vor allem reiche Länder
stark betroffen, die die Krise einigermassen managen können. Was
passiert aber in den Regionen, wo jetzt schon ein humanitärer Notstand
herrscht?
Peter Maurer: Die Pandemie mag Europa und New York zum Stillstand
gebracht haben. Doch Kriege und Gewalt kommen nicht zum Stillstand wegen
Covid-19. In den 100 Ländern, in denen das Internationale Komitee vom
Roten Kreuz heute tätig ist, gehen die Probleme genau gleich weiter wie
bis anhin. Unsere humanitären Aktivitäten werden nun auch erschwert
durch die Restriktionen und Grenzschliessungen, welche Länder ergriffen
haben, um ihre Bevölkerung zu schützen.
Erstaunt Sie der Ausbruch der Pandemie?
Nein. Wir konnten in den letzten Jahren beobachten, wie Krankheiten, die
wir besiegt zu haben glaubten, wieder zurückgekehrt sind: Polio in
Afghanistan etwa oder im Norden von Nigeria, Ebola in Westafrika und
Kongo. Kriege und Gewaltereignisse schwächen das Gesundheitssystem, die
Wasser- und Sanitätsinfrastruktur, den sozialen Zusammenhalt. Deshalb
sind diese Länder besonders anfällig für Krankheiten.
In der syrischen Provinz Idlib herrscht bereits ein humanitärer
Notstand. Drei Millionen Menschen sind dort im Kriegszustand, eine
Million sind auf der Flucht. Was passiert, wenn sich dort Covid-19
ausbreitet?
Das ist eine äusserst schwierige Situation. Es kommt hinzu, dass
humanitäre Organisationen nur einen sehr beschränkten Zugang haben. Dort
sind wir im totalen Blindflug. Einen guten Zugang haben wir dagegen im
Nordosten von Syrien. Wir sind im Al-Hol-Lager tätig, wo Angehörige von
IS-Kämpfern sitzen, aber auch in anderen Lagern und Gefängnissen in
Syrien. Es ist dort extrem schwierig, die einfachsten Präventions- und
Vorsichtsmassnahmen umzusetzen.
Was tut das IKRK denn jetzt?
Unsere primären Bemühungen in Syrien, aber auch in Jemen, im Irak, in
Somalia, im Südsudan oder in Nigeria sind es, das bereitzustellen, was
derzeit essenziell ist bei der Bekämpfung dieser Pandemie. Wir
prädisponieren Utensilien in Spitälern, Kliniken, Flüchtlingslagern. Wir
haben aber auch versucht, unsere Projekte bei der Wasserversorgung zu
beschleunigen. Wir forcieren die Ausbildung der Freiwilligen, die an der
Front sind, und versuchen mit Gefängnis- und Lagerbehörden
zusammenzuarbeiten, damit sie auf das Auftreten von Corona-Fällen
vorbereitet sind. Es müssen zum Beispiel Isolationsräume geschaffen
werden und Vorsichtsmassnahmen bei den Besucherregimes in Gefängnissen
getroffen werden.
In den bisherigen Epizentren wurden Physical-Distancing- und
Quarantäne-Massnahmen eingeführt. Wie soll das gehen in Syrien oder
Jemen? Ich stelle mir das unmöglich vor.
Zwischen unmöglich und extrem schwierig gibt es eine feine Linie. Aber
ich möchte nicht nur schwarzmalen. Die Fokussierung von vielen Ländern
auf das Virus hat auch etwas Positives. Nun wird klar, weshalb in
Gefängnissen humane Bedingungen essenziell sind. Nicht nur, weil die
Gefangenen ein Recht auf humanitäre Behandlung haben, es ist im eigenen
Interesse der Behörden.
Was meinen Sie damit?
Was ich auch Sicherheits- und Verteidigungsministern immer wieder sage,
ist: Wenn ihr nicht menschenwürdige Rahmenbedingungen in euren
Gefängnissen und Lagern herstellt, wird das auf euch und eure
Gesellschaften zurückfallen. Man kann nicht das, was in
Flüchtlingslagern und Gefängnissen passiert, vollkommen isolieren von
dem, was ausserhalb passiert. Die Isolationsidee ist eine völlige
Illusion. Eine desolate und explosive Situation in Gefangenenlagern, in
Vertriebenen- oder Flüchtlingslagern wird überschwappen auf die lokale
Bevölkerung. Das kann das IKRK aus Erfahrung sagen. Wenn das Virus in
Gefängnissen und Lagern nicht eingedämmt wird, verbreitet es sich
überall im Land. Vielleicht wird nun die Bereitschaft grösser,
menschenwürdige Bedingungen zu schaffen.
Das gilt letztlich auch für die Flüchtlingslager auf Lesbos in Griechenland, wo ebenfalls unmenschliche Bedingungen herrschen.
Menschenwürdige Rahmenbedingungen in Flüchtlingslagern, Gefängnissen und
Lagern für Binnenflüchtlinge werden entscheidend sein, um diese
Pandemie einzudämmen und eine Katastrophe und weitere Ausbreitung zu
verhindern. Das Virus kennt keine Grenzen und breitet sich weltweit aus.
Es bedarf einer globalen Antwort und einer uneingeschränkten
Solidarität der internationalen Gemeinschaft.
Kann das IKRK seine eigenen Leute schützen? Auch im Westen fehlt das Material teilweise.
Es ist eine Herausforderung. Wir haben das Grundlegende an Materialien
und sind daran, mehr zu beschaffen. Die materiellen Aspekte sind aber
klein im Vergleich zu den politischen und administrativen Hürden. Viele
schwache Staaten, auch wenn sie noch nicht viele Fälle haben, ergreifen
sehr restriktive Massnahmen, weil sie wissen, wie anfällig sie sind für
dieses Virus.
Indien zum Beispiel?
Ja, und andere Länder auch. Damit wird die Tätigkeit der humanitären
Organisationen eingeschränkt. Hier beisst sich die Katze in den Schwanz.
Und es ist natürlich schwierig: Wir müssen verhindern, dass wir als
Helfer diejenigen sind, die das Virus in die Länder bringen. Also muss
man extreme Vorsichtsmassnahmen ergreifen. Auch wir müssen
Risikoabwägungen treffen.
