Medienspiegel 27. März 2020

Medienspiegel Online: https://antira.org/category/medienspiegel

+++BERN
Asylsuchende ziehen kurzfristig ins Schulhaus Schmocken
Im Asylantenwohnheim Stockbrunnen werden ab dem 1. April Asylsuchende untergebracht. Dies, weil der Kanton für die Einhaltung der Vorgaben rund um das Corona-Virus schnell zusätzlichen Platz benötigt. Der prompte Entscheid kommt für Bevölkerung und Gemeinderat überraschend.
https://www.jungfrauzeitung.ch/artikel/180692/


+++GENF
Vers la fin de la détention administrative ?
Avec l’impossibilité d’expulser, Genève libère les personnes enfermées dans ses centres de détentions. Toutefois, les personnes retenues ayant été infectée par le virus covid-19 se voient incarcérées dans la prison surpeuplée de Champ-Dollon. Qu’en sera-t-il de la détention administrative après le virus ? Plus jamais ça !
https://renverse.co/Vers-la-fin-de-la-detention-administrative-2492


+++ST. GALLEN
Das Asylzentrum Neckermühle wird zurzeit nicht genutzt – das soll vorerst so bleiben
Seit 2018 ist die Unterkunft in der Gemeinde Oberhelfenschwil stillgelegt. Trotz Coronaviren-Pandemie sieht das kantonale Migrationsamt keinen Bedarf, daran etwas zu ändern. Das Social Distancing sei auch so gewährleistet.
https://www.tagblatt.ch/ostschweiz/toggenburg/das-asylzentrum-neckermuehle-wird-zurzeit-nicht-genutzt-das-soll-vorerst-so-bleiben-ld.1207772


+++ZÜRICH
Trotz Coronarisiko: Kein Social Distancing in Asylunterkünften
Hilfsorganisationen schlagen Alarm: Trotz Coronavirus leben Asylsuchende in Kollektivunterkünften eng zusammen.
https://www.blick.ch/news/politik/trotz-corona-abgewiesene-asylsuchende-leben-auf-engem-raum-id15814478.html


+++SCHWEIZ
SP und Junge Grüne fordern die Aufnahme von Flüchtlingen aus den griechischen Lagern
Die Schweiz solle die Coronabekämpfung in den griechischen Flüchtlingslagern finanziell und logistisch unterstützen, fordert die SP. Ebenfalls verlangt sie vom Bund die Aufnahme von Flüchtlingen.
https://www.tagblatt.ch/news-service/inland-schweiz/sp-und-junge-gruene-fordern-die-aufnahme-von-fluechtenden-aus-den-griechischen-lagern-ld.1208160


+++DEUTSCHLAND
Sorge in Ankerzentren – Flüchtlinge: Corona-Krise auf engstem Raum
Die Sorge vor der Ausbreitung des Coronavirus in Flüchtlingszentren ist groß. Es wird großflächig getestet, soziale und Freizeit-Angebote werden stark zurück gefahren.
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/corona-krise-in-deutschen-fluechtlingsunterkuenften-100.html


Trotz Corona-Krise: Per Charterflug zurück in den Iran?!
Obwohl Iran eines der von der Corona-Pandemie am stärksten betroffenen Länder ist, will das Bundesinnenministerium nächste Woche zwei Frauen dorthin zurück schicken. Da es keine regulären Flugverbindungen mehr in den Iran gibt, wird extra ein Flugzeug gechartert. PRO ASYL unterstützt eine der Betroffenen.
https://www.proasyl.de/news/trotz-corona-krise-per-charterflug-zurueck-in-den-iran/
-> https://www.tagesschau.de/investigativ/wdr/abschiebung-corona-101.html


Das BMI äußert sich zur Grenzschließung: Asyl in Viruszeiten
Das Bundesinnenministerium betont nach einem Medienbericht, am Asylverfahren habe sich nichts geändert. Die Linke widerspricht.
https://taz.de/Das-BMI-aeussert-sich-zur-Grenzschliessung/!5674894/


+++ÖSTERREICH
Asylantrag nur noch mit Gesundheitszeugnis
Innenminister Nehammer: derzeit etwa zwölf Anträge täglich, Neos sehen Verstoß gegen Verfassungsrecht
https://www.derstandard.at/story/2000116258887/asylantrag-nur-noch-mit-gesundheitszeugnis?ref=rss


+++GRIECHENLAND
Lesbos: „Moria ist die Hölle“
Der afghanische Zahnarzthelfer Farid warnt: Erreicht das Coronavirus das griechische Flüchtlingslager Moria, werden viele sterben. Er lebt mit rund 20.000 anderen dort.
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/lesbos-fluechtlingslager-moria-griechenland-gefluechtete
-> https://taz.de/Gefluechtete-in-Griechenland/!5674893/
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1134796.coronavirus-corona-in-gefluechteten-lagern-katastrophale-verhaeltnisse-in-moria.html
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1134827.moria-auf-lesbos-mit-corona-allein-gelassen.html


Flüchtlingslager auf Lesbos – «Die Krätze frisst die Menschen in Moria lebendig auf»
Die Ausgangssperre im Camp Moria wegen des Coronavirus verschärft die katastrophalen hygienischen Bedingungen.
https://www.srf.ch/news/international/fluechtlingslager-auf-lesbos-die-kraetze-frisst-die-menschen-in-moria-lebendig-auf


Prekäre Situation in den griechischen Flüchtlingslagern – Rendez-vous
Wegen der Virus-Pandemie steht auch in Griechenland vieles still. Besonders betroffen sind die Flüchtlinge in den überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln. Sie sind immer mehr auf sich allein gestellt.
https://www.srf.ch/play/radio/rendez-vous/audio/prekaere-situation-in-den-griechischen-fluechtlingslagern?id=e91f5e53-e522-4a85-9079-e3e6247a30d6


Es ist höchste Zeit, die Lager auf den Ägäisinseln zu evakuieren. Das ist offensichtlich, braucht aber politischen Mut
Das Coronavirus bedroht die völlig ungeschützten Bewohner der Migrantenlager in Griechenland. Jetzt gilt es schnell und entschieden zu handeln.
https://www.nzz.ch/meinung/coronavirus-migranten-in-griechenland-sollen-evakuiert-werden-ld.1548708



bernerzeitung.ch 27.03.2020

Ein NGO-Mitarbeiter erzählt: «Die Spannungen haben stark zugenommen»

Der Walliswiler Nicolas Perrenoud lebt und arbeitet für ein Schweizer Hilfswerk auf Lesbos. Ein Gespräch über die vielschichtige Krise, die sich auf der griechischen Insel abspielt.

Giannis Mavris

So hatte er sich seinen Aufenthalt im heimischen Walliswil bei Wangen nicht vorgestellt. «Ich bin von der Corona-Welle überrascht worden», sagt Nicolas Perrenoud. Der 35-Jährige lebt seit fast zwei Jahren auf der griechischen Insel Lesbos; vor zwei Wochen ist er zurück in die Schweiz geflogen, Heimaturlaub. In der Zwischenzeit hat die griechische Regierung wegen der steigenden Corona-Infektionen das Land jedoch fast komplett abgeriegelt, die Einreise ist kaum mehr möglich.