Andere Hilfsorganisationen sagen, dass wegen der Grenzschliessungen und
Ausgangssperren bereits heute Hunderttausende Hilfsbedürftige nicht mehr
erreicht werden können.
Ja, das stimmt. Allerdings bekommt das IKRK mehr Ausnahmebewilligungen,
weil unsere Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung vor Ort oft mit den
Regierungen zusammenarbeitet. Das IKRK ist in den 30 fragilsten Regionen
dieser Welt zudem sehr gut präsent und vernetzt. Wir haben 300 Büros
weltweit, wir sind in 384 Spitälern in 31 Ländern tätig, wo Krieg und
Gewalt herrscht. Wir haben zudem 570 Gesundheitszentren in 28 Ländern.
Wir haben ein Distributionssystem, das wir rasch mit Ressourcen füllen
können. Das ist äusserst relevant. Wir haben bereits am Donnerstag zu
Spenden in Höhe von 250 Millionen Franken aufgerufen, dies im Rahmen
eines 800-Millionen-Appells für die ganze Rotkreuz- und
Rothalbmond-Bewegung. Das IKRK wird alles daransetzen, die
verletzlichsten Menschen in Konflikt- und Gewaltsituationen nicht im
Stich zu lassen.
Viele Staaten missbrauchen die Notlage zur Machterweiterung.
Demokratiepolitisch ist das natürlich ein Problem. In den Ländern, wo
das IKRK stark engagiert ist, mitten in Krieg und Konflikt, gibt es
ohnehin oft keinen grossen Freiraum bei der politischen Meinungsbildung.
Für uns wird sich nichts Grundsätzliches in den Haupteinsatzgebieten
ändern. Auf globaler Ebene, so glaube ich, wird kein Autoritarismus
Einzug halten. Wir werden im Zusammenhang mit Covid-19 vermehrt eine
Pluralität der Meinungen und Strategien erleben darüber, was der
richtige Weg vorwärts ist. Vielleicht gibt das Virus Auftrieb für mehr
gemeinschaftliche Lösungen.
Wenn ich an Idlib denke, fehlt mir die Hoffnung. Sehen Sie das anders?
Auch wenn eine Friedenslösung zwischen den Mächten wohl weit entfernt
ist, versuchen wir im humanitären Bereich zu vermitteln. Etwa indem wir
den Dialog zwischen türkischem und syrischem Rotem Halbmond
aufrechterhalten. Im Kampf gegen Covid-19 oder bei den grossen Massen
von Vertriebenen sind wir bemüht, einen minimalen humanitären Konsens zu
schaffen.
Beunruhigend ist, dass Covid-19 den Nationalismus und Protektionismus in
den Staaten verstärken und die internationale Solidarität schwächen
könnte.
Nach vielen Gesprächen mit Aussenministern von Geberländern in den
letzten Tagen bin ich optimistisch. Obwohl die nationalen Massnahmen
gegen Covid-19 enorm teuer sind, wollen viele versuchen, humanitäre
Hilfe für Konflikte weiterhin im Budget festzusetzen. Interessanterweise
hat es im 2-Billionen-Paket in den USA auch eine substanzielle Summe
für das Bureau of Population Refugees and Migration im
Aussenministerium. Das ist die Stelle, die unter anderem das IKRK und
das Flüchtlingshilfswerk der Uno finanziert. Also selbst in diesen
protektionistischen Zeiten ist internationale Hilfe immer noch möglich.
–
Peter Maurer
Der 63-Jährige ist seit 2012 Präsident des Internationalen Komitees vom
Roten Kreuz. Zuvor war der Schweizer Diplomat Chef der Ständigen Mission
der Schweiz bei der Uno und danach Staatssekretär in der Politischen
Direktion beim Eidgenössischen Departement für auswärtige
Angelegenheiten.
Der 63-Jährige ist seit 2012 Präsident des Internationalen Komitees vom
Roten Kreuz. Zuvor war der Schweizer Diplomat Chef der Ständigen Mission
der Schweiz bei der Uno und danach Staatssekretär in der Politischen
Direktion beim Eidgenössischen Departement für auswärtige
Angelegenheiten.
(https://nzzas.nzz.ch/international/was-das-coronavirus-in-fluechtlingslagern-anstellt-ld.1549079)
+++GASSE
Für Randständige wird es eng: «Social Distancing» für Schlafsäcke
Daheim bleiben und Abstand halten – für Randständige und Drogensüchtige
ist das ein Ding der Unmöglichkeit. Nun müssen sie sich auf Zürichs
Strassen neu organisieren.
https://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/fuer-randstaendige-wird-es-eng-social-distancing-fuer-schlafsaecke-id15819060.html
—
bernerzeitung.ch 29.03.2020
Folgen des Coronavirus: Sozialhilfebezüger trifft es hart
Treffpunkte und Lebensmittelabgabestellen sind in Burgdorf geschlossen:
Viele Angebote für Sozialhilfebezüger haben den Betrieb eingestellt. Das
stellt den Sozialdirektor der Stadt vor ganz neue Herausforderungen.
Regina Schneeberger
Für jene, die am Rande der Gesellschaft stehen, ist es besonders schwer,
Tag für Tag zu Hause zu bleiben. Denn sie leben in bescheidenen
Sozialwohnungen. Ein Zufluchtsort ist für die Burgdorfer Randständigen
ihr Vereinslokal. Im vergangenen Jahr konnten sie dieses in der Garage
neben der alten Butterzentrale einrichten.
Doch letzte Woche hat die Stadt das Lokal geschlossen. Aus demselben
Grund, aus dem so viele Lokale schliessen mussten: eine Massnahme gegen
die Verbreitung des Coronavirus. «Die Randständigen haben
verständnisvoll reagiert», sagt Peter Leuenberger, Leiter der
Sozialdirektion. Auf der Rampe vor der Butterzentrale könnten sie in
Zweiergruppen und mit der nötigen Distanz aber weiterhin verweilen. «Die
Rampe abzusperren, wäre kontraproduktiv», sagt Leuenberger. Denn sonst
würden sie sich andernorts treffen. «So haben wir einen Ort, an dem wir
sie ansprechen können.»
In diesen Zeiten einen Ansprechpartner zu haben, sei für die
Randständigen wichtig, so Leuenberger. Die Mitarbeiter von der
Suchthilfestiftung Contact sind nach wie vor zweimal in der Woche vor
Ort, bieten Beratung an.