Perrenoud konnte seine Arbeit in den letzten Wochen ohnehin nicht mehr richtig ausführen. Nachdem die griechische Regierung die Enteignung von Land angeordnet hatte, um geschlossene Flüchtlingscamps zu bauen, kam es auf mehreren Inseln zu wüsten Auseinandersetzungen zwischen den Einheimischen und von Athen entsandten Polizeieinheiten.

Als die Türkei kurz darauf damit drohte, die Flüchtlinge nicht mehr an der Weiterreise Richtung Europa zu hindern, und an der Landgrenze Scharmützel anzettelte, setzte die griechische Regierung das Asylrecht kurzzeitig aus und erschwerte die Arbeitsbedingungen für alle Organisationen. Der Frust der Insulaner entlud sich daraufhin auf Journalisten und Mitarbeiter von Hilfswerken. Zu allem Überfluss kam die Corona-Pandemie hinzu, die alles nochmals verkomplizierte.

Nicolas Perrenoud, der letzte Monat war ziemlich turbulent auf Lesbos.

Das kann man wohl sagen. Ich hatte meine ersten freiwilligen Einsätze bereits 2016 in Nordgriechenland, seit Mitte 2017 bin ich auf Lesbos. Die Situation war nie einfach, vor ein paar Wochen ist sie aber zwischenzeitlich eskaliert.

Auch wurde Personal von euch angegriffen.

Während eines Generalstreiks, der die ganze Insel lahmlegte, kam es zu grossen Demonstrationen. Dabei wurden zwei Volontäre angegriffen, sie kamen mit ein paar Schrammen und einem demolierten Auto davon. Schwerwiegender war die Brandstiftung in unserer Tagesschule. Auch auf anderen Inseln brannten Gebäude von Hilfswerken ab.

Die Polizei spricht gemäss Lokalmedien bei eurer Schule von Tätern mit palästinensischer Herkunft.

Ja, das war für uns überraschend. Wir haben das über die Medien erfahren, unser Anwalt versucht im Moment, mehr herauszufinden. Bisher waren es ein paar bekannte Rechtsextreme, die uns auf der Insel Probleme bereiteten. Die Sache zeigt: Die Situation wird zunehmend komplizierter.
Anfang März brannte die Schule des Hilfswerks «One Happy

Die Migrationskrise hat sich seit letztem Sommer verschärft, mittlerweile sind rund ein Fünftel der Gesamtbevölkerung auf Lesbos Flüchtlinge und Migranten.

Das Camp Moria ist mittlerweile zum zweitgrössten Ort auf der Insel geworden. Obwohl es für rund 3000 Leute ausgelegt ist, leben im und um das Camp jetzt mehr als 20’000 Menschen. Das ist eine Kleinstadt, aber ohne die entsprechende Infrastruktur. Und in hygienischer Hinsicht ist es ohnehin eine Katastrophe: Den Bewohnern stehen 300 Toiletten und 230 Duschen zur Verfügung. Zum Händewaschen gibt es gerade einmal 400 Wasserhähne.

In Zeiten von Corona eine Zeitbombe.

Allerdings. Im Camp gibt es zwar nur wenige alte Menschen, fast die Hälfte ist unter 18 Jahre alt. Aber viele haben Vorbelastungen. Seit einigen Wochen hat die griechische Regierung den Zutritt eingeschränkt, auch dürfen nicht mehr viele Leute gleichzeitig in die Stadt gehen, um etwa einzukaufen. Damit will man verhindern, dass das Virus das Camp erreicht. Die Flüchtlinge und Migranten haben übrigens selber Angst, von der Lokalbevölkerung oder von Besuchern angesteckt zu werden. Erste Einheimische sind bereits positiv auf Corona getestet worden.

Der Ruf ist deshalb lauter geworden, die Camps auf den Inseln aufzulösen und die Leute auf das Festland zu transportieren.

Auch wir möchten das. Die Situation ist für alle unbefriedigend: Die Zustände in den Lagern sind unmenschlich. Für die Inselbewohner ist diese Krise zum Dauerzustand geworden. Und auch für das Personal im Camp ist die Lage prekär: Die Leute erhalten ihre Löhne teilweise nicht oder verspätet, sie haben nur Kurzarbeitsverträge, die ständig erneuert werden müssen. Die Asylbehörde ist übrigens ebenfalls stark unterbesetzt.

Dabei versprach die neue Regierung, das Problem endgültig zu lösen.

Als die konservative Regierung letzten Sommer an die Macht kam, kündigte sie einen harten Kurs an, um die Krise in den Griff zu bekommen. Mittlerweile sind alle enttäuscht: Die Asylverfahren kommen nicht schneller voran, die Ankunftszahlen sind seit letztem Sommer hochgeschnellt, von den europäischen Hilfsversprechen ist auch nicht viel übrig geblieben. Wegen Corona ist nun alles zum Stillstand gekommen. Und als die türkische Regierung angekündigt hatte, die «Schleusen zu öffnen», und innert kurzer Zeit Dutzende Boote in Lesbos ankamen, brach auf der Insel regelrecht Panik aus. Es hat sich viel aufgestaut, die Spannungen haben deshalb stark zugenommen.

Darunter leidet auch der Tourismus.

Lesbos war nie eine Tourismus-Hochburg, auch wenn es so in den Medien dargestellt wurde. Die Insel ist hauptsächlich von der Landwirtschaft abhängig. Aber klar: So gehen Einkünfte verloren, vor allem von den Besuchern aus der Türkei, die nun bis auf weiteres ausfallen. Alles in allem keine gute Mischung.

Wie geht es nun weiter?

Im Moment herrscht gespanntes Abwarten. Als Organisation verfolgen wir die Lage natürlich weiter, wir müssen aber zuerst schauen, wie sich die Corona-Krise im Land entwickelt. Unser grösster Wunsch ist, dass die Lager aufgelöst werden: Jedes Jahr hoffen wir von neuem, dass es uns bald nicht mehr braucht – und doch sind wir immer noch vor Ort. Ich selber werde auch so bald wie möglich auf die Insel zurückkehren.



Eine NGO mit Sitz in Burgdorf

Der Verein One Happy Family mit Sitz in Burgdorf wurde im Juni 2017 gegründet. Er hat sich der Aufgabe verschrieben, Menschen in Fluchtsituationen zu helfen. Dazu gehört auch die Leitung des gleichnamigen Gemeinschaftszentrums auf Lesbos. Dieses wurde bereits im Februar 2017 auf Initiative der Organisation Schwizerchrüz.ch aufgezogen. Ehrenamtliche Volontäre aus Europa und Geflüchtete betreiben das Zentrum gemeinsam.
(https://www.bernerzeitung.ch/die-spannungen-haben-stark-zugenommen-272417472972)


+++MITTELMEER
Kriminalisierung auf Malta: Exempel statuieren
Der Öltanker El Hiblu wollte 108 aus Seenot Gerettete zurück nach Libyen bringen. Drei junge Männer wehrten sich. Jetzt droht ihnen lebenslange Haft.
https://taz.de/Kriminalisierung-auf-Malta/!5674922/


„Genauso wie kleine Unternehmen hat die private Seenotrettung jetzt ein Problem“
Die Bundesregierung hat wegen der Covid-19-Pandemie ein Kontaktverbot erlassen. Doch wie können sich Menschen schützen, die in einem Flüchtlingscamp leben? Der stern hat mit der Seenotretterin Zoe Katharina über die Auswirkungen des Coronavirus auf die Flüchtlingssituation gesprochen.
https://www.stern.de/gesundheit/coronavirus-folgen-fuer-fluechtlinge–interview-mit-seenotretterin-9197238.html


+++TÜRKEI
Konflikt mit Griechenland: Türkei räumt Flüchtlingscamp an der Grenze
Die türkischen Behörden haben das Flüchtlingscamp an der türkisch-griechischen Grenze aufgelöst. Offenbar gab es auch Corona-Fälle im Camp. Wie es für die Menschen weitergeht, ist unklar.
https://www.tagesschau.de/inland/fluechtlinge-griechenland-tuerkei-103.html
-> https://www.nzz.ch/international/die-letzten-migranten-und-fluechtlinge-sollen-das-tuerkisch-griechische-grenzgebiet-verlassen-ld.1548885
-> https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-03/eu-aussengrenze-braende-lager-griechenland-tuerkei-migranten
-> https://www.neues-deutschland.de/artikel/1134847.tuerkei-und-griechenland-brand-im-fluechtlingslager-an-tuerkischer-grenze.html


BND-Erkenntnisse: Türkei steuerte Ansturm auf griechische Grenze
Als vor einem Monat Tausende Flüchtlinge nach Griechenland drängten, kam es zu Ausschreitungen. Der deutsche Auslandsgeheimdienst geht nach SPIEGEL-Informationen von einer Mitwirkung türkischer Kräfte aus.
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-tuerkei-steuerte-laut-bnd-ansturm-auf-griechenlands-grenze-a-00000000-0002-0001-0000-000170213666


+++FREIRÄUME
«Wir sollten die Kaserne besetzen!»
Auf dem Kasernenareal steht derzeit ein Wagen. Ein Wagen, welcher Freiraum befreien will. Melanie vom STUDIO FUMO über Freiraum und unser Recht auf Stadt.
https://tsri.ch/zh/wir-sollten-die-kaserne-besetzen-studio-fumo-freiraum/


+++GASSE
Corona-Krise trifft Randständige mit voller Wucht
Wer kein Geld und kein Zuhause hat, kann sich auch kaum vor dem Coronavirus schützen. Deshalb verstärken Hilfsorganisationen nun ihren Einsatz für Obdachlose und Randständige.
https://www.telezueri.ch/zuerinews/corona-krise-trifft-randstaendige-mit-voller-wucht-137428142



bielertagblatt.ch 27.03.2020

Randständige stecken in der Klemme

Obdachlose und Suchtkranke werden von der Corona-Krise hart getroffen. In Biel sind Treffpunkte geschlossen, die Gassenküche schöpft nur noch Essen zum Mitnehmen.

von Carmen Stalder

Die meisten Menschen verbringen aktuell so viel Zeit zuhause wie sonst nie. Arbeiten, Essen, Sport, Freizeit – fast alles findet in den eigenen vier Wänden statt. Doch was ist mit den Menschen, die kein eigenes Dach über dem Kopf haben? Wo können Obdachlose, Süchtige und Randständige in Biel überhaupt noch hingehen? Der Treffpunkt Ditsch an der Ländtestrasse, ein Ort für alkoholkranke Menschen, ist geschlossen. «Die Leute hier haben das gar nicht gut aufgenommen», sagt Jim Klossner, der dem Verein Ditsch vorsteht. Einige von ihnen treffen sich nun auf dem Bahnhofplatz, andere sitzen alleine zuhause. «Mir fällt auch schon die Decke auf den Kopf», so Klossner.

Die Schliessung von Treffpunkten wie dem Ditsch hat für Randständige gravierende Auswirkungen. Oftmals sind diese Orte für sie wie ein zweites Zuhause, dort treffen sie Gleichgesinnte, mit denen sie sich austauschen können. Fällt diese Möglichkeit weg, finden sie sich plötzlich alleine wieder.

Verunsicherung betäuben

Die Stiftung Contact betreibt in Biel eine Anlaufstelle für drogenabhängige Menschen. Vor Ort können sie beispielsweise Spritzen und Nadeln kaufen oder umtauschen und in einem geschützten Rahmen ihren Stoff konsumieren. Die Anlaufstelle ist auch jetzt offen. «Wenn wir unser Angebot reduzieren würden, würden wir damit das Gegenteil unserer Absicht bewirken», sagt Marc Hämmerli, Leiter der Bieler Anlaufstelle. Dazu gehören die Förderung der Gesundheit der Klienten sowie die Entlastung des öffentlichen Raums.

Dennoch sind die Auswirkungen der aussergewöhnlichen Situation auch in der Anlaufstelle deutlich spürbar. «Es wird mehr konsumiert», stellt Hämmerli fest. Viele Klienten seien aus ihren Strukturen herausgerissen worden, etwa durch den Wegfall von Beschäftigungsprogrammen. Nun würden sie versuchen, ihre Verunsicherung und ihr Unwohlsein mit Drogen zu übertünchen. «Dem versuchen wir entgegenzusteuern», sagt Hämmerli.

Seine Mitarbeitenden klären die Klienten über die aktuelle Situation und die Massnahmen des Bundesrates auf. Teilweise herrsche ein grosses Informationsdefizit. Rund 50 Personen nutzen die Anlaufstelle über den Tag verteilt. Damit die nötigen Abstände eingehalten werden, haben die Mitarbeiter die Räume umgestaltet. Der Konsumraum darf nur noch von fünf Personen auf einmal genutzt werden.

Essen gibts nur noch am Tor

Die Gassenküche hat ihren Betrieb auf das Minimum reduziert. Zwischen 12 und 13 Uhr findet am Eingangstor eine Essenausgabe statt. Pro Tag wird nur noch ein Menü gekocht, dieses gibt es umsonst (mit Kollekte). Die Räumlichkeiten dagegen sind geschlossen: Die Toiletten stehen nicht zur Verfügung, es gibt keinen Wäschedienst, keine Abendessen und am Sonntag keinen Brunch. Pro Tag dürfen nur noch drei Personen die Duschen benützen.