Doch nicht nur für die Randständigen, auch für andere Menschen, die
Sozialhilfe beziehen würden, sei die Situation momentan besonders
schwierig, sagt Leuenberger. «Jetzt sind sie noch mehr sozial isoliert.»
Viele Menschen telefonieren nun mit Freunden und Angehörigen oder
treffen sich über Skype zu einem Schwatz. «Sozialhilfebezüger haben aber
oftmals nur beschränkte Kommunikationsmittel und beispielsweise kein
WLAN.»
Keine kostenlosen Lebensmittel
Zudem fallen nun einige Angebote weg, die ihnen das Leben etwas leichter
machten. Beispielsweise hat «Tischlein deck dich» den Betrieb
eingestellt. Die Organisation gibt auch in Burgdorf gespendete Esswaren
von Lebensmittelgeschäften kostenlos an Sozialhilfebezüger ab.
«Tischlein deck dich nimmt den Schutz seiner Freiwilligen sowie seiner
Kundinnen und Kunden sehr ernst. Auch wir sind in der Verantwortung,
unsererseits einen Beitrag zu leisten, um dem Coronavirus möglichst eine
geringe Angriffsfläche zu bieten und Gruppenbildungen zu vermeiden»,
schreibt die Organisation auf ihrer Website.
Zwar können die Lebensmittelkarten nun bei Caritas-Läden eingelöst
werden. In Burgdorf gibt es allerdings kein solches Geschäft, das
nächste befindet sich in Bern. «Dann müssen sie sich ein Zugbillett
kaufen, das hält viele ab», ist sich Leuenberger bewusst.
Die Sozialdirektion biete Hilfe an, so gut sie könne, sagt Leuenberger.
Telefonisch sind die Mitarbeitenden für Beratungsgespräche erreichbar,
in Härtefällen können auch Termine vor Ort vereinbart werden. Das
Angebot stösst derzeit auf besonders grosse Nachfrage. «Wir haben 30
Prozent mehr Anrufe.» Viele kommen von Selbstständigerwerbenden, die um
ihre Existenz fürchten. Und von Sozialhilfebeziehenden, die ihre
Auflagen nicht erfüllen können. «Sie können keine Bewerbungen schreiben,
weil es in vielen Branchen schlichtweg keine Stellen gibt.» Deshalb
gebe es von der Sozialdirektion Burgdorf derzeit keine Auflagen zur
Anzahl Bewerbungen mehr, so Leuenberger.
(https://www.bernerzeitung.ch/sozialhilfebezueger-trifft-es-hart-499823517019)
+++DEMO/AKTION/REPRESSION
Jetzt mehr denn je: Gegen die Abschottung Europas!
Eine Stadt in Europa in Zeiten der Corona-Gefahr: Der für ursprünglich 3
000 Menschen konzipierte Lebensraum ist in den vergangenen Jahren im
Zuge der Flüchtlingskrise auf 20 000 Bewohner*innen angewachsen. Es
wurden aber weder neuer Wohnraum geschaffen, noch die Infrastruktur
erweitert. Die meisten Menschen leben in Zelten. Die Corona-Krise
verschärft die unerträglichen Zustände. Die Behörden haben den Ort
weitgehend von der Aussenwelt abgeriegelt, nur noch wenige dürfen raus.
Die Wasserversorgung ist eingestellt, Händewaschen oder Duschen sind
nicht mehr möglich. Die Trinkwasserversorgung ist auf ein Minimum
beschränkt, die Lebensmittelversorgung auf 1000 Kalorien pro Mensch und
Tag rationiert. Strom gibt es keinen, eine Müllentsorgungen ebenfalls
nicht. Die medizinische Versorgung spottet jeglichen fachlichen
Mindeststandards. Für 20 000 Menschen sind ein Arzt und drei
Pflegefachpersonen vor Ort. Es gibt kaum Medikamente, ebenso kaum
Atemschutzmasken, Schutzkleidung oder Beatmungsgeräte. Die ersten
Corona-Infektionen sind bestätigt.
https://barrikade.info/article/3317
+++KNAST
Coronavirus im Knast – Wenn Gefängnisse zu tickenden Zeitbomben werden
Wegen der Corona-Krise gibt es weltweit Aufstände und Fluchtversuche von
Häftlingen. Tausende sind bereits freigelassen worden. Auch die Schweiz
trifft Massnahmen.
https://www.srf.ch/news/international/coronavirus-im-knast-wenn-gefaengnisse-zu-tickenden-zeitbomben-werden
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/coronavirus-auch-fuer-gefaengnisse-eine-herausforderung?id=3e4a9121-059c-4d21-bcc1-9716f833028d
—
bernerzeitung.ch 29.03.2020
Coronavirus im Gefängnis: In Witzwil haben sich vier Sicherheitsleute infiziert
Insassen der Strafvollzugsanstalt Witzwil sind besorgt: Vier Mitarbeiter
des Sicherheitsdienstes wurden positiv auf das Coronavirus getestet.
Das Gefängnis hat auf Minimalbetrieb umgestellt.
Marius Aschwanden
Noch vor einer Woche sagte Oliver Aebischer, dass die Stimmung in den
Berner Justizvollzugsanstalten gut sei. Und dies, obschon der Ausgang
und die Ferien der Insassen wegen des Coronavirus gestrichen worden sind
und auch keine Besucher mehr in die Gefängnisse reinkommen. Die
Massnahmen seien auf grosses Verständnis gestossen, so der Leiter
Kommunikation beim Amt für Justizvollzug. Schliesslich wollen auch die
Insassen eine Ausbreitung des Virus möglichst verhindern.
In Witzwil haben sich nun aber trotz dieser Vorkehrungen vier
Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes infiziert, wie ein Schreiben des
Direktors Hans-Rudolf Schwarz zeigt, das dieser Zeitung vorliegt. Die
Betroffenen befinden sich demnach nicht mehr im Dienst, und alle
Sicherheitsleute würden ab sofort Gesichtsmasken tragen, teilt Schwarz
den Gefangenen mit. Verletzliche Insassen, also solche über 65 Jahre
oder mit Vorerkrankungen, sollen zudem «möglichst» auf ihrer Zelle
bleiben und jegliche Kontakte zu Mithäftlingen vermeiden.
Manche Insassen geben sich mit diesen Massnahmen aber nicht zufrieden.
Eine Person kritisiert in einem Mail an diese Zeitung, dass ungeachtet
der Tatsache, dass das Virus nun in Witzwil angekommen sei, keine Tests
bei den Gefangenen durchgeführt würden. Und dies, obschon manche über
Krankheitssymptome klagen würden. Viele Insassen befürchteten, sich nun
ebenfalls mit der Lungenkrankheit angesteckt zu haben.
Minimalbetrieb ab Montag
Hans-Rudolf Schwarz bestätigt auf Anfrage die Situation in Witzwil. Zwei
Sicherheitsdienstmitarbeitende seien am letzten Mittwoch positiv auf
Corona getestet worden. Sie seien aber das letzte Mal am Freitag, 20.
März, an der Arbeit gewesen und hätten die Symptome in ihrer Freizeit
entwickelt. Zwei weitere Sicherheitsleute hätten am Dienstag über
Grippeanzeichen geklagt, auch sie seien nicht im Dienst erschienen und
anschliessend positiv getestet worden.
Nachdem die Fälle bekannt geworden sind, habe man umgehend die Insassen
informiert. «Neben der Einhaltung der üblichen Hygienemassnahmen sollen
sie sich jetzt noch vermehrt in ihre Zellen zurückziehen.» Doch diese
Empfehlung gelte schon seit drei Wochen. Zudem wurde am Freitag die
nächste Stufe des Krisenmanagements eingeleitet, dies in Einklang mit
dem Kantonsarztamt, so Schwarz. Konkret heisst das: Minimalbetrieb.
Ab Montagmorgen bleibe ein Teil der Mitarbeitenden zu Hause, damit die
Kontakte weiter minimiert würden. «Wir konzentrieren uns nur noch
darauf, die Gefangenen zu betreuen, die Tiere im grössten
Landwirtschaftsbetrieb der Schweiz zu versorgen und die öffentliche
Sicherheit zu gewährleisten», so Schwarz.
Im Sicherheitsbereich seien alle Räume desinfiziert worden. Zudem dürfen
die Sicherheitsleute nicht mehr zu den besonders gefährdeten Gefangenen
gehen. «Diese werden nun von anderen Mitarbeitenden betreut, die keinen
Kontakt zu den angesteckten Personen hatten.»
Bisher seien glücklicherweise weder bei den Angestellten noch bei den
Insassen weitere Corona-Fälle aufgetreten. «Jetzt heisst es Holz
anfassen», sagt Schwarz.
Haftunterbruch für Kranke
Bereits bevor sich die vier Mitarbeiter mit dem Virus infiziert haben,
hat Witzwil reagiert. So hätte etwa nur noch die Hälfte der Gefangenen
gearbeitet, um das Abstandsgebot einhalten zu können. Zudem wurden
letzte Woche 13 Insassen entlassen. «Sie haben einen Haftunterbruch
erhalten», sagt Schwarz. Dies, weil sie besonders verletzlich seien und
keine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellten.
«Es sind Personen über 65 Jahre oder Gefangene mit Vorerkrankungen.»
Leute, die wegen Betrugs oder eines Verstosses gegen das
Betäubungsmittelgesetz eine Strafe absitzen. Sie alle würden über ein
soziales Umfeld verfügen, in dem sie besser geschützt seien. Noch immer
sind in Witzwil aber Personen, die ebenfalls als besonders verletzlich
gelten. «Für sie kommt ein Haftunterbruch nicht infrage, weil sie sonst
einfach auf der Strasse landen würden oder die Gefahr von neuen
Straftaten besteht.» Diese Insassen seien aber in einem speziellen
Setting sowie von der Arbeitspflicht befreit und dazu verpflichtet,
möglichst in der Zelle zu bleiben.
Zum Vorwurf, dass trotz Krankheitssymptomen die Gefangenen nicht auf
Corona getestet werden, sagt Schwarz: «Wer getestet wird, entscheidet
der Arzt gemäss den Weisungen des Bundesamts für Gesundheit.» Das Amt
für Justizvollzug verfüge nach eigenen Angaben seit Mitte Februar zudem
über eine genügende Anzahl von Tests und könne diese jederzeit über das
Institut für Infektionskrankheiten an der Uni Bern auswerten lassen. Die
Ergebnisse lägen rasch vor. «Es sind schon mehrere Tests durchgeführt
worden», sagt Schwarz.
–
Keine weiteren Fälle
Die vier bestätigten Coronafälle in der Strafvollzugsanstalt Witzwil
bleiben vorerst die einzigen neuen. Gemäss Oliver Aebischer, Leiter
Kommunikation beim Amt für Justizvollzug, seien weder beim Personal noch
bei den Insassen in den Berner Gefängnissen weitere Erkrankungen
aufgetreten.
Bereits bekannt ist, dass sich eine Frau in einer Wohngruppe in
Hindelbank angesteckt hat. Anschliessend mussten verschiedene
Mitinsassinnen in die Quarantäne. «Bis heute ergaben sich daraus aber
keine weiteren Ansteckungen», sagt Aebischer. (mab)
(https://www.bernerzeitung.ch/in-witzwil-haben-sich-vier-sicherheitsleute-infiziert-947013696011)
+++BIG BROTHER
Ortung von Infizierten: Hilft das Handy im Kampf gegen Corona?
Können Bewegungsdaten wirklich helfen, das Coronavirus einzudämmen?