Aber auch die Nachfrage habe abgenommen, sagt David Della Torre, der seit 25 Jahren in der Gassenküche arbeitet: Pro Tag schöpfen er und seine Kollegen nur noch um die 20 statt um die 40 Mahlzeiten aus. Das hänge damit zusammen, dass kaum noch Arbeiter in ihrer Mittagspause vorbeikämen. «Diejenigen, die kommen, sind aber sehr froh, dass wir immer noch hier sind», sagt er.

Tagesstruktur fällt weg

Am Bieler Bahnhof betreibt das Blaue Kreuz den alkoholfreien Treffpunkt Perron bleu. Neben preisgünstigem Essen gibt es auch die Möglichkeit zum Spielen, Plaudern und Zeitung lesen. Aktuell ist der Gastrobereich des Treffpunkts jedoch geschlossen und die vom Sozialdienst zugewiesenen Mitarbeiter in der Arbeitsintegration mussten nach Hause geschickt werden. Für Treffpunktleiterin Sonja Zimmermann war das kein einfacher Schritt. Sie befürchtet, dass bei einigen Gästen der Alkoholkonsum zunehmen könnte, damit für sie die Situation aushaltbar sei. «Viele von ihnen haben ein kleines Budget und nur wenige soziale Kontakte. Und jetzt fällt auch noch ihre Tagesstruktur weg», sagt sie.

Um dennoch den Kontakt zu den Klienten zu wahren, sprechen Zimmermann und ihre zwei Kolleginnen mehrmals wöchentlich per Telefon mit ihnen. In Absprache mit dem Kanton halten sie ausserdem eine kleine Anlaufstelle in Betrieb: Zweimal pro Woche können Klienten zum Reden, Infos einholen und Austausch untereinander vorbeikommen. Das ist jedoch nur auf Anmeldung und für jeweils maximal vier Personen möglich. Das erste Zeitfenster war innert Kürze ausgebucht.

Kampf gegen Isolation

Der Verein Casanostra bietet in der Stadt Biel Wohnraum für sozial benachteiligte Menschen an. Geschäftsführer Daniel Bachmann erwartet in den nächsten Wochen einen Anstieg an Anfragen: «Durch die schwierige wirtschaftliche Situation kommt es wohl vermehrt zu Obdachverlusten.» Die insgesamt 162 Wohnungen sind ausgelastet. Zwei davon werden derzeit renoviert und sollen danach als Notwohnungen zur Verfügung stehen.

Das Team von Casanostra besucht die Bewohnerinnen und Bewohner wöchentlich in ihren Wohnungen, um gegen die drohende Isolation anzukämpfen. Wenn nötig würden Einkäufe oder medizinische Hilfe organisiert. «Die Leute sind dankbar, dass wir auch in Krisen für sie da sind», sagt Bachmann.

Auch im Passantenheim der Heilsarmee kommen Menschen ohne Obdach unter. In Biel gibt es 22 Einzel- sowie ein Doppelzimmer. Derzeit sei etwa die Hälfte davon besetzt, sagt Institutionsleiter Markus Wäsler. Das Krisenkonzept sieht denn auch vor, dass der Betrieb heruntergefahren wird und nur 50 Prozent der Zimmer belegt sind. Denn für das Putzpersonal ist die Arbeit viel aufwendiger geworden. «Wir konzentrieren uns jetzt auf unsere Kernaufgaben», sagt Wäsler. Beratungen finden keine mehr statt. Personen, die neu aufgenommen werden möchten, werden genauer unter die Lupe genommen: Sie müssen zwingend aus Biel oder der Region kommen und die Haus- und Hygieneregeln einhalten können.

Betten werden knapp

Das Sleep-In Biel stellt Menschen in Not befristet eine Übernachtungsmöglichkeit zur Verfügung. Der Betrieb ist weiterhin offen, jedoch unter gewissen Einschränkungen. Normalerweise stehen 29 Betten zur Verfügung, die meisten davon in Mehrbettzimmern. Wegen des Virus werden nur noch Einzelzimmer angeboten – und so bleiben lediglich neun Männer- und drei Frauenzimmer übrig. Die Betten sind alle besetzt und werden nur noch Bielerinnen und Bielern angeboten. Einige Personen auf der Durchreise oder aus den umliegenden Kantonen hätten bereits abgewiesen werden müssen, sagt Chri Frautschi vom Sleep-In. Doch immerhin habe durch das Virus die Mobilität der Menschen abgenommen. «Wer jetzt einen Platz zum Schlafen hat, bleibt auch dort», sagt er.

Die Stimmung im Haus sei speziell. Herrsche sonst eine familiäre Atmosphäre, gebe es nun schon fast militärische Abläufe mit Eingangskontrolle, regelmässigem Händewaschen und Desinfizieren. Als problematisch sieht Frautschi vor allem die Zeit tagsüber, denn das Sleep-In öffnet seine Türen erst abends. «Es gibt keine Orte mehr, an denen unsere Leute den Tag verbringen können. Wenn es dann noch kalt ist, ist das echt schwierig.» Nun steht die Idee im Raum, nächstens auch eine Tagesstruktur anzubieten.

Ressourcen bündeln

Die SP Biel fordert derweil in einem Brief an den Gemeinderat, dass sich die Stadt für Menschen am Rande der Gesellschaft einsetzen solle. Die Partei schlägt vor, dass Obdachlose, die keine Schlafplätze mehr finden, in Hotels untergebracht werden – ganz nach dem Vorbild von London. Zudem brauche es in Institutionen, die zu enge Platzverhältnisse aufweisen, dringend zusätzliches Raumangebot.

Die Stadt Biel steht bereits in engem Kontakt mit diversen Institutionen. Eine Arbeitsgruppe ist dabei, abzuklären, welche Services in welcher Form aufrechterhalten werden können – denn dass der Bedarf nach den Angeboten vorhanden ist, ist unbestritten. Diese Woche findet ein zweites Treffen zwischen Vertretern der Institutionen und Babette Neukirchen, der stellvertretenden Generalsekretärin der städtischen Direktion Soziales und Sicherheit, statt. «Es ist wichtig, dass wir unsere Ressourcen bündeln», sagt sie.

Die Arbeitsgruppe übernimmt Organisations- und Koordinationsaufgaben. So versucht sie beispielsweise sicherzustellen, dass die Verhaltensmassnahmen des Bundesamts für Gesundheit in allen Institutionen eingehalten werden können. Zur Entlastung des bestehenden Angebots an niederschwelligen Schlafplätzen können ab nächster Woche im Pfadiheim Orion zusätzliche Betten angeboten werden.

Nun gilt es, genügend Betreuungspersonal aufzutreiben. Es sei durchaus eine Option, dass städtische Mitarbeiter einspringen, sagt Neukirchen. Weitere Ideen, wie die Institutionen zusammen arbeiten könnten, sind noch in Diskussion. Die Zusammenarbeit zwischen den Bieler Institutionen sei sehr gut. «Wir müssen nun alle am gleichen Strang ziehen», betont sie.

Herausfordernd seien dagegen einige renitente Klienten der verschiedenen Institutionen. Glücklicherweise handle es sich nur um Einzelfälle, so Neukirchen. Doch wer sich die Hände nicht regelmässig waschen will oder andere direkt anhustet, erhält derzeit kein Pardon. «Wer andere gefährdet, landet auf der Strasse.»
(https://www.bielertagblatt.ch/nachrichten/biel/randstaendige-stecken-der-klemme)



Obdachlose in Corona-Zeiten: «Noch einsamer als sonst»
Für Menschen am Rand der Gesellschaft gehen die letzten Orte verloren, wo sie Gemeinschaft finden. Gassen-Seelsorger Andreas Käser versucht zu helfen – und sei es mit einem Gruss auf einer Guetsli-Packung.
https://www.beobachter.ch/gesellschaft/obdachlose-corona-zeiten-noch-einsamer-als-sonst



derbund.ch 27.03.2020

Berner Kasernenareal geschlossen: Grünflächen werden knapp

Jetzt ist auch das Berner Kasernenareal für die Öffentlichkeit gesperrt. Am Wochenende werden spezielle Teams von Stadt und Polizei für die nötige soziale Distanz sorgen.

Christian Zellweger

Wer den Weg auf das Kasernengelände im Berner Breitenrainquartier sucht, wird seit Donnerstag ausgesperrt. Statt spielender Kinder und Familien prägen Soldaten in Leuchtwesten auf Velos, Sanitätstransporter und Militärlastwagen das Bild.

Dass die grossen Wiesen gesperrt sind, ärgert Urs Hänsenberger, der neben dem Areal wohnt. «Für mich ist das unverständlich angesichts all der Berichte über Probleme in engen Wohnungen wegen der Quarantäne», schreibt er in einem Mail an die «Bund»-Redaktion. Wenn es darum gehe, die Distanzierungsanweisungen durchzusetzen, gebe es im Moment doch genügend unterbeschäftigte Menschen, welche die geltenden Verhaltensregeln überwachen könnten, so Hänsenberger.

Wunsch des Militärs

Der Kanton habe das Gelände auf Wunsch des Militärs als Mieter des Areals geschlossen, sagt Olivier Andres, der stellvertretende Chef des kantonalen Amtes für Bevölkerungsschutz und Militär. Er habe durchaus Verständnis, wenn sich jemand über die Sperrung ärgern sollte. Jedoch sei das ganze Gelände an das Militär vermietet. Es sei eher aussergewöhnlich, dass das Areal üblicherweise offen zugänglich sei. «Das Kasernenareal ist der einzige Waffenplatz der Schweiz, der derart öffentlich ist.»

Die Schliessung beruhe auf «medizinischen Überlegungen», schreibt die Armee auf Anfrage. Zurzeit seien etwa 320 Personen auf dem Gelände untergebracht, von Offizieren in Ausbildung bis hin zu Sanitätstruppen, welche unter anderem den Kanton Bern bei Patiententransporten unterstützten.

Die Durchmischung von Soldaten mit spielenden Kindern und Eltern oder Leuten, die mit ihren Hunden spazieren gingen, sei aus Sicht der Armee-Spezialisten «ziemlich problematisch». Das Social Distancing von allen Gruppen habe nicht durchwegs sichergestellt werden können. Negative Reaktionen auf die Sperrung habe man bisher noch keine erhalten.

Stadt ist bereit

Schon länger gesperrt sind andere grössere Parks in der Stadt Bern, wie etwas die Grosse und die Kleine Schanze, die Bundesterrasse oder die Münsterplattform. Stösst die Akzeptanz der verfügten Massnahmen nun langsam an ihre Grenzen? «Das Verständnis für die Verhaltensregeln ist da», glaubt der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause. Bei «99 Prozent» der Bevölkerung sei die Botschaft angekommen, dass die erzwungene Distanz nötig sei, um drastischeren Massnahmen – wie etwa einer Ausgangssperre – vorzubeugen, so Nause. Wichtig sei es, die Leute auch weiterhin für die Gründe der notwendigen Massnahmen zu sensibilisieren.

Auch in den Quartieren ist bisher kein verbreiteter «Lagerkoller» zu spüren. «Viele Leute nutzen den Wald zur Erholung», sagt etwa Daniel Blumer von der Quartierkommission Länggasse-Engehalbinsel. Und Sabine Schärrer, Geschäftsführerin der Quartierkommission Quavier im Kirchenfeldquartier sagt: «Bei uns gibt es zum Glück relativ viel Grünflächen.» Beeindruckt zeigen sich beide Quartiervertreter einerseits von der Solidarität der Bevölkerung und andererseits von der Quartierarbeit der Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit, welche die Hilfsangebote koordiniert.

Trotz aller Akzeptanz: Die Kantonspolizei habe den Auftrag erhalten, noch mehr zu patrouillieren, so Nause. Die Stadt bereitet sich so auf das Wochenende mit dem erwarteten schönen Wetter vor. Neben der Polizei ist ein städtisches «Infoteam» unter der Leitung des Polizeiinspektorats unterwegs. Das Inspektorat erhalte zusätzliche freiwillige Unterstützung von Angestellten aus unterschiedlichsten Verwaltungsabteilungen der Stadt. Im Fokus dieses Teams und der Polizei werden vor allem das Aareufer und die Spielplätze stehen.
(https://www.derbund.ch/gruenflaechen-werden-knapp-578238861271)



Strassenfussballer Michael Hofer: «Kein Fussball und keine Arbeit – das trifft mich hart»
Heute öffnet der Bolzplatz seine Tribüne für einen Blick auf andere Schweizer Plätze – und einen Dribbelkünstler: Michael Hofer ist Strassenfussballer und «Surprise»-Strassenmagazin-Verkäufer in Zürich-Oerlikon und in Luzern. Didi-Kolumnist Nils Widmer hat mit ihm über das Kicken gesprochen – und darüber, was jetzt besonders fehlt.
https://www.bajour.ch/a/rqp2lXb4234TO0js/strassenfussballer-michael-hofer%3A-kein-fussball-und-keine-arbeit-das-trifft-mich-hart


+++BIG BROTHER
Handyortung: Snowden warnt vor Überwachung über Corona-Pandemie hinaus
Edward Snowden warnt vor neuen Überwachungsbefugnissen des Staates in der Corona-Krise. Solche Maßnahmen könnten auch langfristig zu vermehrter Überwachung führen, sagte der Whistleblower. Auch in Deutschland wird über Handyortung zur Identifizierung von Kontaktpersonen Infizierter diskutiert.
https://www.rnd.de/politik/uberwachung-in-corona-krise-edward-snowden-warnt-vor-uberwachung-durch-den-staat-und-handyortung-NDK2Q2CYZZGDTFNU3CK2Z72424.html


Corona und Handydaten: Mit Tracking zurück zur Bewegungsfreiheit?
Im Kampf gegen Corona können Handydaten helfen – zum Beispiel, um Infektionsketten nachzuvollziehen. Die Bundesregierung hat ein neues Gesetz dazu erstmal auf Eis gelegt. Aber tot ist die Idee damit nicht.
https://www.tagesschau.de/inland/corona-handydaten-103.html