Einige Staaten nutzen bereits die Handy-Ortung, um über den Kontakt mit
Infizierten zu informieren. Doch funktioniert das wirklich? Und ist es
überhaupt nötig?
https://www.tagesschau.de/inland/handy-coronavirus-101.html
+++VERSCHWÖRUNGSIDEOLOGIEN
Xavier Naidoo meldet sich erstmals zu Wort: „Ich habe mir die Reichweite von RTL zunutze gemacht“
Er hatte alles so geplant für die maximale Aufmerksamkeit. In einem
Video nimmt Xavier Naidoo Stellung zum Rauswurf von RTL. In eigenen
Worten leugnet Naidoo den Klimawandel und stützt sich einmal mehr auf
Verschwörungstheorien der Reichsbürger.
https://www.dwdl.de/nachrichten/76970/ich_habe_mir_die_reichweite_von_rtl_zunutze_gemacht/
-> https://www.blick.ch/people-tv/tv/dsds/nach-rassistischem-hetz-video-xavier-naidoo-spricht-ueber-seinen-dsds-rauswurf-id15819809.html
+++WORLD OF CORONA
Besetzen in Zeiten von Corona
In Berlin werden zehn Wohnungen für Obdachlose besetzt und die Aktion live übertragen
In Corona-Zeiten werden nicht nur Konzerte und Vorträge gestreamt,
sondern auch Besetzungen: Am Samstag konnten Interessierte live erleben,
wie zehn Wohnungen für Obdachlose besetzt wurden.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1134866.besetzung-besetzen-in-zeiten-von-corona.html
-> https://taz.de/Archiv-Suche/!5673329&s=besetzen&SuchRahmen=Print/
Polizei-Chef lobt Schweizer: «Die Strassen sind viel leerer geworden»
Der oberste Polizist ist zufrieden mit dem Verhalten der Bürger. Dennoch
gehe seinen Mitarbeitern die Arbeit nicht aus, sagt Stefan Blättler von
der Kapo Bern.
https://www.blick.ch/news/politik/polizei-chef-lobt-schweizer-die-strassen-sind-viel-leerer-geworden-id15819202.html
Vertraulicher Lagebericht: Stadt Zürich rechnet mit Lockdown bis Ende Sommer
Schutz & Rettung Zürich prognostiziert, dass die Corona-Krise länger
dauert als erwartet. Und dass die Massnahmen weiter verschärft werden
müssen.
https://www.blick.ch/news/schweiz/vertraulicher-lagebericht-stadt-zuerich-rechnet-mit-lockdown-bis-ende-sommer-id15819092.html
-> Tagesschau: https://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/coronavirus-wie-lange-noch-und-wie-viele-tote?id=6f7e6014-069e-493b-9e9c-126a790ee814
…
NZZ am Sonntag 29.03.2020
Bundesrat: Längeres Notregime ist absehbar
Der Corona-Ausnahmezustand dürfte über den 19. April hinaus andauern – das deutet der Bundesrat gegenüber den Parteien an.
Daniel Friedli, Andrea Kučera
Zwei Wochen sind seit der Ausrufung des Ausnahmezustands vergangen – und
bereits macht sich Ungeduld bemerkbar: Vor allem im bürgerlichen Lager
wird eine möglichst rasche Rückkehr zur Normalität gefordert, und
Ökonomen der Universität Zürich rechnen vor, dass jede zusätzliche
Lockdown-Woche die Wirtschaft 4 Milliarden Franken koste.
Der Arzt und Unternehmer Stephan Rietiker skizzierte derweil im
«Tages-Anzeiger» bereits eine Exit-Strategie in zwei Wellen: Noch im
April sollen unter 40-Jährige zurück ins Büro, Schulen und Läden seien
wieder zu öffnen. Ende April oder Anfang Mai würden dann auch die über
40-Jährigen wieder normal arbeiten, und Restaurants sowie Museen könnten
den Betrieb wieder aufnehmen.
Solchen Wunschszenarien erteilt der Bundesrat aber eine Absage: An einem
Spitzentreffen von Donnerstag liess eine Delegation der Landesregierung
gegenüber den Partei- und Fraktionschefs durchblicken, dass eine
sofortige Rückkehr zur Normalität nach dem 19. April illusorisch sei.
Dieses provisorische Enddatum nannte Bundespräsidentin Simonetta
Sommaruga, als sie Mitte März die ausserordentliche Lage ausrief, um die
rasche Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen.
«Noch nicht in der Hälfte»
Im Gespräch mit den Parteispitzen erklärten die Bundesräte dem Vernehmen
nach, dass man die weitere Entwicklung der Pandemie noch zu wenig
abschätzen könne, um bereits konkrete Ausstiegsschritte ins Auge zu
fassen. Offenbar erwartet der Bund den Höchststand der Erkrankungen
zurzeit für Mitte April. Und mehrere Teilnehmer berichten
übereinstimmend, es sei klargeworden, dass nach dem 19. April höchstens
eine schrittweise Lockerung anvisiert werden könne.
In dieses Bild passen die Durchhalteparolen von Gesundheitsminister
Alain Berset. Die Bevölkerung habe sich bis jetzt gut an die Regeln
gehalten, sagte er am Freitag. Es sei aber Ausdauer gefragt, er zähle
weiterhin auf das Mitmachen aller, auch wenn nun der Frühling nahe: «Ich
weiss nicht, wie weit wir schon sind. Aber sicher noch nicht in der
Hälfte.»
Unter den Politikern wird die Nachricht, dass das Notregime wohl auch
über den 19. April hinaus gelten wird, gelassen aufgenommen. Man habe
damit gerechnet, lautet der Tenor. Und doch beschäftigen sich auch die
Parteien mit der Frage, wann und wie das Land dereinst wieder zurück zur
Normalität finden soll. SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi gehört dabei zu
jenen, die für eine möglichst rasche, schrittweise Rücknahme der
Massnahmen plädieren.
«Der Lockdown fordert einen zunehmend hohen Tribut», sagt er. «Tausende
von KMU werden Konkurs anmelden müssen.» Um den Schaden zu minimieren,
sollten seiner Meinung nach die Jungen zur Arbeit gehen, sobald die
Neuinfektionen signifikant zurückgehen. Zu begleiten sei diese Öffnung
durch strenge Hygienemassnahmen, etwa das Tragen von Schutzmasken in der
Öffentlichkeit. Aeschi gibt zu bedenken: «Der Lockdown gibt uns zwar
Zeit. Aber er verschiebt das Problem nur nach hinten, denn das Virus
wird bleiben.»
Auch FDP-Fraktionschef Beat Walti findet, man solle der Bevölkerung
frühzeitig Silberstreifen am Horizont aufzeigen. «Die ersten Lockerungen
sollten schrittweise erfolgen, sobald der Peak der Neuansteckungen
erreicht und sofern der Schutz der Risikogruppen gewährleistet ist»,
sagt er. Schliesslich hätten alle ein Interesse daran, dass die
Volkswirtschaft rasch wieder voll funktioniere.