Fehlende Schutzkleidung: Datenbankeintrag soll nun Polizisten schützen
Vorgeblich zum Selbstschutz nutzen Polizeidienststellen in Baden-Württemberg Datensammlungen über Corona-Infizierte
Daten über Corona-Infizierte werden in Baden-Württemberg der Polizei zur Verfügung gestellt. Das diene dem Schutz der Beamten, die nicht ausreichend mit Schutzkleidung ausgestattet seien. Datenschützer sorgen sich darum, was mit den einmal zur Verfügung gestellten Daten passiert.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1134811.datenschutz-fehlende-schutzkleidung-datenbankeintrag-soll-nun-polizisten-schuetzen.html


+++ARMEE
COVID-19: Armee unterstützt die Eidgenössische Zollverwaltung
Das veränderte Grenzregime infolge COVID-19 stellt die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) vor personelle Herausforderungen, insbesondere in der längeren Durchhaltefähigkeit. Seit heute Freitag, 27. März 2020 wird sie deshalb von der Armee mit Militärpolizisten und einem Milizbataillon unterstützt.
https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78599.html


+++POLICE BE
Hohe Patrouillenpräsenz – die vitalen Leistungen funktionieren reibungslos
Im Hinblick auf das Wochenende mit milderen Temperaturen hat die Sicherheitsdirektion der Stadt Bern mit der Kantonspolizei eine darauf ausgerichtete, starke Patrouillenpräsenz im öffentlichen Raum vereinbart. Zur Unterstützung ist weiterhin das Infoteam der Stadt Bern unterwegs. Das Infoteam animiert die Menschen im öffentlichen Raum zum Abstandhalten und hilft mit, Menschenansammlungen zu verhindern. Schutz und Rettung Bern ist in dieser ausserordentlichen Lage gut aufgestellt und erhält zusätzlich Unterstützung durch Militär und Zivilschutz.
https://www.bern.ch/mediencenter/medienmitteilungen/aktuell_ptk/hohe-patrouillenpraesenz-die-vitalen-leistungen-funktionieren-reibungslos
-> https://www.bernerzeitung.ch/noch-mehr-polizei-in-bern-wegen-fruehlingswetter-583068745444
-> https://www.srf.ch/news/regional/bern-freiburg-wallis/corona-uebersicht-kanton-be-berner-polizei-verstaerkt-kontrollen-am-wochenende


+++RECHTSEXTREMISMUS
Verschwörungstheorien, Propaganda, Chaos – Wie Rechtsextreme in der Coronakrise zündeln
Die einen behaupten eine jüdische Verschwörung, andere hoffen auf den Umsturz: Rechtsextremisten wollen die Coronakrise nutzen. Und sie haben jetzt viel Zeit.
https://www.tagesspiegel.de/politik/verschwoerungstheorien-propaganda-chaos-wie-rechtsextreme-in-der-coronakrise-zuendeln/25686934.html


+++WORLD OF CORONA
Zwangsunterbringung für Corona-Verdachtsfälle
Die Stadt Menden bereitet eine leerstehende Turnhalle vor, um dort – wenn nötig – Menschen unterzubringen, die sich nicht an die Coronavirus Quarantänevorschriften halten. Noch gebe es keinen akuten Fall, aber man wolle vorbereitet sein, sagt die Stadt.
https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/corona-zwangsunterbringung-turnhalle-menden-100.html


+++DEMO/AKTION/REPRESSION
bernerzeitung.ch 27.03.2020

Kurdisch-türkischer Konflikt: Fusstritte, Knochenbrüche und eine Amokfahrt

Mit grosser Gewalt gingen kurdische Schläger 2015 gegen türkische Demonstranten in Bern vor. Die Justiz liess Milde walten.

Kurt Pelda

Ein dunkelblauer Mercedes-Kombi fährt in eine Menschentraube. Männer werden durch die Luft gewirbelt, einer von ihnen kommt auf dem Autodach zu liegen und wird etwa 20 Meter weit mitgenommen. Inzwischen schlagen andere Männer auf dem Trottoir daneben auf eine Frau ein, die sich verzweifelt an einem Eisengeländer festhält. All das ist auf Handyaufnahmen zu sehen, die von der Berner Kantonspolizei gesichert wurden.

Es ist der 12. September 2015. Türkische Nationalisten und Anhänger von Präsident Recep Tayyip Erdogan wollen auf dem Berner Helvetiaplatz zu einer bewilligten Kundgebung gegen Terrorismus zusammenkommen. Sie meinen damit vor allem die Gewalt, die von der kurdischen Arbeiterpartei PKK ausgeht. Diese führt in der Türkei einen langjährigen Guerillakrieg gegen die Regierung. Auf dem Helvetiaplatz wollen kurdische PKK-Anhänger der türkischen Kundgebung gleichentags mit einer unbewilligten Gegendemonstration zuvorkommen. Dabei setzen die Kurden massive Gewalt ein, nicht nur gegen die Polizei, sondern vor allem auch gegen die türkischen Insassen zweier Autos.

Die Szenen, die sich bei der Berner Kirchenfeldbrücke unterhalb der Kunsthalle abspielen, wirken wie aus einem Bürgerkrieg. Der Konflikt zwischen Kurden und nationalistischen Erdogan-Verehrern ist mitten in der Schweiz angekommen. Die Bilanz der Ausschreitungen und der Amokfahrt gemäss Presseberichten: 25 Verletzte, unter ihnen 5 Polizisten, aber wie durch ein Wunder keine Toten.

Auffällige Schonung der Kurden

Was damals wenige Hundert Meter vom Bundeshaus entfernt geschah, haben Polizei und Staatsanwaltschaft in mehrjähriger Kleinarbeit inzwischen grösstenteils ermittelt. Das Berner Regionalgericht wollte den Prozess gegen den türkischen Mercedes-Fahrer vorletzte Woche abhalten, musste die Verhandlung aber wegen der Corona-Krise vertagen. Die Staatsanwaltschaft wirft Demir B. (Name der Redaktion bekannt) vor, er habe es beim Lenken seines Autos beabsichtigt oder zumindest in Kauf genommen, die insgesamt sieben kurdischen Opfer zu töten oder schwer zu verletzen. Der heute 45-jährige IV-Rentner ist angeklagt wegen sechsfacher versuchter Tötung und in zwei Fällen wegen versuchter schwerer Körperverletzung, wobei er diese in rechtfertigender Notwehr oder im Notstand begangen haben könnte. Demir B. sieht sich selber weder als Nationalist noch als Erdogan-Anhänger.

Unsere Recherchen bringen nun nicht nur die Hintergründe der Ausschreitungen ans Tageslicht, sondern auch dass die meisten kurdischen Gewalttäter milde bestraft wurden. Die Öffentlichkeit hat bisher nichts davon erfahren. Das liegt an den Strafbefehlen, mit denen Täter verurteilt werden können, solange die Sanktionen sechs Monate Freiheitsentzug nicht übersteigen. Akzeptiert der Verurteilte seine Strafe, kommt es nie zu einer Gerichtsverhandlung. Obwohl sämtliche Strafurteile gemäss Bundesgerichtsentscheiden öffentlich sind, verhält sich gerade der Kanton Bern bei der Kommunikation von Strafbefehlen besonders restriktiv.

Um zu verstehen, warum die Situation in der Schweiz gerade im Spätsommer 2015 eskaliert, muss man sich die Vorgeschichte in der Türkei und in den benachbarten Kriegsgebieten Syrien und Irak vergegenwärtigen. Nachdem Erdogan mit seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) elf Jahre lang als Premierminister regiert hat, wird er im August 2014 Staatspräsident. Wenig später belagern die Terroristen des Islamischen Staats die kurdische Grenzstadt Kobane. Verzweifelt wehren sich die PKK und ihr syrischer Ableger gegen den übermächtigen IS. Dass Erdogan in den islamistischen Terroristen das kleinere Übel sieht, führt zum Bruch des temporären Waffenstillstands zwischen der PKK und dem türkischen Staat. Derweil bombardiert die amerikanische Luftwaffe den IS in Kobane und trägt dazu bei, die Stadt zu befreien. In der Folge wird der IS schrittweise von der türkischen Grenze zurückgedrängt und grösstenteils vernichtet.

Im Juni 2015 überschreitet die türkische Kurdenpartei HDP bei den allgemeinen Wahlen erstmals die Zehnprozenthürde. Erdogans AKP verliert die Mehrheit. Anfang September, nur wenige Tage vor den Ausschreitungen in Bern, tötet die PKK mit Anschlägen rund 30 türkische Soldaten und Polizisten. Zur Vergeltung schickt Erdogan Truppen und Kampfflugzeuge in den Irak, um PKK-Stellungen anzugreifen.

Die Türkei, die USA und die EU brandmarken die PKK als Terrorbewegung. Die Schweiz macht dies nicht und lässt die Organisation auf ihrem Boden gewähren. Dazu gehört auch, dass PKK-Mitglieder – zum Beispiel in Biel – gewaltsam versuchen, bei kurdischen Geschäftsleuten Kriegssteuern einzutreiben. Die Schweiz ist für die PKK und ihre syrische Filiale PYD eine unverzichtbare Logistikbasis. Das veranlasst Ankara immer wieder zu heftiger Kritik an Bern. Anders als in Deutschland befinden sich die Erdogan-Anhänger in der Schweiz aber in der Minderheit. Dominiert wird die Diaspora hier von linken Türken und Kurden, eine Folge der Asylpolitik der vergangenen Jahrzehnte und der Duldung der PKK.

Von der Polizei umgeleitet

Dass die Kundgebungen am Helvetiaplatz zu einer Gewaltorgie ausarten, erklärt sich auch mit der Anwesenheit von Mitgliedern der kurdischen Schlägerbande Bahoz, die sich früher Sondame nannte. Bahoz bedeutet Sturm auf Kurdisch. Auf Facebook lassen Mitglieder dieser Strassenbande wenig Zweifel an ihrer Gewaltbereitschaft, zum Beispiel so: «Wenn Bahoz jemanden angreifen will, dann kann er sich befinden, wo er will, wann er will, und niemand wird ihn beschützen können.»

Demir B., nun angeklagt wegen sechsfachen Tötungsversuchs, will am 12. September 2015 mit seiner Tochter, einer Cousine und türkischen Freunden zur Demonstration gegen Terrorismus nach Bern fahren. Organisiert wird die Kundgebung von der Union Europäisch Türkischer Demokraten (UETD), einer Frontorganisation von Erdogans AKP. In der Schweiz ist die UETD, die sich heute UID nennt, erst seit 2012 aktiv. Sie hat aber schon mehrfach hochrangige türkische Regierungsfunktionäre in die Schweiz eingeladen.

Der Aufmarsch in Bern ist damit eine der ersten von Erdogan-Anhängern organisierten Kundgebungen in der Schweiz. Obwohl einige der türkischen Demonstranten in Bern mit ihren Fingern den Wolfsgruss der rechtsextremen türkischen Grauen Wölfe formen, hält sich diese Gruppe offiziell von der Kundgebung fern. Nachweislich hat die schweizerische Filiale der Grauen Wölfe ihre Mitglieder am Vortag auf Facebook nachdrücklich aufgefordert, nicht an der Demonstration teilzunehmen. Es ist also eine alleinige Veranstaltung der UETD.

Die Gruppe um den türkischen IV-Rentner Demir R. ist in einem dunkelblauen und in einem schwarzen Mercedes-Kombi unterwegs. Einige der Insassen tragen T-Shirts der türkischen Fussballnationalmannschaft und sind so leicht als Türken zu identifizieren. In der Presse wird es später heissen, dass der Mercedes, mit dem Demir B. in die Menschenmenge «gerast» sei, am Heck einen Aufkleber der Grauen Wölfe zu sehen gewesen sei und dass sich die Kurden dadurch provoziert gefühlt hätten. Bei der Untersuchung des Fahrzeugs nach dem Vorfall wird die Polizei aber nichts dergleichen finden.

Als die beiden Autos am frühen Nachmittag am Helvetiaplatz eintreffen, versucht die Polizei gerade, die unbewilligte kurdische Gegendemonstration aufzulösen. Ein Polizist weist die Fahrer der beiden Mercedes-Kombis an, vom Helvetiaplatz unter der Kirchenfeldbrücke hinunter zur Aare zu fahren. Zugleich widersetzt sich eine grössere Zahl kurdischer Kundgebungsteilnehmer der Polizei, indem sie über zwei Treppen von der Brücke hinunterströmen. So fahren Demir B. und seine Freunde mit ihren Autos – auf Weisung des Polizisten – direkt in die Arme von insgesamt 66 Angreifern. Diese erkennen die Fahrzeuginsassen sofort als Türken. Sie stoppen die Autos.

«Barbarisches Verhalten»

Was folgt ist ein beispielloser Gewaltexzess. Die Angreifer, unter denen sich auch einige nicht kurdischstämmige Schweizer befinden, legen laut Polizeibericht ein «nahezu barbarisches Verhalten» an den Tag. «Aus Sicht der Polizei grenzt es an ein Wunder, dass keiner der Fahrzeuginsassen vor Ort zu Tode gekommen oder später seinen Verletzungen erlegen ist.» Der damals 46-jährige türkische Freund und Beifahrer von Demir B. wird aus dem Wagen gezerrt. Demir B. steigt aus, und die beiden Türken werden nun von insgesamt 24 Angreifern mit mindestens 40 Fusstritten und Schlägen traktiert. Der Beifahrer geht schnell zu Boden, wo er den Fusstritten wehrlos ausgeliefert ist.