Zurückhaltender äussern sich Politiker aus dem Mitte-Links-Lager. Wann
und wie man die Massnahmen lockere, sei ein Entscheid der
bundesrätlichen Krisenführung und nicht des Parlaments, findet
Grünen-Präsidentin Regula Rytz. Auch CVP-Chef Gerhard Pfister sagt: «Das
ist nicht unsere Kompetenz.» SP-Fraktionschef Roger Nordmann gibt zu
bedenken, dass selbst ein Rückgang der Ansteckungen noch mehrere
Interpretationen offenlasse.
«Entweder die Massnahmen waren so erfolgreich, dass man das Virus innert
Kürze zurückdrängen konnte. Das bedeutet aber, dass nur wenige immun
sind, so dass eine zweite Welle droht.» Oder aber die Ansteckungen
gingen zurück, weil immer mehr Leute immun seien. Je nachdem müsse man
anders aussteigen. Nordmann wünscht sich daher grossflächige
Immunitätstests, bevor über Exit-Strategien nachgedacht wird.
Appell zur Zurückhaltung
Grundsätzlich hätten es die Parlamentarier in der Hand, den Lockdown von
sich aus zu beenden: Ab dem 4. Mai treffen sich National- und
Ständeräte in Bern zur ausserordentlichen Corona-Session. Sie haben
dabei die gleichen Kompetenzen wie der Bundesrat, können eigene
Notverordnungen erlassen und so den Bundesrat übersteuern.
Die Fraktionschefs der Bundesratsparteien rufen nun aber zur
Zurückhaltung auf. «Mitten in der Krise ist nicht der Zeitpunkt für
parlamentarischen Aktivismus», sagt FDP-Fraktionschef Walti.
CVP-Kollegin Andrea Gmür stimmt dem zu: «Das Parlament soll sich im
Wesentlichen darauf konzentrieren, die Notkredite zu debattieren.»
SVP-Fraktionschef Aeschi findet, der Bundesrat trage nun die
Verantwortung. Man solle möglichst wenig ins Krisenmanagement
eingreifen. «Es ist ein No-Go, die Strategie des Bundesrats zu
sabotieren», sagt auch SP-Fraktionspräsident Nordmann. Er sagt aber
auch, bis im Mai sollte es möglich sein, eine Diskussion über die Zeit
danach zu beginnen. So fordert die SP etwa ein Programm zur Ankurbelung
der Wirtschaft.
Wenig Gehör für diesen Appell zeigt Grünen-Präsidentin Rytz: «Nur um die
Massnahmen des Bundesrats abzunicken, müssen wir nicht tagen», sagt
sie. Das Parlament solle seine Rechte wahrnehmen und Verbesserungen für
Kleinunternehmer und Selbständige beschliessen. Und es soll Schritte
einleiten, um die Wirtschaft mittelfristig nachhaltiger zu gestalten.
«Dank Home-Office und Digitalisierung hat sich zum Beispiel der Verkehr
nun stark reduziert – möglichst viel dieses Effekts sollten wir in die
Zeit danach überführen.»
(https://nzzas.nzz.ch/schweiz/notregime-bundesrat-deutet-verlaengerung-an-ld.1549074)
—
Sonntagszeitung 29.03.2020
Streit um das Ende des Lockdown
Die SVP will Geschäfte ab Mitte April bereits wieder öffnen. Auch andere
fordern Ausstiegspläne, hüten sich aber, ein Datum zu nennen.
Mischa Aebi, Denis von Burg, Arthur Rutishauser
Seit zwei Wochen ist die Schweiz im Lockdown. Die Frage drängt: Wann
kommt das Ende der Ausnahmesituation? Beim Bund gibt man sich bedeckt.
Zu unübersichtlich sei die Lage noch. Immerhin bestätigt Daniel
Dauwalder, Sprecher des Bundesamts für Gesundheit, jetzt: «Wir sind
daran, Strategien für die Zeit nach dem Peak der Krankheit
auszuarbeiten.»
Mehr wollen die Bundesbehörden nicht sagen. Man schweigt lieber – aus
Angst vor einer öffentlichen Debatte über einen Corona-Exit. Denn man
befürchtet, dass die Leute die Vorsichtsregeln besonders über die
bevorstehenden Ostertage sonst wieder fallen lassen. Das könnte dazu
führen, dass sich das gefährliche Virus in der Schweiz wieder schneller
verbreitet.
Lange lässt sich die Debatte aber nicht mehr verhindern. Wirtschaft,
Gewerkschaften und Politik verlangen eine Taskforce, die einen Plan für
die Rückkehr in die Normalität ausarbeitet: «Es braucht jetzt eine breit
aufgestellte Gruppe aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und
Verwaltung, die mögliche Wege einer raschen Rückkehr zur Normalität
risikogewichtet aufzeigt», sagt SVP-Ständerat Hannes Germann. Gleiches
fordern die Aargauer CVP-Nationalrätin Marianne Binder und der Grüne
Nationalrat Bastien Girod. Auch Valentin Vogt, Präsident des
Arbeitgeberverbandes, sagt: «Unter der Führung des Bundesrats sollte man
in Kürze beginnen, einen Plan für die Rückkehr zur Normalität
auszuarbeiten.»
SVP will schon in drei Wochen wieder hochfahren
Damit ist es aber schon vorbei mit der Einigkeit. Harte Gefechte über
die Geschwindigkeit des Ausstiegs zeichnen sich ab. Die SVP fordert nun
offen, dass Läden und Betriebe ihre Jalousien schon sehr bald wieder
hochziehen dürfen: «Wir müssen jetzt dafür sorgen, dass die Wirtschaft
ab dem 19. April möglichst schnell wieder in die Gänge kommt», sagt
SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi. Bis zum 19. April gelten die
bundesrätlichen Lockdown-Anordnungen vorerst. «Ab diesem Tag» sollten
laut Aeschi «alle Geschäfte wie Coiffeure, Gärtnereien, Metzgereien,
Elektronikartikel- und Do-it-yourself-Läden, aber auch etwa
Zahnarztpraxen tröpfchenweise wieder geöffnet werden.»
Ein solcher Fahrplan ist laut dem SVP-Fraktionschef aus gesundheitlicher
Sicht verantwortbar, wenn «ältere und verletzliche Menschen konsequent
geschützt» werden. Das sei möglich, indem alle, die mit älteren Menschen
in Kontakt kommen, eine Maske tragen. «Der Bund muss jetzt endlich
dafür sorgen, dass es genügend Masken gibt.» Und es brauche viel mehr
Tests, damit die Kranken schneller isoliert werden könnten, sagt Aeschi.