Einige Kurden versuchen allerdings, die türkischen Opfer zu schützen – erfolglos. Auf den Videos ist die Stimme eines Beobachters auf der Kirchenfeldbrücke zu hören, der von «Bürgerkrieg in der Schweiz» spricht und sich fragt, ob der reglos auf dem Trottoir liegende Beifahrer tot sei.

Doch der Fahrer Demir B. ist nicht tot. Er befindet sich in Kauerstellung auf den Knien und versucht, zu seinem Auto zu kriechen, als ihm ein Zürcher Gebäudereiniger, ein Mitglied der Bahoz-Bande, einen Fusstritt verpasst. Ein zweites Gangmitglied tritt ihn in den Kopf. Der Türke blutet stark, seine Kopfwunden müssen später mit 15 Stichen genäht werden. Trotzdem schafft er es, sich wieder hinter das Steuerrad zu setzen und das Auto in Bewegung zu setzen, nach unten Richtung Aare. Seine Brille hat er verloren, und die Frontscheibe ist von den Kurden zertrümmert und vollständig mit Sprüngen überzogen. Demir B. versucht sein Leben und das der Mitfahrer zu retten, er fährt los, und trifft dabei – noch mit geringer Geschwindigkeit – zwei der Angreifer, während andere Kurden dem Wagen hinterherrennen.

Der Kollege von Demir B. ist nicht im Auto. Er liegt regungslos auf dem Trottoir. Während der erste Wagen Richtung Aare entkommt, wird der zweite Mercedes und dessen Insassen weiter von Kurden attackiert. Deshalb wendet Demir R. sein Auto und fährt die Schwellenmattstrasse wieder hoch. Beim Fahren sieht er kaum etwas durch die zerschmetterte Windschutzscheibe, trotzdem schafft er es, seinen Wagen knapp am stehenden zweiten Mercedes vorbeizulenken. Er fährt dabei sechs Kurden an, einen von ihnen bereits zum zweiten Mal.

War das Absicht oder ein Unfall? Hat Demir B. die Angreifer angefahren, um seinen türkischen Freunden im zweiten attackierten Fahrzeug zu helfen? Das wird das Berner Regionalgericht entscheiden müssen. Im Polizeirapport wird jedenfalls die Frage aufgeworfen, was denn mit den Insassen des zweiten Fahrzeugs geschehen wäre, wenn Demir B. seinen Wagen nicht in die Angreifergruppe gelenkt hätte.

Für die Beantwortung der Schuldfrage dürfte ausserdem die Geschwindigkeit des dunkelblauen Mercedes eine Rolle spielen. Zeugen, die den Kurden nahestehen, schätzten sie auf bis zu 70 km/h, während Türken von 30 bis 40 km/h sprachen. Ein unabhängiger Schweizer Zeuge meinte, es seien schätzungsweise 50 km/h gewesen. Aus den Akten zum Fall ist nicht ersichtlich, dass die Polizei das Tempo zu berechnen versuchte. Anhand der Videos und Messungen am Tatort schätzt diese Zeitung die Geschwindigkeit kurz vor dem Aufprall auf 40 km/h und nach der Kollision auf ungefähr 34 km/h. Von einem rasenden Amokfahrer kann somit wohl kaum die Rede sein.

Bedingte Geldstrafen

Vier der sieben angefahrenen Kurden hatten sich – nach Ansicht der Staatsanwaltschaft – vorher an den Angriffen auf die beiden Autos beteiligt und wurden zum Teil schon rechtskräftig per Strafbefehl verurteilt. Allerdings kamen sie alle mit Geldstrafen davon, teilweise bedingt. Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen meist nur Angriff sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden vorgeworfen. Ganz anders reagierte die Berner Justiz in einem ähnlich gelagerten Fall, bei dem ein Schweizer PKK-Mitglied 2016 bei einer unbewilligten Kurdendemonstration ein am Boden liegendes türkischstämmiges Opfer zweimal gezielt in den Kopf getreten hatte. Hier verhängte das Regionalgericht Bern-Mittelland eine 23-monatige bedingte Gefängnisstrafe wegen versuchter schwerer Körperverletzung.

Die Staatsanwaltschaft schreibt dazu auf Anfrage, dass bei den Ermittlungen rund 8,5 Stunden Videomaterial und 340 Bilder analysiert worden seien. «Der Tatbestand des Angriffs gilt als Auffangtatbestand gerade in Konstellationen, in welchen die verübte Körperverletzung beweismässig keiner konkreten Person zugeordnet werden kann. Insofern wurden nur beschuldigte Personen wegen Angriffs etc. mit Strafbefehl verurteilt, deren Übergriffe nicht eindeutig individualisierbar waren. Sämtliche beschuldigte Personen, bei welchen konkrete Handlungen im Sinne eines schweren Körperverletzungsdelikts zugeordnet werden konnten, wurden oder werden einer Anklage zugeführt.» So verurteilte das Regionalgericht Bern-Mittelland zum Beispiel einen Kurden, der den Beifahrer von Demir B. mit einer Holzlatte brutal in den Hinterkopf gestossen hatte, zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten. Weitere Strafverfahren seien zudem noch hängig, teilt die Staatsanwaltschaft weiter mit.

Dass Strafbefehle mit bedingten Geldstrafen kaum abschreckende Wirkung entfalten, zeigt der Fall von zwei Bahoz-Mitgliedern, die zu den Angreifern von Demir B. auf der Schwellenmattstrasse gehörten: Sie begingen einfach weitere Straftaten. Gegen einen von ihnen läuft in Basel ein Strafverfahren, unter anderem wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und mehrfacher versuchter schwerer Körperverletzung.



Zwischenfälle in der Schweiz – die Chronologie

1993 Auf eine Militäroffensive gegen die PKK in der Türkei antworten kurdische Demonstranten mit der Stürmung des türkischen Botschaftsgeländes in Bern. Die Türken antworten mit Maschinenpistolen und Faustfeuerwaffen. Resultat: ein toter Kurde und acht durch Kugeln Verletzte, unter ihnen ein Polizist.

2008 Mehrere Anschläge gegen türkische Einrichtungen, darunter das Café Istanbul in Basel und ein türkisches Reisebüro in Bern. Den misslungenen Brandanschlag in Bern gestehen später sechs Männer kurdischer Abstammung.

2011 Nachdem die PKK 24 türkische Soldaten getötet hat, kommt es in der Zürcher Bahnhofstrasse zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Türken und Kurden2015 Eine türkische Moschee in Wangen bei Olten wird mit PKK-Parolen verschmiert

2017 An einer kurdischen Demonstration auf dem Bundesplatz tragen linksextreme Chaoten aus der Berner Reithalle ein Plakat mit der Aufschrift «Tötet Erdogan mit seinen eigenen Waffen!».

2019 Linksautonome missbrauchen eine ansonsten friedliche kurdische Demonstration vor der türkischen Botschaft in Bern für Gewalt.
(https://www.bernerzeitung.ch/fusstritte-knochenbrueche-und-eine-amokfahrt-347646569261)