Für die meisten anderen ist der 19. April als Tag null des Ausstiegs
aber keineswegs gesetzt. Viele warnen sogar vor einem Express-Fahrplan,
wie ihn die SVP propagiert. Der Grüne Girod fordert zwar wie die SVP
«systematische Tests und Masken für die Übergangszeit». Doch er hält
nichts von überstürztem Vorgehen: «Bedingung ist, dass man die
Entwicklung der Epidemie und die Spitalkapazität im Griff hat.» Selbst
Arbeitgeberpräsident Vogt dämpft die Erwartungen: «Man kann nicht sofort
wieder alles hochfahren, das muss schrittweise geschehen.» Laut Vogt
müssen jetzt «Szenarien erarbeitet werden, wie die Schweiz, nach
überwundener Krise, wieder in einen Normalzustand zurückgeführt werden
kann».
Streit um Mitsprache beim Fahrplan
Auch der oberste Gewerkschaftschef Pierre-Yves Maillard verlangt ein
behutsames Vorgehen: «Erst wenn man weiss, wer die Krankheit schon
gehabt hat – sind es zwei oder schon 20 Prozent? –, kann der Bund einen
Plan ausarbeiten, wie wir zurück zur normalen Produktion kommen», sagt
er.
Noch härter sind die Fronten bei der Frage, wer den Fahrplan zum
Hochfahren der Wirtschaft mitgestalten darf. SVP-Fraktionschef Aeschi
fordert: «Es braucht eine nationale Taskforce, die entscheidet, wie der
Weg zurück in die Normalität geregelt wird. In der Taskforce müssen die
Sozialpartner, Wissenschafter, aber sicher auch die Wirtschaft vertreten
sein.»
SP-Präsident Christian Levrat widerspricht Aeschi heftigst: «Es sind die
Experten für öffentliche Gesundheit, die zu sagen haben, wann wir in
der Lage sein werden, die normale wirtschaftliche Tätigkeit wieder
aufzunehmen, ohne die Arbeitnehmer zu gefährden.» Politiker, die diese
Kompetenz für sich selber beanspruchen, seien «gefährliche Scharlatane»,
sagt der SP-Präsident.
Wie Levrat sieht es auch Jürg Grossen, Präsident der Grünliberalen: «Ich
bin selber Unternehmer. Ich würde die Wirtschaft ja sehr gerne
schrittweise möglichst schnell wieder hochfahren.» Doch den Zeitpunkt
und die einzelnen Schritte müsse man «der Wissenschaft überlassen».
Geheimgespräche über Milliarden für Swiss und Flughafen Zürich
Derweil gibt es einen Run auf die Hilfskredite des Bundes. «Bis
Freitagabend wurden Kredite von rund 4 Milliarden Franken vergeben»,
sagt Peter Minder, Sprecher des Finanzdepartements. Dabei handelt es
sich um die garantierten Überbrückungskredite für kleine Firmen, die
grossen kommen erst noch. Zu den ganz grossen gehören die Swiss, der
Flughafen Zürich und die flugnahen Betriebe. Am Freitag fanden erste
Geheimgespräche über eine Staatshilfe statt. Es geht dabei um
Milliarden.
(https://www.derbund.ch/sonntagszeitung/streit-um-das-ende-des-lockdown/story/15593463)
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Corona-Pandemie: Weniger gefährlich als die Grippe?
Seit Tagen sorgen Aussagen für Aufsehen, wonach das neuartige
Coronavirus weniger gefährlich sei als die Grippe. Als vermeintlicher
Beleg dient eine Zahl von 25.000 Grippetoten. Doch der Vergleich hinkt.
https://www.tagesschau.de/faktenfinder/corona-grippevergleich-101.html
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tagesanzeiger.ch 29.03.2020
Arbeitsrecht und Corona: Als Risikopatient zum Arbeiten gezwungen
Eine kleine Änderung in der Corona-Verordnung des Bundesrats hat grosse
Konsequenzen für Risikopatienten. Sie können nun wieder zum Arbeiten
gezwungen werden. «Diese Leute stehen Todesängste aus», warnt die
Gewerkschaft.
Philipp Loser
Wäre es eine Art staatspolitisches Experiment, ein Test, wir würden alle
staunen. Wohl noch nie in der Geschichte des Schweizer Bundesstaats hat
die Verwaltung in Bundesbern in einer solchen Kadenz Verordnungen
erlassen, angepasst, neu geschrieben, korrigiert. Die Trägheit des
Systems: weggeblasen.
Es ist aber kein Experiment, es ist kein Test. Die Verordnungen des
Bundesrats sind real, und sie haben reale Konsequenzen. Am 16. März, als
die Landesregierung den Lockdown der Schweiz verkündete,
veröffentlichte sie gleichzeitig die angepasste «Verordnung 2 über
Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus». Unter Artikel 10c, bei dem
es um den Schutz von besonders gefährdeten Personen geht, hiess es
damals: «Besonders gefährdete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
erledigen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten von zu Hause aus. Ist dies
nicht möglich, so werden sie vom Arbeitgeber unter Lohnfortzahlung
beurlaubt.»
Eine klare Ansage. Wer Vorerkrankungen hat, wer über 65 Jahre alt ist,
wer zur «Risikogruppe» gehört, der bleibt zu Hause. Und wenn man von zu
Hause seine Pflichten nicht erfüllen kann, dann bekommt man trotzdem den
Lohn.
Plötzlich alles anders
Vier Tage lang war das gültig. Bis zum Freitag in der gleichen Woche,
bis zur nächsten Änderung der «Verordnung 2». Unter dem Artikel 10c war
nun ein neuer Abschnitt zu finden. Und der drehte die ganze Sache um.
Falls die Arbeit «aufgrund der Art der Tätigkeit oder mangels
realisierbarer Massnahmen» nur am üblichen Arbeitsort erbracht werden
könne, hiess es da, so seien die Arbeitgeber verpflichtet, mit
geeigneten Massnahmen die Empfehlungen des Bundes betreffend Hygiene und
sozialer Distanz sicherzustellen.
In den Erläuterungen zur Verordnung 2 (auch die gibt es), heisst es
erklärend dazu, dass dafür beispielsweise Plexiglasscheiben zum Schutz
des Kassenpersonals aufgestellt werden könnten, dass man den
Mitarbeitenden Desinfektionsmittel zur Verfügung stelle oder sie ins
Backoffice versetze.
Eine klare Ansage. Wer Vorerkrankungen hat, über 65 Jahre alt ist, wer
zur «Risikogruppe» gehört, der muss nun trotzdem arbeiten.
«Total widersprüchlich»
Für die Gewerkschaften: inazkeptabel. «Diese Leute stehen Todesängste
aus», sagt Luca Cirigliano, Zentralsekretär des Schweizerischen
Gewerkschaftsbundes (SGB). Er hat in der vergangenen Woche mit vielen
Menschen telefoniert, die zur Risikogruppe gehören und nun völlig
verunsichert sind. Mit Menschen, die von ihrem Arbeitgeber nun wieder an
den Arbeitsplatz gerufen werden. «Der Bundesrat sendet einerseits eine
klare Botschaft aus: Bleibt zu Hause. Andererseits beharren viele
Arbeitgeber darauf, dass auch Leute mit einer Vorerkrankung an den
Arbeitsplatz kommen. Das ist völlig widersprüchlich.»
Der Gewerkschafter hat in der vergangenen Woche mehrere Beispiele
gesammelt, bei denen Arbeitgeber den gelockerten Arbeitsschutz für
besonders gefährdete Personen ausnutzen – zum Schaden des betroffenen
Arbeitnehmers. Eine Liste dieser Beispiele hat der SGB dem Bundesrat
zugestellt.
Auf dieser Liste – unter vielen anderen:
– Ein Privatbanker mit Diabetes und einer Herz-Kreislauf-Erkrankung, der
nicht von zu Hause arbeiten darf – weil Datenschutz und Bankgeheimnis
im Homeoffice nicht eingehalten werden könnten. Die Bank stellt dem
Mitarbeiter am Arbeitsplatz Seife zur Verfügung – weitere
Schutzmassnahmen gibt es nicht.
– Eine Angestellte einer Grossbäckerei, sie hat Diabetes und
Bluthochdruck, wird wieder zur Arbeit gerufen. Sie solle jetzt häufiger
die Hände waschen, sagt ihr der Arbeitgeber.
– Eine Malerin, die ärztlich attestiert zu einer Risikogruppe gehört,
war bis am Freitag vor einer Woche von der Arbeit befreit. Nach der
Änderung der Verordnung muss sie wieder arbeiten gehen. Der Arbeitgeber
halte die Regeln des Social Distancing für sie ein. Doch sie muss mit
dem öffentlichen Verkehr zur Arbeitsstelle fahren, was bei ihr
existenzielle Ängste auslöse.
«Die Unsicherheit ist gross. Der Bundesrat fordert von den Arbeitgebern,
dass sie die Risikopersonen gleich schützen, wie wenn diese zu Hause
geblieben wären. Niemand kann das garantieren», sagt Pierre-Yves
Maillard, der Präsident des SGB. «Der Bundesrat arbeitet unter
unglaublichem Druck. Dass hier Fehler geschehen, ist nur menschlich. Man
muss sie einfach wieder korrigieren.» Der SGB verlangt eine Rückkehr
zur ersten Verordnung, eine Streichung des neuen Absatzes. «Dieser neue
Artikel ist nicht im Sinne der generellen Pflicht der Behörden, Leib und
Leben der Menschen in der Schweiz zu schützen», heisst es dazu im Brief
an den Bundesrat.
Es gehe eben nicht nur um die Risikopatienten, sagt Maillard, es gehe
auch um deren Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz, die bei einer
Rückkehr von Risikopatienten unter dem Stress stünden, diese
unbeabsichtigt anzustecken. «Ein generalisiertes Gefühl der Angst am
Arbeitsplatz macht sich so breit», heisst es im Brief des SGB. «Dies ist
für die gesamte Wirtschaft schlecht.»
Doch warum hat der Bundesrat die Bedingungen für besonders gefährdete
Personen überhaupt verschärft? Hintergrund waren Befürchtungen, dass
besonders geforderte und versorgungsrelevante Branchen – das
Gesundheitswesen etwa oder der Lebensmittelhandel – im Verlauf der Krise
in echte Nöte geraten könnten und darum jede verfügbare Mitarbeiterin,
jeden verfügbaren Mitarbeiter brauchen würden.
Der Schweizerische Arbeitgeberverband begrüsst die Verschärfung des
Bundesrates im Grundsatz, wie Geschäftsleitungsmitglied Daniella
Lützelschwab sagt. «Wir waren froh, als wir vom Bundesrat klare Aussagen
zur Arbeitstätigkeit von besonders gefährdeten Personen erhielten.»
Einfach alle nach Hause zu schicken und nicht mehr arbeiten zu lassen,
sei eben auch problematisch, sagt Lützelschwab. Aber: «Wenn solche
Personen an den Arbeitsplatz zurückkehren, darf das nicht leichtfertig
geschehen.»
Fürsorgepflicht ernst nehmen
Arbeitgeber müssten die besondere Fürsorgepflicht ernst nehmen und die
Arbeitsplätze entsprechend ausrüsten. Lützelschwab nennt als Beispiel
die Plexiglasscheiben in Coop und Migros oder die Möglichkeit,
gefährdete Arbeitnehmer im Backoffice zu beschäftigen.
Man habe nichts gegen Präzisierungen oder Verbesserungen im
entsprechenden Artikel der Verordnung. Eine Streichung sei allerdings
problematisch. «Wenn man das Ganze nun wieder auf den Kopf stellt, dann
führt das zu erneuter Unsicherheit.»
Voraussichtlich am Mittwoch wird der Bundesrat das Thema noch einmal
beraten. Und dann entscheiden, welche Unsicherheit im Moment höher zu
gewichten ist.
(https://www.tagesanzeiger.ch/als-risikopatient-zum-arbeiten-gezwungen-514817865581)
++++HISTORY
Ingrid Strobl über Knast und Klasse: „Ich wusste, wofür der Wecker war“
Als Terrorverdächtige saß die Autorin Ingrid Strobl Ende er 80er
zweieinhalb Jahre in Isolationshaft. Nun hat sie ein Buch über die Zeit
geschrieben.
https://taz.de/Ingrid-Strobl-ueber-Knast-und-Klasse/!5671159/